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Der Zusammenhang zwischen sozialer Phobie und Substanzkonsum im Jugendalter

Eine Übersicht zur Forschung

©2009 Bachelorarbeit 41 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Substanzkonsum und die damit einhergehenden individuellen, gesundheitlichen, sozialen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten sind ein Problem. Störungen durch Substanzkonsum gehören neben Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten und schwerwiegendsten Krankheiten überhaupt. Substanzkonsum im Jugendalter ist heute nicht mehr - wie früher angenommen - ein Phänomen jugendlicher Subkulturen, sondern gehört zum festen Bestandteil jugendlicher Verhaltensentwicklung. Fast jeder erste Tabakkonsum erfolgt vor dem Ende der obligatorischen Schulzeit und selten wird erst im Erwachsenenalter mit dem Rauchen begonnen. Tabak- und Alkoholkonsum gehen meist dem Beginn des Konsums von Cannabis voraus. Dabei führt der Konsum von Tabak, Alkohol und Cannabis nicht zwangsläufig zum Konsum weiterer Drogen wie Heroin oder Kokain – in diesem Sinne kann also nicht von ’Einstiegsdrogen’ gesprochen werden. Die erste Zigarette wird mit ungefähr 14 Jahren geraucht, der Probierkonsum von Alkohol beginnt ab dem 10. Lebensjahr und der erste Cannabiskonsum erfolgt durchschnittlich mit 16 Jahren. Ungünstige und schädliche Muster des Substanzkonsums, welche in der frühen bis mittleren Adoleszenz eingesetzt haben, können sich im Erwachsenenalter fortsetzten. Die Befunde weisen darauf hin, dass ein früher Beginn des Substanzkonsums (in der frühen Adoleszenz) im Vergleich zu einem späteren Beginn (in der mittleren/späten Adoleszenz) das Risiko für Störungen durch Substanzkonsum im Erwachsenenalter verdoppelt.
Auch der Beginn der sozialen Phobie liegt in der frühen bis mittleren Adoleszenz. Bei 75% der Menschen mit einer sozialen Phobie erfolgte das erstmalige Auftreten dieser Störung bis zum 15. Lebensjahr. Die soziale Phobie gehört, neben der Agoraphobie und der spezifischen Phobie, zu den häufigsten Angststörungen in der Adoleszenz und geht mit erheblichen Beeinträchtigungen einher. Adoleszente mit einer sozialen Phobie haben weniger Liebesbeziehungen, weniger sexuelle Erfahrungen, weniger enge intime Freundschaften, verlassen die Schule oft vorzeitig und konsumieren mehr Substanzen als Gleichaltrige ohne soziale Phobie.
Durch epidemiologische Befunde, welche hohe Komorbiditätsraten von Substanzstörungen mit Angststörungen bei Erwachsenen fanden, hat das Forschungsinteresse zugenommen mit dem Ziel, mehr über die Ätiologie der Komorbidität des Substanzkonsums zu erfahren. In der Literatur werden drei Erklärungsansätze genannt, die sich auf […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Zusammenfassung

2. Einleitung und Fragestellung
2.1 Begriffsbestimmung Substanzkonsum
2.2 Prävalenzen des Substanzkonsums in der Adoleszenz
2.3 Risikofaktoren für Substanzkonsum in der Adoleszenz
2.4 Epidemiologie und Verlauf der sozialen Phobie
2.5 Einführung in die Ergebnisse der Forschung des Zusammenhangs zwischen sozialer Phobie und Substanzkonsum

3. Auswahl vier empirischer Studien zum Zusammenhang zwischen sozialer Phobie und Substanzkonsum in der Adoleszenz
3.1 Sind soziale Ängste und die DSM-IV soziale Phobie mit Rauchen und Nikotinabhängigkeit in der Adoleszenz assoziiert? (Sonntag, Wittchen, Höfler, Kessler, & Stein, 2000)
3.1.1 Ergebnisse
3.1.2 Diskussion
3.2 Die Spezifität der sozialen Phobie als ein Risikofaktor für Alkohol- und Cannabisabhängigkeit (Buckner, Schmidt, Lang, Small, Schlauch, & Lewinsohn, 2008)
3.2.1 Ergebnisse
3.2.2 Diskussion
3.3 Soziale Angst, negative Affektivität und Substanzkonsum bei Schülern (Myers, Aarons, Tomlinson, & Stein, 2003)
3.3.1 Ergebnisse
3.3.2 Diskussion
3.4 Die Rolle von Trinkmotiven bei sozialer Angst und Alkoholkonsum (Ham, Bonin, & Hope, 2007)
3.4.1 Ergebnisse
3.4.2 Diskussion

4. Zusammenfassende Diskussion

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang

1 Zusammenfassung

Der Substanzkonsum im Jugendalter dient oft als Strategie zur Erreichung von Entwicklungsaufgaben wie beispielsweise der Ablösung vom Elternhaus und so erfolgt der Erstkonsum von Substanzen, wie Alkohol, Nikotin und Cannabis, häufig vor dem Ende der obligatorischen Schulzeit.

Im Jugendalter gehört die soziale Phobie zu den häufigsten Angststörungen. Unbehandelt verläuft die soziale Phobie meist chronisch und es folgen weitere psychische Störungen. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist die soziale Phobie häufig komorbide mit Störungen durch Substanzkonsum. Mit Langzeituntersuchungen bei Jugendlichen und Erwachsenen konnte ziemlich konsistent gezeigt werden, dass die soziale Phobie der Störung durch Substanzkonsum vorausgeht. Eine sehr aktuelle Langzeituntersuchung von Buckner und Turner (2009) identifizierte die soziale Phobie als Risikofaktor für eine Alkoholabhängigkeit bei weiblichen Adoleszenten, nicht aber bei männlichen. Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über den Zusammenhang zwischen sozialer Phobie und Substanzkonsum bei Adoleszenten. Im Zentrum der folgenden Arbeit stehen vier ausgewählte Studien, welche diesen Zusammenhang untersuchen und zu unterschiedlichen Befunden kommen.

Zukünftige Langzeituntersuchungen sollten zeigen, dass die Behandlung der sozialen Phobie mit weniger Substanzkonsum einhergeht. Präventive Massnahmen in den Bereichen der sozialen Phobie und der Sucht sollten nicht vernachlässigt werden.

2 Einleitung und Fragestellung

Der Substanzkonsum und die damit einhergehenden individuellen, gesundheitlichen, sozialen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten sind ein Problem (Grass & Farke, 2003, S. 2). Störungen durch Substanzkonsum gehören neben Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten und schwerwiegendsten Krankheiten überhaupt (Ihle, 2008, S. 360). Substanzkonsum im Jugendalter ist heute nicht mehr - wie früher angenommen - ein Phänomen jugendlicher Subkulturen, sondern gehört zum festen Bestandteil jugendlicher Verhaltensentwicklung (Farke & Broekman, 2003, S. 6). Fast jeder erste Tabakkonsum erfolgt vor dem Ende der obligatorischen Schulzeit und selten wird erst im Erwachsenenalter mit dem Rauchen begonnen. Tabak- und Alkoholkonsum gehen meist dem Beginn des Konsums von Cannabis voraus (Kandel, Yamaguchi, & Chen, 1992). Dabei führt der Konsum von Tabak, Alkohol und Cannabis nicht zwangsläufig zum Konsum weiterer Drogen wie Heroin oder Kokain – in diesem Sinne kann also nicht von ’Einstiegsdrogen’ gesprochen werden (Annaheim, Rehm, Neuenschwander, & Gmel, 2007). Die erste Zigarette wird mit ungefähr 14 Jahren geraucht, der Probierkonsum von Alkohol beginnt ab dem 10. Lebensjahr und der erste Cannabiskonsum erfolgt durchschnittlich mit 16 Jahren (Lieb et al., 2000). Ungünstige und schädliche Muster des Substanzkonsums, welche in der frühen bis mittleren Adoleszenz eingesetzt haben, können sich im Erwachsenenalter fortsetzten (Horn, 2006, S. 335). Die Befunde weisen darauf hin, dass ein früher Beginn des Substanzkonsums (in der frühen Adoleszenz) im Vergleich zu einem späteren Beginn (in der mittleren/späten Adoleszenz) das Risiko für Störungen durch Substanzkonsum im Erwachsenenalter verdoppelt (Anthony & Petronis, 1995).

Auch der Beginn der sozialen Phobie liegt in der frühen bis mittleren Adoleszenz (Brunello et al., 2000). Bei 75% der Menschen mit einer sozialen Phobie erfolgte das erstmalige Auftreten dieser Störung bis zum 15. Lebensjahr (Kessler, Berglund, Demler, Jin, Merikangas, & Walters, 2005). Die soziale Phobie gehört, neben der Agoraphobie und der spezifischen Phobie, zu den häufigsten Angststörungen in der Adoleszenz (Essau, Karpinski, Petermann, & Conradt, 1998) und geht mit erheblichen Beeinträchtigungen einher (Masia, Klein, Storch, & Corda, 2001). Adoleszente mit einer sozialen Phobie haben weniger Liebesbeziehungen, weniger sexuelle Erfahrungen (Dodge, Heimberg, Nyman, & O’Brian, 1987; Leary & Dobbins, 1983), weniger enge intime Freundschaften (La Greca & Lopez, 1998; Vernberg, Abwender, Ewell, & Beery, 1992), verlassen die Schule oft vorzeitig (Essau et al., 1998) und konsumieren mehr Substanzen als Gleichaltrige ohne soziale Phobie (Wittchen, Stein, & Kessler, 1999).

Durch epidemiologische Befunde, welche hohe Komorbiditätsraten von Substanzstörungen mit Angststörungen bei Erwachsenen fanden, hat das Forschungsinteresse zugenommen mit dem Ziel, mehr über die Ätiologie der Komorbidität des Substanzkonsums zu erfahren (Merikangas et al., 1998). In der Literatur (z.B. Kushner, Abrams, & Borchardt, 2000; Myrick & Brady, 2003) werden drei Erklärungsansätze genannt, die sich auf kausale Wirkmechanismen zwischen Angststörungen (teilweise auch soziale Phobie) und Substanzkonsum bzw. Substanzstörungen beziehen: Erstens, die soziale Phobie ist ursächlich mit dem Konsum von Substanzen verbunden, dabei dient die Substanz der Spannungsreduktion oder Selbstmedikation (Khantzian, 1997; Kushner et al., 2000). So fanden Bolton, Cox, Clara und Sareen (2006) in einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung, dass etwa 16% der Personen mit einer sozialen Phobie Selbstmedikation betrieben, um ihre Angstsymptome bewältigen zu können. Von den Personen, welche Selbstmedikation betrieben und eine Angststörung (soziale Phobie, Panikstörung, generalisierte Angststörung, Agoraphobie, einfache Phobie) hatten, waren 45% drogen- und 67% alkoholabhängig. Von den Personen in der Kontrollgruppe mit einer Angststörung, die keine Selbstmedikation betrieben, waren 10% drogen- und 21% alkoholabhängig. Zweitens, die Angstsymptome sind die Konsequenz des Substanzkonsums (z.B. induzierte Angst durch Entzugssymptome) (Kushner et al., 2000). So beschrieb beispielsweise Moran (1986) in einer Fallstudie, dass bei den Patienten mit einer Agoraphobie oder einer Panikstörung der Beginn der Angstsymptome mit dem Cannabiskonsum zusammenhing. Drittens, der Zusammenhang zwischen Angst- und Substanzstörungen gleicht einem Teufelskreis, indem das Vorliegen der einen Störung die Wahrscheinlichkeit der anderen Störung erhöht (Kushner et al., 2000). In einer früheren Längsschnittuntersuchung von Kushner, Sher und Erickson (1999) konnte gezeigt werden, dass die Angststörung mit erhöhter Wahrscheinlichkeit die Substanzstörung nach sich zieht und umgekehrt.

Verschiedene Langzeituntersuchungen mit Erwachsenen und Adoleszenten untersuchen den kausalen Zusammenhang zwischen Angststörungen bzw. sozialer Phobie und Substanzkonsum. Bei einigen Studien konnte ein Zusammenhang gefunden werden (z.B. Essau, Conradt, & Petermann, 1999; Marquenie et al., 2007; Zimmermann, Wittchen, Höfler, Pfister, Kessler, & Lieb, 2003), wenige andere Studien konnten diesen Zusammenhang nicht bestätigen (z.B. Goodwin, Fergusson, & Horwood, 2004).

Die folgende Arbeit gibt einen Überblick über den Forschungsstand des Zusammenhangs zwischen sozialer Phobie und Substanzkonsum in der Adoleszenz. Die Arbeit ist so aufgebaut, dass zuerst ein Überblick über die Begriffe und Störungsbilder der sozialen Phobie und des Substanzkonsums in der Adoleszenz gegeben wird, worauf die Erläuterung des Zusammenhangs beider Störungsbilder folgt. Danach werden vier ausgewählte Studien vorgestellt, welche diesen Zusammenhang untersuchen. Am Ende der Arbeit werden die Ergebnisse zusammenfassend diskutiert.

2.1 Begriffsbestimmung Substanzkonsum

Bei den ’Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen’ in DSM-IV TR (American Psychiatric Association 2003) wird unterschieden zwischen Störungen durch Substanzkonsum (Missbrauch und Abhängigkeit) und substanzindizierte Störungen (akute Intoxikation, Entzug, Delir) (Bühringer & Metz, 2008, S. 347). Die Unterteilung der Störungen durch Substanzkonsum in die zwei Hauptkategorien, Missbrauch und Abhängigkeit, wurde erstmals im DSM-III gemacht, weil Langzeituntersuchungen in den 1970er Jahren gezeigt haben, dass ein erheblicher Teil der Problemtrinker nicht in eine Abhängigkeit fortschreitet (Nathan, 1991). Nach DSM-IV ist der Substanzmissbrauch definiert als ein unangepasstes Muster des Substanzkonsums über einen Zeitraum von zwölf Monaten mit wiederholten und nachteiligen Konsequenzen bezogen auf die wiederholte Verwendung der Substanz (z.B. Probleme mit dem Gesetz, wiederholte soziale und interpersonale Probleme) und zu keiner Zeit dürfen die Kriterien für eine Abhängigkeit erfüllt sein. Die Substanzabhängigkeit ist definiert als ein Cluster von physiologischen-, kognitiven- sowie Verhaltenssymptomen über einen Zeitraum von zwölf Monaten (z.B. Toleranzentwicklung, Entzugssymptome, hoher Zeitbedarf für die Substanzbeschaffung) und dem fortgesetzten Konsum trotz Kenntnis der negativen Auswirkungen (Lieb, Pfister, & Wittchen, 1998). Gemäss DSM-IV und ICD-10 ist explizit keine kritische Konsummenge für den Missbrauch und die Abhängigkeit definiert (Holly & Wittchen, 1998).

Die Begriffe, die den Substanzkonsum in der Adoleszenz definieren, variieren in den Studien beträchtlich: Substanzmissbrauch, Substanzabhängigkeit, regelmässiger Konsum, schädlicher Konsum, riskanter Konsum, Experimentierkonsum und problematischer Konsum werden alle für den Substanzkonsum in der Adoleszenz verwendet, wobei der am meist verwendete Ansatz ist die Definition eines problematischen Substanzkonsums durch die DSM-IV Kriterien (Bauman & Phongsavan, 1999). Wöchentlicher oder täglicher Konsum von Tabak und/oder Alkohol, problematisches und starkes Trinken mit dem Ziel, betrunken zu sein und Cannabiskonsum von mehr als dreimal im vergangenen Monat, reflektieren einen problematischen Substanzkonsum (Steinhausen, Eschmann, & Winkler Metzke, 2007). In einigen Studien (z.B. Young et al., 2002) wird unter Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum jegliche Form des Konsums verstanden, welcher sich auf die Lebenszeit, die letzten 12 Monate oder die letzten 30 Tage bezieht (Johnston, Malley, Bachmann, & Schulenberg, 2008). In der Studie von Merikangas et al. (1998) wird der Substanzkonsum durch die Lebenszeitprävalenz und die Substanzprobleme durch die Missbrauchskriterien sowie die Substanzabhängigkeit durch die Abhängigkeitskriterien des DSM erfasst.

In dieser Arbeit bezieht sich der Begriff Substanzkonsum auf Tabak, Alkohol und Cannabis. Da Adoleszente oft auch problematischen Konsum betreiben, umfasst der Begriff Substanzkonsum auch den Substanzmissbrauch und die Substanzabhängigkeit.

2.2 Prävalenzen des Substanzkonsums in der Adoleszenz

Störungen durch Substanzkonsum gehören neben Angst- und depressiven Störungen zu den häufigsten psychischen Störungen bei den 14- bis 24-jährigen Adoleszenten, unter Einbezug der Nikotinabhängigkeit (Lebenszeitprävalenz 18.8%) sind es sogar die häufigsten Störungen (Wittchen, Nelson, & Lachner, 1998). Substanzkonsum scheint ein Entwicklungsphänomen zu sein und steigt von der frühen bis in die späte Adoleszenz nahezu linear an (Young et al., 2002) und ist bei den 16- bis 17-Jährigen am stärksten verbreitet (Lampert & Thamm, 2007).

Die deutsche prospektiv-epidemiologische Verlaufsstudie, Early Development Stages of Psychopathology (EDSP), mit 3021 Adoleszenten im Alter von 14 bis 24 Jahren zeigt, dass 94.5% der Befragten einmal in ihrem Leben ein Glas Alkohol (Lebenszeitprävalenz), 76.3% jemals in ihrem Leben Tabak (Zigarette, Zigarre, Pfeife, Schnupf-/Kautabak) und 33% jemals Cannabis konsumiert haben (Lieb et al., 2000).

In der Schweiz zeigen Befunde von Steinhausen, Eschmann, Heimgartner und Winkler Metzke (2008) Lebenszeitprävalenzen von Alkoholkonsum zwischen 11.3% und 78.9% bei den 12- bis 16-jährigen Adoleszenten, diese Rate steigt mit jedem Lebensjahr an und ist bei den männlichen Adoleszenten höher als bei den weiblichen. Die Swiss Multicenter Adolescent Survey on Health (SMASH) Studie fand, dass im Alter von 16 bis 20 Jahren nur 0.9% der männlichen und 1.3% der weiblichen Adoleszenten noch nie in ihrem Leben betrunken waren (Narring et al., 2002). Die Hälfte der 13-Jährigen haben zumindest einmal im Leben geraucht, wobei die Rate mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt. Der aktuelle Nikotinkonsum (1-Monats-Prävalenz) steigt von 21% im Alter von 13 Jahren auf 38% bei den 16-Jährigen. Regelmässig (einmal oder mehrmals im Monat) rauchen 8.5% der 13-Jährigen und 23.2% der 16-Jährigen (Gmel, Rehm, Kuntsche, Wicki, & Grichting, 2004) Im Alter von 16 bis 20 Jahren rauchen regelmässig zwischen 17.4% und 41.3% der weiblichen und zwischen 18.4% und 45.2% der männlichen Adoleszenten (Narring et al., 2002). Ähnliche Ergebnisse beim Alkohol- und Nikotinkonsum fanden auch Schmid, Delgrande Jordan, Kuntsche, Kuendig und Annaheim (2008), wobei sie zusätzlich eine Lebenszeitprävalenz des Cannabiskonsums von 34.2% bei den männlich 15-jährigen Adoleszenten und 26.8% bei den weiblichen fanden. Daten aus der Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) Befragung der Weltgesundheitsorganisation über einen Zeitraum von 12 Jahren weisen darauf hin, dass in der Schweiz der Nikotin-, Alkohol- und Cannabiskonsum bei den 15-Jährigen seit Mitte der 80er-Jahre zugenommen hat (Kuntsche, 2004).

Höhere Prävalenzen fanden Niethammer und Frank (2007) bei einer klinischen Stichprobe. So konsumierten im Alter von 14 bis 17 Jahren 76% der Jugendlichen regelmässig Nikotin, 44% regelmässig Alkohol und 40% regelmässig illegale Drogen.

Ergebnisse der amerikanisch Langzeituntersuchung Monitoring the Future mit rund 50 000 Adoleszenten im Alter von 13 bis 17 Jahren zeigen Lebenszeitprävalenzen für Alkohol- zwischen 38.9% und 72.2%, Nikotin- zwischen 22.1% und 46.2% und Cannabiskonsum zwischen 14.2% und 41.8% (Johnston et al., 2008).

Befunde aus Deutschland zeigen, dass von den Adoleszenten im Alter von 14 bis 24 Jahren rund 19% beider Geschlechter nikotinabhängig, 10% der männlichen und 2.5% der weiblichen Adoleszenten alkoholabhängig und 2% der männlichen und 1% der weiblichen Adoleszenten cannabisabhängig sind (Lieb et al., 2000).

2.3 Risikofaktoren für Substanzkonsum in der Adoleszenz

Nicht jeder Erstkonsum oder Experimentierkonsum von Substanzen führt zu einer Substanzerhöhung oder zu einer Störung durch Substanzkonsum (Kandel et al., 1997). Das gehäufte Auftreten des Substanzkonsums in der Adoleszenz kann entsprechend dadurch erklärt werden, dass der Konsum als Strategie zur Erreichung von Entwicklungsaufgaben (z.B. Ablösung vom Elternhaus oder Entwicklung eines Wertesystems) eingesetzt wird (Bühringer & Metz, 2008, S. 350). Eine Mehrheit der Adoleszenten (90%) lernt mit psychoaktiven Substanzen angemessen umzugehen, die Entwicklung von Missbrauch oder Abhängigkeit entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel diverser Faktoren (Horn, 2006, S. 336). Newcomb, Maddahian und Bentler (1986) beschreiben in einer Langzeituntersuchung mit Mittelschülern zehn Risikofaktoren, die bei individueller Vulnerabilität (genetische Disposition) das Risiko für den Substanzkonsum (bzw. für den starken Nikotin-, Alkohol-, Cannabiskonsum) erhöhen. Genannte Risikofaktoren sind: unterdurchschnittliche Schulbildung, früher Alkoholkonsum, niedriger Selbstwert, Psychopathologie, schlechte Beziehung zu den Eltern, wenig Religiosität, abweichende soziale Konformität, Sensationslust und Substanzkonsum im nahen Umfeld (Peergruppe und Erwachsene). Ein Bezugssystem der Risikofaktoren, die über den Substanzkonsum bis zu einer Substanzstörung führen können, zeigt Abbildung 1 von Wittchen, Lieb und Perikong (1999). Hinsichtlich der Entwicklung von Substanzstörungen wird zwischen sozialen- und personalen/familiären Faktoren (Vulnerabilität) sowie vermittelnden/ proximalen Faktoren unterschieden. Es sollte beachtet werden, dass ein schädlicher Substanzkonsum nicht zwangsläufig ein Vorstadium der Abhängigkeit sein muss (Wittchen et al., 1999).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Bezugssystem der Risikofaktoren zur Entstehung von Substanzstörungen (Wittchen, Lieb, & Perkkonig, 1999).

2.4 Epidemiologie und Verlauf der sozialen Phobie

Die soziale Phobie wird im DSM-IV definiert als eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor sozialen- oder Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte, wobei die Betroffenen befürchten, ein Verhalten wie Erröten, Schwitzen, erhöhtes Herzrasen zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. Personen mit sozialer Phobie meiden diese gefürchteten Situationen oder ertragen sie unter intensiver Angst (Essau et al., 1999). Es können nach der Anzahl der gefürchteten Situationen zwei Subtypen unterschieden werden: der generalisierte Typus (die Angst und Vermeidung betrifft fast alle sozialen Situationen) und der spezifische Typus (die Angst und Vermeidung betrifft eine Situation) (Kashdan & Herbert, 2001; Kessler, Stein, & Berglund, 1998). Die soziale Phobie sollte von Schüchternheit abgegrenzt werden, da Personen mit einer sozialen Phobie schwerere Symptome und eine stärkere Beeinträchtigung in sozialen Situationen haben als schüchterne Personen, wobei Schüchternheit als Persönlichkeitseigenschaft gesehen werden kann, welche nicht pathologisch ist (Heiser, Turner, Beidel, & Roberson-Nay, in Druck; Turner & Beidel, 1989).

Epidemiologische Studien aus westlichen Industrieländern zeigen (z.B. Furmark, 2002; Heimberg, Stein, Hiripi, & Kessler, 2000; Kessler et al., 2005), dass in der Allgemeinbevölkerung die soziale Phobie eine der häufigsten Angststörungen ist. Allerdings variieren die Prävalenzen in den Studien durch methodologische Unterschiede beträchtlich (z.B. unterschiedliche DSM-Versionen, verschiedene Altersgruppen der Stichproben), so liegen die Lebenszeitprävalenzen zwischen 7% und 13% in der Allgemeinbevölkerung, dabei sind Frauen häufiger betroffen (Rapee & Spence, 2004; Wittchen & Fehm, 2003). Eine europäische Übersichtsarbeit mit 21 Studien fand eine durchschnittliche Lebenszeitprävalenz von 6.65% in der Allgemeinbevölkerung (Fehm, Pelissolo, Furmark, & Wittchen, 2005). In der Adoleszenz sind die Lebenszeitprävalenzen deutlich tiefer, wobei die Befunde in den Studien sehr heterogen sind. So wurden Lebenszeitprävalenzen von 1.6% bei den 12- bis 17-Jährigen sowie 4.9% bei den männlichen und 9.5% bei den weiblichen Adoleszenten im Alter von 14 bis 24 Jahren gefunden (Essau, Conradt, & Petermann, 1999; Wittchen, Stein, & Kessler, 1999). Wie Wittchen et al. (1999) fanden, sind die Lebenszeitprävalenzen der 14- bis 17-jährigen Adoleszenten tiefer als die der 18- bis 24-Jährigen. In ihrer Übersichtsarbeit halten Kashdan und Herbert (2001) Lebenszeitprävalenten bei Adoleszenten von 5 bis 15 % fest. Mädchen sind häufiger betroffen und die Häufigkeit der Störung nimmt mit steigendem Alter zu (Essau, et al., 1999; Wittchen et al., 1999).

Als Risikofaktoren, die zur Entwicklung einer sozialen Phobie beitragen können, nennen Kashdan und Herbert (2001) sowie Rapee und Spence (2004) genetische Faktoren (genetische Disposition), überdauernde Merkmale der Person (z.B. Schüchternheit oder Verhaltenshemmung), umgebungsbedingte Einflüsse wie Eltern-Kind-Interaktionen oder aversive soziale Erfahrungen (z.B. von anderen Kindern ausgeschlossen werden) und negative Lebensereignisse (z.B. familiäre Konflikte, Scheidung, elterliche Psychopathologie).

Der Beginn der sozialen Phobie liegt in der Regel in der Kindheit oder frühen Adoleszenz durchschnittlich zwischen 10 und 13 Jahren, ein erstmaliges Auftreten im Erwachsenenalter ist selten (Rapee & Spence, 2004; Wittchen et al., 1999). Mehrheitlich bleibt die soziale Phobie in der Kindheit und Jugend unerkannt und unbehandelt - wegen der ständigen Ängsten bei Personen mit einer sozialen Phobie, wie andere sie wahrnehmen könnten, verhalten sie sich in einer Weise, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (Kashdan & Herbert, 2001). Es gibt Befunde, welche darauf hinweisen, dass eine unbehandelte soziale Phobie vor dem 11. Lebensjahr auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt (Melfsen & Warnke, 2004, S. 172). Der Verlauf der sozialen Phobie bei Erwachsenen ist meist chronisch mit einer durchschnittlichen Dauer zwischen 20 und 30 Jahren, wobei nur 11% bis 48% eine Spontanremission erleben (Keller, 2003). Bei Adoleszenten zeigten sich in einer prospektiven klinischen Studie Remissionsraten von 86% (Last, Perrin, Hersen, & Kazdin, 1996). Drei häufig genannte aufrechterhaltende Faktoren der sozialen Phobie sind kognitive Faktoren (z.B. negativen Selbstfokus), defizitäre soziale Fähigkeiten und operantes Konditionieren (Kashdan & Herbert, 2001).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836632447
DOI
10.3239/9783836632447
Dateigröße
915 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Basel – unbekannt
Erscheinungsdatum
2009 (Juli)
Note
1,0
Schlagworte
soziale phobie substanzkonsum adoleszenz angst alkohol
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Titel: Der Zusammenhang zwischen sozialer Phobie und Substanzkonsum im Jugendalter
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