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Neuroökonomische Studien zum Gefangenendilemma

Ein Überblick

©2009 Bachelorarbeit 48 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Gefangenendilemma ist die Grundstruktur vieler sozialer Dilemmata. Obwohl schon viel länger bekannt, wurde es erstmals in den fünfziger Jahren von Merrill Flood und Melvin Dresher für die Rand Corporation, welche die Anwendung derartiger Modelle auf Nuklearwaffenstrategien untersuchte, formuliert. Anschließend wurde es von A.W. Tucker formalisiert und in seiner bekanntesten sowie namensgebenden Form als strategische Interaktion zwischen zwei Gefangenen dargestellt.
Ähnliche Situationen begegnen uns immer wieder sowohl in unserem Alltag als auch in der Wirtschaft; von der Entscheidung, wählen zu gehen oder in einer Wohngemeinschaft aufzuräumen, bis hin zu unternehmerischen Entscheidungen, wie der Festlegung eines Werbebudgets, oder politischen Problemen wie nuklearen Rüstungsrennen, beruhen sie in ihrer Problematik alle auf der Grundstruktur des Gefangenendilemmas.
Trotz des von der klassischen ökonomischen Analyse postulierten Ergebnisses (alle Spieler folgen ihrem Anreiz zu defektieren) beobachtet man in der Realität oft kooperatives Verhalten. Zum Beispiel kooperierten die Versuchspersonen, in einer in dieser Arbeit später noch ausführlich präsentierten Studie, in einem einmaligen Gefangenendilemma in 81% der Fälle, falls sie annahmen, gegen einen menschlichen Interaktionspartner zu spielen. Dies geschieht auch ohne bindende Verträge oder eine sonstige Veränderung der Auszahlungsstruktur. Obwohl die scheinbar dominanten Strategien klar sichtbar sind, finden die beteiligten Spieler manchmal einen Weg, durch Kooperation das für beide zusammen optimale Ergebnis zu erreichen.
Die Neuroökonomik, das Thema dieser Abschlussarbeit, stellt einen relativ neuen interdisziplinären Forschungszweig zwischen der Volkswirtschaftslehre und den kognitiven Neurowissenschaften dar. Dieser untersucht die Mechanismen unseres Gehirns, die unsere ökonomische Entscheidungsfindung steuern und beeinflussen. Sie liefert Erkenntnisse über die Funktionen des menschlichen Gehirns und hat für Ökonomen darüber hinaus das Potential, theoretische Modelle über das menschliche Verhalten zu erweitern. Die klassische ökonomische Theorie behandelt die Ursprünge des menschlichen Verhaltens als ‘black box’ und begnügt sich nicht selten mit abstrakten Modellen, welche die menschliche Entscheidungsfindung auf Märkten zwar oft, aber nicht in jedem Fall, richtig abbildet. Die individuellen Nutzen und die darauf beruhenden Entscheidungen werden als bekundete […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Optimale Strategien rationaler Spieler im Gefangenendilemma

3. Überblick über den Aufbau des menschlichen Gehirns

4. Methoden.

5. Einzelne Aspekte des Gefangenendilemmas
5.1 Kooperation
5.2 Menschliche und nicht-menschliche Gegenspieler
5.3 Ausbeutung
5.4 Defektion
5.5 Gruppenbezug
5.6 Zusammenfassung und Bezug zur angewandten Ökonomie.

6. Nützlichkeit neuroökonomischer Forschung

7. Aussichten für die neuroökonomische Untersuchung des Gefangenendilemmas

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Dorsal- und Ventralansicht

Abb. 2: Seiten- und Medialansicht

Abb. 3: Lappeneinteilung und Insula.

Abb. 4: Cortexeinteilung.

Abb. 5: Der dorsolaterale Präfrontalcortex

Abb. 6: Präfrontalcortex und limbisches System

Abb. 7: Medialansicht des limbischen Systems

Abb. 8: Der cinguläre Cortex

Abb. 9: Das Striatum

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Das Gefangenendilemma

Tab. 2: Gefangenendilemma in Rillings Studie

Tab. 3: Beispielmatrix mit monetären Auszahlungen

Tab. 4: Beispielmatrix mit Nutzeneinheiten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Das Gefangenendilemma ist die Grundstruktur vieler sozialer Dilemmata. Obwohl schon viel länger bekannt, wurde es erstmals in den fünfziger Jahren von Merrill Flood und Melvin Dresher für die Rand Corporation, welche die Anwendung derartiger Modelle auf Nuklearwaffenstrategien untersuchte, formuliert. Anschließend wurde es von A.W. Tucker formalisiert[1] und in seiner bekanntesten sowie namensgebenden Form als strategische Interaktion zwischen zwei Gefangenen dargestellt[2]. Generalisiert und symmetrisch lässt es sich folgendermaßen darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Das Gefangenendilemma

Wobei „C“ für die Strategie „Kooperation“, „D“ für die Strategie „Defektion“ und „a“, „b“, „c“ und „d“ für die Nutzenauszahlungen der Spieler in den jeweiligen Situationen stehen. Für die Auszahlungen muss gelten: c>a>d>b; ein Zustand, in welchem der jeweilige Spieler defektiert und sein Gegner kooperiert (DC) muss also einen höheren Nutzen (c für Spieler 1 und b für Spieler 2) liefern als gegenseitige Kooperation (CC mit der Auszahlung a für jeden Spieler). Genauso muss gegenseitige Defektion (DD) einen höheren Nutzen (d, d) liefern als eine Kooperation des Spielers bei Defektion des Gegners (CD, b für Spieler 1, c für Spieler 2). Das Dilemma resultiert daraus, dass bei Annahme vollkommener Information und Rationalität beide Akteure die Strategie „Defektion“ wählen werden, da sie ihnen, unabhängig von der Entscheidung des anderen Spielers, in jedem Fall eine höhere Auszahlung liefert. Dies führt zu einem Zustand, in dem sich letztendlich beide Spieler schlechter stellen, als wenn sie sich entschlossen hätten zu kooperieren. Anders beschrieben führt in diesem Fall rationales Nutzenmaximieren zu einem nicht Pareto-optimalen Ergebnis; es tritt ein Marktversagen auf. Ähnliche Situationen begegnen uns immer wieder sowohl in unserem Alltag als auch in der Wirtschaft; von der Entscheidung, wählen zu gehen oder in einer Wohngemeinschaft aufzuräumen, bis hin zu unternehmerischen Entscheidungen, wie der Festlegung eines Werbebudgets, oder politischen Problemen wie nuklearen Rüstungsrennen, beruhen sie in ihrer Problematik alle auf der Grundstruktur des Gefangenendilemmas.

Trotz des von der klassischen ökonomischen Analyse postulierten Ergebnisses (alle Spieler folgen ihrem Anreiz zu defektieren) beobachtet man in der Realität oft kooperatives Verhalten. Zum Beispiel kooperierten die Versuchspersonen, in einer in dieser Arbeit später noch ausführlich präsentierten Studie, in einem einmaligen Gefangenendilemma in 81% der Fälle, falls sie annahmen, gegen einen menschlichen Interaktionspartner zu spielen[3]. Dies geschieht auch ohne bindende Verträge oder eine sonstige Veränderung der Auszahlungsstruktur. Obwohl die scheinbar dominanten Strategien klar sichtbar sind, finden die beteiligten Spieler manchmal einen Weg, durch Kooperation das für beide zusammen optimale Ergebnis zu erreichen.

Die Neuroökonomik, das Thema dieser Abschlussarbeit, stellt einen relativ neuen interdisziplinären Forschungszweig zwischen der Volkswirtschaftslehre und den kognitiven Neurowissenschaften dar. Dieser untersucht die Mechanismen unseres Gehirns, die unsere ökonomische Entscheidungsfindung steuern und beeinflussen. Sie liefert Erkenntnisse über die Funktionen des menschlichen Gehirns und hat für Ökonomen darüber hinaus das Potential, theoretische Modelle über das menschliche Verhalten zu erweitern[4]. Die klassische ökonomische Theorie behandelt die Ursprünge des menschlichen Verhaltens als „black box“ und begnügt sich nicht selten mit abstrakten Modellen, welche die menschliche Entscheidungsfindung auf Märkten zwar oft, aber nicht in jedem Fall, richtig abbildet. Die individuellen Nutzen und die darauf beruhenden Entscheidungen werden als bekundete Präferenzen (revealed preferences) aus dem Verhalten bzw. den bereits getroffenen Entscheidungen der Individuen erschlossen[5]. Während Nutzeneinheiten ursprünglich als eine Quantifikation des Wohlbefindens eines Individuums gesehen wurden[6], sieht man sie in der orthodoxen Volkswirtschaftslehre lediglich als eine Möglichkeit, die Präferenzen der Individuen zu beschreiben und somit ihr Verhalten zu prognostizieren. Auch wenn man nicht davon ausgeht, dass die Individuen bei ihren Entscheidungen tatsächlich eine Nutzenfunktion maximieren, wird behauptet, dass sie sich verhalten, als ob sie dies täten[7]. Problematisch an dieser Betrachtung ist allerdings, dass immer noch implizit angenommen werden muss, dass ein höherer, aus dem Verhalten erschlossener Nutzen die Individuen besser stellen muss, da dieser ansonsten nicht für die Bewertung von Politikmaßnahmen herangezogen werden kann[8]. Die Neuroökonomik lehnt diese Methodik ab und versteht sich als einen Weg, die „black box“ des subjektiven Nutzens und der Entscheidungsfindung zu öffnen[9]. Man möchte diese Zusammenhänge untersuchen, um dadurch auch Phänomene, die in der klassischen ökonomischen Theorie unerklärt bleiben, wie die in dieser Arbeit untersuchte Kooperation zweier Individuen im Gefangenendilemma, zu erklären.

In dieser Arbeit werden zuerst kurz die Methoden der neurowissenschaftlichen Forschung und anschließend Erkenntnisse zu dem Zusammenhang zwischen dem menschlichen Verhalten in Gefangenendilemmaspielen und den Funktionen des Gehirns erläutert. Anschließend wird die Frage diskutiert, ob bzw. in wie fern die Neuroökonomik, als ein sich neu entwickelndes Feld innerhalb der experimentellen Ökonomik, der traditionellen ökonomischen Analyse einen Nutzen stiften kann.

2. Optimale Strategien rationaler Spieler im Gefangenendilemma

Nach Frank (1997) gibt es in der klassischen ökonomischen Analyse zwei Definitionen von Rationalität: Zum Einen die relativ rigide Eigennutz-Definition, wonach die Individuen stets nach der Maximierung ihres eigenen materiellen Nutzens streben, wobei selbst scheinbar altruistischen Handlungen egoistische Motive zugrunde gelegt werden; zum Anderen die Ziel-Definition, wonach Individuen sich rational verhalten, wenn sie bei der Verfolgung ihrer selbst gewählten, persönlichen Ziele effizient bzw. ohne Verschwendung vorgehen[10].

Nach der ersten Definition liegt ein Gefangenendilemma vor, wenn die Auszahlungen in der Spielmatrix den monetären Auszahlungen der Spieler entsprechen, da diese einzig und allein nach der Maximierung dieser streben, sofern keine persönlichen Beziehungen zwischen den Spielern vorliegen bzw. diese annehmen müssen, den Gegenspielern später noch einmal zu begegnen. Nach der zweiten Definition können die monetären Auszahlungen von den subjektiven Nutzenauszahlungen abweichen. Je nachdem, wie die Ziele der Spieler gesetzt sind, kann ein Zustand gegenseitiger Kooperation an sich einer Ausbeutung des Gegenspielers vorgezogen werden. In diesem Fall läge allerdings kein Gefangenendilemma vor, da die Werte in der Auszahlungsmatrix nicht den tatsächlichen Nutzenauszahlungen entsprächen und die Anreizstrukturen anders gesetzt wären.

Geht man davon aus, dass die Auszahlungen in der Spielmatrix tatsächlich die subjektiven Präferenzen der Spieler reflektieren, würde man bei einem einfachen, simultanen Spiel zweier rationaler Spieler ein gemeinsames Defektieren (d.h. ein Spielen der Strategie D) beider Spieler erwarten, da D unabhängig von der Entscheidung des Gegenspielers stets die beste Antwort darstellt. D ist somit die einzig dominante Strategie des Spiels. An dieser Betrachtung ändert sich auch nichts, wenn das Spiel sequentiell gespielt wird. „Sequentiell“ hat hier zu bedeuten, dass die Entscheidungen nicht zum selben Zeitpunkt, sondern in einer zeitlichen Abfolge getroffen werden und die konkrete Entscheidung des ersten Spielers dem zweiten Spieler unter Umständen schon bekannt ist.

Bildet sich ein Spiel aus mehrfachen Wiederholungen eines Gefangenendilemmas, ist bei endlich oft wiederholten Spielen in jeder Runde das Ergebnis DD (gemeinsames Defektieren) zu erwarten, da sich durch Rückwärtsinduktion (d.h. das Auflösen des Spiels von der letzten Periode aus) zeigen lässt, dass die Spieler aufgrund ihres Anreizes, in der letzten Periode zu defektieren, schon in jeder vorherigen Runde D spielen sollten.

Ist die Anzahl der Runden nicht bekannt oder wird das Spiel unendlich oft fortgesetzt, lässt sich kein Gleichgewicht durch Rückwärtsinduktion ermitteln, da keine letzte Periode vorliegt oder ermittelt werden kann. In diesem Fall kann auch das Spielen anderer Strategien wie Tit-for-Tat (d.h. der Spieler beginnt mit Kooperation und imitiert anschließend immer das Verhalten des Gegenspielers aus der Vorperiode) oder die Triggerstrategie (wobei der Spieler solange kooperiert, bis der Gegenspieler zum ersten Mal defektiert und anschließend selber nur noch defektiert) rational sein, vorausgesetzt zukünftige Auszahlungen werden nicht zu stark abdiskontiert. Die Höhe des Diskontfaktors ist hierbei abhängig vom Zinssatz, der Unsicherheit über zukünftige Auszahlungen und der Periodenlänge.

Eine Kartellbildung, welche sich durch das unbegrenzt wiederholte Gefangenendilemma abbilden lässt, wird somit durch einen niedrigen Zinssatz, durch hohe subjektive Wahrscheinlichkeiten, dass das Spiel über mehrere weitere Perioden fortgesetzt wird und durch starke Transparenz, bzw. schnelle Verfügbarkeit von Informationen über die Entscheidungen der anderen Spieler, erleichtert.

Vermutet allerdings ein vollkommen rationaler Spieler in einem endlichen Spiel einem Partner gegenüberzustehen, der nicht seine monetären Auszahlungen maximieren möchte, sondern eine andere Verhaltensregel befolgt, so kann dies das Ergebnis des Spiels verändern[11]. Würde der rationale, auszahlungsmaximierende Spieler z.B. gegen einen naiven Tit-for-Tat-Spieler antreten, könnte Kooperation für ihn in allen Runden bis auf die letzte vorteilhaft sein, da eine eigene Defektion immer zu einer Defektion des Tit-for-Tat-Spielers in der darauf folgenden Runde führen und somit keinen dauerhaft erhöhten Nutzen bringen würde. Schon die Annahme, dass man als rationaler Spieler mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einem Tit-forTat-Spieler gegenüberstehen könnte reicht unter Umständen aus, um ihn aus strategischen Gründen zur Kooperation zu veranlassen. Werden die zukünftigen Auszahlungen allerdings abdiskontiert, kann es sein, dass der rationale Spieler schon vor der letzten Runde einen Anreiz erhält, auf seine langfristigen Gewinne durch weitere gegenseitige Kooperation zu verzichten und sich daher entschließt, zu defektieren[12]. Dies erklärt die oft in Experimenten beobachteten Schlussrundeneffekte, wobei die Versuchspersonen anfänglich eine sehr hohe Kooperationsbereitschaft zeigen, welche aber im Laufe des Spiels immer weiter abnimmt[13].

3. Überblick über den Aufbau des menschlichen Gehirns

Betrachtet man das menschliche Gehirn von oben, sieht man die dorsale (lat. dorsum: Rücken), von unten die ventrale (lat. ventris: Bauch) Oberfläche (Siehe Abbildung 1)[14].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Dorsal- und Ventralansicht[15]

Darüber hinaus lässt es sich, wie in Abbildung 2 von der Seite (lateral) oder aus der Längsschnittssicht (medial) betrachten. Die gröbste Unterteilung zieht man in Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm; wobei letztere für die hier behandelten neuroökonomischen Studien keine entscheidende Rolle spielen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Seiten- und Medialansicht[16]

Das Großhirn unterteilt man wiederum in sog. Lappen, wie in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Lappeneinteilung und Insula[17]

Zwischen Temporal- und Frontallappen liegt die auf Anhieb nicht sichtbare Insula, welche die beiden Lappen voneinander abgrenzt. Die Insula spielt in dieser Arbeit eine wichtige Rolle, da sie eine wesentliche Funktion bei der Bildung und Regulation von Emotionen einzunehmen scheint[18].

Die Auswölbungen auf der Oberfläche des Großhirns bezeichnet man als Gyri, die Furchen als Sulci oder Fissuren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Cortexeinteilung[19]

Außerdem besteht eine Einteilung nach Cortexregionen (Abbildung 4), wobei einige, wie z.B. der visuelle Cortex bestimmten sensorischen, und andere, wie z.B. der prämotorische Cortex, bestimmten motorischen Funktionen zugeordnet werden können. Die restlichen Cortexregionen, denen keine reinen motorischen oder sensorischen Funktionen zugeordnet werden können, bezeichnet man als Assoziationsregionen. Das Großhirn lässt sich im Gröbsten in den Neocortex und den limbischen Cortex aufteilen. Ersterer bildete sich erst später im Laufe der Evolution, daher das Präfix „neo-“[20].

Im vorderen Bereich des Neocortex findet man den Präfrontalcortex, in welchem wiederum der dorsolaterale Präfrontalcortex (DLPFC), der dorsomediale Präfrontalcortex (DMPFC) und der orbitofrontale Cortex (OFC) liegen, die bei den hier präsentierten Studien eine wichtige Rolle spielen. Der Präfrontalcortex ist für höhere kognitive Funktionen unter Einbezug des emotionalen Zustands des Individuums verantwortlich. Schäden im Präfrontalcortex beeinflussen allerdings nicht unbedingt die Intelligenz der jeweiligen Person, sondern führen eher zu Persönlichkeitsveränderungen[21]. Darüber hinaus ist er zusammen mit anderen Regionen für die Stimmung und Gefühlslage des Individuums verantwortlich[22].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Der dorsolaterale Präfrontalcortex[23]

Der DLPFC spielt vermutlich unter anderem eine Rolle dabei, zu erreichende Ziele sowie deren Hierarchien im Arbeitsgedächtnis zu halten[24], Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen[25] und die Attraktivität von möglichen zukünftigen Zuständen zu bewerten[26]. Für den daneben liegenden DMPFC wird eine entscheidende Funktion bei der Einschätzung vom Verhalten menschlicher Interaktionspartner vermutet[27]. Der mediale Teil des Präfrontalcortex beeinflusst außerdem die menschliche Entscheidungsfindung in moralischen Fragen; Schäden in dieser Region führen zu eher utilitaristischen Ansichten[28].

Darunter liegt der OFC. Schäden in dieser Region haben massive Auswirkungen auf die Persönlichkeit der Person[29] ; sie können immer noch die (gesellschaftlich) korrekten Verhaltensweisen in bestimmten Situationen einschätzen, agieren aber eher impulsiv[30] und zeigen Probleme beim emotionsgeleiteten Lernen und Entscheiden[31]. Sie versuchen z.B. nicht, zukünftige Bestrafungen zu vermeiden und richten ihr Verhalten nur nach unmittelbaren Zielen aus. Außerdem können sie betrügerische Motive anderer schlechter identifizieren[32]. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem OFC und dem DLPFC werden später noch genauer erläutert. Aufgrund ihrer Funktionsteilung kann der OFC als Sitz der „Vernunft“, der DLPFC als Sitz des „Verstandes“ gesehen werden[33].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Präfrontalcortex und limbisches System[34]

1. orbitofrontaler Cortex
2. lateraler präfrontaler Cortex
3. ventromedialer Cortex
4. limbisches System

Sieht man sich den Längsschnitt bzw. die mediale Sicht des Gehirns an, erkennt man weitere Regionen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Medialansicht des limbischen Systems[35]

Anhand dieser Abbildung erkennt man die wesentlichen Teile des limbischen Systems [36]. Dieses besteht aus dem limbischen Cortex, dem Hippocampus und der Amygdala[37]. Es reguliert das Erleben und Verarbeiten von Emotionen und spielt außerdem eine entscheidende Rolle für das Gedächtnis und das menschliche Lernen[38]. Schäden der Amygdala haben zum Teil ähnliche Auswirkungen wie Schäden im OFC und führen z.B. auch zu starken Einschränkungen im emotionsgesteuerten Lernen und Entscheiden[39]. Hinzu kommt, wie auch bei Schäden am OFC, eine Beeinflussung des Vertrauens gegenüber Fremden: Testpersonen mit Schäden der Amygdala schätzten in Experimenten die Gesichter von Unbekannten als vertrauenswürdiger ein als die Kontrollgruppe. Von besonderem Interesse für viele neuroökonomische Studien ist außerdem der anteriore Gyrus cinguli bzw. der anteriore cinguläre Cortex (ACC), welcher erwartete und gegenwärtig vorliegende Belohnungen bewertet[40]. Er wird besonders in emotionalen Situationen aktiviert[41]. Der ACC erkennt darüber hinaus gedankliche Konflikte[42] und spielt daher auch in den hier betrachteten Studien über das Gefangenendilemma, in welchem sich zwei Motive konträr und unvereinbar gegenüberstehen stehen (den Partner zur Kooperation zu bewegen und selber zu defektieren) eine überaus wichtige Rolle.

[...]


[1] Vgl. Axelrod 1988, S. 22.

[2] Vgl. Kuhn 2009; keine Seitenangabe möglich.

[3] Vgl. Rilling et al. 2004/2, S. 2541.

[4] Vgl. Sanfey 2007, S. 598.

[5] Vgl. Caplin und Dean 2009, S. 22ff.

[6] Vgl. Varian 2004, S. 52.

[7] Vgl. Kreps 1994, S. 2.

[8] Vgl. Glimcher 2009, S. 508f.

[9] Vgl. Bernheim 2009, S. 117.

[10] Vgl. Frank 1997, S. 215f.

[11] Vgl. Kreps et al. 1982, S. 246ff.

[12] Vgl. Kreps et al. 1982, S. 249ff.

[13] Vgl. Dixit und Skeath 1999, S. 272; Cooper et al. 1996, S. 199ff.

[14] Vgl. Bear et al 2009, S. 228.

[15] Bear et al 2009, S. 229.

[16] Bear et al 2009, S. 229.

[17] Bear et al 2009, S. 231.

[18] Vgl. Davidson und Irvin 2002, S. 486.

[19] Bear et al 2009, S. 232.

[20] Vgl. Carlson 2004, S. 98.

[21] Vgl. Lexikon der Neurowissenschaften 3; S.100.

[22] Vgl. Davidson und Irvin 2002, S.473ff.

[23] http://stahlonline.cambridge.org/content/ep/images/85702c08_fig9.jpg.

[24] Vgl. Helmuth 2007, S. 133.

[25] Vgl. Politser 2008, S. 30, 37.

[26] Vgl. Lee und Wang 2009, S. 487f.

[27] Vgl. Rilling 2008, S. 1459.

[28] Vgl. Carlson 2004, S. 425f.

[29] Vgl. Carlson 2004, S. 423ff.

[30] Vgl. Helmuth 2007, S. 132f.

[31] Vgl. Carlson 2004, S. 423f.

[32] Vgl. Adolphs und Spezio 2007, S. 545.

[33] Vgl. Helmuth 2007, S. 132f.

[34] http://thebrain.mcgill.ca/flash/i/i_08/i_08_cr/i_08_cr_dep/i_08_cr_dep.html.

[35] Bear et al 2009, S. 234.

[36] Vgl. Bear et al 2009, S. 637.

[37] Vgl. Calson 2004, S. 98f.

[38] Vgl. Lexikon der Neurowissenschaften 2; S.309f.

[39] Vgl. Carlson 2004, S. 425.

[40] Vgl. Lee und Wang 2009, S. 488ff.

[41] Vgl. Davidson und Irvin 2002, S. 485.

[42] Vgl. Camerer 2003 S. 1673.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836632317
Dateigröße
4.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen – Wirtschaftswissenschaft, Studiengang Volkswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
neuroökonomie gefangenendilemma experimentelle wirtschaftsforschung spieltheorie wirtschaft
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Titel: Neuroökonomische Studien zum Gefangenendilemma
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