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Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk am Beispiel ausgewählter Programmformate des öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Hörfunks

Eine Untersuchung zu Chancen und Risiken der Internetnutzung als programmbegleitendes Medium des Hörfunks

©2003 Magisterarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Netz-Medium Internet gewinnt im Zusammenspiel mit dem Computer als Verbreitungsmedium eine immer größere Bedeutung in der Verwendung als Ergänzungsmedium für den terrestrischen Hörfunk. Während hinter den Onlineaktivitäten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter, z. B. bei der ARD als ein führendes Medienunternehmen, die Überzeugung steht, mit ihrem Internetangebot die unterschiedlichen Internetauftritte der einzelnen Länderanstalten ‘unter Nutzung von Synergieeffekten zu bündeln und zu erschließen’, sehen die kommerziellen Hörfunkanbieter für sich die Vorteile ihrer Onlineaktivitäten darin, jeweils ihr spezifisches Hörfunkprodukt zu optimieren und ihre Position als Werbeträger auf dem Hörfunkmarkt zu verbessern.
Mittlerweile beginnt sich abzuzeichnen, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern im Netz auf Grund ihrer großen Kompetenz in den Bereichen Bildung und Information ein großer Vertrauensbonus entgegengebracht wird. Den Websites der kommerziellen Rundfunkanbieter kommt demgegenüber eine größere Bedeutung hinsichtlich ihrer hohen Kompetenz im Bereich der Unterhaltung zu.
Gang der Untersuchung:
Zielsetzung dieser Magisterarbeit ist es, am Beispiel ausgewählter Programmformate eines öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Hörfunkanbieters zu untersuchen, welche Chancen und Risiken für den terrestrischen Hörfunk mit der Nutzung des Internet als programmbegleitendes Ergänzungsmedium verbunden sind. Die Einbindung von Medien in die öffentliche Kommunikation einer Gesellschaft ist ein historischer Entwicklungsprozess, der in den ersten beiden Kapiteln der Untersuchung am Beispiel der Medien Radio und Internet nachvollzogen werden soll. An der Entwicklungsgeschichte des relativ jungen Mediums Internet lässt gut sich zeigen, dass wir als Zeitzeugen es gewissermaßen miterleben können, in welcher Weise (neue) Kommunikations- und Medientechnologien ‘die Kultur einer Gesellschaft historisch prägen’. Das gilt auch für die historische Entwicklung des Rundfunks zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem raschen Durchbruch des Hörfunks zu einem neuen Massenmedium. Parallelen der Entwicklungsgeschichte beider Medien werden in den folgenden Kapiteln am Beispiel ausgewählter medientheoretischer Prognosen zum Hörfunk (Kapitel 1) und zum Internet (Kapitel 2) diskutiert. Die Auswahl der medientheoretischen Texte erfolgt nach kommunikationstheoretischen und (medien)politischen Gesichtspunkten, mit der Absicht, die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Andreas Bade
Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk am Beispiel ausgewählter
Programmformate des öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Hörfunks
Eine Untersuchung zu Chancen und Risiken der Internetnutzung als
programmbegleitendes Medium des Hörfunks
ISBN: 978-3-8366-3196-9
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland, Magisterarbeit, 2003
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk am Beispiel
ausgewählter Programmformate des öffentlich-rechtlichen und kom-
merziellen Hörfunks.
Eine Untersuchung zu Chancen und Risiken der Internetnutzung als pro-
grammbegleitendes Medium des Hörfunks.
Vorwort
S. I
Einleitung
S. 1
1.
Ausgewählte medientheoretische Prognosen zum Hörfunk im
Spannungsfeld von Theorie und Praxis
S. 3
1.1
Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 -1933
S. 8
1.11 Politische Positionen zur Theorie des Hörfunks
S. 8
1.12 Positionen hinsichtlich Inhalt und Form des Hörfunks
S. 13
1.13 Der
kommunikationstheoretische
Ansatz Walter Benjamins
S. 16
1.2
Auswahl hörfunktheoretischer Positionen in der BRD nach 1945
S. 18
1.21 Die Auditivität des Radios: als Form, Kunst und Code
S. 19
1.22 Ausgewählte
politische
Positionen der Hörfunktheorie
S. 22
1.23 Überlegungen zu Ansätzen einer "politischen" Medientheorie
am Beispiel Günther Anders
S. 25
1.24 Kommunikationstheoretische Positionen: Medienwirkung
und
Hörerforschung
S.
29
1.3
Neuere Medien- und Kommunikationstheorie: Freie Radios -
politische Aktion als `Hörkunst'
S. 33
1.4
Zwischenbilanz: Die Ambivalenz medientheoretischer Prognosen
S. 36
2.
Ausgewählte medientheoretische Prognosen zum Internet im
Spannungsfeld von Theorie und Praxis
S. 39
2.1
Massenmedien im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext
S. 40
2.12 Ausdifferenzierungsprozesse der Medien Internet und Computer
S. 42
2.13 Netz und Nutzer als Gegenstand neuer kommunikationstheoreti-
scher
Überlegungen
S.
44
2.14 Das Internet als Kommunikationsraum?
S. 46
2.2
Das Internet im Fokus politischer Perspektiven
S. 50
2.21 Politik
vermittels
Internet
S. 50
2.22 Internet als Gegenstand von Politik und Recht
S. 51
2.23 Politik im Internet
S. 52
2.3
Fazit: Rahmenbedingungen für Medien und Medientheorien
S. 54
3.
Radio im Internet - Zwei Wege für die ,,Stimme" im Netz
S. 57
3.1 Internetradios
S.
59
3.11 Unterschiedliche Angebotsebenen der Internetradios
S. 59
3.12 Produktspezifische Nutzungs- und Angebotsformen von
Internetradios
S.
61

3.13 Rechtliche Einordnung des Online-Rundfunks am Beispiel
der
Internetradios
S.
63
3.2
Radio und Internet
S. 66
3.21
Nutzung des Internet als Ergänzungsmedium im Vergleich unter-
schiedlicher
Programmformate öffentlich-rechtlicher
und kommer-
zieller
terrestrischer
Hörfunkanbieter
S.
67
3.211 Onlinekonzepte des kommerziellen Rundfunks
S. 68
3.212 Der Webauftritt von Radio Hamburg
S. 71
3.213 Onlinekonzepte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
S. 74
3.214 Der Webauftritt von Deutschlandfunk/DeutschlandRadio-Berlin S.
76
3.215 Bewertung der vergleichenden Untersuchung
S. 81
3.22 Die Onlineaktivitäten öffentlich-rechtlicher Anbieter vor dem Hinter-
grund medienrechtlicher und -politischer Überlegungen
S. 82
3.3 Ausblick
S.
84
4.
Exkurs: Der `Rundfunk als Kommunikationsapparat' mit den Mög-
lichkeiten der Individual- und Massenkommunikation des Internet
als Ergänzungsmedium für den Hörfunk
S. 86
4.1
Die Positionen Bertolt Brechts zum `Rundfunk als Kommunikations-
apparat'
S.
87
4.2
Positionierung zum `Rundfunk als Kommunikationsapparat'
aus der Sicht von Hörfunkpraktikern
S. 92
4.21 Übersicht zu den Teilergebnissen der Umfrage
S. 93
4.22 Die Umfrage: Ergebnisse in der Diskussion
S. 94
5.
Zusammenfassung und Bewertung der erarbeiteten Ergebnisse
S. 97
6. Literaturverzeichnis
S.
105
7. Anhang
S.
118

Vorwort
Das Leben ohne Internet ist für die meisten Menschen unserer Zeit undenkbar gewor-
den. In Facebook Freunde treffen gehört ebenso zu ihrem Alltag wie Online Banking
oder die schnellen Informationen von Spiegel Online. Doch diese zentrale Position des
Internets im bestehenden Medienensemble bildet nur den vorläufigen Endpunkt einer
bis ins letzte Jahrtausend zurückreichenden Entwicklung.
Die Einführung des Internets setzte zunächst von der Öffentlichkeit unbemerkt mit
Vannevar Bushs Vision eines Datentransfers im Jahr 1945 ein. Bushs Memex-Modell
war maßgeblich für unterschiedliche Netzwerkmodelle, die in den folgenden Jahrzehn-
ten erprobt und eingeführt wurden. Die Bezeichnung Internet für ein weltumspannendes
Computernetzwerk beschreibt die Reichweite der elektronischen Verbindungen zwi-
schen unterschiedlichen Rechnern. Ebenso komplex erweist sich die Ebene der Ange-
bote und Dienste: Durch die parallele Existenz von Formen der Individualkommunika-
tion wie E-Mails oder Chats, Sozialgemeinschaften wie den Communities, Konsum-
möglichkeiten (E-Bay), Tauschbörsen (Napster) Wissens-, Informations-, Unterhal-
tungs- und Ratgeberangeboten lässt sich das Internet auch als Hybridmedium bezeich-
nen. Zusätzlich fungiert es als Plattform für die Verbreitung bestehender Angebotsfor-
men und Inhalte von Printmedien, Film, Radio und Fernsehen.
Seit dem rapide wachsenden Einfluss des Internets in der zweiten Hälfte der 1990er
Jahre hat sich die Medienlandschaft grundlegend verändert. Es kam nicht nur zu Um-
verteilungen im Bereich der Medienangebote und -Funktionen, sondern auch zu Wech-
selwirkungen. ,,Convergence Culture" (Jenkins 2008) mit diesem Begriff erfasst Henry
Jenkins tiefgreifende aktuelle Veränderungen des Mediensystems.
Der Blick in die Mediengeschichte zeigt, mit dem Entstehen neuer Medien wird das
bisherige Angebots- und Funktionsspektrum neu organisiert. Medieneinführungen sind
mit sehr unterschiedlichen Erwartungshaltungen verknüpft, die die Struktur und Nut-
zung jeweils neuer Medien entscheidend beeinflussen. Zu diesen Wunschkonstellatio-
nen zählen etwa die umfassende Informations- und Wissensvermittlung, die Optimie-
rung von Archivmöglichkeiten oder die interaktive Mediennutzung. Carsten Lenk
zeigte in einer vergleichenden Studie der Radio- und Fernsehgeschichte, dass nicht nur
die Einführungsphase, sondern auch die weitere historische Entwicklung Parallelen
aufweist. Andreas Bade greift in seinem Buch dieses komparatistische Verfahren auf
I

und untersucht vielfältige Beziehungen zwischen dem Radio und dem Internet. Dabei
verweist er auf technische Entwicklungen ebenso wie auf ökonomische Kontexte etwa
im Bereich der Kostenentwicklung. Ein Schwerpunkt seiner Analyse liegt in der Be-
schäftigung mit den die jeweilige Medienentwicklung begleitenden medientheoreti-
schen Prognosen. Dabei greift er auf Klassiker wie Bertolt Brecht ebenso zurück wie
auf die Vertreter der Netztheorie etwa Manfred Faßler. Diese konstruktive Zusammen-
führung von Entwicklungstendenzen und theoretischer Reflexion bildet einen wichtigen
Baustein sowohl für die Radio-, als auch die Internetgeschichte.
Hamburg, im September 2009
Joan Kristin Bleicher
II

Einleitung
Das Netz-Medium Internet gewinnt im Zusammenspiel mit dem Computer als Verbrei-
tungsmedium eine immer größere Bedeutung in der Verwendung als Ergänzungsmedi-
um für den terrestrischen Hörfunk. Während hinter den Onlineaktivitäten öffentlich-
rechtlicher Rundfunkanbieter, z. B. bei der ARD als ein führendes Medienunterneh-
men, die Überzeugung steht, mit ihrem Internetangebot die unterschiedlichen Internet-
auftritte der einzelnen Länderanstalten ,,unter Nutzung von Synergieeffekten zu bün-
deln und zu erschließen" (ARD 2002, 159), sehen die kommerziellen Hörfunkanbieter
für sich die Vorteile ihrer Onlineaktivitäten darin, jeweils ihr spezifisches Hörfunkpro-
dukt zu optimieren und ihre Position als Werbeträger auf dem Hörfunkmarkt zu verbes-
sern (vgl. Schwarz 2001, 171).
Mittlerweile beginnt sich abzuzeichnen, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkan-
bietern im Netz auf Grund ihrer großen Kompetenz in den Bereichen Bildung und In-
formation ein großer Vertrauensbonus entgegengebracht wird (vgl. Oehmichen/Schrö-
ter 2001, 420). Den Websites der kommerziellen Rundfunkanbieter kommt demgegen-
über eine größere Bedeutung hinsichtlich ihrer hohen Kompetenz im Bereich der Un-
terhaltung zu (vgl. Ridder 2002 a, 130).
Zielsetzung dieser Magisterarbeit ist es, am Beispiel ausgewählter Programmformate
eines öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Hörfunkanbieters zu darzulegen, wel-
che Chancen und Risiken für den terrestrischen Hörfunk mit der Nutzung des Internet
als programmbegleitendes Ergänzungsmedium verbunden sind.
Die Einbindung von Medien in die öffentliche Kommunikation einer Gesellschaft ist
ein historischer Entwicklungsprozess, der in den ersten beiden Kapiteln der Untersu-
chung am Beispiel der Medien Radio und Internet nachvollzogen werden soll. An der
Entwicklungsgeschichte des relativ jungen Mediums Internet lässt gut sich zeigen, dass
wir als Zeitzeugen es gewissermaßen miterleben können, in welcher Weise (neue)
Kommunikations- und Medientechnologien ,,die Kultur einer Gesellschaft historisch
prägen" (Hartmann 2000, 239). Das gilt auch für die historische Entwicklung des
Rundfunks zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem raschen Durchbruch des Hörfunks
zu einem neuen Massenmedium. Parallelen der Entwicklungsgeschichte beider Medien
werden in den folgenden Kapiteln am Beispiel ausgewählter medientheoretischer Prog-
nosen zum Hörfunk (Kapitel 1) und zum Internet (Kapitel 2) diskutiert. Die Auswahl
der medientheoretischen Texte erfolgt nach kommunikationstheoretischen und (me-
1

Einleitung
dien-)politischen Gesichtspunkten, mit der Absicht, die unterschiedlichen Erwartungen
an das jeweilige Medium zu skizzieren, vor dem Hintergrund der historischen Entwick-
lung der Einzelmedien Hörfunk und Internet zu Massenmedien, als Instrumente der öf-
fentlichen Kommunikation.
Die rasant fortschreitende Entwicklung des Internet als Netz-Medium und des Compu-
ters als Verbreitungsmedium hat auf der einen Seite zu einer Integration des Radios auf
der Computeroberfläche in Form von Online-Rundfunk geführt. Auf der anderen Seite
bedienen sich die terrestrischen Hörfunkanbieter des Internet als ein Ergänzungsmedi-
um, das nun neben dem Lautsprecher auch den Computer zu einer Schnittstelle des Ra-
dios werden lässt.
Diese Zusammenhänge werden im dritten Kapitel näher untersucht. Hier wird der Blick
zunächst auf die audio(-visuellen) Möglichkeiten der öffentlichen Netzkommunikation
am Beispiel des Online-Rundfunks gerichtet. Im Abschnitt 3.11 untersuche ich die un-
terschiedlichen Angebotsebenen eines neuen Radiotyps, des so genannten Internetradi-
os, um mir im Abschnitt 3.12 die produktspezifischen Nutzungs- und Angebotsformen
dieses Radiotyps etwas näher anzusehen. Zum Ende dieses Teils folgt in Abschnitt 3.13
ein Überblick zur rechtlichen Einordnung des Online-Rundfunks, der eine Antwort auf
die Frage geben wird, ob Internetradios rechtlich dem Rundfunk zugeordnet werden
können oder nicht.
Im Abschnitt 3.2 (Radio und Internet) steht die Internetnutzung als Ergänzungsmedium
für den terrestrischen Hörfunk im Fokus des Interesses, die im Abschnitt 3.21 anhand
eines Vergleichs näher untersucht wird. Die vergleichende Untersuchung beinhaltet je-
weils einen allgemein gehaltenen Teil, der die generellen Onlinekonzeptionen terrestri-
scher, d. h. kommerzieller bzw. öffentlich-rechtlicher Hörfunkanbieter gegenüber stellt.
Im Anschluss daran folgt jeweils ein Einzelvergleich, der den Blick auf unterschiedli-
che Programmformate von zwei Anbietern richtet, mit der Absicht, das Webangebot
dieser Hörfunkanbieter hinsichtlich Zielsetzung, Interaktionsmöglichkeiten und pro-
grammspezifischen bzw. programmergänzenden Angeboten zu analysieren.
Zum Schluss des dritten Kapitels lenke ich den Blick auf die medienrechtliche und me-
dienpolitische Diskussion zum Stellenwert der Grundversorgung, die im Hinblick auf
die Onlineaktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter recht kontrovers ge-
führt wird. Die Diskussion ist deshalb von Bedeutung, da sich an dieser Frage entschei-
den wird, welche Gestaltungsmöglichkeiten den öffentlich-rechtlichen Anbietern für ih-
2

Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk
re Rundfunkprodukte im Internet verbleiben, einem Medium, dessen Bedeutung als
Massenmedium kontinuierlich zunimmt.
Mit dem vierten Kapitel schließt sich gewissermaßen der Kreis, da es an den Anfang
der Arbeit anknüpft. In diesem Kapitel setze ich die medientheoretischen Prognosen zur
Radio- und Internetkommunikation in eine Beziehung zu den praktischen Gestaltungs-
möglichkeiten der Radio-Internet-Kommunikation, die im dritten Kapitel beschrieben
wurden.
Anhand der Brechtschen "Utopie" vom `Rundfunk als Kommunikationsapparat', auf
die zunächst in einem Exkurs ausführlicher eingegangen wird, sollen die Möglichkeiten
der Individual- und Massenkommunikation des Internet mit Praktikern aus den Online-
Redaktionen verschiedener Rundfunksender diskutiert werden. Die Stellungnahmen der
befragten Praktiker geben aufschlussreiche Hinweise für eine abschließende Einschät-
zung zu den Chancen und Risiken der Internetnutzung als programmbegleitendes Me-
dium des Hörfunks, die unter dem Gesichtspunkt der Brechtschen Überlegungen in ei-
nem anderen Licht erscheinen.
Im fünften Kapitel folgt eine kurze Zusammenfassung und Bewertung der erarbeiteten
Ergebnisse.
1. Ausgewählte
medientheoretische Prognosen zum Hörfunk im
Spannungsfeld von Theorie und Praxis
Unterschiedliche Fragestellungen zu technischen, politischen, künstlerischen oder me-
dienästhetischen Aspekten formulieren häufig ganz konkrete theoretische Vorstellun-
gen oder Thesen, die unser weiteres Verständnis von den Medien beeinflussen. Dabei
handelt es sich i. d. R. bei der Theoriebildung um wissenschaftlich argumentative Er-
klärungen zur Entwicklung der Medien und ihrer gesellschaftlichen Funktionen. Mit
diesen Erklärungen können andeutungsweise Prognosen verbunden sein, deren Wirk-
lichkeitsnähe in den folgenden Abschnitten anhand einiger Beispiele überprüft werden
soll.
Zunächst untersuche ich einige historische aber auch jüngere Theorieansätze zum Hör-
funk, an denen sich zeigen lässt, inwiefern theoretische Analysen der Hörfunkpraxis
denkbare künftige Entwicklungen des Mediums antizipieren. Theoretische Reflexion
und antizipatorische Thesen können oft eng beisammenliegen. Eine Herausforderung
ergibt sich für die Theoriebildung immer dann, wenn Praktiker beginnen, eigene Visio-
nen zu realisieren. Zwar bedingen Hörfunktheorie und Hörfunkpraxis sich gegenseitig
3

Ausgewählte medientheoretische Prognosen zum Hörfunk
und nicht selten sind Hörfunktheoretiker mehr oder weniger auch Hörfunkpraktiker in
Personalunion, doch Theorie und Praxis des Hörfunks bewegen sich in einem Span-
nungsfeld, das determiniert ist von technischen, künstlerischen, politischen, institutio-
nellen oder anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (vgl. Baacke 1974, 13 f.).
Möglicherweise könnte darin eine Erklärung dafür liegen, dass es nur wenige theoreti-
sche Arbeiten für das Radio gibt, die die unterschiedlichen Aspekte der komplexen
Konstellation von Innen- und Außenbeziehungen des Hörfunks zusammenführen. In
den 20er Jahren haben sich ganz unterschiedliche z. T. sehr fragmentarische Theoriean-
sätze für den Hörfunk entwickelt, die zu ganz bestimmten gesellschaftspolitischen Ge-
sichtspunkten, oft aber auch zu Fragen des Hörspiels und anderen künstlerischen Nut-
zungsformen des Radios Stellung nehmen (vgl. Herrmann 2001, 175).
Diese Entwicklung könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass Medientheorien nur dann
funktionieren, wenn sie die Gesamtheit der Medien und die gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen - in denen diese wirken - mit einbeziehen. Theorien zu Einzelmedien
bergen die Gefahr in sich, bestimmte Mechanismen der öffentlichen Kommunikation
im Kontext technischer Besonderheiten des Mediums zu erklären (vgl. Häusermann
1998, 6). Das wäre ein Gesichtspunkt, der dafür spricht, dass es wenig Sinn macht, die
Bedeutung einzelner Medien isoliert von anderen Medien zu sehen. ,,Manche der zu-
nächst dem Radio allein zugeschriebenen Eigenschaften treffen später auf das Fernse-
hen genauso zu. Das gilt etwa für die Möglichkeit der Live-Berichterstattung, inzwi-
schen aber auch für die Rolle als Begleitmedium." (Herrmann 2001, 176).
Oft werden im Rückschluss auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Medien für
gesellschaftliche Vorgänge verantwortlich gemacht. Ein Beispiel ist die Diskussion um
gesellschaftliche Machtstrukturen, die häufig darauf hinaus läuft, das Phänomen der
Macht auf eine `Macht der Medien' zu reduzieren (vgl. Häusermann 1998, 6). Doch an-
statt von der `Macht der Medien' zu sprechen, könnte eher von der Macht der Diskurse
gesprochen werden, die von den Medien kommuniziert werden. Diskurse wiederum
bewegen sich innerhalb der Ordnung institutioneller Gesetze, die seit jeher über das
Auftreten von Diskursen wachen. Diese Gesetze dienen der Sicherung und dem Erhalt
der institutionellen Macht (vgl. Foucault 1974, 6). Niklas Luhmann regt daher an, die
von den Medien vermittelten Aussagen als Aussagen eines Beobachters zu verstehen,
der dieser Diskursordnung unterliegt. Insofern haben diese Aussagen ,,ihre eigene Rea-
lität in den Operationen des Beobachters." (Luhmann 1995, 7). Siegfried J. Schmidt
schlägt vor, in der Diskussion um die `Macht der Medien' Differenzierungen vorzu-
4

Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk
nehmen, nach Typen und Formen von Macht, nach Machthabern und Machtunterwor-
fenen usw. Auf diese Weise könnten die mannigfachen Beziehungsverhältnisse zwi-
schen Menschen und Medien besser analysiert werden (vgl. Schmidt 2000, 123). Im
Einklang mit Manfred Faßler stellt er fest, dass moderne Massenmedien von Anfang an
mit Macht gepaart sind, ,,sie sind Integrations- und Herrschaftsinstrumente." (Faßler
1998, zit. n. Schmidt 2000, 124). Jürg Häusermann konstatiert, dass Aussagen über das
Radio nur dann sinnvoll seien, wenn es in der Gesamtheit der Medien angesiedelt wird.
Er spricht von einem System der Medien, innerhalb dessen sich diese in ganz unter-
schiedlichen Beziehungen organisieren und zusammen nach außen abgrenzen.
Die Funktionen der Einzelmedien sind zunächst gemeinsame. Häusermann unterschei-
det diese Funktionen anhand bestimmter gruppenspezifischer Interessen. Für die Grup-
pe der Rezipienten besteht demnach ein Interesse nach Information, Meinungsbildung,
Unterhaltung bzw. der Vermittlung kulturellen Basiswissens. Für die Gesellschaft be-
steht beispielsweise ein Interesse an den Kontroll- oder Integrationsfunktionen der Me-
dien. Für die Herrschenden erfüllen die Medien wiederum Funktionen zur Unterstüt-
zung ihrer Machtausübung etc. Die Unterschiede der einzelnen Medien zueinander las-
sen sich daran festmachen, wie sie ihre spezifischen Funktionen der öffentlichen Kom-
munikation wahrnehmen (vgl. Häusermann 1998, 6).
Für eine analytische Betrachtung des Mediums Hörfunk sind die gemeinsamen Funkti-
onen der Einzelmedien in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Einerseits lassen sie
Rückschlüsse auf die jeweilige Nutzung des Mediums zu, und zwar sowohl aus Produ-
zenten- wie aus Rezipientenperspektive. Andererseits liefern sie Anhaltspunkte für das
Verständnis der historischen hörfunktheoretischen Positionen, die im folgenden Kapitel
anhand ausgewählter theoretischer Arbeiten vorgestellt werden. Mithilfe dieser Texte
beabsichtige ich zu zeigen, dass die Entwicklung des Hörfunks und die der Hörfunk-
theorie geprägt sind von einer engen Anbindung des Mediums Radio an zahlreiche po-
litische und kulturelle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.
Ein zweiter Aspekt, der die Theoriebildung zum Medium Hörfunk beeinflusst hat, liegt
in der engen Beziehung des Mediums zu seiner technischen Entwicklung, die zudem
einen Einfluss auf die Entwicklung von Radionutzung und Programmangebot hat. Das
belegt z. B. die Einführung der UKW-Sendefrequenzen, die sehr bald zu einem Neben-
einander von Begleit- und Einschaltprogramm führten (vgl. Arnold 1998, 12). Ein drit-
ter Gesichtspunkt, der in der folgenden Auseinandersetzung mit den Theorien des Hör-
funks Berücksichtigung finden wird, sind radiophone Ausdrucksformen, die im Hin-
5

Ausgewählte medientheoretische Prognosen zum Hörfunk
blick auf künstlerische und ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenspiel
mit den neuen Kommunikationstechniken des Mediums entwickelt wurden.
Anhand dieser drei Blickrichtungen werde ich im Folgenden einige theoretische Kon-
zepte zum Thema Hörfunk in Deutschland untersuchen. Die Auswahl greift gezielt auf
Materialien zurück, die in unterschiedlichen historischen Phasen entstanden sind. Die
gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Medium und Theoriebildung zeigt, dass Me-
diengeschichte und Medientheorie in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen.
Es findet eine thematische Eingrenzung der verwendeten Textmaterialien statt, die sich
- auch im Hinblick auf mögliche Parallelen zum neuen Medium Internet (Kapitel 2) -
auf die folgenden Aspekte beschränkt:
(medien-)politische
Aspekte;
hörfunkspezifische klangtechnische bzw. -ästhetische Aspekte des
Klang(kunst)mediums
Hörfunk;
kommunikationstheoretische Aspekte.
Im ersten Abschnitt gehe ich auf hörfunktheoretische Arbeiten ein, die in den Anfangs-
jahren des Rundfunks 1923 - 1933 entstanden sind. Am Beispiel der historischen Hör-
funktheorien lässt sich in anschaulicher Weise zeigen, welche hohen Erwartungen mit
dem neuen Medium Rundfunk verbunden waren. Diese Erwartungen zielen auf das
große Potenzial des Rundfunks ab, das dieser für eine demokratische Nutzung in sich
birgt.
Die Vorgehensweise soll zugleich das Spannungsfeld von Hörfunktheorie und -praxis
skizzieren, das in der Differenz zu liegen scheint, zwischen dem hohen demokratischen
Potenzial des Mediums Hörfunk und der alltäglichen Hörfunkpraxis jener Jahre.
Material der Jahre 1933 - 1945 wird in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, da ich
davon ausgehe, dass die Instrumentalisierung des Hörfunks als wichtigstes Propagan-
damittel der Nationalsozialisten - zur Durchsetzung einer Menschen verachtenden und
verbrecherischen Politik - ein eigenständiges Forschungsfeld ist, das den vorgegebenen
Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Nicht unerwähnt bleiben soll allerdings, dass es in der Zeit der NS-Diktatur große Er-
wartungen an das Medium Rundfunk bei vielen Emigranten gab, die auf die aufkläreri-
sche Wirkung der Rundfunksendungen aus dem Exil vertrauten und hofften, mit ihren
Botschaften an die deutsche Bevölkerung einen Beitrag zu leisten, den Faschismus zu
bekämpfen (vgl. Pütter 1986, 9 ff.). In den Sendungen der Emigranten wurden z. T.
6

Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk
auch die Beiträge von den Autoren gesendet, die in der Weimarer Republik maßgeblich
an Konzepten zur Theorie des Hörfunks gearbeitet haben (vgl. ebd., 50; 154; 183).
Auch mag mir der Hinweis erlaubt sein, dass die zeitgenössischen Arbeiten zur Hör-
funktheorie in der NS-Zeit versucht waren, sich von den auf Medienkompetenz und
demokratischer Nutzung des Mediums Hörfunk angelegten Positionen Brechts, Benja-
mins und anderer abzugrenzen, um die Vereinnahmung des Rundfunks als Träger der
nationalsozialistischen Weltanschauung, ,,die in ihrer Totalität auch nicht die Kultur
aus ihrem Einfluß läßt" (G. Eckert, zit. nach Herrmann 2001, 180), ideologisch zu
rechtfertigen. Es liegen für diesen Zeitraum zwar Materialien vor, die im Gewand einer
Theorie daherkommen, die aber letztlich ,,nur normativ die Rolle des Hörfunks im nati-
onalsozialistischen Staat bestimmten." (Herrmann 2001, 180).
Eine Ausnahme macht Rudolf Arnheim, der mit der Arbeit zu seinem Manuskript `Der
Rundfunk sucht seine Form' schon Anfang der 30er Jahre begonnen hatte und es 1936
in der Emigration in englischer, wenig später in italienischer Sprache veröffentlichte.
Erst im Jahr 1979 wurde diese Arbeit unter dem Titel `Rundfunk als Hörkunst' in deut-
scher Sprache veröffentlicht (vgl. Diederichs 2002, 3). Aus diesem Grund, aber auch
wegen der großen Anschlussfähigkeit der Arnheimschen Überlegungen an die aktuellen
Arbeitsbedingungen einer modernen Klangproduktion hinsichtlich Akustik und Ton-
technik, werden die theoretischen Konzepte Arnheims chronologisch eingereiht in den
Zeitabschnitt nach dem zweiten Weltkrieg, der im Abschnitt 1.2 beginnt.
Ferner steht in diesem Abschnitt eine Auswahl theoretischer Arbeiten zum Hörfunk an,
die den Zeitraum nach 1945 bis zum Beginn der 90er Jahre betreffen. Ihr Beispiel steht
für ein neues Interesse der Hörfunktheorie an der Medienwirkungs- und Rezeptionsfor-
schung, aber auch für eine erneute Diskussion der emanzipatorischen Theorieansätze
der Weimarer Zeit, die von einigen Autoren wieder aufgegriffen wurden.
Der Abschnitt 1.3 setzt sich mit einigen Überlegungen neuerer theoretischer Arbeiten
zum Thema Freie Radios auseinander, die ebenfalls zum Teil an die Weimarer Theo-
rien zum Hörfunk anknüpfen. Am Beispiel vom Zusammenwirken politischer Intention
und ästhetisch möglichen Ausdrucksformen Freier Radios gehe ich einigen Anhalts-
punkten nach, die eventuell neue kommunikationstheoretische Schlussfolgerungen an-
regen.
Anhand der unterschiedlichen medientheoretischen Konzeptionen, die untrennbar mit
der historischen Entwicklung des Mediums Hörfunk verbunden sind, werden Anknüp-
fungspunkte herausgearbeitet, die die in dieser Arbeit diskutierte medienübergreifende
7

Ausgewählte medientheoretische Prognosen zum Hörfunk
Anbindung des Internet als ein Ergänzungsmedium des Hörfunks, in eine Beziehung
setzt zur historischen Entwicklung der Rundfunkmedien.
Wenn in diesem Text vom Radio die Rede ist, dann wird auch immer Rundfunk mitge-
dacht. Das Wort Rundfunk leitet sich aus der technischen Bestimmung ab, dass rund-
herum gesendet und empfangen werden kann (vgl. Häusermann 1998, 1). Umgangs-
sprachlich wird häufiger vom Radio gesprochen als vom Hörfunk. Mit dem Wort Hör-
funk kommt zum Ausdruck, dass das Radio ein Medium akustischer Botschaften ist.
Daher werden im Folgenden die Begriffe Radio und Hörfunk bedeutungsgleich ver-
wendet.
1.1
Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 - 1933
1.11 Politische
Positionen
zur Theorie des Hörfunks
Die politischen Positionen der frühen Hörfunktheorie stehen in einem engen Zusam-
menhang zur historischen Entwicklung des Mediums. Der Rundfunk als Massenmedi-
um wurde nicht als ein zwingendes öffentliches Bedürfnis, sondern auf Betreiben der
Elektronikindustrie in Deutschland eingeführt, da diese nach Kriegsende die Auslas-
tung vorhandener Produktionskapazitäten nur durch die Einführung des Rundfunks rea-
lisieren konnte (vgl. Krabiel 1993 a, 236). Dies zeigt, die Entwicklungsgeschichte des
Rundfunks in Deutschland hat keinen traditionell demokratisch zu nennenden Ur-
sprung. Die ersten Anfänge lagen zunächst in der nichtöffentlichen militärischen Nut-
zung der Funktechnologie (1904) und um 1920 in der Nutzung als Wirtschaftsfunk
(vgl. Groth 1980, 4).
Ansätze für eine weniger staatsnahe Entwicklung des Rundfunks fanden sich in den
Aktivitäten der seit 1924 aktiven Bastler- und Amateurfunker. Sie forderten vergeblich
die Erlaubnis zum Betrieb eigener Sender. Das unkontrollierte Funken wurde von der
Staatsautorität als Herausforderung verstanden, die die staatliche Sicherheit durch der-
lei Aktivitäten gefährdet sah (vgl. Kleinsteuber 1997, 5). Auf Seite der staatlichen Be-
hörden bestand die große Befürchtung des politischen Missbrauchs durch das neue Me-
dium, sodass der Rundfunk von vornherein konsequent als reiner Unterhaltungsrund-
funk definiert wurde (vgl. Krabiel 1993, 236 f.). Somit bestand eine eindeutige Tendenz
zur Entwicklung eines Staatsrundfunks, der von Hans Bredow, dem Rundfunkkommis-
sar der Weimarer Republik,
auf der Grundlage unpolitisch überparteilich, dem Staats-
gedanken und dem Allgemeinwohl verpflichtet als Institution begründet wurde. Auf
8

Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 - 1933
dieser Grundlage hatte der Rundfunk eine ,,enorm systemunterstützende Wirkung für
die bürgerliche Gesellschaftsordnung, weniger aber für die demokratische Staatsform."
(Groth/Voigts 1976, 11). Folglich war die erste Rundfunkordnung von 1926 systema-
tisch darauf ausgelegt, ein Rundfunksystem zu etablieren, das durch umfassende Kon-
trollmechanismen zur Überparteilichkeit angehalten wurde, was ,,eine aktuelle politi-
sche Berichterstattung und eine engagierte Programmarbeit nahezu" ausschloss. (Kra-
biel 1993 a, 237). Darin spiegelte sich auch die Haltung Bredows wider, der den Rund-
funk als ein `Kulturinstrument' betrachtete, das sich nicht mit aktueller Berichterstat-
tung zu befassen habe, da es dadurch ,,unweigerlich in die Niederungen der tagespoliti-
schen Auseinandersetzungen hineingezogen" würde (Biermann 1989, 21). Dies hat mit
Sicherheit zu erheblichen Teilen dazu beigetragen, dass in einigen Beiträgen der frühen
Radiotheoretiker die dringliche politische Forderung an die Verantwortlichen nach grö-
ßerer Teilhabe des Hörfunkprogramms am politischen Tagesgeschehen laut wurde.
Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass etliche der Radio- bzw. Hörspieltheorien
der Weimarer Republik von einer gewissen Faszination für die neuen technischen Mög-
lichkeiten und deren Verwirklichung als Kunstform für Hörspiel und Musik geprägt
sind (vgl. Herrmann 2001, 176).
Peter Groth und Manfred Voigt schlagen folgende Differenzierungen vor, anhand derer
sie den Einfluss von Technik und Institutionalität des Rundfunks auf die Arbeit der Au-
toren sowie das Verhältnis von künstlerischem und politischem Anspruch gegenüber
dem Medium Radio kategorisieren.
Der politische und institutionelle Charakter des Rundfunks wird völlig ignoriert. Es
entstehen kunst-avantgardistische funkeigene Kunstformen, die Formprobleme in den
Vordergrund treten lassen und allenfalls zu systembewahrenden Veränderungen des
Mediums Radio führen.
Das Medium Hörfunk wird von seiner technisch institutionellen Seite her als demo-
kratisch strukturiert angesehen. Es eröffnen sich Möglichkeiten zu polit-avantgar-
distischen Kunstformen, die Chancen zur demokratischen Optimierung des Mediums
beinhalten, indem der Einsatz künstlerischer Arbeit als Mittel und Träger von Demo-
kratisierungsprozessen verstanden wird.
Der Gegensatz zwischen der Institution Rundfunk als Vertreter der bürgerlichen
Klasse und progressiven gesellschaftlichen Kräften, z. B der kommunistischen Arbei-
terbewegung, wird als unüberbrückbar empfunden, sodass es zu der Forderung nach
politischer Einflussnahme auf den Sender kommt (vgl. Groth/Voigts 1976, 12).
9

Politische Positionen zur Theorie des Hörfunks
Einerseits ist es problematisch, anhand dieser Kategorien den politischen und radioäs-
thetischen Intentionen von Benjamin, Brecht, Döblin, Wolf u. a. gerecht werden zu
wollen, da ihr Wirken immer auch zwischen den einzelnen Kategorien anzusiedeln ist.
Auf der anderen Seite erscheinen mir die Kategorien sinnvoll, wenn es darum geht, das
Spektrum der Möglichkeiten zu skizzieren, die die Autoren damals wahrnehmen konn-
ten.
So gab es in diesen Jahren eine Reihe von Schriftstellern und Publizisten, die sich in
der einen oder anderen Weise von dem neuen Medium angesprochen fühlten, und die
sich die Frage stellten, welchen Nutzen das Radio für ihre literarische und publizisti-
sche Arbeit haben könnte. Für viele von ihnen war das junge Medium eine Plattform im
Sinne einer Vermittlungsaufgabe von literarischer Tradition und Gegenwart (vgl.
Lerg/Steininger 1975, 11). Sie erkannten, dass mithilfe der neuen Technik des Rund-
funks, der organisatorisch als Kulturinstrument konzipiert war, sich neue Dimensionen
literarischer und politischer Kultur erschließen lassen. Bertolt Brecht, Protagonist des
frühen Rundfunks, verstand dies nicht nur in seinen praktischen Arbeiten zu nutzen, er
legte auch Fragmente einer "Radiotheorie" vor, die möglicherweise deshalb so große
Beachtung fanden, weil sie streng genommen eigentlich gar keine "Radiotheorie" wa-
ren. Vielmehr handelte es sich um eine Reihe kürzerer Aufsätze, die von den Heraus-
gebern unter diesem Titel publiziert wurden. Brecht entwickelte in diesen Aufsätzen
keine geschlossene Theorie, sondern eine Reihe von Thesen zu bestimmten Aspekten
des Hörfunks (vgl. Herrmann 2001, 178).
Es gibt noch einen weiteren Anlass für die breite Beachtung, die diesen Texten ge-
schenkt wurde. Brecht entwickelt hier eine Utopie, die getragen ist von der These vom
`Rundfunk als Kommunikationsapparat'. Das interessante an seiner These ist, dass -
wenn sie konsequent zu Ende gedacht wird - Rundfunk in der Form, wie er sich bis
heute etabliert hat, so nicht mehr stattfinden könnte. Brecht wollte die Trennung von
Produzenten und Hörerschaft aufheben, indem er die Hörer als Produzenten des Radios
aktiviert. Mit diesem Konzept, so die Einschätzung von Manfred Voigts, ,,hat er die
Verwendungsmöglichkeiten des Radios innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft [...]
überschritten." (Voigts 1977, 130). Im Kern, bemerkt Peter Groth, seien die Brecht-
schen Vorstellungen zum Radio ein Revolutionsmodell (vgl. Groth 1980, 191). Hierin
mag einer der Gründe dafür liegen, weswegen die Gedanken Brechts zum Rundfunk
immer wieder aufgegriffen, kontrovers diskutiert und je nach politischem Standpunkt
verworfen oder favorisiert wurden. Ein weiterer Grund für die kontroverse Rezeption
10

Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 - 1933
der "Radiotheorie" könnte in dem Ansatz Brechts liegen, das Medium Rundfunk zu
nutzen, um neue Formen der künstlerischen Darstellung für das Theater zu entwickeln
(vgl. Brecht 1967, 133). Dies ließ die Verwendung des Mediums Rundfunk in einer
ganz anderen Weise revolutionär werden; als kulturelles Werkzeug, dass das bürgerli-
che Kulturmodell ins Wanken bringt (vgl. Hartmann 2000, 199).
Dieser letzte Aspekt wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit immer dann wieder aufge-
griffen, wenn deutlich wird, dass den Medien Radio und Internet als kulturellen Werk-
zeugen auch heute noch ein revolutionäres Potenzial zukommen kann. Auf die Positio-
nen Bertolt Brechts zum Rundfunk werde ich im 4. Kapitel dieser Arbeit in einem Ex-
kurs zum `Rundfunk als Kommunikationsapparat' ausführlich eingehen. Im 4. Kapitel
werden einige theoretische Eckpunkte der Brechtschen "Radiotheorie" herausgearbei-
tet, die für das Vorverständnis einer weiterführenden Diskussion zum `Rundfunk als
Kommunikationsapparat' mit den Möglichkeiten zur Individual- und Massenkommuni-
kation, die das Ergänzungsmedium Internet bietet, wichtig werden.
Die Entwicklung technischer Möglichkeiten - immer auch eine Entwicklung, die von
der Wissenschaft vorangetrieben wurde - war nicht nur Mittel zur künstlerischen Ver-
wirklichung. Brecht und andere Persönlichkeiten seiner Zeit sahen in der engen Bezie-
hung von Wissenschaft und Technik eine Einheit und nutzten beides als Instrumentari-
um, mit deren Unterstützung die `versteinerten Verhältnisse der bürgerlichen Gesell-
schaft' in Bewegung gebracht werden konnten (vgl. Groth/Voigts 1976, 31).
Dieser Ansatz, die Möglichkeiten des Mediums Radio politisch zu instrumentalisieren,
mag seine Wurzeln in der Arbeiterbewegung haben. Bereits 1918 wurden die im Reich
verstreuten Funkstationen von einigen in der Funktechnik ausgebildeten Soldaten in
eigener Hand übernommen und in den Dienst der revolutionären Ziele der Arbeiter-
und Soldatenräte gestellt (vgl. Stuhlmann 2001, 64).
Später entstanden die Arbeiter-Radio-Bünde, die u. a. auch Radioempfänger in Eigen-
regie bauten, da der Preis industriell gefertigter Geräte in keinem Verhältnis zu den
Löhnen der Arbeiterinnen und Arbeiter stand. Aus den Arbeiter-Radio-Bünden heraus
wurde verstärkt ,,Kritik an der politischen Struktur des Programmschemas des herr-
schenden bürgerlichen Rundfunks geäußert." (Ollmann 1997, 5). So fordert S. Balden
im Jahr 1928 in der `Roten Fahne' eine `Stunde der Politik' für das Programm des Hör-
funks, ,,in der alle politischen Parteien zu Wort kommen können. [...] Neben den zahl-
reichen bürgerlichen Ökonomen muß endlich einmal ein `Marxist' über die wirtschaft-
lichen Probleme des Imperialismus sprechen." (Balden 1980, 113). Entscheidend war
11

Politische Positionen zur Theorie des Hörfunks
für Balden der politische `Kampf um den Rundfunk' und nicht `gegen den Rundfunk'
(vgl. Voigts 1977, 126). Balden formulierte eine deutliche Kritik an den Programmin-
halten des Hörfunks. Die Kritik richtete sich gegen die Haltung Hans Bredows und die
von ihm vorgegebene Entpolitisierung des Mediums, der in dieser Form entgegenge-
wirkt werden sollte. Balden bringt mit seiner Kritik am Rundfunk zum Ausdruck, dass
die Rundfunkpolitik des Staates Kulturfragen unmittelbar mit der Frage gesellschaftli-
cher Macht verknüpft (vgl. Balden 1980, 114). ,,Der Rundfunk", so Klaus Krabiel,
,,war ein staatlich kontrolliertes Ein-Weg-System zur Verbreitung von Unterhaltung
und möglichst harmloser - d. h. folgenloser - Information. Während die Republik von
Weimar ihrem Anspruch nach ein demokratisch verfaßtes Gemeinwesen war, behandel-
te der Rundfunk der Republik die Staatsbürger wie unmündige Untertanen." (Krabiel
1993 a, 241).
Ähnlich wie Bertolt Brecht oder Walter Benjamin forderte auch Kurt Weill, dass Pro-
grammformen wie aktuelle Funkübertragungen zu tagespolitischen Themen künftig ei-
nen stärkeren Anteil am Gesamtprogramm haben sollten. In seiner Eigenschaft als
Komponist und Musikkritiker hatte Weill hohe Erwartungen an das neue Medium
Rundfunk. Er hoffte, dass die funkspezifischen Ausdrucksformen des Radios das Ent-
stehen einer `absoluten Radiokunst' begünstigen und einen ähnlichen Stellenwert er-
langen werden wie der Film (vgl. Krabiel 1993 b, 24).
Doch gleichzeitig wies er darauf hin, dass insbesondere das Fehlen von Sendungen auf
dem Gebiet der Politik nicht länger hinzunehmen sei. Weill betont dabei das Gebot der
Ausgewogenheit. ,,Eine einseitige Stellungnahme des Rundfunks für oder gegen ir-
gendeine politische Idee [komme] nicht in Frage." (Weill 1980, 109). Kurt Weill
scheint seiner Zeit weit voraus - ohne explizit an so etwas wie ein Kanz-
ler/Kanzlerkandidatenduell
1
gedacht zu haben - wenn er vorschlägt, dass die Einfüh-
rung von Zwiegesprächen politischer Gegner eine wertvolle Bereicherung des Pro-
gramms sein kann, ohne dabei das Gebot der Überparteilichkeit zu gefährden (vgl. ebd.,
109).
1
Anlässlich der Bundestagstagswahl 2002 fanden in der Bundesrepublik Deutschland erstmalig Streit-
gespräche zwischen dem amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem Kanzlerkan-
didaten Edmund Stoiber (CDU/CSU) statt, die vom Fernsehen übertragen wurden.
12

Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 - 1933
1.12 Positionen hinsichtlich Inhalt und Form des Hörfunks
Es kann festgehalten werden, dass sich in den Anfangsjahren des Rundfunks ein erheb-
licher Teil der theoretischen Diskussionen eher um prinzipielle Fragen zur (politischen)
Programmgestaltung des neuen Mediums drehte und weniger um diejenigen, die auf ei-
ne Instrumentalisierung des Radios für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel ab-
zielten.
Zu Fragestellungen der Programmgestaltung engagierte sich besonders Kurt Weill, der
sich neben seinen künstlerischen und musikkritischen Arbeiten ausführlich mit vielen
ästhetischen Fragen der Rundfunkdarbietung auseinander setzte. Er resümierte hinsicht-
lich der Berliner Programmerklärung der `Funk-Stunde', der wichtigste Satz in der Ber-
liner Programmerklärung läge in der Erkenntnis, ,,daß der Rundfunk und sein Betrieb
eine durchaus eigene Erscheinungsform des öffentlichen Lebens darstellt und sich be-
wußt und in vollem Maße von den übrigen, ihrem Wesen nach anders gearteten Er-
scheinungsformen (des Theaters und des Konzertsaales) zu emanzipieren hat." (Weill
1980, 107). Weill deutet an, dass er einen Entwicklungsprozess für neue Möglichkeiten
der Kunst sieht, an dem gerade der Rundfunk einen großen Anteil habe. Es kann ,,nicht
die Aufgabe des Rundfunks sein [...], die im Absterben begriffenen Formen der bishe-
rigen Kunstausübung weiter zu pflegen" (ebd.). Für Weill waren die Möglichkeiten des
Rundfunks verbunden mit einer grundlegenden Veränderung der ,,auf Repräsentation
angelegten Institutionen der bürgerlichen Musikpflege". (Krabiel 1993 b, 22). Mit dem
neuen Medium Radio hatten die Komponisten jetzt zum ersten Mal die Möglichkeit
Menschen zu erreichen, die keine besondere musikalische Vorbildung hatten.
Komponisten und Hörerschaft waren durch die Funkübertragung nun räumlich vonein-
ander getrennt, was gänzlich neue Bedingungen des Musizierens und der Musikrezepti-
on mit sich brachte. Die Rundfunkkomposition war mit der Anforderung verbunden,
hinsichtlich Inhalt und Form, eine große Hörerschaft ganz unterschiedlicher sozialer
Gruppen für die musikalische Darbietung zu interessieren. Weill setzte auf die Ent-
wicklung einer funkspezifischen Musik, die ihre eigenen künstlerischen Formen ausbil-
det und dem obsoleten Konzertbetrieb einen eigenständigen Musikbetrieb in Gestalt des
Rundfunks entgegensetzt. Er verband mit den Möglichkeiten des Massenmediums die
Chance zu einer Demokratisierung des Musiklebens und zu einer Sozialisierung der
Musik (vgl. Krabiel 1993 b, 24 f.).
13

Positionen hinsichtlich Inhalt und Form des Hörfunks
Neben der politisch motivierten Anforderung an das Medium Hörfunk mit neuen tech-
nischen Möglichkeiten die demokratische Entwicklung in Deutschland voranzutreiben,
spielte der Umgang mit der neuen Technik auch im Hinblick auf die Entwicklung neuer
hörfunkspezifischer Darbietungsformen eine wichtige Rolle. Dem Hörspiel kam dabei
eine ganz entscheidende Bedeutung zu, da das neue Genre viele der zeitgenössischen
Autoren erkennen ließ, dass sich für die traditionellen Ausdrucksformen von Literatur
und Theater die Chance eines Medienwechsels eröffnete. Im Hinblick auf das Verhält-
nis Theater/Rundfunk vertrat u. a. auch Arno Schirokauer die Ansicht, ,,daß das Hör-
spiel nicht theatralische, sondern epische Formen auszubilden hat." (Schirokauer 1980,
95). Es grenze an Unvernunft oder Gedankenlosigkeit ,,eine Sendung allein vom
`Kunstwert' des Gesendeten abhängig zu machen, statt vom Erkenntniswert." (Ebd.).
Ausgangspunkt dieser kritischen Überlegungen war die Tatsache, dass in den Anfängen
vorwiegend traditionelle Darbietungsformen wie Schauspiel oder Opernaufführungen
für den Hörfunk adaptiert wurden, deren Inszenierungen überhaupt nicht auf die Be-
sonderheiten des rein akustischen Mediums Hörfunks abgestimmt waren. Die Suche
nach adäquateren Darstellungsformen mündete in der Herausbildung des Hörspiels.
War die Entwicklung anfangs noch von einer Diskussion über die inhaltliche Ausrich-
tung der Darbietungen geprägt, so war wenig später die Diskussionen der Autoren und
Radiotheoretiker von der Frage nach den hörfunkeigenen Formen bestimmt (vgl. Herr-
mann 2001, 177).
Alfred Döblin sah in dem neuen Medium Hörfunk endlich die große Stunde der Litera-
tur gekommen, die mit der Erfindung des Buchdrucks die Stimme ihrer Sprache verlo-
ren hatte. Der Hörfunk bot nun unversehens die Möglichkeit, ,,diesen Mangel zu behe-
ben und der Literatur endlich `das akustische Medium, den eigentlichen Mutterboden
jeder Literatur' zurückzugeben." (Prangel 1975, 221). Döblin sah hierin eine hoff-
nungsvolle Perspektive für die künftige literarische Praxis. ,,Es heißt jetzt Dinge ma-
chen, die gesprochen werden, die tönen. Jeder, der schreibt, weiß, daß dies Verände-
rungen bis in die Substanz des Werkes hinein im Gefolge hat." (Döblin 1986, 232).
Döblin erkannte, dass mit der Nutzung von Mikrophon, Sender und Empfangsgerät
ganz andere Rezeptionsformen der gesprochenen Literatur möglich wurden. Redner
und Hörer saßen sich nicht mehr in direktem Vortrag gegenüber, sondern sie saßen je-
weils isoliert voneinander vor Mikrophon und Empfänger (vgl. Herrmann 2001, 177).
Das wurde nicht unbedingt als Nachteil gesehen. Die Begeisterung für das neue Medi-
um, - bereits drei Jahre nach dem offiziellen Start des Rundfunks überschritt die Zahl
14

Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 - 1933
der Rundfunkteilnehmer die Millionengrenze, - ließ das Gefühl von Isolation nicht auf-
kommen. Im Gegenteil, der routinierte Rundfunksprecher Paul Laven berichtet von sei-
ner Vorstellung eines Gefühlskontakts mit den Hörenden, der ihm wichtig sei (vgl.
Biermann 1989, 100).
Mit den technischen Mitteln des Funks wurden schnelle Szenenwechsel oder die Auf-
hebung des Raums möglich. So verlässt die Kathedrale ,,ihren Platz, um in dem Studio
eines Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter
freiem Himmel exekutiert wurde, lässt sich in einem Zimmer vernehmen." (Benjamin
1999, 103). Die Autoren begannen bald diese Möglichkeiten in ihren Hörspielen zu sti-
lisieren.
Für den Hörspielautor Friedrich Wolf war die Funktechnik nicht nur Mittel zur Umset-
zung, er machte sie auch zum Thema seiner Hörspielarbeiten (vgl. Wolf 1980, 123 ff.).
Er begriff den Rundfunk als `Bildungs-, Kunst- und Kampfmittel' seiner Zeit, zu dem
auch die Arbeiterschaft Zugang haben müsse, die gut zwei Drittel der Hörerschaft aus-
mache. Er forderte eine Programmgestaltung, die der Gefühls- und Gedankenwelt die-
ser Hörer und Hörerinnen Rechnung trage. Die einzelnen Sender dürften nicht der Zeit
hinterher hinken, sondern seien aufgefordert, mit der großen Masse ihrer Hörer vor-
wärts zuschreiten und vergangene `Plüschmuseen- und Gipsmodellepochen' hinter sich
zu lassen (vgl. ebd., 125 f.). In diesem Sinne sei der Funk ein wichtiges Ausdrucksmit-
tel seiner Zeit, d. h., Wolf verstand den Rundfunk als `modernstes technisches Nach-
richtenmittel', als Bestandteil `unserer Epoche der Technik' (vgl. Groth 1980, 89). Dies
brachte ihn dazu, mit seiner Kunst für den Funk, das `Funken' zu thematisieren, das er
als ,,Waffe für die Befreiung der breiten Massen" (Wolf 1980, 126) verstanden wissen
wollte.
Die Veränderungen der literarischen Ausdruckformen, `bis in die Substanz des Wer-
kes', die Döblin im Jahr 1929 auf der Arbeitstagung mit dem Thema `Dichtung und
Rundfunk' prognostizierte, sollten schon bald, nach ,,Überwindung patentrechtlicher
Schwierigkeiten" (Biermann 1989, 99), mit der Weiterentwicklung und Verwendung
des Wachsplatten-Aufnahmeverfahrens Wirklichkeit werden. Mit Einführung der akus-
tischen Aufzeichnungstechnik und dem täglichen Einsatz des Mediums Schallplatte
entwickelten sich völlig neue Möglichkeiten im Umgang mit dem gesprochenen Wort.
Es begann für Techniker und Autoren eine Zeit des Experimentierens, die als echte
Herausforderung aufgefasst wurde, die Probleme und Schwierigkeiten neuer medialer
15

Der kommunikationstheoretische Ansatz Walter Benjamins
Darstellungsformen mittels neuer Möglichkeiten der Aufnahme-, Schnitt- und Über-
blendungstechniken zu meistern (vgl. ebd., 102).
1.13 Der
kommunikationstheoretische Ansatz Walter Benjamins
Prinzipiell gab es immer Parallelen zwischen den einzelnen theoretischen Ansätzen,
was damit erklärt werden kann, dass einige Autoren sich persönlich kannten oder wie
Brecht und Weill an gemeinsamen Bühnenprojekten arbeiteten.
Der kommunikationstheoretische Ansatz Walter Benjamins geht durchaus konform mit
einigen Positionen Bertolt Brechts. Benjamin versucht in Reflexion auf die eigenen
praktischen Hörfunkarbeiten - über den Ansatz einer didaktischpädagogischen Konzep-
tion, die Sender- wie Empfängerseite gleichermaßen mit einbezieht, - das Bewusstsein
für den kritischen Umgang mit dem neuen Medium Hörfunk zu wecken. Seine Vorstel-
lungen vom publizistischen Vermittlungsprozess und der Rollenverteilung in diesem
Kommunikationsvorgang zielen auf die Entwicklung eines eigenen kommunikations-
theoretischen Konzepts ab, das, wie Sabine Schiller-Lerg Mitte der 80er Jahre kritisier-
te, von der Forschung nicht vollständig aufgearbeitet wurde (vgl. Schiller-Lerg 1984,
416 ff.).
Parallel zu den rundfunktheoretischen Konzeptionen Brechts, die grundlegend von der
kommunikationstheoretischen Annahme bestimmt waren, ,,daß es sich auch bei einem
publizistischen Vermittlungsprozeß eben nicht um eine Transmission, um eine `Ein-
bahnstraße' handeln sollte, sondern daß hier ein wirklicher Austausch, eine Kommuni-
kation zu fordern sei" (ebd., 417), entwickelte sich das Medienverständnis Walter Ben-
jamins in eine ganz ähnliche Richtung, die sich von Brechts Vorstellungen nur hinsicht-
lich Motivation und Erfahrungsfindung unterschieden (vgl. ebd.).
Die Bedeutung Benjamins in der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Medium
Radio liegt in der engen Beziehung zum Medium, die er im Rahmen seiner praktischen
Rundfunktätigkeit sammeln konnte. Seine theoretische Position setzt sich weniger mit
den Funktionen des Rundfunks auseinander, ,,als vielmehr mit Fragen der Gestaltung
einzelner Sendungen, wie auch des Gesamtprogramms." (Ebd., 411).
Benjamin blieb mit seinen kritischen Äußerungen viel dichter am Medium und dem ge-
sendeten Programm als Brecht (vgl. Herrmann 2001, 179). Er hat sich als Rundfunk-
praktiker die Basis für sein theoretisches Konzept angeeignet. Dabei sind besonders die
kommunikationstheoretischen Aspekte hervorzuheben, die sich auf die Stellung des
16

Auswahl theoretischer Positionen zum Hörfunk von 1923 - 1933
Rezipienten konzentrieren. ,,Die Reflexion des Hörers wäre auf sein reales Reagieren
hinzulenken, um es zu schärfen und zu rechtfertigen." (Benjamin 1977, 1506). Für Ben-
jamin war der `Funktionswandel der Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzier-
barkeit' ein genau so wichtiges Anliegen, wie die didaktischen Möglichkeiten der Me-
dientechnik und den damit einhergehenden Veränderungen von Wissens- und Bil-
dungsinhalten (vgl. Schiller-Lerg 1984, 10 f.). Entscheidend war das Verständnis, das
Benjamin von dem neuen Medium Hörfunk hatte, dessen Technik er in eine Beziehung
zum Publikum gesetzt sehen wollte, ein Publikum, ,,das Zeitgenosse seiner Technik
ist." (Benjamin 1980, 135). Benjamin sah sehr wohl die Gefahr, dass die Institution
Rundfunk sich zu einem `riesenhaften Volksbildungsbetrieb' entwickeln kann. Er plä-
dierte für ein reduziertes Format, das menschenwürdig bleibt (vgl. ebd.).
,,Es ist die Stimme, die Diktion, die Sprache - mit einem Wort die technische und for-
male Seite der Sache, die in so vielen Fällen die wissenswerten Darlegungen dem Hörer
unerträglich macht, genauso wie sie in einigen wenigen [Fällen] ihn an die ihm entle-
gensten fesseln kann." (Benjamin 1977, 1506 f.). ,,Diese technische und formale Seite
ist es demnach, an der allein das Sachverständnis der Hörer sich schulen" kann (ebd.,
1507). Einerseits ging es Benjamin um eine grundlegende Kritik am Programmstil, des-
sen Veränderung er einforderte. Die Ausrichtung auf eine einseitige Übermittlung von
Inhalten sollte sich zugunsten eines Austausches mit den Hörern wandeln. Andererseits,
hierin lag sein eigentliches Anliegen, ging es ihm um die Ausbildung von Medienkom-
petenz, d. h. um eine selbstbewusstere Nutzung der Medien durch die Rezipienten. Mit
seinen praktischen Funkarbeiten, den Hörspielen oder den `Hörmodellen', versuchte er
diesen Austausch mit den Hörern und Hörerinnen zumindest symbolisch zu realisieren
(vgl. Schiller-Lerg 1984, 227 f.).
Die `Hörmodelle' behaupten in der Hörspiel- und Programmgeschichte durchaus ihren
Platz, ,,der weniger politisch radikal oder künstlerisch als pädagogisch funktional zu
charakterisieren ist." (Ebd., 193). Die Grundabsicht der `Hörmodelle' war eine didakti-
sche. Die Inhalte lehnten sich an Situationen an, die dem Alltagsleben entnommen wa-
ren. Der Lerneffekt sollte mit der Konfrontation von Beispiel und Gegenbeispiel erzielt
werden (vgl. Benjamin 1972, 628). In formaler Hinsicht beschritt Benjamin mit der
Konzeption von These und Antithese neue Wege, doch bleibt kritisch anzumerken, dass
es ihm insbesondere bei seinen Hörspielarbeiten schwer fiel die Menschen aus der un-
teren Mittelschicht und Arbeiterschaft zu erreichen (Hörburger 1975, 369 ff.).
17

Auswahl hörfunktheoretischer Positionen in der BDR nach 1945
1.2
Auswahl hörfunktheoretischer Positionen in der BRD nach 1945
Mit dem Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bestand für
Deutschland die Notwendigkeit zur gesellschaftlichen und politischen Neuorientierung,
die fortan auf Druck der Alliierten in allen Bereichen des öffentlichen Lebens umge-
setzt wurde. Die organisatorische und institutionelle Entwicklung des Rundfunks, die in
der Weimarer Republik unter Umgehung der Parlamente und ohne wirkliche Konsulta-
tion der Länder von wenigen hohen Beamten der Post und des Innenministeriums reali-
siert wurde, sollte sich beim Neuaufbau des Rundfunks nach 1945 nicht wiederholen.
In den Westzonen und der BRD bestimmten die westlichen Besatzungsmächte maßgeb-
lich den Neuaufbau des Rundfunks, der - so die Idealvorstellung - als föderalistische
vom Staat und partikulären Gruppeninteressen unabhängige Organisation seinen Be-
trieb wieder aufnehmen sollte (vgl. Kapust 1979, 34 ff.). Demgegenüber wurde der
Aufbau des Medienapparats in den Gebieten, die der Kontrolle der sowjetischen Mili-
täradministration unterstanden, als eine `organisatorisch gebundene Komponente des
sozialistischen Gesamtbaus' verstanden (vgl. Lojewski/Zerdick 2000, 15 f.).
Die neue gesellschaftlich und politisch gewollte Institutionalisierung des Rundfunks er-
forderte im Westen wie im Osten Deutschlands neue theoretische Orientierungen und
Reflexionen.
Auf die Entwicklung der hörfunktheoretischen Arbeiten im Osten Deutschlands kann
im vorgegebenen Rahmen dieser Magisterarbeit nicht näher eingegangen werden, daher
nur kurz die folgenden Anmerkungen: Die besonderen Bedingungen des von der SED
streng kontrollierten Rundfunks haben die Theoriebildung nicht unbeeinflusst gelassen.
Jürgen Haese spricht von der `konstruktiven' und der `destruktiven' Funktion der
kommunistischen Presse- und Rundfunkarbeit (vgl. Haese 1963, 13 ff.). Der Rundfunk
leistet einerseits einen konstruktiven Beitrag, ,,indem er die Hörer zur aktiven Mitarbeit
bei der Festigung eines totalitären Herrschaftssystems mobilisiert, andererseits zielt er
auf die Zersetzung der bestehenden
demokratischen
Ordnung in der
Bundesrepublik."
(Ebd., 20). Es ergaben sich in beiden Teilen Deutschlands mit dem Neuanfang des
Rundfunks interessante Herausforderungen für die Theoriebildung. Zum einen hatte die
Einführung des Fernsehens zur Folge, dass sich erneut die Frage nach Existenzberech-
tigung und Selbstverständnis des Mediums Hörfunks stellte. Auf der anderen Seite
konnten die Vorarbeiten der demokratischen Theoretiker der Wiemarer Republik un-
versehens am neuen Selbstverständnis eines Rundfunks überprüft und vertieft werden,
18

Auswahl hörfunktheoretischer Positionen in der BRD nach 1945
der nun in den westlichen Sektoren ,,als Erziehungs- und Unterhaltungsinstrument bei
der `Re-education', der Umerziehung der Deutschen vom Faschismus zur Demokratie"
(Kapus 1979, 36), eine entscheidende Rolle spielen sollte.
Ähnliches - nur unter anderen gesellschaftspolitischen Vorzeichen - gilt sicherlich auch
für die DDR, deren staatlich verordnete Rundfunkpolitik die Gelegenheit bot, die poli-
tischen Theorieansätze der Weimarer Republik unter den Bedingungen des `real exis-
tierenden Sozialismus' anhand der neuen Maximen der sozialistischen Rundfunkpraxis
zu überprüfen.
Einen guten Anknüpfungspunkt an die "Radiotheorien" der Weimarer Republik, die be-
reits die ästhetischen Möglichkeiten des Mediums im Blick haben, bieten m. E. die Ü-
berlegungen Rudolf Arnheims, die er in `Rundfunk als Hörkunst' vorgelegt hat.
Arnheim hat mit diesem Text klare Vorstellungen entwickelt, die Auskunft darüber ge-
ben, welchen Stellenwert das Klangmaterial für ein Medium des Auditiven hat, d. h. für
die Präsentation von Botschaften, die das Medium ausschließlich in akustischer Form
vermittelt. `Hörkunst' ist, in Anlehnung an die theoretischen Überlegungen Arnheims,
wie auch das Beispiel der Freien Radios noch zeigen wird, die Umschreibung für einen
dialektischen Prozess des Verstehens von Radiobotschaften. Arnheim zeigt - was aus
Sicht von Praktikern von Interesse ist, wie Klänge von ihrem Ursprung als Weltereig-
nis, handwerklich auf die akustischen Projektionsflächen der Lautsprechermembranen
zu werfen sind, ohne dass die Authentizität der aufgenommenen (Klang-) Ereignisse
verloren geht (vgl. Arnheim 1999, 87 f.).
Im Hinblick auf die technische Entwicklung der elektronischen Klangbearbeitung, die
bis heute Phänomenales geleistet hat, sind die Überlegungen Rudolf Arnheims zur Aus-
schließlichkeit des Hörens wegbereitend. Arnheim gab mit seinem Text konkrete Hin-
weise auf die akustischen Dimensionen des Mediums Radio (Auditivität, Präsenz und
Raum), denen ich im Folgenden nachgehen möchte.
1.21
Die Auditivität des Radios: als Form, Kunst und Code
Bei der theoretischen Standortbestimmung des Radios im Mediensystem der öffentli-
chen Kommunikation geht es immer wieder um die Frage, welche Bedeutung es haben
kann, ,,dass andere Medien sich auf Augen und Ohren der Rezipienten ausrichten, das
Radio aber nur den Hörsinn anspricht." (Häusermann 1998, 5). Im Idealfall sollte das
19

Die Auditivität des Radios: als Form, Kunst und Code
Hören selbst Thema des Mediums sein, das entschlüsselt und entdeckt werden muss
(vgl. Goebbels 2001, 311).
Das Medium Radio, so wie es uns bis zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts
vertraut war, ist auf Töne, Klänge und Sprache als Form der Ausdruckmöglichkeit fest-
geschrieben. Das Fehlen der Vermittlung optischer Informationen ist Beschränkung
und Bereicherung zugleich. Der Mangel des Optischen wird zur Differenz, die das A-
kustische vom Optischen isoliert erfahrbar werden lässt (vgl. Herrmann 2001, 181 f.),
sodass die Entwicklung spezifischer Ausdrucksmittel und Botschaften möglich wird
(vgl. Häusermann 1998, 5). Ein Beispiel für diesen Entwicklungsprozess gibt Arnheim,
wenn er die unbefriedigende Wiedergabe von Opernaufführungen im Radio themati-
siert. Arnheim spricht in diesem Zusammenhang von einer `ungünstigen Akustik', einer
`funkwidrigen Instrumentation', die in keinem Verhältnis zur Bühne stehe, deren räum-
liche - und für Opernaufführungen typische - Dimension von der Wiedergabe im klei-
nen Lautsprecher unterschlagen wird (vgl. Arnheim 1979, 106). ,,Schwer zu beschrei-
ben, wie bei blindem Hören die jeweils führende Stimme immer wirklich isoliert im
Vordergrund steht, statt lokalisiert zu sein an irgend einem zufälligen, gleichbleibenden
Platz des Orchesterpodiums. Erst dadurch geht der unaufhörliche Wandel des Klang-
körpers, der Wechsel in der Führung, die Verkleinerung und Vergrößerung der Beset-
zung während jeder Sekunde wirklich leibhaftig in die Sinne ein." (Arnheim 1979, 88).
Für Arnheim ist der Gesamteindruck der im Hörfunk wahrnehmbaren Klangereignisse
von großer Bedeutung. Im Hörfunk erfahren die ihrer Umwelt entnommenen Geräu-
sche und Klangereignisse scheinbar eine völlig neue Dimension, da sie auf Grund der
Konservierung auf Tonträger bzw. der Übertragung durch den Funk nunmehr nicht
weiterhin an die räumliche, physische oder zeitliche Dimension ihres Entstehens ge-
bunden sind. Arnheim betont den ästhetischen Aspekt, der mit der Übertragung, Kon-
servierung und Bearbeitung von Klangereignissen durch den Hörfunk einhergeht. Die-
ser Aspekt wird deutlich auf der Produzentenseite in der Wahrnehmung, im Be- bzw.
Verarbeiten sowie in der Reproduktion eines Klangereignisses. Gelingt es der Hör-
funkproduktion, die den Klangereignissen innewohnende Ästhetik im Zuge der Wand-
lungs- und Übertragungsprozesse zu erhalten bzw. durch akustische (Nach)Bearbeitung
des Klangereignisses einzelne akustische Momente gemäß den physikalischen Bedin-
gungen des Schalls ggf. hervorzuheben oder in den Hintergrund zu stellen, so erreicht
das Klangereignis das Ohr der Rezipienten als `Hörkunst'. Ein wichtiges Kunstgesetz,
so Arnheim, ,,besagt, daß Darstellungen, auch wenn sie ganz unnaturalistisch sind,
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Auswahl hörfunktheoretischer Positionen in der BRD nach 1945
nicht unnatürlich wirken, wenn sie aus dem Charakter des betreffenden Kunstmaterials
unmittelbar abgeleitet sind." (Arnheim 1979, 110). Ein Beispiel wäre die Aufnahme ei-
ner Hörspielszene, in der eine Person aus dem Keller eines Hauses jemandem etwas zu-
ruft, der dort in der Küche im Erdgeschoss sitzt. Hier geht es um die räumliche Positio-
nierung der akustischen Botschaft, die nicht im Keller, sondern im Studio aufgenom-
men wurde, während die Empfänger der Botschaft nicht in der Küche, sondern am
Rundfunkempfänger sitzen.
Arnheim beschäftigt sich ausführlich mit den akustischen Problemen und deren techni-
scher Umsetzung in elektronisch übertragbare Klangereignisse. Hier war er seiner Zeit
weit voraus und stand sicherlich auch als Visionär Pate bei der Entwicklung moderner
Effektgeräte zur Formung von Klängen, die heute in keiner Hörspielproduktion fehlen
dürfen. ,,Mit dem Hintereinander und Übereinandermontieren verschiedener Räume
müsste gründlich experimentiert werden." (Arnheim 1979, 59).
Friedrich Knilli knüpft an vielen Stellen an die grundlegenden Überlegungen Arnheims
an. Scheinbar war ihm die englischsprachige Fassung von `Rundfunk als Hörkunst'
nicht bekannt, da er diese nicht im Literaturverzeichnis aufführt (vgl. Knilli 1961, 128).
Dennoch lassen sich bei ihm einige wenige Querverweise auf Arnheim entdecken (vgl.
ebd. 1961, 42 u. Knilli 1970, 7; 57).
Knilli beschreibt an anderer Stelle die in den Funkhäusern der 60er Jahre gängige Stu-
diotechnik, die bestrebt ist, außenweltliche Raumtypen zu imitieren (vgl. ebd. 1961, 47
f.). Der Einsatz von Rechnern bei der Hörspielproduktion ist für Knilli bereits denkbar,
und er entwickelt eine Vision rechnergesteuerter Klangproduktionen, die spontane Re-
aktionen der Zuhörer in das Klangwerk integrieren und diese so zum Bestandteil der
laufenden Übertragung (Produktion) machen (vgl. ebd., 70 f.). Knilli spricht von der
`Enge des Worthörspiels', aus der es sich zu befreien gilt durch eine Ausweitung des
herkömmlichen Schallbereichs, mit den Mitteln der elektronischen wie der konkreten
Musik (vgl. ebd., 21).
Knillis Verdienst ist es, so Friederike Herrmann, sich in Deutschland als erster Gedan-
ken zu den spezifischen Zeichen und Codes des Radios gemacht zu haben. Während
andere Autoren eher an neue Kunstformen gedacht haben, zielten Knillis Überlegungen
auf eine Medientheorie (vgl. Herrmann 2001, 185).
Die vom Radio vermittelten Zeichen sind ausschließlich hörbare Zeichen, sie umfassen
das gesamte Spektrum aller Geräusche bis zur Stille. Geräusche des Radios bestehen
aus Worten, Tönen bzw. Klängen und Musik. Der Code bzw. die Entschlüsselung des
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783836631969
DOI
10.3239/9783836631969
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg – Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaft
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
1,3
Schlagworte
hörfunk radio onlinemedium internet massenmedien
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Titel: Das Internet als Ergänzungsmedium für den Hörfunk am Beispiel ausgewählter Programmformate des öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Hörfunks
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