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Die Unsterblichkeit des künstlichen Menschen in der Literatur

©2009 Masterarbeit 89 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Und im selben Moment, als ich es aussprach, wurde mir schlagartig klar, dass uns selbst im Sterben keine Antwort auf die Frage zuteil würde, warum wir überhaupt gelebt hatten. Selbst der ausgekochteste Atheist glaubt vermutlich, dass der Tod mit einer Antwort aufwartet. Gott wird ihn erwarten oder aber das Nichts. ‚Darauf läuft es hinaus’, sagte ich, ‚wir werden in dieser Stunde auch nicht das geringste erkennen. Wir hören einfach auf. Wir gleiten in die Nichtexistenz, ohne jemals etwas gewusst zu haben.’ Ich sah das Universum, eine Vision der Sonne, der Sterne und Planeten, der ewigen schwarzen Nacht. Und ich musste lachen. ‚Geht das in deinen Kopf hinein?! Wir werden niemals wissen, warum, zum Teufel, wir das alles durchgemacht haben, nicht einmal, wenn es vorbei ist!’ brüllte ich Nicolas zu, der zurückgelehnt auf dem Bett saß, zustimmend nickte und Wein trank. ‚Wir werden sterben und nichts wissen. Nichts – und all diese Sinnlosigkeit wird weiter- und weiterleben. Und wir werden nicht einmal dabeisein. Wir werden nicht einmal mehr versuchen können, uns einen Reim darauf zu machen. Wir werden einfach verschwunden sein, tot, tot, tot, ohne etwas begriffen zu haben!’’.
Die Tatsache, dass mit dem Leben auch der Tod verbunden ist, ist unumgänglich. Niemand kann sich seinem Schicksal entziehen, wenn es an der Zeit ist. Und obwohl sich der Mensch darüber bewusst ist, dass alles Leben auch einmal ein Ende haben wird, kann er sich nur schwer mit seinem kurzen Dasein abfinden. Dabei nimmt er das Leben als endlich, den Tod jedoch als unendlich war. Solange der Mensch lebt, träumt er den Traum vom ewigen Leben. Durch den Wunsch nach Unsterblichkeit ist er immer wieder versucht das Leben, unter der Prämisse der Jugend, Schönheit und Gesundheit mit allen nur möglichen Mitteln zu verlängern. Ziel ist es, dem Menschen zumindest zu ewiger Jugend zu verhelfen, solange der Tod noch nicht überwunden werden kann. Krankheit und Alter werden durch modernste Forschung und Medizin geheilt beziehungsweise nach hinten verschoben, so dass die natürliche Lebenserwartung stetig zunimmt. Und obwohl der Mensch im 21. Jahrhundert so alt wird wie nie zuvor, scheint diese Gegebenheit kein wirklicher Trost zu sein, denn trotz eines hohen Alters ist die Endlichkeit seines Daseins absehbar. Der Wunsch faltenfrei zu altern ist jedoch kein Phänomen der Gegenwart. Bereits 1890 beschäftigte man sich mit diesem Thema. Oscar Wilde ließ in seiner Titelfigur […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Angela Jahn
Die Unsterblichkeit des künstlichen Menschen in der Literatur
ISBN: 978-3-8366-3188-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Universität Konstanz, Konstanz, Deutschland, MA-Thesis / Master, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

Inhaltsübersicht
Einleitung... 1
I. Theoretischer Teil: Die Darstellung des künstlichen Menschen in Mythologie
und Realität
I. I Der künstliche Mensch in der Mythologie... 5
I. II Die Automaten der Antike, des Mittelalters und des 18. Jahrhunderts ... 8
I. III Das mechanistische Weltbild ... 15
I. III. I René Descartes... 15
I. III. II Julian Offray de La Mettrie... 16
I. III. III Gottfried Wilhelm Leibniz... 18
II. Interpretatorischer Teil: Der künstliche Mensch in der Literatur
II. I Die Kategorisierung des Schöpfer-Motivs ... 20
II. II Der Homunculus ... 22
II. II. I Johann Wolfgang Goethe ,,Faust. Der Tragödie zweiter Teil" ... 26
II. III Die Alraune ... 31
II. III. I Herkunft und Legende ... 31
II. III. II Die Alraune in der Literatur... 34
II. III. III Achim von Arnim ,,Isabella von Ägypten" ... 36
II. III. IV Hanns Heinz Ewers ,,Alraune" ... 42
II. IV Der Golem ... 46
II. IV. I Herkunft und Legende ... 46
II. IV. II Achim von Arnim ,,Isabella von Ägypten" ... 50
II. V E.T.A. Hoffmann ,,Der Sandmann" ... 53
II. VI Mary Shelley ,,Frankenstein oder Der moderne Prometheus" ... 67
Schlussbemerkung... 77
Literaturübersicht... 81

1
Einleitung
,,Und im selben Moment, als ich es aussprach, wurde mir schlagartig klar, dass uns selbst im Sterben
keine Antwort auf die Frage zuteil würde, warum wir überhaupt gelebt hatten. Selbst der
ausgekochteste Atheist glaubt vermutlich, dass der Tod mit einer Antwort aufwartet. Gott wird ihn
erwarten oder aber das Nichts. ,Darauf läuft es hinaus', sagte ich, ,wir werden in dieser Stunde auch
nicht das geringste erkennen. Wir hören einfach auf. Wir gleiten in die Nichtexistenz, ohne jemals etwas
gewusst zu haben.' Ich sah das Universum, eine Vision der Sonne, der Sterne und Planeten, der ewigen
schwarzen Nacht. Und ich musste lachen. ,Geht das in deinen Kopf hinein?! Wir werden niemals
wissen, warum, zum Teufel, wir das alles durchgemacht haben, nicht einmal, wenn es vorbei ist!'
brüllte ich Nicolas zu, der zurückgelehnt auf dem Bett saß, zustimmend nickte und Wein trank. ,Wir
werden sterben und nichts wissen. Nichts ­ und all diese Sinnlosigkeit wird weiter- und weiterleben.
Und wir werden nicht einmal dabeisein. Wir werden nicht einmal mehr versuchen können, uns einen
Reim darauf zu machen. Wir werden einfach verschwunden sein, tot, tot, tot, ohne etwas begriffen zu
haben!'"
1
Die Tatsache, dass mit dem Leben auch der Tod verbunden ist, ist unumgänglich. Niemand
kann sich seinem Schicksal entziehen, wenn es an der Zeit ist. Und obwohl sich der Mensch
darüber bewusst ist, dass alles Leben auch einmal ein Ende haben wird, kann er sich nur
schwer mit seinem kurzen Dasein abfinden. Dabei nimmt er das Leben als endlich, den Tod
jedoch als unendlich war. Solange der Mensch lebt, träumt er den Traum vom ewigen Leben.
Durch den Wunsch nach Unsterblichkeit ist er immer wieder versucht das Leben, unter der
Prämisse der Jugend, Schönheit und Gesundheit mit allen nur möglichen Mitteln zu
verlängern. Ziel ist es, dem Menschen zumindest zu ewiger Jugend zu verhelfen, solange der
Tod noch nicht überwunden werden kann. Krankheit und Alter werden durch modernste
Forschung und Medizin geheilt beziehungsweise nach hinten verschoben, so dass die
natürliche Lebenserwartung stetig zunimmt. Und obwohl der Mensch im 21. Jahrhundert so
alt wird wie nie zuvor, scheint diese Gegebenheit kein wirklicher Trost zu sein, denn trotz
eines hohen Alters ist die Endlichkeit seines Daseins absehbar. Der Wunsch faltenfrei zu
altern ist jedoch kein Phänomen der Gegenwart. Bereits 1890 beschäftigte man sich mit
diesem Thema. Oscar Wilde ließ in seiner Titelfigur Dorian Gray den Wunsch, nicht älter zu
werden, entstehen. Anstelle des Protagonisten steht ein Bild seiner selbst auf dem Dachboden
und altert für ihn. Alle Vergehen und Sünden graben sich tief in die Züge des Abbilds ein,
wohingegen Dorian Gray auch nach Jahren immer noch schön und anmutig aussieht. Doch
das Äußere seines Abbildes kann nicht über seine Taten hinwegtäuschen, die sich nicht mehr
1
Rice, Anne: Der Fürst der Finsternis. Wilhelm Goldmann Verlag. München 1990, S. 67.

2
rückgängig machen lasen. Dorian Gray erkennt diese Tatsache und beschließt, das Bild und
alle damit verbundenen Sünden mit einem Messer zu zerstören. Als man am nächsten Morgen
seine Leiche findet, ist sie kaum zu erkennen, sie war ,,[...] welk, runzlig und ekelhaft von
Angesicht".
2
Das Porträt hingegen erstrahlt ,,[...] in all der Pracht seiner köstlichen Jugend
und Schönheit".
3
Der Mensch als Produkt Gottes schafft sich jedoch in diesem Fall nicht nur ein Abbild von
sich selbst. Bedeutet die Schaffung eines Bildes von sich, nicht auch die Suche nach dem
Anderen und somit nach sich, um sich selbst zu finden? Da der Mensch in der
Entstehungsgeschichte der jüdischen und somit auch der christlichen Lehre nach dem
Ebenbilde Gottes geschaffen wurde, verstößt er mit der Schaffung eines Selbstbildnisses
gegen die Gesetze der westlichen Religion. So steht im ersten Buch Mose geschrieben: ,,Und
Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde [...]."
4
Des Weiteren legt er in den zehn Geboten
fest: ,,Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen [...]."
5
Geprägt durch den
christlichen Glauben versucht der Mensch der westlichen Hemisphäre sein Leben nach dessen
Geboten und Gesetzen auszurichten. Interessanterweise wurden jedoch bereits seit der Antike
sämtliche künstlich hergestellten Wesen in der Gestalt des Menschen konzipiert. Auch im
Mittelalter, der Renaissance, im Barock und in der Romantik versuchte man, die künstlichen
Geschöpfe aus der Hand des Menschen so originalgetreu und perfekt wie möglich
nachzubilden. Selbst heute, im 21. Jahrhundert, ist eine Replik dann am authentischsten, wenn
sie die größte Ähnlichkeit zum Menschen aufweist. Nach Gassen/Minol sind sämtliche
Religionen und Schöpfungsmythen in einem Punkt derselben Ansicht: die Erschaffung eines
Menschen ist ein Privileg der Götter oder eines Gottes und muss beschützt und behütet
werden. Sobald dieses Vorrecht bedroht, angezweifelt oder gar selbst ausgeübt wird, liegt ein
Frevel vor, der bestraft werden muss.
6
Indem sich der Mensch als Schöpfer eines künstlichen
Wesens auf dieselbe Stufe mit Gott stellt, macht er sich demnach schuldig, in die göttliche
Schöpfung eingegriffen zu haben.
Das Vorhaben, Menschen künstlich zu erzeugen, ist so alt wie der Mensch selbst und in
sämtlichen Kulturen und Gruppierungen zu finden. Fast scheint es, dass es sich um den
absoluten Wunsch oder Traum des Menschen handelt, seine Mitgeschöpfe zu verbessern oder
2
Wilde, Oscar: Das Bildnis des Dorian Gray. Lizenzausgabe der Süddeutschen Zeitung. Insel Verlag. Frankfurt
am Main 2004, S. 252.
3
Ebd., S. 252.
4
1. Mose 2, 7. In: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Deutsche Bibelgesellschaft. Stuttgart 1985,
S. 4.
5
2. Mose 20, 4. In: Die Bibel. S. 80.
6
Vgl. Gassen, Hans-Günter und Minol, Sabine: Die MenschenMacher. Sehnsucht nach Unsterblichkeit.
Weinheim 2006, S. 17.

3
gar neu zu erschaffen.
7
Doch wieso tut er das? Wo liegen die Gründe für sein Handeln? Und
woher kommt dieser Schöpferdrang? Ist er angeboren, wie etwa der Wunsch nach
Nachkommen oder ist er als Folge unserer Erziehung zu betrachten? Wie eingangs erwähnt,
ist dieser Drang vermutlich darin begründet, dass der größte und älteste Wunsch des
Menschen die eigene Unsterblichkeit ist, die sich in zahlreichen Formen veräußert: im
Weiterleben in den eigenen Kindern, der Unversehrtheit, Gesundheit, Schönheit und Jugend
des eigenen Körpers, der Konstruktion von Menschenautomaten und letztlich in der
Darstellung der künstlichen Wesen in der Literatur. Ob und inwieweit sich diese Behauptung
bestätigen lässt, wird am Ende überprüft werden.
Auf der Suche nach den entsprechenden Antworten empfiehlt es sich, das Feld von hinten
aufzurollen und einen Rückblick in die Mythologie vorzunehmen. Bereits in den Sagen und
Legenden war das Erschaffen künstlicher Menschen ein Thema. Im Anschluss daran werden
die Automaten der Antike, des Mittelalters bis hin ins 18. Jahrhundert Aufschluss darüber
geben, ob sich der Unsterblichkeitsgedanke auch auf die Maschinen der Realität anwenden
lässt. Dabei soll erklärt werden, wie und wofür sie eingesetzt wurden, wie der Mensch mit
diesem neuen Mysterium umging und welche Bedeutung sie hatten. Mit einem Ausblick über
das mechanistische Weltbild und seine Philosophen endet der formale Teil dieser Arbeit. In
einem weiteren Schritt, der Interpretation, wird anhand von ausgesuchter Literatur untersucht,
ob und wie der künstliche Mensch als literarisches Motiv und Mittel verarbeitet wurde, um
die Unsterblichkeit des Menschen in der Phantasie und Phantastik der Werke aufleben zu
lassen. Die vorliegende Arbeit machte es sich also zur Aufgabe, die unterschiedlichen Formen
künstlichen Lebens darzustellen und unter dem Gesichtspunkt des Unsterblichkeitswunschs
der Menschen zu untersuchen. Es soll darauf hingewiesen werden, dass die Idee von einem
immerwährenden Leben an die menschenähnliche Gestalt der künstlichen Wesen gekoppelt
ist und nur in dieser Verbindung funktionieren kann. Nur was menschlich aussieht, kann auch
stellvertretend zur Weiterführung des eigenen Lebens benutzt werden. Dabei sind zwei
Gedanken zu berücksichtigen: zum einen kann der künstlich hergestellte Mensch als Werk
eines Konstrukteurs betrachtet werden, dessen Geist und Forscheridee in ihm weiterlebt; zum
anderen kann der künstliche Mensch aber auch als Prototyp neuester Forschungsergebnisse
eingesetzt werden. An ihm kann demonstriert werden, dass der Körper des Menschen künftig
dahingehend verändert werden kann, so dass ein ewiges Leben möglich erscheint.
7
,,Der Maschinenmensch [...] repräsentiert den Traum menschlicher Perfektion, in dem Wissenschaft und
Technik die Menschen von Verfall, Leiden und Tod befreien." Siehe dazu: Innerhofer, Roland: Die Stimme der
Androide. Figurationen des Maschinenmenschen im 19. Jahrhundert. In: Kerekes, Amália et al. (Hgg.): Pop in
Prosa. Erzählte Populärkultur in der deutsch- und ungarischsprachigen Moderne. Band 11. Frankfurt am Main
2007, S. 197 bis S. 216, hier S. 198.

4
Zu den künstlichen Menschen der Literatur zählen sowohl die magisch erschaffenen
Geschöpfe wie Homunculus, Alraune, Golem und Frankenstein, als auch sämtliche Wesen der
griechischen Mythologie, des Volksglaubens, der unterschiedlichen Sagen, Märchen und
Legenden.
Das Thema des künstlichen Menschen ist eines der ältesten Themen der Literatur. Doch nicht
immer treten diese Kreaturen so deutlich in Erscheinung wie die Geschöpfe, die in dieser
Arbeit behandelt werden. Häufig tauchen sie auch als Geisterwesen oder Wesen aus einer
anderen Welt, oder aber in der Gestalt von Tiermenschen, Vampiren, Feen, Kobolden, Elfen
usw. auf. So groß wie das Reich der Phantasie, ist auch das Vorkommen dieser Figuren.
Einige von ihnen waren in ihrem ursprünglichen Leben einmal Menschen, die sich in ihre
jetzige Gestalt verwandelt haben, andere wiederum wurden als das geboren, was sie sind. So
unterschiedlich sie auch in ihrem Aussehen und ihrer Gestalt sein mögen, eins ist allen gleich:
obwohl sie künstliche Wesen sind, verfügen sie über eine menschliche Gestalt, menschliches
Verhalten und menschliche Gefühle. Ein Beispiel aus der englischen Literatur verdeutlicht,
wie groß die Bandbreite an künstlichen Menschen oder künstlich geborenen Menschen
tatsächlich ist. In Shakespeares ,,Macbeth" wird erzählt, dass ,,[...] keiner, den eine Frau
geboren[...]",
8
das heißt, ein übernatürliches Wesen, Macbeth bezwingen werde. Die Krux
daran: Macduff, sein Bezwinger, hat zwar eine leibliche Mutter, ist aber durch einen
Kaiserschnitt auf die Welt gekommen, was die prophezeienden Hexen scheinbar nicht als von
einer Frau geboren betrachten.
Der Fokus dieser Arbeit soll jedoch auf den künstlichen Wesen liegen, die mit Hilfe
bestimmter Mittel eindeutig künstlich erschaffen wurden. Es spielt dabei keine Rolle, ob es
sich um technische Konstrukte wie die Automaten der Antike, des Mittelalters oder des 18.
Jahrhunderts handelt oder um künstliche Wesen als literarisches Motiv. Wichtig dabei ist der
zugrunde liegende Schöpfergedanke. Der Mensch als Schöpfer dieser Wesen schwingt sich zu
Gottes Sphären auf, um zu beweisen, dass die Geburt eines Menschen sich nicht allein auf die
Natur beschränken muss. Unter Umgehung aller natürlichen Gesetze werden diese Geschöpfe
ins Leben gerufen, doch oftmals ohne Berücksichtigung der in der Regel folgenden
Konsequenzen.
8
Shakespeare, William: Macbeth. Akt 4, Szene1. Reclam. Stuttgart 1983, S. 109.

5
I. Theoretischer Teil: Die Darstellung des künstlichen Menschen in Mythologie und
Realität
I. I Der künstliche Mensch in der Mythologie
Die Erschaffung künstlicher Menschen, ohne den Einfluss eines Gottes oder der Natur, war
bereits in den Sagen des Altertums ein beliebtes Thema. Der erste Maschinenkonstrukteur der
griechischen Mythologie ist Daidalos, der eine Flugmaschine baute, die ihn und seinen Sohn
Ikarus vor König Minos retten sollte. Allerdings soll er auch belebte Statuen kreiert haben.
9
Diese Figuren waren aus Holz, hatten bewegliche Extremitäten und konnten gehen.
10
Von
Diomedes wird berichtet, dass er schwimmende Statuen gebaut hatte, die den Weg ans Ufer
von alleine fanden.
11
Allerdings wurde auch die Herstellung künstlicher Wesen unter
Zuhilfenahme der göttlichen Macht behandelt. Hephaistos, Gott des Feuers und der Schmiede,
fertigte riesige Figuren aus Eisen an, die von König Minos als Wachen eingesetzt wurden.
Talos, ebenfalls ein von Hephaistos geschmiedeter Riese, wurde von Zeus zum Schutze
Kretas als Wächter bestimmt.
12
Eine weitere Hephaistos-Kreation ist Pandora, die von Zeus in
Auftrag gegeben wurde, um Prometheus für den Diebstahl des Feuers zu betrafen. Jeder der
Götter des Olymps gibt dafür ein ausgesuchtes Unheil mit, das den Menschen Unglück
bescheren soll. Anschließend werden sie in eine Büchse eingeschlossen. Allen Warnungen
zum Trotz heiratet Epimetheus, Prometheus' Bruder, Pandora. Auf der Hochzeitsfeier wird
das Brautgeschenk, die Büchse der Pandora, geöffnet, worauf alles Leid und Elend über die
Welt kommt. Einzig eine Eigenschaft bleibt in der Dose: die Hoffnung.
13
Die Liste der künstlichen Menschen in der Mythologie ist lang, doch zu den wohl
berühmtesten Sagen gehört die der belebten Statue des Pygmalion. Die Erzählung im zehnten
Buch der Metamorphosen von Ovid ­ das Vorbild für alle weiteren Geschichten, die das
Pygmalion-Motiv auf die eine oder andere Art darstellen ­ handelt von dem zyprischen
Bildhauer Pygmalion, der sich aus Empörung über das lasterhafte Leben der zypriotischen
Frauen, eine Frau aus Elfenbein nach seinem Geschmack anfertigt. Er verliebt sich in sein
Werk, bettet sie auf weichen Kissen, schenkt ihr schöne Kleider und Geschmeide. Pygmalion
wünscht sich nichts sehnlicher von Venus, als dass seine zukünftige Frau so sein möge wie
9
Vgl. Sauer, Lieselotte: Marionetten, Maschinen, Automaten. Der künstliche Mensch in der deutschen und
englischen Romantik. Bonn 1983, S. 11.
10
Vgl. Jestram, Heike: Mythen, Monster und Maschinen. Der künstliche Mensch im Film. Köln 2000, S. 11.
11
Vgl. Völker, Klaus (Hg.): Künstliche Menschen. Dichtungen und Dokumente über Golems, Homunculi,
lebende Statuen und Androiden. München 1971, S. 467.
12
Vgl. Jestram, S. 12.
13
Vgl. Gassen/Minol, S. 76.

6
seine Statue. Er läuft nach Hause und sieht, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen und die
Statue zum Leben erwacht ist.
14
Allen weltlichen Frauen entsagend findet Pygmalion die für ihn ideale Frau in seiner eigens
geschaffenen Statue. Dank seiner Kunstfertigkeit scheint es als wäre die Statue lebendig, doch
erst nach Venus' Zauber lebt die Statue tatsächlich. Ohne das Eingreifen der göttlichen Macht
wäre eine Belebung unmöglich gewesen. Nach Gassen/Minol reicht die Grundidee des
Pygmalion-Motivs von der Antike bis in die Moderne: die Frau soll auf Wunsch des Mannes
so manipuliert werden, dass sie ausschließlich seinen Vorstellungen entspricht. Die Statue ist
zugleich Sinnbild, Geschöpf und Verhängnis des Mannes, denn er wird zum Opfer seiner
eigenen Leidenschaft. Demnach ist die zum Leben erweckte Statue ihm nicht nur in diesem
Punkt überlegen, sondern auch in der Rolle der liebenden Frau und versorgenden Mutter. Sie
entwickelt sich aus ihrer Starre heraus zu einer eigenen Persönlichkeit.
15
Bei zahlreichen Adaptionen des Pygmalion-Stoffes stand vor allem die Belebung des
künstlichen Menschen im Mittelpunkt. Ein berühmtes Beispiel für eine Bearbeitung des
Pygmalion-Motivs findet sich ca. 1170 in Thomas' von England ,,Tristan und Isolde". Tristan
fertigt in Erinnerung an seine Isolde eine ihr ähnliche Statue an und ist sich am Ende selbst
nicht mehr sicher, um wen es sich handelt: ,,,Jedesmal wenn er die Statue ansah, küsste er sie
und nahm sie in die Arme, als ob sie lebte.'".
16
Borrmann betont, dass beispielsweise der Brauch Statuen zu fesseln, um sie zu halten,
mehrfach belegt ist, da man der Überzeugung war, dass es sich um belebte Statuen handelte.
So wurde das Standbild des Theogenes von Thesos von einem Gegner so lange ausgepeitscht
bis es sich wehrte und ihn erschlug. Der Statuenkult ging sogar so weit, dass die
Kunstgegenstände gebadet, bekleidet, geschmückt und zu Prozessionen und Kampfspielen
mitgeführt wurden.
17
Das Thema der Erschaffung künstlicher Menschen war in der griechischen Mythologie sehr
beliebt und wurde in unterschiedlichen Varianten verwendet. Dabei sind die Sagen der
Götterwelt nicht nur vergnüglich zu lesen, sie zeigen darüber hinaus die Möglichkeiten auf,
wie man der Endgültigkeit des körperlichen Todes doch noch entgehen kann.
Nach Flessner begründet sich die Idee der Unsterblichkeit sowie die Erschaffung eines
künstlichen Wesens auf Mythen und Vorstellungen, die nahezu so alt sind wie die
14
Vgl. Ovid: Metamorphosen. Zehntes Buch, Vers 243 bis 294. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1997,
S. 259 f.
15
Vgl. Gassen/Minol, S. 190 f.
16
Thomas von England. Zitiert nach Völker, S. 492.
17
Vgl. Borrmann, Norbert: Frankenstein und die Zukunft des künstlichen Menschen. Kreuzlingen/München
2001, S. 36 f.

7
Menschheit. Schon zu Beginn seiner Existenz, seines Werdens hatte der Mensch den Traum
von der Unsterblichkeit, der ihm bis heute anhaftet. Jedoch ist die Unsterblichkeit eine
Eigenschaft, die den Göttern vorbehalten ist und ebenso den Neid der Sterblichen auf sich zog
wie die Fähigkeit, Leben zu schöpfen. Seit der Antike verfolgt der Mensch den Wunsch
gottgleich selbst Leben entstehen zu lassen und nicht mehr nur als ein Lebewesen zweiter
Klasse sein Dasein zu fristen.
18
Im folgenden Kapitel sollen die Automaten der Antike, des Mittelalters und des 18.
Jahrhunderts vorgestellt werden. Auch hier versucht der Mensch unter Umgehung der
natürlichen Schöpfung und mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das Problem der
Unsterblichkeit von der technischen Seite aus zu bewältigen.
18
Vgl. Flessner, Bernd (Hg.): Nach dem Menschen. Der Mythos einer zweiten Schöpfung und das Entstehen
einer posthumanen Kultur. Freiburg 2000, S. 9 f.

8
I. II Die Automaten der Antike, des Mittelalters und des 18. Jahrhunderts
Die Idee von einem künstlich erzeugten Menschen wurde nicht nur fiktional in der
Mythologie, sondern vor allem in der Realität umgesetzt.
Anfänge finden sich in den technischen Entwicklungen der zur Schule von Alexandria
gehörenden Mechaniker. Ktesibios, Heron von Alexandria und Philon von Byzanz nutzten als
Antriebsquellen für ihre Konstruktionen noch Wasser und Wasserdampf. Übertragen wurde
das Ganze durch Winde, Hebel, Flaschenzüge oder Schrauben, da sie das Zahnrad noch nicht
kannten.
19
Sie bildeten mit ihren Erfindungen die Grundlage für die Automatenkonstruktionen
im Barock und der Renaissance in Europa. Nach dem Untergang der hellenistischen Kultur
wurde das Erbe der Antike in Byzanz weitergeführt. Die arabischen Mechaniker konstruierten
prachtvolle Automaten wie den berühmten Thron Salomons, dessen Verzierungen brüllende
und sich bewegende Greife und Löwen darstellten oder die um 500 n. Chr. entstandene Uhr
von Gaza, die mit zahlreichen automatischen Figuren verziert war.
20
Vermutlich gelangten die
arabischen Konstruktionen über den Hof Friedrichs II. auf Sizilien, der einer der wichtigsten
Austauschpunkte für die Kultur des Orients und Okzidents war, an die europäischen Höfe.
21
Der Mensch der Antike war gegenüber der Technik im allgemeinen misstrauisch und fasste
die Mechanik als etwas Unnatürliches auf,
22
weshalb der Mensch, nach Wittig, nicht in der
Lage war, sich selbst, also seinen Körper, unter ,,maschinalen Aspekten"
23
zu verstehen. Jeder
Versuch, den Menschen mittels Technik nachzuahmen wäre als Kuriosum aufgefasst
worden.
24
Demnach war noch keine natürliche Nachahmung des Menschen, wie es später im
18. Jahrhundert der Fall war, möglich. Darüber hinaus gab es jedoch zahlreiche
Konstruktionen von Tieren, wie die Taube des Archytas oder der Adler, der sich zu den
Olympischen Spielen in die Luft erhob, Automatentheater, sowie Trink- und
Kampfautomaten.
25
Das Mittelalter kann auf eine beträchtliche Anzahl an lebendig erscheinenden Automaten
zurückgreifen.
26
Zu den berühmtesten Androiden gehört mit Sicherheit der eiserne Türsteher
19
Vgl. Sauer, S. 12.
20
Vgl. ebd., S. 13.
21
Vgl. Völker, S. 470.
22
Vgl. Heckmann, Herbert: Die andere Schöpfung. Geschichte der frühen Automaten in Wirklichkeit und
Dichtung. Frankfurt am Main 1982, S. 18.
23
Wittig, Frank: Maschinenmenschen. Zur Geschichte eines literarischen Motivs im Kontext von Philosophie,
Naturwissenschaft und Technik. Würzburg 1997, S. 25.
24
Vgl. ebd., S. 25.
25
Vgl. Heckmann, S. 25 ff.
26
Die Bezeichnung Androide stammt aus der griechischen Antike und benennt einen Automaten mit
menschenähnlichem Aussehen. Der Begriff kommt erst um 1800 bei Pierre Jaquet-Droz wieder vor, der seine
Automaten als Androiden bezeichnete. Vgl. Gassen/Minol, S. 212.

9
des Dominikanermönchs und Gelehrten Albertus Magnus (um 1200 bis 1280). Dieser Roboter
konnte angeblich sprechen und selbständig darüber entscheiden, wem er Zutritt zum Haus
gewähren wollte. Thomas von Aquin, der den Automaten aufgrund seiner Sprachfähigkeit für
Teufelswerk hielt, zerstörte ihn kurzer Hand.
27
Er handelte gemäß der Auffassung seiner Zeit.
Die mechanische Nachahmung der Natur galt vom Mittelalter bis hinein in das 17.
Jahrhundert als teuflische Konkurrenz zu Gott.
28
Um 999 soll der Erzbischof von Reims, Gerbert von Aurillac (945/50 bis 1003), später besser
bekannt als Papst Sylvester II., als erster einen sprechenden Kopf hergestellt haben. Auch
Albertus Magnus sowie der englische Mönch Roger Bacon (1242 bis 1282) waren in Besitz
eines solchen Kopfes, weshalb sie in den Verdacht der Teufelei gerieten.
29
Vor dem Erfahrungshintergrund dieser Zeit war man solchen Konstruktionen nicht abgeneigt.
Astrologie, Alchemie und Magie galten zwar als verwerflich, weil der Mensch glaubte mit
ihrer Hilfe über die Grenzen des Seins hinweg treten zu können, jedoch genossen sie auch als
ernstzunehmende Wissenschaften und Technik ein hohes Ansehen.
30
Wittig geht davon aus,
dass die Gesellschaft im Motiv der sprechenden Köpfe die Konstruierbarkeit einer androiden
Mechanik imaginiert. Damit sei der Grundstein für eine Entwicklung hin zu einem
Zusammenspiel von literarischer Phantasie und technischem Fortschritt der Mechanik
gelegt.
31
Ein literarisches Beispiel, bei dem die Verknüpfung von Phantasie, Magie und Technik
deutlich wird, ist Miguel de Cervantes ,,Don Quijote". Don Quijote, der bei Don Antonio
Moreno zu Gast ist, bekommt in einem abgelegenen Zimmer eine Büste gezeigt, die dem
Aussehen nach aus Erz gefertigt erscheint und auf einem Tisch steht. Don Antonio klärt auch
gleich auf, was es mit der Büste auf sich hat.
,,Dieser Kopf, Señior Don Quijote, ist die Arbeit eines der größten Zauberer und Hexenmeister, den die
Welt je gekannt; [er] fertigte [...] diesen Kopf, der die Eigenschaft und Kraft besitzt, auf alle Fragen
Antworten zu geben, die man ihm ins Ohr sagt."
32
Der ,,Kopf antwortete, ohne die Lippen zu bewegen, mit heller deutlicher Stimme, so dass
seine Worte von allen vernommen"
33
werden konnten. Sidi Hamét Benegelí lüftet das
27
Vgl. Jestram, S. 14.
28
Vgl. Heckmann, S. 90.
29
Vgl. Jestram, S. 14 und Sauer, S. 15.
30
Vgl. Wittig, S. 27.
31
Vgl. ebd., S. 28.
32
de Cervantes Saavedra, Miguel: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha. Deutscher Taschenbuch
Verlag. München 2002, S. 1021.

10
Geheimnis des sprechenden Kopfes, den sich Don Antonio nach dem Muster eines anderen
sprechenden Kopfes aus Madrid hatte anfertigen lassen.
,,Der Kopf [...] war hohl, ebenso wie die Tischplatte, in die der Kopf so fest eingelassen war. [...] Der
Tischfuß war ebenfalls hohl und hing mit Brust und Hals des Kopfes zusammen; und das Ganze stand in
Verbindung mit einem andern Gemach, das sich gerade unter dem Zimmer mit dem Kopf befand. Durch
diese ganze Höhlung von Fußgestell und Tisch, von Brust und Hals der erwähnten Büste lief eine
Blechröhre, die so genau eingefügt war, dass niemand sie bemerken konnte. In dem unteren Zimmer,
das mit dem obern in Verbindung stand, befand sich derjenige, der die Antworten zu geben hatte [...]."
34
Cervantes nimmt folglich dem Wunderwerk den Zauber, indem er nach der Vorführung das
Geheimnis der sprechenden Büste aufdeckt.
Richtungsweisend für die Entwicklung der menschenähnlichen Automaten war die Erfindung
der Zeitmessung mit Hilfe von Räderuhren. Dadurch erschließt sich dem Menschen ein
Gebiet, das er zuvor noch nicht kannte. Die Erfindung der Federuhr kann somit als
Geburtsstunde der mechanischen Automaten angesehen werden. Ein Beispiel hierfür ist die
Turmuhr des Straßburger Münsters, bei der das Uhrwerk die Figuren Maria mit Kind, die
Heiligen Drei Könige, Gott und einen Hahn bewegte.
35
Die Uhren dienten jedoch nicht
ausschließlich der Zeitmessung, sondern stellten darüber hinaus eine Nachahmung der
Planeten dar, um eine Imitation des Universums abzubilden. Ab 1700 wird die perfekte
Nachbildung der Natur für die Automatenbaukunst immer wichtiger.
36
Drux weist darauf hin,
dass für die Qualität der Automaten die Ähnlichkeit zu den Menschen ein wichtiges Merkmal
war.
37
Aufgrund der technischen Gegebenheiten damals wie heute ist eine perfekte Kopie des
Menschen, sowohl physisch als auch psychisch, nicht möglich. Worauf, wenn nicht auf die
Nachbildung der Gestalt, hätten sich die Automatenbauer des 18. Jahrhunderts konzentrieren
33
Ebd., S. 1024.
34
Ebd., S. 1027.
35
Vgl. Gassen/Minol, S. 227.
36
Vgl. Jestram, S. 19 und Sauer, S. 17. Innerhofer erklärt, dass Technikgeschichte und Literaturgeschichte nicht
unbedingt parallel verlaufen müssen. Ein Beispiel ist die Automatenbaukunst mit ihrer Blütezeit im 18.
Jahrhundert. Innerhofer ist aus einer großen Bandbreite der Forschungsliteratur der einzige, der Autorin
bekannte, der den Automatenbauern des 18. Jahrhunderts unterstellt, es ginge dabei nicht um die Analogie zum
Menschen, sondern um ,,Formalisierung und Repräsentation seiner körperlichen Bewegungen und geistigen
Funktionen durch mathematische Modelle". Er weist jedoch auch darauf hin, dass ,,nur" die äußere Gestalt der
Automaten dem Menschen nachgebildet war. Siehe dazu: Innerhofer, Roland: Die technische Modernisierung
des künstlichen Menschen in der Literatur zwischen 1800 und 1900. In: Flessner, Bernd (Hg.): Nach dem
Menschen. Der Mythos einer zweiten Schöpfung und das Entstehen einer posthumanen Kultur. Freiburg 2000, S.
69 bis S. 99, hier S. 70.
37
Vgl. Drux, Rudolf (Hg.): Der Frankenstein-Komplex. Kulturgeschichtliche Aspekte des Traums vom
künstlichen Menschen. Frankfurt am Main 1999, S. 32.

11
sollen? Doch nicht allein das Aussehen der Automaten spielte eine Rolle. Es wurden
Androiden konstruiert, die, neben Vaucansons Automaten, menschliche Fähigkeiten nahezu
täuschend echt nachamten. So beispielsweise der Schreibautomat von Pierre und Henri
Jaquet-Droz und Fréderic Leschot (1775) oder auch die Sprechmaschine von Wolfgang von
Kempelen (1769), allerdings waren diese Erfindungen nur ,,Verbesserungen, Verfeinerungen
und Variationen"
38
des Vaucansonschen Vorbildes. Zahlreiche Konstrukteure waren im Lauf
der Zeit wie besessen von der Idee einen sprachfähigen Automaten zu entwickeln. Doch
woher stammt diese Leidenschaft? Ein Grund ist sicherlich die Erzielung einer perfekten
Nachbildung des Menschen.
39
Beide Konstruktionen, sowohl Jaquet-Droz' Schreibautomat
wie von Kempelens Sprachmaschine stellen laut Söring den Höhepunkt einer Entwicklung
dar, die er mit dem Titel eines Werkes von Herbert Heckmann als ,,die andere Schöpfung"
bezeichnet.
40
Mit den Konstruktionen Jacques Vaucansons wurde eine Welle von Automatenkonstruktionen
und die technische Vervollkommnung der künstlichen Wesen losgetreten. Im Vergleich zum
Mittelalter, wo die Automaten ausschließlich dem Hofstaat vorbehalten waren, wurden die
Automaten im 18. Jahrhundert auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht und in
Salons und Ausstellungen vorgeführt. Innerhofer erklärt, dass diese künstliche und
mechanische Simulation des Lebens auf die Besucher der Ausstellungen unheimlich wirkte.
Die ausgestellten Automaten riefen beim Publikum sowohl Schaudern als auch Staunen
hervor, allerdings mit dem Effekt das Unbekannte und Unheimliche sensationslüstern
betrachten und auch genießen zu können.
41
Die Automaten des 18. Jahrhunderts wurden so
konzipiert, dass man dem Publikum das Innenleben der Figuren jederzeit zeigen konnte, um
in aufklärerischer Manier zu beweisen, dass sich eben nichts Geheimnisvolles und Magisches
hinter den belebten Automaten verbirgt, sondern alles rational zu erklären ist.
42
Vaucansons Automaten zählen zu den Meisterleistungen der klassischen Automatenbaukunst.
Vor allem seine Konstruktionen der ,,Flötenspieler" und die ,,Ente"
43
erregten großes
Interesse. Rückblickend können sie als ,,Belegstücke für die theoretischen Entwürfe der
38
Völker, S. 474.
39
Vgl. Wittig, S. 54. Descartes' These besagt, dass sich der Mensch durch Sprechen vom Automaten
unterscheidet.
40
Vgl. Söring, Jürgen und Sorg, Reto (Hgg.): Androiden. Zur Poetologie der Automaten. 6. Internationales
Neuenburger Kolloquium 1994. Frankfurt am Main 1997, S. 11.
41
Vgl. Innerhofer, S. 72.
42
Vgl. Wittig, S. 52 f.
43
1738 konstruierte Vaucanson einen Flötenspieler, der zwölf Melodien auf seinem Instrument spielen konnte,
indem er Zunge und Finger bewegte. Die Ente gilt als sein vollkommenstes Werk. Der Vogel war in der Lage
Nahrung aufzunehmen, zu verdauen und wieder auszuscheiden. Vgl. Jestram, S. 19.

12
zeitgenössischen mechanistischen Philosophie"
44
betrachtet werden. Selbst La Mettrie
bezeichnete Vaucanson in seinem Werk ,,Homme machine" als den neuen Prometheus, von
dem er die Entwicklung eines künstlichen Menschen erwartete.
45
Es gab aber auch andere
Stimmen, die stellvertretend in den Automaten den gequälten Menschen sahen. Jean-Jacques
Rousseau erklärt in seinem Roman ,,Émile ou de l'éducation" (1762), dass im automatischen
Leben des Menschen die Gewohnheit an die Stelle der Vernunft tritt. Rousseau war der
Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Er könne auf die Bildungsmittel von
Staat und Kirche verzichten, da sie ihn zu Automaten machen würden.
46
Mit der Ausstellung des mechanischen Flötenspielers 1738 in Paris wird Vaucanson aufgrund
des gesellschaftlichen Erfolgs auch in anderen europäischen Ländern berühmt. 1741 zeigt er
zwei weitere Konstruktionen und schickt im Anschluss daran Flötenspieler, Ente und
Trommler in Frankreich Italien, England und später auch in Deutschland auf Tournee.
47
Sutter
weist darauf hin, dass Vaucanson mechanisch bewegte Modelle von real existierenden
Lebewesen herzustellen versuchte und damit im Sinne von Descartes' Cartesianismus
handelte.
48
Gemäß dieser Weltanschauung machte er es sich zur Aufgabe eine möglichst
genaue Abbildung eines Lebewesens durch Hilfe der Mechanik zu erzielen.
49
Sutter erklärt,
dass Vaucansons Flötenspieler das Konzept der Verbindung von Kunst und Natur Mitte des
18. Jahrhunderts eindeutig repräsentiert. Die mechanische Kunst erzeugt durch ihre
Konstruktionen ein Replikat der Natur. Er sieht in der Natur eine Allegorie einer Künstlerin,
die sich im Medium der Mechanik materialisiert. Natur und Kunst vereinigen sich demnach
im technischen Kunstwerk, das idealerweise die Gestalt eines perfekten menschlichen
Körpers besitzt.
50
Sutter weist darauf hin, dass die Androiden des 18. Jahrhunderts
ausschließlich kulturelle Fähigkeiten wie Musizieren, Schreiben und Zeichnen ausführten. Im
Vergleich zu heute, wo Androiden und Roboter dazu dienen, niedere Tätigkeiten zu erfüllen,
bedienten die Androiden des 18. Jahrhunderts den Geschmack der Oberschicht und wurden
zur Zerstreuung und Unterhaltung eingesetzt.
51
Zu dieser Zeit waren Automaten
ernstzunehmende technische Apparaturen, die von talentierten Mechanikern erbaut wurden.
Mit von Kempelens ,,schachspielendem Türken" erfolgt eine Wende in der Automatenkultur.
Zahlreiche Trickautomaten und Betrügereien bringen die Automaten in schlechten Ruf, so
44
Sutter, Alex: Vom spektakulären Objekt zum Produktionsmittel ­ Der Automat im 18. Jahrhundert am
Beispiel des Werks von Jacques Vaucanson. In: Söring, S. 133 bis S. 144, hier S. 133.
45
Vgl. ebd., S. 133.
46
Vgl. Heckmann, S. 231.
47
Vgl. Sutter, S. 134.
48
Vgl. ebd., S. 135.
49
Vgl. ebd., S. 136.
50
Vgl. ebd., S. 139.
51
Vgl. ebd., S. 139.

13
dass sie letztlich als Kinderspielzeug enden und nicht mehr interessant für die Welt der
Erwachsenen sind.
52
Dass sich auch die Literatur des 18. Jahrhunderts dem Thema des
Automatenbaus annahm, lässt sich an Hoffmanns ,,Sandmann" erkennen.
Im 19. Jahrhundert wurde der Fokus mehr auf Nutzmaschinen gelenkt und auch Vaucanson
widmete sich bald der Konstruktion dieses Maschinentypus, da er im Automatenbau keine
Möglichkeiten mehr sah. Als Leiter der königlichen Seidenmanufaktur in Lyon entwickelte er
mechanische Webstühle.
Dienten im Mittelalter, der Renaissance und zu Beginn der Neuzeit die Automaten den
Adligen und Reichen noch als Spielzeug und zur Unterhaltung, so setzt die Zeit der
Industrieroboter mit Beginn der Industrialisierung und des Kapitalismus' ein. Die Anfänge
lassen sich, wie erwähnt, im 18. Jahrhundert in der Textilindustrie in Form von Webstühlen
erkennen, die mit gelochten Papierstreifen gesteuert wurden, bis zu dem Zeitpunkt, als Ford
das Fließband zur Massenherstellung von Autos erfand. Doch nicht nur Roboter wurden
speziell für die Arbeit an den Produktionsstraßen angefertigt und ausgerichtet, auch der
Mensch wurde an das Fließbandprinzip angepasst, indem bestimmte Bewegungen optimiert
wurden, um durch eingesparte Zeit noch höhere Stückzahlen zu erzielen. Erst das genaue
Zusammenarbeiten zwischen Mensch und Maschine garantiert den größten Erfolg.
53
Allen Erklärungen und Beschwichtigungen zum Trotz, dass der Mensch nicht Opfer eines
eigenständig handelnden Roboters werden könne, befürchtet er, dass er seinen Arbeitsplatz
einer Maschine überlassen muss. Die Sorge, nicht mehr gebraucht zu werden, beschäftigte
auch schon die Weber 1844 als sie gegen die automatischen Webstühle demonstrierten oder
die Rüsselsheimer Schneider, die als Antwort auf die Nähmaschinen der Opel Werke die
Maschinen in den Main warfen. Gassen/Minol vermuten jedoch, dass die Angst vor den
Androiden tiefer sitzen muss. Möglicherweise ist sie in der Frage begründet, ob der Mensch
als privilegiertes Geschöpf der Evolution seinen Status an Wesen abgeben muss, die er selbst
geschaffen hat. Die Autoren spinnen den Faden weiter und denken darüber nach, ob sich der
Mensch einem Wettbewerb mit den Automaten stellen muss und er mit seinen eigenen
Waffen geschlagen und vernichtet wird. Betrachtet man jedoch die Entwicklung der
Androiden von der griechischen Mythologie über die mechanischen Automaten des
Mittelalters bis hin zu den Robotern und Cyborgs von heute, dann lassen sich keine Beweise
oder Anzeichen für eine Übernahme der Weltherrschaft durch eine Maschine erbringen.
54
52
Vgl. Wittig, S. 57.
53
Vgl. Gassen/Minol, S. 227.
54
Vgl. ebd., S. 240.

14
,,Wissenschaftler, die sich mit künstlicher Intelligenz oder dem Bau menschenähnlicher Roboter
befassen, wissen, dass es in den nächsten 100 Jahren keine Androiden geben wird, die sich bewusst
dafür entscheiden werden, ihren Erbauer zu liebkosen, ihm zu schaden oder gar zu eliminieren. Solche
Gedanken, dass Roboter menschenähnlicher und damit auch umso scheußlicher werden, kommen wohl
eher aus den Erfahrungen mit unserem eigenen Ego. Somit ist die in Romanen und in den Medien
ständig geäußerte Warnung vor dem Aufstand der Humanoiden wohl eher die Furcht vor der
moralischen Entgleisung unseres verborgenen Ichs."
55
Doch sind Gassen/Minol auch der Ansicht, dass die Gefahr der Roboter in Menschengestalt
nicht unmittelbar darin liegt, dass sie die Welt erobern wollen, sondern vielmehr darin, dass
der ,,unkontrollierte Einsatz von Menschenersatz ungeahnte soziale Folgen" haben kann.
56
Trotz aller Visionen und Horrorszenarien der Zukunft gibt es eine Eigenschaft, die den
Menschen im Vergleich zur Maschine ausmacht: seine Gefühle. Jeder noch so perfektionierte
Roboter ist aufgrund dieser Besonderheit chancenlos gegen den Menschen. Bestes Beispiel ist
der Androide Data der Science-Fiction Serie ,,Star Trek", der sich Zeit seines ,,Lebens"
danach sehnt, menschliche Gefühle erleben zu können. In der Folge ,,Treffen der
Generationen" wird es ihm für kurze Zeit ermöglicht und Data macht die Erfahrung von
Schmerz und Liebe.
57
55
Ebd., S. 237.
56
Vgl. ebd., S. 242.
57
Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Personen_im_Star-Trek-
Universum#Lieutenant_Commander_Data. (2. Januar 2009, 9.14 UTC).

15
I. III Das mechanistische Weltbild
I. III. I René Descartes
Die philosophischen Grundlagen für ein mechanistisches Weltbild und das damit verbundene
Maschinenzeitalter wurden von Descartes und La Mettrie gegeben. Ausgehend von den
Lehren des Epikur, des Demokrit, Titus Luctretius Carus, Kopernikus, Galilei und Kepler
versucht Descartes (1596 bis 1650) das Universum und den Menschen rational zu erklären.
Vorsichtig geworden durch die negativen Erfahrungen Galileis,
58
stellt er seine Thesen anhand
eines künstlichen Modells der Welt dar.
Descartes' Philosophie ist durch die Aussage ,,cogito, ergo sum" ­ ,,Ich denke, also bin ich"
gekennzeichnet, wodurch das Verhältnis des Menschen zur Natur und zu sich selbst in Frage
gestellt wird. Seine Weltsicht ist streng dualistisch und trennt Geist und Materie, wobei er
zwischen ,,res cogitans" (Denken, auch Geist) und ,,res extensa" (Ausdehnung, auch Materie)
unterscheidet. Der Mensch ist also ein dualistisches Wesen, das aus Geist und Körper besteht.
Als Beweis führt er die Sprachfähigkeit des Menschen an, die ihn im Vergleich zum Tier
unterscheidet. Denken beziehungsweise der Geist ist in diesem Zusammenhang der Ursprung
allen Handelns. Wichtig hierbei ist der Zweifel, durch den sich der Geist selbst erfassen kann,
das Denken bestimmt wird und in Folge als Bewusstsein zu verstehen ist.
59
,,Cogito ergo sum" bedeutet, selbst wenn ich die Existenz aller Inhalte meines Denkens
anzweifeln kann, so bin dennoch ich es, der zweifelt. Dabei ist für Descartes dieses ich als
subjekthaft zentriertes Denken Bestandteil der immateriell aufgefassten ,,res cogitans", die als
eine der zwei von Gott geschaffenen Substanzen Medium und einziger Sitz des Bewusstseins,
des Verstandes und der Seele sein soll. Ihr gegenüber steht ,,res extensa". Sie ist die
ausgedehnte materielle Welt, die, nach mechanischen Prinzipien verfasst, nichts anderes sein
soll als eine gigantische Maschinerie.
Descartes sieht den Menschen als Komposition aus beiden Teilen. Das subjekthaft zentrierte
Denken sitzt nach seiner Vorstellung in einer weitgehend autonomen, der ,,res extensa"
zugehörigen Körpermaschine. Darüber hinaus nennt er die ,,spiritus animales", die die Kluft
zwischen ,,res cogitans" und ,,res extensa" überbrücken sollen. Die ,,spiritus animales", die
58
Galilei wurde aufgrund seiner Forschungsergebnisse von der Inquisition zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt,
die später in einen Hausarest in seiner Villa eingetauscht wurde. Es wurde ihm zwar erlaubt sich weiterhin mit
seinen Forschungen zu beschäftigen, allerdings mit den Auflagen seine Ergebnisse weder zu veröffentlichen
noch zu lehren. Vgl. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Galileo_Galilei. (2.
Januar 2009, 9.14 UTC).
59
Vgl. Jestram, S. 28 f.

16
Lebensgeister, verkörpern das stoffliche Fluidum eines jeden Menschen. Die Seele mit Sitz in
der Zirbeldrüse wird bei Wahrnehmungen von den ,,spiritus animales" in den Nervenbahnen
mit Stößen versorgt und gibt sie ihrerseits zurück, um den Körper zu lenken. Descartes
vergleicht die dabei ablaufenden Vorgänge mit denen in mechanischen Wasserkunstfiguren.
Die Ansicht, dass der Mensch als Mechanismus bei dieser Wechselwirkung zwischen Körper
und Geist nur mäßigen Entscheidungsspielraum besitzt, liegt Descartes' Vorstellungen
zugrunde. Darüber hinaus sieht er Gott als einzige Möglichkeit, die Kluft zwischen den
Substanzen zu überbrücken.
60
Des Weiteren vergleicht er menschliche und tierische Körper mit mechanischen Maschinen,
die in der Welt als Uhrwerk fungieren. Descartes ist jedoch der Ansicht, obwohl Mensch und
Tier den Gesetzen der Mechanik unterliegen, dass das Tier keine Seele besitzt. Für ihn sind
sie reine Automaten, deren Organismus er mit hydraulischen Systemen vergleicht.
61
Descartes' Weltsicht führte zu Auseinandersetzungen mit Philosophen und Theologen seiner
Zeit. Für die einen war das mechanistische Weltbild Gotteslästerung in Bezug auf die
Schöpfung, für die anderen jedoch war es die Möglichkeit sich durch die Schöpferfähigkeiten
des Menschen von Gott loszulösen.
62
Das mechanische Welt- und Menschenbild setzte sich daraufhin in den Lehren von Francis
Bacon (1561 bis 1626) und Thomas Hobbes (1588 bis 1679) fort. Für Hobbes sind alle
natürlichen Erscheinungen auf das Materiell-Mechanische zurückzuführen. Selbst die Seele
ist materiell. Hobbes macht keine Unterscheidung mehr zwischen menschlicher und göttlicher
Schaffenskraft. Darüber hinaus ist die genaue Kenntnis der Maschine Mensch die
Voraussetzung zur Bildung einer allmächtigen Staatsmaschinerie, wie er sie in seinem Werk
,,Leviathan" 1651 beschreibt. Der Staat als Maschine kann nur durch den maschinenhaften
Menschen funktionieren.
63
I. III. II Julien Offray de La Mettrie
Die Sicht des mechanistischen Weltbildes gipfelt 1748 in La Mettries ,,L'Homme Machine".
Angeregt durch die Vaucansonschen Automaten und Descartes' Philosophie greift er in
seinem Essay dessen Gedanken auf und geht noch einen Schritt weiter.
60
Vgl. Wittig, S. 42.
61
Vgl. Jestram, S. 28 f.
62
Vgl. ebd., S. 28 f.
63
Vgl. ebd., S. 30.

17
,,Es ist richtig, dass der berühmte Philosoph sich vielfach getäuscht hat. Bei allem hat er doch die
tierische Natur gekannt, er hat zuerst völlig bewiesen, dass Tiere reine Maschinen seien, dass jene
stolzen und eitlen Wesen, welche mehr durch ihren Hochmut als durch den Namen von Menschen sich
hervortun ­ wie groß auch ihre Lust ist, sich zu erheben ­ im Grunde genommen nur senkrecht in die
Höhe gereckte Tiere und Maschinen sind. Sie haben alle jenen merkwürdigen Instinkt, aus welchen die
Erziehung Geist macht und welche immer seinen Sitz im Gehirn und, wenn es fehlt, im verlängerten
Mark hat. Eine Maschine sein, fühlen, denken, das Gute vom Bösen unterscheiden zu können wie das
Blaue vom Gelben, mit einem Wort, mit Erkenntnisvermögen und einem sicheren Triebe geboren sein
und doch nichts als ein Tier sein, das sind also nicht einander widersprechende Dinge."
64
Aufbauend auf Descartes' Gedanken folgert La Mettrie, dass wenn das Tier eine Maschine
sei, auch der Mensch eine sein müsse, da der Mensch nichts anderes als ein Tier ist. Im
Vergleich zum Tier ist der Mensch nur die aufwendiger aufgebaute Maschine, das Uhrwerk,
weshalb das Tier auch nicht unter dem Menschen anzusiedeln ist, sondern daneben.
65
Allerdings gesteht er, im Gegensatz zu Descartes, sowohl Tier als auch Mensch, eine Seele
zu. La Mettrie unterscheidet jedoch nicht nur zwischen Tier und Mensch, sondern vergleicht
den menschlichen Körper mit einer Maschine, einem Uhrwerk, dessen Seele die
Haupttriebfeder des Maschinenwerks und deren Sitz im Gehirn ist. Während Descartes noch
zwischen Geist und Körper trennt, ist der Geist hier fester Bestandteil der
Körpermaschinerie.
66
Mit Beobachtungen aus Experimenten der Anatomie stützt er Descartes'
These der einzelnen Körperteile, die alle zusammen eine funktionierende Maschine bilden.
La Mettrie, der sowohl als Arzt als auch als Philosoph arbeitete, wurde häufig auf einen Satz
reduziert, der ihm noch heute anhaftet: ,,Der Mensch ist nichts anderes als eine auf zwei
Beinen emporgereckte Maschine."
67
Diese These untermauert er mit Belegen aus der
Naturwissenschaft und Medizin. Er führt beispielsweise an, dass Muskeln und Organe wie das
Herz bei ihrer Entnahme aus dem Körper noch zucken und fragt sich daraufhin, wo genau im
Körper der Sitz der Kraft sei. Er findet auch eine Erklärung: die Kraft liegt in den
Triebfedern, die sämtliche Teile des Körpers zusammenhalten. Sie lösen das Blinzeln der
Augen bei einem Schlag aus, das Verengen der Pupille bei Helligkeit und das Atmen der
Lunge.
68
64
La Mettrie. Zitiert nach: Gassen/Minol, S. 174 f.
65
Vgl. Gassen/Minol, S. 175.
66
Vgl. Jestram, S. 30.
67
La Mettrie. Zitiert nach: Gassen/Minol, S. 170.
68
Vgl. ebd., S. 173.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2009
ISBN (eBook)
9783836631884
Dateigröße
1.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Konstanz – Germanistik, Studiengang Deutsche Literatur
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
2,0
Schlagworte
maschinen automaten golem frankenstein sandmann
Produktsicherheit
Diplom.de
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Titel: Die Unsterblichkeit des künstlichen Menschen in der Literatur
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