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Anciennitätsheuristik - Ist das Ältere das Bessere?

Eine prozessorientierte Untersuchung anhand rivalisierender Cues

©2008 Diplomarbeit 226 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur psychologischen Entscheidungsforschung, indem das Ausmaß der Verwendung der Anciennitätsheuristik (AH), die auch Seniority-Heuristic (SH) genannt wird, abhängig vom Alter empirisch untersucht wird.
Die Vorstellung eines rational handelnden Individuum sowie das ökonomische Modell des Homo Oeconomicus werden von KritikerInnen als unzureichend angesehen, um menschliches Entscheidungsverhalten zu beschreiben. Der Mensch führt keine komplizierten Rechenaufgaben in der Suche nach einer Entscheidung durch, noch stehen ihm unbegrenzte Ressourcen von Zeit, Wissen und Verarbeitungskapazität zur Verfügung.
Es sind vielmehr die einfachen und schnellen Heuristiken, die den menschlichen Entscheidungsprozess in unsicheren Umwelten treffend zu beschreiben scheinen und den Optimierungsmodellen den Kampf ansagen. Heuristiken basieren auf dem Postulat der begrenzten Rationalität sowie der Satisficingregel von Simon.
Vitouch ist der Begründer der AH, die ebenfalls auf dem Konzept von Simon aufbaut. Die AH ist eine Entscheidungsregel, die die Präferenz für das Ältere beinhaltet (z. B. das Gründungsjahr einer Institution) und in Situationen der Unsicherheit Anwendung findet. Vitouch postuliert, dass die AH besonders häufig verwendet wird, wenn mit Informationen über das Alter (Gründungsjahr) von unbekannten Optionen der Eindruck des Sich-Bewährt-Habens verbunden ist (Standing the Test of Time).
In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob ältere Menschen (45–60 Jahre) eher dazu tendieren Informationen über die Anciennität einer Institution im Entscheidungsprozess zu verwenden, als jüngere Menschen (20–35 Jahre). Die vorgeschlagene Prominenz von Altershinweisen wird erörtert, indem die entsprechende Verwendungshäufigkeit des Gründungsjahres (Seniority-Cue) mit der von weiteren, rivalisierenden und validen Cues verglichen wird. In einem intuitiven Wissensspiel werden den TeilnehmerInnen (N = 160) 136 Entscheidungsaufgaben aus vier Wissensdomänen vorgelegt. Die Verwendung bestimmter Cues wird mit Hilfe des Mouselab (ML), einer prozessorientierten Methode, erfasst. Die Aufgabe besteht darin zu schätzen, welche von zwei Domänen den höheren Wert auf einem Kriterium hat. Die Namen der Domänen sind in kyrillischer Schrift dargeboten, um Effekte der Wiedererkennung (Rekognitionsheuristik) auszuschließen. Nach dem intuitiven Wissensspiel folgt ein Online-Fragebogen (OFB), der zusätzlich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Ingrid Manthei
Anciennitätsheuristik - Ist das Ältere das Bessere?
Eine prozessorientierte Untersuchung anhand rivalisierender Cues
ISBN: 978-3-8366-3461-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich, Diplomarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

II. Danksagung
Wenn du eine Entscheidung treffen musst und du triffst sie
nicht, ist das auch eine Entscheidung.
William, James
1
Bei der Durchführung und der Fertigstellung dieser Diplomarbeit haben mich zahlreiche
Personen unterstützt, bei denen ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken will.
Meinen FreundInnen gilt mein größtes Dankeschön, weil sie mich in jeder Phase dieser
Arbeit unterstützten. Mein besonderer Dank geht hier an Walter, Astrid und Sandra, die
immer ein offenes Ohr für mich hatten, mich aufmunterten und endlos Geduld und Nach-
sicht mit mir übten.
Ein Dankeschön geht an dieser Stelle auch an Sabrina, Bernhard und Rudolf, die ihre Zeit
opferten, um sich meinem Schreibstil anzunehmen und mir bei meiner statistischen
Auswertung behilflich waren. Danke für Eure wertvolle Kritik und Diskussionen.
Ein herzliches Dankeschön an alle Personen, die an meiner Studie teilnahmen. Danke
auch für die Tipps und Feedback auf das Experiment.
Ein besonderer Dank geht an meine Betreuer Prof. Dr. Oliver Vitouch und Dipl. Psych.
Bartosz Gula, die in mir das Interesse und die Begeisterung für dieses Thema weckten.
Danke für die stetige Begleitung bei meiner Arbeit und für die jederzeit vorhandene
Gesprächsbereitschaft.
1 O.A. Zitate ­ Sprüche ­ Allgemein: Online unter dem URL: http://www.zitate-online.de/
sprueche/allgemein/16288/wenn-du-eine-entscheidung-treffen-musst-und.html
(Stand: 17.02.2008).

III. Abkürzungsverzeichnis
Bedeutung
Akronym
Bedeutung
Akronym
Abhängige Variable
AV
Ohne Autor
O. A.
Alternativhypothese
H
1
Onlinefragebogen
OFB
Alterskohorte
AK
Ohne Seitenangabe
o. S.
Analysis of Variance (Varianzanalyse) ANOVA
Prioritätsheuristik
PH
Anciennitätsheuristik
AH
Prospect Theorie
PT
Auflage
Aufl.
Qualitätskontrollen
QUA
Band
Bd.
Rekognitionsheuristik
RH
Domänenspezifischer Cue
Domspez Cue
Russische Aktiengesellschaft
RAG
Domänenübergreifender Cue
Domueb Cue
Russische Rechtsanwaltskanzleien RK
Elimination-by-Aspects
EBA
Russische Universitäten
RU
Entscheidungsproblem
EP
Russische Wodkahersteller
RW
Fragebogen
FB
Satisficingregel
SAT
Jahresumsatz
UMSATZ
Spalte
Sp.
Kundenzufriedenheit
KZ
Standardabweichung
SD
Mittelwert
M
Social Science Citation Index
SSCI
Minimalist
MIN
Subjektiver Erwartungsnutzen
SEU
MitarbeiterInnen
MA
Take The Best
TTB
Mouselab
ML
Take The Last
TTL
Mulit-Attribute-Utility
MAU
Uniform Resource Locater
URL
Normalverteilung
NV
Unabhängige Variable
UV
Nullhypothese
H
0
versus
vs.
Ohne Jahrgang
o. J.
Wissenschaftspreise
WP
Österreichische Gesellschaft für
Psychologie
ÖGP
zitiert nach
zit. nach
IV

IV. Inhalt
1 Persönlicher Zugang...1
2 Zusammenfassung / Abstract...2
2.1 Zusammenfassung...2
2.2 Abstract...3
3 Einleitung...5
3.1 Herleitung des Themas...5
3.2 Überblick über die vorliegende Diplomarbeit...8
THEORETISCHER
TEIL
4 Grundlegende Konzepte der Entscheidungsforschung...12
4.1 Definition des Begriffs Entscheidung...12
4.2 Module einer Entscheidungssituation...13
4.2.1 Handlungsoptionen und ihre Charakterisierung...14
4.2.2 Ziele und Präferenzen...15
4.2.3 Umwelteinflüsse und Konsequenzen ...17
4.3 Theorien zur Entscheidungsforschung...21
5 Entstehungsgeschichte der Entscheidungsforschung...23
5.1 Beiträge aus der Philosophie und der Mathematik ...23
5.2 Rationalitätskonzepte...31
5.2.1 Homo Oeconomicus...31
5.2.2 Bounded Rationality...34
6 Entscheidungsregeln und Suchmuster...39
6.1 Kompensatorische Entscheidungsregeln...40
6.2 Nicht-kompensatorische Entscheidungsregeln...42
7 Heuristiken...45
7.1 Schnelle und einfache Heuristiken...47
7.1.1 Rekognitionsheuristik...52
7.1.1.1 Weniger-ist-mehr-Effekt...57
7.1.1.2 Studien zur Rekognitionsheuristik...59
7.2 Heuristiken aus dem adaptiven Werkzeugkasten im Überblick...61
7.3 Anciennitätsheuristik bzw. Seniority Heuristic...66
7.3.1 Alltagsnahe Domänen der Anciennität...71
7.3.1.1 Der Senat...71
7.3.1.2 Erbfolgeordnungen...72
7.3.1.3 Unternehmen und Hersteller...73
7.3.1.4 Universitäten...77
7.3.2 Aktueller Forschungsstand der Anciennitätsheuristik...80
7.4 Zusammenfassung...83
8 Methodologische Zugänge in der Entscheidungsforschung...84
8.1 Der strukturorientierte Zugang...84
8.2 Der prozessorientierte Zugang ...85
8.3 Prozessorientierte Untersuchungsmethoden...88
8.3.1 Die Informationstafel...89
8.3.2 Das Mouselab...91
8.3.3 Das verbale Protokoll...93
8.3.4 Die Methode der Blickaufzeichnungen...95
8.3.5 Untersuchungen anhand der prozessorientierten Methoden...96
8.3.6 Informationsbeschaffung und kognitiver Aufwand...100
8.4 Zusammenfassung...104
V

EMPIRISCHER TEIL
9 Methodenwahl und empirische Fragestellungen...106
9.1 Forschungsmethoden...106
9.2 Explikation der Fragestellung und Hypothesen...109
9.2.1 Herleitung der Fragestellungen...109
9.2.2 Hypothesenbildung...110
10 Versuchsmaterial und -aufbau...117
10.1 Inferenzentscheidungen...118
10.2 Erstellung der Domänen...119
10.2.1 Domäne russische Universitäten...120
10.2.2 Domäne russische Aktiengesellschaften...120
10.2.3 Domäne russische Wodkahersteller...121
10.2.4 Domäne russische Rechtsanwaltskanzleien...122
10.3 Auswahl der Cues...124
10.4 Erstellung der Cue-Werte...126
10.5 Versuchsplan...131
10.6 Abhängige und Unabhängige Variablen...133
10.7 Kontrolle der Störvariablen ...134
10.8 Pilottestung...137
10.8.1 Durchführung der Pilottestung...138
10.8.2 Adaptierung...138
11 Ergebnisse... 142
11.1 Stichprobe...142
11.1.1 Rekrutierung...142
11.1.2 Demographische Stichprobenbeschreibung...144
11.2 Deskriptiver Datenüberblick...145
11.3 Unterschiede in der Informationssuche in den einzelnen Domänen...148
11.3.1 Hypothesenprüfung der aufgedeckten Informationen...150
11.3.2 Zusammenfassung der Anzahl der aufgedeckten Cues
auf der Domänenebene...155
11.4 Wahl der älteren Option...156
11.4.1 Inferenzstatistische Prüfung der Hypothesen...159
11.4.2 Zusammenfassend die Ergebnisse bei der Wahl der älteren Option...162
11.5 Datenauswertung auf der Cueebene...162
11.5.1 Inferenzstatistische Prüfung der Hypothesen auf der Cueebene...165
11.5.2 Zusammenfassung der Ergebnisse auf der Cueebene...171
11.6 Bewertung der Cues nach ihrer Wichtigkeit...172
11.7 Wahl des Seniority-Cue bei Wahl der älteren Option...178
11.8 Analyse und Interpretation...184
12 Diskussion und offene Fragen...187
V. Resumee...VII
VI. Literatur...IX
VII. Abbildungsverzeichnis...XVIII
VIII. Anhang...XX
VI

1 Persönlicher Zugang
Tagtäglich trifft der Mensch unzählige Entscheidungen, ohne sich nähere Gedanken
darüber zu machen, welche Faktoren diese Entscheidung beeinflussen oder besser noch ­
wie es zu dieser Entscheidung kommt. Der Aspekt, dass wir diesem Thema täglich begeg-
nen aber kaum etwas darüber wissen, macht für mich das Phänomen Entscheidung so
interessant.
Im Sommersemester 2003 besuchte ich die Lehrveranstaltung D
ENKEN
, U
RTEILEN
UND
E
NTSCHEIDEN
von Oliver Vitouch, Professor an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt.
Durch diese Lehrveranstaltung erhielt ich mehr Einblick in die Thematik und wurde
erstmals auf die Daumenregeln von Gigerenzer, Todd und der ABC Research Group
(1999) aufmerksam, die für mich einen plausiblen Erklärungsansatz für menschliches Ent-
scheidungsverhalten postulieren.
Darüber hinaus nahm ich im Jahre 2003 als Teilnehmerin an der ersten Untersuchung zur
Anciennitätsheuristik teil. Für mich persönlich erweist sich diese Daumenregel als
plausibel und alltagsnah, da der Mensch im alltäglichen Leben häufig Produkten, Marken
und Institutionen begegnet, die mit einem Gründungsjahr versehen sind.
Die Fragen, die ich mir nun stelle und in der Diplomarbeit beantwortet werden, sind:
Welche Auswirkungen hat die Angabe des Gründungsjahres auf das menschliche
Entscheidungsverhalten? Werden Institutionen mit einem älteren Gründungsjahr einer
erst gegründeten Institution vorgezogen? Ist das Ältere (wirklich) das Bessere? Dies sind
Fragen, die in dieser Diplomarbeit analysiert werden.
1

2 Zusammenfassung / Abstract
2.1 Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur psychologischen Entscheidungsforschung,
indem das Ausmaß der Verwendung der Anciennitätsheuristik (AH), die auch Seniority-
Heuristic (SH) genannt wird, abhängig vom Alter empirisch untersucht wird.
Die Vorstellung eines rational handelnden Individuum sowie das ökonomische Modell des
Homo Oeconomicus werden von KritikerInnen als unzureichend angesehen, um men-
schliches Entscheidungsverhalten zu beschreiben. Der Mensch führt keine komplizierten
Rechenaufgaben in der Suche nach einer Entscheidung durch, noch stehen ihm unbe-
grenzte Ressourcen von Zeit, Wissen und Verarbeitungskapazität zur Verfügung.
Es sind vielmehr die einfachen und schnellen Heuristiken (Gigerenzer, Todd & ABC, 1999),
die den menschlichen Entscheidungsprozess in unsicheren Umwelten treffend zu beschrei-
ben scheinen und den Optimierungsmodellen den Kampf ansagen. Heuristiken basieren
auf dem Postulat der begrenzten Rationalität sowie der Satisficingregel von Simon
(1983/1993; 1957; 1955).
Vitouch (2004) ist der Begründer der AH, die ebenfalls auf dem Konzept von Simon
(1983/1993; 1957; 1955) aufbaut. Die AH ist eine Entscheidungsregel, die die Präferenz für
das Ältere beinhaltet (z. B. das Gründungsjahr einer Institution) und in Situationen der
Unsicherheit Anwendung findet. Vitouch (2004) postuliert, dass die AH besonders häufig
verwendet wird, wenn mit Informationen über das Alter (Gründungsjahr) von unbe-
kannten Optionen der Eindruck des Sich-Bewährt-Habens verbunden ist (Standing the
Test of Time).
In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob ältere Menschen (45­60 Jahre) eher dazu
tendieren Informationen über die Anciennität einer Institution im Entscheidungsprozess
zu verwenden, als jüngere Menschen (20­35 Jahre). Die vorgeschlagene Prominenz von
Altershinweisen (Vitouch, 2004) wird erörtert, indem die entsprechende Verwendungshäu-
figkeit des Gründungsjahres (Seniority-Cue) mit der von weiteren, rivalisierenden und
2

validen Cues verglichen wird. In einem intuitiven Wissensspiel werden den Teilnehmer-
Innen (N = 160) 136 Entscheidungsaufgaben aus vier Wissensdomänen vorgelegt. Die Ver-
wendung bestimmter Cues wird mit Hilfe des Mouselab (ML), einer prozessorientierten
Methode (Payne, Bettman & Johnson, 1993), erfasst. Die Aufgabe besteht darin zu schätzen,
welche von zwei Domänen den höheren Wert auf einem Kriterium hat. Die Namen der
Domänen sind in kyrillischer Schrift dargeboten, um Effekte der Wiedererkennung (Reko-
gnitionsheuristik) (Goldstein & Gigerenzer, 1999; 2002) auszuschließen. Nach dem intuiti-
ven Wissensspiel folgt ein Online-Fragebogen (OFB), der zusätzlich Rückschlüsse darüber
geben soll, welche Hinweise bei der Entscheidungsfindung als besonders hilfreich bzw.
nicht hilfreich empfunden wurden.
Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass ältere Personen das Gründungsjahr zur
Entscheidungsfindung effektiv häufiger verwenden als jüngere Personen. Zudem stellt
sich das Gründungsjahr als domänenunabhängiger Hinweis dar. Somit wird der Seniority-
Cue von Vitouch (2004) zurecht als Universal-Cue bezeichnet. Im Vergleich mit den ande-
ren Hinweisen wird der Seniority-Cue weniger oft zur Entscheidungshilfe herangezogen.
Vergleicht man die Häufigkeit wie oft ein Hinweis im ML gewählt wurde mit seiner
anschließenden Bewertung im OFB, zeigen sich keine ausgeprägten Zusammenhänge.
2.2 Abstract
The present work offers a contribution to human decision-making with the use of Seniority
Heuristic (SH), also called Anciennitätsheuristik (AH), on the basis of a process oriented
investigation method.
The conception of rational decision making models and the economic model of the homo
oeconimicus are being criticized for their inability to explain human decision making in the
real world. The idea that people are making decisions in an uncertain environment on
having all information available, having endless time and cognition ressources, and having
a more sophisticated algorithm becomes less important. However, there is a currently
change in research of decision making. Fast and frugal heuristics (Gigerenzer, Todd &
3

ABC, 1999) are the more effective and realistic concepts as the optimizing models to
analyse and understand human decision behavior. Heuristics are decision rules based on
the concept of satisficing strategies and on thepostulate of bounded rationality, designed
by the economist Simon (1983/1993; 1957; 1955).
Vitouch (2004) is the originator of the SH, which is also based on the model of bounded
rationality. This decision-rule describes the idea of priority of age (seniority) in a decision
process. A person favours the older option in making a decision under uncertainty, because
the older one is the better. Vitouch (2004) postulates that the SH works effectively if the
founding year (seniority-cue) of an unknown option gives the impression that the option
or the organisation is the better one, because of its older founding year (standing the test of
time). This study analyses the hypothesis whether older people (age 45­60) tend to use
information of the founding year in a decision-process more often than younger ones (age
20­35). The use of the founding year will be compared to the use of different valid and
competing cues.
In an intuitive knowledge game 136 decision problems were presented to the probands
(N = 160). These passes includes four domains. The application of certain cues has been
recorded with the mouselab design (ML) (Payne, Bettman & Johnson, 1993). This method is
often used in decision theory, because it makes it possible to record precisly the decision
process. The probands´ task was to assume, which of two options has the higher value on a
criterium. The titels of the domains were presented in cyrillic lettering. This was necessary
to eliminate recognition effects (recognition heuristic) (Gigerenzer & Goldstein, 1999; 2002).
After the intuitive knowledge game the probands have to complete an online questionnaire
(OFB). This OFB provides results about the importance of the chosen cues in the game.
The results support the hypotheses that older people are using the seniority-cue more often
in the decision process than younger ones. A further insight shows that the seniority-cue is
independent of domains. Therefore Vitouch´s (2004) assumption that the seniority-cue is
an universal-cue insofar as it allows a person to make a fast and efficient choice and
inferences is evidenced. In contrast to the other cues, the founding year is used fewer
times. A comparison between evaluation of the cues in the game and in the OFB shows no
pronounced coherence.
4

3 Einleitung
Entscheidungen nehmen einen bedeutenden Teil in unserem Leben ein. Einerseits basiert
unsere Gegenwart auf Entscheidungen aus der Vergangenheit und andererseits gestalten
wir mit ihnen unsere Zukunft. Die Omnipräsenz menschlicher Entscheidungen macht
diese Thematik interessant für Bereiche in den unterschiedlichsten Disziplinen. Wissen-
schaftlerInnen analysieren, welche Produkte die KonsumentInnen kaufen, welche Partei
sie wählen, welche Institutionen sie präferieren etc. Die Analysen ermöglichen es den
WissenschaftlerInnen menschliches Entscheidungsverhalten besser zu verstehen und
Vorhersagen zu treffen wie Menschen in bestimmten Umwelten Entscheidungen treffen
und welche Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.
3.1 Herleitung des Themas
Der Mensch muss seine Entscheidungen an die jeweilige Umwelt- oder spezifische
Problemsituationen anpassen. Eine Entscheidung kann nicht einfach von einer erfahrenen
Situation auf eine neue übertragen werden. Trotzdem ist der Mensch in der Lage schnelle
und einfache Entscheidungen zu treffen, weil er im Laufe seiner Evolution gelernt hat,
bestimmte Strategien oder Regeln auszuwählen, die jeweils besonders geeignet sind, um
effizient die Informationen auszuwerten, welche ihm die Umgebung liefert. Der Mensch
nimmt dabei Ungenauigkeiten und Risiken in Kauf und begnügt sich mit einer zufrieden-
stellenden Lösung.
Gigerenzer, Todd und ABC (1999)
2
zeigen anhand ihrer Studien, dass der Mensch seine
Aufmerksamkeit nur auf die wichtigsten und validesten Cues lenkt. Er trifft Entschei-
2 Die ABC Research Group ist eine interdisziplinären Forschungsgruppe, die 1995 gegründet
wurde. Sie analysiert, wie es der Mensch schafft, vernünftige Entscheidungen in einer
unsicheren Umwelt zu treffen. ,,We study the ABCs of decision making heuristics ­ that is, the
basic building blocks from which these inference mechanisms are made" (Gigerenzer, Todd,
1999, S. vii). In der vorliegenden Arbeit wird die ABC Research Group mit den Buchstaben
ABC abgekürzt.
5

dungen eher auf der Basis der begrenzten Rationalität
3
von Simon (1983/1993; 1957; 1955),
weil Ressourcen wie Zeit, Wissen, Verarbeitungskapazität von Informationen in einer
Situation der Unsicherheit nur begrenzt verfügbar sind. Oder er trifft diese einfach auf-
grund von Erfahrungswerten die er sich im Laufe seines Lebens angeeignet hat.
Vitouch (2004) ist der Begründer der Anciennitätsheuristik (AH) und nennt sie synonym
auch Seniority Heuristic (SH). Er stellte die AH in mehreren Gastvorträgen und Kongres-
sen in den Jahren 2003 und 2004 vor. Die Entscheidungsregel AH basiert wie die Heuristi-
ken von Gigerenzer, Todd und ABC (1999) auf dem Konzept der begrenzten Rationalität.
Diese Heuristik ermöglicht es Personen in komplexen Situationen der Unsicherheit
(suboptimale Informiertheit) eine schnelle und effiziente Entscheidungen zu treffen,
indem das Alter (Gründungsjahr von Institutionen) als Entscheidungshilfe herangezogen
wird. Je älter ein Unternehmen ist, desto mehr Erfahrung hat es mit der Herstellung eines
bestimmten Produktes auf diesem Gebiet gesammelt und desto besser wird die Qualität
des Produktes ausfallen. Die AH beinhaltet die Überlegung, dass eine Person der Ancien-
nität (Seniorität, Gründungsjahr, Seniority-Cue) den Vorrang gibt, weil mit dem Alter
Eigenschaften wie Qualität, Sicherheit, Seriosität, Wissen und Erfahrungswerte assoziiert
werden. Vitouch (2004) postuliert, dass diese Entscheidungsregel dann besonders häufig
verwendet wird, wenn mit Informationen über das Alter der Eindruck des Sich-Bewährt-
Habens verbunden ist (Standing the Test of Time).
Im Jahre 2004 führte Vitouch mit seiner Forschungsgruppe Gula, Ladinig, Zdrahal-Urba-
nek ergebnisorientierte Untersuchungen zur AH durch. Die Ergebnisse wurden in Gast-
vorträgen in Wien und Berlin und auf Kongressen in Portugal und Innsbruck im Jahre
2004 präsentiert.
Die erste Untersuchung war eine Pilotstudie die belegte, dass die Anciennität ein effizien-
ter Prädiktor ist, um eine Vorhersage zu treffen, welche Universität einen besseren Rang
im Web of Science, der Zitationsdatenbank (SSCI) erreichte.
3 Der Begriff ,,begrenzte Rationalität" ist eine adäquate Übersetzung des Begriffs Bounded Ratio-
nality von Gigerenzer und Gaissmaier (2006, S. 333) und wird in dieser Diplomarbeit in diesem
Sinne angewendet.
6

Eine weitere Untersuchung von Vitouch und seiner Forschungsgruppe (Gula, Ladinig,
Zdrahal-Urbanek & Vitouch, 2004) war eine Fragebogenuntersuchung, welche einen
ersten Existenzbeweis für die AH lieferte. Die TeilnehmerInnen mussten sich in einem
vorgelegten Fragebogen zwischen zwei (Paarvergleich) Optionen (Universitäten, Banken,
und Whiskyhersteller) entscheiden. Die Institutionen wurden mit verschiedenen Hinwei-
sen (das Gründungsjahr der Institution [Seniority-Cue], Geschmacksbeschreibungen beim
Whisky, Anzahl der Bücher in der Universitätsbibliothek etc.) versehen, die eine Entschei-
dung erleichtern sollten. Die Auswertung zeigte, dass sich die TeilnehmerInnen öfter für
die ältere Institution entschieden, was die Existenz der AH bestätigte.
Vitouch und seine Forschungsgruppe (2004) untersuchten die Verwendung der AH auch
in einer Feldstudie, in der TeilnehmerInnen weißer und roter Saft angeboten wurde.
Die Etiketten der Flaschen wurden im Vorfeld so manipuliert, dass auf einem Teil ein
Gründungsjahr aufschien, der Rest jedoch ohne Gründungsjahr blieb. Jedem/Jeder Teil-
nehmerIn wurden dann ein roter und weißer Saft angeboten, einer mit und einer ohne
Gründungsjahr. Die TeilnehmerInnen konnten die Flaschen des Saftes vorher prüfen und
sich danach für einen der beiden Säfte entscheiden. Die Ergebnisse des Feldexperiments
bestätigten ebenfalls einen Seniority-Effekt. Die Analyse der Ergebnisse zeigte zudem
einen Alterseffekt: Ältere Personen wählten den Traubensaft mit dem Seniority-Cue öfter
als jüngere.
Der aktuelle Forschungsstand der AH bietet die Grundlage für die vorliegende Diplom-
arbeit. Folgende Forschungsfragen werden untersucht:
i. Ist die Verwendung des Seniority-Cues altersabhängig?
ii. Ist die Verwendung des Seniority-Cues domänenabhängig?
iii. Verwenden Personen im Entscheidungsprozess den Seniority-Cue häufiger als
konfligierende Cues?
iv. Wie wichtig finden Personen den Seniority-Cue im Vergleich zu konfligierenden
Cues?
7

Die AH ist noch ein sehr neues Phänomen und wird in der vorliegenden Studie erstmals
anhand einer prozessorientierten Methode untersucht. Der aktuelle Forschungsstand
(Vitouch, 2004; Gula, Ladinig, Zdrahal-Urbanek & Vitouch, 2004) zeigt die Existenz der
AH bei ergebnisorientierten Untersuchungen. Diese Methoden haben einen Input (z. B.
wird eine Textaufgabe vorgelegt) und einen Output (die Option, welche der/die Teilneh-
merIn wählte) der interpretiert wird. Das bedeutet, dass die Ergebnisse zwar zeigen, dass
die ältere Option gewählt wurde, aber keinen Aufschluss darüber geben, wie es zu dieser
Entscheidung kam. In der vorliegenden Studie wird die prozessorientierte Methode das
Mouselab (ML) (Payne, Bettman & Johnson, 1993) herangezogen, welches eine akkurate
Datenaufzeichnung des Entscheidungsprozesses vornimmt. Es wurde erhoben, wie viele
und welche Hinweise aufgedeckt wurden und wie oft im Design die ältere Option
gewählt wurde. Anschließend wird den TeilnehmerInnen ein Online-Fragebogen (OFB)
vorgelegt in dem sie die Hinweise nach ihrer Wichtigkeit bewerten.
3.2 Überblick über die vorliegende Diplomarbeit
Die vorliegende Diplomarbeit ist in einen theoretischen (siehe Kapitel 4 8) und in einen
empirischen Teil (siehe Kapitel 9 12) gegliedert.
Der T
HEORIETEIL
(siehe Kapitel 4) beginnt mit Begriffsdefinitionen, die auch für das Ver-
stehen der vorliegenden Arbeit von Bedeutung sind, sowie den einzelnen Modulen, aus
denen sich eine Entscheidungssituation zusammensetzt. Dazu werden Beispiele aus der
Literatur angegeben,welche die Relevanz der einzelnen Module erläutern.
Die psychologische Entscheidungsforschung ist nach Fischer, Jungermann und Pfister
(1998) noch eine sehr junge Wissenschaft, die sich in den 1960er Jahren entwickelte und
deren Grundideen aus den Disziplinen der Philosophie, Ökonomie und Mathematik
abgeleitet werden. Kapitel 5 bietet einen exemplarischen Einblick, welchen Beitrag diese
Disziplinen zur Entwicklung der psychologischen Entscheidungsforschung lieferten.
Ausgehend von den Überlegungen zum Denken in Wahrscheinlichkeiten und Theorien,
8

wie dem Bayes-Theorem, dem Bernoulli-Nutzen, werden auch neuere, wie die Subjektive
Erwartungsnutzentheorie (SEU; Subjectively Expected Utility) erklärt. Es wird das Modell
des Homo Oeconomicus aus der Mikroökonomie vorgestellt, welches vielfach von
verschiedenen AutorInnen kritisiert wird. Simon (1983/1993, 1957, 1955) hat dazu ein
plausibles Modell der begrenzten Rationalität (Bounded Rationality) und die Satisfacing-
regel entworfen, welches menschliches Entscheidungsverhalten plausibel in unsicheren
Umwelten erklärt.
In Kapitel 6 wird auf die Entscheidungsregeln eingegangen, die Menschen im Entschei-
dungsprozess anwenden. Demzufolge basieren die SEU und der Homo Oeconomicus auf
Entscheidungsregeln, die alle Informationen in dem Entscheidungsprozess mitein-
beziehen. In der Entscheidungsforschung wird hier auch von kompensatorischen
Entscheidungsregeln gesprochen. In Kontrast zu den kompensatorischen, gibt es noch die
nicht-kompensatorischen Entscheidungsegeln, die z. B. bei den Heuristiken erfolgreich
angewendet werden und im nächsten Kapitel behandelt werden.
Heuristiken (siehe Kapitel 7) bauen auf dem Postulat der begrenzten Rationalität und der
Satisficingregel von Simon (1983/1993; 1957; 1955) auf und stellen eine Alternative zu den
Optimierungsmodellen dar. Heuristiken basieren auf einem ökologischen und nicht
logischem Konzept der Rationalität. Gigerenzer, Todd und ABC (1999) untersuchen
menschliche Entscheidungen und die kognitiven Prozesse, die dazu notwendig sind.
Die Forschungsgruppe zeigt anhand ihrer Studien, dass der Mensch seine Aufmerksam-
keit nur auf die wichtigsten und validesten Cues lenkt. Er trifft Entscheidungen eher auf
der Basis der begrenzten Rationalität, weil Ressourcen wie Zeit, Wissen, Verarbeitungska-
pazität von Informationen nur begrenzt verfügbar sind. Oder er trifft diese einfach
aufgrund von Erfahrungswerten die er sich im Laufe seines Lebens angeeignet hat.
Im Folgenden werden Heuristiken aus dem adaptiven Werkzeugkasten und Studien
angeführt, mit denen sie untersucht wurden. Es gibt eine Einführung zur Rekognitions-
heuristik (RH) und dem Weniger-ist-mehr Effekt, die von Gigerenzer und Goldstein (1999;
2002) entdeckt wurden. In weiterer Folge werden noch die Heuristiken Take The Best
(TTB), Minimalist (MIN) und Take The Last (TTL) exemplarisch dargestellt und mit
9

Studien vorgestellt. Anschließend wird die noch sehr neue und wenig untersuchte AH
von Vitouch (2004) beschrieben. Mit seiner Forschungsgruppe untersuchte er (Vitouch,
2004; Gula, Ladinig, Zdrahal-Urbanek & Vitouch, 2004) die AH mit Hilfe von ergebnisori-
entierten Methoden. Es wird eine Begriffsdefinition vorgenommen und Beispiele über die
Relevanz der Anciennität im Alltag gezeigt. Danach wird der aktuelle Forschungsstand
der AH (Vitouch, 2004; Gula, Ladinig, Zdrahal-Urbanek & Vitouch, 2004) dargestellt. Hier
ist auch die Studie der vorliegenden Diplomarbeit einzureihen, die die AH erstmals
anhand einer prozessorientierter Methode untersucht.
Im 8. Kapitel werden die struktur- und prozessorientierte Zugänge der Entscheidungsfor-
schung beschrieben. Es werden Untersuchungsmethoden vorgestellt, die den Entschei-
dungsprozess akkurat aufzuzeichnen und Interpretationen über den Ablauf einer
Entscheidung zuzulassen. Payne, Bettman und Johnson (1993) lieferten einen bedeutenden
Beitrag zu prozessorientierten Untersuchungsmethoden mit dem ML. Im folgenden werden
die Untersuchungsmethoden diskutiert, die in einem prozessorientierten Untersuchungsde-
sign angewendet werden und anhand von Studien ihre Anwendung demonstriert.
Der
EMPIRISCHE
TEIL
dieser Diplomarbeit beginnt mit den Forschungsmethoden (Kapitel 9),
die in der vorliegenden Studie angewandt wurden. In dieser Diplomarbeit wird die
prozessorientierte Methode des ML (siehe Kapitel 8.3.2) in Kombination mit einem OFB
angewendet.
In diesem Kapitel wird auch auf die Herleitung der Forschungsfragen eingegangen, die
sich aus den Ergebnissen des aktuellen Forschungsstand von Vitouch und seiner For-
schungsgruppe (Gula, Ladinig, Zdrahal-Urbanek & Vitouch, 2004) ableiten. Diese Fragen
werden präzisiert und in Hypothesen formuliert.
Anschließend (siehe Kapitel 10) wird auf die Erstellung des Untersuchungsmaterials
eingegangen. Es werden die Recherchearbeiten für das ML-Design angeführt. Ebenso
wird über die Zusammenstellung der Domänen und ihren charakterisierenden Cues
sowie den dafür notwendigen Recherchen berichtet. Zudem wird der Vorgang der Wer-
teerstellung der Cues dargestellt. Nach der Phase der Erstellung des Untersuchungsmate-
10

rials wurde ein Versuchsplan aufgestellt. Der Versuchsplan beinhaltet die Ermittlung der
Stichprobengröße, die mit der Power-Anaylse von Faul, Erdfelder, Lang und Buchner
(2007) ermittelt wurde. Für die Überprüfung der technischen Funktionalität des ML und
der Störvariablen (Rekognitioneffekte, Augenscheinvalidität, Schwierigkeitsgrad, Instruk-
tionsvalidität, Positionseffekte etc.) wurde eine Pilottestung durchgeführt, die anschlie-
ßend Veränderungen am Design erforderte. Nach den Anpassungen des ML und des OFB
konnte die Datenerhebung beginnen.
Die Datenerhebung (siehe Kapitel 11) beginnt mit der Beschreibung, wie TeilnehmerInnen
auf die Studie aufmerksam gemacht wurden und wie die Datenerhebung erfolgte.
Im Anschluss an die Datenerhebung wurde die Zusammensetzung der Stichprobe im
Detail beschrieben und mit der Datenanalyse begonnen. Die Datenanalyse wird mit einem
deskriptiven Überblick eingeleitet. Danach erfolgt sukzessiv die inferenzstatistische Über-
prüfung der aufgestellten Hypothesen auf der Domänen- sowie auf der Cueebene. Dar-
über hinaus werden die Ergebnisse des OFB dargestellt, in welchem die TeilnehmerInnen
die einzelnen Cues nach Noten bewerteten. Ob das Ältere wirklich das Bessere ist, wird
anschließend hypothesenbezogen analysiert und interpretiert.
In Kapitel 12 wird kritisch betrachtet, welche Fragen in dieser Diplomarbeit nicht beant-
wortet werden konnten und welche Aussichten oder Erkenntnisse für weitere Untersu-
chungen auf dem Gebiet der AH ableitbar sind. Ein Resumee (Kapitel V) bildet den
Abschluss dieser Diplomarbeit.
Abschließend kann angemerkt werden, dass Heuristiken einen wichtigen Beitrag liefern,
um dem Geheimnis des menschlichen Entscheidungsverhalten ein wenig näher zu
rücken, da sie plausible Erklärungen für menschliches Entscheidungsverhalten in unsi-
cheren Umwelten bieten.
11

THEORETISCHER
TEIL

4 Grundlegende Konzepte der
Entscheidungsforschung
Making decisions is like speaking prose ­ people do it all the
time, knowingly or unknowingly.
Daniel Kahneman und Amos Tversky
4
Dieses Kapitel beinhaltet Grundbegriffe der Entscheidungsforschung. Es werden Defini-
tionen von verschiedenen AutorInnen dargelegt und ein Überblick darüber gegeben,
welche Bestandteile eine Entscheidung ausmachen und beeinflussen.
4.1 Definition des Begriffs Entscheidung
Entscheidungen können auf verschiedene Weise erfasst werden. In diesem Zusammen-
hang spielen die Begriffe Wahl und Beurteilungen eine besondere Rolle. Zimbardo und
Gerrig (1996/1999) definieren den Unterschied zwischen Beurteilung und Wahl folgend:
Beim Urteilen werden Meinungen gebildet, Schlüsse gezogen und Ereignisse
bewertet, während es sich beim Entscheiden um einen Prozess des Wählens
zwischen Alternativen handelt. (S. 312)
Für den Begriff der Entscheidung finden sich in der psychologischen Entscheidungs-
forschung unter anderem folgende Definitionen:
Hanf (1986) spricht von einer Entscheidung, wenn
eine Person (oder Personengruppe) (...) aus mindestens zwei Handlungsmög-
lichkeiten eine und nur eine Handlung aus[wählt]. (S. 4)
4 Kahneman und Tversky, 2003a, S. 1.
12

Nach Hanf (1986) müssen mindestens zwei Optionen vorhanden sein, damit eine
Entscheidung gefällt werden kann.
Jungermann (2005) definiert den Begriff Entscheidung ausführlicher:
(...) wenn eine Person sich zwischen Optionen präferentiell festlegt, also eine
Option gegenüber einer anderen bzw. mehreren anderen vorzieht. Im engeren
Sinne bezeichnet der Begriff den Moment, in dem die Festlegung getroffen
wird, in einem weiteren Sinne bezeichnet er den gesamten Prozess, der sich
vom ersten Erkennen einer Wahlsituation bis zur Umsetzung und Kontrolle
einer Festlegung erstreckt. (S. 72)
Für Jungermann (2005) stellt die Entscheidung selbst schon das Ende eines Prozesses dar,
der verschiedene Handlungen vorausgehen. Normalerweise kann eine Entscheidung, ist
sie erst einmal getroffen, nicht mehr rückgängig gemacht werden. Aber in Laboruntersu-
chungen werden TeilnehmerInnen manchmal aufgefordert, eine Entscheidung wiederholt
zu treffen (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998).
4.2 Module einer Entscheidungssituation
In der psychologischen Entscheidungsforschung werden in der Regel Individuen betrach-
tet, welche eine Entscheidung treffen müssen (Winkler, 1994; Wiese, 2002). Situationen, in
denen die Entscheidungen von einer einzelnen Person getroffen werden, werden als
,,individuelle Entscheidungssituationen" (Jungermann, 2005, S. 72) bezeichnet. In einer
sozialen Situation trifft auch eine einzelne Person eine Entscheidung, aber diese Entschei-
dung wurde vorher in Interaktion mit einer oder mehreren Personen in einer Gruppe
erarbeitet (Jungermann, 2005). In der vorliegenden Arbeit werden individuelle Entschei-
dungen behandelt.
Nach Eisenführ und Weber (2003) gliedert sich eine Entscheidungssituation in die Module
,,Handlungsoptionen", ,,Ziele", ,,Präferenzen", ,,Umwelteinflüsse" und ,,Konsequenzen"
(S. 15). In den nächsten Kapiteln werden die einzelnen Module im Detail beschrieben.
13

4.2.1 Handlungsoptionen und ihre Charakterisierung
Für den Begriff Handlungsoptionen finden sich in der Literatur der Entscheidungs-
psychologie unterschiedliche Bezeichnungen wie z. B. Alternativen, Aktionen, Optionen,
Strategien, Objekte oder Möglichkeiten. Die erwähnten Handlungsoptionen werden
anhand von Attribute näher charakterisiert. Die Attribute werden auch als Hinweise,
Merkmale, Cues oder Ausprägungen bezeichnet. In der vorliegenden Arbeit werden die
Begriffe Option sowie Attribute und Cues verwendet.
Handlungsoptionen kommen in verschiedenen Entscheidungssituationen vor und können
sich auf vielfältige Handlungen beziehen. Beispielsweise kann der/die EntscheiderIn vor die
Wahl gestellt werden, zum Arzt zu gehen oder nicht. Ein/e Arzt/Ärztin muss bei einem ein-
gelieferten Patienten schnell handeln: operieren oder weitere Untersuchungen anstellen.
Hier kommt hinzu, dass ein/e Arzt/Ärztin aufgrund ihrer/seiner Erfahrungen und Expertise
weiß, welche Entscheidung zu treffen ist (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998).
Mit einer Wissensdomäne wird der Bereich bezeichnet, aus dem die für eine Entschei-
dung relevante Information stammt. In der vorliegenden Studie werden vier Wissensdo-
mänen behandelt (siehe Kapitel 10).
Der/Die EntscheiderIn wählt immer nur eine aus einer Menge von verfügbaren Optionen
aus (Winkler, 1994). In einer realen Entscheidungssituation sowie in der Regel auch bei
künstlichen Entscheidungssituationen (Laborsituation) ist jede Option durch eine Reihe
von Attributen gekennzeichnet. EntscheidungsforscherInnen sprechen hier auch von
multi-attributen Entscheidungssituationen (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Für Lan-
caster (1983) stellt ein Gut oder Produkt ein Bündel von Attributen dar, das sich schwer
darstellen lässt, weil es von jedem Individuum anders interpretiert wird. Dieses Bündel
von Attributen steht mit den jeweiligen persönlichen Präferenzen eines Menschen in
Zusammenhang. Mit anderen Worten: Wenn ein/e KonsumentIn z. B. ein bestimmtes
Auto auswählt, macht er/sie diese Wahl an persönlichen Präferenzen für bestimmte Attri-
butsausprägungen fest (z. B. rote Farbe, viel PS, niedriger Preis, bekannte Marke).
14

Savage (1972) weist aber darauf hin, dass ein reales Produkt bedeutend mehr Eigenschaf-
ten besitzt, als einer Person in einer künstlichen Entscheidungssituation (Laborsituation)
vorgelegt werden. Dies liegt daran, dass eine Entscheidungssituation eine komplexe
Angelegenheit ist und um eine effiziente Untersuchung durchführen zu können, wird die
Entscheidungssituation auf wenige Optionen und Attribute minimiert.
Nach Westenberg und Koele (1994) ist der Entscheidungsprozess einer Person durch zwei
wesentliche (Teil-)Handlungen gekennzeichnet: Sie bewertet und wählt.
(...) [S]electing the most attractive alternative, by giving a numerical value re-
presenting the attractiveness of every separate alternative, or by rank odering
the alternatives according to their attractiveness (Harte & Koele, 2001, S. 30).
Unvergleichbare oder unvollständige Angaben von Attribute erschweren den Entschei-
dungsprozess und das Finden einer optimalen Option wird für eine Person schwierig.
Aber auch zu viel Information oder Zeitdruck können eine Entscheidung erschweren
(Payne, 1976).
4.2.2 Ziele und Präferenzen
Ziele und Präferenzen beeinflussen sich gegenseitig. Der/Die EntscheiderIn präferiert eine
Option gegenüber einer anderen, um ein bestimmtes Ziel damit zu erreichen (Junger-
mann, Pfister & Fischer, 1998; Eisenführ & Weber, 2003).
Eisenführ und Weber (2003) weisen darauf hin, dass es objektiv gesehen keine richtige
Entscheidung geben kann. Eine Entscheidung wird von den subjektiven Erwartungen,
Zielen und Präferenzen beeinflusst. Diese sind empirisch schwierig zu untersuchen.
Mitunter ein Grund dafür ist, dass Menschen sich nicht mit eindeutig festgelegten Präfe-
renzen und Erwartungen einer Entscheidung zuwenden, sondern dass sich manche
Präferenzen erst im Verlauf des Entscheidens herauskristallisieren (Bettman, Luce &
Payne, 1998).
15

Nach Jungermann, Pfister und Fischer (1998) gibt es drei Möglichkeiten, wie Präferenzen
erfasst werden (S. 51):
(i.) Wählen (Choice): Dies ist eine häufige Art der Erfassung von Präferenzen. Der/Die
TeilnehmerIn erhält eine Menge von Optionen vorgelegt, aus denen er/sie eine auswählt.
Eine Wahl zwischen zwei Optionen (Paarvergleich) wird auch als binäre Wahl bezeichnet
(Jungermann, Pfister & Fischer, 1998).
(ii.) Ablehnung (Rejection): Hier wird der/die TeilnehmerIn aufgefordert, von den vorge-
legten Optionen die zu nennen, die er/sie ablehnt (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998).
(iii.) Rangvergabe (Ranking):In diesem Verfahren erhält der/die TeilnehmerIn eine Menge
von Optionen, die er/sie nach dem subjektiven Nutzen in eine Rangreihe bringen soll.
Folglich können Präferenzen gegenüber von mehreren Optionen gleichzeitig abgebildet
werden. Mit diesem Verfahren wird Transivität erzwungen. Wenn an mehrere Optionen
ein gleicher Rangplatz vergeben wird, nennt man dies in der Fachsprache Indifferenz
(Jungermann, Pfister & Fischer, 1998).
Es gibt Entscheidungen, in denen vom/von der EntscheiderIn ein Präferenzurteil oder
Inferenzurteil verlangt wird (siehe Kapitel 7). Das Präferenzurteil beschreibt eine Wahl, in
der eine Person z. B. entscheidet, welche Nachspeise ihr besser schmeckt. Ein Inferenz-
urteil wird bei der Fragestellung gefällt: ,,Welche Stadt hat mehr Einwohner?" Der Unter-
schied zwischen einem Präferenz- und einem Inferenzurteil besteht darin, dass beim
Letzteren ein Kriterium, auch Korrektheitskriterium vorhanden ist. Das heißt, dass die
Antwort auf die Frage, welche Stadt mehr Einwohner hat, richtig oder falsch sein kann.
Bei Inferenzurteilen kann eine wahrscheinlichkeitstheoretische Beziehung zwischen
Prädiktor und Kriterium hergestellt werden. Ein Cue ist eine Prädiktorvariable, mit der
Kriteriumsvariablen vorausgesagt werden. Ein Beispiel dazu ist: Jemand will anhand der
Wiedererkennung von Städtenamen (Prädiktor) die Größe einer Stadt (Kriterium, Dimen-
sion) vorhersagen (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Dementsprechend werden ein-
mal die Schlussfolgerungen (siehe Kapitel 7) und ein anderes mal die Vorlieben
untersucht (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998).
16

4.2.3 Umwelteinflüsse und Konsequenzen
Die Psychologie untersucht das bewusste bzw. unbewusste Entscheidungsverhalten von
Menschen und analysiert, welche Einflüsse den Entscheidungsprozess begleiten (Junger-
mann, Pfister & Fischer, 1998). Unter dem Begriff Umwelteinflüsse werden alle Zustände
der Umwelt verstanden, die das Ergebnis der Entscheidung mitgestalten und beeinflussen
(Eisenführ & Weber, 2003). Der Mensch nimmt Informationen aus seiner Umwelt auf, die
seine Wahl beeinflussen. Oder er ruft gespeicherte Informationen aus dem Gedächtnis ab.
So stützt z. B. ein/e KonsumentIn nach Russo und Johnson (1980) beim Einkauf seine/ihre
Entscheidung auf zwei Quellen: Erfahrungswerte und die Informationen, die direkt beim
Einkauf eingeholt werden können.
Eine Entscheidung ändert sich mit jeder neu erworbenen Erfahrung und Information.
Demzufolge kann eine Entscheidung aufgrund von Routine oder aufgrund von Intuition
5
erfolgen (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Gigerenzer (2007) spricht in diesem
Zusammenhang von ,,gut Feelings" (S. 3) oder eben ,,Intuitions" (S. 3). Der Mensch trifft
intuitiv eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, ohne dabei alle Gründe gegeneinander
sorgfältig abzuwägen. Manchmal ist für die Person, die eine Entscheidung treffen muss,
nicht genügend Bedenkzeit vorhanden, um alle möglichen Optionen gegeneinander abzu-
wägen. Oder eben die Person hat reichlich Erfahrung auf diesem Gebiet und kann eine
Ad-hoc-Entscheidung treffen.
Interne Einflüsse, wie z. B. Emotionen oder die körperliche Verfassung, spielen im
Entscheidungsprozess genauso eine immanente Rolle wie äußere Einflüsse, z. B. Umwelt,
Lebensbedingungen, Hinweise (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Einflüsse können
dazu führen, dass zwei Personen vor der gleichen Aufgabe stehen und das Ergebnis der
Entscheidung trotzdem ein anderes ist. Gründe können unterschiedliche Informations-
quellen, -bewertung und -beschaffung sein (Hanf, 1986).
5 Nach Stowasser (1969) leitet sich das Wort Intuitiv vom lateinischen Wort ,,in-tueor", auch
,,in-tuor", ,,intui" (S.582, Sp. 2) ab und bedeutet ,,(im Geiste) betrachten, erwägen" (S. 582,
Sp. 2). Mit Intuition wird eine unbewusste Erwägung oder Entscheidung getroffen, die ohne
dem Gedächtnis zustande kommt.
17

Payne, Bettman und Johnson (1993) geben einen konkreten Überblick darüber, von
welchen Bedingungen eine optimale Entscheidung abhängt. Einerseits ist es der kognitive
Prozess der ,,Person" (S. 4) (Erfahrung, Vorwissen, kognitive Fähigkeiten), andererseits
der ,,Social Context" (S. 4) (Umwelt, Situation) und die Charakteristik des ,,Decision Pro-
blem" (S. 4) (Aufgabenstellung, Kontextvariablen), die das Entscheidungsverhalten
gegenseitig beeinflussen. Nach Payne, Bettman & Johnson (1993) sind dies die drei Haupt-
faktoren (siehe auch Abbildung 15), die Einfluss darauf nehmen, welche Strategie eine
Person anwenden wird, um eine Entscheidung zu treffen.
Aber nicht nur interne und externe Einflüsse begleiten einen Entscheidungsprozess, son-
dern auch die Konsequenzen, die eine Entscheidung mit sich bringt.
Die Konsequenzen bezeichnen Jungermann, Pfister und Fischer (1998) auch als Folgen
oder Ergebnisse. Eine Person trifft meistens eine Entscheidung in Hinsicht auf die zu
erwartenden Konsequenzen. Nach Jungermann, Pfister und Fischer (1998) ,,(...) sind
Objekte, Handlungen und Strategien Mittel, um Ziele zu erreichen, und die Konsequenzen
der gewählten Option stellen Realisierungen der Ziele dar" (S. 20). Für Jungermann (2005)
trifft der Mensch eine Wahl zwischen verschiedenen Optionen mit Rücksicht auf die zu
erwartenden Konsequenzen, indem der/die EntscheiderIn diese implizit oder explizit
bewertet. Hierzu bewertet eine Person den subjektiven Wert (Nutzen, ,,Utility" z. B.
Jungermann, 2005, S. 73) der Optionen. Anschließend wählt er die Option mit dem besten
Nutzen aus. Die Konsequenzen einer Entscheidung können ,,sicher oder unsicher" (Jun-
germann, 2005, S. 73) sein.
Die Entscheidungstheorie interessiert sich im Allgemeinen für Entscheidungssituationen,
deren Konsequenzen unkontrollierbar oder auch unvorhersehbar sind und nennt diese
auch Entscheidungssituationen ,,unter Unsicherheit" (z. B. Wiese, 2002, S. 19). Die Konse-
quenzen der Entscheidung liegen in der Zukunft und hängen von Faktoren ab, deren
Kontrolle dem/der EntscheiderIn nicht möglich ist (Jungermann, 2005). Nach dem Ökono-
men Hanf (1986) trifft der Mensch Entscheidungen nur unter Unsicherheit:
Sicherheit gibt es weder im Bereich privater, noch im Bereich wirtschaftlicher
Entscheidungen. Unterschiede existieren nur in der Art, wie Entscheidungen
18

getroffen werden. Man kann die allgegenwärtige Unsicherheit ignorieren und
so tun, als ob die Welt sicher sei. Oder, man versucht dieses Phänomen so gut
wie möglich zu erfassen und in die Entscheidungsüberlegungen systematisch
einzubauen. (S. 1)
Ein Mensch kann nach Simon (1983/1993) ebenso keine Entscheidung unter Sicherheit
treffen, weil er dazu alle Konsequenzen für alle möglichen Optionen vor Augen haben
müsste und zwar ,,nicht nur für diesen Moment, sondern für alle Zukunft" (S. 23). Nach
Gigerenzer und Todd (1999) trifft der Mensch eine Entscheidung immer unter Unsicher-
heit, da er aufgrund von Zeitmangel und begrenzter kognitiver Ressourcen nur subopti-
mal informiert ist (siehe Kapitel 7).
Nach Wiese (2002) werden Situationen von Unsicherheit wiederum in Entscheidungen
unter Risiko einerseits und unter Ungewissheit andererseits unterschieden. Der Unter-
schied zwischen Entscheidungen unter Risiko oder Ungewissheit
6
erklärt Wiese (2002)
damit, dass bei einer Situation unter Risiko die Wahrscheinlichkeiten von Konsequenzen
gegeben bzw. der Person bekannt sind. Bei Entscheidungen unter Ungewissheit sind
keine Wahrscheinlichkeiten gegeben.
Eine Entscheidungsregel für Situationen unter Risiko ist die ,,Bayes-Regel" (z. B. Wiese,
2002, S. 25). Das Theorem von Thomas Bayes (1763) wurde im 17. Jahrhundert von ihm
entdeckt und ist ein wichtiger Bestandteil der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Mit ihr kann
der Prozess der Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen oder Konsequen-
zen modelliert werden. Es wird die Wahrscheinlichkeit eines unsicheren Ereignisses
errechnet, welches unter der Bedingung eines anderen unsicheren Ereignisses stattfindet
(Wiese, 2002; Eisenführ & Weber, 2003). Die Bayes-Regel beinhaltet die Überlegung, dass
die Option, die den Erwartungswert (Nutzen) der Zielgröße maximiert (Gewinn) oder
auch minimiert (Verlust), einer anderen vorgezogen wird. Demzufolge müssen hier die
Wahrscheinlichkeitsverteilungen bekannt sein (Wiese, 2002). Eisenführ und Weber (2003)
führen an, dass mit diesem Verrechnungsschema A-priori-Wahrscheinlichkeiten und
zusätzliche Daten zu Aposterieri-Wahrscheinlichkeiten transformiert werden können.
Das Theorem von Bayes erweist sich bei dieser Transformierung als nützliches Hilfsmittel,
6 Entscheidungen unter Ungewissheit werden hier aus Platzgründen nicht näher erläutert, sind
aber bei Wiese, 2002, S. 17ff. nachzulesen.
19

da eine rein intuitive menschliche Verarbeitung zu Fehlern in der Wahrscheinlichkeitsbil-
dung führen kann, wie Tversky und Kahneman (2001) in ihrem Forschungsprogramm
Heuristics and Biases veranschaulichen
Ein weiteres Beispiel für Entscheidungen unter Risiko ist die Erwartungswert-Theorie von
Daniel Bernoulli (1738), wie im St. Petersburg-Paradoxon gezeigt wird, wo der Erwar-
tungswert unendlich scheint (siehe Seite 25). Da die Erwartungsregel die unterschied-
lichen Risikopräferenzen nicht erklären konnte, wurde sie modifiziert. Es wurden nicht
die zu erwartenden Auszahlungen maximiert, sondern der zu erwartende Nutzen, den
eine Person mit dieser Entscheidung erzielt. Die Entscheidungsregel ,,Maximiere den
erwarteten Nutzen" (Wiese, 2002, S. 26) wird auch als Bernoulli-Prinzip bezeichnet.
Das Bernoulli-Prinzip konnte aber nicht die Frage beantworten: ,,Warum [sollte] die Maxi-
mierung des Erwartungsnutzens ein aus normativer Sicht vernünftiges Entscheidungskri-
terium darstellen (...) [?] (Wiese, 2002, S. 27). Die Frage beantworteten von Neumann und
Morgenstern (1953/1961), die die Theorie der Maximierung des subjektiv erwarteten
Nutzens (SEU) begründeten. Die beiden Mathematiker definierten Axiome (siehe Seite 26)
und leiteten daraus Präferenzen ab (Eisenführ & Weber, 2003). Mittlerweile wurde das
Axiomsystem erweitert und differenziert.
In wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern (z. B. Wiese, 2002) wird davon ausge-
gangen, dass es nur wenige Beispiele gibt, die Entscheidungen in einer sicheren Welt
beschreiben. Beispielsweise das ,,Haushalts-Optimum"
7
(Wiese, 2002, S. 1) oder das
,,Cournot-Monopol"
8
in der Mikroökonomie (S. 1) beschreiben Entscheidungen, die unter
7 Die Mikroökonomie untersucht das Verhalten der kleinsten ökonomischen Einheiten. Zentral ist
hierbei, wie Entscheidungen in einem Haushalt oder Unternehmen getroffen und koordiniert
werden. Eine Annahme erklärt, dass die Haushalte bestrebt sind, das beste aus ihrer Situation
zu machen indem sie ihren Gewinn maximieren. Das Haushalts-Optimum basiert auf dem
Modell, dass der ,,rational handelnde[n] Konsument (...) von allen Güterkombinationen, die bei
gegebener Budgetrestriktion realisierbar sind, die auswählen [wird], bei der er seinen Nutzen
maximiert" (Demmler, 2000, S. 35). Der optimale Konsumplan (Haushaltsoptimum) wird je
nach Einkommen, das dem Haushalt zur Verfügung steht, und den Preisen der Güter anders
aussehen. In der Mikroökonomie werden Bedingungen mit einen ,,2-Güter-Fall"(Demmler,
2000, S.36) oder auch Beispiele mit n-Güter für ein Haushalts-Optimum dargestellt.
8 ,,Der Markt eines Gutes wird als Monopol bezeichnet, wenn sämtliche auf dem Markt angebote-
nen Produkte von einem einzigen Unternehmen stammen (...)" (Blum, Müller & Weiske, 2006,
20

Sicherheit getroffen werden. Hier wird der Mensch als ein rational handelndes Wesen
gesehen.
9
Dieses Kapitel lieferte einen Auszug über die Module einer Entscheidungssituation, da
viele alltägliche Entscheidungssituationen viel komplexer sind als hier dargestellt.
Im nächsten Kapitel werden die Theorien der Entscheidungsforschung angeführt.
4.3 Theorien zur Entscheidungsforschung
Bell, Raiffa und Tversky (1988) sprechen von (i) normativen, (ii) präskriptiven und
(iii) deskriptiven Ansätzen, welche die Theorien der Entscheidungsforschung prägen:
Descriptive models are evaluated by their empirical validity, that is, the extent
to which they correspond to observed choices. Normative models are evalua-
ted by their theoretical adequacy, that is, the degree to which they provide
acceptable idealization or rational choice. Prescriptive models are evaluated
by their pragmatic value, that is, by their ability to help people make better de-
cisions. (S. 17f.)
(i) Die normativen Entscheidungstheorien beinhalten Optimierungsmodelle
10
, die
beschreiben und vorhersagen, wie eine idealisierte rationale Person etwa der Homo
Oeconomicus (siehe Kapitel 5.2.1) aus der Mikroökonomie sich in einer Entscheidungs-
situation verhält. Das menschliche Entscheidungsverhalten sollte konsistent mit den Axio-
men sein, auf denen die normativen Modelle basieren (Slovic, Fischhoff & Lichtenstein,
1977; Kirchler, 2003; Manz, Dahmen & Hoffmann, 2003).
S. 46). Aufgrund alleiniger Marktherrschaft kann der Monopolist den Preis diktieren. Er wird
den Preis sowie Angebotsniveau so wählen, dass er einen maximalen Gesamtgewinn erzielt.
Die Preis-Mengen-Kombination wird auf die Nachfrage abgestimmt. Somit hat der Monopolist
die Möglichkeit, entweder den Preis des Gutes oder die Absatzmenge selbst zu bestimmen.
Das Cournot-Monopol basiert auf der Annahme, dass ,,der Monopolist die Absatzmenge x
wählt und sich der zugehörige Preis aus der Preis-Absatzfunktion ergibt" (Blum, Müller &
Weiske, 2006, S. 46) und sich deswegen sein Gewinn maximiert.
9 Entscheidungssituationen unter Sicherheit werden hier nicht weiter im Detail behandelt, da sie
für die vorliegende Diplomarbeit nicht relevant sind.
10 AutorInnen verwenden die Begriffe Optimierungs- und Maximierungsmodelle häufig synonym
(Kirchler, 2003).
21

(ii) Präskriptive Entscheidungstheorien liefern WissenschaftlerInnen Modelle, deren
Grundlage das rationale Entscheidungsverhalten bildet. Diese Theorien beschreiben
lediglich Denkmodelle, wie ein Individuum sich in einer bestimmten Situation mit einem
vorgegebenen Ziel verhalten sollte (Eisenführ & Weber, 2003; Kirchler, 2003; Manz,
Dahmen & Hoffmann 2003). Systematische Unterschiede zwischen dem von präskriptiven
vorhergesagten Verhalten und dem tatsächlichen Verhalten lieferten eine wesentliche
Grundlage für das Konzept der begrenzten Rationalität von Simon (1983/1993, 1957)
(siehe Kapitel 5.2.2).
(iii) Im Gegensatz dazu beschäftigen sich WissenschaftlerInnen in der deskriptiven
Entscheidungsforschung mit dem tatsächlichen menschlichen Entscheidungsverhalten
(Eisenführ & Weber, 2003; Kirchler, 2003). Das tatsächliche Entscheidungsverhalten wird
mit präskriptiven und normativen Modellen verglichen, so dass aufbauend auf diesem
Vergleich Techniken der Entscheidungsunterstützung und -hilfe entwickelt werden
können (Slovic, Fischhoff & Lichtenstein, 1977). Die Modelle im deskriptiven Ansatzes
entfernen sich vom normativen Rationalitätsprinzip und berücksichtigen psychische
Elemente, wie z. B. Stress und Zeitdruck, genauso in ihren Modellen wie die Annahme,
dass Ressourcen wie Wissen, Informationsverarbeitungskapazität und kognitive Fähig-
keiten begrenzt sind.
Jungermann, Pfister und Fischer (1998) sprechen von einer Interaktion dieser Theorien:
Die deskriptiven Modelle beschreiben das menschliche Entscheidungsverhalten und die
präskriptiven bzw. normativen Modelle liefern Verfahren dafür, wie dieses Verfahren
verbessert und mögliche Fehlertendenzen reduziert werden können.
Dieses Kapitel zeigte einen Überblick über Begriffsdefinitionen und aus welchen Modulen
sich eine Entscheidungssituation zusammensetzt.
Als nächstes werden die einzelnen Disziplinen und ihr Beitrag zur psychologischen
Entscheidungsforschung beschrieben.
22

5 Entstehungsgeschichte der
Entscheidungsforschung
Life is a process of choices, and an individual´s life course is
dependent on how such choices are made. Making the best
choice, or even a good choice, is not always an easy task.
Barnaby Marsh
11
Nach Jungermann, Pfister und Fischer (1998) finden sich die Wurzeln der Entscheidungs-
theorien in der Philosophie, der Mathematik und der Ökonomie. Folgend werden die
einzelnen Disziplinen mit ihren VertreterInnen und ihrem Beitrag zur allgemeinen und
speziell zur psychologischen Entscheidungsforschung beschrieben. Ergänzend hinzu-
zufügen ist, dass das nächste Kapitel nur einen Auszug zur Entwicklungsgeschichte
liefert und keinesfalls vollständig ist.
5.1 Beiträge aus der Philosophie und
der Mathematik
Eine für die Entscheidungsforschung grundlegende Strömung in der Philosophie ist der
Utilitarismus. Der Utilitarismus wurde erstmals von Jeremy Bentham (17481832) im
17. Jahrhundert vorgeschlagen (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Eine Grundan-
nahme dieser Strömung ist, dass ein Verhalten nach seinen Konsequenzen beurteilt wird.
Sind die Konsequenzen einer Handlung optimal, dann wird dieses Verhalten als mora-
lisch richtig eingestuft. Moralisch handeln bedeutet in diesem Zusammenhang, den
Nutzen der Konsequenzen im Sinne des allgemeinen Wohl zu maximieren (Jungermann,
Pfister & Fischer, 1998).
11 Marsh, 2002, S. 49.
23

Die Mathematik leistete mit der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie den wohl
bedeutendsten Beitrag zur Entstehung der Entscheidungstheorien. Blaise Pascal (1623
1662) gab im Jahre 1654 den Anstoß dazu, indem er sich mit dem Problem der Punktever-
teilung bei Glücksspielen befasste. Er führte dazu einen Briefwechsel mit dem Mathemati-
ker Pierre Fermat. Pascal stellte sich die Frage, wie der Spieleinsatz unter zwei Spielern
aufgeteilt werden soll, wenn das Spiel unterbrochen wird. Der Briefwechsel zwischen den
beiden Mathematikern war maßgebend für das Entstehen der mathematischen Wahr-
scheinlichkeit (Gigerenzer, Swijtink, Porter, Daston, Beatty & Krüger, 1999).
Bekannt wurde auch die Pascalsche Wette, in welcher der Glaube an Gott nicht nur
richtig, sondern ebenso vernünftig sei, denn der/die Gläubige kann nur gewinnen ­ auch
wenn es keinen Gott gibt. Den Überlegungen von Pascal zufolge wartet auf den Gläubi-
gen/die Gläubige der Himmel, auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass
Gott existiert. Wenn man gläubig ist und es keinen Gott gibt, verliert der/die Gläubige
nichts. Jene, die nicht an ihn glauben, würden in alle Ewigkeit verdammt sein, wenn es
Gott wirklich gibt. Folglich ist für Pascal der zu erwartende Gewinn beim Glauben an
Gott stets größer, als beim Unglauben (Gigerenzer, Swijtink et al., 1999).
Beide Schriften von Pascal zeigen die eine mit mathematischen Hintergrund und die
andere philosophischer Natur welche Bedeutung beide Disziplinen für die Entwicklung
der Wahrscheinlichkeit hatten. Einerseits wurde das traditionelle Bild der Gewissheit in
Frage gestellt, andererseits entstand der Versuch, die Mathematik in verschiedenen
Bereichen anzuwenden. Die Überlegungen von Pascal zur Wahrscheinlichkeit sind von
grundlegender Bedeutung für die psychologische Entscheidungsforschung. Obwohl er in
seinen Überlegungen noch nicht den Begriff der Wahrscheinlichkeiten verwendet hat,
sondern von einer Erwartung sprach. Diese Erwartung wurde ,,(...) später als Produkt aus
der Wahrscheinlichkeit P eines Ereignisses und seinem Ergebniswert W bestimmt (...):
PW = E" (Gigerenzer, Swijtink et al., 1999, S. 23).
Bei den Überlegungen von Pascal handelt es sich um Situationen, in der die zu erwar-
tende Konsequenzen unsicher ist.
24

Einen unvergesslichen Beitrag lieferte das St. Petersburg-Paradoxon von Daniel Bernoulli
(17001782) aus dem Jahre 1738 (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Im St. Petersburg-
Paradoxon wird der Wert und die Unsicherheit der Konsequenzen berücksichtigt.
In diesem Paradoxon (Spiel) wird eine faire Münze so oft geworfen, bis sie Kopf zeigt.
Damit ist das Spiel beendet. Zeigt die Münze beim ersten Wurf Kopf, so gewinnt man 2
Mark. Zeigt die Münze beim zweiten Wurf Kopf, so erhält man 4 Mark etc. Der Gewinn
verdoppelt sich solange mit jedem Wurf, bis die Münze Kopf zeigt. Es wird dem/der
TeilnehmerIn folgendes Spiel angeboten:
Der von uns zu zahlende Betrag verdoppelt sich mit jedem weiteren Wurf; Sie
bekommen von uns also 2
n
DM, wenn die Münze erst beim n-ten Wurf Kopf
zeigt (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998, S. 61).
Die Frage, die an TeilnehmerInnen gestellt wird, ist: ,,Wie viel wären Sie zu zahlen bereit,
damit Sie das Spiel spielen dürfen?" (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998, S. 5).
Der/Die SpielerIn kann die Höhe seines/ihres Einsatzes selbst festlegen. Rein rational
gesehen müsste der/die SpielerIn einen hohen Einsatz bieten, da der Erwartungswert in
diesem Spiel unendlich hoch scheint. Personen, denen dieses Spiel angeboten wurde,
setzten paradoxerweise aber höchstens 20 DM. Bernoulli hat im Jahre 1738 eine Erklärung
für dieses Phänomen gefunden. Für ihn entscheiden die SpielerInnen nicht nach dem
statistischen Erwartungswert, sondern nach dem Nutzen, den sie in diesem Spiel erwar-
ten können (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Folgedessen hat Bernoulli die zu
erwartenden Auszahlungen durch eine Nutzenfunktion ersetzt und es wird der Erwar-
tungswert dieser Nutzenwerte gebildet. Es entstand die Entscheidungsregel: ,,Maximiere
den erwarteten Nutzen" (Wiese, 2002, S. 26), die in weiterer Folge als ,,Bernoulli-Prinzip"
(z. B. Wiese, 2002, S. 26) bezeichnet wird.
Für Lopes (1981) hat dieses Paradoxon wenig mit der Unterscheidung zwischen Nutzen
und dem Geldwert zu tun, sondern er sieht die Erklärung in der Spielhäufigkeit. Für ihn
bieten SpielerInnen deswegen nicht mehr Geld an, weil sie das Spiel nicht wiederholt
spielen dürfen. Bernoulli hat sein logarithmisches Modell des erwarteten Nutzen dahinge-
hend verändert, dass der Mensch eine Entscheidung nicht aufgrund des mathematischen
25

Erwartungswert, sondern aufgrund des subjektiven Nutzens trifft. Dies ist der Grund für
die geringe Teilnahme und des niedrigen Einsatzes in diesem Spiel (Jungermann, Pfister
& Fischer, 1998).
Nach Wiese (2002) konnte mit dem Bernoulli-Prinzip nicht erklärt werden, warum der
Erwartungsnutzen ein zweckmäßiges Entscheidungskriterium sein sollte. Diese Frage
konnten erst John von Neumann und Oskar Morgenstern (1953/1961) zufriedenstellend
beantworten. Sie schlugen in ihrem Buch nicht nur eine normative Erwartungsnutzen-
Theorie vor, sondern zeigten auch wie ökonomische Probleme mit der mathematischen
Theorie des Spiels (,,Spiele mit Strategie") (Von Neumann & Morgenstern, 1953/1961, S. 1)
in Einklang gebracht und gelöst werden.
Von Neumann und Morgenstern (1953/1961) haben mit ihrem Konzept den W
ERT
sowie
die E
RWARTUNG
erstmals
SUBJEKTIV
definiert. Es handelt sich hier um die subjektive Erwar-
tungstheorie (,,Subjectively Expected Utility", z. B. Jungermann, Pfister & Fischer, 1998,
S. 199) (SEU), die in Situationen der Unsicherheit (siehe Seite 18) angewendet und in
welcher der subjektiv erwartete Nutzen maximiert wird. Die Theorie der beiden Autoren
basiert auf Grundsätzen von ,,streng formulierten Axiomen eines Spiels" (Von Neumann
& Morgenstern, 1953/1961, S. 73).
Die Axiome wurden im Laufe der Jahre vereinfacht dargestellt. Folgend werden vier
Axiome angeführt, die für die SEU Theorie zentral sind. X, Y, Z stellen Lotterien dar, p ist
die Wahrscheinlichkeit, ~ die Indifferenzrelation und die Präferenzrelation (Junger-
mann, Pfister & Fischer, 1998, S. 203):
(i) Vergleichbarkeit: für alle X, Y gilt entweder X Y oder Y X;
(ii) Transitivität: X Y & Y Z X Z;
(iii) Unabhängigkeit: X ..Y [X, p; Z] [Y, p; Z] {für jedes p und Z};
(iv) Kontinuität: für alle X Y Z existiert ein p derart, daß
Y ~ [X, p; Z, 1-p].
26

Das Axiom der (i) Vergleichbarkeit impliziert, dass der/die EntscheiderIn die Lotterie X
mit der Lotterie Y vergleichen kann. Entweder präferiert er/sie die eine Lotterie oder die
andere (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998, S. 203f.).
Das Axiom der (ii) Transitivität postuliert, dass wenn der/die EntscheiderIn ,,die Lotterie
X gegenüber der Lotterie Y und die Lotterie Y gegenüber der Lotterie Z" (Jungermann,
Pfister & Fischer, 1998, S. 204) vorzieht, dann präferiert er/sie auch ,,die Lotterie X gegen-
über der Lotterie Z" (S. 204). Die Präferenzordnung der Lotterien ist somit transitiv.
Dem (iii) Unabhängigkeitsaxiom liegt die Überlegung zugrunde,
[w]enn zwei Lotterien X und Y identische und gleich wahrscheinliche Konse-
quenzen enthalten, dann spielen diese Konsequenzen für die Wahl keine Rolle
(...): die Wahl zwischen zwei Optionen hängt nur von denjenigen Konsequen-
zen ab, hinsichtlich derer sich die Optionen unterscheiden ­ die gemeinsamen
Konsequenzen werden ignoriert (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998, S. 204).
Das letzte Axiom der (iv) Kontinuität beinhaltet die Annahme, dass
[w]enn einem[einer] Entscheider[In] eine Wahl angeboten wird zwischen einer
Lotterie X, bei der er[sie] von drei möglichen Konsequenzen die beste Konse-
quenz mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit p und die schlechteste
Konsequenz mit der Wahrscheinlichkeit (1-p) erhält, und einer Lotterie Y, bei
der er[sie] die mittlere Konsequenz ganz sicher bekommt, dann läßt sich noch
immer ein Wert für die Wahrscheinlichkeit p finden, bei welcher der[die] Ent-
scheider[In] indifferent ist (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998, S. 204).
Nach Wiese (2002) verhält sich eine Person, die nach den Axiomen eine Entscheidung
trifft, logisch, weil sie den erwartenden Nutzen maximiert.
Die Forschung hat gezeigt, dass Personen bei einer Reihe von Entscheidungsaufgaben
nicht entsprechend der Vorhersage der SEU entscheiden und die Axiome verletzen.
Exemplarisch soll die Verletzung des Unabhängigkeitsaxioms anhand des Allais-Paradox-
ons näher erklärt werden. Allais (1953) belegte anhand des Allais-Paradoxon, dass Perso-
nen das Unabhängigkeitsaxiom verletzen (Eisenführ & Weber, 2003). TeilnehmerInnen
bekommen zwei Lotteriepaare vorgelegt und werden aufgefordert, eine Doppelentschei-
dung durchzuführen.
27

Der Entscheidungsbaum in Abbildung 1 präsentiert die Lotteriepaare. Das Unabhängig-
keitsaxiom postuliert, dass die Präferenz im ersten Paar, a und b, mit der im zweiten Paar,
a' und b', konvergieren muss. Beide Lotterien des ersten Paares wurden mit der dritten
Lotterie (c = (0 Euro, 1) verknüpft, um so das zweite Paar (a' und b') zu bilden.
Es gilt (Eisenführ & Weber, 2003, S. 359f.):
a' = 0,25 a + 0,75 c und b' = 0,25 b + 0,75 c.
Betrachtet man die beiden Lotteriepaare, kann man erkennen, dass das zweite Lotterie-
paar nur eine Transformation von dem ersten Paar ist. Nach dem Unabhängigkeitsaxiom
müsste sich eine Person bei dem ersten Paar für a und im zweiten Paar dann für a'
entscheiden. Beobachtungen zeigen, dass Personen a vor b präferieren, weil ein sicherer
Betrag in der Höhe von EUR 3.000 besser ist, als sich für die Lotterie mit dem Betrag von
EUR 4.000 zu entscheiden, der sich als risikoreich darstellt. Beim zweiten Paar präferieren
Personen b' gegenüber a'. Da sich beide Gewinne als Risiko präsentieren, wird die
Lotterie mit dem höheren Gewinn bevorzugt (Eisenführ & Weber, 2003). Für die Teilneh-
merInnen dürfte es nach dem Unabhängigkeitsaxiom keinen Unterschied machen, welche
Lotterie wie viel Gewinn anbietet und nicht die Entscheidung beeinflussen. Dies ist ein
Widerspruch und zeigt, dass Menschen nicht SEU konform handeln und ihre Risikobe-
reitschaft unterschiedlich ist. Wiese (2002) erklärt dieses Verhalten damit, dass beim ersten
Paar die Wahrscheinlichkeiten und beim zweiten Paar die Gewinne als Entscheidungskri-
terium herangezogen werden.
28
Abbildung 1:
Das Allais-Paradoxon (aus Eisenführ & Weber, 2003, S. 360).

Zu diesem Allais-Paradoxon gibt es zwei alternative Entwürfe: Die Prospect Theorie (PT)
von Kahnehman und Tversky (2003b) und die neuere Prioritätsheuristik (PH) von Brand-
stätter, Gigerenzer und Hertwig (2006).
Kahneman und Tversky (2003b) schlagen eine deskriptive Theorie vor, die ökonomisches
Verhalten beschreibt und erweitern anhand der PT die SEU. Die von den Autoren vorge-
schlagene Theorie beschreibt, wie Personen zukünftige Gewinne und Verluste bewerten.
Der Entscheidungsvorgang wird in zwei Phasen ausgeführt, der Bearbeitung und der
Evaluierung. In der ersten Phase werden die Optionen bearbeitet. Es kommt zu einer
Reorganisation und Reformulierung der Optionen, um eine anschließende Bewertung zu
vereinfachen. Die Optionen werden aufgrund Ähnlichkeiten und Referenzpunkten
gereiht, indem sie mit Werten versehen werden. Zukünftige niedrige Ergebnisse werden
als Verluste gewertet, hohe als Gewinne. Die Option mit dem höchsten zukünftigen
Gewinn wird gewählt (Kahneman & Tversky, 2003b). Bei der PT werden die Wertfunktion
für Verluste anders als für Gewinne angesetzt wird und unterscheidet sich in diesem
Punkt von der SEU.
Brandstätter, Gigerenzer und Hertwig (2006) untersuchten die PH, die nicht wie die SEU,
oder PT auf komplexen Prozessen basiert (Multiplikation, Addition), sondern auf einfa-
chen Vergleichsprozessen aufbaut. PH ist eine Urteilsheuristik die sich aus den selben
Bausteinen wie die Take The Best (TTB) (siehe Seite 61) zusammensetzt und bietet eine
Alternative zu der Annahme, dass Personen, Entscheidungen treffen, indem sie Trade
Offs
12
ansetzen. Die Autoren wollen nicht behaupten, dass der Mensch keine Trade Offs
im Entscheidungsprozess setzt, aber sie wollen verstehen, wann er Trade Offs ansetzt.
Die Ergebnisse aus der Studie 2006 belegen, dass mit PH die Präferenzen von Menschen
besser prognostiziert werden als mit anderen Entscheidungsregeln, obwohl PH dazu
weniger Informationen benötigt, als z. B. bei der SEU.
12 Unter dem Begriff Trade Offs versteht man, dass eine Person bei verschiedenen vorhandenen
Optionen (Zielkonflikt) abwägt, welche Option für sie die bessere ist (Jungermann, Pfister &
Fischer, 1998).
29

In der klassischen Denkweise müssen rationale Entscheidungen den Gesetzen der Logik
oder der Wahrscheinlichkeitstheorie (siehe auch Axiome der SEU Seite 26ff.) folgen und
die dafür notwendigen Merkmale erfüllen. Diese Merkmale werden als ,,coherence crite-
ria" (z. B. Gigerenzer & Todd, S. 22), zu deutsch Kohärenzkriterien, bezeichnet und sind
vergleichbar mit den Axiomen der SEU, die eine menschliche Entscheidung als ein logi-
sches und nachvollziehbares Phänomen beschreiben. Diese Axiome werden aber systema-
tisch verletzt, wie z. B. die Untersuchung des Allais-Paradoxons (siehe Seite 27) oder auch
von Thaler (siehe Seite 33 ) zeigen.
Gigerenzer und Todd (1999) vertreten die Meinung, dass der Mensch in vielen Situationen
nicht die Zeit und Informationen zur Verfügung hat, um eine Entscheidung unter Einhal-
tung der Kohärenzkriterien zu treffen. Vielmehr sind hier die Kriterien der Korrespon-
denz (,,correspondence criteria", S. 22) wie Schnelligkeit und Sparsamkeit in der
Entscheidungsfindung von Bedeutung. Das Kriterium der Korrespondenz beschreibt,
dass mit einfachen Entscheidungsregeln schnell auf die vorhandene Umweltsituation
reagiert wird und mit dieser Vorgehensweise ebenso eine korrekte Entscheidung treffen
kann. Zudem ist es auch nicht notwendig, alle Informationen zu prüfen um eine korrekte
Entscheidungen zu treffen.
Es gäbe noch zahlreiche Annahmen in der Philosophie und Mathematik, die für Psycho-
logInnen der Entscheidungsforschung weitreichende Denkanstöße zur Folge hatten.
Gigerenzer, Swijtink et al. (1999) behaupten sogar, dass alles, was mit Statistik und Mathe-
matik in Berührung kommt, sein Wesen vollständig verändert.
Doch nicht nur Philosophie, Mathematik und Statistik, sondern auch die Disziplin der
Ökonomie steuerte bedeutende Beiträge zur Entwicklung der psychologischen Entschei-
dungsforschung bei. Im nächsten Kapitel werden das Modell des Homo Oeconomicus,
welches eine essenzielle Rolle in der Mikroökonomie spielt und das Modell der begrenz-
ten Rationalität und der Satisficingregel von Simon (1983/1993; 1957; 1955), das die
Grundlage der heuristischen Ansätze bildet, vorgestellt.
30

5.2 Rationalitätskonzepte
Theorien des rationalen Handelns (Rational Choice Theory) postulieren, dass der Mensch
eine ökonomische Entscheidung trifft, ,,indem er eine gründliche Kosten-Nutzen-Rech-
nung anstellt und sich dabei vom Prinzip der Gewinn-Maximierung leiten lässt" (Roth,
2007, S. 111). Doch scheint dieses Modell den Anforderungen des menschlichen Alltags
nicht standzuhalten, da aufgrund von Wissensdefiziten, Rechen-, und Zeitbegrenzungen
der Rational Choice Theorie Grenzen gesetzt werden. Das Rationalitätskonzept von
Simon (1983/1993; 1957) bietet hier einen plausibleren Erklärungsansatz des menschlichen
Entscheidungsverhaltens (Roth, 2007). In den nächsten zwei Kapiteln werden unter-
schiedliche Rationalitätskonzepte beschrieben.
5.2.1 Homo Oeconomicus
Viele wissenschaftlichen Untersuchungen in der Ökonomie implizieren ein idealisiertes
Menschenbild, das als Homo Oeconomicus bezeichnet wird. Das Postulat des Homo
Oeconomicus ist ein Modell, das auf den Überlegungen der Rational Choice-Theorie
aufbaut (Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Er dient dem allgemeinen Wohl und
verknüpft die ,,utilitaristische Philosophie" mit der ,,politische[n] Ökonomie" (Junger-
mann, Pfister & Fischer, 1998, S. 4).
Der Homo Oeconomicus ist ein fiktives Individuum, das egoistisch ein bestimmtes Ziel
verfolgt, um den persönlichen Nutzen zu maximieren (Kirchler, 2003). Der Homo Oecono-
micus, ein Modell aus der Mikroökonomie, wird auch als ,,Wirtschaftssubjekt", ,,Konsu-
ment" und ,,Produzent" (Kirchgässner, 2000, S. 65) bezeichnet, dem Preise, Qualität,
Konsequenzen etc. -- alles was der Mensch für eine rationelle Entscheidung benötigt ­ zur
Verfügung stehen. Ebenso hat er die Fähigkeit, große Kapazitäten von Informationen zu
verarbeiten und anschließend vernünftig zu handeln (Kirchgässner, 2000; Kirchler, 2003).
31

Das Verhalten des Homo Oeconomicus ist konsistent auf Axiomen. AutorInnen in der
Ökonomie verwenden unterschiedliche Axiome, die das Optimierungsverhalten des
Homo Oeconomicus ausmachen (Kirchler, 2003).
Die Ökonomen Gravelle und Rees (1981) führen in ihrer ,,Theory of the Consumer" (S. 55)
die Axiomen (i) ,,Completeness" (S. 56), (ii) ,,Transitivity" (S. 57) und (iii) ,,Reflexivity"
(S. 57) an, die das rationale Verhalten eines perfekten Wirtschaftssubjektes beschreiben.
Diese drei erwähnten Axiome werden am häufigsten von ÖkonomInnen herangezogen
und sind denen der SEU Theorie ähnlich.
13
Das erste Axiom (i) Completeness (Axiom der vollständigen Ordnung, Vollständigkeit)
fordert eine Vergleichbarkeit mit allen Optionen. Der/Die EntscheiderIn sucht sich die
Option aus, die seiner/ihrer Meinung nach bei gegebenen Kosten den höchsten subjekti-
ven Gewinn erbringt. Um so vorgehen zu können, müssen ihm/ihr die Charakteristika der
Optionen bekannt sein, die folgend bewertet und gegenübergestellt werden. Der/Die
EntscheiderIn hat hier eine klar definierte Präferenzordnung zwischen den angebotenen
Optionen gebildet (Eisenführ & Weber, 2003; Wiese, 2002; Gravelle & Rees, 1981).
Das Axiom (ii) Transitivity (Transivität) (siehe auch Seite 27) postuliert, dass Individuen
die Optionen in eine konstante Rangordnung bringen können und ihre Präferenzen sich
nicht beliebig ändern. Transivität meint in diesem Kontext, dass der/die EntscheiderIn
somit eine klare Ordnung der Präferenzen hat und diese nicht ändert (Kirchler, 2003).
Das Axiom (iii) Reflexivity (Reflexivität) fordert, dass jede Option im Wert sich selbst
entsprechen muss. Folglich muss Option a die Gültigkeit a = a besitzen (Kirchler, 2003,
Gravelle & Rees, 1981).
Gemäß dieser Axiome präferiert das Individuum einzelne Optionen, kann sie in eine
Reihenfolge bringen und ist indifferent (unentschieden) gegenüber Optionen mit glei-
chem Nutzen aus unterschiedlichen Güterkombinationen.
13 Nach Gravelle und Rees (1981) basiert das Entscheidungsverhalten des Homo Oeconomicus auf
weiteren Axiomen wie z. B. das Axiom der ,,Non-Satiation", auch Nichtsättigungs-Axiom (S. 58)
oder ,,Strict-Convexity" (S. 59), auch Konvexität genannt, die hier aus Platzgründen nicht näher
erläutert werden.
32

Das Individuum, das alle angeführten Voraussetzungen erfüllt, stellt den Inbegriff für das
ökonomische Entscheidungsmodell dar, den Homo Oeconomicus, der auf der Grundan-
nahme der Rationalität und Nutzenmaximierung basiert (Kirchler, 2003). Dies entspricht
dem Zweck der SEU Theorie (siehe Seite 26), in welcher eine Person nur dann ihren
Nutzen maximiert, wenn alle Axiome erfüllt sind. Die Axiome des Homo Oeconomicus
sind logisch und nachvollziehbar, was auch die Axiome der SEU Theorie zeigen, und
entsprechen daher dem Kohärenzkriterium (Gigerenzer & Todd, 1999) (siehe Seite 30).
Die Annahme der Rational Choice Theorie sowie das Modell des Homo Oeconomicus
wurden vielfach kritisiert.
Thaler (1980, S. 58) kritisiert das ökonomische Modell und bezeichnet es als ,,a model of
robot-like experts". Er entdeckte den ,,Endowment-Effect" (Besitztumseffekt) (S. 43).
Der Besitztumseffekt beinhaltet die These, dass ein Gegenstand, ein Produkt etc. von einer
Person als wertvoller wahrgenommen wird, wenn er ihn selber besitzt. Thaler (1980)
stellte fest, dass es einen Unterschied macht, ob eine Person einen Gegenstand oder
Produkt kaufen oder verkaufen will. Demzufolge ist eine Person eher bereit, mehr Geld
für einen bestimmten Gegenstand zu verlangen, als er/sie selbst bereit wäre, dafür zu
bezahlen. Nach der rationalen Entscheidungstheorie dürfte der Umstand Besitz oder
Nicht-Besitz keinen Einfluss auf den Prozess ausüben.
Arrow (1986) stellt sich zurecht die Frage ,,But if all individuals are alike, why do they not
make the same choice? Why do we observe a dispersion?" (S. 389). Warum entscheidet
sich dann der eine Mensch für dieses und ein anderer Mensch für ein anderes Produkt?
Jeder Mensch hat andere Erfahrungswerte und unterscheidet sich auch bei der Auswahl
von Produkten, weil die Vorstellungen, Assoziationen und Geschmäcker verschiedenartig
sind. Entscheidungen stellen sich somit als komplex und schwer entwirrbar dar. Nach
Arrow (1986) stellt der Homo Oeconomicus eine/n homogene/n Agenten/Agentin dar,
der/die sich in seinem/ihrem Handeln nicht ändert, obwohl die Produkte und Preise
ständig Veränderungen unterliegen. Analog dazu dürfte es aufgrund dieses Modells unter
diesen Bedingungen keinen Handel mehr geben, weil alle MartkteilnehmerInnen den
gleichen Informationsstand besitzen: ,,(...) identical individuals do not trade" (S. 396).
33

Für PsychologInnen beschreibt das Modell des perfekten Wirtschaftssubjektes eine ,,inad-
äquate, karikaturhafte Darstellung" (Kirchler, 2003, S. 11) eines Menschen. Psycholog-
Innen beweisen, dass eine Entscheidungssituation komplexer ist, als dies die Annahme
der rationalen Theorie postuliert. Das Entscheidungsverhalten kann nicht erfolgver-
sprechend untersucht werden, indem Entscheidungsverhalten auf wenige Elemente
reduziert wird. Psychische Elemente, Stress, Zeitmangel etc., die eine reale Entschei-
dungssituation mitunter begleiten, werden einfach vernachlässigt (Manz, Dahmen &
Hoffmann, 2003 ).
Außerdem versagt die Rational Choice-Theorie, wenn der Mensch in einer Entschei-
dungssituation auf Erfahrungen zurückgreift, Geschmack ins Spiel kommt und Emotio-
nen den Prozess begleiten. In der Konsumentenforschung kommen noch weitere
Eigenschaften hinzu ­ z. B. wird die Umwelt durch die Produktion eines Gutes
verschmutzt oder Tiere werden gequält, um das Produkt herzustellen ­ die ein Produkt
für bestimmte KonsumentInnen unattraktiv machen (Bettman, Luce & Payne, 1998).
Der Homo Oeconomicus wurde nicht nur kritisiert, sondern hat WissenschaftlerInnen
dazu animiert, ein Modell zu entwerfen, das die eben angeführten Kritiken der Autor-
Innen berücksichtigt. Im nächsten Kapitel wird unter anderem auf das Postulat von Simon
(1983/1993; 1957; 1955) eingegangen, der eine Reinterpretation der Rationalität entwarf.
5.2.2 Bounded Rationality
Simon (1983/1993) kritisiert die Vorstellung des Homo Oeconomicus folgendermaßen:
Aufgrund dieser Theorie müsste ,,[e]r [der Mensch] (...) die ganze Skala der verschie-
denen Möglichkeiten, die ihm offenstehen, vor Augen [haben], nicht nur für diesen
Moment, sondern für alle Zukunft" (S. 23).
Außerdem untersuchen die ÖkonomInnen mehr das Umfeld einer Entscheidungs-
situation als den Menschen, der die Entscheidung ausführt. ÖkonomInnen gehen von
einem homogenen Menschen aus, bei dem sich nur die Umwelt ändert (Simon, 1990).
34

Simon (1983/1993, 1957) konzipierte aufgrund dieser Überlegungen das Modell der Boun-
ded Rationality (begrenzte Rationalität). Im Zentrum seines Modells steht hier die
menschliche Rationalität, die er als begrenzte Rationalität entwarf. Dementsprechend
können Individuen nicht alle Informationen hinzuziehen, um rationale Entscheidungen
zu treffen. Das Individuum nimmt daher jene Informationen zur Entscheidungsfindung,
die ihm zur Verfügung stehen und die es verarbeiten kann (Simon, 1957):
The capacity of the human mind for formulating and solving complex pro-
blems is very small compared with the size of the problems whose solution is
required for objectively rational behavior in the real world ­ or even for a rea-
sonable approximation to such objective rationality. (S. 198)
Die psychologischen WissenschaftlerInnen im Bereich der Entscheidungsforschung unter-
suchen nicht nur das rationale Verhalten sowie ihre KollegInnen der Ökonomie, sondern
auch das irrationale Verhalten (Simon, 1986):
Economics has almost uniformly treated human behavior as rational. Psycho-
logy, on the other hand, has always been concerned with both the irrational
and rational aspects of behavior. (S. 209)
Nach Simon (1986) liegt der Unterschied bei PsychologInnen und ÖkonomInnen in der
Definition des Begriffes Rationalität. Wichtig dabei ist, was unter dem Begriff Rationalität
verstanden wird und nicht die Diskussion über den Begriff Rationalität selbst. Nach dem
Modell von Simon (1986) ist der Mensch in der Lage, rational zu handeln, auch wenn er
dabei die Axiome der Rationalität verletzt. Subjektiv betrachtet entscheidet das Indivi-
duum rational, obwohl die gleiche Entscheidung objektiv gesehen oft irrational erscheint.
Ein theoretischer Ansatz, den Simon (1955) einführte, ist die Satisficingregel. Dieser Ansatz
postuliert, dass der/die EntscheiderIn nur so lange nach einer Option sucht, bis er/sie die
Option gefunden hat, die seinen/ihren minimalen Anforderungen (Anspruchsniveau)
genügt. Die Person wählt die erste Option, die das Anspruchsniveau erfüllt. Satisficing ist
somit eine simple Strategie, die nicht ­ wie die SEU-Theorie ­ nach der optimalen Entschei-
dung sucht. Im Zentrum steht die Wahl der erstbesten Option, mit der ein subjektiv zufrie-
denstellendes Ergebnis erzielt wird, und nicht die Suche nach dem Besten.
35

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836634618
DOI
10.3239/9783836634618
Dateigröße
3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt – Psychologie
Erscheinungsdatum
2009 (August)
Note
1,0
Schlagworte
heuristik bauchentscheidung faustregel entscheidung mouselab
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Titel: Anciennitätsheuristik - Ist das Ältere das Bessere?
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