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Rechtschreibkompetenzen und -schwierigkeiten von Schülern der Sekundarstufe I und ihre schulischen Ursachen am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung

©2009 Examensarbeit 110 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In der vorliegenden schriftlichen Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung sollen die Rechtschreibkompetenzen und –schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I und ihre schulischen Ursachen am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung untersucht werden. Im Rahmen der Arbeit wurde eine empirische Untersuchung an Schülern der 6. Jahrgangsstufe des Gymnasiums Georgianum in Vreden durchgeführt.
Orthographische Kompetenzen sind auch heute noch im Zeitalter der Computer und Handys von enormer Wichtigkeit, denn nicht nur Vertreter der Industrie und Wirtschaft legen großen Wert auf korrekten Schriftgebrauch, auch im Privatleben, im Studium und letztlich natürlich in der Schule ist es unabdingbar orthographisch korrekt zu schreiben sollten. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass Kinder möglichst früh, möglichst richtig schreiben. Diese Aufgabe fällt natürlich in den Bereich der Schule, aber dennoch lernen nicht alle Kinder die Orthographie richtig zu verwenden.
Aufgrund des vorgegebenen Umfangs kann im Rahmen dieser Arbeit nur auf einen bestimmten Aspekt eingegangen werden, schwerpunktmäßig wird die Groß- und Kleinschreibung behandelt, denn diese ist erfahrungsgemäß ein besonders sensibles Thema und führt zu vielen Fehlern bei Menschen jeglichen Alters. Dass die Groß- und Kleinschreibung besonders Schülern der Sekundarstufe I Schwierigkeiten bereitet, konnte ich in zahlreichen Praktika beobachten. Auch in Gesprächen mit Deutschlehrern oder anderen Studenten wurde deutlich, dass dieses Thema sehr viele Menschen, besonders nach der Orthographiereform von 1996, verunsichert und beschäftigt. Aus diesem Grund scheint es lohnenswert und sinnvoll sich mit dem Thema der Groß- und Kleinschreibung näher zu beschäftigen und auch zu untersuchen, warum wohl viele Kinder Schwierigkeiten in diesem Bereich der Orthographie haben.
Gang der Untersuchung:
Nach einer kurzen Einführung in das Thema wird der aktuelle Forschungsstand beschrieben. Explizit werden die Regeln der Groß- und Kleinschreibung im Deutschen behandelt. Dabei geht es einerseits um die amtliche Regelung, andererseits werden sprachwissenschaftliche Ansätze gegenübergestellt. Des Weiteren wird die Rechtschreibreform von 1996 erläutert und der Frage nachgegangen, warum es im Deutschen überhaupt die Substantivgroßschreibung gibt. In einem nächsten Punkt wird der Orthographieerwerb am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung beschrieben. Es folgt der empirische […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Martina Nagenborg
Rechtschreibkompetenzen und -schwierigkeiten von Schülern der Sekundarstufe I und
ihre schulischen Ursachen am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung
ISBN: 978-3-8366-3131-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland,
Staatsexamensarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung... 3
2
Hinführung zum Thema... 6
2.1
Fehlende orthographische Fähigkeiten von Schülern in der öffentlichen
Diskussion... 6
2.2
Die Regeln der Groß- und Kleinschreibung im Deutschen ... 7
2.2.1 Normen und Reformen ... 11
2.2.2 Zur Notwendigkeit der satzinternen Großschreibung... 14
2.3
Der Orthographieerwerb am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung ... 16
2.4
Beispiele aus Schulbüchern ... 24
3 Empirische
Untersuchung... 31
3.1
Ziele und Methoden ... 31
3.1.1 Arbeitshypothesen... 33
3.1.2 Zeitraum der Beobachtungen und Versuchpersonen ... 33
3.1.3 Durchführung der Untersuchung ... 34
3.2 Ergebnisse
der
Untersuchungsgruppe... 35
3.2.1 Fehlerzahlen der guten Rechtschreiber... 38
3.2.2 Fehlerzahlen der durchschnittlichen Rechtschreiber ... 40
3.2.3 Fehlerzahlen der schwachen Rechtschreiber ... 42
3.2.4 Ergebnisse
im
Vergleich... 44
3.3
Begründungsmuster der Schüler... 45
3.3.1 Automatisierungen... 46
3.3.2 Explizites
Regelwissen ... 49
3.3.3 Falsch angewandte Regeln... 51
3.3.4 Personinterne
Zweifelsfälle ... 54
3.3.5 Resignative
Stellungnahmen... 56
3.4 Diskussion... 57
4 Didaktische
Konsequenzen... 60
5 Zusammenfassung... 63
6 Schluss ... 65
Quellenverzeichnis... 66
Anhang... 70

Einleitung
- 3 -
1
Einleitung
In der vorliegenden schriftlichen Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung
sollen die Rechtschreibkompetenzen und ­schwierigkeiten von Schülerinnen und
Schülern
1
der Sekundarstufe I und ihre schulischen Ursachen am Beispiel der
Groß- und Kleinschreibung untersucht werden. Im Rahmen der Arbeit wurde eine
empirische Untersuchung an Schülern der 6. Jahrgangsstufe des Gymnasiums
Georgianum in Vreden durchgeführt.
2
Orthographische Kompetenzen sind auch heute noch im Zeitalter der Computer
und Handys von enormer Wichtigkeit, denn nicht nur Vertreter der Industrie und
Wirtschaft legen großen Wert auf korrekten Schriftgebrauch, auch im Privatleben,
im Studium und letztlich natürlich in der Schule ist es unabdingbar orthogra-
phisch korrekt zu schreiben sollten. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass Kin-
der möglichst früh, möglichst richtig schreiben. Diese Aufgabe fällt natürlich in
den Bereich der Schule, aber dennoch lernen nicht alle Kinder die Orthographie
richtig zu verwenden.
Aufgrund des vorgegebenen Umfangs kann im Rahmen dieser Arbeit nur auf ei-
nen bestimmten Aspekt eingegangen werden, schwerpunktmäßig wird die Groß-
und Kleinschreibung behandelt, denn diese ist erfahrungsgemäß ein besonders
sensibles Thema und führt zu vielen Fehlern bei Menschen jeglichen Alters. Dass
die Groß- und Kleinschreibung besonders Schülern der Sekundarstufe I Schwie-
rigkeiten bereitet, konnte ich in zahlreichen Praktika beobachten. Auch in Gesprä-
chen mit Deutschlehrern oder anderen Studenten wurde deutlich, dass dieses
Thema sehr viele Menschen, besonders nach der Orthographiereform von 1996,
verunsichert und beschäftigt. Aus diesem Grund scheint es lohnenswert und sinn-
voll sich mit dem Thema der Groß- und Kleinschreibung näher zu beschäftigen
und auch zu untersuchen, warum wohl viele Kinder Schwierigkeiten in diesem
Bereich der Orthographie haben.
Nach einer kurzen Einführung in das Thema wird der aktuelle Forschungsstand
beschrieben. Explizit werden die Regeln der Groß- und Kleinschreibung im Deut-
1
Im Folgenden wird der Einfachheit halber stets das generische Maskulinum verwendet.
2
An dieser Stelle möchte ich mich für die hervorragende Unterstützung des Schulleiters, Herrn
Bernd Telgmann, der Deutschlehrerin der betreffenden Klassen Frau Sina Schulz und natürlich bei
den Kindern bedanken. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen, die Arbeit in dieser Weise zu
gestalten.

Einleitung
- 4 -
schen behandelt. Dabei geht es einerseits um die amtliche Regelung, andererseits
werden sprachwissenschaftliche Ansätze gegenübergestellt. Des Weiteren wird
die Rechtschreibreform von 1996 erläutert und der Frage nachgegangen, warum
es im Deutschen überhaupt die Substantivgroßschreibung gibt. In einem nächsten
Punkt wird der Orthographieerwerb am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung
beschrieben. Es folgt der empirische Teil, der den Hauptumfang der Arbeit aus-
macht. Zunächst werden dabei die Ziele und das methodische Vorgehen skizziert.
Im Anschluss daran werden die Ergebnisse aufgefächert, analysiert und ausgewer-
tet, wobei die möglichen Konsequenzen diskutiert und erörtert werden. Nach ei-
ner kurzen Zusammenfassung werden im Schlussteil die Ergebnisse im Hinblick
auf die Fragestellung beantwortet und es wird ein Ausblick gegeben.
49 Diktate, die in zwei 6. Klassen geschrieben wurden, bilden die Grundlage der
Untersuchung. Aufgrund der recht kleinen Versuchsgruppe kann es aber nicht
Anliegen sein, allgemeingültige Aussagen über rechtschreibstarke und recht-
schreibschwache Schüler zu treffen. Mit Hilfe der Diktate und der anschließenden
Interviews,
3
von als besonders gut oder schlecht ausgewiesenen Kindern,
4
soll
jedoch versucht werden, eine kleine Zahl von Schülern zu porträtieren und die
orthographischen Kompetenzen und Schwächen darzustellen und zu beschreiben.
Mir geht es darum festzustellen, wie sich die Fehlerzahl in Bezug auf die Groß-
und Kleinschreibung verhält. Dabei wird es interessant sein festzustellen, welche
Wortkategorien zu wie vielen Fehlern führen, aber auch, worin sich die recht-
schreibstärkeren von den rechtschreibschwächeren Schülern unterscheiden. Um
zu ergründen, welche orthographischen Kenntnisse die Schüler bezüglich der
Groß- und Kleinschreibung haben und wie sie sowohl richtige, als auch falsche
Schreibungen begründen, habe ich Interviews mit einigen ausgewählten Lernern
geführt. Dabei wurden verstärkt rechtschreibstärkere und rechtschreibschwächere
Kinder befragt, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Die Interviews
sollen zudem Aufschluss darüber geben, ob die Schüler Regeln aus dem Unter-
richt zur Groß- und Kleinschreibung anwenden, ob sie vielleicht gar nicht mehr
darüber nachdenken, also der Vorgang schon automatisiert ist oder ob sie falsches
oder gar kein Regelwissen diesbezüglich besitzen. Dabei wird davon ausgegan-
3
Die Aufnahmen und vollständigen Transkripte sind der Arbeit in Form mehrerer CDs als Anhang
beigefügt.
4
Die Namen der an der Untersuchung beteiligten Kinder sind anonymisiert.

Einleitung
- 5 -
gen, dass sich die Antworten der Kinder unterscheiden. Die guten Rechtschreiber
werden, so die Hypothese, andere Begründungsmuster liefern als die schlechten.

Hinführung zum Thema
- 6 -
2
Hinführung zum Thema
2.1
Fehlende orthographische Fähigkeiten von Schülern in der
öffentlichen Diskussion
Seit einigen Jahren ist der Lehrstellenmangel ein großes Thema in der öffentli-
chen Diskussion. Sogar die Bundeskanzlerin nahm sich dieses Problems an und
versprach dafür zu sorgen, dass möglichst alle Schulabgänger einen Ausbildungs-
platz in Anspruch nehmen können. Die Vertreter der Industrie boten daraufhin
zwar mehr Lehrstellen an, dennoch blieben viele unbesetzt, weil über schulische
Defizite geklagt wurde. ,,Eine Umfrage der Zeitung ,Die Welt' unter 7500 Firmen
hatte ergeben, dass im Jahr 2005 zwölf Prozent der Unternehmen nicht alle Lehr-
stellen besetzen konnte, weil die schulischen Leistungen der Bewerber nicht aus-
reichten. Die Interessenten hätten sowohl sprachliche Defizite als auch Probleme
mit dem Rechnen gehabt."
5
Auch in der Deutschdidaktik nimmt man das Problem
wahr und stellt fest, dass ein ,,Hauptgrund für abgelehnte Bewerbungen [...] die
schlechten Rechtschreibkenntnisse der Schulabgänger" sind (Aden, 2001, S.3).
Aber wie kommt es dazu und warum wird es als so wichtig angesehen orthogra-
phisch korrekt zu schreiben? Warum herrscht in der Öffentlichkeit Konsens dar-
über, dass ein sicherer Umgang mit der Orthographie wichtig ist? Um dies zu er-
gründen lohnt sich ein Blick auf unsere Gesellschaft. Seit Jahrhunderten leben wir
nun schon in einer literalen Gesellschaft, in der der größte Teil der Menschen le-
sen und schreiben kann. Unsere Schrifttradition ist demnach sehr gefestigt. Seit
dieser Zeit stabilisiert und fixiert sie unsere Sprache. Die Schrift ist also das Mit-
tel der Sprachstandardisierung und Normierung. Keinesfalls ist sie aber lediglich
ein Abbild der mündlichen Sprache. Dies war bis vor wenigen Jahren die Sicht-
weise der Sprachwissenschaft. Nur allmählich und zögerlich befasste man sich
mit der Schriftsprache als Forschungsgegenstand.
Schreiben heißt, sich an orthographische Normen zu halten, wobei die Orthogra-
phie uns die Eindeutigkeit lehrt. Notwendig ist die Eindeutigkeit deshalb, weil
sich in der schriftlichen Sprache, im Gegensatz zur mündlichen, Sender und Emp-
fänger nicht im selben Raum befinden und somit Verständnisfragen nicht möglich
sind. Da unser Sprachbewusstsein schriftorientiert ist (vgl. Bredel, 2007, S.138),
5
URL: www.wissen.de, vollständige URL siehe Quellenverzeichnis

Hinführung zum Thema
- 7 -
werden uns die sprachlichen Veränderungen zuerst in der Schrift bewusst. Dabei
ist die Gesellschaft besonders sensibel, wenn Veränderungen im Schriftbild auf-
treten. Dies kann durch eine Rechtschreibreform, wie sie 1996 eingeführt wurde,
oder auch durch orthographische Fehler hervorgerufen werden. Wenn Orthogra-
phiefehler dann auch noch gehäuft auftreten, wie das die Vertreter der Industrie
bei vielen Bewerbern kritisieren, ist einerseits die Eindeutigkeit des Geschriebe-
nen nicht mehr gewährleistet und andererseits wird die Systemhaftigkeit des
Schriftsystems untergraben. Tophinke drückt dies im Folgenden so aus: ,,Schrift-
lichkeit spielt als Medium der Speicherung und Kommunikation von Inhalten ­
auch im Internet - eine wichtige Rolle, und die Partizipation an den schriftlichen
Kommunikationsprozessen sowie die Nutzung der schriftlichen Informations- und
Unterhaltungsangebote verlangt orthographische Kompetenz" (Tophinke, 2007,
S.114). Wenn diese jedoch nicht gegeben ist, sind die Schuldigen in der öffentli-
chen Diskussion schnell gefunden ­ die Lehrer. Ihnen wird oftmals vorgeworfen
bei der Vermittlung der Rechtschreibung versagt zu haben. Auf Lernern, die im
Bereich der Orthographie viele Fehler machen, lastet aber nicht allein der Makel
nicht normgerecht schreiben zu können, auch ihre Auffassungsgabe ist dadurch
beeinträchtigt. Ein ,,schnelles Erfassen des Inhalts eines schriftlichen Textes setzt
die Fähigkeit zum Abrufen orthographischer Schemata voraus, über die das Wort
und damit die Bedeutung zugänglich wird. Diese Schemata werden als Teil des
orthographischen Wissens im Schrift- und Orthographieerwerb aufgebaut"
(Tophinke, 2007, S.114). Tatsache ist, dass viele Schüler im Bereich der Ortho-
graphie Schwierigkeiten haben und die Groß- und Kleinschreibung dabei beson-
ders hervorsticht. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll und lohnenswert diesen
Bereich näher zu betrachten.
2.2
Die Regeln der Groß- und Kleinschreibung im Deutschen
Die Wortschreibung im Deutschen umfasst die Schreibung von Wörtern innerhalb
syntaktischer Einheiten, wie zum Beispiel Phrasen oder Sätzen, denn die graphe-
matische Form sagt beispielsweise noch nichts darüber aus, ob ein Wort mit Mi-
nuskel oder Majuskel geschrieben wird. Die im deutschen Sprachraum gültige

Hinführung zum Thema
- 8 -
Orthographie ist durch staatliche Verordnungen in einem amtlichen Regelwerk
6
festegelegt. Diese Verordnung gilt in allen Bereichen, in denen der Staat Rege-
lungskompetenz hat, wie beispielsweise in Schulen und Behörden.
Zur Wortschreibung gehört also auch die Groß- und Kleinschreibung. Dabei ist
aber allein die Großschreibung regelungsbedürftig, da die Kleinschreibung der
Normalfall ist. Nach Maas wird durch spezielle Regeln zur Kleinschreibung in der
amtlichen Regelung zur Orthographie dies nur unnötig verkompliziert (vgl. Maas,
1992, S.172). In § 56 des amtlichen Regelwerks heißt es beispielsweise: ,,Klein
schreibt man Wörter, die formgleich als Substantive vorkommen, aber selbst kei-
ne substantivischen Merkmale aufweisen." Damit sind Wörter, die vorwiegend
prädikativ gebraucht werden (angst, bange) oder auch Adverbien, Präpositionen,
Konjunktionen auf ­s und ­ens (abends, donnerstags, mangels) gemeint. Auch
Sprachwissenschaftler entwerfen einen ganzen Katalog zu Regeln der Klein-
schreibung (vgl. Ewald, Nerius, 1988). Ganz allgemein dient die Großschreibung
im Deutschen der Kennzeichnung von Überschriften, von Werktiteln, Satzanfän-
gen, Substantiven, Eigennamen mit nichtsubstantivischen Bestandteilen (zum
Beispiel der Alte Fritz), bestimmten Wortgruppen mit nichtsubstantivischen An-
teilen (beispielsweise der Hundertjährige Krieg) und Anredepronomina (vgl.
Dürscheid, 2006, S.144)
7
. Die Großschreibung im Wortinneren ist dabei aber
nicht zulässig.
8
In der amtlichen Regelung haben wir die einfache Formulierung:
,,Substantive schreibt man groß." (§ 55) Es wird dabei also auf die Wortart Bezug
genommen, wobei noch eine semantische Definition als Ergänzung folgt: ,,Sub-
stantive dienen der Bezeichnung von Gegenständen, Lebewesen und abstrakten
Begriffen." Dürscheid geht dabei etwas genauer vor und legt für ein Substantiv
folgende Kriterien fest (vgl. 2006, S.144):
Das Substantiv ist:
a)
deklinierbar
b)
im Genus festgelegt
c)
mit einem Artikel, Adjektiv oder Zahlwort kombinierbar
d)
auf Gegenständliches oder auf Gedachtes bezogen
6
Die vollständige Version der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung ist u.a. im
Duden, Band 1: Die deutsche Rechtschreibung ab Seite 1161 zu finden.
7
Im Rahmen dieser Arbeit ist aber ausschließlich die satzinterne Großschreibung von Interesse.
Der Vollständigkeit halber werden aber alle Großschreibungen aufgezählt.
8
In der Werbung kommt dies gelegentlich trotzdem vor, wie das Beispiel der Deutschen Bahn
zeigt. Diese wirbt um Kunden mit einer ,,BahnCard".

Hinführung zum Thema
- 9 -
e)
polyfunktional
9
Fuhrhop unterscheidet in ihren Ausführungen zwischen der lexikalischen Seite
eines Substantivs und der syntaktischen. Dabei geht sie von der so genannten Pro-
totypentheorie aus. Es wird behauptet, dass ein prototypisches Substantiv be-
stimmte Merkmale hat. ,,Diese Merkmale haben einerseits etwas mit der lexikali-
schen Seite zu tun, andererseits mit der syntaktischen, hier insbesondere mit der
Verwendung in einer konkreten (syntaktischen) Umgebung" (Fuhrhop, 2006,
S.43). Prototypische Substantive haben die oben genannten Eigenschaften, weni-
ger prototypische haben einige dieser Eigenschaften nicht. Die lexikalisch-
morphologische Substantivbestimmung kann so erfolgen, dass ein bestimmtes
Wort im Lexikon nachgeschlagen wird und es dort explizit als Substantiv aufge-
führt wird. Dies ist bei Abstrakta und Konkreta der Fall, denn sie referieren auf
etwas, das heißt sie bezeichnen etwas und sind im Wörterbuch zu finden. Substan-
tive, die im Lexikon zu finden sind, flektieren auch nach Kasus und Numerus und
sind im Genus festgelegt. Die syntaktische Substantivbestimmung ist nun die
zweite Sichtweise, denn der Bezug auf die Wortart bei der Groß- und Klein-
schreibung ist überaus umstritten.
10
Eisenberg (1981) und Maas (1992) haben dies
in ihren Ausführungen erläutert und eine Neukonzeption der Großschreibung aus-
differenziert. Zahlreiche Grammatikforscher schlossen sich ihren Thesen an (so
auch Dürscheid und Fuhrhop). Sie sind der Ansicht, dass es bei der satzinternen
Großschreibung nicht darum gehen kann eine Wortart zu kennzeichnen, wie es
die amtliche Regelung sagt, sondern es würde vielmehr das Wort, das im Satz als
Kern einer nominalen Gruppe fungiert, gekennzeichnet (vgl. Maas, 1992, S.156).
Man kann also auch sagen: ,,Der Kern jeder nominalen Gruppe im Satz wird mit
einem initialen Großbuchstaben markiert" (Maas, 1992, S.161). Dies ist aber nur
dann gültig, wenn die Regel auf Wörter bezogen wird, die in expandierbaren No-
minalgruppen stehen. Anders formuliert ist ein nominales Element in syntakti-
scher Hinsicht nur dann Kern einer nominalen Gruppe, wenn es expandierbar ist.
Die Großschreibung im Satzinnern wird also nicht auf die Wortart festgelegt,
9
Polyfunktional meint, dass ein Substantiv mit Ausnahme des Prädikats jede beliebige Satzglied-
funktion übernehmen kann.
10
Nerius ist beispielsweise ein Verfechter des semantischen Zugriffs. Er erläutert, dass für die
Groß- und Kleinschreibung das lexikalische Prinzip prägend sei, denn die zugrunde liegende
Wortarteneinteilung sei Klassifikationsprinzip auf der lexikalischen Ebene. So könne die Groß-
schreibung der Wortart der Substantive als formales Merkmal einer bestimmten lexikalischen
Klasse mit gemeinsamer kategorialer Bedeutung angesehen werden. (Nerius u.a., 2000. S.161)

Hinführung zum Thema
- 10 -
sondern der Kern einer Nominalgruppe wird mit einer Majuskel markiert. Das
Substantiv fungiert dementsprechend als Kern der Nominalgruppe. Die Groß-
schreibung wird somit nicht an lexikalische, sondern an syntaktische Eigenschaf-
ten eines Ausdrucks gebunden. ,,Die Substantivgroßschreibung ist die eigentliche
Domäne der Grammatik, denn Substantiv ist eine grammatische Kategorie, ge-
nauer: eine syntaktische" (Eisenberg, 1998, S.343). Mit Hilfe der Umstellprobe
lässt sich leicht die Nominalgruppe, also auch das Substantiv herausfinden.
Ein Beispiel:
Dem Kind / gefällt / das Reiten / auf dem Pferd.
Auf dem Pferd / gefällt / dem Kind / das Reiten.
Das Reiten / gefällt / dem Kind / auf dem Pferd.
Die Nominalgruppen bleiben immer zusammen und können so schnell identifi-
ziert werden. Wörter, die satzintern mit einer Majuskel beginnen, stellen also den
Kern einer Nominalgruppe dar, es sei denn, es handelt sich um Pronomina der 3.
Person Plural oder mehrgliedrige Eigennamen, denn in diesen Fällen wird zwar
mit einer Majuskel begonnen, sie markieren aber nicht den Kern einer Nominal-
gruppe. Die Kerne befinden sich immer am rechten Rand der Nominalgruppe,
sofern sie durch Adjektivattribute erweitert werden und haben typischerweise am
linken Rand einen Artikel oder ein Pronomen. Die Adjektivattribute, die zudem
flektiert sind, befinden sich zwischen dem linken und dem rechten Rand. Der
Kern ist also, wie schon erwähnt, expandierbar. Beispielsweise könnte man sagen:
Dem kleinen Kind gefällt das wilde Reiten auf dem großen Pferd. Die drei Nomi-
nalgruppen sind hier durch flektierte Adjektivattribute expandiert worden. Geht
man von dieser Sichtweise aus, wäre der § 57 mit seinen zahlreichen Unterpunk-
ten der amtlichen Regelung überflüssig, denn es heißt dort: ,,Wörter anderer
Wortarten schreibt man groß, wenn sie als Substantive gebraucht werden (= Sub-
stantivierungen)." Würde es dagegen schlicht heißen: ,,Großgeschrieben wird
immer das letzte Wort einer Nominalgruppe" wäre die Erläuterung der Fälle, in
denen auch andere Wortarten mit einer Majuskel beginnen, hinfällig. Nun wird
nicht mehr nach der Wortart gefragt, sondern nach dem grammatischen Verhalten,
denn erst ,,[...]durch ein bestimmtes grammatisches Verhalten wird ein Wort zum
Substantiv" (Eisenberg,/Feilke, 2001, S.9).
Fuhrhop hat dargestellt, welche syntaktischen Funktionen Kerne von Nominal-
gruppe einnehmen können:

Hinführung zum Thema
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a)
Subjekte (der weiße Schwan schwimmt)
b)
Objekte (er malte den weißen Schwan)
c)
Bestandteile von Präpositionalgruppen (er schwimmt auf dem See)
d)
Genitivattribute (der weiße Schwan meines Onkels)
e)
Adverbiale (sie redet den ganzen Tag) (Fuhrhop, 2006, S.48)
Als wichtige syntaktische Eigenschaft nennt Fuhrhop die Artikelfähigkeit und die
Attributfähigkeit. Außerdem flektieren Kerne nominaler Gruppen nach Kasus und
Numerus und haben ein Genus.
Nach Fuhrhops Prototypentheorie sind dies alles Eigenschaften von prototypi-
schen Substantiven. Aus Substantiven, auf die eine oder mehrere Eigenschaften
nicht zutreffen, entstehen leicht Zweifelsfälle. Dies ist besonders dann der Fall,
wenn Wörter anderer Wortarten substantivisch gebraucht werden und mit einer
Majuskel markiert sind. Für Lerner stellt die Substantivgroßschreibung im Deut-
schen eine besondere Herausforderung dar, denn traditionell wird die Groß- und
Kleinschreibung im Unterricht mit der Wortart verknüpft.
Die obige Erörterung macht sicherlich deutlich, dass die amtliche Regelung zwar
die Norm vorgibt nach der sich die Schreibung richtet, sie aber keine theoretische
Fundierung der Groß- und Kleinschreibung enthält. Vielmehr ist sie eine restrikti-
ve Auflistung von Paragraphen und keine Beschreibung des Gegenstandes. Den
theoretischen Ansatz liefert dagegen die Sprachwissenschaft durch Sprachwissen-
schaftler wie Maas und Eisenberg. Sie erörtern deskriptiv die satzinterne Groß-
schreibung im Deutschen und liefern damit eine theoretische Fundierung.
2.2.1
Normen und Reformen
Die Orthographie umfasst die durch eine Norm festgelegten Schreibungen, denn
für ein Wort kann es durchaus verschieden mögliche Schreibvarianten geben, wie
der Bereich der Graphematik deutlich macht. Meist ist aber nur eine Schreibweise
orthographisch korrekt. Die Norm legt also fest, welche der prinzipiell möglichen
Schreibungen zu einer gewissen Zeit Gültigkeit haben. Dabei ist festzuhalten,
dass die Norm dem Usus meist Rechnung trägt und somit entsprechen sie sich in
den meisten Fällen.
Eine einheitliche Orthographie im deutschen Sprachraum gibt es erst seit 1901,
denn hier wurde auf der II. Orthographischen Konferenz erstmals eine staatliche

Hinführung zum Thema
- 12 -
Kodifizierung vorgenommen, nachdem die I. Orthographische Konferenz 1876
gescheitert war. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine einheitliche Normierung in
Deutschland, aber seit der Erfindung des Buchdrucks wurde die Orthographie
immer einheitlicher, da nicht mehr jeder klösterliche Schreibort seine eigenen
Wortschreibungen hatte. Seit 1901 nun gab es erstmals eine schriftliche Fixierung
der Orthographie. Seit 1955 war das Duden-Rechtschreibwörterbuch für die Ü-
berarbeitung des Beschlusses von 1901 zuständig und die Normierungsinstanz im
Bereich der Orthographie. ,,In weiteren Dudenauflagen wurde das Rechtschreib-
wörterbuch immer wieder überarbeitet. Ergänzungen wurden hinzugefügt, Aus-
nahmen angeführt, neue Schreibungen aufgenommen, so dass letztendlich die
Zahl der Regeln immer weiter anstieg und einzelne Regelformulierungen durch
die Zahl der Ausnahmen undurchschaubar wurden" (Dürscheid, 2006, S.171).
Immer wieder wurden deshalb Vorschläge zu einer Reform laut, die die Schrei-
bungen vereinfachen sollte. Schließlich einigte sich die Zwischenstaatliche
Kommission für deutsche Rechtschreibung auf eine Reform, die 1996 erschien.
Seitdem hatte der Duden-Verlag keine Regelungskompetenz mehr, sondern zu-
nächst die Zwischenstaatliche Kommission und seit 2004 der Rat für deutsche
Rechtschreibung. Die amtliche Regelung, die alle Teilbereiche der deutschen Or-
thographie berücksichtigt, trat zum 1.8.1998 in Kraft und gewährleistete einen
Übergang bis 2005. Diese Reform führte und führt bis heute zu zahlreichen Dis-
kussionen, nicht nur unter Sprachwissenschaftlern, sondern in der gesamten Be-
völkerung. Sogar das Bundesverfassungsgericht musste sich mit dem Thema der
Orthographiereform befassen. Daran erkennt man, wie sensibel dieser Bereich ist,
denn die Orthographie betrifft letztendlich jeden Einzelnen. Im Jahr 2004 erschien
dann, auch aufgrund der zahlreichen Proteste und Bedenken der Reformer selbst,
eine Revision der amtlichen Regelung. Die Nachfolgeinstitution der Zwischen-
staatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung wurde der Rat für deutsche
Rechtschreibung. Dieser ist sehr heterogen zusammengesetzt und besteht aus
Sprachwissenschaftlern, Lehrern, Journalisten etc. Der Rat kann Empfehlungen
aussprechen, die von der Kultusministerkonferenz angenommen werden müssen.
So geschehen im Jahr 2006, als die Re-Reform der amtlichen Regelungen be-
schlossen wurde. Dies markiert den vorläufigen Schlusspunkt der Rechtschreibre-
form und revidiert die Fassung der Neuregelung von 1996 stark. Die Diskussio-
nen in der Bevölkerung und in den Medien dauern aber immer noch an. Nicht

Hinführung zum Thema
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zuletzt auch deshalb, weil einige große Verlage sich weigern die Reform zu ak-
zeptieren und nach der alten Rechtschreibung drucken. So wird die Bevölkerung
zusätzlich verunsichert und eine einheitliche Schreibnorm rückt in weite Ferne.
Wie wirkte sich die Orthographiereform nun auf den Teilbereich der Groß- und
Kleinschreibung aus? Zunächst ist festzustellen, dass die Neuregelung eine leichte
Zunahme der satzinternen Großschreibungen verursachte, ,,da die Fälle, in denen
Wörter je nach Bedeutung groß- oder kleingeschrieben wurden, zugunsten der
Großschreibung aufgegeben wurden. Man schreibt jetzt also im Dunkeln tappen,
auf dem Trockenen sitzen, im Trüben fischen, unabhängig davon, ob die eigentli-
che oder die übertragene Bedeutung zugrunde liegt" (Dürscheid, 2006, S.191 f.).
Eine weitere Änderung ist bei den Eigennamen zu erkennen. Hier änderte sich
zunächst, dass Adjektive in Wortverbindungen klein geschrieben werden sollten.
Dies führte zu Schreibungen wie die rote Karte oder die silberne Hochzeit. Die
verbindliche Kleinschreibung der Adjektive bei Wortgruppen wurde aber stark
kritisiert, da man nun zwischen Wortgruppen und Eigennamen unterscheiden
musste, denn es hieß zum Beispiel immer noch das Tote Meer. Zahlreiche Aus-
nahmeregelungen verkomplizierten dies noch. Seit 2006 dürfen nun wieder feste
idiomatisierte Verbindungen groß geschrieben werden, was von führenden
Sprachwissenschaftlern, wie zum Beispiel Peter Eisenberg begrüßt wurde. Es
wurden keine neuen Varianten erzeugt, sondern Schreibungen wieder zugelassen,
die es immer gegeben hat und die seit 1996 einfach verboten waren (vgl. Eisen-
berg, 2006, S.16). Eisenberg merkt aber auch an, dass sich der Rat für deutsche
Rechtschreibung ausführlicher mit den Nachbesserungen der Groß- und Klein-
schreibung hätte beschäftigen sollen (vgl. Eisenberg, 2006, S.16). Auch bei den
Anredepronomina gab es schließlich 2006 Nachbesserungen. Durfte zunächst nur
noch kleingeschrieben werden, wird nun auch wieder die Großschreibung in Brie-
fen von du und ihr und den entsprechenden Possessivpronomen zugelassen.
Trotz der Nachbesserungen an der Reform gibt es noch viele kritische Stimmen,
wie die Aussage von Noack belegt. ,,Das Regelwerk steckt nach wie vor voller
Inkonsistenzen, von denen viele der wortartbezogenen Konzeption geschuldet
sind" (Noack, 2006, S.43). Auch Bredel und Günther sehen in der derzeit gültigen
Norm noch Verbesserungspotential, denn die Orthographiereform habe die lexi-
kalische Großschreibung gestärkt und es müsse auch nach 2006 häufiger großge-
schrieben werden, wo keine syntaktische Kernfunktion vorliegt (Kopf stehen, heu-

Hinführung zum Thema
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te Morgen, gestern Abend). Auch wurde die Artikelfähigkeit einer Konstruktion
in manchen Fällen allein zum majuskelauslösenden Kriterium erhoben (im Weite-
ren) (vgl. Bredel/Günther, 2006, S.211
).
Nach Meinung vieler Sprachwissen-
schaftler sollte der Fokus weg von der wortartbezogenen Sichtweise, die einzelne
Wörter isoliert betrachtet, hin zu einer syntaktischen Konzeption.
Aber warum gibt es im Deutschen überhaupt die Großschreibung von Kernen
nominaler Gruppen? Warum ist es sinnvoll, dass die deutsche Sprache an dieser
Regel festhält, die sie von anderen Sprachen unterscheidet? Antworten auf diese
Fragen sollen im folgenden Punkt gegeben werden.
2.2.2
Zur Notwendigkeit der satzinternen Großschreibung
Im deutschen Sprachraum hat sich im Laufe der Jahrhunderte die satzinterne
Großschreibung durchgesetzt. Dabei werden nicht nur Eigennamen großgeschrie-
ben, sondern wie bereits erläutert, auch die Kerne von Nominalgruppen. Durch
den Majuskelgebrauch bei Substantiven unterscheidet sich die deutsche Sprache
von allen vergleichbaren Sprachen, wie beispielsweise der niederländischen, eng-
lischen oder französischen. Unsere Nachbarsprachen praktizieren zwar alle die
Großschreibung am Satzanfang und die Großschreibung der Eigennamen, die
Substantivgroßschreibung gibt es jedoch nur im Deutschen. Erklärbar ist diese
Besonderheit aus der geschichtlichen Entwicklung heraus, denn sie ist über Jahr-
hunderte historisch gewachsen. ,,Nach dem, was wir beim gegenwärtigen Stand
der Forschung wissen, ergab sich die besondere Verwendung der Großbuchstaben
im Deutschen aus einem komplizierten Wechselspiel zwischen den Entwicklungs-
tendenzen im Schreibgebrauch einerseits und den Normierungsbemühungen der
Sprechgelehrten andererseits im Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert" (E-
wald/Nerius, 1988, S.15). Seit dieser Zeit gibt es die satzinterne Großschreibung
in ihrer heutigen Verwendung, nämlich als Kennzeichnung von Eigennamen, An-
redepronomina und Substantiven. Die Großschreibung entwickelte sich also nur
allmählich, wobei sie zuerst bei der Majuskelschreibung von Eigennamen auftrat,
denn diese wollte man besonders hervorheben. Auch die von Eigennamen abge-
leiteten Adjektive wurden bald großgeschrieben. Die Großschreibung war aber
noch weit davon entfernt, syntaktische Eigenschaften von sprachlichen Ausdrü-
cken zu kennzeichnen. Es folgte die Großschreibung der Konkreta und bald dar-

Hinführung zum Thema
- 15 -
auf umfasste sie immer mehr Ausdrücke, sodass auch Abstrakta mit einer Majus-
kel markiert wurden. Bereits seit Beginn des 17. Jahrhunderts war die Groß-
schreibung von Konkreta jeder Art relativ stabil. Dass die Abstrakta den Konkreta
folgten ist nicht verwunderlich, denn sie gehören derselben Paradigmenklasse an.
Das semantische Kriterium war hinfällig geworden, stattdessen trat die lexikali-
sche Eigenschaft, ein Substantiv zu sein, hervor (vgl. Bredel, 2006a, S.153). Die
Majuskelkennzeichnung, auch von substantivischen Konversionen, stabilisierte
sich im 18. Jahrhundert, sodass wir im Deutschen nun eine syntaktisch motivierte
Großschreibung haben.
,,Bekämpft wurde und wird die Substantivgroßschreibung. Seit Jahrhunderten
empfinden viele sie als widernatürlich und willkürlich. In der neueren Reformdis-
kussion galt sie lange Zeit als das Merkmal unserer Orthographie, das man zuerst
abschaffen müsse" (Eisenberg, 1998, S.343). Von einigen Sprachwissenschaftlern
(z.B. Ewald/Nerius, 1988) wurde die so genannte gemäßigte Kleinschreibung
gefordert. Sie sieht die grundsätzliche Kleinschreibung außer am Satzanfang vor.
Darüber hinaus werden Eigennamen und Anredeformen der Höflichkeit auch mit
einer Majuskel gekennzeichnet werden. Die Regel zur Großschreibung der Sub-
stantive mit all ihren Unterpunkten wäre damit aufgehoben. Die Reformer ver-
sprachen sich davon, den komplexen Gegenstand der Groß- und Kleinschreibung
zu vereinfachen und für den Schreiber benutzerfreundlicher zu gestalten. Des
Weiteren wäre damit die Sonderstellung des Deutschen gegenüber anderen Spra-
chen aufgehoben. Dies sind natürlich außerordentlich gute Gründe, aber dennoch
spricht auch viel für die Beibehaltung der aktuellen Regelung.
Wie bereits kurz skizziert, ist die Substantivgroßschreibung im Deutschen histo-
risch gewachsen, was sie zu einem Kulturgut macht. Sie hat sich über Jahrhunder-
te zu dem entwickelt, was sie heute ist und impliziert auch ein gewisses Identifi-
kationspotential. Ein anderer wichtiger Grund ist, dass das Deutsche zu komple-
xen Nominalgruppen neigt. Durch die satzinterne Großschreibung werden die
syntaktischen Strukturen übersichtlicher und die Kerne von Nominalgruppen
können so besser erkannt werden. (vgl. Fuhrhop, 2006, S.54). Eine empirische
Untersuchung bestätigt dies. Niederländischen und englischen Muttersprachlern
wurden dabei Texte in ihrer Sprache vorgelegt, in denen die satzinterne Groß-
schreibung nach den Regeln der deutschen Orthographie vorgenommen wurde.
Das Ergebnis war, dass die Texte (mit denen für die Leser ungewohnten Majus-

Hinführung zum Thema
- 16 -
kelkennzeichnung) schneller gelesen wurden als Texte in gemäßigter Kleinschrei-
bung. Die Leser konnten zudem den Textinhalt leichter aufnehmen (vgl.
Bock/Hagenschneider/Schweer, 1989, S.23 ff.). Dies ist insofern überraschend,
als dass dieses Schriftbild für die Leser völlig ungewohnt ist. Dass sie dennoch
um etwa 15 % schneller lesen konnten, belegt die Funktion der Groß- und Klein-
schreibung. ,,Dieser Effekt beruht darauf, dass Substantive in ihrem normalen
Vorkommen eine grammatische Funktion haben, die für die Sprachverarbeitung
im Sinne einer Analyse von Sätzen in Texten eine Schlüsselrolle spielt" (Eisen-
berg/Feilke, 2001, S.9). Des Weiteren liest wohl jeder Mensch mehr, als dass er
schreibt. Aus diesem Grund ist es sinnvoller, die Schrift für den Leser komforta-
beler zu gestalten als für den Schreiber. Die Großschreibung von Kernen nomina-
ler Gruppen dient genau diesem Zweck, denn sie hebt den Kern hervor.
Die obige Ausführung zeigt, dass die Groß- und Kleinschreibung im Deutschen
nicht bloß eine unnötige Schwierigkeit darstellt, sondern eine eigenständige Funk-
tion besitzt (nämlich grammatisch zu strukturieren), die nicht durch eine gemäßig-
te Kleinschreibung verloren gehen darf. Die Hierarchisierung und die Abgren-
zung, die durch die satzinterne Großschreibung deutlich werden, gilt es zu bewah-
ren. Außerdem würden neue Problemfälle für die gemäßigte Kleinschreibung dort
entstehen, wo nicht klar ist, ob ein Ausdruck ein Eigenname oder ein Substantiv
ist (vgl. Eisenberg, 1981, S.94). Die Befunde haben schließlich in der Sprachwis-
senschaft auch dazu geführt, dass eine ,,Rückbesinnung auf die Ursprünge der
Groß- und Kleinschreibung bzw. auf eine syntaktische Verankerung der Majus-
kelsetzung mit ihrem ursprünglich funktionalen Hintergrund" erfolgte (Nün-
ke/Wilhelmus, 2001, S.21).
2.3
Der Orthographieerwerb am Beispiel der Groß- und Klein-
schreibung
In der Forschung ist man sich weitestgehend einig darüber, dass man nicht genau
weiß, wie die Menschen lernen orthographisch richtig zu schreiben. Konsens be-
steht aber darin, dass der Rechtschreiberwerb ein Prozess ist, der in qualitativen
Stufen verläuft. ,,Wie diese im Einzelnen aussehen und wie sie zu benennen sind,
ob sie sich ablösen oder ob parallel auf sie zugegriffen wird, ob sie als entwick-
lungspsychologisch determiniert zu betrachten oder stark durch unterrichtliche
Maßnahmen zu beeinflussen sind ­ dies und mehr ist jedoch strittig" (Risel, 2008,

Hinführung zum Thema
- 17 -
S.61). Offensichtlich aber geht jedes Kind seinen eigenen Weg beim Erlernen der
Schriftsprache. Kinder können durch Ausbildung und Heranziehen eigener Lern-
strategien Schwächen im Aufbau der jeweiligen Lehrmethode kompensieren (vgl.
Hinney/Menzel, 1998, S.259). Das geht sogar so weit, dass es zu einer eigenen
inneren Regelbildung kommt. Obwohl sich die Kinder durch eigenaktive Prozesse
die inneren Regeln aneignen, bedarf es aber der Anregung und Unterstützung
durch Lehrverfahren, um grammatische Reflexionen der Lernenden zu veranlas-
sen. Damit ist insbesondere die Rekonstruktion bestimmter Schreibprinzipien
gemeint. Durch diese äußere Regelbildung wird die innere Regelbildung der
Schüler erst möglich (vgl. Küttel, 2003, S.381). Rechtschreiben ist daher nicht
nur das mechanische Anwenden einer Phonem ­ Graphem ­ Zuordnung, sondern
es bedeutet auch immer Umgang mit den komplexen Bedingungen der Schriftsys-
tematik. Die Vermittlung dieser Kompetenz fällt natürlich in den Bereich der
Schule. Ihre Aufgabe ist es, den Schüler zu einem kompetenten Rechtschreiber
auszubilden. Doch was versteht man darunter? Was zeichnet einen rechtschreib-
kompetenten Schüler aus? Als guter Rechtschreiber gilt allgemein, wer ein Ver-
ständnis der Prinzipien der Schreibung aufbringt. Er versteht die Schriftstrukturen
und kann sie ordnungsgemäß anwenden. Man kann also sagen, dass er zu Trans-
ferleistungen fähig ist. Eine weitere Eigenschaft des kompetenten Rechtschreibers
ist die Fähigkeit zu zweifeln, denn Zweifeln ist eine wichtige Voraussetzung für
die aktive Aneignung von Rechtschreibkenntnissen (vgl. Bredel, 2006b, S.14).
Die Schule hat dabei die Aufgabe rechtschreibstrategische Hilfen zu bieten, durch
die der Schüler die orthographischen Strukturen verstehen und anwenden kann
(vgl. Hinney/Menzel, 1998, S.263). Zunächst erwirbt der Lerner das deklarative
Wissen, auch Sachwissen genannt. Er weiß zum Beispiel, dass im Deutschen Sub-
stantive großgeschrieben werden. Das allein nützt ihm allerdings noch nichts,
denn er muss dieses Wissen auch anwenden können. Dies geschieht, indem er
sein deklaratives Wissen in prozedurales Wissen umwandelt. Nun besitzt er ein
Handlungswissen, das ihm erlaubt, in konkreten Fällen zu entscheiden, wann ein
Wort großgeschrieben werden muss. Das Wissen des Schülers führt zu Können.
Wenn dieses Handlungswissen so verinnerlicht ist, dass sich der Schüler nicht
mehr an das den Wortschreibungen zugrunde liegende Wissen erinnern kann, hat
eine Automatisierung stattgefunden. Diese steht am Ende der Entwicklung von
Rechtschreibkompetenz und dient der Entlastung beim Schreiben. Der Schüler

Hinführung zum Thema
- 18 -
muss nicht ständig überlegen, wie ein Wort orthographisch richtig geschrieben
wird, denn der Vorgang ist automatisiert. Der Orthographieerwerb ist demnach als
ein Prozess zu sehen, den man sich vorrangig auf kognitiven Wegen aneignet.
Dieser Prozess ist geprägt von zunehmender Differenzierung und setzt die Ein-
sicht in den Aufbau und die Funktion von Schrift voraus.
Die Groß- und Kleinschreibung ist ein wichtiger Teilbereich der Orthographie,
aber auch besonders fehlerträchtig
11
. ,,Am Ende der Primarstufe betrifft ungefähr
jeder vierte Orthographiefehler die Groß- und Kleinschreibung und die allermeis-
ten davon die Großschreibung der Substantive" (Eisenberg/Feilke, 2001, S.9).
Auch nach 13 Schuljahren betrifft eine große Anzahl der Fehler die Groß- und
Kleinschreibung. Tophinke hat in Analysen von Texten herausgefunden, dass
auch nach so langer Zeit des Lernens große Unsicherheiten, besonders bei sub-
stantivierten Verben und Adjektiven bestehen (vgl. Tophinke, 2007, S.120). Aus
diesem Grund wird die Groß- und Kleinschreibung schon in der Primarstufe als
expliziter Gegenstand thematisiert. Zunächst lernen die Kinder mit Hilfstermini,
dass Namenwörter oder auch Dingwörter großzuschreiben sind. Im Gegensatz
dazu wird ihnen vermittelt, dass Wiewörter und Tuwörter kleinzuschreiben sind.
Die Groß- und Kleinschreibung wird so mit morphologisch-lexikalischen Eigen-
schaften verbunden. Mit den Dingwörtern werden Konkreta verbunden, die meist
aus dem Erfahrungsbereich der Kinder stammen, wie zum Beispiel Pferd und
Fußball. Ein wichtiges Kriterium hierbei ist, dass man die Wörter, die mit Majus-
kel beginnen, anfassen kann. ,,Weil aber die Anfassregel sowieso nicht richtig
funktioniert, wird sie gerade von Kindern, die keine Lernschwierigkeiten haben,
systematisch ignoriert. Das können diese Kinder auch problemlos tun, haben sie
doch in ihrem Spracherwerb durchaus gelernt, was Substantive sind: Wörter, die
man deklinieren kann nach Kasus und Numerus und außerdem solche, die ein
Genus haben, welches man am Artikel erkennen kann" (Bredel/Günther, 2006,
S.211 f.). Die Kinder lernen demnach intuitiv, wann ein Wort großzuschreiben ist.
In einem nächsten Schritt, meist in Klasse 3, kommen dann noch Abstrakta hinzu,
also Wörter wie Liebe und Freundschaft, die man nicht anfassen kann. Die Schü-
ler werden so auch semantisch an die Groß- und Kleinschreibung herangeführt.
Um Substantive identifizieren zu können, lernen die Kinder, dass vor den Na-
menwörtern ein Begleiter stehen kann. Es werden somit syntagmatische Merkma-
11
Zur Vertiefung sei hier auf Menzel (1985) verwiesen, der diese Aussage empirisch belegt.

Hinführung zum Thema
- 19 -
le zur Hilfe genommen. Folglich werden Lerner in der Primarstufe mit drei Wort-
arten konfrontiert, mit Substantiven, Adjektiven und Verben. Diese reichen natür-
lich nicht aus, um alle Wortarten zu identifizieren und somit sind die Kinder bei
anderen Wortarten wie beispielsweise Adverbien hilflos. Die Lerner sind in der
Schreibentscheidung auf Substantive festgelegt und das führt in ihrem weiterfüh-
renden Lernverlauf zu Schwierigkeiten (vgl. Bredel, 2006b, S.13). Sie stoßen mit
den ihnen bekannten Regeln an ihre Grenzen, denn Alternativen zur Erkennung
der Groß- und Kleinschreibung werden nicht vermittelt. Folglich wenden sie die
Regeln, die sie kennen, oftmals falsch an. Am Ende der Grundschulzeit beherr-
schen einige der Schüler die Großschreibung dennoch schon relativ sicher, andere
hingegen haben noch sehr große Schwierigkeiten. Darin sieht auch Röber-
Siekmeyer ihre These bestätigt, dass eine Gruppe von in vieler Hinsicht gut aus-
gestatteten Kindern gelernt habe, ihren Weg durch eine eigene orthographiebezo-
gene Schlussfolgerung zu gehen, anderen hier allerdings der Mut fehle und sie
schon frühzeitig angesichts der vagen und konfusen Regelangebote aufgäben (vgl.
Röber-Siekmeyer, 1997, S.171). Die Behandlung der Groß- und Kleinschreibung
ist nach der Grundschule aber noch längst nicht abgeschlossen. In der Sekundar-
stufe, meist in der 5. oder 6. Klasse, wird nämlich noch einmal explizit auf Sub-
stantivierungen und Desubstantivierungen eingegangen. Plötzlich können auch
andere Wortarten substantiviert werden, wie Adjektive und Verben, also Wiewör-
ter und Tuwörter. Erst im Alter von etwa 11 Jahren lernen die Schüler demnach,
dass Wörter anderer Wortarten satzintern großgeschrieben werden können und
folglich funktionale Eigenschaften für die Schreibung entscheidend sind. Aller-
dings ist zu bezweifeln, dass sie auch erst in dem Alter mit diesem Phänomen der
deutschen Sprache konfrontiert werden. Auch in der Grundschule bemerken viele
Kinder schon, dass die gelernten Regeln als Erklärung nicht ausreichen und sich
die Normen widersprechen. Wie lassen sich denn beispielsweise Arbeitsaufträge
im Sprachbuch wie ,,Achte beim Schreiben auf Namenwörter!" erklären? In der
Argumentation des Kindes müsste Schreiben kleingeschrieben werden, denn es ist
ein Tuwort. Ihm fehlen noch die Ressourcen, um erklären zu können, dass Schrei-
ben Kern einer Nominalgruppe ist, also Nichtsubstantive auch Kerne von Nomi-
nalgruppen besetzen können. Die Merksätze erscheinen auf den ersten Blick zwar
als kindgerecht anwendbar, aber das Operieren mit ihnen bereitet oftmals große
Probleme. Den Schülern wird erst in der Sekundarstufe ein operatives Verfahren

Hinführung zum Thema
- 20 -
bereitgestellt, das ihnen erlaubt, alle Kerne von Nominalgruppen zu erkennen. Da
sie allerdings schon viel früher damit konfrontiert werden, sind bei aufmerksamen
Lesern Irritationen zu befürchten.
Idealerweise sollen die Lerner bis zum 7. Schuljahr ein orthographisches Basis-
wissen aufgebaut haben und die wichtigsten Rechtschreibnormen kennen, denn
danach gehen die konkreten Vorgaben der Länder für die systematische Behand-
lung einzelner Rechtschreibphänomene zurück (vgl. Fix, 2006, S.705).
Die Schüler können sich während ihres gesamten Orthographieerwerbs in der
Schule auf zahlreiche Merksätze und Regeln stützen, die der Lehrer und das
Schulbuch ihnen vorgeben. Dies ist nicht zuletzt auf den Duden, beziehungsweise
auf die amtliche Regelung zurückzuführen, denn dort sind die orthographischen
Regeln zu finden, die für die Schule lediglich didaktisch reduziert und aufbereitet
werden. Ein Regelkomplex bildet die Wissensbasis der Schüler, aber sie bemer-
ken meist schnell, dass System und Regel nicht miteinander korrespondieren, da
es sich im Deutschen weder um eine morphologisch-lexikalische, noch um eine
semantische, sondern vielmehr um eine syntaktische Markierung handelt (vgl.
Noack, 2006, S. 38).
Am sichersten sind die Schüler sich von Beginn an bei der Großschreibung von
Eigennamen. Für die sichere Markierung von Abstrakta mit einer Majuskel brau-
chen die Kinder hingegen länger. Kommen dann noch die Substantivierungen und
Desubstantivierungen hinzu, sind viele Schüler völlig verwirrt und es treten viele
Fehler auf. Bemerkenswert ist dabei, dass die Erwerbsfolge der Lerner sich im
Wesentlichen mit der historischen Abfolge deckt. In den Jahrhunderten, die im
Ergebnis zu unserer heutigen Orthographie geführt haben, waren zunächst auch
nur Eigennamen und erst später Konkreta und schließlich Abstrakta von der
Großschreibung betroffen und genau in der Reihenfolge geschieht auch der suk-
zessive Aufbau des Wissens der Lerner.
12
Wie bereits in Punkt 2.2 erläutert wurde, hat sich die Sprachwissenschaft in den
letzten Jahren ausführlich mit einem syntaktischen Ansatz zur Groß- und Klein-
schreibung beschäftigt. Die Großschreibung wird nun nicht mehr an lexikalische,
sondern an syntaktische Eigenschaften eines Ausdrucks gebunden (vgl. Maas,
1992 und Eisenberg, 1981). Aus dieser Sichtweise heraus, die eine Abkehr von
der traditionellen wortartbezogenen Festlegung der Großschreibung impliziert,
12
Siehe Erläuterungen in Punkt 2.2.1

Hinführung zum Thema
- 21 -
entwickelte Röber-Siekmeyer (1997, S.168 ff. und 1999, S.61 ff.)
13
ein Konzept
zur didaktischen Vermittlung der satzinternen Großschreibung. Dieser neue An-
satz orientiert sich strikt an die syntaxbezogenen Regularitäten der Großschrei-
bung. In einem didaktischen Verfahren sollen die Kinder lernen syntaktisch über
Groß- und Kleinschreibung zu entscheiden. Dabei wird davon ausgegangen, dass
gute Rechtschreiber, die nach dem wortartbezogenen Ansatz unterrichtet wurden,
die Großschreibung dennoch syntaktisch interpretieren. Sie schließen entgegen
dem, was sie gelernt haben, die Großschreibung an ihre Funktion an, können aber
natürlich kein linguistisches Regelsystem benennen. Ausgehend von dieser Per-
spektive ergibt sich folgende neue Regelformulierung für die Lerner: Großge-
schrieben wird immer das letzte Wort einer Nominalgruppe (,,Kern des nominalen
Satzgliedes" genannt) (vgl. Röber-Siekmeyer, 1999, S. 60).
Die Kinder können mittels der Umstellprobe
14
die Satzglieder erkennen und iso-
lieren. Somit kann ein Satz in das Prädikat, welches immer an zweiter Stelle steht,
und in eine oder mehrere Nominalgruppen gegliedert werden. Durch Treppenge-
dichte können die Kinder die Kerne der Nominalgruppen durch Adjektivattribute
erweitern, denn nur bei der adjektivischen Attribuierung wird die Bildung einer
weiteren Nominalgruppe ausgeschlossen, wodurch der Kern am rechten Rand
bestehen bleibt. Zudem sind die Attribute flektiert und infolgedessen nicht mit
Adverbialen zu verwechseln. Mit Hilfe von Treppengedichten können wesentli-
che Regeln des syntaxbezogenen Konzepts veranschaulicht werden.
Ein Beispiel:
der Bauer
der kluge Bauer
der kluge, fleißige Bauer
der kluge, fleißige , große Bauer
holt
das Heu vor dem Schauer (vgl. Röber-Siekmeyer, 1999, S.121)
Das Substantiv Bauer wird mit jeder neuen Zeile von den Kindern um ein Adjek-
tivattribut erweitert. Dabei bleibt der Kern (Bauer) immer am rechten Rand stehen
13
In dem Buch ,,Die Schriftsprache entdecken", das 1993 erstmals erschien, beschreibt sie ihre
eigenen Erfahrungen mit der satzbezogenen Herangehensweise im Unterricht an einer Grundschu-
le. Im Jahr 1999 stellt sie ihre Anregungen für den Sprachunterricht in der Grundschule in ,,Ein
anderer Ansatz zur Groß- und Kleinschreibung" nochmals ausführlicher und konkreter vor.
14
Siehe Erläuterungen in Punkt 2.2.1

Hinführung zum Thema
- 22 -
und der Artikel am linken. Das Prädikat (holt) steht wie immer an zweiter Stelle.
Durch jede weitere Zeile kommt eine Stufe hinzu und die Treppe wird höher.
Es ist in diesem Ansatz vorgesehen, dass die Kinder von Anfang an nicht wortart-
bezogen, sondern syntaktisch an die satzinterne Großschreibung herangeführt
werden, also bereits ab der zweiten Klasse. Dies geschieht in der dargestellten
Form und mit zahlreichen Hilfstermini. Präpositionen und Artikel werden bei-
spielsweise als Stufenanfänge bezeichnet, das Prädikat als Mittelwort, die Adjek-
tivattribute als Einfüllwort und die Kerne nominaler Gruppen als Stufenwort. Es
ist natürlich auch möglich, andere Termini einzusetzen. Die Erweiterung durch
Adjektivattribute ist ein Hilfsmittel für die Kinder die Groß- und Kleinschreibung
syntaktisch zu erfassen. Im weiteren Lernverlauf übertragen die Lerner diese Me-
thode schließlich auf ihre eigene Schriftpraxis. Sie haben nun eine Methode an die
Hand bekommen, mit der sie in Zweifelsfällen entscheiden sollen, wie ein Wort
zu schreiben ist. Die Problemfälle, die nach der Rechtschreibreform entstanden
sind, lassen sich im fortgeschrittenen Lernprozess systematisch definieren. ,,Das
syntaxbezogene Konzept ­ ,Ein Wort wird großgeschrieben, wenn es attributiv
nach links erweitert werden kann' ­ ist für Kinder einfacher nachzuvollziehen als
die tradierte wortartbezogene Methode" (Nünke/Wilhelmus, 2001, S.20).
Röber-Siekmeyer entgegnet Didaktikern, die ihren Ansatz als zu voraussetzungs-
reich kritisieren (vgl. Bremerich-Vos, 1999, S.24), damit, dass Zweitklässler sehr
wohl in der Lage seien kindgerecht eine grammatische Analyse durchzuführen
(vgl. Röber-Siekmeyer, 1999, S.74). Den Kindern werde schließlich auch zuget-
raut im 2. Schuljahr eine Wortartdifferenzierung durchzuführen, also zu entschei-
den, welche Wortart vorliegt. Das didaktische Konzept von Röber-Siekmeyer
wurde in zahlreichen Unterrichtsreihen von ihr selbst, von Studenten und von
Lehrern getestet und führte durchweg zu positiven Ergebnissen.
15
Weiterentwi-
ckelt wurde der didaktisch-methodische Ansatz von Nünke und Wilhelmus, die
auch empirisch den Erfolg des Konzeptes nachwiesen.
16
Sie verglichen die Feh-
lerzahlen von Zweitklässlern, die nach dem syntaxbezogenen Konzept unterrich-
tet wurden mit Schülern, die wortartbezogen lernten (vgl. Nünke/Wilhelmus,
2005, S.207 ff.).
15
Zur Vertiefung: Röber-Siekmeyer, 1999, S.91 ff..
16
Naumann bemängelt, dass u.a. die Zahlen der Versuchspersonen zu klein waren und einige
inhaltliche Fragen nicht geklärt wurden (Naumann, 2006, S.69). Meines Erachtens zeigt die empi-
rische Untersuchung von Nünke und Wilhelmus aber durchaus den Erfolg des syntaktischen Ver-
fahrens.

Hinführung zum Thema
- 23 -
Die Befürworter des syntaxbezogenen Ansatzes sehen den Vorteil, dass der Kern-
bereich regelhaft wird. Zum einen sind die syntaxbezogenen Phänomene der
Großschreibung systematisierbar und zum anderen können die Kinder so die
Groß- und Kleinschreibung als regelhaften und auch lernbaren Bereich der Ortho-
graphie erfahren. Die großen Probleme der wortartbezogenen Regel, wie die Er-
kennung von Substantivierungen und Desubstantivierungen, seien durch diesen
Ansatz verschwunden (vgl. Nünke/Wilhelmus, 2002, S. 21), denn es wird zwi-
schen Form und Funktion unterschieden. Den Schülern wird bewusst, dass ein
Substantiv eine bestimmte Form darstellt und der Kern einer Nominalgruppe eine
syntaktische Funktion. Auch die in der Sprachdidaktik viel zitierten Autoren
Augst und Dehn sind der Meinung, dass ein wortartbezogener Rechtschreibunter-
richt zwischen der Wortartzuweisung im Wörterbuch und dem Gebrauch der
Wörter im Satz unterscheiden muss. Sie sehen folgende Beziehung:
Abbildung 1:
Beziehungen zwischen dem Wort im Wörterbuch und dem Wort im Satz (Augst/Dehn, 2007,
S.148)
Das wichtigste Ergebnis der Vermittlung der Groß- und Kleinschreibung sollte
sein, dass die Schüler ganz klar zwischen Funktion eines Wortes und seiner Form
unterscheiden können. (vgl. Noack, 2006, S.43) Wie wird die Groß- und Klein-
schreibung nun in Lehrbüchern dargestellt? Wird zwischen Form und Funktion
unterschieden? In Schulbüchern findet sich eine wortartbezogene Herangehens-
weise, sowohl in der Primarstufe als auch in der Sekundarstufe. Den Lehrern wer-
den Unterrichtshilfen an die Hand gegeben, die wortartbezogen vorgehen und

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836631310
DOI
10.3239/9783836631310
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Münster – Germanistik, Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
1,1
Schlagworte
rechtschreibung orthographie rechtschreibschwierigkeit großschreibung grammatik
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Titel: Rechtschreibkompetenzen und -schwierigkeiten von Schülern der Sekundarstufe I und ihre schulischen Ursachen am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung
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