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Europäische Öffentlichkeit in den Neuen Medien

©2009 Masterarbeit 73 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Ist Europa nicht vermittelbar? Obwohl immer mehr Politikfelder in den letzten Jahren europäisiert wurden, ist vielen Bürgern unbewusst, welche Auswirkungen die Europapolitik auf sie hat. Mit dieser Europäisierung der Politik fand keine gleichzeitige Europäisierung der Öffentlichkeit statt. Die Europäische Union (EU) wird weitläufig als bürgerfremd bezeichnet und ihren Institutionen ein Demokratiedefizit nachgesagt. Das Bild vom ‘Raumschiff Brüssel’, das ohne Kontakt zur Erde steht, symbolisiert diese fehlende Verbundenheit zur europäischen Bevölkerung. Als im Jahre 2005 die Mitgliedsländer Frankreich und die Niederlande durch ein Referendum den Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE) ablehnten, blühte die Diskussion rund um eine mangelnde europäische Öffentlichkeit auf, die ein essentieller Bestandteil von Demokratie in Europa ist. Am 12. Juni 2008 stimmte Irland als einziges Mitgliedsland mit einem Referendum über den Vertrag von Lissabon ab, einen neuen Verfassungsvertrag, der die EU handlungsfähiger machen soll. Als dieser von den Iren abgelehnt wurde, entfachte die Diskussion in den Medien erneut und die Zukunft der EU wurde von Politik, Medien und der Bevölkerung debattiert. Hierbei gab es affirmative und delegitimierende Ansichten zum europäischen Integrationsprozess und zum aktuellen Vertragswerk. Es wurde wieder deutlich, dass es keine paneuropäische Öffentlichkeit gibt und die Bürger zu wenig über das Geschehen in Brüssel und Strasbourg informiert sind. Dabei wird die Bildung einer öffentlichen Meinung erst möglich, wenn Ereignisse von jedem wahrgenommen werden können. Eine Öffentlichkeit wird als Zusammenspiel und gegenseitige Beobachtung von Bürgerinnen und Bürgern mit Politik und Medien in einem Kommunikationsraum bezeichnet. Im Kontext dieser Arbeit wird europäische Öffentlichkeit so verstanden, dass dieses Zusammenspiel im Rahmen der nationalen Berichterstattung von europäischen Themen stattfindet.
Die Neuen Medien bieten vielfältige Möglichkeiten für dieses Zusammenspiel und zur Kommunikation: Abgesehen von den mittlerweile schon klassischen Formen wie E-Mail, Chat und Internetforum dominiert mittlerweile das Web 2.0. Weblogs und andere Plattformen mit ‘Mitmach’-Elementen bieten die Möglichkeit, unabhängig von Zeit, Raum und Thema seine Meinung zu äußern und sich mit anderen Menschen auszutauschen. Somit bildet das Internet eine ideale Plattform zum Austausch über politische Themen und einer Bildung […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Europäische Öffentlichkeit in den Medien
1.1. Was ist europäische Öffentlichkeit?
1.2. Teilöffentlichkeiten
1.3. Die mediale Öffentlichkeitsforschung

2. Critical Discourse Analysis
2.1. Konzepte der CDA
2.2. Interdisziplinarität
2.3.Theoretische Ansätze innerhalb der CDA
2.4. Der diskurs-historische Ansatz
2.4.1. Grundlegende Eigenschaften
2.4.2. Forschungsstand EU-Diskurse

3. Die EU-Verfassungsverträge im Spiegel der Öffentlichkeit
3.1. Der Vertrag von Maastricht
3.2. Der Vertrag von Amsterdam
3.3. Der Vertrag von Nizza
3.4. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa
3.5. Der Vertrag von Lissabon

4. Korpusbeschreibung
4.1. Wahl des Korpus
4.2. Hintergrundinformationen
4.3. Struktur des Korpus
4.4. Diskurskritische Beschreibung des Korpus

5. Datenerhebung

6. Methodik
6.1. Forschungsfragen
6.2. Analysekategorien

7. Analyse
7.1. Kommentar „San Frannciso“
7.2. Kommentar „Abhängigkeit“

8. Auswertung
8.1. Delegitimierende Positionen
8.2. Legitimierende Positionen

8.3. Allgemeine Beobachtungen

9. Kritische Betrachtung der Studie

10. Schlussfolgerung

11. Abkürzungsverzeichnis

12. Literaturverzeichnis

Anhang

0. Einleitung

Ist Europa nicht vermittelbar? Obwohl immer mehr Politikfelder in den letzten Jahren europäisiert wurden, ist vielen Bürgern unbewusst, welche Auswirkungen die Europapolitik auf sie hat. Mit dieser Europäisierung der Politik fand keine gleichzeitige Europäisierung der Öffentlichkeit statt (vgl. Gerhards 2000). Die Europäische Union (EU) wird weitläufig als bürgerfremd bezeichnet und ihren Institutionen ein Demokratiedefizit nachgesagt. Das Bild vom „Raumschiff Brüssel“ (vgl. Oldag/Tillack 2003), das ohne Kontakt zur Erde steht, symbolisiert diese fehlende Verbundenheit zur europäischen Bevölkerung. Als im Jahre 2005 die Mitgliedsländer Frankreich und die Niederlande durch ein Referendum den Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE) ablehnten, blühte die Diskussion rund um eine mangelnde europäische Öffentlichkeit auf, die ein essentieller Bestandteil von Demokratie in Europa ist. Am 12. Juni 2008 stimmte Irland als einziges Mitgliedsland mit einem Referendum über den Vertrag von Lissabon ab, einen neuen Verfassungsvertrag, der die EU handlungsfähiger machen soll. Als dieser von den Iren abgelehnt wurde, entfachte die Diskussion in den Medien erneut und die Zukunft der EU wurde von Politik, Medien und der Bevölkerung debattiert. Hierbei gab es affirmative und delegitimierende Ansichten zum europäischen Integrationsprozess und zum aktuellen Vertragswerk. Es wurde wieder deutlich, dass es keine paneuropäische Öffentlichkeit gibt und die Bürger zu wenig über das Geschehen in Brüssel und Strasbourg informiert sind. Dabei wird die Bildung einer öffentlichen Meinung erst möglich, wenn Ereignisse von jedem wahrgenommen werden können. Eine Öffentlichkeit wird als Zusammenspiel und gegenseitige Beobachtung von Bürgerinnen und Bürgern mit Politik und Medien in einem Kommunikationsraum bezeichnet (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 10). Im Kontext dieser Arbeit wird europäische Öffentlichkeit so verstanden, dass dieses Zusammenspiel im Rahmen der nationalen Berichterstattung von europäischen Themen stattfindet.

Die Neuen Medien bieten vielfältige Möglichkeiten für dieses Zusammenspiel und zur Kommunikation: Abgesehen von den mittlerweile schon klassischen Formen wie E-Mail, Chat und Internetforum dominiert mittlerweile das Web 2.0. Weblogs und andere Plattformen mit „Mitmach“-Elementen bieten die Möglichkeit, unabhängig von Zeit, Raum und Thema seine Meinung zu äußern und sich mit anderen Menschen auszutauschen. Somit bildet das Internet eine ideale Plattform zum Austausch über politische Themen und einer Bildung einer europäischen Öffentlichkeit.

Die europäische Öffentlichkeit war in der Vergangenheit schon Forschungsgegenstand der Politikwissenschaft und Soziologie. Sie wurde bereits in dem Zusammenhang mit den Medien, vor allem der Qualitätspresse, behandelt. Jedoch gibt es in der europäischen Öffentlichkeitsforschung ein Defizit bei der Untersuchung von virtuellen Öffentlichkeitsarenen (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 34). Die wenigen existierenden Untersuchungen analysierten lediglich Plattformen, die von einem homogenen und versierten Publikum frequentiert wurden. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, diese Defizite zu kompensieren. Ihr Ziel ist es zu zeigen, wie sich die (De-)Legitimierung des europäischen Integrationsprozesses durch die europäische Öffentlichkeit in den Neuen Medien konstituiert. Dabei gilt es, Strukturen der Europäischen Öffentlichkeit in den Neuen Medien zu erkennen, Transparenz zu schaffen und Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Öffentlichkeit den Integrationsprozess empfindet.

Als Untersuchungsgegenstand dient die interaktive Newsplattform zoomer (http://zoomer.de), ein Nachrichtenportal mit verschiedenen Ressorts, bei dem jeder Internetbenutzer zu den Neuigkeiten mittels einer Kommentarfunktion Stellung nehmen kann. Als Methode dienen verschiedene qualitative Ansätze aus der Critical Discourse Analysis (CDA). Die CDA ist eine anerkannte Form der Linguistik und erfasst die politische und soziale Bedeutung von Texten. Als Untersuchungszeitraum der zu analysierenden Kommentare wurde der 11. – 20. Juni 2008 festgelegt, als die europapolitische Diskussion wegen des irischen Neins zum Vertrag von Lissabon sehr hoch war.

Der theoretische Teil der Arbeit besteht aus drei Teilen: Zuerst beschäftige ich mich im ersten Kapitel mit dem Begriff der europäischen Öffentlichkeit sowie ihre Funktionen und Probleme. Hierbei wird festgelegt, welche Auffassung von europäischer Öffentlichkeit dieser Arbeit zu Grunde liegt und zwischen welchen Teilöffentlichkeiten unterschieden werden kann. Danach wird der aktuelle Forschungsstand der europäischen Öffentlichkeitsforschung skizziert.

Anschließend behandle ich im zweiten Kapitel die CDA. Nach einem kurzen historischen Abriss setze ich mich mit den Grundkonzepten, Eigenschaften und verschiedenen Ansätzen auseinander. Hierbei gehe ich detaillierter auf den diskurshistorischen Ansatz (DHA) ein, dessen sich diese Arbeit hauptsächlich bedient. Am Ende des theoretischen Teiles werfe ich einen Blick auf den Forschungsstand innerhalb der CDA, der EU-Diskurse betrifft. Da die CDA kontextuell abhängig ist und der politische und historische Kontext darin eine wichtige Rolle spielt, gebe ich im dritten Kapitel einen Überblick über alle bisherigen EU-Verfassungsverträge. Neben ihren Inhalten beschreibe ich ihre Resonanz in der Öffentlichkeit.

Der empirische Teil beginnt mit der Beschreibung des Korpus. Ich werde meine Kriterien zur Wahl des Korpus erläutern und inwiefern zoomer diese erfüllt. Nachdem ich einige Hintergrundinformationen zum Korpus selbst liefere, beschreibe ich den Aufbau von zoomer mit einem besonderen Fokus auf die Nachrichten und Kommentarfunktion. Abschließend wird zoomer noch aus diskurskritischer Sicht in Bezug auf die Theorie beschrieben. Im fünften Kapitel erläutere ich die Datenerhebung dieser Arbeit und gebe Aufschluss darüber, wie ich bei zoomer die gewünschten Daten fand, welche Kriterien diese erfüllen mussten und wie ich die ausgewählten Daten für die Analyse aufbereitete.

Kapitel sechs beschäftigt sich mit der Methodik, die dieser Arbeit zu Grunde liegt. Zuerst habe ich die Forschungsfrage in mehrere Fragen aufgeteilt, denen ich folglich Analysekategorien zuordnen konnte. Diese werden exemplarisch anhand von Daten aus dem Korpus dargestellt. Ebenso gehe ich auf die Vorgehensweise ein, wie ich sie bei der Analyse anwende und gebe einen Ausblick auf die Auswertung der Ergebnisse.

Im siebten Kapitel stelle ich meine Analysen anhand von zwei Kommentaren vor, sowohl an einem delegitimierenden als auch legitimierenden Kommentar. Diese Analysen sind repräsentativ dafür, wie alle weiteren Kommentare behandelt wurden. Im achten Kapitel findet die Auswertung der Analyse statt: Die Forschungsfragen werden im Hinblick auf die einzelnen Kommentare und im Vergleich zueinander beantwortet. Ebenso werden allgemeine Auffälligkeiten besprochen.

Im vorletzten Kapitel dieser Arbeit werfe ich einen rückblickenden, kritischen Blick auf die Studie. Was hätte besser gemacht werden können? Welche Probleme ergaben die theoretische Grundlagen, das Korpus, die Analysen und wie könnten diese, falls überhaupt, bei zukünftigen Studien gelöst werden?

Im Fazit fasse ich alle wichtigen Ergebnisse zusammen und ordne die Studie in die Forschung ein. Weiterhin werfe ich einen Blick auf die Zukunft in der europäischen und diskurskritischen Öffentlichkeitsforschung. Ebenso interpretiere ich die Studie unter dem Hintergrund des Internets und dessen Rolle in der Öffentlichkeit.

1. Europäische Öffentlichkeit in den Medien

Die Entscheidungen der EU wirken sich zunehmend auf die Kompetenzen des Bundes, der Länder und Kommunen aus. Wegen mangelnder Transparenz und fehlender Bürgernähe steht das Regieren in der EU von vielen Seiten unter kritischer Beobachtung. Defizite von Demokratie, Legitimation und Kommunikation sind Hauptbestandteile der europapolitischen Diskussion. Die fehlende politische Öffentlichkeit, die sich auf den EU-Raum erstreckt, spielt eine Hauptrolle bei den Defiziten. Denn Demokratie besagt, dass alle Gewalt vom Volke ausgeht und es partizipatorische Leistungen der Öffentlichkeit geben muss, auf denen die demokratische gestaltete Politik aufgebaut ist. Demnach hat die politische Öffentlichkeit Funktionen der Transparenz, Kritik, Kontrolle, Meinungsaustausch und Meinungsbildung (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 12) um somit für Legitimation und Integration, sowohl im nationalen als auch europäischen Kontext zu sorgen. Daher resultiert aus dem Öffentlichkeitsdefizit ein Demokratiedefizit (vgl. Trenz 2002: 11). Das Ausmaß und die Form der europäischen Öffentlichkeit stehen im Zusammenhang mit der demokratischen Qualität der EU und dem sozialen Zusammenhalt in Europa (vgl. Latzer/Sauerwein 2006).

Als Ursachen für eine fehlende europäische Öffentlichkeit werden häufig die EU-Institutionen, das heißt die Europäische Kommission, der Ministerrat und das Europäische Parlament (EP) genannt. Während diese eine große Verantwortung zur Bildung einer Öffentlichkeit haben, wirken jedoch weitere Faktoren gleichermaßen daran mit: Die Medien stellen Unterhaltungsangebote bereit, müssen sich jedoch aufgrund der Wirtschaftlichkeit an den Publikumspräferenzen orientieren. Das Publikum sind die Bürger der EU und sie verlangen einen Unterhaltungs- und Gebrauchswert der Informationen (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 28). Da Informationsfernsehen einen geringeren Unterhaltungswert als Populärkultur hat, wirkt sich dies negativ auf die politische Öffentlichkeit aus, sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene (vgl. Adam/Berkel/Pfetsch 2003). Innerhalb der politischen Berichterstattung bevorzugt das Publikum Nachrichten mit einem hohen Ausmaß an Nähe, Betroffenheit und Relevanz, was die Europapolitik im Vergleich zur nationalen Politik nicht in demselben Ausmaß bieten kann. Daher fokussieren sich die Medien mehr auf die nationale Politikberichterstattung. Den Medienunternehmen bleibt demnach nur ein geringer Raum, sich mit europapolitischen Themen zu befassen. Nur bei konfliktbehafteten Themen steigt der Unterhaltungswert für europapolitische Themen kurzfristig an, weshalb auch die Publikumsresonanz beim Scheitern des Vertrags von Lissabon und ähnlichen Ereignissen besonders hoch war.

Somit ist ein Zusammenhang zwischen den bürgerfernen politischen Institutionen, den wettbewerbsunterworfenen Medien und den meist desinteressierten und unwissenden Bürgern festzustellen, die alle einen Teil zu einer mangelnden europäischen Öffentlichkeit und den daraus resultierenden Defiziten beitragen.

1.1. Was ist europäische Öffentlichkeit ?

Bevor genau beschrieben werden kann, was eine europäische Öffentlichkeit ist, müssen zuvor zwei ihrer möglichen Entwicklungspfade näher betrachtet werden: Europäische Öffentlichkeit kann als Kollektiv und Handlungssubjekt gesehen werden, das einen paneuropäischen Demos als Voraussetzung hat und welches auf einem einheitlichen Mediensystem basiert. Eine weitere Möglichkeit ist eine kommunikative Sphäre, in der sich eine Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten vollzieht. Dabei befassen sich die nationalen Medien mit europäischen Themen (vgl. Trenz 2002).

In der ersten Variante versteht sich die Öffentlichkeit als ein Kollektiv, das sowohl an der öffentlichen Kommunikation teilnimmt als auch eine Vorstellung von Zugehörigkeit teilt (vgl. Peters 1999). Dieses Kollektiv ist ein Publikum bzw. Demos, das ein Träger öffentlicher Meinung und von kollektiver Identität ist. Dieses Kollektiv wird als passiv dargestellt und hat nur den Zweck, Träger von öffentlicher Meinung und Identität zu sein. Ihm wird keinerlei Deliberation und Rationalität anerkannt. Die Einheitlichkeit des Kollektivs wird durch eine gemeinsame Sprache und Kultur gewährleistet und die Medien dienen dazu, die Meinungen des Kollektivs publik zu machen. Somit taucht an dieser Stelle hinsichtlich einer europäischen Öffentlichkeit ein erstes Problem auf: Es gibt zwar eine gemeinsame Kultur, die in Europa geteilt wird, jedoch lässt die Sprachenvielfalt kein gemeinsames europäisches Kommunikationssystem zu. Somit kann es auch keine europäische Öffentlichkeit geben (vgl. Grimm 1995). Trenz (2002: 28) weist darauf hin, dass in der Öffentlichkeit mehrere politische Diskurse und europäische Öffentlichkeiten nicht auszuschließen sind.

Öffentlichkeit kann aus der heutigen Perspektive vielmehr als eine „intersubjektiv geteilte, kommunikativ konstituierte Sphäre wechselseitiger Beobachtungen“ (Habermas 1992: 436) verstanden werden. Hierbei distanziert man sich von einer Mitgliedschaft zu einem bestimmten Territorium. Politisch relevante Inhalte und Meinungen beziehen sich nicht nur auf ein Territorium, denn aufgrund neuer Kommunikationstechnologien ist die Beobachtung globaler Ereignisse möglich. Elementare Strukturen dieser Öffentlichkeit sind die Beziehung zwischen Sprecher und Publikum, bzw. der Beobachtung der politischen Herrschaft zwischen den beobachtenden Herrschaftsträgern und einem beobachtenden Publikum (vgl. Trenz 2002: 29): Diese Beziehung ist dynamisch und nicht auf einen Konsens fixiert, sondern dient als Ort des Meinungsaustausches, der auch konfliktbelastet sein kann. Es findet eine Vermittlung von Inhalten statt, die in Richtung des Sprechers und des Publikums verläuft. Somit findet ein Prozess der Meinungs- und Willensbildung statt (vgl. Habermas 1992, Peters 1993).

Festzuhalten ist weiterhin, dass das Publikum nicht der Gesamtheit der Bürger entspricht. Dessen Zusammensetzung hängt von den Themen und von ihrer Inszenierung im öffentlichen Raum ab (vgl. Neidhardt 1994). Das Publikum lässt sich wenig auf politische Räume und Identitäten festsetzen, denn diverse Gruppen können auf das gleiche Thema reagieren. Zu einem Publikum gehört man, wenn man sich betroffen fühlt. Ist man dies bei Maßnahmen der europäischen Politik, so gibt es eine unbestimmte Anzahl an Personen im transnationalen Raum, die Interesse am jeweiligen europapolitischen Themenfeld haben. Jedoch gibt es viele Personen, die kein Interesse an europäischer Politik haben, was erneut dafür spricht, dass eine Öffentlichkeit nicht territorial gebunden ist. Es liegt kein Kollektiv vor, sondern nur verschiedene Teilnehmerzahlen, die jeweils vom Thema abhängig sind. Zwar können sich mehrere transnationale Demoi bilden, sie gelten jedoch nicht als Bedingung dafür, dass Kommunikation stattfindet. Im Gegensatz zur Öffentlichkeit als Kollektiv wird hier deutlich, dass ein politisch interessiertes Publikum keine Notwendigkeit für eine Öffentlichkeit ist, vielmehr beruht diese auf einer Freiwilligkeit der Teilnahme.

Die Kommunikation in den Öffentlichkeitsarenen ist von Konflikten geprägt, die zur Integration beitragen können (vgl. Dubiel 1999). Dies mag paradox klingen, aber ungeachtet der verschiedenen Positionen befasst man sich mit demselben Gegenstand. Damit sich eine europäische Öffentlichkeit entfalten kann, müssen sich die verschiedenen Öffentlichkeitsarenen zunächst bewusst sein, aus welchem Grund sie sich im Konflikt befinden. Der Konfliktrahmen beschränkt sich auf die Herrschaftsordnung der EU. Da sich die Konfliktaustragung in der EU auf das Demokratie- und Öffentlichkeitsdefizit konzentriert, wirken die Konflikte selber als eine Art Therapie auf den Streitpunkt und man kann dies als eine Selbstheilung interpretieren (vgl. Trenz 2002: 10).

Bei der Bewertung der beiden Formen von europäischer Öffentlichkeit ist festzustellen, dass die erste Variante mit einer paneuropäischen Öffentlichkeit, die auf einem einheitlichen Mediensystem beruht, weniger wahrscheinlich ist als die Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten. Bei der empirischen Untersuchung hat man sich ebenso auf das letztere fokussiert und diesem Trend folgt auch diese Arbeit. Dennoch herrscht in der europäischen Öffentlichkeitsforschung ein zunehmender Konsens, dass beide Alternativen sich nicht ausschließen und sich gegenseitig ergänzen können (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 16).

1.2. Teilöffentlichkeiten

Ich habe bereits festgestellt, dass die europäische Öffentlichkeit nicht als eine ganze, sondern als mehrere Öffentlichkeiten zu verstehen ist. Ein populäres Modell von Teilöffentlichkeiten stammt von Klaus (2001), die zwischen einer einfachen, mittleren und komplexen Ebene von Öffentlichkeit unterscheidet, die in ihren Macht- und Entscheidungsbefugnissen sowie ihrer Anzahl an Kommunikationsforen variieren.

Abbildung 1: Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit nach Klaus (2001)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einfache Öffentlichkeiten entstehen durch spontane Kommunikation im Alltag. Die Teilnehmenden auf dieser Ebene müssen körperlich anwesend sein und eine gemeinsame Sprache beherrschen. Kommunikationsbeziehungen innerhalb von Europa entwickeln sich durch Klassenfahrten, Sprach- und Geschäftsreisen und fördern somit ein europäisches Gefühl. Die Europäische Union fördert solche Encounter-Öffentlichkeiten durch Aktionsprogramme wie ERASMUS oder „Jugend in Aktion“. Der Beitrag zur europäischen Öffentlichkeit liegt darin, dass ein gegenseitiges Interesse und die Entwicklung europäischer Identität gefördert werden und somit auch die transnationale Kommunikation und Verständigung davon profitiert.

Mittlere Öffentlichkeiten konstituieren sich aus Veranstaltungs- und Versammlungsöffentlichkeiten, die strukturell organisiert sind und Regeln haben. Sie bestimmen die Rechten und Pflichten der Mitglieder. Hier findet eine Kommunikation zwischen den Mitgliedern statt; den interpersonalen Austausch dominieren jedoch die Sprecher. Mittlere Öffentlichkeiten basieren auf einfachen Öffentlichkeiten und versuchen die Ebene der komplexen Öffentlichkeiten zu erreichen um ihre Interessen zu artikulieren. Als Beispiel wären hier die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) und ihre Erwachsenenorganisation, die Europa Union, zu nennen. Diese Vereine unterstützen den europäischen Integrationsprozess und sind europaweit tätig. Sie besitzen eine Vereinsstruktur und neben Versammlungen planen sie beispielsweise Aktionen, deren Ziel die Steigerung der Wahlbeteiligung zur Europawahl im Frühjahr 2009 ist. Mit einem Büro in Brüssel wird versucht, die Sichtweisen und Interessen der JEF in der komplexen Ebene der Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen. Während die mittleren Öffentlichkeiten zur Erweiterung und Stabilisierung von Öffentlichkeitsstrukturen beitragen besteht Zweifel darüber, ob die mittleren Öffentlichkeiten einen großen Einfluss haben (vgl. Adam 2004, zitiert nach Latzer/Sauerwein 2006: 33).

Komplexe Öffentlichkeiten europäischer Öffentlichkeit befinden sich im Umfeld der EU-Institutionen. Dort hat die Kommunikation eine komplexe und stabile Struktur in einem geschlossenen Bereich von institutionalisierten Gruppen. Es wird eine besondere Einbindung von Gruppen erreicht, jedoch auf Kosten von Zugänglichkeit und Transparenz. Zu dieser Ebene der Öffentlichkeit gehören unter anderem Lobbyisten und Nichtregierungsorganisationen (NRO). Zu den komplexen Öffentlichkeiten zählen auch die Massenmedien, da durch sie Meinungen schnell und breitflächig publik gemacht werden können.

Die Neuen Medien lassen sich auf das Model übertragen. Sie zeichnen sich durch Multimedialität, Interaktivität, Vernetzung, sowie räumlicher und zeitlicher Unabhängigkeit aus (vgl. Stähler 2001: 107). Unter neuen Medien werden hauptsächlich Dienste im Internet verstanden. Dazu gehören auch die virtuellen Öffentlichkeiten, auf die sich diese Arbeit fokussiert. Sie siedeln sich unterhalb komplexer Öffentlichkeiten an und können zum Input für die massenmediale Öffentlichkeit werden. Aufgrund ihrer Interaktivität und die potenzielle Beteiligung der breiten Bevölkerung können sie die demokratische Qualität verbessern (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 33-34). In der Realität wird die Teilnahme der breiten Bevölkerung jedoch durch soziale, politische und ökonomische Faktoren stark eingeschränkt.

Die aufgezeigte Fragmentierung der europäischen Öffentlichkeit birgt Vorteile und Nachteile. Die technischen Neuerungen fördern Segmentierungen und voneinander abgekoppelte Teilöffentlichkeiten, was vor allem im Internet zu beobachten ist. Somit kann nur ungenügend konzentriert auf politische Problemlagen aufmerksam gemacht werden und das Gewicht der öffentlichen Meinung leidet darunter (vgl. Marschall 1999, Fraser 2003). Trotz dieser bedeutenden Probleme betont Eriksen (2000), dass umso mehr Demokratie entsteht, je mehr Öffentlichkeiten und Debatten es gibt. Während Massenmedien nur den Input der politischen Akteure wiedergeben, bietet das Internet weitere Kanäle um die Meinung anderer Personen zu erfahren. Die Fragmentierung kann als Arbeitsteilung betrachtetet werden. Die Teilöffentlichkeiten können mehr Themengebiete abhandeln und erlauben somit eine Spezialisierung und Kompetenzsteigerung darin.

1.3. Die mediale Öffentlichkeitsforschung

Nachdem die Ebenen von Öffentlichkeit erläutert wurden und ein Bezug auf die Neuen Medien hergestellt wurde, soll im folgenden Teil die mediale europäische Öffentlichkeitsforschung skizziert werden. Mediale Strukturen, Inhalte und medialer Wandel haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung europäischer Öffentlichkeit. Demnach sind sie ein Fokus der Öffentlichkeitsforschung allgemein und auch der europäischen Öffentlichkeitsforschung im Speziellen, die seit den 90er Jahren betrieben wird. Die dominierenden Analysemethoden sind hierbei empirische Inhaltsanalysen politischer Kommunikation. Strukturelle Analysen von Medien und des Berufes des Journalisten sind deutlich seltener (vgl. Seethaler 2006). Hierbei herrscht eine Heterogenität in der Forschungspraxis (vgl. Latzer/Sauerwein 2006: 20-23): Es gibt unterschiedliche Grundgesamtheiten (europäische Berichterstattung oder nur EU-politische), Analyseparameter (Interaktion, Diskursivität) und Untersuchungseinheiten (Länder, Medien). Viele Inhaltsanalysen beruhen auf der nationalen Berichterstattung von europäischen Themen, die in den Printmedien der Qualitätspresse der einzelnen Länder zu finden sind. Zu den Neuen Medien gibt es ein Forschungsdefizit: Es existieren nur sehr wenige Arbeiten zur europäischen Öffentlichkeit, die virtuelle Öffentlichkeitsarenen berücksichtigen. Eines der wenigen Beispiele hierfür kommt von Winkler/Kozeluh/Brandstetter (2006), die die Online-Plattform Your Voice in Europe untersuchten. Das Ziel - der von der Europäischen Kommission betriebenen Plattform - war eine breite Einbindung der europäischen Bürger, Organisationen und Unternehmen. Als Untersuchungsparameter wurden die Interaktivität und die Diskursqualität ausgewählt. Untersuchungseinheiten waren unter anderem der Grad an Übereinstimmung, Emotion und Ironie sowie der Mitteilungszweck. Der Vorteil dieser Studie liegt darin, dass Personen aus ganz Europa an der Plattform teilnehmen konnten und sie nicht einem Nationalstaat zu Grunde lag. Die vorherrschende Sprache war Englisch. Die Ergebnisse der Studien zeigten jedoch, dass wegen der hohen Diskurs- und Interaktionsqualität die Plattform nur von einem Elite-/Fachpublikum genutzt wurde und somit das Ziel, eine breite Bevölkerung einzubinden, vorläufig gescheitert war.

Öffentlichkeitsforschung ist in mehreren Disziplinen beheimatet. Ihre Bedeutung ist in der Kommunikations- und Medienwissenschaft wichtig, jedoch betonen auch andere Wissenschaften die Relevanz der Öffentlichkeitsforschung für ihren Bereich. Eine öffentliche Sphäre konstituiert sich in der Politik und Gesellschaft, weshalb ihr Wissenschaftsbereich eine Rolle spielt. Der sprachwissenschaftliche Aspekt der Öffentlichkeitsforschung ergibt sich aus politischen Diskursen, die für die Öffentlichkeit notwendig sind und in den Medien stattfinden. Auf Grund der Komplexität der europäischen Öffentlichkeitsforschung wird häufig ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt. Bei meiner Forschungsarbeit verwende ich hauptsächlich den sprachwissenschaftlich geprägten Ansatz der CDA, die ich im folgenden Kapitel erläutern und mit der europäischen Öffentlichkeitsforschung in Zusammenhang bringen werde.

2. Critical Discourse Analysis

Der Ansatz der CDA existiert seit mehr als 30 Jahren und hat seine Wurzeln in den Critical Linguistics (CL) der 1970er Jahre, als die Hauptaufmerksamkeit der Linguistik bei den formalen Aspekten der Sprache lag. Linguisten der Universität von East Anglia waren zu dieser Zeit besonders politisch und sozial bewusst und entwickelten systematische Wege um die politische und soziale Bedeutung von Texten zu erfassen (vgl. Hodge/Kress 1993). Dabei wurde die Rolle der Sprache bei der Strukturierung von Machtbeziehungen in der Gesellschaft erkannt (vgl. Anthonissen 2001). Zwar wurde in den 70er Jahren eine Beziehung zwischen Sprache und Kontext anerkannt, beispielsweise in der Soziolinguistik, jedoch wurden nur Sätze und ihre Teile als Einheiten analysiert. Die Sprachvariation in der Soziolinguistik war nur beschreibend und erklärend und wurde nur in geringer Weise unter den Gesichtspunkten der sozialen Hierarchie und Macht betrachtet (vgl. Wodak 2001: 5).

In den folgenden Jahren entwickelte sich die kritische Betrachtungsweise und eine interdisziplinäre Kreuzung zwischen der Linguistik und den Sozialwissenschaften fand statt. Bis 1990 wurde der Ausdruck CDA häufiger mit diesem linguistischen Ansatz verwendet. Kress (1990: 94) betont, wie die CDA als eine radikal andere Art von Linguistik entstand, sie inzwischen aber anerkannt ist. Die Grundannahmen der CDA sind unter anderem, dass die Sprache ein soziales Phänomen ist und dass Individuen, Institutionen und soziale Gruppierungen besondere Bedeutungen und Werte haben, die systematisch in der Sprache ausgedrückt werden. Weiterhin sind Texte relevante Einheiten der Sprache im Gebrauch (vgl. Kress 1989). Kress konzentriert sich auf die Medien, genauer gesagt, inwiefern verschiedene Gesellschaften die verschiedenen Arten von Repräsentationen verstehen und wie sie sie bewerten. Seine Bemühungen darin konzentrierten sich auf die Pädagogik, wobei ein Nebenprodukt davon die Miteinbeziehung der Politik war.

In den folgenden Jahren entwickelte sich der Ansatz weiter. Bedeutende Fortschritte werden im Folgenden kurz skizziert: Fowler (1991) wandte Standardtheorien der Linguistik, zum Beispiel Hallidays Theorie der systemischen funktionalen Grammatik, in der CDA an. Fairclough (1989) untermauerte die CDA mit sozialen Theorien und Fairclough (1995) zeigte anhand der Medien, in denen die Sprache transparent ist und ein Machtkampf stattfindet, dass sie keine neutrale, sondern eine beeinflussende Rolle hat. Van Dijks (1981) linguistisches Interesse bestand in der Untersuchung von Spracheinheiten, die größer als Sätze sind, und beleuchtete Bedeutungen in Abhängigkeit vom gesamten Text und Kontext. Später interessierte er sich für den Gebrauch und Funktion der medialen Diskurse. Ende der 80er konnten die CL bereits ihre Ziele, Forschungsinteressen, Perspektiven und Methoden beschreiben. Im Laufe weiterer Jahre wurde die Relevanz von interdisziplinärer Forschung deutlich und es entstanden mehrere Ansätze zur CDA. Bevor ich mich diesen Themen zuwende, möchte ich auf die wichtigsten Konzepte der CDA eingehen.

2.1. Konzepte der CDA

Ein Ziel, das bei den kritischen Zielen der CDA immer erfüllt wird, ist die Beschreibung der Texte und wie sie funktionieren. Dennoch liegen die Hauptinteressen der CDA in den unklaren und transparenten strukturellen Beziehungen von Dominanz, Diskriminierung, Macht und Kontrolle und deren Manifestierung in der Sprache. Ziel ist ihre „Entmystifizierung“ und die Erschaffung von „awareness in agents of how they are deceived about their own needs and interests about their own needs and interests“ (Wodak 2001a: 10). Demnach lassen sich vier Konzepte der CDA ermitteln: Kritik, Macht, Geschichte und Ideologie (vgl. Wodak 2008, 297-299).

Der Begriff der Kritik ergibt sich aus der CDA und kann verschiedene Bedeutungen haben. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Theorie bedeutet Kritik, dass man zu den Daten Abstand einhält und sie sozial einbettet. Dabei wird ihre politische Position kenntlich gemacht. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Ergebnisse der Analyse angewandt werden können.

Macht gewinnt man nicht nur durch Sprache, sondern durch die Personen, die sie benutzen. CDA nimmt oft die Perspektive der Verwundbaren ein und analysiert die Sprache derjenigen, die die Macht besitzen und für die Unzufriedenheit verantwortlich sind und auch die Macht haben, diesen Zustand zu verändern. Da sich der Unterschied in der Verteilung von Macht in Diskursen äußert, sind Texte oft Orte von Kämpfen und zeigen Spuren unterschiedlicher Ideologien.

Ideologie in der CDA bezieht sich auf die Definition von Thompson (1990). Sie bezeichnet die Beobachtung von Möglichkeiten, in denen Bedeutungen von symbolischen Formen gebaut und vermittelt werden. Sie beinhaltet weiterhin die sozialen Kontexte, in denen symbolische Formen verwendet werden. Sie ermöglichen Aussagen darüber, ob solche Formen Herrschaft tolerieren oder aufbauen. Geschichte spielt in der Form des historischen Kontexts dabei ebenso eine Rolle, denn historische Gründe determinieren die Gefühle, Vernunft und Wünsche der Menschen.

2.2. Interdisziplinarität

Eine interdisziplinäre Anforderung an die CDA wurde bereits erwähnt und wird in diesem Kapitel näher erläutert. Van Leeuwen (2005: 3-16) unterscheidet zwischen drei verschiedenen Modellen von Interdisziplinarität in der CDA: das zentralistische, das pluralistische und das integrationistische Modell.

Das zentralistische Modell ist ein methodischer Ansatz, in denen sich die jeweiligen Disziplinen als wichtigste von allen zählen. Von sich selber aus ziehen sie Verbindungen zu anderen Disziplinen. Diese Verbindungen werden nur aufgebaut, wenn sich Themen überlappen und die Methoden anderer Disziplinen zur Stärkung der eigenen Ansprüche geltend gemacht werden können. Da zentralistische Modelle methodenorientiert sind, zeigen sie Defizite, wenn ihre Methodik nicht ausreicht um wichtige Probleme zu behandeln.

Das pluralistische Modell hingegen ist problemorientiert und erkennt die Gleichberechtigung aller Disziplinen an. Wie die verschiedenen Disziplinen miteinander verknüpft sind, ist unklar. In den pluralistischen Modellen spielt oft der Begriff der Triangulierung eine Rolle, das heißt Ergebnisse werden mit den Methoden der Disziplinen doppelt oder dreifach verifiziert. Den pluralistischen Modellen wird eine Zukunft vorausgesagt, da sie die Grenzen zwischen den Disziplinen aufbrechen. Dies äußert sich in der Errichtung von interdisziplinären Forschungszentren an Universitäten, wie sie, unter anderem, die Exzellenzinitiative in Deutschland möglich macht.

Das integrationistische Modell, dem auch der in dieser Arbeit verwendete DHA zu Grunde liegt, ist wie das pluralistische Modell problemorientiert. Es bringt verschiedene Disziplinen zusammen und erkennt, dass eine alleine nicht ausreicht um ein Problem ausreichend zu lösen. Demnach werden die Disziplinen, ungleich wie in den anderen Modellen, als voneinander abhängig betrachtet. Durch die Implementierung von integrativen Prinzipien verändern sich die Funktionsweisen der Prinzipien in den Disziplinen und sie können nicht länger als traditionell angesehen werden. Dementsprechend werden sie zu „Fertigkeiten“ reduziert, die in integrativen Projekten notwendig sind.

2.3.Theoretische Ansätze innerhalb der CDA

In der CDA gibt es keinen allgemein gültigen theoretischen Ansatz. Meyer (2001: 18) betont, dass „there is no guiding theoretical viewpoint that is used consistently within CDA, nor do the CDA protagonists proceed consistently from the area of theory to the field of discourse and then back to theory.“ Da der DHA sich von mehreren dieser Theorien bedient, werde ich im Folgenden die einzelnen Theorien kurz skizzieren:

Epistemologische Theorien behandeln Modelle der Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen und wissenschaftlichen Perzeption (vgl. Meyer 2001: 19). Ein Vertreter dieser Theorie ist Siegfried Jäger, dessen Position behauptet, dass es keine soziale Realität außerhalb des Diskurses gibt. Diskurs ist ein konsolidiertes Konzept der Rede und determiniert Handlung und Macht.

Grand theories verbinden mikro- und makrosoziologische Phänomene, indem sie Beziehungen zwischen sozialer Struktur und sozialer Handlung verbinden. Dabei werden zwischen top-down Erklärungen, in denen soziale Strukturen die Handlung bedingen, und bottom-up Erklärungen, in denen die sozialen Akteure die Strukturen bedingen, unterschieden. Wodak (2001b: 64) hält grand theories für nicht operationalisierbar und neuere Theorien versuchen diese zwei verschiedenen Erklärungen miteinander zu vereinbaren.

Middle-range theories konzentrieren sich auf soziale Phänomene wie Konflikt und soziale Netzwerke, oder auf Untersysteme der Gesellschaft wie Politik, Wirtschaft und Religion. Beispielsweise versucht Norman Fairclough, den sozialen Konflikt in seiner sprachlichen Ausprägung in Diskursen zu finden. Von besonderem Interesse stuft er die Elemente von Dominanz, Unterschied und Widerstand ein. Sein Ansatz bewegt sich zwischen Struktur und Handlung und fordert, dass die CDA emanzipatorische Ziele verfolgen sollte und auf die Probleme der Gesellschaft eingehen muss. Dabei benutzt Fairclough die Theorie des systemisch-funktionalen Linguistik von Halliday (1985), die besagt, dass soziale Funktionen die Sprache gestalten.

Mikrosoziologische Theorien versuchen soziale Interkationen zu erklären, unter anderem die Rekonstruktion von täglichen Prozessen, die Mitglieder einer Gesellschaft nutzen um ihre eigene soziale Rangordnung festzulegen. Dazu gehört der Ansatz der mediated discourse analysis (MDA) von Scollon (2001). Die MDA unterscheidet sich von der CDA lediglich in der Hinsicht, dass der Fokus nicht auf den Diskursen von sozialen Problemen liegt, sondern auf den sozialen Handlungen, die durch den Alltag der sozialen Akteure produziert werden.

Soziopsychologische Theorien interessieren sich für soziale Bedingungen für Emotion und Kognition und bevorzugen kausale Erklärungen. Teun van Dijk, als Vertreter dieser Theorie, sieht die Theorie als ein Gerüst um soziale Phänomene der sozialen Wirklichkeit zu systematisieren. Er bewegt sich zwischen dem Dreieck des Diskurses (geschriebener Text, Unterhaltungen, Gestik, Mimik, etc.) in der Gesellschaft (soziale Strukturen) und Kognition (wie man in der Gesellschaft wahrgenommen wird). Demnach ergibt sich ein Einfluss auf die Gesellschaft durch Kognition. Van Dijk greift bei seinem Ansatz marginal auf Diskurstheorien zurück, die den Diskurs als soziales Phänomen betrachten und dessen Entstehung Struktur zu erklären versuchen (vgl. Meyer 2001: 20-21).

Die letzte Theorie, die Diskurstheorien werden beim DHA explizit aufgegriffen. Dieser komplexe Ansatz, der im folgenden Kapitel ausführlicher behandelt wird, gehört zu den linguistischen Theorien, die versuchen, spezifische Muster von Sprachsystemen und verbaler Kommunikation zu beschreiben.

2.4. Der diskurs-historische Ansatz

Der DHA (vgl. Wodak 2001a, Wodak/Reisigl 2001) in der CDA wurde 1986 von Ruth Wodak entwickelt. Seine erste Aufgabe bestand darin, antisemitische Feindbilder in der österreichischen Präsidentschaftskampagne von Kurt Waldheim zu analysieren (vgl. Wodak et al. 1990). Neben linguistischen Manifestationen von Vorurteilen im medialen Diskurs wurden die Daten historisch überprüft und somit eine systematische Täuschung durch falsche Fakten und Daten aufgedeckt.

Der Ansatz wurde in den folgenden Jahren weiterentwickelt. Eine Studie über den Diskurs über Nation und Nationalidentität in Österreich (vgl. Wodak et al. 1998) behandelte die Beziehung zwischen Konstruktionen von nationaler Gleichheit und Unterschieden, die zur Ausschließungen von Gruppen führen. Dabei ging man von sozialwissenschaftlichen Theorien aus und entwickelte methodische Ansätze und Analysen, die für nachfolgende Studien Verwendung fanden.

Der DHA fand in weiteren politischen Diskursen, vor allem in den Medien, Anwendung: In Druckmedien, Radio und TV-Nachrichten. Bevor die Arbeiten zu den Diskursen zur EU in den Medien näher betrachtet werden, müssen zuvor die wichtigsten Eigenschaften und Konzepte des Ansatzes erläutert werden.

2.4.1. Grundlegende Eigenschaften

Der DHA baut auf zahlreichen Charakteristiken auf. So bedient er sich einiger verschiedener Theorien aus mehreren Fachbereichen, die im vorigen Kapitel erläutert wurden. Somit zeichnet sich der Ansatz interdisziplinär aus, was sich neben der Theorie in der Methode und Arbeit zeigt. Im Rahmen der Diskurstheorie betrachtet der DHA den Diskurs als geschriebene und gesprochene Sprache, die Formen sozialer Praktiken sind. Dabei wird eine Verbindung zwischen diskursiven Praktiken und den Aktionsfeldern, wie den Gesetzgebungsprozess, Meinungsbildung und politische Verwaltung, geknüpft. Diskurse als sprachliche soziale Praktiken konstituieren die (nicht-) diskursiven sozialen Praktiken und umgekehrt. Diskurs kann als ein komplexes Bündel von gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden, voneinander abhängigen sprachlichen Akten verstanden werden, die sich innerhalb und über sozialen Aktionsfeldern hinaus manifestieren können (vgl. Lemke 1995). Die Diskurse sind Texte, die sich in verschiedene Genres unterteilen lassen. Texte werden als materiell haltbare Produkte sprachlicher Aktionen definiert (vgl. Reisigl 2000). Ein Genre ist ein stilisierter und schematisch mehr oder weniger festgelegter Gebrauch von Sprache bei einer bestimmten Tätigkeit (vgl. Fairclough 1995: 14). Dazu zählen Regulierungen im Aktionsfeld des Gesetzgebungsprozesses, Pressemitteilungen bei der Meinungsbildung und Reden in der politischen Verwaltung.

Der DHA bedient sich mehrerer Theorien, auf die bereits in Kapitel 2.3. eingegangen wurde . Die middle range theories werden aus methodologischen Gründen verwendet und beschreiben den Kontext in ihren extralinguistischen, soziologischen Variablen und in einem institutionellen Rahmen. Weiterhin bedient sich der DHA der Grand Theories, die zu einem breiteren soziopolitischen und historischen Kontext, in denen der Diskurs eingebettet ist, beitragen. Dieser Kontext ist in dieser Arbeit der europäische Integrationsprozess, der im nächsten Kapitel beschrieben wird.

Die Interdisziplinarität ist wichtig für die kritischen Aspekte des DHA, der der kritischen Theorie von Habermas (1996) folgt. Der Ansatz betont dabei drei kritische Aspekte: Die Text oder Diskurs immanente Kritik beabsichtigt Unstimmigkeiten, Widersprüche, Paradoxe und Dilemmas in den Text- und Diskursstrukturen aufzudecken. Die soziodiagnostische Kritik setzt sich mit der entmystifizierenden Wirkung der manifesten, latenten und möglicherweise überzeugenden und manipulativen Absichten des Sprechers in diskursiven Praktiken auseinander. Somit verlässt man die interne textuelle und diskursive Sphäre und macht Gebrauch von seinem kontextuellen Wissen und platziert das diskursive Ereignis in einen Rahmen sozialer und politischer Beziehungen, Prozessen und Umständen (vgl. Wodak/Reisigl 2001). Die prognostische Kritik beabsichtigt Dinge zu verändern und eine praktische Anwendung zu finden. Sie versucht zur Lösung von sozialen Problemen beizutragen, zum Beispiel zur Verbesserung der Kommunikation, indem man Vorschläge und Richtlinien ausarbeitet und Sprachbarrieren in öffentlichen Institutionen abbaut.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836631259
DOI
10.3239/9783836631259
Dateigröße
861 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Philologische Fakultät
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
1,3
Schlagworte
öffentlichkeitsforschung europa neue medien critical discourse analysis
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Titel: Europäische Öffentlichkeit in den Neuen Medien
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