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Der Einfluss des muttersprachlichen Aspekt-Tempus-Systems auf die fremdsprachliche Konzeptualisierung

Eine empirische konstrastive Studie zum Russischen und Deutschen

©2007 Magisterarbeit 88 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die russischen, bzw. deutschen Sprecher der Studie, die hier vorgestellt wird, brauchen für die Produktion von 100 Wörtern durchschnittlich eine Minute. In dieser Minute müssen sie aus ihrem mentalen Lexikon, das für den aktiven Gebrauch etwa 50.000 Wörter schon allein für die Erstsprache gespeichert hat und aus den Informationen, die zur Grammatik und Syntax gespeichert sind, Wahlen treffen, von denen sie meinen, sie würden der Aufgabe der Nacherzählung des Stummfilms Quest dienlich sein. Bevor ihre Äußerungen aber überhaupt grammatische und syntaktische Form erhalten, sind diese bereits in einem Konzeptualisierungsprozess (conceptual preparation bei Levelt 1999) auf mikro- und makrostruktureller Ebene, selektiert, segmentiert, strukturiert und linearisiert worden. Des weiteren wurde ein bestimmter Blickwinkel gewählt, die sog. L-Perspektivierung, d.h. es wurden bestimmte Einheiten des Films ausgewählt, die dem Sprecher wert sind, nacherzählt zu werden und dadurch die Aufgabe zu erfüllen, die den Probanden gestellt wurde.
Für die Untersuchung wurden von jeweils 16 russischen und deutschen Testpersonen Filmnacherzählungen analysiert, die in Heidelberg, bzw. Moskau erhoben wurden.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Testpersonen bei der enormen Rechenleistung der Versprachlichung der Ereignisse des Films auf vorhandene Automatisierungen zurückgegriffen haben. Da aus der Studie außerdem ersichtlich wird, dass die Nacherzählungen russischer Sprecher anders als die deutscher Sprecher aufgebaut sind, liegt die Vermutung nahe, dass das Wissen über den Aufbau eines zusammenhängenden Textes ebenso von Sprache zu Sprache divergiert. Der Planungsprozess im Kopf, die Denkarbeit, die von Sprechern geleistet wird, um Kohärenz des Textes im Zusammenspiel mit der jeweiligen Grammatik zu erzeugen, scheint von Sprache zu Sprache unterschiedlich sein. Diese Erkenntnis, die bereits durch unterschiedliche Studien geprüft werden konnte, knüpft an die Hypothese eines thinking for speaking, wie sie durch Slobin (1996) vorliegt, an. Die kognitive Repräsentation eines Sachverhalts unterliegt demnach, aufgrund der von Sprache zu Sprache unterschiedlichen Grammatikalisierung konzeptueller Kategorien, sprachabhängigen Konzeptualisierungsmechanismen. Umfassende Studien zur Rolle des Konzeptualisierers, d.h. seiner wechselseitigen Abhängigkeit von den Prozessen im Formulator liegen durch die Mitglieder der Heidelberger Forschungsgruppe […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Julia Hantschel
Der Einfluss des muttersprachlichen Aspekt-Tempus-Systems auf die fremdsprachliche
Konzeptualisierung
Eine empirische konstrastive Studie zum Russischen und Deutschen
ISBN: 978-3-8366-3111-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland, Magisterarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

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INHALTSVERZEICHNIS
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
1
EINLEITUNG... 5
1.1
Fragestellung... 5
2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN... 8
2.1
Sprache und Denken, Sprechen und Denken... 8
2.1.1
Ein kurzer Blick in die Geschichte... 8
2.1.2
Thinking for speaking... 13
2.2
Forschungsstand... 15
2.2.1
Der Konzeptualisierer im Sprachmodell... 15
2.2.2
L-Perspektivierung und Quaestio-Theorie... 18
2.2.3
Die Heidelberger Gruppe ­ Empirische Befunde... 22
2.2.4
Beschreibungsinstrumentarium für Tempus und Aspekt... 30
nach Klein (1994)
3
EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG... 38
3.1
Fragestellung... 38
3.2
Datendokumentation Empirisches Vorgehen... 39
3.2.1
Die Heidelberger Daten... 41
3.2.2
Die selbst erhobenen Daten... 42
3.3
Analyseverfahren und Analyserahmen... 45
3.3.1
Zeitsemantische Analyse in sieben Schritten... 45
3.4
Vergleich der deutschen und russischen Ausgangsdaten ­ ... 47
zwei unterschiedliche Strategien
3.4.1
Der temporale Rahmen Deutsch... 47
3.4.2
Der temporale Rahmen Russisch im Vergleich mit dem... 49
Deutschen
3.4.2.1
Tempus und Aspekt... 49
3.4.2.2
Inhärente lexikalische Bedeutung der Verben... 53
3.4.2.3
Inchoative Konstruktionen... 55
3.4.2.4
Zeitadverbien... 57
3.4.2.5
Grenzbezogenheit der Ereignisse... 58
2

-
-
3.4.3
Zusammenfassung... 61
3.5
Lernersprache Deutsch... 62
3.5.1
Tempus... 63
3.5.2
Inhärente lexikalische Bedeutung der Verben... 63
3.5.3
Inchoative Konstruktionen... 65
3.5.4
Zeitadverbien... 67
3.5.5
Grenzbezogenheit der Ereignisse... 68
3.5.6
Zusammenfassung... 70
4
ERGEBNISSE... 72
4.1
Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studie...
72
5
LITERATUR...
75
6
ANHANG...
82
3

-
-
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis:
Tabellen:
Tab. 1 Zeitmodell Russisch und Deutsch
S.31
Tab. 2 Demographische Daten und Niveau der Zielsprachenbeherrschung
S.43
Tab. 3 Äußerungen der Haupt -und Nebenstruktur Deutsch L1, Russisch
S.44
L1 und Deutsch L2
Tab. 4 Tempuswahl Deutsch L1 und Russisch L1
S.50
Tab. 5 Verteilung der Aspektformen Russisch L1
S.51
Tab. 6 Verteilung der Art der Aspektbildung Russisch L1
S.52
Tab. 7 1-Zustandsverben und 2-Zustandsverben Russisch L1
S.53
Tab. 8 1-und 2-Zustandsverben Deutsch L1 ­ Russisch L1
S.54
Tab. 9 Inchoative Konstruktionen Deutsch L1 ­ Russisch L1
S.55
Tab. 10 Temporale Adverbiale Deutsch L1 - Russisch L1
S.57
Tab. 11 Grenzbezogenheit der Ereignisse Deutsch L1 ­ Russisch L1
S.59
Tab. 12 Tempuswahl Russisch L1, Deutsch L1, Deutsch L2
S.63
Tab. 13 1- und 2-Zustandsverben Deutsch L1, Russisch L1, Deutsch L2
S.64
Tab. 14 Präfigierte Verben Russisch L1, Deutsch L1, Deutsch L2
S.64
Tab. 15 Inchoative Konstruktionen Russisch L1, Deutsch L1, Deutsch L2
S.65
Tab. 16 Temporale Adverbiale Russisch L1, Deutsch L1, Deutsch L2
S.67
Tab. 17 Grenzbezogenheit der Ereignisse ­ Russisch L1, Deutsch L1,
S.68
Deutsch L2
Abbildungen:
Abb. 1 Aufbau der Untersuchung
S.39
Abb. 2 Ablaufmodell der Analyse
S.46
4

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1
EINLEITUNG
1.1 Fragestellung
Die russischen, bzw. deutschen Sprecher der Studie, die hier vorgestellt wird, brauchen
für die Produktion von 100 Wörtern durchschnittlich eine Minute. In dieser Minute
müssen sie aus ihrem mentalen Lexikon, das für den aktiven Gebrauch etwa 50.000
1
Wörter schon allein für die Erstsprache gespeichert hat und aus den Informationen, die
zur Grammatik und Syntax gespeichert sind, Wahlen treffen, von denen sie meinen, sie
würden der Aufgabe der Nacherzählung des Stummfilms Quest dienlich sein. Bevor ihre
Äußerungen aber überhaupt grammatische und syntaktische Form erhalten, sind diese
bereits in einem Konzeptualisierungsprozess (conceptual preparation bei Levelt 1999) auf
mikro- und makrostruktureller Ebene, selektiert, segmentiert, strukturiert und linearisiert
worden. Des weiteren wurde ein bestimmter Blickwinkel gewählt, die sog. L-
Perspektivierung, d.h. es wurden bestimmte Einheiten des Films ausgewählt, die dem
Sprecher wert sind, nacherzählt zu werden und dadurch die Aufgabe zu erfüllen, die den
Probanden gestellt wurde.
Für die Untersuchung wurden von jeweils 16 russischen und deutschen Testpersonen
Filmnacherzählungen analysiert, die in Heidelberg, bzw. Moskau erhoben wurden.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Testpersonen bei der enormen
Rechenleistung der Versprachlichung der Ereignisse des Films auf vorhandene
Automatisierungen zurückgegriffen haben. Da aus der Studie außerdem ersichtlich wird,
dass die Nacherzählungen russischer Sprecher anders als die deutscher Sprecher
aufgebaut sind, liegt die Vermutung nahe, dass das Wissen über den Aufbau eines
zusammenhängenden Textes ebenso von Sprache zu Sprache divergiert. Der
Planungsprozess im Kopf, die Denkarbeit, die von Sprechern geleistet wird, um Kohärenz
des Textes im Zusammenspiel mit der jeweiligen Grammatik zu erzeugen, scheint von
Sprache zu Sprache unterschiedlich sein. Diese Erkenntnis, die bereits durch
unterschiedliche Studien geprüft werden konnte, knüpft an die Hypothese eines thinking
for speaking, wie sie durch Slobin (1996) vorliegt, an. Die kognitive Repräsentation eines
Sachverhalts unterliegt demnach, aufgrund der von Sprache zu Sprache
unterschiedlichen Grammatikalisierung konzeptueller Kategorien, sprachabhängigen
Konzeptualisierungsmechanismen. Umfassende Studien zur Rolle des Konzeptualisierers,
d.h. seiner wechselseitigen Abhängigkeit von den Prozessen im Formulator liegen durch
die Mitglieder der Heidelberger Forschungsgruppe (vgl. Klein & Stutterheim 2000, Carroll
1997, Stutterheim & Lambert 2005) vor.
Die Frage, die an das vorliegende empirische Material gestellt wird, lautet, ob russische
Muttersprachler in der Lernersprache Deutsch auf ihr gelerntes Sprechmodell
zurückgreifen oder sich problemlos der Zielsprache anpassen, bzw. ob vielleicht sogar
ganz andere Muster der Sprachproduktion zu beobachten sind.
1
Dietrich (2002:80)
5

-
-
Die vorliegende Studie stellt mit dieser Fragestellung keineswegs Pionierarbeit dar. Aus
den bisherigen Ergebnissen kann geschlossen werden, dass eine Sprachspezifik im
Planungsprozess vorhanden ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass ähnliche
Strategien bei der Versprachlichung von Ereignissen in der Muttersprache auch in der
Zweitsprache verwendet werden, da die bisherigen Studien der Heidelberger
Forschungsgruppe (vgl. Stutterheim & Lambert 2005, Carroll & Lambert 2003) bereits
Beweise dafür bieten.
Deshalb versteht sich die vorliegende Arbeit als ein Beitrag, zur Erforschung der Frage,
wie sprachspezifisch der Konzeptualisierer des Menschen funktioniert und ob sich die
Idee einer L-Perspektivierung empirisch im Planungsprozess zeitlicher Referenzen
belegen lässt. Wenn eine Sprache komplexe kognitive Prozesse, wie den Aufbau von
Kohärenz in einer Nacherzählung beeinflusst, dann kann durch die Untersuchung der
Ereignisdomäne, der Einfluss auf die Art und Weise der Informationsorganisation getestet
werden. Bisher wurde eine Reihe von Sprachen
2
untersucht, die sich darin unterscheiden,
ob ein grammatikalisiertes Verbalaspektsystem vorliegt oder nicht. Eine Studie zum
Russischen, das eine grammatikalisierte Unterscheidung zwischen perfektivem und
imperfektivem Aspekt aufweist, im Vergleich mit der Lernersprache Deutsch, für die der
Unterschied nicht vorhanden ist, liegt meines Wissens jedoch nicht vor.
Wenn sich auch hier feststellen lässt, dass linguistische Informationen sprachspezifisch
unterschiedlich organisiert sind, wäre ein weiterer Beweis dafür geschaffen, dass die
Prozesse während der Konzeptualisierung durch die Einzelsprache beeinflusst werden.
Dies hieße, dass bei der Übertragung eines Gedankens in einen Satz, und sogar noch
mehr, in einen kohärenten Text, sprachspezifische Unterschiede bestehen, so dass man
von Konzeptualisierungskonventionen sprechen kann, die für jede einzelne Sprache zu
sprachspezifischen Textaufbaumustern (Stutterheim 1997:32) führen.
Ziel dieser Magisterarbeit ist es daher, durch die Analyse der Filmnacherzählungen
russischer Muttersprachler und der deutschen lernersprachigen Daten, einen weiteren
Anhaltspunkt für das Einwirken muttersprachlicher Konzeptualisierungsmuster bei der
Produktion des fremdsprachigen Texts zu gewinnen. Im folgenden soll der Aufbau der
Arbeit kurz geschildert werden.
Zu Beginn der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen vorgestellt. Dazu ist ein
kurzer Blick in die Geschichte der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Sprache
und Denken notwendig, wobei zu sehen sein wird, dass von diesen beiden statischen
Begriffen zu einem thinking for speaking (Slobin 1996) übergegangen wird, der darin
mündet, dass ,,mehrere Ebenen kognitiver Verarbeitung"
3
unterschieden werden. Dazu
wird das Sprachproduktionsmodell Levelts (1989) vorgestellt, um die Leistungen des
Konzeptualisierers skizzieren zu können. Des weiteren soll die L-
Perspektivierungskonzeption beleuchtet werden, sowie der textlinguistische Quaestio-
Ansatz, der besagt, dass die Filmnacherzählungen als Antwort auf die explizit gestellte
2
Wie z.B. Englisch, Russisch, Arabisch mit einem grammatikalisiertem Aspektsystem und Deutsch ohne ein solches.
3
Stutterheim & Carroll (2005:9)
6

-
-
Frage was ist (im Film) passiert? verstanden werden. Dabei werden die Äußerungen
untersucht, die direkt auf die gestellte Frage antworten. Die Ergebnisse der bereits
durchgeführten Studien der Heidelberger Forschungsgruppe werden vorgestellt,
außerdem das zeitsemantische Beschreibungsinstrumentarium Kleins (1994), das der
temporalen Analyse der Daten diente. Die kontrastive Untersuchung, bzw. Darstellung
der Daten der Ausgangssprachen Deutsch und Russisch und der Lernervarietät Deutsch
(der russischen Sprecher) beschreibt die temporale Perspektivierung, die in einem
Ergebnisteil gegenübergestellt wird. Hier erfolgt die Einbettung der Ergebnisse dieser
Studie in den Gesamtzusammenhang bisheriger Ergebnisse.
7

-
-
2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1 Sprache und Denken, Sprechen und Denken
Dieses Kapitel setzt sich mit dem Zusammenhang zwischen Sprache und Denken in
einem kurzen, nicht auf Vollständigkeit bedachten, geschichtlichen Überblick
auseinander. Dabei werden vor allem Hauptströmungen benannt.
Es wird zusehen sein, dass das Verhältnis von Sprache und Denken lange im
Zusammenhang mit Kultur betrachtet wurde. Diese Ansätze haben aufgrund des
Problems der empirischen Überprüfbarkeit anderen Überlegungen Platz gemacht. In
seiner These eines strukturell bestimmten thinking for speaking schafft Slobin (1996)
eine Grundlage für weiterführende Untersuchungen. Seine These und das dazugehörige
Experiment sollen kurz beschrieben werden. In einem weiteren Abschnitt soll das
Sprachproduktionsmodell Levelts (1989) dargestellt werden, ein Modell, das Einblicke in
den Sprechvorgang zulässt. Das Resultat konzeptueller Sprechplanungsprozesse ist in
der L-Perspektivierung abgebildet und spiegelt sich in den lexikalischen, strukturellen und
konzeptuellen Wahlen wieder. Anschließend wird auf die Quaestio als Globalvorgabe für
die Produktion eines narrativen Textes eingegangen, sowie abschließend die Methoden
und Ergebnisse der Heidelberger Forschungsgruppe dargestellt. Schließlich wird das
Beschreibungsinstrumentarium für die empirische Analyse wie es sich in der
zeitsemantischen Theorie Kleins (1994) repräsentiert, vorgestellt.
2.1.1 Ein kurzer Blick in die Geschichte
Die Frage, ob Denken ohne Sprache möglich ist und ob die Sprache das Denken
beeinflusst, also die Frage nach dem Zusammenhang zwischen kognitiven und
sprachlichen Strukturen, beschäftigte bereits die griechische Sprachphilosophie. Hier
wurde von einer hierarchischen Verteilung von besonders geeigneter, bzw. nicht
geeigneter Sprache ausgegangen, wobei die ideale oder richtige Sprache im Stande sei
Erkenntnis zu vermitteln und auf dieser beruhe
4
.
Im Zuge des romantischen Realismus des 18. Jahrhunderts bemerkt Wilhelm von
Humboldt in seinem Aufsatz Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und
ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts basierend auf einer
Untersuchung über die Kawi-Sprachen auf der Insel Java, dass das Denken ,,nicht bloss
abhängig von der Sprache überhaupt [ist], sondern, bis auf einen gewissen Grad, auch
von jeder einzelnen bestimmten"
5
Sprache. Folglich kann man davon ausgehen, dass
jede Sprache eine andere Sicht auf die Welt impliziert, indem Sprecher verschiedener
Sprachen unterschiedliche Perspektiven bei der Versprachlichungen derselben
Sachverhalte einnehmen, bzw. unterschiedliche Gesichtspunkte derselben Situation zum
Ausdruck bringen. So ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Verschiedenheit der
4
Zitiert nach: Stutterheim(2005:8)
5
Humboldt, W. von. Bd. IV. (1963:21)
8

-
-
Sprachen, ,,nicht eine von Schällen und Zeichen [ist], sondern eine Verschiedenheit der
Weltansichten selbst"
6
.
Der Linguist und Anthropologe Edward Sapir und sein Schüler Benjamin Lee Whorf
greifen dieses Sichtweise auf, was in die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese mündet
(Sapir 1949, Whorf 1991). Sie vereint zwei Prinzipien miteinander, den sprachlichen
Determinismus, nach dem Sprache die Art und Weise unseres Denkens determiniert und
die sprachliche Relativität (Gipper 1972), der zur Folge die in einer Sprache kodierten
Unterschiede in keiner anderen Sprache auffindbar sind. Grammatische, lexikalische und
syntaktische Unterschiede spiegeln die nichtlinguistischen kognitiven Unterschiede
zwischen Sprechern verschiedener Sprachen wieder.
So verfügt zum Beispiel das Hopi, eine nordamerikanische Indianersprache, nicht über
ein Konzept von Zeit als einer Dimension
7
. Zeitformen wie wir sie im Deutschen kennen,
existieren nicht. Doch kann man mit einer Reihe von Formen über verschiedene
Zeitspannen sprechen. Whorf leitet aus dem Fehlen eines Wortes, wie zum Beispiel einer
Farbbezeichnung in einer Sprache, die Unfähigkeit ihrer Sprecher ab, den
entsprechenden Begriff zu erfassen.
Und jede Sprache ist ein eigenes riesiges Struktursystem, indem die Formen und
Kategorien kulturell vorbestimmt sind, aufgrund deren der einzelne sich nicht nur
mitteilt, sondern auch die Natur aufgliedert, Phänomene und Zusammenhänge
bemerkt oder übersieht, sein Nachdenken kanalisiert und das Gehäuse seines
Bewusstseins baut. (Whorf 2003: 52)
Whorfs Ansatz war dabei ein kognitionspsychologischer, wonach sich die kognitiven
Fähigkeiten des Menschen, das Denken, Wahrnehmen und sprachliche Handeln
wechselseitig beeinflussen. Er ging davon aus, dass mit dem Erwerb eines
Sprachsystems eine partielle Blindheit miterworben wird, wonach eine unterschiedliche
Wahrnehmung und Informationsverarbeitung folgt. Demzufolge sind die Sprecher einer
Sprache blind für das Verständnis von bestimmter Wahrnehmung in anderen Sprachen.
Doch konnte nicht verborgen bleiben, dass es zwar sprachbedingte Unterschiede gibt,
aber Übersetzungen mit jeweils unterschiedlichen sprachlichen Mitteln der Zielsprache,
zum Beispiel lexikalischen, trotzdem möglich sind. Spätere Analysen der Sprache der
Hopi zeigten, dass das Tempus am Verb markiert wird, und dass es Wörter für den
Ausdruck verschiedener Zeiteinheiten besitzt
8
.
Whorfs anthropologischer Ansatz wird von einigen Wissenschaftlern, wie zum Beispiel
Daniel Everett (2005) weiter verfolgt. Everett untersuchte Kultur und Sprache der Pirah,
und stellte einen direkten Bezug zwischen Grammatik und Kultur dieses in Brasilien
beheimateten Volksstamms her. Da die Pirah u.a. nicht über Zahlwörter verfügen,
6
ebd.: Bd. VI. S. 119
7
Vgl. Whorf (1956:15) ,,dafür haben sie Gültigkeitsformen (= Formen der Behauptung), Aspekte und Formen der Verbindung
zwischen Gliedsätzen (Modi). Diese Formen erlauben sogar noch eine größere Genauigkeit des Sprechens."
8
vgl. Malotki (1983)
9

-
-
verfügten sie auch nicht über die Fähigkeit zu zählen, wie eine Studie
9
(Gordon 2003)
nachwies. Die Zählaufgaben basierten auf linearer Strukturierung und
Erkennungsübungen. Die untersuchten Probanden konnten zwar Stückzahlen zwischen
eins und drei erkennen, nicht aber Werte darüber hinaus. Gordon (2003:9) schloss
daraus, dass sie nicht im Stande sind zu zählen. Demnach ist den Pirah das Verständnis
eines bestimmten linguistischen Konzepts verwehrt.
Given these facts, the present data strongly support a claim that the Pirahã lack
fundamental numerical concepts that are basic to a language like English, that the
two languages are incommensurate, and that this case is a clear candidate for
strong linguistic determinism. (2003:9)
Everett kritisiert jedoch die Untersuchungsmethode als kulturell unsensibel, weshalb die
Ergebnisse nicht unbedingt die wahren Fähigkeiten der Informanten wiedergeben können
(Everett 2005). An dem Problem der Überprüfbarkeit wird stichhaltige empirische
Forschung auch in Zukunft scheitern, da bisher offenbar keine Methode entwickelt
werden konnte, kulturelle Faktoren objektiv festzulegen bzw. auszuschließen. Das ist
insbesondere dann problematisch, wenn es sich um eine Sprache handelt, dessen
Sprecher nicht bilingual
10
und deshalb unfähig sind, selbst zu übersetzen, um so die
exakte Entsprechung angeben zu können.
Radikale Positionen wie die Gordons konnten und können kaum die Beziehung zwischen
Sprache und Denken befriedigend beschreiben helfen, auch wenn nicht von der Hand zu
weisen ist, dass zwischen den Sprachen deutliche Unterschiede existieren.
Wiederholt wurde in der Literatur (z.B. Lucy 1992a, b, Pinker, 1989, Slobin 1996, Lakoff
1987, Levinson 1997) darauf hingewiesen, dass das Problem des linguistischen
Determinismus, bzw. der linguistischen Relativität, die zu verschiedenen Weltsichten
führe, darin liegt, wie die kausale Beziehung zwischen Sprache und dem abstrakten
Begriff Denken zu fassen sei. Dabei wird von einer starken Interdependenz von Sprache,
Kultur und Denken ausgegangen.
Für Lucy (1992a, 1996) behandelte die Frage, ob grammatische Unterschiede zwischen
zwei Sprachen zu unterschiedlicher Wahrnehmung führen, und ob von den Sprechern
verschiedener Sprachen unterschiedliche Aspekte eines Sachverhalts versprachlicht
werden, was er positiv beantworten konnten, wenngleich auch hier zu bezweifeln ist, ob
die Hypothese ausreichend getestet werden konnte
11
.
Eine alternative Konzeption, wie Sprache das kognitive System beeinflussen (nicht
bestimmen) kann, findet sich in der 1954 verfassten Kodabilitätstheorie
(Brown/Lenneberg 1954), die bis dahin einzige experimentell gut getestete Theorie im
Zusammenhang von Denken und Sprache. Es konnte gezeigt werden, dass man sich
9
Gordon (2003)
10
Everett (2005)
11
Nur wenige Versuchspersonen (12) nahmen an dem Experiment teil; unterschiedliche Motivation der Sprecher. Näheres zu
der Untersuchung bei Lucy (1992b:85ff).
10

-
-
problemloser an Dinge erinnert, wenn es für diese leicht zugängliche Wörter oder
Ausdrücke gibt. Die wahrnehmbare Welt ist kodierbar, ist auf einen Begriff zu bringen,
bzw. es wird ein Konzept von ihr entwickelt. Kodierbarkeit ist die Möglichkeit des
Sprechers Wirklichkeitsphänomene auf Begriffe zu bringen. Die Einzelsprache begünstigt
dabei die Kodierbarkeit in Abhängigkeit von den vorhandenen Formen. Folglich
determiniert Sprache die Variation in der Kodierbarkeit der Welt für den Sprecher. Soweit
folgen Brown und Lenneberg Whorf, welcher sich jedoch auf die (passive) Wahrnehmung
beschränkt, während nun von der (aktiven) Begriffsbildung gesprochen wird. Das Hopi
verfügt zwar nicht über die grammatische Kategorie Tempus
12
, dennoch können
Zeitformen ausgedrückt werden. Es wird angenommen, dass zentrale Begriffe einfach
13
kodiert sind, wobei die Frequenz ihrer Verwendung entscheidend ist. Strukturelle Mittel
der Kodierbarkeit bestimmen grammatische Kategorien, wie zum Beispiel den Aspekt zur
Kennzeichnung zeitlicher Verhältnisse. Unterschiede zwischen Sprechern verschiedener
Sprachen in der Kognition werden dabei nicht angenommen.
It seems likely to us that all human beings with normal vision will be able to make
approximately the same set of discriminations. This ability appears to depend on
the visual system, which is standard equipment for the species. (Brown/Lenneberg
1954: 457)
Jeder Sprecher kann, so fern er nicht an Farbblindheit leidet, alle Farben visuell
unterscheiden. In den Experimenten zur Farbwahrnehmung konnte nachgewiesen
werden, dass die Kodabilität die Gedächtnisstruktur und damit die Speicherfähigkeit
bestimmt. Die Voraussage, dass eine steigende Benutzfrequenz eines sprachlichen
Mittels, eine leichtere Verfügbarkeit bedeutet
14
, traf zu.
Für den Zweitspracherwerb spielt diese ,Leichtigkeit' der Bezeichnung eine entscheidende
Rolle, da sie mit der Speicherfähigkeit korreliert. Die Merkfähigkeit von
Farbbezeichnungen und die vergleichende Beurteilung werden durch die Sprache
beeinflusst. Komplexere lexikalische oder grammatische Mittel sind dabei schwerer zu
erlernen.
Weitere Studien bauen auf den Erkenntnissen der Kodabilitätstheorie auf. Gleiche
Ergebnisse zeigten die Studien von Kay und Kempton (1984), die ebenfalls auf der
Grundlage eines Farbdiskriminierungstests durchgeführt wurden (vgl. Lakoff 1987: 331-
333). Spätestens diese Studie zeigt, dass der Einfluss von Farbbezeichnungen auf die
Benennung keinen radikalen linguistischen Determinismus belegt, aber auch keine
kognitive Diversität.
Studien zur Orientierung im Raum von Pederson (1995) und Levinson (1997) zeigten,
dass sich Sprecher unterschiedlicher Sprachen, in denen räumliche Orientierung
unterschiedlich kodiert wird, bei der Versprachlichung der gleichen Situation, konsequent
12
Whorf (1956: 85)
13
Einfach im Sinne von, einfach zu erlernen, bzw. zu rezipieren, blau, statt azurblau
14
Brown/Lenneberg (1954):456
11

-
-
unterschiedlich verhalten. Einerseits kann eine Sprache, in einem absoluten
Referenzsystem auf Himmelsrichtungen ausgerichtet sein, oder aber mit einem relativen
Referenzsystem mit Begriffen wie oben, unten, links, rechts beschrieben werden
15
. Damit
belegen die Studien einen sprachlichen Einfluss auf die menschliche Kognition, womit die
Autoren eine eingeschränkte Form des linguistischen Determinismus annehmen.
Der kulturelle Einfluss, den man jeweils für die beschriebenen Methoden annehmen
musste, konnte nicht ausgeschlossen werden. In späteren Studien jedoch, die spontan
produzierte Texte untersuchten, wodurch eine deutliche Eingrenzung des konzeptuellen
Wirkungsbereichs vorgenommen werden konnte, wurde es möglich den Einfluss
kultureller Faktoren nachweislich auszuschließen, indem die Sprachen zweier gänzlich
unterschiedlicher Kulturen wie Arabisch und Englisch untersucht wurden, die aber beide
über einen grammatisch kodierten Verbalaspekt verfügen (vgl. von Stutterheim
2004:194). Es wurde deutlich, dass Unterschiede in der temporalen Perspektivierung
grammatischen Kategorien zuzuschreiben ist, nicht etwa unterschiedlichen rhetorischen
Traditionen der Sprachen.
Chomskys universalistischer Ansatz, der von einer Universalgrammatik ausgeht, die
jedem Menschen eigen ist, stellt einen theoretischen Ansatz dar, lenkt aber weg von der
Idee, Denken könnte einzelsprachliche Besonderheiten aufweisen. Vor allem kann der
Prozess der Sprachproduktion nicht beschrieben werden. Eine ähnliche Position vertreten
Jackendoff (1990, 1996) und Bierwisch/Schreuder (1992), die von einem universellen
Konzeptualisierer ausgehen, der sprachunabhängig arbeitet.
Linguistische Theorie ist nicht ausreichend, um Sprache zu studieren. Auch das Sprechen
soll betrachtet sein. Das offensichtlich vorhandene Phänomen der Beziehung zwischen
Sprache und Denken, bzw. sprachlichen und kognitiven Strukturen (vgl. Stutterheim &
Carroll 2005), sollte von einem anderen Blickwinkel aus untersucht werden. Eine
Möglichkeit ist das Konzept der mündlichen Textproduktion, der Nacherzählung, wie
weiter unten beschrieben wird.
Eine Sichtweise, die lediglich die zwei Konzepte Sprache und kognitive Struktur
gegenüberstellt, wird mittlerweile als Verallgemeinerung des Zusammenhangs
betrachtet, da es mehrere Ebenen kognitiver Verarbeitung gibt, deren
Wechselbeziehungen, und die Untersuchung derselben, mehr Licht in die Diskussion
bringen sollen. Gegenübergestellt werden einerseits sprachbezogene und andererseits
nicht sprachbezogene Konzeptualisierungsprozesse. Im nächsten Abschnitt werden mit
dem Begriff des thinking for speaking sprachbezogene Konzeptualisierungsprozesse
untersucht. Die nicht sprachbezogenen Prozesse sind nur durch sprachfreie Kognition
empirisch zu erfassen. Das können Verarbeitungsprozesse visuell rezipierter
Informationen sein, wie durch einen Film, der durch eine Nacherzählung versprachlicht
wird (vgl. Stutterheim & Carroll 2005:9). Konzeptualisierungsprozesse, die einer
15
Levinson (1996)
12

-
-
sprachlichen Äußerung vorangehen, sind Gegenstand der Untersuchungen der
Heidelberger Forschungsgruppe (s.u.).
2.1.2 Thinking for speaking
Slobin ersetzt die für den linguistischen Determinismus und die linguistische Relativität
bedeutenden Begriffe (vgl. Slobin 1996: 70) language und thought, durch das
Begriffspaar thinking und speaking, um darauf hinzuweisen, da es ihm um den Prozess
der Planung einer Äußerung und dessen Ergebnis, das Sprechen geht.
Die Idee eines sprachbedingten thinking for speaking geht davon aus, dass bereits im
kindlichen Spracherwerbsprozess Sprecher dazu ausgebildet werden, unterschiedlichen
Ereignissen, unterschiedliche Beachtung zu schenken, nämlich im Moment der Rede (vgl.
Slobin 1996:89). Man könne erwarten, dass Sprecher verschiedener Sprachen
unterschiedliche Blickwinkel einnehmen, da bedingt durch die grammatische Struktur,
konzeptuelle Unterschiede gemacht werden.
Slobin distanziert sich damit von der sogenannten Sapir-Whorf-Hypothese, von der
,,doctrine of linguistic determinism" (Slobin 1996:70) und betrachtet die Idee des
thinking for speaking als ,,a modified form of the Sapir-Whorf hypothesis" (Berman/Slobin
1994:612).
Es konnte nachgewiesen werden, dass aufgrund unterschiedlicher grammatischer
Kategorien, verschiedene Aspekte von Bildern aus einem Kinderbuch, das ohne Worte
auskommt, versprachlicht werden. Wenn türkische Sprecher dabei ein Ereignis in der
Vergangenheit beschreiben wollten, mussten sie, aufgrund der Besonderheiten des
Türkischen, spezifizieren, ob das Ereignis von Dritten beobachtet wurde oder nicht. Das
Türkische verlangt vom Sprecher, dass er zusätzlich zur Kodierung der grammatischen
Kategorie Tempus am Verb durch Flexion markiert, ob die jeweilige Situation einen
Zeugen hatte oder nicht, bzw. persönlich erlebt wurde oder nicht.
Daraus, so Slobin, ließe sich schließen, dass wir optionale lexikalische Mittel in den
Einzelsprachen haben müssen, da wir lexikalisch ausdrücken können, was unsere
Muttersprache grammatisch nicht obligatorisch kodiert (Slobin 1996:74).
Die Sprecher der unterschiedlichsten Sprachen sind potentiell im Stande alles
wahrzunehmen, was aber nicht heißt, dass alle Wahrnehmung immer unmittelbar präsent
sein muss. Wenn wir eine Situation verbalisieren, muss diese durch eine Reihe von
Optionen gefiltert werden, die die Einzelsprache bereitstellt (Berman/Slobin 1994:611).
So könnte man behaupten, dass Sprechen das Denken zwar lenkt, es aber nicht
bestimmen kann, was Slobin als einen ,,grammaticized point of view" (74) beschreibt und
eben auch die Wahl sprachlicher Optionen offen lässt.
13

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-
Indem nun der Fokus von den statischen Begriffen language und thought oder auch
Weltsicht weg gelenkt ist, steht der Weg offen für die Untersuchung der dynamischen
Prozesse eines thinking for speaking.
Es wird vorgeschlagen den Fokus auf die geistige Aktivität, die während des Formulierens
von Äußerungen stattfindet zu legen (76), denn in der Zeit, in der wir eine Äußerung
planen, einen Diskurs konstruieren, passen wir diesen auch schon in unseren bereits
vorhandenen linguistischen Rahmen ein. Dieser besteht aus einer Grammatik,
lexikalischen Einheiten und diskursbasierten Mitteln.
Bereits im Erstspracherwerb lernt ein Kind bestimmte Arten eines thinking for speaking.
Das Experiment, das durchgeführt wurde, sei hier kurz beschrieben.
Kindern und Erwachsenen, die insgesamt zehn unterschiedliche Sprachen
16
sprechen,
u.a. Englisch und Deutsch, wurde die Aufgabe gestellt eine Sequenz von Bildern aus
einem Buch
17
nachzuerzählen, um zu erfassen, inwiefern sich die erzählten Geschichten
unterscheiden. Untersucht wurden aspektuelle Muster und Muster der Lexikalisierung von
Bewegungsverben. Unterschiede in der Konzeptualisierung von Ereignissen wurden
aufgrund der divergierenden, bzw. ähnlichen Aspekt-Tempussysteme erwartet.
Nachdem den Informanten alle Bilder gezeigt wurden, erhielten sie die Aufgabe,
nachzuerzählen, was dort passiert, wobei sie wiederholt auf die Bilder schauen konnten.
Die Nacherzählungen wurden unter verschiedenen Aspekten, wie Aufbau eines
temporalen Rahmens oder Raumreferenz untersucht, wobei bestimmte Charakteristika
der Einzelsprachen festgestellt werden konnten. Das punktuelle Fallen wurde von den
Sprechern mit einem grammatikalisierten Aspektsystem vorwiegend mit einer perfektiven
Form markiert, hingegen das durative Rennen zum Beispiel im Englischen mit dem
progressiven Aspekt, he is running, gekennzeichnet wurde. Deutsche Kinder markierten
in den meisten Fällen keinen aspektuellen Unterschied und verwendeten sowohl für das
erste als auch für das zweite Ereignis dieselbe Tempusform.
Es konnten systematische Kontraste zwischen den Sprachen festgestellt werden. Der
Informationsfluss wurde unterschiedlich organisiert, es wurden verschiedene Muster der
Darstellung erkannt und die Sprecher lenkten ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte
Details. Deutsche Sprecher tendieren dazu, wenn sie eine aspektuelle Perspektive
einnehmen, die Ereignisse mit einer rechten Grenze darzustellen.
Es wurden zwar auch Abweichungen von den sprachspezifischen Mustern der
Informationsorganisation erkannt, spanische Sprecher verzichteten teilweise auf eine
aspektuelle Markierung (die Verwendung des Aspekts ist in dieser Sprache nicht
zwingend), deutsche Sprecher drückten den Unterschied zwischen einem durativen
Rennen und einem punktuellen Fallen mit verschiedenen Zeitformen aus. Die Studie
ergab keine absoluten Ergebnisse, jedoch wurden andere mögliche Optionen der
Versprachlichung eher selten beobachtet (vgl. Slobin 1996:81ff.), was die These des
16
Geplant wurde die Studie zusammen mit Ruth A. Berman (Berman/Slobin 1994). Wissenschaftler anderer Universitäten der
USA, Deutschlands, Israels, Spaniens, Argentiniens und der Türkei beteiligten sich an der Studie.
17
Mercer Mayer (1969). "Frog, where are you?" Das Buch enthält 24 Bilder ohne Text.
14

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thinking for speaking unterstützt. Sprechen ist nicht gleich Denken. Das Vorhandensein
einer grammatischen Kategorie begünstigt deren Verwendung, wobei der konzeptuelle
Status der sprachlichen Optionen deutlich wird. Die Sprecher entwickeln einen eigenen
rhetorischen Stil, der bereits im Kindesalter bei der Entwicklung eines sprachindividuellen
narrativen Stils, ersichtlich wird (vgl. Berman/Slobin 1994 und Slobin 1996:77).
2.2 Forschungsstand
2.2.1 Der Konzeptualisierer im Sprachmodell
Um näher an die Prozesse heran zu kommen, die während des Sprechens geleistet
werden, bedarf es eines entsprechenden Modells, das im Stande ist, die
Sprachproduktion zu beschreiben. Denn wenn man weiß, wo Sprache, wie produziert
wird, lässt sich genauer erfassen, wo und wie das Sprechen oder die Sprache kognitive
Prozesse wie das Denken beeinflussen könnten. Dass für die vorliegende Arbeit Levelts
(1989) Modell verwendet werden soll, stützt sich auf die Erfahrungen, die mit diesem
gemacht wurden, indem es immer wieder für psycholinguistische Studien als
Beschreibungsmodell herangezogen wurde
18
.
Frühere Sprachproduktionsmodelle wurden vorgeschlagen u.a. von Kempen und
Hoenkamp (1987)
19
. Ebenso wie Levelts Modell geht man von einer inkrementellen Art
des Sprachproduktionsprozesses aus. Jeder Teil einer Information wird in Stufen
verarbeitet, beginnend mit einem zu versprachlichendem Inhalt bis hin zur Artikulation.
Alle Schritte, die dabei gemacht werden müssen, können parallel ablaufen. Auf diese Art
und Weise können verschiedene Teile eines Satzes in verschiedenen
Verarbeitungsprozessen stecken. Diese Verarbeitung geschieht automatisch. Auch Levelt
(1989:28) geht davon aus). Ein weiterer Vorgänger Levelts ist das Modell von Merrill
Garrett (1975), der bei der Sprachproduktion von einer funktionalen und einer
positionalen Ebene ausgeht, was sich in Levelts Modell widerspiegeln wird.
Die Erzeugung von Rede verläuft in drei Schritten, beginnend mit der Konzeptualisierung,
wo die zu versprachlichende Information ausgesucht und geordnet wird. Levelt geht
davon aus, dass hier die Absicht des Sprechers so aufbereitet wird, so dass sie in
Sprache überführt werden kann. Diese Prozesse münden in einer konzeptuellen
Repräsentation in einem propositionalen Format, der präverbalen Botschaft. Um diese zu
enkodieren, braucht der Sprecher prozedurales und deklaratives Wissen. Ersteres wird
beschrieben als Arbeitsspeicher, letzteres beinhaltet konzeptuelles und lexikalisches
Wissen und Situationswissen. Zwei Phasen werden hier unterschieden: die
Makroplanung, die Ausarbeitung der kommunikativen Intention durch den Sprecher, d.h.
die Selektion des kommunikativen Materials und dessen Segmentierung und
Linearisierung. Und die Mikroplanung, die semantische Repräsentation, die konzeptuelle
18
So hält Herrmann (2003:220) fest: "Levelts Modell der Satzproduktion ist das zur Zeit bedeutendste autonome Modell der
Sprachproduktion"
19
Weitere Modelle der Sprachproduktion beschreiben Rickheit/Strohner (1993: 51-91)
15

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Planung einer bestimmten Perspektive der Äußerung, indem die Information ausgewählt
wird, die der Erzeugung des kommunikativen Ziels dienen kann (Levelt 1989:5). Diese
Planungsprozesse sind im Kern strukturiert durch die konzeptuellen Domänen
Ereignis/Zustand, Personen/Objekte, Zeit, Raum und Modalität (Dietrich 2002:135). Sie
machen den Inhalt der Botschaft aus und manifestieren den Sachverhalt auf einer
begrifflichen Ebene. Den Inhalt einer präverbalen Botschaft beschreibt Levelt dabei mit
folgenden Worten:
They not need to be complete propositions; various other types of semantic
structure, such as expressions denoting individuals, predicates, and modifiers, can
be preverbal messages. The nonpropositions are, in a way, elliptical messages. [...]
In addition, the message should contain the aspectual and deictical features
required for the generation of verb morphology. (Levelt 1989: 105)
Der zweite Schritt, beschrieben durch den Formulator, betrifft die ,Übersetzung' der
konzeptuellen Struktur in eine linguistische, wobei lexikalische Einheiten geformt werden,
und grammatische und phonologische Regeln verwertet werden. Der Formulator kann
nur mit solchen Nachrichten umgehen, die bestimmte sprachspezifische Bedingungen
erfüllen. Die ankommenden Nachrichten müssen kompatibel sein mit dem jeweiligen
verwendeten Sprachsystem.
Der dritte Schritt betrifft den Artikulator, der den Redeplan in tatsächlicher Rede
hervorbringt.
Es wird davon ausgegangen, dass Sprachen verschiedene Formulatoren besitzen müssen
und die Frage gestellt, ob es sprachspezifische Anforderungen dafür gibt, was für die
Erzeugung einer Nachricht enkodiert werden soll (Levelt 1989: 103).
Die sprachspezifische Enkodierung müsste demnach schon auf der Ebene des
Konzeptualisierers passieren, sonst könnte der Formulator einen unpassenden Input
erhalten. Levelt lässt die Frage offen, inwiefern konzeptuelle und grammatische
Enkodierung interaktiv arbeiten, verweist aber auf den hohen Grad der Automatisierung
der Enkodierung von Nachrichten aus dem Konzeptualisierer erwachsener Sprecher,
weshalb eine Rückkopplung zwischen Formulator und Konzeptualisierer nicht notwendig
wäre.
In einer späteren Arbeit bezeichnet Levelt bezugnehmend auf Slobin (1987) die
Mikroplanung als elegantes Synonym für thinking for speaking (Levelt 1996:78). Damit
meint er die abstrakten Vorstellungen, die wir, z.B. von Raumplanung haben und die sich
von Sprache zu Sprache unterscheiden
20
. Er nennt diese abstrakte Verarbeitung
Perspektivierung. In der Mikroplanung muss die generierte Botschaft aus lexikalischen
Konzepten bestehen, für die Entsprechungen in der Zielsprache existieren. Hier findet der
Zugriff auf sprachspezifische perspektivische Systeme statt.
20
Im Englischen gibt es einen zweistufigen Kontrast bei einer konzeptuellen Unterscheidung wie here und there. Die beiden
Kategorien werden als proximal und distal gegenübergestellt. Im Spanischen dagegen existiert ein dreistufiger Kontrast durch
aqui, ahi, und alli, Die drei Kategorien werden bezeichnet als proximal, medial und distal. (vgl. Levelt 1989:103)
16

-
-
Aus den Ergebnissen einer Studie zu räumlichen Beziehungen schließt Levelt:
[...] speakers have great freedom in both macro- and microplanning. There are no
strict laws that [...] dictate how to linearize information, and so forth. [...] There are
only (often strong) preferences here that derive from Gestalt factors, cultural
agreement on perspective systems, ease of coordination between interlocutors,
requirements of the communicative task at hand and so on. (Levelt 1996:104)
Levelt (vgl. Bock und Levelt 1994) nimmt außerdem eine strenge Serialität der
Teilprozesse der Sprachproduktion an, das heißt, dass erst, wenn die Verarbeitung eines
Informationsteils beendet ist, die Verarbeitung des nächsten beginnen kann.
Damit ist der Konzeptualisierer noch nicht ausreichend entfaltet, sofern er zeigen soll,
dass hier auf präverbaler Ebene, einer nichtsprachlich-konzeptuellen Ebene
Sprachspezifik herrscht. Levelt gibt Hinweise darauf, dass er sprachspezifisch ist. Das
hieße, es muss von einer Beeinflussung der Informationen im Formulator auf die
Prozesse im Konzeptualisierer ausgegangen werden, was wiederum auf höchst komplexe
Planungsprozesse beim ,Denken' verweist. Weitere Studien, wie in den Arbeiten der
Heidelberger Forschungsgruppe zu sehen sein wird, sind ein klarer Beweis dafür.
Für die Lerner einer zweiten Sprache stellt sich die Frage, wie sie das Konzept, das sie in
der Zielsprache ausdrücken wollen, zu formen haben. Wenn nämlich die Automatisierung
für die Zweitsprache noch nicht stark genug ist, sind Adaptionen, oder wie Stutterheim
sagt, ist ein sprachspezifischer Akzent, ein rhetorischer Stil (Stutterheim, Carroll, Klein
2003:195) zu erwarten.
Die Antwort auf die Frage, wie zwei sprachliche Systeme sich nebeneinander im
Konzeptualisierer verhalten, kann nur vermutet werden. Sie müssen auf eine bestimmte
Art und Weise parallel bestehen. Solange aber die Zweitsprache nicht hundertprozentig
erlernt ist, werden offensichtlich die lexikalischen, grammatischen und diskursbasierten
Lücken mit der Erstsprache aufgefüllt
21
. Daher konnte man von Äußerungen in der
Zweitsprache auf die Erstsprache schließen, und behaupten, sie werden stark von ihr
beeinflusst.
Die Verflechtung mit dem Zweitspracherwerb ist deshalb von großer Wichtigkeit, weil
sprachspezifische Prinzipien, die die Ebene der Makroplanung betreffen, offenbar sehr
schwer zu erlernen sind
22
.
Unklar bleibt die Interaktion zwischen Konzeptualisierer und Formulator. Eine
Annäherung an dieses Problem bietet das textlinguistische Quaestio-Modell
(Stutterheim/Klein 1989; Stutterheim 1997), indem von einer ,,aktuellen konzeptuellen
Struktur" gesprochen wird (Stutterheim 1997:5).
Ein sehr detailliertes anschauliches Sprachproduktionsmodell auf der Grundlage des
blueprint of the speaker Levelts (1989) findet sich in Dietrich (2002:124). Doch auch
21
Inwiefern aber angeborenes universales Wissen beim L2-Erwerb zum Tragen kommt, ob ein gänzlich neues System erworben
wird, oder ob die L1 die Lernersprache beeinflusst, ist letztlich noch nicht bewiesen worden. (vgl. Dietrich 2002:107)
22
Carroll/Lambert (2003: 268)
17

-
-
Dietrich kann noch nicht auf eine genaue Vorstellung von den Vorgängen, die im
Konzeptualisierer stattfinden, verweisen.
Niemand hat sie (die sprachlichen Aktivitäten, J.H.) gesehen oder gar bei der
,Arbeit' beobachtet. Sie werden als Denkvorgänge aufgefasst und die physiologische
Entsprechung der Denkprozesse ist [...] im Einzelnen noch nicht entschlüsselt.
(Dietrich 2002:142)
Dennoch konnten Methoden gefunden werden, einzelne Komponenten der
Sprachproduktion zu untersuchen und darzustellen und damit Rückschlüsse auf die
Beeinflussung von Sprache, bzw. Sprechen auf den Konzeptualisierer zuzulassen. Zum
Beispiel durch das Rekonstruieren von Mustern bei der Besetzung der Domäne Zeit.
Befunde dazu wurden durch empirische Studien erlangt, die im Kapitel zu den Methoden
und Ergebnissen der Heidelberger Forschungsgruppe skizziert werden sollen.
2.2.2 L-Perspektivierung und Quaestio-Theorie
Eine sehr häufige Art von Sprachproduktion, die Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist,
ist die Textproduktion. Es konnte bisher durch das Modell Levelts (1989) gezeigt werden,
dass es sich beim Sprechen um einen hochkomplexen kognitiven Vorgang handelt, den
man in Teilprozessen darstellen kann. Der Sprecher, der einen Sachverhalt vermitteln
möchte, wird dabei von einer kommunikativen Absicht geleitet. Diese Absicht kann durch
eine Frage oder eine Aufforderung angestoßen werden. Der Sprecher hat nun eine
komplexe Vorstellung von dem Sachverhalt, die sogenannte Sachverhaltsrepräsentation,
die er strukturiert und damit eine präverbale Botschaft, bzw. aktuelle konzeptuelle
Struktur (Stutterheim 1997:5) konstituiert.
Im psycholinguistischen Modell der Textproduktion von Stutterheim (1997) kommt nun
während der Makroplanung, also der Selektion, Linearisierung und Segmentierung der zu
verbalisierenden Einheiten noch der Begriff der Perspektivierung
23
hinzu. Bei der
Versprachlichung von Ereignissen nimmt der Sprecher eine bestimmte Perspektive ein,
ausgehend von der Idee, dass einem Sprecher eine gewisse Anzahl von Optionen zur
Versprachlichung zur Verfügung steht. Eine Vorstellung davon, was sprachliche
Perspektivierung ist, lässt sich so skizzieren:
Die verschiedenen Mechanismen, die auf der konzeptuellen und semantischen
Ebene die jeweilige Versprachlichung determinieren, fassen wir unter den Terminus
Perspektivierung. (Günther, Habel, Schopp, Ziesche 1996:128)
23
Eine Möglichkeit Perspektivierung zu umschreiben, lautet wie folgt: "In correspondence to the bodily nature of the perceiving
and acting subject, the objects of experience are only present in those aspects that are seen from the spatio-temporal point of
view taken by the subject. To be present in ASPECTS with respect to a given viewpoint is the basic meaning of PERSPECTIVE."
(Graumann 1989:96)
18

-
-
Eine weiterführende Beschreibung konzentriert sich auf den Sprecher, der, wenn er
spricht, einen bestimmten Blickwinkel einnimmt. Neben lexikalischen und strukturellen
Wahlen, muss er auch konzeptuelle Wahlen treffen, die sich durch das jeweilige
Sprachsystem ergeben.
Whenever a speaker wants to produce an utterance in a particular language, he has
to decide between various options with which this language provides him. In
particular, he has a lexical choice, a structural choice and a conceptual choice.
(Stutterheim/Klein 2002:61)
Eine bestimmte L-Perspektivierung ergibt sich aus der Topikalisierung einer bestimmten
referentiellen Domäne, so dass sich eine sprachspezifische Perspektivierung
beispielsweise in der Domäne Zeit äußern kann. Die Autoren (Stutterheim/Klein 2002)
sprechen deshalb von L-Perspektivierung, um sich von visuellen Perspektivierungen
abgrenzen zu können und die rein sprachliche Orientierung zu betonen. Die
unterschiedliche L-Perspektivierung findet ihre Ursache in der Grammatik der
Einzelsprache, so die Annahme und die Ergebnisse der bisherigen Studien.
Bei der Planung der Versprachlichung eines Ereignisses muss der Sprecher sich zwischen
sehr vielen Optionen entscheiden, zum Beispiel dafür, welchen Verbalaspekt er
verwendet oder in welchem Tempus eine Situation erzählt werden soll. Die vorliegende
Arbeit beschäftigt sich mit der temporalen Perspektivierung von Ereignissen. So kann
sich aus einem Aspekt-Tempus-System in einer Sprache eine bestimmte temporale
Perspektivierung herleiten, welche Unterschiede in der globalen Informationsorganisation
nach sich zieht. Es scheinen je nach Sprachsystem, Präferenzen in der temporalen
Darstellung von Ereignissen vorzuliegen. Empirische Studien zeigen deutliche Evidenz
dafür
24
.
Wo aber findet die sprachspezifische Perspektivierung statt? Auf einer höheren Ebene im
Konzeptualisierer oder beim Zugriff auf lexikalische und syntaktische Formen? Welche
Stelle in unserem kognitiven System ist verantwortlich? Die abschließende Antwort auf
diese Frage ist noch offen, wenngleich sprachliche Unterschiede als Spiegelbild von
unterschiedlichen Sprechplanungsprozessen in den Filmnacherzählungen zu beobachten
sind. Im folgenden Kapitel zur Heidelberger Forschungsgruppe wird dies erläutert.
Die L-Perspektivierung kann vor allem durch eine spezifische Quaestio hervorgerufen
werden. Der Quaestio-Ansatz geht davon aus, dass einem bestimmten
zusammenhängenden Text eine bestimmte explizite oder implizite Aufgabe vorangeht,
die Quaestio, die wiederum eine spezifische Repräsentation, einen spezifischen Inhalt
nach sich zieht. Die Beziehung, die zwischen beiden besteht, sorgt für die Kohärenz der
Äußerungen und sichert diese über den gesamten Textproduktionsprozess. Kohärente
Texte folgen einem einheitlichen Linearisierungskriterium (Stutterheim 1997:31). Die
24
Dazu ausführlicher unter 2.2.3
19

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836631112
DOI
10.3239/9783836631112
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Deutsche Sprache und Linguistik
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
psycholinguistik konzeptualisierung russisch l-perspektivierung aspekt-tempus-system
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Titel: Der Einfluss des muttersprachlichen Aspekt-Tempus-Systems auf die fremdsprachliche Konzeptualisierung
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