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Problemstellungen bei der Einführung einer persönlichen Genomsequenzierung

©2007 Examensarbeit 84 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Human Genome Placed on Chip;
Biotech Rivals Put It Up for Sale’.
Unter dieser Schlagzeile berichtete die New York Times am 2. Oktober 2003 über einige biotechnologische Unternehmen sowie über die von ihnen entwickelten Microarrays, den so genannten Genchips. Dabei handelt es sich um Speichermedien in der Größe einer Briefmarke, auf denen sich die Aktivität von bis zu 30 000 Genen einer menschlichen Gewebeprobe erfassen lassen. Seitdem verbinden sich weltweit viele Hoffnungen und Ängste mit der Chance in absehbarer Zeit auf diesem Wege jedes individuelle Genom preiswert sequenzieren zu können: So soll die persönliche Genomsequenz helfen Wirkstoffe mit schädlichen Nebenwirkungen zu vermeiden, die Erkundung normaler und krankhafter Abläufe in Zellen revolutionieren und zudem eine schnellere und genauere Diagnose ermöglichen. Vom perfekten persönlichen Arzneimittel bis hin zum Fortschritt nur für Wohlhabende reichen die Erwartungen und Befürchtungen. Dabei verschwimmen schnell die Grenzen zwischen denkbar und machbar, möglich und nötig, Science und Fiction.
Das Lesen der menschlichen DNA wird durch automatisierte und schnellere Verfahren wie z.B. der Microarray-Technologie immer preiswerter und attraktiver, wodurch in absehbarer Zeit die Einführung einer persönlichen »Genomsequenz« vielleicht für jedermann erschwinglich sein könnte. Jedoch sind mit dieser Entwicklung nicht nur enorme Chancen für die zukünftige Medizin, sondern auch natürliche Grenzen und ethische Problemstellungen verbunden, die entsprechend reflektiert werden müssen.
Aus diesem Grunde werden in dieser Studie anhand von ausgewählten Abhandlungen verschiedener Autoren, wie Church, Gibbs, Müller und Bartram die wissenschaftlichen Grundlagen und gesellschaftlichen Konsequenzen in diesem Zusammenhang näher betrachtet, um rational abschätzen zu können, inwieweit diese neuartige technologische Entwicklung das Handlungsfeld der genetischen Untersuchung und der künftigen medizinischen Praxis verändern könnte. Dabei wird neben einer anfänglichen aktuellen Problemstellung der Gegenstand auch in einen sozialen Kontext eingegliedert. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der detaillierten Analyse des aktuellen technologischen Sachstandes, wobei auch untersucht wird, welche praktischen Anwendungen man sich mittel- und langfristig auf den Gebieten der Diagnose, der Therapie, der prädiktiven Medizin sowie der Medikamentenentwicklung davon erhofft.
Besondere […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


André Schmidt
Problemstellungen bei der Einführung einer persönlichen Genomsequenzierung
ISBN: 978-3-8366-3102-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland, Staatsexamensarbeit,
2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

PROBLEMSTELLUNGEN BEI DER
EINFÜHRUNG EINER PERSÖNLICHEN
GENOMSEQUENZ
WISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN UND
GESELLSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN
DRESDEN, FEBRUAR 2007
Philosophische Fakultät » Institut für Philosophie » Professur für Technikphilosophie
ANDRÉ SCHMIDT

Titelbild: Das Bild ,,Protein-DNA HADDOCKing" stammt aus der Molecular Gallery von Dr.
Alexandre Bonvin des Bijvoet Center for Biomolecular Research der Universität Utrecht.
URL: http://www.nmr.chem.uu.nl/~abonvin/gallery.html" [Stand: 20. Februar 2007].

DANKSAGUNG
Mein Dank gilt all denen, ohne die diese Examensarbeit nicht in dieser vorlie-
genden Form zustande gekommen wäre: meiner Familie, all meinen Lehrern während
des Philosophie- und Geschichtsstudiums an der Technischen Universität Dresden,
allen Kommilitonen und Freunden, die mit Anregungen zur Konzeption dieser Arbeit
beigetragen haben, sowie Herrn S
EIDEL
vom Universitätsmarketing für die reibungslo-
se Zusammenarbeit bei der Layoutgestaltung. Im besonderen Maße sei hiermit auch
Herrn Prof. Dr. Bernhard I
RRGANG
gedankt, der mit interessanten Anregungen, vielfäl-
tigen Diskussionen und anfänglichen Hilfestellungen in den Seminaren bei mir nicht nur
das Interesse für das Gebiet der Technologiefolgenabschätzung geweckt hat, sondern
mich zudem auch noch zur Bearbeitung dieses Themas inspiriert hat.
Ein ausdrücklicher Dank gilt schließlich meiner großen Hilfe Franziska
H
OLLE
für ih-
re ausdauernde moralische Unterstützung bei der Ausarbeitung, beim Redigieren so-
wie für das stete Verständnis für den Verzicht auf viele gemeinsame Freizeitstunden
und nette Abende.

VORWORT
,,Human Genome Placed on Chip;
Biotech Rivals Put It Up for Sale"
1
Unter dieser Schlagzeile berichtete die New York Times am 2. Oktober 2003
über einige biotechnologische Unternehmen sowie über die von ihnen entwickelten
Microarrays, den so genannten Genchips. Dabei handelt es sich um Speichermedien
in der Größe einer Briefmarke, auf denen sich die Aktivität von bis zu 30 000 Genen
einer menschlichen Gewebeprobe erfassen lassen. Seitdem verbinden sich weltweit
viele Hoffnungen und Ängste mit der Chance in absehbarer Zeit auf diesem Wege
jedes individuelle Genom preiswert sequenzieren zu können: So soll die persönliche
Genomsequenz helfen Wirkstoffe mit schädlichen Nebenwirkungen zu vermeiden, die
Erkundung normaler und krankhafter Abläufe in Zellen revolutionieren und zudem eine
schnellere und genauere Diagnose ermöglichen. Vom perfekten persönlichen Arznei-
mittel bis hin zum Fortschritt nur für Wohlhabende reichen die Erwartungen und Be-
fürchtungen. Dabei verschwimmen schnell die Grenzen zwischen denkbar und mach-
bar, möglich und nötig, Science und Fiction.
Aus diesem Grunde widmet sich die vorliegende Examensarbeit im Sinne einer
Technologiefolgenabschätzung und -beurteilung den wissenschaftlichen Grundlagen
sowie den gesellschaftlichen Konsequenzen bei der Einführung einer persönlichen Ge-
nomsequenzierung, um mit wissenschaftlichem Sachverstand die nötige Diskussion
über die Probleme einer individuellen Genomsequenzierung sowie dessen Umsetzung
im Gesundheitswesen zu führen, noch bevor diese neue Biotechnologie marktreif zur
Verfügung steht. Zudem stellt sich diese Arbeit der Aufgabe, die stark emotional ge-
führte und oft mit Spekulationen überfrachtete Diskussion durch einen kleinen aufklä-
renden Beitrag auf der Basis von experimentellen Fakten zu versachlichen, um in der
öffentlichen Diskussion nicht auf das obladendünne Eis des Halbwissens zu gelangen,
sondern zu einer rationalen und verantwortungsvollen Weiterentwicklung und Nutzung
dieser neuen Technologie.
Dresden, Februar 2007
André Schmidt
1
Vgl. P
OLLACK
, Andrew: Human Genome Placed on Chip; Biotech Rivals Put It Up for Sale. In: The New York Times, Health,
October 2, 2003.

INHALTSVERZEICHNIS
Seite
DANKSAGUNG V
VORWORT VI
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS IX
1 KURZFASSUNG
_____________________________________________________
1
1 ABSTRACT
_________________________________________________________
2
2 DIE AKTUELLE PROBLEMSTELLUNG
___________________________________
3
2.1 Die Chance einer Möglichkeit _______________________________________ 3
2.2 Die neue individuelle Medizin ________________________________________ 4
2.3 Bioethisch-gesellschaftliche Aspekte _________________________________ 5
3 DAS 1000-DOLLAR-GENOM
_________________________________________
8
3.1 Die Industrialisierung der Biotechnologie_______________________________ 8
3.2 Digital gegen Analog_______________________________________________ 9
4 TECHNOLOGISCHER SACHSTAND
___________________________________
11
4.1 Die Microarray-Technologie________________________________________ 11
4.2 Anwendungsgebiete des Microarrays _______________________________ 14
4.3 Der DNA-Microarray _____________________________________________ 15
4.4 10 000 Experimente auf einmal_____________________________________ 17
5 HYPOTHETISCHE ANWENDUNGSGEBIETE
___________________________
19
5.1 Ziele und Motive der persönlichen Genomanalyse ______________________ 19
5.2 Diagnosen nach Maß_____________________________________________ 20
5.3 Die individuelle Therapie___________________________________________ 21
5.4 Medikamente nach Maß __________________________________________ 22
5.5 Die Prädiktive Medizin ____________________________________________ 26

INHALTSVERZEICHNIS
XIII
6 PRINZIPIELLE GRENZEN DER PROGNOSE
___________________________
28
6.1 Probleme genetischer Determiniertheit ______________________________ 28
6.2 Endogene und exogene Mutationen _________________________________ 30
6.3 Vielfältige Entwicklungsprozesse ___________________________________ 32
6.4 Zusammenfassung und Fazit ______________________________________ 36
7 VERKANNTE INFORMATIONSEBENEN
_______________________________
39
7.1 Verborgene Preziosen im DNA-Schrott_______________________________ 39
7.2 Epigenetische Phänomene ________________________________________ 40
8 BEISPIELE FÜR DIE VORHERSAGBARKEIT
___________________________
42
8.1 Maximale Vorhersagbarkeit ­ Chorea Huntington ______________________ 42
8.2 Die Enzymfamilie Cytochrom P450__________________________________ 44
8.3 Bedingte und minimale Vorhersagbarkeit _____________________________ 45
9 EXKURS: ETHISCHE HERAUSFORDERUNGEN
________________________
47
9.1 Neue Aufgaben der postgenomischen Phase _________________________ 47
9.2 Pflicht zum verantwortungsvollen Umgang ___________________________ 48
9.3 Probleme des Vorliegens genetischer Informationen____________________ 50
9.4 Die gesellschaftliche Verantwortung ________________________________ 52
10 SCHLUSSBEMERKUNG
____________________________________________
55
GLOSSAR
___________________________________________________________
62
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
__________________________________________
68
LITERATURVERZEICHNIS
____________________________________________
69

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
µm
Mikrometer
µl
Mikroliter
A
Adenin
Abb.
Abbildung
aRNA
amplified RNA (erweiterte; verstärkte RNA)
bp
Basenpaar
C
Cytosin
cDNA
abgestimmte, ergänzte RNA (complementary RNA)
cRNA
abgestimmte, ergänzte RNA
DNA
Desoxyribonukleinsäure (Desoxy-Ribo-Nucleic-Acid)
ds DNA doppelsträngige DNA
IVD
In-vitro-Diagnostik
HUGO Human Genome Projekt
G
Guanin
GB
Gigabyte
mRNA Messenger RNA
RB
Retinoblastom
RNA
Ribonukleinsäure (Ribo-Nucleic-Acid)
SNiP
Single Nucleotide Polymorphism
T
Thymin
u.U.
unter Umständen
z.B.
zum Beispiel

1 KURZFASSUNG
Das Lesen der menschlichen DNA wird durch automatisierte und schnellere
Verfahren wie z.B. der Microarray-Technologie immer preiswerter und attraktiver, wo-
durch in absehbarer Zeit die Einführung einer persönlichen
»Genomsequenz«
vielleicht
für jedermann erschwinglich sein könnte. Jedoch sind mit dieser Entwicklung nicht nur
enorme Chancen für die zukünftige Medizin, sondern auch natürliche Grenzen und
ethische Problemstellungen verbunden, die entsprechend reflektiert werden müssen.
Aus diesem Grunde werden in dieser Studie anhand von ausgewählten Abhandlun-
gen verschiedener Autoren, wie C
HURCH
, G
IBBS
, M
ÜLLER
und B
ARTRAM
die wissen-
schaftlichen Grundlagen und gesellschaftlichen Konsequenzen in diesem Zusammen-
hang näher betrachtet, um rational abschätzen zu können, inwieweit diese neuartige
technologische Entwicklung das Handlungsfeld der genetischen Untersuchung und
der künftigen medizinischen Praxis verändern könnte. Dabei wird neben einer anfäng-
lichen aktuellen Problemstellung der Gegenstand auch in einen sozialen Kontext einge-
gliedert. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der detaillierten Analyse des aktuellen
technologischen Sachstandes, wobei auch untersucht wird, welche praktischen An-
wendungen man sich mittel- und langfristig auf den Gebieten der Diagnose, der Thera-
pie, der prädiktiven Medizin sowie der Medikamentenentwicklung davon erhofft.
Besondere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Fragestellung, wie aussagekräftig
Prognosen genetisch bedingter Eigenschaften überhaupt sein können ­ sich der
»Phänotyp«
durch die Kenntnis des
»Genotyps«
vorhersagen lässt und welche ethi-
schen Problemstellungen sich daraus ergeben. Denn anhand der aktuellen Befunde
zeichnet sich mehr und mehr ab, dass
die Vorhersagbarkeit aus der DNA mindestens
zwei prinzipiellen Grenzen unterliegt: zum einen die somatischen individuell spezifi-
schen Mutationen der DNA, die sich im Verlauf der Entwicklung jedes Individuums
endogen und exogen ansammeln, und zum anderen die vielfältigen Entwicklungspro-
zesse innerhalb des komplexen genetischen Netzwerks, die so beschaffen sind, dass
sie abhängig von externen und internen Einflüssen durch Selbstorganisation immer
wieder in alternative Endzustände münden können. Zudem scheinen die wahren Ge-
heimnisse des Lebens nicht nur allein in der DNA, sondern in der komplexen multifak-
toriellen Interaktion mit der Umwelt, der wechselseitigen Beeinflussung der biologi-
schen Moleküle untereinander sowie in den
»epigenetischen Phänomenen«
außerhalb
der DNA zu liegen.

1 ABSTRACT
Due to automated and faster methods, like microarray technology, decoding
the human DNA becomes less expensive and more attractive and might make the
introduction of a personal
»genome sequence«
affordable for anybody in the near fu-
ture. However, not only enormous opportunities for future medical treatments are
connected with this development, but also natural limits and ethical questions, which
have to be considered accordingly.
Thus, on the basis of works by C
HURCH
, G
IBBS
, M
ÜLLER
and B
ARTRAM
, this studywill
closely examine the scientific background and social consequences in this context, in
order to evaluate how the new technological development may be changing the field
of genetic analysis and future medical practice. The subject will be integrated in a so-
cial context after an initial up-to-date review of the topic. Emphasis is placed on the
detailed analysis of the state of technology. At the same time, it will be examined
what kind of practical applications may soon be available in the areas of diagnosis,
therapy, predictive medicine and development of pharmaceuticals.
Particular attention is paid to the question in how far prognoses of genetically cau-
sed features can be significant. Is the
»phenotype«
predictable on the basis of the
»genotype«
and what ethical problems would be involved? Current findings suggest
that the predictability depends on at least two natural limits: on the one hand somatic
individually specific mutations of the DNA, which accumulate endogenously and exo-
genously in the course of each individual's development, and on the other hand the
varied processes of development within the complex genetic network, which are so
arranged that they can always lead to alternative final states through self-organization
depending on extern and intern influences. Furthermore, the true mysteries of life
seem to be hidden not only in the DNA but also in the complex multifactorial interac-
tion with the environment, the mutual influence of biochemical molecules as well as in
the
»epigenetic phenomena«
outside of the DNA.

2 DIE AKTUELLE PROBLEMSTELLUNG
2.1 Die Chance einer Möglichkeit
Seit der Entdeckung der Doppelhelixstruktur (DNA) durch James D. W
ATSON
und Francis H. C. C
RICK
im Jahre 1953 ist die Humangenom-Forschung nicht nur eines
der dynamischsten Wissenschaftsressorts der Gegenwart geworden, sondern sie
hat sich darüber hinaus auch zu einem gewaltigen globalen Kulturphänomen entwic-
kelt. Als am 17. Mai 2006 britische Forscher bekannt gaben, dass die Sequenz von
Chromosom 1, dem letzten noch ausstehenden Träger genetischer Informationen,
vollständig entziffert worden ist, wurde ein weiterer bedeutsamer Meilenstein auf dem
langen Weg der Erforschung des menschlichen Erbguts erreicht.
2
Denn mit der Ent-
schlüsselung des letzten der 23 verschiedenen menschlichen Chromosomen liegt nun
­ am Ende der ersten Phase des Humangenom-Projekts
3
­ eine scheinbar vollständi-
ge, idealisierte und mit mehr als 99,99 Prozent genaue Karte des sequenzierten
menschlichen
»Genoms«
vor.
Durch diese in der Geschichte der Naturwissenschaften beispiellos rasanten Fort-
schritte ist auch die moderne Biomedizin durch eine außerordentliche Entwicklung
geprägt, welche sich z.B. in einer Verkürzung der Halbwertszeit des aktuellen Wis-
sensstandes in Bezug auf die menschlichen
»Gene«
auf nur wenige Jahre verdeut-
licht. Die seitdem stetig wachsenden Erkenntnisse über die Regulation der geneti-
schen Information und die molekulare Charakterisierung von immer mehr Krankheits-
bildern sind nicht nur intellektuell faszinierend, sondern eröffnen der modernen Medizin
natürlich auch völlig neue Möglichkeiten in Bezug auf die Prävention, Diagnostik, Pro-
gnostik sowie in der Therapie von verschiedenen Erkrankungen.
4
Schon heute lassen
sich eine ständig steigende Anzahl von Erkrankungen frühzeitig mit Hilfe von geneti-
schen Tests erkennen. Allein mehr als 350 Krankheiten, darunter verschiedene Krebs-
2
Vgl. Spiegel Online ­ 18. Mai 2006 ,,Letztes menschliches Chromosom entschlüsselt."
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,416773,00.html [Stand: 10. Dezember 2006].
3
Im Jahr 1990 startete das internationale Humangenom-Projekt in mehr als dreißig Ländern. In der ersten Phase stand die
Bestimmung der ca. 6 Milliarden Basenpaare der menschlichen DNA im Mittelpunkt. Erst in der zweiten Ph
ase, ab dem
Jahr 2000, widmete man sich verstärkt der Funktion der Sequenzen, wobei neben der Erforschung von Wechselwirkun-
gen zwischen Gen und Genprodukt auch die medizinische Anwendung bei Erbkrankheiten unte
rsucht wurde.
4
Vgl. T
AMBOURIN
, Pierre: Das grandiose Genom-Projekt. In: Spektrum der Wissenschaft 08 / 2003, S. 20 ­ 25.

2 DIE AKTUELLE PROBLEMSTELLUNG
4
arten und neurologische Erkrankungen, wie A
LZHEIMER
und P
ARKINSON
, stehen mit
Veränderungen dieses größten menschlichen Chromosoms, in dem sich 3 141 der
insgesamt etwa 25 000 menschlichen
»Proteingene«
befinden, direkt oder indirekt in
Verbindung.
5
Infolgedessen wird gegenwärtig in der modernen Medizin eine weitere Dimension
der enormen Komplexität beim Verständnis des menschlichen Genoms deutlich, denn
es zeichnet sich schon heute mehr und mehr ab, dass bestimmte Veränderungen an
einer bestimmten Stelle im Genom ganz unterschiedliche Krankheitsverläufe bedingen
können. Vielmehr wird immer offensichtlicher, dass nahezu alle menschlichen Krank-
heiten zumindest auch eine genetische Komponente enthalten ­ höchstwahrscheinlich
sogar jedem Krankheitsprozess ein hoher Grad an genetischer Individualität zugrunde
liegt. Kurz: Jeder Patient leidet an seiner eigenen genetisch mitbedingten individuellen
Krankheit.
6
2.2 Die neue individuelle Medizin
Demzufolge entspricht das bisherige medizinische Denken in diagnostischen
und therapeutischen Schubladen nicht mehr dem aktuellen Kenntnisstand der moleku-
laren Medizin, denn zukünftig könnte mehr und mehr der einzelne Patient im Blick-
punkt des ärztlichen Handelns stehen und nicht mehr die empirische Masse der Pati-
enten. Ferner ist in diesem Zusammenhang bereits heutzutage in der modernen Medi-
zin eine schrittweise Individualisierung auf der Basis genetischer Informationen zu
beobachten.
7
Gerade auf den Gebieten der humangenetischen Diagnostik, der
»prä-
diktiven Medizin«
und der
»Pharmakogenomik«
soll ein besseres Verständnis der indi-
viduellen
»Genotyp-Phänotyp-Korrelation«
in absehbarer Zeit eine wichtige Komponen-
te klinischer Entscheidungsprozesse bilden.
Abb. 2.1: Genotyp-Phänotyp-Korrelation
Abb. 2.1: Genotyp-Phänotyp-Korrelation.
Dieses Grundschema zeigt die Genotyp-Phänotyp-
Korrelation in Abhängigkeit genetischer Entwicklungsprozesse. Während der Embryonalentwick-
lung entsteht beim Menschen aus einer einzelnen befruchteten Eizelle ein hoch komplizierter Or-
ganismus aus schätzungsweise 100 Billionen Zellen mit definierter Lokalisation und Funktion.
5
Vgl. Spiegel-Artikel: ,,Letztes menschliches Chromosom entschlüsselt."
6
Vgl. B
ARTRAM
, Claus R.: Humangenetische Diagnostik. Wissenschaftliche Grundlagen und gesellschaftliche Konsequen-
zen, Heidelberg 2000, S. 55. Diese umfassende Studie geht speziell auf die Probleme genetischer Determiniertheit, der
Frage nach einem Arztvorbehalt bei der genetischen Diagnostik sowie der Implikation der Humangenetik für Versiche-
rungsmärkte ein. Darüber hinaus enthält dieses Werk einen Empfehlungsteil, der sich mit konkreten Regulierungsvor-
schlägen an Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit richtet.
7
Vgl. L
INDPAINTNER
, Klaus: Pharmakogenomik. Paradigmenwechsel in der Therapie? URL: http://www.forschung-leben.ch
[Stand: 10. Dezember 2006]; der das Brustkrebsmittel H
ERCEPTIN
als Beispiel einer derzeitigen individuellen Anwendung
beschreibt.
GENOTYP
PHÄNOTYP
PROZESSE

2 DIE AKTUELLE PROBLEMSTELLUNG
5
Besonders durch den Einsatz eines so genannten Genchips, der die gesamten ge-
netischen Informationen eines Menschen ermitteln kann, erhofft man sich, die dafür
benötigten genetischen Daten für jeden einzelnen Patienten zukünftig in einem über-
schaubaren Kosten- und Zeitrahmen ermitteln und nutzen zu können. Des Weiteren
geht man davon aus, dass die auf diese Art und Weise erhobenen genetischen Er-
kenntnisse besonders eng am Individuum verankert sind und zudem eine hohe prädik-
tive Potenz über weite Lebenszeiträume hinweg besitzen.
8
Bis jetzt ist es zwar noch in weiten Teilen Zukunftsmusik, aber man erhofft sich,
dass in einigen Jahren jeder Mensch eine Chipkarte mit den wichtigsten allelischen
Charakteristika seines Genoms digitalisiert bei sich trägt, die Aufschluss darüber ge-
ben, zu welchen Erkrankungen er aufgrund seiner genetischen Disposition neigt. Diese
Methode soll dann Ärzten helfen, die Krankheitsvorbeugung zu verbessern und Thera-
pien an das genetische Profil des Patienten anzupassen.
Darüber hinaus soll das per-
sönliche Genom auch Auskünfte über genetisch bedingte Eigenschaften von Familien-
angehörigen des getesteten Individuums geben können, was im Hinblick auf schwere
Erbkrankheiten durchaus von medizinischem Interesse sein könnte.
9
2.3 Bioethisch-gesellschaftliche Aspekte
Zwar bieten die neuen Erkenntnisse durch die Humangenom-Forschung durch-
aus faszinierende zukünftige Möglichkeiten für die Prävention, Diagnose sowie für die
Therapie von verschiedenen Krankheiten. Jedoch sind mit dieser Forschung neben
zahlreichen Chancen bezüglich der weiteren Entwicklung dieses Forschungsfeldes
auch einige Risiken ­ insbesondere mit der Anwendung der gewonnenen Ergebnisse in
der medizinischen Praxis ­ verbunden. Das enorme Entwicklungspotential einer zu-
künftigen Medizin, welche sich die genetischen Komponenten bei der Entstehung von
Krankheiten für diese Anwendungen nutzbar macht, ist bisher kaum ausgelotet und
im vollen Umfang auf absehbare Zeit auch noch nicht fassbar. Des Weiteren steht die
gesellschaftliche Diskussion über Chancen und Risiken eines solchen individuellen Ge-
noms im Gesundheitsbereich sowie der gesellschaftliche Umgang damit im Sinne ei-
ner Technologiefolgenbeurteilung erst am Anfang.
10
Zwar werden schon seit den neunziger Jahren weltweit öffentlich kontroverse Dis-
kussionen über die umwälzenden Entwicklungen der Biotechnologie sowie über die
entsprechenden Perspektiven für die medizinische Zukunft der Menschen geführt,
8
Vgl. C
HURCH
, George M.: Das Projekt Persönliches Genom, In: Spektrum der Wissenschaft 06 / 2006, S. 30 ­ 40; der einen
umfassenden und sehr detaillierten Überblick über ältere sowie neuere und zukünftige Verfahren der DNA-
Sequenzierung wie das moderne Sanger-Verfahren oder das zellfreie Polonien-Verfahren gibt. Dabei unterscheidet er
zwischen schnelleren, genaueren oder sparsameren Methoden.
9
Vgl. T
AMBOURIN
, Pierre: Das grandiose Genom-Projekt. In: Spektrum der Wissenschaft 08 / 2003, S. 20 ­ 25.
10
Vgl. B
ARTRAM
, Claus R.: Humangenetische Diagnostik, S. 1 ff..

2 DIE AKTUELLE PROBLEMSTELLUNG
6
allerdings werden dabei in den Medien die Biowissenschaften durch oftmals polemi-
sche Schlagzeilen wie ,,Die Zukunft liegt im Labor!" ­ ,,Biotechnologie ist Deutsch-
lands Zukunft!", mittlerweile schon regelrecht zu neuen Leitwissenschaften empor-
gehoben. Gerade durch den Start des internationalen Humangenom-Projekts im Jahr
1990 und der nahezu vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms, jener
chemisch molekularen Struktur, welche die gesamte Information für die Baustoffe
und den Bauplan eines Menschen in sich trägt, sowie der Entwicklung des ersten
Genchips im Jahre 2003, wurde in der Forschung, Politik sowie in der Wirtschaft das
Interesse an schnellen Umsetzungs- und Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen
Biotechnologien vehement beflügelt.
11
Besonders im Zusammenhang mit den Themengebieten der Medikamentenent-
wicklung und der prädiktiven Medizin ist in weiten Bereichen die Auffassung vertreten,
in der neuen Biochip-Technologie eine Möglichkeit gefunden zu haben, Krankheiten wie
z.B. A
LZHEIMER
, P
ARKINSON
oder Krebs überwinden zu können. Dabei steigern sich die
Visionen von der individualisierten Medizin in manchen Köpfen bis zu paradiesisch un-
realistischen Vorstellungen, wobei biologische und systemabhängige Barrieren sowie
Grenzen der Verantwortungsfähigkeit und Technikabschätzung oft nicht wahrge-
nommen werden. Ferner werden auch durch unzureichende journalistische Berichter-
stattungen oder populistische Forschungsberichte, die den Eindruck vermitteln, dass
der Mensch bereits die Fähigkeit entwickelt habe, seine genetischen Prädispositionen
vollständig zu erkennen, zu verstehen und ihnen gezielt entgegenwirken zu können, in
den Medien immer wieder unangemessene Hoffnungen bezüglich des zu erwartenden
Fortschritts und dessen Anwendungsmöglichkeiten geweckt.
Durch solche Gedankenexperimente gelingt es unter anderem der Forschung bei
der Bemühung um Drittmittel, das Interesse sowie die Akzeptanz für neuen Techniken
zu erhöhen sowie einen potentiellen Markt künstlich zu schaffen, noch bevor das ent-
sprechende Produkt angeboten werden kann. Dabei gilt: Wo ökonomische Interessen
bestehen, da gibt es motivierte Anbieter und auch motivierte Kunden. Dort, wo noch
keine Motive bestehen, könnten sie schon bald geweckt werden.
12
Auf der anderen
Seite sind die öffentlichen Debatten um die Chancen und Risiken der Genforschung
oftmals auch von der Metapher des Gläsernen Menschen geprägt. Dahinter stehen
Befürchtungen, dass das eigene Schicksal durch die Gene vorausbestimmt sei oder
sich Dritte ­ wie z.B. Arbeitgeber, Versicherungsunternehmen oder staatliche Institu-
tionen ­ Zugang zu diesen Daten verschaffen könnten und damit eine selbst gewählte
11
Vgl. Spiegel Online ­ 18. Mai 2006 ,,Letztes menschliches Chromosom entschlüsselt." sowie P
OLLACK
, Andrew: Human
Genome Placed on Chip; Biotech Rivals Put It Up for Sale In: The New York Times, Health, October 2, 2003.
12
Vgl. B
AUER
, Axel W.: Auf der schiefen Ebene zum Designer-Baby. Warum die Bioethik immer zu spät kommt. In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 244 vom 20. Oktober 1999, S. 54.

2 DIE AKTUELLE PROBLEMSTELLUNG
7
Lebensgestaltung der betroffenen Individuen erheblich erschwert oder sogar verhin-
dert werden könnte.
13
Wie diese ersten Beispiele zeigen, werden nicht selten die öffentlichen Diskussio-
nen von durchaus verständlichen aber oftmals unbegründeten Ängsten und kurzlebi-
gen, politisch taktischen Äußerungen überlagert.
14
Aus diesem Grund widmet sich die
vorliegende Examensarbeit den wissenschaftlichen Grundlagen sowie den gesell-
schaftlichen Konsequenzen bei der Einführung einer persönlichen Genomsequenzie-
rung, um mit wissenschaftlichem Sachverstand die nötige Diskussion über die Pro-
bleme des individuellen Genoms sowie dessen Umsetzung im Gesundheitswesen zu
führen, noch bevor diese neue Biotechnologie marktreif zur Verfügung steht.
Dabei soll der Fragestellung nachgegangen werden, welche Vorhersagen sich
schon heute und welche sich unter Umständen in absehbarer Zukunft vom persönli-
chen Genom ableiten lassen. Es soll geprüft werden, unter welchen bestimmten Be-
dingungen eventuelle Prognosen getroffen werden können, oder ob die genetische
Vorhersagbarkeit des Phänotyps prinzipiell verloren geht. Des Weiteren wird versucht,
Aussagen darüber zu treffen, welche Handlungsoptionen sich für den Menschen auf-
grund von Informationen des individuellen Genoms ergeben und wie sie eventuell me-
dizinisch genutzt werden können, um eine vergleichsweise seriöse Prognose über den
zukünftigen Einsatz einer persönlichen Genomsequenz stellen zu können.
Eine solche Diskussion über die Chancen und Risiken sowie über die gesellschaftli-
chen Konsequenzen sollte am Anfang und nicht am Ende einer langen Reihe weiterer
Forschungsprojekte stehen, damit gesellschaftliche Steuerungsmaßnahmen diese
Entwicklung möglichst ohne gravierende politische, rechtliche und ökonomische Fol-
gen beeinflussen und gestalten können.
15
Durch eine falsche oder einseitig geführte
öffentliche Diskussion können die enormen Möglichkeiten, welche die aktuelle Ent-
wicklung der modernen Biomedizin für die Menschheit darstellt, leicht zunichte ge-
macht werden. Denn eins steht bereits unumstößlich fest: Mit der Einführung moleku-
larbiologischer Methoden in der modernen Medizin wurde definitiv eine neue Ära einge-
leitet, die gerade erst begonnen hat.
13
Vgl. G
ÖRLITZER
, Klaus-Peter: Maßgeschneiderte Medikamente. In der Zeitschrift: B
IOSKOP
Nr. 17 vom März 2002, URL:
http://www.goerlitzer.homepage.t-online.de/artikel.htm [Stand: 10. Dezember 2006], der den Schwerpunkt seines Arti-
kels fast einseitig auf die Risiken und Nebenwirkungen von Gentests und der Offenbahrung deren Ergebnisse legt.
14
Vgl. S
PECK
, Otto: Soll der Mensch biotechnisch machbar werden? Eugenik, Behinderung und Pädagogik, München 2005;
der einige dieser Ängste aufgreift und sie etwas zu emotional bearbeitet.
15
Vgl. S
PECK
, Otto: Soll der Mensch biotechnisch machbar werden?, S. 9.

3 DAS 1000-DOLLAR-GENOM
3.1 Die Industrialisierung der Biotechnologie
In der Tat kann man davon ausgehen, dass sich in der Biotechnologie in Bezug
auf die
»Humangenetik«
eine neue technologische Revolution anbahnt, deren gesell-
schaftlichen Auswirkungen heute noch kaum fassbar sind. Denn nicht nur aufgrund
der
»Nanotechnologie«
, sondern auch im Hinblick auf die
»Bioinformatik«
kamen im
Verlauf des letzten Jahrzehnts so viele technische und methodische Neuerungen zu
Stande, dass man bereits heute die DNA eines Menschen für ca. zwanzig Millionen
Dollar sauber genug entziffern kann, um aus den gewonnenen Daten auch einen ge-
wissen medizinischen Nutzen ziehen zu können.
16
Mit der Industrialisierung der For-
schung ­ dem Übergang zur hochtechnisierten Biologie im großen Maßstab ­ wurde
innerhalb von zwanzig Jahren der Grundstein für eine weitere, dritte technische Revo-
lution gelegt.
17
Die einst aberwitzig erschienene Vision, das individuelle Erbgut eines
jeden Menschen schnell und zudem auch noch preiswert zu erfassen, halten heute
viele Experten nicht mehr für eine Utopie. Spätestens in zehn Jahren dürfte es für den
Genetiker C
HURCH
wohl soweit sein, dass nahezu jede Person in unserer Gesellschaft
zumindest theoretisch die Möglichkeit hätte, die Sequenz seiner persönlichen DNA
preiswert erstellen zu lassen.
18
Zwar ist der dafür benötigte Aufwand bisher immer noch so hoch, dass fast nur
ausgewiesene Sequenzierungszentren ­ die durch große Forschungsprojekte finanziell
gut ausgestattet sind ­ dieses leisten können, aber gerade durch neue automatisierte
und schnellere Verfahren, bei denen die Prozesse millionenfach parallel ablaufen und
somit viele kostspielige Einzelschritte sowie eine Menge Material eingespart werden
können, wird das Lesen von DNA zunehmend ökonomischer.
19
Unter dem Schlagwort
"1000 Dollar-Genom" wurde die Ankündigung populär, eine Gesamtsequenzierung der
DNA von Einzelpersonen so erschwinglich zu machen, dass es vielen Privatpersonen
oder auch Dritten durchaus attraktiv erscheinen könnte, eine solche persönliche Se-
quenzierung des kompletten Genoms vornehmen zu lassen.
16
Vgl. C
HURCH
, George M.: Das Projekt Persönliches Genom, S. 30 ­ 40.
17
Vgl. T
AMBOURIN
, Pierre: Das grandiose Genom-Projekt. In: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2003, S. 20 ­ 25.
18
Vgl. C
HURCH
, George M.: Das Projekt Persönliches Genom, S. 30 ­ 40.
19
Ebd.

3 DAS 1000-DOLLAR-GENOM
9
Eine denkbare Anwendungsmöglichkeit wäre, dass man die entsprechenden aus-
gelesenen Daten auf einem elektronischen Speichermedium mit zum Arzt nehmen
könnte, wo dann eine genomische Software medizinische Standardabfragen z.B. nach
C
HOLESTERIN
oder D
IABETES
erledigen würde.
20
Die Visionen reichen aber noch weiter.
So ist es auf der Suche nach Mikroben und potentiellen Allergieauslösern ein weiteres
Ziel, das vollständige Genmaterial, ob positiv oder negativ, der gesamten äußeren und
inneren Umwelt des Menschen zu erfassen. Doch nicht nur Visionen, sondern auch
bestimmte Marktkräfte treiben die Entwicklung und Verbreitung dieser neuen Techno-
logie maßgeblich voran. Zudem lässt sich ­ wenn auch nur in ersten Ansätzen ­ mehr
und mehr vorhersagen, welche Märkte, Visionen, Entdeckungen und Erfindungen die-
se Umwälzungen wohl weiter forcieren werden und welche Mindestanforderungen an
Infrastruktur und Ressourcen dafür erfüllt sein müssen.
Deshalb wird es Zeit, sich nun auch über soziale und ethische Folgen dieser Ent-
wicklung Gedanken zu machen, denn auch Versicherungen oder die Werbebranche
dürften diese Daten durchaus interessant finden. Um jedoch in diesem Sinne die
enormen Möglichkeiten dieser neuen Biotechnologie für die Gesellschaft nutzen zu
können, muss die individuelle Genomsequenzierung mindestens zwei wesentliche
Voraussetzungen erfüllen: Sie sollte zum einen so preiswert und zweitens so einfach
zu handhaben sein, wie beispielsweise die heutigen Computer und ihre Programme.
21
3.2 Digital gegen Analog
Um dieses Ziel erreichen zu können, stellt sich die Wissenschaft der Heraus-
forderung bis zum Jahr 2009 ein Menschengenom für 100 000 Dollar und bis 2014 für
1 000 Dollar sequenzieren zu können. Nach C
HURCH
scheint sogar das Potential gege-
ben, dass der Durchbruch zu einer kompletten Sequenzierung der sechs Milliarden
Basenpaare eines individuellen menschlichen Genoms für 20 000 Dollar um das Jahr
2010 gelingen könnte, denn im Zuge der Sequenzierungsmethoden der nächsten Ge-
neration, welche automatisiert ablaufen, ist auch mit einer weiteren Preisabsenkung
zu rechnen. Somit fällt nicht nur die menschliche Arbeitszeit immer weniger ins Ge-
wicht, sondern auch der Verbrauch der Reagenzien, die den größten Kostenfaktor
darstellen, sinkt gleichzeitig bis in den Femtoliterbereich. Zudem werden die benötigten
Apparaturen mit zunehmender Anwendung und besserer Kapazitätsauslastung für die
Sequenzierungszentren immer günstiger.
22
Eine denkbare Schlüsselrolle auf dem Weg zu einer solchen kostengünstigen per-
sönlichen Genomsequenz könnte das durchaus viel versprechende Prinzip der «Nano-
20
Vgl. C
HURCH
, George M.: Das Projekt Persönliches Genom, S. 30 ­ 40.
21
Ebd.
22
Ebd.

3 DAS 1000-DOLLAR-GENOM
10
poren-Sequenzierung» übernehmen. Bei diesem völlig neuen Prinzip werden die Unter-
schiede in den physikalischen Eigenschaften der vier Nukleinsäuren im DNA-Strang
ausgenutzt, indem man die DNA-Einzelstränge durch eine feine Nanoöffnung einer
künstlichen Membran schickt, an der eine elektrische Spannung anliegt.
(siehe Grafik)
Das Besondere an dieser Methode ist, dass die Genomsequenzierung elektronisch
anstatt wie bisher üblich chemisch erfolgt. Dabei wandert der einfache DNA-Strang
durch eine synthetische Membran, wobei er eine feine Pore durchqueren muss, in der
zudem ein elektrisches Feld anliegt. Somit blockiert jedes Nukleotid kurz die Porenöff-
nung, wodurch sich vorübergehend die elektrische Leitfähigkeit der Membranöffnung
ändert, da die molekulare Größe und somit die Passierdauer bei jeder der vier Basen
etwas variiert. Die dadurch verursachten elektrischen Schwankungen können infolge-
dessen ganz einfach von einem Computer gemessen und aufgezeichnet werden.
Abb. 3.2: Die «Nanoporen-Sequenzierung»
Abb. 3.2: Die «Nanoporen-Sequenzierung»
erfasst etwa 400 Basenpaare (bp) pro Sekunde, mit
weniger als einen Fehler pro drei Millionen Paare bei siebenfacher Abdeckung, während ein anderes
ähnliches System 1 700 Basenpaare pro Sekunde sequenzieren kann, jedoch bei einer 43-fachen Ab-
deckung einen Fehler pro 2 500 Basenpaaren aufweist.
23
Demzufolge würde es mit diesem Verfahren ­ bei weiterer Optimierung ­ nur noch
Stunden dauern, bis das komplette Genom eines Menschen erfasst wäre. Somit stellt
dieses Verfahren nicht nur eine schnelle, sondern zudem auch eine kostengünstige
Methode dar, denn mit diesem System kostet die Erfassung von 1 400 Paaren bereits
heute nur einen Dollar.
24
Jedoch steckt diese neue Methode noch in den Kinderschu-
hen und es kann noch eine ganze Weile dauern, bis dieses Prinzip marktreif ist. Des-
halb liegt der technologische Schwerpunkt dieser Examensarbeit auf der «Sequenzie-
rung durch Hybridisierung», denn dieses Verfahren wird gegenwärtig am häufigsten
angewandt, wenn es darum geht, bei einer schon bekannten Gensequenz nach indivi-
duellen Variationen zu suchen.
23
Vgl. C
HURCH
, George M.: Das Projekt Persönliches Genom, S. 30 ­ 40.
24
Ebd.
Nanopore
Membran
DNA-
Einzel-
strang

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836631020
DOI
10.3239/9783836631020
Dateigröße
2.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Philosophische Fakultät
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
1,0
Schlagworte
technikfolgenabschätzung genchip genomanalyse humangenetik technikphilosophie
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Titel: Problemstellungen bei der Einführung einer persönlichen Genomsequenzierung
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