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'Vom Tempel der Kunst zum Tempel der Besucher?'

Die Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900 im Vergleich zu heute. Eine Studie zur Berliner Museumslandschaft

©2008 Magisterarbeit 136 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Was wir in Deutschland von Großbritannien lernen können, ist, den Künsten mehr zuzutrauen und sie nicht in Kunsttempeln zu isolieren, sondern in den Alltag der Menschen einzubringen’.
Welche Rolle spielt der Besucher im Museum von 1900? Und welche Bedeutung hat er heute? Diese Magisterarbeit erörtert die These, ob die Museen von Tempeln der Kunst zu Tempeln der Besucher geworden sind.
Der erste Teil des Hauptteiles der Magisterarbeit beschäftigt sich mit dem Museum um 1900. Zu diesem Zeitpunkt haben die Museen eine institutionelle Identität und eine Autonomie erreicht. Dieses Selbstverständnis wird anhand der lexikographischen Nachweise des Begriffes ‘Museum’ nachgewiesen, welcher sich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts verändert hat. Im Rahmen der Museumsreformbewegung erfolgte um 1900 eine Verschiebung vom Vermittlungsziel der historischen Bildung zur ästhetischen Erfahrung, die sich in der Präsentations- und Inszenierungsstrategie niederschlug. Die Ursachen dieser Reformbewegung waren der veränderte Kunstbegriff, das Präsentieren der Sammlungsstücke in einem bestimmten Dekorationsrahmen und das veränderte Publikum. Wie sich dieses Publikum zusammensetzte, wird im darauf folgenden Kapitel analysiert. Mit der zunehmenden Institutionalisierung des Museums gewann die Person des Museumsdirektors an Bedeutung, da dieser maßgeblich die Museumspolitik, die Einstellung gegenüber dem Publikum und die Museumsreformbewegung mitbestimmte. Die Museumsrauminnenarchitektur passte sich den Veränderungen der Museumspraxis an. Die Rauminszenierungsstrategien um 1900 und deren Wirkung auf den Besucher bilden das vorletzte Kapitel des ersten Hauptteiles. Eine abschließende Einschätzung der Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900 wird im letzten Kapitel des ersten Teiles dieser Magisterarbeit vorgenommen.
Der zweite Teil der Magisterarbeit beschäftigt sich mit der Institution Museum im 21. Jahrhundert und der Rolle des Besuchers. Zunächst werden im ersten Kapitel die Bedeutung der Museen anhand von Besuchszahlen und der sogenannte Museumsboom erläutert. Das Problem der Definition des Begriffes Museum in Deutschland, die ICOM-Standards für Museen und die Notwendigkeit der Registrierung der Museen bilden das nächste Kapitel. Die Museen sind Institutionen der Öffentlichkeit und Kultureinrichtungen, die Teil einer sich wandelnden Gesellschaft sind. Mit dem Problem des Gleichgewichts der Museen zwischen einer Bildungs- und […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Alena Salsa
'Vom Tempel der Kunst zum Tempel der Besucher?'
Die Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900 im Vergleich zu heute. Eine
Studie zur Berliner Museumslandschaft
ISBN: 978-3-8366-3089-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland, Magisterarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung ... 1
2.
Hauptteil... 4
2.1.
Tempel der Kunst: Museum um 1900 ... 4
2.1.1.
Institutionelle Identität und Autonomie des Museums um 1900... 4
2.1.2.
Von der historischen Bildung zur ästhetischen Erfahrung:
Museumsreformbewegung um 1900 ... 8
2.1.3.
Das Museumspublikum um 1900... 10
2.1.4.
Museumsdirektoren als Museumsreformer ... 16
2.1.5.
Museumsrauminnenarchitektur und das Publikum um 1900 ... 20
2.1.6.
Rauminszenierungsstrategien um 1900 und ihre Wirkung auf den Besucher... 22
2.1.7.
Die Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900 ... 26
2.2.
Tempel der Besucher: Museum um 2000... 28
2.2.1.
Institution Museum und ihr gesellschaftlicher Auftrag um 2000... 28
2.2.2.
Museumsbegriff, die Kernaufgaben und die Standards ... 31
2.2.3.
Die Funktion der Unterhaltung und die Erlebnisgesellschaft... 35
2.2.4.
Funktion des Verkaufens und die Ökonomisierung der musealen Tätigkeit ... 40
2.2.5. Museum
im
Internet ... 50
2.2.6.
Die Museumsarchitektur im Dienste des Besuchers ... 51
2.2.7. Das
besucherorientierte
Museum ... 55
2.2.8.
Exkurs I: Eintrittsgeld als Mittel der Bildung einer elitären Besucherschaft ... 72
2.3. Berliner
Studie... 75
3.
Schlussteil ... 85
4.
Literaturverzeichnis ... 88
5.
Abbildungsverzeichnis ... 98
Abbildungen ... 99
Abbildungsnachweis... 110
6.
Tabellenverzeichnis ... 111
Anhang ... 121

1
1. Einleitung
,,Was wir in Deutschland von Großbritannien lernen können, ist, den Künsten mehr zuzu-
trauen und sie nicht in Kunsttempeln zu isolieren, sondern in den Alltag der Menschen
einzubringen."
1
Welche Rolle spielt der Besucher für das Museum um 1900? Und welche Bedeutung für
das museale Handeln hat er heute? Dieses Buch geht der Frage nach, ob die Museen von
Tempeln der Kunst zu Tempeln der Besucher geworden sind.
Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Museum um 1900. Zu diesem Zeit-
punkt haben die Museen ihre institutionelle Identität und Autonomie erreicht. Dieses
Selbstverständnis wird anhand der lexikographischen Quellen des Begriffes ,,Museum"
nachgewiesen, welcher sich ab Ende des 18. Jahrhunderts verändert hat. Zugleich erfolgte
im Rahmen der Museumsreformbewegung eine Verschiebung vom Vermittlungsziel der
historischen Bildung zur ästhetischen Erfahrung, die sich in der Präsentations- und Insze-
nierungsstrategie niederschlug. Die Ursachen dieser Reformbewegung waren der veränder-
te Kunstbegriff, das Präsentieren der Sammlungsstücke im bestimmten Dekorationsrahmen
und das veränderte Publikum. Die Zusammensetzung des Publikums wird im Anschluss
analysiert. Mit der zunehmenden Institutionalisierung des Museums gewann die Person des
Museumsdirektors an Bedeutung, da dieser maßgeblich die Museumspolitik, die Einstel-
lung gegenüber dem Publikum und die Museumsreformbewegung mitbestimmte. Die Mu-
seumsrauminnenarchitektur passte sich den Veränderungen der Museumspraxis an. Die
Rauminszenierungsstrategien um 1900 und deren Wirkung auf den Besucher sowie eine
abschließende Einschätzung der Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900
bilden den Schluss des ersten Teiles dieses Buches.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der Institution Museum im 21. Jahrhundert
und der Rolle des Besuchers. Zunächst werden die Bedeutung der Museen anhand von Be-
suchszahlen und der sogenannte Museumsboom erläutert. Das Problem der Definition des
Begriffes Museum in Deutschland, die ICOM
2
-Standards für Museen und die Notwendig-
keit der Registrierung der Museen wird ebenfalls angesprochen. Die Museen sind Instituti-
onen der Öffentlichkeit und Kultureinrichtungen, die Teil einer sich wandelnden Gesell-
1
Mandel, S. 83.
2
International Council of Museums (Der Internationale Museumsrat)

2
schaft sind, in welcher die Museen ihr Gleichgewicht zwischen einer Bildungs- und Unter-
haltungsfunktion suchen. Die Museen als öffentliche Einrichtungen sind von den finanziel-
len Mitteln des Staates abhängig, die gekürzt werden. Somit sind sie immer mehr gezwun-
gen, ökonomisch zu handeln. Sie sind auch dem Besucher zur Rechenschaft und Offenle-
gung verpflichtet, der sie letztendlich als Steuerzahler finanziert. Soll in diesem Zusam-
menhang die Funktion des Verkaufens in die Definition des Museums eingebracht werden?
Soll die Museumsarchitektur im Dienste des Besuchers stehen? Schließlich werden der
Besucher als Mittelpunkt des musealen Handelns, die Besucherforschung und Besucher-
evaluation, die zukünftigen Aufgaben des Museums, das Problem der zukünftigen Vermitt-
lungsmethoden und das große Problem der Erreichung neuer Publikumschichten näher
erläutert. Ein Exkurs über das Eintrittsgeld als Mittel der Preispolitik und als Mittel der
Bildung einer elitären Besucherschaft, die im Widerspruch zum Museum als Tempel aller
Besucher steht, schließt das zweite Kapitel des Buches ab.
Das Museum um 2000 wird sehr ausführlich behandelt. Es wurde bereits eine Auswahl an
Literatur getroffen, das Anliegen der Verfasserin ist es jedoch, die Theorie durch möglichst
viele praktische Beispiele zu belegen. Diese sollen den sich vollziehenden Wandel der Mu-
seen in Deutschland verdeutlichen.
Der dritte Teil des Buches versucht, als Berliner Studie anhand eines Vergleichs von fünf
ausgewählten Museen in Berlin die These zu hinterfragen, ob die Museen heute zu Tem-
peln der Besucher geworden sind, d.h. ob der Besucher der Mittelpunkt des musealen Han-
delns ist. Basis der Auswertung bilden Gespräche mit Angestellten dieser fünf Berliner
Museen, mit Angestellten der Berliner Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten, die
Informationen der Haushalte des Landes Berlin 2008/2009 und des Bundes und die Infor-
mationen der Internetauftritte. Einige Gesprächspartner wurden auf Wunsch anonymisiert.
Die Buch schließt mit einer zusammenfassenden Gegenüberstellung des Museums um
1900 und 2000 und der Beantwortung der Frage, ob die Museen von Tempeln der Kunst zu
Tempeln der Besucher geworden sind.
Der Begriff ,,Museum" wurde in der jeweiligen Zeit, um 1900 und im 21. Jahrhundert,
unterschiedlich verwendet. Diese Verwendung wird in diesem Buch erläutert, die Begriffe
werden aber nicht direkt miteinander verglichen. Vielmehr werden sie als Einblick in die
jeweiligen Deutungen und Vorstellungen gesehen, die in die Begriffe eingeflossen sind.
Auch ist ein Vergleich von zwei Begriffen oft nicht notwendig, da z.B. um 1900 eher vom
Publikum gesprochen wurde, heute eher vom Besucher.

3
Es wurden unterschiedliche Themenschwerpunkte in den verschiedenen Jahrhunderten
ausgewählt. So war die Persönlichkeit des Museumsdirektors um 1900 für die Rolle des
Besuchers bedeutend, im 21. Jahrhundert ist eher das unternehmerische Handeln der Insti-
tution Museum von Bedeutung. Ein Vergleich von verschiedenen Museumsarten erwies
sich als überflüssig, weil das Museum als Institution betrachtet wurde.
Ein Vergleich der heutigen Museen führte zu keinen Problemen, da Aspekte miteinander
verglichen wurden, die entweder quantifizierbar waren (z.B. Eigenfinanzierungsanteil)
oder Aspekte, deren Vorhanden oder Nichtvorhandensein den Schwerpunkt bildeten (z.B.
Verankerung der Besucherorientierung im Leitbild). Bestimmte schwer erfassbare Fakto-
ren (z.B. Stimmung des Museums, Person des Museumsdirektors) wurden nicht untersucht,
es wurde aber auf das Problem der Messbarkeit von Qualitätskriterien der Museen hinge-
wiesen.
Das größte Problem für den historischen Teil des Buches war die fehlende Literatur zum
Thema Publikum und Besucher um 1900. Diese Informationen wurden zum Teil der all-
gemeinen Literatur entnommen oder es wurden Ansätze beschrieben, wie man sich der
schwer fassbaren Größe ,,Publikum" über Abbildungen des Museumspublikums und über
schriftliche Nachweise, wie Museumsführer und Besucherberichte, nähern könnte. Für die
Berliner Studie stellte der Zugang zu validen Daten das größte Problem dar.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Klopsch (Geschäftsführer des Jüdischen Museums
Berlin), der mich tatkräftig mit Informationen und neuen Ideen stets unterstützte, meiner
Professorin Dr. Benedicte Savoy (Technische Universität Berlin), ohne die dieses Buch nie
möglich geworden wäre, sowie meiner Schwester, meiner Mutter und meinem Vater.

4
2. Hauptteil
2.1. Tempel der Kunst: Museum um 1900
2.1.1.
Institutionelle Identität und Autonomie des Museums um 1900
Nach Sheehan standen die Museen vor 1914 in Blüte
3
und zeichneten sich durch ,,...ein
zunehmendes Bewusstsein ihrer institutionellen Identität und Autonomie."
4
aus.
Dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage kann man sich zunächst anhand eines Vergleiches
von lexikographischen Quellen aus verschiedenen Zeiten nähern und anhand einer Aus-
wertung zeitgenössischer Fachliteratur, die sich der Erforschung der Historie des Museums
widmet.
Geht man davon aus, dass ,,Wörterbücher definieren, kommentieren und normieren. Sie
geben Einblicke in die jeweiligen Deutungen und Vorstellungen, die in die Begriffsbestim-
mung eingeflossen sind."
5
, so bieten sich lexikographische Quellen im 18. und im 19. Jahr-
hundert geradezu an, um einen Vergleich des Begriffes ,,Museum" zu wagen.
Das Lexikon von Johann Georg Zedler aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (1731-
1754)
versteht unter dem Begriff Museum ,,...eine Kunstkammer, ein Münz-Cabinet, Rari-
tät- und Antiquitäten-Kammer, wovon unter besondern Artickeln nachzulesen ist. Insbe-
sondere aber ein Gebäude, darinnen die Gelehrten beisammen wohnten...".
6
Der Krünitzschen ökonomisch-technologischen Encyklopädie aus den Jahren 1773-1858
ist zu entnehmen, dass als Museum ,,... Eine Sammlung von Kunstwerken, öfters auch von
Büchern und Naturproducten. [...] Einen Ort, wo man zusammen kommt, um sich mit den
Wissenschaften und schönen Künsten zu beschäftigen, daher auch ein Studirzimmer..."
7
betrachtet wird.
Das Pierer Lexikon (1857-1865) beschreibt das Museum folgendermaßen: ,,Seit Ausgang
des Mittelalters bezeichnet man mit dem Namen M. zunächst eine Sammlung von Alterthü-
3
Sheehan, S. 226.
4
Sheehan, S. 234.
5
Blank und Debelts, S. 13.
6
Artikel "Museum", in: Jonann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften
und Künste
http://www.zedlerlexkon.de./blaettern/einzelseite.html?id=201895&bandnummer=22&seitenzahl=0705&sup
plement=0&dateiformat=1
(02.08.2009)
7
Artikel "Museum". In: Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie, Band 98 (1805),
S. 450
http://www.kruenitz.uni-trier.de/
(02.08.2009).

5
mern u. Kunstgegenständen, dann aber hat man die Benennung auch auf Sammlungen von
Gegenständen sehr verschiedener Art übertragen, so daß man von archäologischen, histo-
rischen, naturhistorischen, anatomischen etc. Museen spricht, od. auch wohl einen ganzen
Complex solcher Sammlungen für besondere Fächer, nebst Bibliotheken u. dgl., unter dem
Namen M. zusammenfaßt."
8
Das Brockhaus Konversationslexikon von 1894-1896 erläutert den Begriff Museum:
...Jedoch erst seit dem 18. Jahrh, traten an die Stelle dieser Privatgalerien öffentliche An-
stalten, die der Staat in Verwaltung nahm oder neu gründete, welchem Beispiel dann
Stadtgemeinden und reiche Private folgten. In neuester Zeit nennt man daher monumentale
Bauwerke, in denen Gegenstände der Kunst und Wissenschaft aufbewahrt werden und der
Betrachtung und Benutzung zugänglich sind, fowie diese öffentlichen Sammlungen selbst
M. Die M. teilt man ein in Kunstsammlungen, die Werke der Malerei (Gemäldegalerie,
Pinakothek) oder der Bildnerei (Antikensammlungen, s.d.; Glyptothek, Skulpturengalerie)
oder des Kunstgewerbes (s. Kunstgewerbemuseen) enthalten, und naturwissenschaftliche
M., in denen zoolog., geolog., paläontolog., mineralog., ethnogr. und ähnliche Sammlun-
gen aufbewahrt werden. (Hierzu die Tafeln: Museen l und II.)."
9
Das Meyers Konversations-Lexikon von 1905 schreibt über das Museum: ,,Seit dem Ende
des Mittelalters bezeichnete man mit dem Ausdruck M. im weitern Sinn eine in einem be-
sonders dazu errichteten Gebäude zur Ansicht auf gestellte Sammlung seltener und interes-
santer Gegenstände aus dem Gebiete der Naturgeschichte oder der Künste; später
verstand man darunter ein Gebäude zur Aufbewahrung von Kunstdenkmälern, bis in der
Neuzeit das Wort M. für Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen jeglicher Art angewen-
det wird. Es gibt anatomische, landwirtschaftliche, mineralogische, botanische, zoologi-
sche, geologische, naturhistorische, ethnologische (Museen für Völkerkunde), physikali-
sche, historische, prähistorische, hygienische, Waffen-, Volkstrachten- u.a. Museen, in de-
nen die Geschichte und das System jeder Wissenschaft durch Naturerzeugnisse, Präparate
oder Kunstprodukte veranschaulicht wird. Sammlungen dieser Art befinden sich in den
meisten Großstädten und sind regelmäßig mit den Hochschulen verbunden. Neben diesen
wissenschaftlichen Museen bilden die Kunstmuseen, die sich wieder in solche für höhere
8
Artikel ,,Museum". In: Pierer's Universal-Lexikon. Altenburg 1857-1865, Band 11, S. 573.
http://www.zeno.org/Pierer-1857/A/Mus%C4%93um
(02.08.2009).
9
Artikel ,,Museum". In: Brockhaus` Konversationslexikon. Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-
1896
,
http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=131683
(0.08.2009)

6
Kunst (Malerei, Plastik) und in solche für das Kunstgewerbe teilen, eine besondere Gruppe
(vgl. Kunstgewerbemuseum)."
10
Vergleicht man die lexikographischen Quellen zum Begriff des Museums miteinander, um
ein Verständnis der Institution Museum im zeitlichen Wandel zu erahnen, so wird im 18.
Jahrhundert das Museum als Ort gebraucht, oft als ein Sammelplatz der Gelehrsamkeit.
11
Um 1800 rückt das Museum als Ort mit dinglicher Sammlung in den Vordergrund. Nach
der Französischen Revolution wird das Museum als Institution mit einem öffentlichem
Charakter betont, welches sich als öffentliche Bildungseinrichtung hervorhebt. Im Laufe
des 19. Jahrhunderts tritt die Betonung der Öffentlichkeit wieder hinter die Hervorhebung
des Museums als Sammlungsort zurück. Die Lexika werden zum Sprachrohr der fachwis-
senschaftlich und/oder bürokratisch orientierten Museumselite, zu einer Anstalt des Sam-
melns, Bewahrens und Ausstellens des 20. Jahrhunderts.
Um 1900 assoziierte man mit dem Begriff des Museums einen öffentlichen Ort, an dem
Sammlungen verschiedener Art präsentiert wurden. Diese Differenzierung der Sammlung
konnte mit der Verstaatlichung des Kunstbesitzes und / oder mit einer Differenzierung des
Publikums einhergegangen sein.
Zunächst stammten die Sammlungen aus den feudalen Kunstkammern und dienten vor
allem repräsentativen Zwecken und um einen politischen Machtanspruch zu verdeutli-
chen.
12
Um ca. 1850 entstehen mit zunehmender Verwissenschaftlichung und Spezialisie-
rung aller Lebensbereiche auch private Sammlungen des Bürgertums. Die ersten bürgerli-
chen Museumsbauten werden vor allem in den Städten (Bremen, Frankfurt a.M., Hamburg)
gebaut. Ihr Zweck soll ,,die Pflege von Kunst und Wissenschaft"
13
sein. Neben den städti-
schen Museen entstehen Museen mit Volksbildungscharakter: heimatkundliche Sammlun-
gen, Schulmuseen, sog. Pädagogische Museen usw.
14
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts kam es zur Gründung von Vereinen, darunter auch Kunstvereinen und Museumsver-
einen, die wiederum Kunst-, Gewerbemuseen und naturwissenschaftliche Sammlungen
gründeten. ,,Das Museum als Ort der Tradition der klassischen und deutschen Kunst ge-
wann einen festen Platz im Kulturbewußtsein des liberalen Bürgertums."
15
10
Meyers Konversations-Lexikon von 1905, Band 14, S. 299 auch
http://www.zeno.org/Meyers-
1905/A/Mus%C4%93um?hl=museum
(02.08.2009)
11
Die folgende Zusammenfassung folgt der Darstellung von Blank und Debelts, S. 175ff.
12
Hochreiter, S.16.
Erwähnt sei ebenfalls die Funktion der Kunstobjekte als Investitionsanlage. Hochreiter,
S. 12.
13
Jensen, S. 24.
14
Jensen, S. 24.
15
Mommsen, Wolfgang: Kultur als Instrument der Legitimation bürgerlicher Hegemonie im Nationalstaat. S.
23. In: Rückert, S. 15-29.

7
Zunächst war es nur der privilegierte Besucher
16
, der die fürstliche Sammlung besuchen
konnte. Im 19. Jahrhundert verbreitete sich die Ansicht, dass die Kunst nicht nur der Öf-
fentlichkeit zugänglich sein sollte, sondern dieser auch im juristischen Sinne gehören soll-
te.
17
Vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Kritik einer bürgerlichen Öffentlichkeit an
der sozialen Exklusivität des Kunstbesitzes wurden die Sammlungen in der Institution des
Museums für kunstinteressierte Adlige, reiche Mäzenen, Kunstkenner, Forscher und Wis-
senschaftler, das Bürgertum, sowohl das Wirtschafts- wie auch das Bildungsbürgertum und
die Arbeiter mit kulturellen Ambitionen öffentlich gemacht.
Um eine grobe Zuordnung der Publikums zu den Museumstypen zu versuchen, kann man
auf Untersuchungen von Joachimides zurückgreifen, der die Meinung vertritt, dass sich
zwischen 1790 und 1890 die drei wichtigsten Subtypen des (bereits etablierten) Kunstmu-
seums entwickelt haben: das kunsthistorische, das kulturhistorische und das kunstgewerb-
liche Museum, welche auf ein begrenztes Zielpublikum zugeschnitten waren.
18
Das kunst-
historische Museum wurde maßgeblich durch die Französische Revolution beeinflusst.
Nach dem Kasseler Museum Fridericianum (1769-1776) (Abbildung 1) gehört das Berliner
Alte Museum und die Alte Pinakothek in München zu den ersten Museen dieses Typus.
Die Verwaltung des Berliner und des Münchener Museums wurde nicht so wie früher üb-
lich von einem Künstler übernommen, sondern von einer Auswahlkommission von Fach-
leuten. Präsentiert wurde Gegenständliches und Alltägliches, welches Aussagen über die
Lebensverhältnisse und Vorstellungswelten vergangener Generationen ermöglichen konn-
ten. Die Zielgruppe dieses Museumstyps war vor allem das gebildete Bürgertum. Das kul-
turhistorische Museum war eng mit der Nationalbewegung von 1848 verknüpft. Es sollte
neben der Identitätsstiftung des Bürgertums auch einen lokalen und regionalen Bezug der
Altertumsvereine und Privatsammler in den Vordergrund stellen.
19
Der Besucher stammte
aus dem Kleinbürgertum und der proletarischen Unterschicht. Das Kunstgewerbemuseum
war der jüngste Typ des Museums im 19. Jahrhundert. Mit dem 1867 eröffneten Deutschen
Gewerbe-Museum zu Berlin und dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe von
1869 war es eng als Museum mit der Industrie verzahnt. Diese Museen waren zunächst als
Privatinitiativen von bürgerlichen Vereinen getragen und dann unter staatliche Kontrolle
gestellt. Präsentiert wurden qualitativ hochwertige Erzeugnisse der Industrie und des
16
Hochreiter, S. 16.
17
Sheehan, S. 155f.
18
Joachimides
(2001), S. 17f. und S. 251.
19
Joachimides (2001), S. 19.

8
Handwerks. Gerichtet war dieses Museum an ein mittelständisches gewerbetreibendes
Publikum.
20
Um 1900 unterstanden die Museen in den größten Städten dem Kultusministerium. Die
Fürstenhäuser übten zwar noch einen gewissen Einfluss auf die Kunstmuseen aus, jedoch
ging die relative Bedeutung der Fürsten für die deutsche Kultur überall zurück.
21
Durch die
politische Transformation mussten die Monarchen ihre künstlerischen Vorhaben nur mit
institutionellen Beschränkungen und mit Zustimmung der Kultusministerien treffen.
22
Neben den Höfen, Bürokratien und Parlamenten beeinflusste der Kunstmarkt die Instituti-
on Museum.
23
Die zeitgenössischen Künstler verkauften ihre Ware direkt aus der Werkstatt
oder indirekt über Galerien, Kunstvereine, Ausstellungen oder Auktionen. Der Käufer-
markt für historische Kunst wurde nicht mehr nur von Adligen bestimmt, sondern von Mu-
seen und Privatsammlern. Auf diesem dynamischen und komplizierten Markt gewannen
Experten an Bedeutung, die darüber entscheiden konnten, was sich zu sammeln lohnte.
Neben diesem Kunstmarkt gab es den Bereich der Wissenschaft, wobei die Kunstgeschich-
te als Institution und Wissenschaft den theoretischen Rahmen für die Definition und Wahr-
nehmung von Kunst gab. Das Museum stellte diese Kunst aus und meistens war der Muse-
umsdirektor ein Kunstwissenschaftler.
24
Das oberste Vermittlungsziel der öffentlichen Institutionen war die historische Aufklärung,
die sich an einem Bildungsbegriff ausrichtete, der von den akademischen Wissenschaften
definiert war.
25
Jedoch auch dieses Vermittlungsziel wandelte sich im Laufe der Zeit.
2.1.2.
Von der historischen Bildung zur ästhetischen Erfahrung: Muse-
umsreformbewegung um 1900
Nach 1890 mehrten sich kritische Stimmen, die eine Reform der Museumspraxis forder-
ten.
26
Die Kritik richtete sich auf das Vermittlungsziel der historischen Bildung der Muse-
en, welches von einer bestimmten Definition der Kunst allgemein und der Kunstvermitt-
lung herrührte. Die Kritik betraf darüber hinaus die Präsentation und die Inszenierungsstra-
20
Joachimides (2001), S. 17-23.
21
Sheehan, S. 227f.
22
Sheehan beschäftigt sich anhand von zahlreichen Beispielen mit der Frage des Eigentums der Kunstwerke
in den öffentlichen Sammlungen. S. 154-159.
23
Sheehan, S. 230f.
24
Siehe Kapitel 2.1.4.
25
Joachimides
(2001), S. 251.

9
tegie der Kunst in den Museen. Welche Rolle kam dem Besucher im Rahmen der Muse-
umsreformbewegung zu? Der unzufriedene Besucher war in diese Kritik mit eingeschlos-
sen. Bereits Langbehn mahnte die Vermittlungsstrategie der Museen an. Diese sollten ,,die
Kunstsprache nicht in toten Wortregistern, sondern vielmehr und ganz überwiegend in
ihrem lebendigen Zusammenhang lehren."
27
Pallat kritisierte das Verhältnis der Museen
zur Öffentlichkeit: ,,...die Mehrzahl der großen Museen durch die Masse ihres Stoffes wie
durch Anlage und Aufstellung den Besucher rasch ermüdet oder zu flüchtigem Durcheilen
geradezu herausfordert."
28
(Abbildung 2). Für Eberhard von Bodenhausen bereicherten die
Museen die Kultur nicht.
29
Nach Theodor Volbehr dienten die Museen eher der Wissen-
schaft zum Erkennen der Vergangenheit, aber nicht der Gegenwart. Zugleich stand für ihn
das breite Publikum den Museen kühl gegenüber (Abbildung 3)
30
. Nach Max Osborn ka-
men die Besucher nur aus Pflichtgefühl, nicht aber um geistige Erneuerung oder einen his-
torischen Zusammenhang zu suchen. Der Museumsbesucher ,,überschreitet die Schwelle
des großen Hauses...mit einem Gefühl der Fremdheit und nicht ohne Angst; ratlos durch-
eilt er die Räume."
31
Valentin Scherer war der Meinung, dass die Sammlungen zu groß
und zu heterogen geworden waren und somit kein Gefühl von Ordnung und Harmonie
vermitteln konnten (Abbildung 4).
32
Nach Joachimides liegt die entscheidende Ursache für die Museumsreformbewegung in
der Veränderung des Kunstbegriffes während des 19. Jahrhunderts. Verfolgten die Museen
bis zur Museumsreform ein Konzept der historischen Aufklärung mit dem Konzept der
Vollständigkeit der Sammlung, so stießen diese um 1900 auf ihre finanziellen und räumli-
chen Grenzen und es kam zum Überquellen ihrer Bestände. Gleichwohl wurde die Rolle
des Museums als Repräsentant und Vermittler der Kunst hinterfragt, welches dem Besu-
cher sowohl moralische wie auch staatsbürgerliche Tugend durch die Betrachtung der Ge-
schichte der Kunst zu vermitteln versuchte. Nach Joachimides kann Konrad Fiedlers Kritik
von 1879 am Museumsbetrieb als die Geburtsstunde der Museumsreformbewegung be-
26
Joachimides (2001), S. 99.
27
Langbehn, Julius: Rembrandt als Erzieher; von einem Deutschen. Leipzig, Hirschfeld (1890) 1922 zitiert
nach Sheehan, S. 213.
28
Pallat, Ludwig: Kunst und Kunstgewerbe. In: W. Lexis et al. (Hg.). Die allgemeinen Grundlagen der Kul-
tur der Gegenwart. Berlin, Leipzig 1906. S. 360, zitiert nach Sheehan, S. 214.
29
Bodenhausen, Eberhard von: Ein Leben für Kunst und Wissenschaft. Düsseldorf 1955. S. 122f, zitiert nach
Sheehan, S. 214.
30
Volbehr, Theodor: Die Zukunft der deutschen Museen. Stuttgart 1909. S. 59, 58, zitiert nach Sheehan, S.
214f.
31
Osborn, Max: Museen. In: NR 16 (1905), No. 2, S. 1249, zitiert nach Sheehan, S. 215.
32
Scherer, Valentin: Deutsche Museen: Entstehung und kulturgeschichtliche Bedeutung unserer öffentlichen
Sammlungen. Jena 1913. S. 245, zitiert nach Sheehan, S. 215.

10
trachtet werden.
33
So wurde die Definition der schönen Künste (Malerei und Bildhauerei,
Dichtung, Architektur und Musik) von einem neuen Begriff der Kunst abgelöst, der auch
sogar bestimmte Handwerkszweige miteinbezogen sehen wollte. Der klassische normative
Ästhetikbegriff wurde durch eine formalästhetische Wahrnehmung der Kunst ersetzt und
manifestierte sich in einer Neuformulierung des Autonomieanspruches der Kunst.
34
So
sollte die Kunst nicht mehr historisch gesehen und verstanden werden, sondern sollte er-
setzt werden durch eine ästhetische Erfahrung des Besuchers am Kunstwerk selbst. Nach
Gautier stand der ästhetische Wert der ausgestellten Werke im Vordergrund.
35
Und allein
die Qualität des Meisterwerkes legitimiert dessen Anwesenheit im pseudosakral stilisierten
,,Tempel der Kunst".
36
Wie bereits erwähnt, war für Joachimides die Veränderung des Kunstbegriffes einer von
drei Gründen, die zur Museumsreform bis 1914 geführt haben. Der zweite Grund war das
Sammeln von Objekten und ihre Präsentation in einer Überfülle und in einem umfangrei-
chen Dekorationsrahmen, der mit Erläuterungen der Objekte versehen war, die die kunst-
und kulturgeschichtliche Einbindung der Einzelwerke erklären sollten. Diese Vermitt-
lungsstrategie aber entsprach nicht mehr den Erwartungen des Besucherpublikums. Der
dritte Grund war ein infolge der Verstädterung und Industrialisierung verändertes Publi-
kum. Dieses Publikum war ein Massenpublikum, und die Museumsfachleute gingen davon
aus, dass das Laienpublikum ein anderes Ziel beim Besuch eines Museums verfolgte: das
ästhetische Erlebnis sollte ausschließlich oder zumindest vorwiegend vor der Vermittlung
der historischen Bildung stehen.
37
2.1.3.
Das Museumspublikum um 1900
Mit der Museumsreform kam es zur Ausweitung des traditionellen Zielpublikums. ,,An die
Stelle eines homogen sozialen Milieus im akademisch gebildeten Bürgertum trat mit der
Industrialisierung und Verstädterung Ende des 19. Jahrhunderts ein amorphes urbanes
33
Joachimides (2001), S. 252f.
34
Joachimides (2001), S. 252.
35
Joachimides (1995), S. 203.
36
Gautier Gautier, Theophile: Das Museum Louvre, Paris. Ein Spiegelbild seiner Geschichte, seines Geistes
und seines Lebens in Schilderungen von den bedeutendsten Schriftstellern Frankreichs. Berlin 1867,
zitiert nach Joachimides (1995), S. 203.
37
Joachimides (2001), S. 110.

11
Massenpublikum."
38
(Abbildung 6). Auch Sheehan weist darauf hin, dass von der Mitte des
18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das ideale Publikum universal gewesen ist. Seiner
Meinung nach bestand um 1900 das Museumspublikum aus vielen Sektoren der Öffent-
lichkeit: Höflinge und Kunstkenner, Wissenschaftler und engagierte Liebhaber, reiche Mä-
zenen und Arbeiter mit kulturellen Ambitionen.
39
Und Scherer behauptet, dass mit der
Übernahme der Museen durch den Staat der Kreis der Museumsbesucher erweitert worden
war: ,,Und doch war gerade der Laie als Museumsbesucher immer stärker in den Vorder-
grund getreten."
40
Man könnte davon ausgehen, dass die unterschiedlichen Erwartungen an den Museumsbe-
such mit der sozial unterschiedlichen Bedeutung der Kunst für jede einzelne Gesellschafts-
schicht im alltäglichen Leben verbunden waren. Borgmann hat ein sozialhistorisches Er-
klärungsangebot für einen Teil Berliner Museumsgeschichte gemacht, indem er Bezüge
herstellte zwischen sozialen Konfliktlagen (basierend auf ungleicher Verteilung gesell-
schaftlicher Ressourcen) und dem primär kulturellen Phänomen, wie etwa sozial unter-
schiedlichen Einstellungen gegenüber der Kunst.
41
Er stellte fest, dass die Adligen zwar in
Politik, Diplomatie und vielen Staatsämtern noch dominierten, aber in kulturpolitischen
Fragen vom Kulturbetrieb der Großstadt selten akzeptiert waren. Es entstand eine Gruppe
von Experten, die für die Fragen des künstlerischen Geschmacksurteils zuständig waren,
die sich aus gelehrten Staatsbeamten oder freiberuflich tätigen, mit Kunstkenntnissen aus-
gestatteten Journalisten zusammensetzte. Diese Gruppe der bürgerlichen Kunstvermittler
verstand sich als ,,geistesaristokratisch" und unterschied sich durch eine Kennerschaft des
künstlerischen Geschehens vom älteren akademischen Bildungsbürgertum, welches die
reine Bildung vertrat. Es entstand eine ,,Hochkultur", wie sie für Inhalte des Kunstmuse-
ums damals und heute noch gilt, und die stand im Gegensatz zur ,,Volkskultur".
42
Das Mä-
zenatentum und das Sammeln bildeten ein erhebliches individuelles Prestige innerhalb des
Großbürgertums und des Wirtschaftbürgertums. Für das Kleinbürgertum und die neuen
Mittelschichten war der Erwerb von Kunst aus finanziellen Gründen im beschränkten Um-
fang eine Möglichkeit, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. In der Gestaltung der
Wohnung, dem Erwerb von Kunstdrucken und dem Lesen von Kunstzeitschriften entstand
eine bürgerliche Identität. Auf der Suche nach geeigneten ästhetischen Ausdrucksmöglich-
38
Joachimides (2001), S. 252.
39
Sheehan, S. 234.
40
Scherer, S. 246.
41
Borgmann, S. 94-107.
42
Borgmann, S. 96. Borgmann verweist auf Lichtwark als Vertreter dieser Haltung.

12
keiten wurde diese Schicht als Publikum für die Museen besonders interessant.
43
Wendland
verweist auf die Bedeutung der Gründung von historischen Vereinen als Vorläufer der his-
torischen Museen, in denen das Bürgertum versuchte, sich über die Gründung von regiona-
len Museen vom Adel abzusetzen.
44
Seemann setzt die städtische Identität mit der bürgerli-
chen gleich.
45
Die Arbeiterschicht wiederum versuchte sich über eine Auswahl von Bildungs- und Kul-
turgütern vom Bürgertum abzusetzen. Bis 1918 war es der Industriearbeiterschaft nicht
gelungen, Elemente einer prestigeträchtigen Lebensführung zu finden und am kulturellen
Leben teilzunehmen.
46
Auf der einen Seite schienen die Besuche von Museen nicht im
Programm der Arbeiterbildungsvereine vorgesehen zu sein,
47
auf der anderen veranstaltete
im September 1903 die Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen einen Fachkon-
gress in Mannheim mit dem Titel ,,Die Museen als Volksbildungsstätten".
48
Die Museums-
fachleute waren sich uneinig, inwieweit die Arbeiterschaft zum Museumspublikum gehö-
ren sollte. Lichtwark entwarf eine Popularisierungsstrategie für das Museum, die mit brei-
tenwirksamen Bildungsangeboten die Industriearbeiterschaft zu erreichen versuchte.
49
Vie-
le Vertreter der Museumsreform wie z.B. Wilhelm von Bode wollten zwar die Mittel-
schicht als Publikum erreichen, schlossen jedoch die Arbeiterbevölkerung aus.
50
Einige
Museumsfachleute, darunter auch Hugo von Tschudi lehnten eine Popularisierungsstrate-
gie ab.
51
Seemann hat sich im Rahmen des Museumswesens in Hamburg mit der Besu-
cherhäufigkeit der Arbeiterschicht beschäftigt und festgestellt, dass das Museum von Ar-
beitern nicht besucht wurde, auch nicht wenn es sich um eine Ausstellung handelte, die ein
Interessenthema der Arbeiter zum Inhalt hatte.
52
Selbst im Verein für Kunstpflege spielten
die Museen keine Rolle. Eine Ausnahme stellten die naturhistorischen Museen dar, die
durch Arbeiterbildungsvereine gefördert wurden. Zu den Besuchern der Museen zählten als
Ausnahme auch Arbeiter, die in die bürgerliche Gesellschaft eingegliedert werden wollten
und denen der Besuch des Museums als Statussymbol diente. Howoldt erläuterte den Ver-
43
Borgmann, S. 103.
44
Wendland, Ulrike: Musealisierte Erinnerungen an die ,,gute alte Zeit". Beobachtungen zum Umgang städti-
scher Bürger mit ihrem kulturellen Erbe im 19. Jahrhundert. In: Joachimides, S. 20-32.
45
Seemann, S. 186-187.
46
Seemann, S. 107.
47
Seemann, S. 105.
48
Lichtwark (Volksbildungsstätten), zitiert nach: Joachimides (2001), S. 111.
49
Joachimides (2001), S. 111.
50
Borgmann, S. 103f.; Bode, Wilhelm v.: Unsere Museen und ihre Besucher. In: Die Woche 5, 1903, S.
1734-1736, zitiert nach Joachimides (2001), S. 112.
51
Tschudi, Hugo v.: Gesammelte Schriften zur neueren Kunst. Hg. Von Ernst Schwedeler-Meyer. München
1912, S. 56-75., zitiert nach Joachimides (2001), S. 112.
52
Seemann, S. 194f.

13
such der sozialdemokratischen Kulturpolitik und des Freien Bundes in Mannheim, die Ar-
beiterschaft in die Kulturpolitik zu integrieren. Diese Integration versuchte man mit Hilfe
von Vorträgen zur Kunst, Besuchen in Museen und Eintritten in Vereinen zu erreichen.
53
Howaldt beendet seine kurze Abhandlung mit der Schlussfolgerung: ,,Die Integration der
Arbeiterbildung von ,,innen" her in eine städtische Kulturpolitik war vor dem 1. Weltkrieg
noch nicht zu leisten."
54
Es gab verschiedene Meinungen unter den (Kunst-)Historikern, wer zum Museumsbesuch
und zum Kunstgenuss berechtigt war. Seeck vertrat die Meinung, dass der Kunstgenuss
zum Gemeingut gemacht werden sollte, wobei zunächst die Empfänglichkeit dafür ge-
weckt werden musste.
55
Die Museen sollten auch für die Ärmsten offen gehalten werden.
56
Oskar Bie stellte die Förderung einer allgemeinen Geschmackskultur zwecks Erweckung
eines "naiven, ästhetischen Empfindens"
57
, eines ,,sinnlichen Interesses" in allen Schichten
als positiv dar, aber mit der Einschränkung, dass "der Bodensatz unten hindert nicht die
ewige Bildung der Blume oben... Die lebendige Kunst ist nichts fürs Volk, das nur von gro-
ben Missverständnissen lebt. Die Kunst ist peinlich aristokratisch."
58
(Abbildung 5). Fied-
ler, Scheffler und Tschudi waren der Meinung, dass das eigentliche Kunstverständnis auf
eine kleine Elite ,,empfindsamer Kunstfreunde" beschränkt war.
59
Joachimides behauptet:
,,Fiedler hatte diese Elitebildung begründet, indem er auf den geringen Bezug des autono-
men Kunstwerkes zur praktischen Lebensbewältigung hinwies."
60
Die Sozialgeschichte liefert einen Hintergrund vor dem das Publikum in den Museen um
1900 beurteilt werden kann. Allerdings fehlt bis jetzt eine Analyse der Besucherentwick-
lung im 19. Jahrhundert.
61
Eine Ausnahme bilden die Besucherzahlen der Kunsthalle von
1910-1933 und der Mitgliederstand des Freien Bundes (Anhang 7). Weitere Analysequel-
len bieten Schriftstücke wie Lexika, Museumskataloge, Romane, Besucherberichte, Ver-
waltungsberichte der Museen, Berichterstattungen, Lebensbeschreibungen oder journalisti-
sche und wissenschaftliche Abhandlungen der Zeit. Als bildliche Quellen zur Auswertung
der Publikumsstruktur können Bilder, Stiche und Fotographien aus der Zeit um 1900 aus-
53
Howoldt, S. 66f.
54
Howaldt, S. 69.
55
Seeck, S. 94f.
56
Seeck, S. 95.
57
Bie, S. 2.
58
Kulhoff, Birgit: Bürgerliche Selbstbehauptung im Spiegel der Kunst. Untersuchungen zur Kulturpublizistik
der Rundschauzeitschriften im Kaiserreich (1871-1914), S. 170-171,
www.buergertum.com
(27.07.2008).
59
Joachimides (1995), S. 203. Zu Tschudi siehe auch Beneke, S. 57.
60
Fiedler 1971, 1, 51-52, 62 zitiert nach Joachimides (1995), S. 203.
61
Joachimides (2001), S. 111, Fußnote 363.

14
gewertet werden. Bei der Analyse des Bildmaterials kann mit Hilfe der Geschichte der
Kleidung die Zugehörigkeit der dargestellten Person zu einer Gesellschaftsschicht festge-
stellt werden. Jütte und Bulst beschreiben die Bedeutung der Kleidung: ,,Kleidung ist aber
in allen Kulturen auch ein wichtiges Kommunikationsmittel, das Zeichen für soziale Diffe-
renzierung enthält. An der Kleidung kann man die soziale Rangstufe, die moralische Qua-
lität oder auch den Stand ablesen."
62
Die Kleidung ist Teil der materiellen Kultur. Bei-
spielhaft sei hier die Abbildung 6 bezüglich der Kleidung hinsichtlich der Besucherschaft
in der Dresdner Galerie analysiert. In der Abbildung von 1881 sind Besucher unterschied-
licher gesellschaftlicher Zugehörigkeit dargestellt: Männer und Frauen, Erwachsene und
Kinder, Paare, Familien und Einzelpersonen; Gutgekleidete der Mittelklasse (auf dem Sofa
sitzend), ein Offizier, eine Frau in Bauerntracht, zwei Künstler, die entweder unterrichten
oder malen. Zur Einordnung der Kleidung zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht kön-
nen Abbildungen einer Arbeiterfamilie (Abbildung 7) und einer bürgerlichen Familie
(Abbildung 8) herangezogen werden. Eine weitere Abbildung 9 zeigt eine Darstellung des
Salons Carre in Louvre. Hier sind die Besucher wiederum Künstler, Soldaten, Bürger (am
Zylinderhut zu erkennen) und Schülerinnen. Die Abbildung zeigt jedoch keine Arbeiter
oder Bauern. Eine ausführliche Analyse des bildlichen Materials würde sicherlich mehr
Aufschluss über die Zusammensetzung des Publikums um 1900 bieten.
Im Folgenden werden einige Autoren vorgestellt, die versucht haben, mit Hilfe von schrift-
lichen Quellen unterschiedlicher Art das Museumspublikum unter dem Aspekt der Zuge-
hörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht darzustellen.
Walter Grasskamp hat einige Beispiele der Zugangsmöglichkeiten zu fürstlichen Samm-
lungen und Museen im 19. Jahrhundert aufgezeigt, welche von Empfehlungsbriefen, ho-
hem Eintrittsgeld, vom Stand, von der Kleidung und von der Besuchernachfrage abhängig
waren.
63
Als Quelle dienten Besucherbücher. Eine weitere Ausnahme ist der knappe Arti-
kel in den Kunstwissenschaftlichen Beiträgen von Geismeier, die die Besucher in der
Frühzeit der Museen untersucht hat.
64
Sie entnimmt den Besucherberichten der Museums-
direktoren aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur die Besucherzahlen, son-
dern auch einen soziologischen Hinweis. Nur einige der erwähnten Besucher sind einer
unteren Schicht zugehörig. Allerdings schien das Interesse nicht der Kunst zu gelten, son-
Wie bereits in der Einleitung angesprochen, werden in diesem Buch Ansätze beschrieben, sich der schwer
fassbaren Größe ,,Publikum" zu nähern.
62
Jütte und Bulst, S. 2.
63
Grasskamp, S. 36, Fußnote 33. S. 167.
64
Geismeier, S. 4-5.

15
dern dem Haus als Zufluchtsort. Geismeier weist darauf hin, dass die sozialen Unterschich-
ten scheinbar keine Rolle in Kunstmuseen spielen sollten. Sie vertritt die Meinung, dass
vor 1848 die Besucher aus den Unterschichten gewünscht waren, ab den 70ger Jahren die
Polemik gegen die Unterschichten jedoch zunahm. Sie verweist auf Berichte des Berliner
Museums, welches ein Fernhalten der Unterschichten vom Museum fordert, und auf einen
Bericht eines Arbeiters aus dem Jahre 1904, welcher nicht in das Alte Museum gelassen
worden war. Vogel analysierte Besucherbücher der Kasseler Gemäldegalerie aus den Jah-
ren 1817 bis 1866 nach Herkunftsland, sozialer Zugehörigkeit und Zugehörigkeit nach
Gruppen und Ständen.
65
Die Besucher des 19. Jahrhunderts waren im Vergleich zu den
Besuchern des 18. Jahrhunderts dadurch gekennzeichnet, dass weniger dem Adelstand an-
gehörten; die Juden mehr vertreten waren und es viele Lehrer und Schüler der Kunstaka-
demie, viele Wissenschaftler, davon einige aus der literarischen Welt, viele Kunsthändler
und keine Arbeiter gab. Im Jahr 1956 stellte Vogel bei der Analyse der Besucherbücher der
Museen und der fürstlichen Bibliothek in Kassel zur Goethezeit fest, dass ein Stand voll-
kommen gefehlt hat: der vierte Stand.
66
Er schreibt: ,,Erst das 19. Jhdt. ließ die breiten
Schichten des Volkes in die Museen ein."
67
Blank und Debelts
68
haben in ihrem Buch das
Museum in deutschsprachigen Lexika des 18. bis 20. Jahrhunderts ausgewertet und ein
Kapitel der ,,Rückblende: Museum­Publikum-Öffentlichkeit: Anspruch und Wirklichkeit"
gewidmet. Auch sie stellen fest: ,,Schon 1805 wird ein Spannungsverhältnis zwischen dem
proklamierten allgemeinen Nutzen eines Museums und dessen Inanspruchnahme als eines
Ortes der Schichten von Bildung und Besitz offensichtlich."
69
. Das Museum als Ort der
Bildung schuf die Möglichkeit einer Abgrenzung zu ungebildeten Schichten. Blank und
Debelts halten weiter fest, dass im Lexikon Brockhaus die von 1820 genannten Kunst-
freunde, Kenner, Schüler und Meister und Neugierige im Jahre 1846 durch Lernbegierige
ausgetauscht wurden. Das Lexikon zeigte das Museum als Ort einiger Weniger.
70
Das
Brockhaus von 1898 beschreibt das Museum als Ort kollektiver nationaler Sinnstiftung, an
dem alle partizipieren sollen. Die auf bestimmte Besuchergruppen beschränkte Zugäng-
lichkeit tritt zurück.
71
1913 wird im Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungs-
rechts das Ziel des Museums als allgemeine Volksbildungsstätte betont und im Meyerlexi-
65
Vogel, S. 7-10.
66
Vogel (Goethezeit), S. 149-163.
67
Vogel (Goethezeit), S. 152.
68
Blank und Debelts, S. 125-131.
69
Blank und Debelts, S. 125.
70
Blank und Debelts, S. 126.
71
Blank und Debelts, S. 127.

16
kon von 1909 wird auf den Tagungsbericht ,,Die Museen als Volksbildungsstätten" hinge-
wiesen.
72
,,Das Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts bringt die Muse-
umsgeschichte also auf den Punkt einer bürgerlichen Bildungserfolgsgeschichte."
73
Vergleicht man Museumsführer einiger Museen um 1900 stellt man fest, dass die Museen
schon einige Tage in der Woche und an bestimmten Vormittagstunden für das Publikum
geöffnet waren (Tabelle 1). Es wird allgemein vom Publikum gesprochen, explizit werden
bestimmte Schichten nur angesprochen, wenn es sich um Studierende handelt, die das Mu-
seum als Studienstätte besuchen möchten.
74
Obwohl keine genauen Daten zur Museumspublikumsstruktur vorliegen, scheint es so, als
hätte mit einer veränderten Publikumstruktur die Bedeutung des Museums als ,,Volksbil-
dungsstätte" zugenommen, wobei aber eine Abgrenzung zwischen Adel und Bürgertum
von einer Abgrenzung zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft abgelöst worden ist.
Laut Scherer waren die Aufgaben der Museen erweitert worden, da das Bestreben der
Menschen nach einer Teilnahme an den ideellen Gütern und den Errungenschaften von
Wissenschaft und Bildung mit dem verbesserten materiellen Dasein einherging.
75
Nach
Scherer dienten die Museen im 20. Jahrhundert ,,...nicht mehr nur zur Befriedigung der
Liebhaberei eines Einzelnen, zur Erhöhung seines Namens und Ruhmes, (...), auch nicht
zur rein wissenschaftlichen Belehrung eines bestimmten Kreises von Fachmännern, son-
dern zur künstlerischen Bildung und kulturellen Förderung des Lebens eines ganzen Vol-
kes (...)."
76
.
2.1.4.
Museumsdirektoren als Museumsreformer
Im Kapitel 2.1.1. wurden die Autonomie und die institutionelle Identität der Museen um
1900 erläutert. Die gegenwärtige Fachliteratur, welche sich um 1900 mit dem Museum als
72
Blank und Debelts, S. 128.
73
Blank und Debelts, S. 130.
74
Blank und Debelts , S. 126, Fußnote 302 sprechen auch das Problem der mangelnden empirischen Unter-
suchung der Öffnungszeiten der Museen um die Mitte des 19. Jahrhunderts an und weisen darauf hin, dass
die Museen wenige Tage in der Woche, nur in den Vormittagsstunden sowie in seltenen Fällen sonntags
offen hatten.
75
Scherer, S. 246, zitiert nach Joachimides (2001), S. 111.
76
Scherer, S. 257.

17
Institution beschäftigt, erwähnt immer wieder bedeutende Museumsdirektoren, die im Zu-
sammenhang mit der Museumsreform gestanden haben.
77
Mit der Vergrößerung und den wachsenden Anforderungen der Institution Museum wurde
es notwendig, die Leitung an Fachmänner zu übergeben. Das Museumsmanagement war zu
einem selbständigen Fach geworden.
78
Demnach musste ein Museumsdirektor neue
Kunstwerke bewerten, alte konservieren können, Sonderausstellungen organisieren, Bilder
vorteilhaft hängen können, den Etat verteidigen, eine Führung durch eine Sammlung leiten
können und einen Stifter zur Einbringung eines Kunstgutes überzeugen können. Ein Muse-
umsdirektor konnte Kunstkennern mit Informationen und Kontakten dienen, als Gegenleis-
tung bildeten diese eine wichtige Quelle für Geld und Erwerbungen.
79
Joachimides spricht
vom Typus des modernen Galerieleiters bis 1914.
80
Für ihn war der Typ des modernen
Galerieleiters ein Museumsexperte, ,,(...), der die Integration progressiver, anti-
akademischer Kunst in die Institution mit inszenatorischen Innovationen verband, (...)."
81
Die ,,Leitidee" des Museums, zu welcher die Sammlungspolitik, das Vermittlungsziel, die
Inszenierungsstrategie und die Einstellung zum Museumspublikum zählte, war von der
Persönlichkeit des Museumsdirektors abhängig, d.h. der Museumsdirektor präsentierte das
Museum sowohl nach außen und als auch nach innen. Der Museumsleiter konnte aufgrund
seiner speziellen Kenntnisse die museumstheoretischen Ziele so umsetzen, wie er es per-
sönlich als optimal empfand, sofern die Finanzierung gesichert war und eine Zustimmung
der Entscheidungsträger vorlag. So verfolgte z.B. Bode im Kaiser-Friedrich-Museum das
Ziel, die ästhetische Erfahrung des Besuchers durch die Vermittlung der Reichhaltigkeit
und Harmonie der Kunst zu vertiefen. Er wollte die Schätze der Vergangenheit bewahren
und präsentieren. Um seine Ziele durchzusetzen, erwarb er nicht nur die Sympathien bei
Hof, sondern auch in der Regierung und vor allem bei einer kleinen Gruppe von Geschäfts-
leuten. Tschudi als Direktor der Nationalgalerie war der Meinung, dass moderne Werke zu
sammeln wären. Um deren Wert zu begreifen, musste der Kenner die Kunstgeschichte
rückwärts lesen. Beim Erwerb der modernen Kunst konnte Tschudi mit Hilfe reicher Berli-
77
Zugleich ist auffallend, dass heute die Bedeutung der Person des Museumsdirektors scheinbar zurückgeht.
Ein möglicher Grund könnte mit der Vergrößerung der Institution / der Unternehmung Museum zusammen-
hängen, die eine zunehmende Hierarchie der Museumsstruktur verlangt, welche wiederum eine Konzentrati-
on auf bestimmte Museumsbereiche, z.B. Finanzierung, Ausstellung, Besucher notwendig macht. Ein anderer
Grund könnte die eingeschränkte Entscheidungsfreiheit des Museumsdirektors aufgrund der zunehmenden
Institutionalisierung des Museums sein. Der dritte Grund könnte an der momentanen ,,Sinnkrise" der Institu-
tion Museum liegen, welche jedoch mithilfe von neuen Vermittlungskonzepten und Persönlichkeiten zu
bewältigen wäre, die am Besucher ausgerichtete, innovative Konzepte verfolgen.
78
Sheehan, S. 246
79
Mai (Sammler) 1993, Braun zitiert nach Sheehan, S. 232.
80
Joachimides (2001), S. 145f.

18
ner die Erwerbskommission umgehen. Tschudi sah im neuen Typ des Galeriedirektors je-
manden, der mit der Gegenwart verknüpft ist. ,,Weniger als der stille Hüter einer abge-
schlossenen Sammlung kunst- und kulturhistorischer Dokumente, fühlt er sich als der Ver-
mittler ästhetischer Werte, für die unsere Zeit empfänglich geworden."
82
Alfred Lichtwark
war eine Zeit lang Direktor der Hamburger Kunsthalle. Für ihn war der Hauptzweck des
Museums die Erfüllung der pädagogischen Ziele.
Berufen und finanziert wurden die Museumsdirektoren durch die Kultusministerien, Land-
tage, Stadträte oder unterstanden einem Vorstand. In Berlin unterstanden die meisten Di-
rektoren der Museen der Landeskunstkommission, die unmittelbar dem Kultusministerium
unterstellt war. Die Landeskunstkommission bestand hauptsächlich aus preußischen Künst-
lern, oft Akademielehrern und hatte als Körperschaft des Kultusministeriums die Entschei-
dungsgewalt über die Verteilung der Mittel und Ankäufe.
83
Diejenigen Museen, die in den
Verband der Königlichen Museen eingeordnet waren, waren dem Generaldirektor direkt
unterstellt (z.B. Direktor der Nationalgalerie).
84
Nach Sheehan sind die Museumsdirektoren zwischen 1840 und 1860 über Umwege zu
Museumsleitern geworden. Jedoch gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Muse-
umsdirektoren ihre berufliche Karriere mit wissenschaftlicher Arbeit in Kunstgeschichte
und schlugen dann einen vorbestimmten Weg durch die Verwaltungsebenen des Museums
bis zum Museumsdirektor ein.
85
Zu diesen gehörte: Ludwig Justi (1904 Direktor des Stä-
del, ab 1909 Direktor der Nationalgalerie), Gustav Pauli (Derektor der Bremer Kunsthalle
1899-1914), Ernst Gosebruch (ab 1922 Direktor des Folkwang-Museums), Karl Koetschau
(Leiter der Museen in Berlin, Weimar und Düsseldorf), Hans Posse (ab 1910 Direktor der
Gemäldegalerie in Dresden), Max Sauerlandt (Museumsdirektor in Halle und Hamburg)
usw.. Schließlich hatte fast jeder, der 1900 die Leitung eines Museums innehatte, einen
Abschluss in Kunstgeschichte,
86
war somit Kenner und Spezialist, entweder ein Wissen-
schaftler oder ein Kunstkenner. Die meisten Museumsdirektoren bezogen ein niedriges
Gehalt, hatten aber zahlreiche Nebentätigkeiten wie z.B. Vorträge in Vereinen, Volkshoch-
schulen, Lehrstühle an Universitäten oder publizierten in Zeitschriften und Zeitungen zu
aktuellen Themen oder Abhandlungen zur Kunstgeschichte oder zur Museologie. Die Ent-
81
Joachimides (2001), S. 253.
82
Tschudi, Hugo v.: Gesammelte Schriften zur neueren Kunst. Hg. von Ernst Schwedeler-Meyer. München
1912, S. 228 (Hervorhebung im Original), zitiert nach Joachimides (2001), S. 147.
83
Beneke, S. 46.
84
Sheehan, S. 239; Rave, S. 52.
85
Sheehan, S. 246.
86
Sheehan, S. 246.

19
lohnung auf einem beruflichen Weg zum Museumsdirektor war gering; die meisten Muse-
umsdirektoren kamen aus reichen Familien.
87
Personaleinstellungen erfolgten ohne bestimmte Verfahrensweisen informell und persön-
lich und mit Hilfe von einflussreichen Freunden.
Die Museen hatten wenig Personal. 1914 hatten sämtliche Berliner Kunstmuseen etwa 60
Planstellen. Der Generaldirektor der Berliner Museen verfügte 1914 über acht Personalstel-
len, jede der Abteilungen hatte einen Direktor, einen oder zwei Kustoden und einen oder
zwei Assistenten.
88
Der Berufszweig der Museumsleute wurde 1904 durch die Gründung
der Zeitschrift Museumskunde von Karl Koetschau und durch die Gründung des Deutschen
Museumsbundes 1917 und die nachfolgenden Jahrestagungen unterstützt. In Kunstreform-
organisationen, z.B. im Vorstand des Werkbundes waren 1914 zehn Museumsdirektoren.
In den amtlichen Berichten aus den Königlichen Kunstsammlungen, die monatlich als Bei-
blätter zum Jahrbuch erschienen sind, wurden neueste Nachrichten über Neuerwerbungen,
Ausstellungen, neue Veröffentlichungen, Personaländerungen, Vorträge und einzelne Ab-
handlungen über Objekte veröffentlicht, welche nach Sammlungsgebieten geordnet wa-
ren.
89
Den Museen stand mit ihrer zunehmenden Bedeutung immer mehr Geld zur Verfügung. So
wuchsen die öffentlichen Zuschüsse für die Museen in Hamburg (1864: 7900 Goldmark,
1879 14750 Goldmark und 1905 221 839 Goldmark).
90
Der preußische Museumsetat be-
trug 1906 2,6 Millionen Mark zuzüglich 350 000 Mark für Sonderankäufe.
91
Der Ankauf von Kunstwerken durch die Museen war kompliziert. Bei historischen Objek-
ten gab es Einwände finanzieller Art seitens der Vorgesetzten im Ministerium oder in der
Stadtverwaltung; bei zeitgenössischer Kunst spielten politische, kulturelle und moralische
Gedenken eine Rolle. Ein Überleben der Museumsdirektoren, die der modernen Kunst zu-
getan waren, war aber aufgrund der Verbündeten in der Stadtverwaltung, in den Ministe-
rien oder durch private Mäzene möglich. Die Ankäufe wurden entweder vom Kulturminis-
ter vollzogen, der dazu das Gutachten eines Künstler-Ausschusses anhörte. Der Museums-
direktor konnte Vorschläge machen, hatte aber kein Stimmrecht. Oder die Ankäufe wurden
87
Sheehan, S. 248.
88
,,Direktorialbeamte...am 1. September 1911": In: Amtliche Berichte aus den königlichen Kunstsammlun-
gen 35, No. 12 (September 1914). Berlin, S. 353.f. , zitiert nach Sheehan, S. 249.
89
Amtliche Berichte aus den königlichen Kunstsammlungen. Jahrbücher der Königlich Preuzischen Kunst-
sammlungen, 1908-1916, Berlin.
90
Weber, S. 104.
91
Sheehan, S. 226.

20
direkt vom Direktor getätigt.
92
Näheres bestimmte die Satzung oder das Gesetz (zur Grün-
dung) des Museums. So bestimmte z.B. die Satzung des Märkischen Provinzial-Museums
von 1906
93
in den Artikeln 1, 12 und 16 über Ankäufe, dass diese dem Zweck der Vervoll-
ständigung der Sammlung dienen sollen, vom Verein dem Museum zur Verfügung gestellt
werden und nach Auflösung des Vereins in das Eigentum der neuen Institution übergehen.
2.1.5.
Museumsrauminnenarchitektur und das Publikum um 1900
Mit der zunehmenden Einkaufstätigkeit der Direktoren und der Vergrößerung der Bestände
wurde die Ausstellungsfläche für die Objekte knapp. Die Lösung dieses Raumproblems
bestand entweder im Bau von neuen Museen, im Anbau an die Räume der älteren Gebäude
oder in der Änderung der Ausstellungspraxis, d.h. in einer Auswahl der auszustellenden
Objekte. Ob die Kunst oder / und der Besucher bei die Planung der Museumsarchitektur
einbezogen wurden, wird auch in diesem Kapitel erörtert.
Eine Trennung der Bestände in Schau- und Studiensammlungen wurde zuerst im Berliner
Naturkundemuseum 1891 vom Karl Möbius eingeführt. Auch Dedekam verweist in seiner
Abhandlung über die Museumstechnik auf A. B. Meyer und L. Aggassiz, die schon 1860
die Grundsätze der Trennung entwickelt und eingeführt haben.
94
Einige Museumsdirekto-
ren waren zugleich der Meinung, dass die Schausammlung für die breite Öffentlichkeit
nach den ästhetischen Prinzipien angeordnet sein sollte und die Depotsammlung für die
Wissenschaftler chronologisch und der historischer Vollständigkeit entsprechen sollte.
Oft wurden die Räumlichkeiten der Museen umgebaut, nicht nur um eine bessere künstli-
che und natürliche Beleuchtung zu erreichen, sondern auch weil z.B. Bibliotheken, Lese-
räume, Vortragssäle, private Räume für Mäzenen und neue Räume für das wachsende Per-
sonal gebraucht wurden.
Ein anderer wichtiger Grund für Umbauten war die Veränderung der Präsentationsräume,
die wiederum mit der veränderten formalästhetischen Wahrnehmung von Kunst und der
gleichzeitigen Isolation und Präsentation der einzelnen Werke einherging.
Scherer mahnt die Überfüllung der Museen als ,,Friedhöfe der Kunst" und die Einbüßung
der Wirkung der Kunstwerke an.
95
Er verweist auf die Umgestaltung der Alten Pinakothek
92
Rave, S. 67.
93
Satzung, S. 1-8.
94
Dedekam, S.84.
95
Scherer, S. 245.

21
in München und den Umbau des Kaiser-Friedrich-Museums.
96
Hier im Kaiser-Friedrich-
Museum wollte Bode dem Vorwurf entgegenkommen, dass die Museen überfüllte Lager-
häuser für Kunstgegenstände seien und präsentierte die Objekte in so genannten ,,Stilräu-
men"
97
, für die große Umbaumaßnahmen notwendig waren: z.B. repräsentative Pracht der
fürstlichen Galerie, weihevolle Räume der ästhetischen Kirche der Romantiker. Das Kai-
ser-Friedrich-Museum zeichnete sich auch dadurch aus, dass dem Besucher mehrere Mög-
lichkeiten zur Verfügung gestellt wurden, das Museum zu erschließen, ohne einen be-
stimmten Rundgang einhalten zu müssen.
98
Bode selbst schreibt zur Eröffnung des Kaiser
Friedrich-Museums: ,,Im übrigen haben wir uns bestrebt, in die Abfolge der Räume größe-
re Mannigfaltigkeit zu bringen und wirkungsvolle Perspektiven zu schaffen,..."
99
. Und wei-
ter heißt es in der Abhandlung Bodes: ,,Wir haben deshalb gern auf die übersichtliche,
aber nüchterne gerade Marschlinie der alten Museumsbauten verzichtet, ohne andererseits
den polizeilichen Zwang in der Abfolge der Räume einzuführen, wie ihn ein anderes neues
Museum der malerischen Anordnung intimer Räume zuliebe den Besuchern aufnötigt."
100
Es gab auch unterschiedliche Raumtypen, die in Größe und Beleuchtung voneinander ab-
wichen. Scherer lobte die Durchblicke durch mehrere Säle und von einem Raum in den
anderen.
101
Lichtwark schloss den Besucher in die Planung des Museums ein, indem er betonte, dass
der Museumsbau zwei Grundbedingungen für das Wohlbehagen der Besucher genügen
musste: Bewegungsfreiheit und Ruhe.
102
Tschudis Museumspolitik verfolgte das Ziel, ,,das
Publikum auf das Bedeutendste hinzuweisen und zu vermeiden, dass es durch Allzuviel
ermüdet und verwirrt würde."
103
Wirkten sich die Auswahl der Objekte und deren Präsentation auf die räumlichen Vorga-
ben des Museumsbaus bzw. auf den Umbau aus? Kann man kann hier von einer Wirkung
von innen nach außen für die Architektur sprechen? Scherer verweist auf den Umbau des
Kaiser-Friedrich-Museums: ,,Anlehnung der Architektur und Dekoration des Raumes an
den Stil der darin befindlichen Kunstwerke,..."
104
Joachimides ist der Meinung, dass durch
die Museumsreformbewegung die einflussreiche Position des Architekten in Frage gestellt
96
Scherer, S. 248f.
97
Joachimides (2001), S. 65 und Joachimides (1995), S. 146.
98
Joachimides (2001), S. 81f.
99
Bode, S. 4f.
100
Bode, S. 4f.
101
Scherer, S. 253.
102
Lichtwark, S. 119.
103
Denkschrift Tschudis vom 14. Okt. 1899. In: ZA.NG,Gen. 2,Bd. I, o.J-Nr.: S. 4-5 zitiert nach Krings, S. 9.
104
Scherer, S. 249.

22
worden war, welche im monumentalen Museum noch gegolten hatte.
105
So wurden die
Organisation der Ausstellungsräume und die zurückhaltende Dekoration zur Grundlage des
Architekturentwurfes. Dedekam widmet in seiner Abhandlung über Museumstechnik ein
Kapitel den Museumsbauten und vertritt die Meinung: ,,Ein Museum soll wie jedes Ge-
bäude, das praktischen Zwecken dienen will ­ und das sind doch die meisten -, von innen
nach außen konstruiert werden und nicht mit der Fassade als Ausgangspunkt."
106
. Er ist
der Meinung, dass Schreiber eine wahre Umwälzung im Museumsbau vorschlägt, wenn
dieser behauptet: ,,Wir können kein Museum bauen, so wie es Herr Direktor Lichtwark
verlangt, für die vorhandenen Kunstwerke, weil das Museum niemals abgeschlossen ist,
weil es sich fortentwickelt und mit dem Zuwachs fortwährend neue Bedürfnisse hat. Also
muß ein Museum ein wandelbares Innere haben." ­ ,,...es muß ­ wie ein Eisenbahnhof der
Zukunft ­ den wechselnden Bedürfnissen sich anpassen können."
107
Auch für die Museumsinnenarchitektur scheint der Einfluss der Kunst größer gewesen zu
sein als der Einfluss des Besuchers.
2.1.6.
Rauminszenierungsstrategien um 1900 und ihre Wirkung auf den
Besucher
Die im Kapitel 2.1.5. angesprochenen Veränderungen der Museumsinnenräume gingen mit
einer Veränderung der Ausstellungspraxis einher. Den neuen Rauminszenierungsstrategien
der Museumsreform ging das Ideal des ,,monumentalen Museums" voran, welches nach
Joachimides von der Umgestaltung der Glyptothek in München 1830 bis zur Eröffnung des
Kunsthistorischen Museums in Wien 1891 reichte.
108
In dieser Zeit sollte das Gesamt-
kunstwerk Museum eine Einheit von Sammlung und Gebäude sichtbar machen (Abbildung
10). Leider verfügten nur wenige Besucher über eine ausreichende Bildung, um einen Be-
zug zwischen den ausgestellten Objekten und den unterschiedlichen Kommentarebenen
herzustellen, so dass dieses Publikum an Führer durch die Museen angewiesen war.
109
Die Museumsreformbewegung um 1900 zeichnet sich nach Joachimides
110
durch vier zent-
rale Kriterien aus:
1. funktionale Anlage des Museumsgebäudes, 2. strenge Auswahl der
105
Joachimides (2001), S. 107.
106
Dedekam, S. 90.
107
Lichtwark (Volksbildungsstätten), zitiert nach Dedekam, S. 90.
108
Joachimides (2001), S. 41f.
109
Joachimides (2001), S. 42.
110
Joachimides (2001), S. 104f.

23
Exponate nach formalen Qualitätskriterien, 3. weiträumige Aufstellung der einzelnen Ob-
jekte zur gegenseitigen Isolierung und 4. Differenzierung der Schauräume und deren Ab-
stimmung auf die Exponate. Scherer zitierte W. von Seidlitz, welcher in einer Schrift für
die Dresdner Museen drei Forderungen aufstellte, die den ästhetischen Wert des Kunst-
werkes gegenüber dem bloß wissenschaftlichen oder geschichtlichen betonen sollten: 1.
Sonderung der besonders beachtenswerten Gegenstände, 2. Ausscheiden des minderwerti-
gen Gutes aus der Schausammlung, 3. Ausstellung der Hauptstücke, dass diese voll zur
Geltung kommen.
111
Dedekam forderte im Rahmen der Museumspolitik und verwies
zugleich auf Ernst Große ,,...,daß eine Ordnung, wie sie in den sogenannten Ehrensälen,
z.B. der Tribuna der Uffizien oder im Salon carre des Louvre angewandt ist, wo die besten
Stücke ohne Rücksicht auf ihr historisches Verhältnis zusammengestellt sind, in ästheti-
scher Beziehung sehr vorteilhaft wirkt,..."
112
.
Die Inszenierungsstrategien folgten den oben genanten Kriterien, deren Ausprägungsstra-
tegie unterschied sich jedoch im Einzelnen und erfolgte oft als eine Anpassung bzw. Um-
wandlung an die museale Praxis, welche ihren Ursprung im privaten Bereich oder in der
Ausstellungspraxis anderer Institutionen hatte. So praktizierte Bode im Kaiser-Friedrich-
Museum eine Präsentation der Exponate in ,,Stilräumen", die es ermöglichten alle drei Gat-
tungen auszustellen und eine Palastsituation schaffen sollten.
113
Dieses Konzept der Stil-
räume ersetzte Bode nach 1890 durch moderne Assemblagen historischen Materials.
114
Diese Inszenierung orientierte sich unter dem Einfluss der großbürgerlichen Privatsamm-
lerkultur an neuen zeitgenössischen ästhetischen Ansprüchen. So setzte Bode an die Stelle
der gattungsgetrennten Ausstellung die Integration von Gemälden, Skulpturen, Architek-
turelementen, Möbeln und anderen Gegenständen des Kunstgewerbes in bildhafte Wandar-
rangements (Abbildung 11 und Abbildung 12).
115
,,Von der Einrichtung der Räume in die-
sen Ausstellungen sind wir aber nicht unwesentlich abgewichen, indem wir nur einzelne,
meist größere Möbel und hier und da einen großen dekorativen Gobelin verwendet haben,
um die Wände nach unten und oben abzuschließen, um bestimmten, ausgezeichneten Räu-
men den Charakter von Festräumen zu geben, um die Mitte zu betonen oder ein bestimmtes
111
Seidlitz, W.: Kunstmuseen. Vorschlag zur Begründung eines Fürstenmuseums in Dresden. Leipzig 1907,
zitiert nach Scherer, S. 248.
112
Große, Ernst: Aufgaben und Einrichtung einer städtischen Kunstsammlung. Tübingen und Leipzig. 1902
S. 18, zitiert nach Dedekam, S. 85.
113
Joachimides (2001), S. 65 und Joachimides (1995), S. 146.
114
Joachimides (1995), S. 147.
115
Joachimides (1995), S. 148.

24
Kunstwerk herauszuheben."
116
,,Wir haben es aber durchweg vermieden, den Eindruck
eines Wohnzimmers hervorzurufen und haben deshalb die Möbel so gewählt und sparsam
verteilt, dass die monumentale Wirkung der Säle gewahrt bleibt."
117
Die Exponate wurden
den Besuchern in unterschiedlichen Raumtypen präsentiert, die in Größe, im Grundriss und
in der Beleuchtung differenzierten. Die Hängung erfolgte in höchstens zwei Registern, die
Wandbespannung folgte mit gefärbten Stoffen und bedruckten Tapeten Ton und Farbe den
Kunstwerken. Bode achtete auf ausreichende natürliche Beleuchtung. ,,Für die Beleuch-
tung der Bilder ist das in Deutschland seit einem halben Jahrhundert allgemein gültige
Prinzip des Oberlichtes für große Gemälde und des hohen Seitenlichtes für kleine Bilder
durchgeführt." (Abbildung 13).
118
Nach Joachimides bildete die Privatsammlerkultur, vor
allem der standardisierte Eklektizismus der modernen Sammlervilla das Vorbild dieser
Inszenierungsstrategie um 1900, welche jedoch ein Übergangsphänomen blieb (Abbildung
14).
119
Die museale Praxis wurde hingegen von der sezessionistischen Wohnraumsimulati-
on bis in die 1920er Jahre dominiert, die sich wiederum seit den 1890er Jahren an französi-
schen Verkaufsausstellungen orientierte. Auch schon Dedekam war der Meinung, dass für
Ausstellungsgebäude, die auf wechselnde Ausstellungen ausgerichtet seien, der Typus der
Wiener Sezession als nachahmenswertes Vorbild dienen mochte.
120
Tschudi verwirklichte diese Ausstellungsstrategie in der Nationalgalerie, welche seit ihrer
Reorganisation 1896 durch weiträumige Aufstellung der Kunstwerke vor unterschiedlich
gefärbten Wandhintergründen gekennzeichnet war. Er modifizierte jedoch die sezessionis-
tische Ausstellungspraxis insoweit, dass keine Möbel und keine asymmetrische Hängung
der Exponate in den Ausstellungsräumen existierten. Vielmehr erfolgte die Hängung der
großen Exponate einreihig und der kleineren zweireihig, mit hellen Wandfarben, tapetenar-
tig gestreiften Stoffmustern und edlen Materialien.
121
Eine Aufnahme von Kunstgewerbe in
die Kunstpräsentation lehnte Tschudi ab.
122
Für die Jahrhundertausstellung in der Natio-
nalgalerie 1906 ließ er sich von Peter Behrens inspirieren und im Anschluss an diese Aus-
stellung präsentierte Tschudi unter dem Zwang finanzieller Engpässe eine Hängung vor
einem weißen Hintergrund (Abbildung 15). Diese stieß auf heftige Kritik. So verurteilte
116
Bode, S. 12.
117
Bode, S.12f.
118
Bode, S. 5.
119
Joachimides (2001), S. 253f. und S.85f.
120
Dedekam, S. 91. Er verweist bezüglich Grundriss und Beschreibung auf F.A. Bather, Presidential Address
to the Museums Association delivered at Aberdeen, July, 1903. The Museums Journal, vol. III, p. 87.
121
Joachimides (2001), S. 140f.
122
Joachimides (2001), S. 153.

25
z.B. Alfred Lichtwark diese Inszenierungspraxis aufgrund des wahrnehmungsästhetischen
Nachteils der weißen Wandfarbe.
123
Bei dem Versuch, die Wirkung der Ausstellungskonzepte auf den Besucher zu hinterfra-
gen, sei zwischen der beabsichtigten Wirkung des Ausstellungs- bzw. Inszenierungsma-
chers und der tatsächlichen Wirkung auf den Besucher unterschieden. Diese Wirkung auf
den Besucher kann aus Besucherberichten sowohl von Laien und als auch von Museums-
fachleuten oder aus ihren Abhandlungen zur Ausstellungspraxis entnommen werden. Die
beabsichtigte Wirkung der Inszenierungsmacher, welche um 1900 vor allem die Museums-
direktoren waren, sind in vorherigen Kapiteln erläutert worden. An dieser Stelle sei noch
einmal kurz auf dieses Problem mit dem Hinweis eingegangen, dass auch diese beabsich-
tigte Wirkung eine Interpretation aus heutiger Sicht ist.
124
So wollte Bode im Kaiser-Friedrich-Museum durch abwechslungsreiche Abfolge der
Räume die verschiedenen Erschließungsmöglichkeiten des Museums ermöglichen und
durch die Inszenierungsstrategie mit ihrer harmonischen Anpassung des Ausstellungsrau-
mes mit Farbe, Beschaffenheit und Möblierung eine Atmosphäre für den Besucher schaf-
fen, die die wahrnehmungsästhetische Wirkung auf den Besucher erhöhen und eine erleb-
nisreiche Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk erlauben sollte.
125
Durch die Unter-
scheidbarkeit der Ausstellungsräume sollten die Besucher nicht gelangweilt und abge-
schreckt, sondern zum Verweilen animiert werden.
Tschudi wollte durch die Anwendung seiner Ausstellungspraxis, die den Sezessionisten
folgte, eine anspruchsvolle intime Raumwirkung erzielen.
126
Man kann vermutend davon ausgehen, dass eine Reduktion der Objekte eine Beschäfti-
gung des Besuchers mit dem einzelnen Objekt ermöglichte und sicherlich das ästhetische
Kunsterlebnis förderte. Man war der Überzeugung, dass die farbliche Ausgestaltung der
Räume zur Betonung des Kunstwerkes beitrug. Eine Raumkonstruktion mit Wohnraumat-
mosphäre oder eine edle Ausgestaltung der Räume schaffte eine Umgebung, die zum Ver-
weilen animierte und ebenfalls die Lust an der Kunst steigern sollte.
Interessant erscheint mir die Ablehnung der weißen Wand durch den Besucher und Muse-
umsfachleute vor dem Hintergrund, dass diese heute Usus ist. Allerdings scheint in den
letzten Jahren eine Rückkehr der Farbe in die Museumsinszenierungen zu erfolgen. So
123
Joachimides (2001), S. 158f.
124
Die folgenden Ausführungen folgen der Zusammenfassung von Krings, S. 9- 23.
125
Joachimides (2001), S. 93f.
126
Joachimides (2001), S. 151.

26
zeichnet sich beispielsweise die Gemäldegalerie des Kulturforums in Berlin durch unter-
schiedlich farbige Wände der einzelnen Räume aus.
2.1.7.
Die Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900
Will man eine Beurteilung über die Rolle des Besuchers für das museale Handeln um 1900
treffen, so ergeben sich aus den vorangehenden Kapiteln folgende Schlüsse:
Mit einer zunehmenden Institutionalisierung und der wachsenden Autonomie des Muse-
ums ist zugleich die Rolle des Besuchers als Teil dieser Institution sicher gestiegen. Die
Sammlungsbestände, die die Basis des musealen Handels bildeten, stießen auf räumliche
Grenzen und deren Finanzierung ebenfalls. Einher mit dieser Entwicklung veränderten sich
der Kunstbegriff und das Vermittlungsziel, von der historischen Bildung zur ästhetischen
Erfahrung. Die Ausstellungspraxis wandelte sich. In diesem Zusammenhang scheint es, als
bildete die gesammelte Kunst immer noch den Ausgangspunkt des musealen Handelns, der
Besucher als Größe gewann aber für die Institution Museum an Bedeutung. Der Besucher
war ein Teil der Inszenierungsstrategie, eine Wirkung war beabsichtigt. Ob diese Wirkung
auch erreicht wurde, lässt sich, wie bereits erwähnt, nur anhand von Besucherberichten von
Laien sowie Besucherberichten und Abhandlungen von Museumsfachleuten nachweisen.
Das Platzproblem der Museen stellte wiederum neue Herausforderungen an die Museums-
architektur und Museumsinnenarchitektur. Bei der Lösung dieser Fragen scheint der Besu-
cher auch mit eingeschlossen zu sein: Besucherroute, Sitzmöglichkeiten, Wohnraumatmo-
sphäre. Der Besucher bildete auch hier nicht den Ausgangspunkt des musealen Handelns,
aber er wird erwähnt und beachtet. Die Museumsdirektoren waren die Initiatoren hinsicht-
lich der Erscheinung des Museums nach innen und außen, bestimmten die Sammlungspoli-
tik und entschieden oft über die Inszenierungsstrategie. Sie vertraten ein Vermittlungsziel,
hinter welchem eine Einstellung zur Kunst und die Ansicht standen, welche Teile der Be-
völkerung zum Kunstgenuss berechtigt waren. Für Lichtwark waren Museen Volksbil-
dungsstätten
127
. Nach Tschudi war das eigentliche Kunstverständnis auf eine kleine Elite
,,empfindsamer Kunstfreunde"
128
beschränkt. Man kann davon ausgehen, dass mit die Ein-
stellung zum Publikum eine bestimmte Museumspolitik einher ging. Wie bereits im Kapi-
tel 2.1.3 erwähnt wurde, war das Museumspublikum zwar universal geworden, jedoch un-
127
Lichtwark (Volksbildungsstätten), zitiert nach: Joachimides (2001), S. 111.
128
Joachimides (1995), S. 203. Zu Tschudi siehe auch Beneke, S. 57.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836630894
DOI
10.3239/9783836630894
Dateigröße
21.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Berlin – Kunstwissenschaft
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
besucher museum kunst berlin kunstwissenschaft
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Titel: 'Vom Tempel der Kunst zum Tempel der Besucher?'
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