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Wann lohnt sich Aus- und Weiterbildung für Unternehmen in Lateinamerika?

Das Beispiel einer Mikrofinanzbank in El Salvador

©2007 Diplomarbeit 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Problemstellung:
Bildung wird als eine der Hauptquellen für die unterschiedliche Entwicklung reicher und armer Volkswirtschaften angesehen. Daher haben beispielsweise die Vereinten Nationen es zu einem Ziel für die Menschheit erklärt, bis 2015 jedem Kind auf der Welt Grundschulbildung zugänglich zu machen. Weniger in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass auch der beruflichen Bildung von Wissenschaft und Politik eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Volkswirtschaften zugesprochen wird. So wurde 1999 von der UNESCO in Bonn das Weltberufsbildungszentrum ‘UNESCO-UNEVOC International Centre for Technical and Vocational Education and Training’ gegründet.
Ein großer Teil beruflicher Bildung findet am Arbeitsplatz (engl. on-the-job-training) in Unternehmen statt. Die Frage, wie ein Umfeld geschaffen werden kann, in dem sich betriebliche Aus- und Weiterbildungsanstrengungen sowohl für Unternehmen als auch für ihre Mitarbeiter lohnen, ist daher von außerordentlicher praktischer ökonomischer Relevanz.
Referenz für Wissenschaftler, die sich mit der Frage, wann sich Berufsbildung (oder genauer: berufsspezifische Investitionen in Humankapital,) für Unternehmen lohnt, ist die Humankapitaltheorie von Gary S. Becker. Einen neueren Ansatz, der sich mit dieser Frage auseinandersetzt, stellt das Acemoglu-Pischke-Modell (im Folgenden: APM) dar. Zahlreiche Studien scheinen zu zeigen, dass die in diesem Modell genannten Faktoren sehr gut betriebliche Ausbildungsentscheidungen erklären können.
Die meisten dieser Studien stammen allerdings aus den so genannten Industrieländern. Die Frage, inwiefern in Entwicklungsländern andere Bedingungen vorliegen, welche Unternehmen Investitionen in berufliche Bildung erschweren, ist noch kaum betrachtet worden. Insbesondere die Frage, ob die im APM genannten Faktoren auch das Ausbildungsverhalten von Unternehmen in der Dritten Welt erklären können, ist bislang unbeantwortet.
Diese Diplomarbeit soll einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke darstellen. Die Antworten auf die Frage, warum Unternehmen ausbilden, ist dabei weniger für Unternehmen interessant, die ausbilden. Sie sind sich in der Regel der Kosten und des Nutzens ihrer Aktivitäten zumindest intuitiv bewusst. Wichtig ist eine fundierte Analyse für folgende Ansprechpartner:
Unternehmen, die sich wie das untersuchte Unternehmen die Frage stellen, ob sie ihre Ausbildungsaktivitäten vertiefen sollen.
Öffentliche Institutionen, die die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Warum diese Diplomarbeit?
1.2 Quellen
1.3 Vorgehensweise

2. Vorstellung der Untersuchungsobjekte
2.1 Grundlegendes zu Lateinamerika
2.1.1 Rückschlüsse aus der Beschreibung Lateinamerikas für diese Arbeit
2.2 Grundlegendes zu El Salvador
2.2.1 Allgemeine Angaben
2.2.2 Wirtschaft
2.2.3 Soziales
2.2.4 Bildung
2.2.5 Berufliche Bildung
2.3 Grundlegendes zum Mikrofinanzsektor
2.3.1 Grundlegendes zur ProCredit Holding AG und zur Banco ProCredit El Salvador
2.3.2 Mitarbeiterprofil
2.3.3 Aus- und Weiterbildungsaktivitäten

3 Ökonomische Theorien zur Erklärung betrieblichen Ausbildungsverhaltens
3.1 Beckers Humankapitalmodell
3.2. Erweiterungen von Beckers Humankapitalmodell
3.3 Das Acemoglu-Pischke-Modell
3.3.1 Adverse Selektion
3.3.2 Transaktionskosten und Risikoaversion von Mitarbeitern bei Arbeitsplatzwechsel
3.3.3 Kündigungsschutz
3.3.4 Wage Compression
3.3.5 Komplementarität von spezifischem und allgemeinem Humankapital
3.4 Weitere Einflussfaktoren auf betriebliche Ausbildungskalküle
3.4.1 Transaktionskosten bei Free-Riding
3.4.2 Kapitalmarktbedingte Imperfektionen
3.4.3 Arbeitsmarktbedingte Imperfektionen
3.4.4 Zertifizierungsdefizite
3.4.5 Bildung als Vergütungsform
3.4.6 Institutionelle Abwerbeverbote
3.5 Gruppierung der Theorieansätze
3.5.1 Faktoren, die betriebliche Investitionen in Humankapital erschweren
3.5.2 Faktoren, die betriebliche Investitionen in Humankapital erleichtern

4 Inwiefern beeinflussen die in der ökonomischen Theorie genannten Faktoren die Ausbildungspolitik der Banco ProCredit El Salvador?
4.1 Differenzierung zwischen allgemeiner und spezifischer Ausbildung
4.2 Kapitalmarktbedingte Imperfektionen
4.3 Arbeitsmarktbedingte Imperfektionen
4.4 Adverse Selektion
4.5 Transaktionskosten bei Free-Riding
4.6 Transaktionskosten und Risikoaversion von Mitarbeitern bei Arbeitsplatzwechsel
4.7 Komplementarität von spezifischem und allgemeinem Humankapital
4.8 Bildung als Vergütungsform
4.9 Kündigungsschutz
4.10 Wage Compression / Union compression
4.11 Zertifizierungen
4.12 Institutionelle Abwerbeverbote
4.13 Betrachtung des Bonus für die Teilnehmer der ProCredit-Akademie
4.14 Zwischenfazit

5 Auswertung der Analyse des Ausbildungskalküls der BPES mit Blick auf Lateinamerika
5.1 Faktoren, die den Unterschied zwischen Kulturräumen erklären können
5.1.1 Faktoren mit negativer Wirkung auf Ausbildungsaktivitäten
5.1.2 Faktoren mit positiver Wirkung
5.1.3 Faktoren mit wenig nachweisbarer Wirkung
5.2 Faktoren, die die Varianz des Ausbildungsverhaltens innerhalb von Volkswirtschaften erklären können
5.2.1 Informationsassymetrien
5.2.2 Kapitalmarktbedingte Imperfektionen
5.2.3 Komplementarität zwischen allgemeiner und spezifischer Bildung
5.2.4 Belege für die Gültigkeit der Komplementaritätshypothese
5.3 Gibt es Gründe für weniger Bedarf an spezifischem Humankapital in Lateinamerika?

6 Schluss
6.1 Faktoren, die betriebliche Ausbildungsaktivitäten erhöhen
6.2 Faktoren mit geringem Einfluss auf betriebliche Ausbildungskalküle
6.3 Schlussfolgerungen für öffentliche Institutionen
6.4 Schlussfolgerungen für Unternehmen

Quellen

Literatur

Internetquellen

Interviews

Anhang

Transkription der Interviews

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Vertrauen der Bevölkerung in Justiz und Polizei nach Kontinenten/Ländern

Abb.2 Zentralamerika

Abb.3: Verschulungsgrade in El Salvador

Abb.4: Organigramm einer Filiale der BPES

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1 Warum diese Diplomarbeit?

Bildung wird als eine der Hauptquellen für die unterschiedliche Entwicklung reicher und armer Volkswirtschaften angesehen (vgl. u.a. Landes 1999, S. 232f). Daher haben beispielsweise die Vereinten Nationen es zu einem Ziel für die Menschheit erklärt, bis 2015 jedem Kind auf der Welt Grundschulbildung zugänglich zu machen (vgl. United Nations 2006). Weniger in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass auch der beruflichen Bildung von Wissenschaft und Politik eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Volkswirtschaften zugesprochen wird. So wurde 1999 von der UNESCO in Bonn das Weltberufsbildungszentrum „UNESCO-UNEVOC International Centre for Technical and Vocational Education and Training“ gegründet (vgl. UNESCO-UNEVOC International Centre 2003, S. 7).

Ein großer Teil beruflicher Bildung findet am Arbeitsplatz (engl. on-the-job-training) in Unternehmen statt (vgl. u.a. Acemoglu 1997, S. 446). Die Frage, wie ein Umfeld geschaffen werden kann, in dem sich betriebliche Aus- und Weiterbildungsanstrengungen[1] sowohl für Unternehmen als auch für ihre Mitarbeiter lohnen, ist daher von außerordentlicher praktischer ökonomischer Relevanz.

Referenz für Wissenschaftler, die sich mit der Frage, wann sich Berufsbildung (oder genauer: berufsspezifische Investitionen in Humankapital[2],[3] ) für Unternehmen lohnt, ist die Humankapitaltheorie von Gary S. Becker (vgl. u.a. Becker 1964). Einen neueren Ansatz, der sich mit dieser Frage auseinandersetzt, stellt das Acemoglu-Pischke-Modell (im Folgenden: APM) dar (vgl. Acemoglu/Pischke 1998, 1999a und b). Zahlreiche Studien scheinen zu zeigen, dass die in diesem Modell genannten Faktoren sehr gut betriebliche Ausbildungsentscheidungen erklären können (s. S. 29ff).

Die meisten dieser Studien stammen allerdings aus den so genannten Industrieländern.[4] Die Frage, inwiefern in Entwicklungsländern andere Bedingungen vorliegen, welche Unternehmen Investitionen in berufliche Bildung erschweren, ist noch kaum betrachtet worden. Insbesondere die Frage, ob die im APM genannten Faktoren auch das Ausbildungsverhalten von Unternehmen in der Dritten Welt erklären können, ist bislang unbeantwortet.

Diese Diplomarbeit soll einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke darstellen. Die Antworten auf die Frage, warum Unternehmen ausbilden, ist dabei weniger für Unternehmen interessant, die ausbilden. Sie sind sich in der Regel der Kosten und des Nutzens ihrer Aktivitäten zumindest intuitiv bewusst. Wichtig ist eine fundierte Analyse für folgende Ansprechpartner:

- Unternehmen, die sich wie das untersuchte Unternehmen die Frage stellen, ob sie ihre Ausbildungsaktivitäten vertiefen sollen.
- Öffentliche Institutionen, die die Rahmenbedingungen für berufliche Bildung verbessern wollen, z.B. Kammern, Ministerien oder Entwicklungshilfeträger.

Die Untersuchung der Fragestellung „Wann lohnt sich Ausbildung für Unternehmen in Lateinamerika?” soll dabei exemplarisch an einer Mikrofinanzbank in El Salvador untersucht werden, für die der Verfasser zwischen August und Dezember 2006 tätig gewesen ist. Es handelt sich hierbei um die Banco ProCredit El Salvador, die im weiteren Text mit BPES abgekürzt werden soll. Er war dort mit Unterstützung der Stiftung der Deutschen Wirtschaft (SDW) daran beteiligt, die Grundausbildung für Mitarbeiter auszuweiten sowie eine Struktur zur Systematisierung der Weiterbildung zu schaffen.

Der Mikrofinanzsektor bietet sich deswegen als Forschungsgegenstand an, da

- dort ein breiter Fächer teils allgemeiner und teils sehr spezifischer Fähigkeiten (engl. skills) gefordert wird, so dass unterschiedliche Formen von Ausbildung betrachtet werden können,
- es sich um eine sehr schnell wachsende Branche handelt,
- dem Mikrofinanzwesen aus entwicklungspolitischer Sicht eine Schlüsselstellung zugesprochen wird (vgl. Helms 2006, S. 1), weshalb ihm erhebliche Summen aus der öffentlichen Hand zukommen.

Mit anderen Worten:

- Es gibt im Mikrofinanzsektor Bedarf an ausgebildeten Mitarbeitern.
- Dieser könnte in den nächsten Jahren stark wachsen.
- Es sollte im Interesse privater und öffentlicher Investoren sein, dass dieser Bedarf auf eine ökonomisch effiziente Weise befriedigt wird.
- Und vor allem, die Diversität der Qualifikationsanforderungen in der Branche lässt Schlussfolgerungen auf andere Wirtschaftszweige zu.

Die Untersuchung eines Unternehmens in El Salvador ermöglicht dabei bis zu einem gewissen Grad Ruckschlüsse auf ganz Lateinamerika (mit Ausnahme evtl. von Kuba), da sich aufgrund diverser Parallelen in der historischen Entwicklung ähnliche gesellschaftliche und ökonomische Strukturen herausgebildet haben. Inwiefern sich aber Ergebnisse aus El Salvador auf nichtlateinamerikanische Staaten übertragen lassen, sollte Gegenstand weiterer Forschung bleiben. Aus diesem Grunde lautet der Titel dieser Arbeit auch nicht „Wann lohnt sich Aus- und Weiterbildung für Unternehmen in Entwicklungsländern?” sondern „Wann lohnt sich Aus- und Weiterbildung für Unternehmen in Lateinamerika?”

Unter betrieblicher Aus- und Weiterbildung beziehungsweise betrieblichem Training versteht der Autor dabei alle Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen, um das Humankapital ihrer Mitarbeiter zu erhöhen.

1.2 Quellen

Die Informationen, die in dieser Diplomarbeit zusammengeführt werden, stammen aus einem intensiven Studium wissenschaftlicher Quellen, Dokumenten (vor allem des untersuchten Unternehmens), aus Feldbeobachtungen sowie aus Interviews mit Leitfragen, die je nach Interviewpartner variierten. Dieses Verfahren ist aus dem strategischen Marketing übernommen (vgl. Rughase 2001, S. 4662). Der ursprüngliche Plan, Daten mit Hilfe eines einheitlichen Fragebogens zu generieren, wurde verworfen, da die Gruppe der Ansprechpartner zu heterogen war.

1.3 Vorgehensweise

Zunächst sollen dem Leser einige für diese Arbeit relevante Informationen über Lateinamerika im Allgemeinen und El Salvador im Speziellen dargelegt werden. Anschließend soll eine Einführung in den Mikrofinanzsektor sowie die Situation der untersuchten Bank erfolgen. Dabei soll ein Schwerpunkt auf den Ausbildungsbedarf und die aktuellen Aus- und Weiterbildungsaktivitäten des untersuchten Instituts gelegt werden (Kapitel 2).

In Kapitel 3 sollen dann die beiden wichtigsten ökonomischen Modelle zur Erklärung von betrieblichem Ausbildungsverhalten vorgestellt werden: Beckers Humankapitaltheorie und das APM. Zudem sollen einige zusätzliche Einflussfaktoren aus anderen Quellen (vgl. u.a. Beicht/Walden/Herget 2004, S. 200ff und Stevens 1999a, S. 14) genannt werden.

Im nächsten Schritt soll dargelegt werden, inwiefern aus Sicht des Verfassers die bei Becker, im APM und in anderen Quellen genannten Faktoren das Ausbildungsverhalten der Banco ProCredit El Salvador erklären können und beeinflussen (Kapitel 4).

Ausgehend von den am Beispiel gewonnenen Ergebnissen wird dann der Versuch unternommen, auf allgemeiner Ebene zu definieren, welche Determinanten die Rentabilität von betrieblicher Bildung in Lateinamerika beeinflussen (Kapitel 5). Daraus werden dann Schlussfolgerungen für Staat und Unternehmen abgeleitet.

Der Autor hat sich dabei das Ziel gesetzt, sowohl wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden als auch ein für interessierte Laien verständliches Werk zu verfassen.

2. Vorstellung der Untersuchungsobjekte

2.1 Grundlegendes zu Lateinamerika

Unter Lateinamerika versteht der Autor die spanisch-, portugiesisch- und französischsprachigen Staaten des amerikanischen Kontinents (außer Kanada). Sie hatten im Jahr 2002 zusammen etwa 525 Millionen Einwohner[5] und umfassen eine Fläche von 20,45 Millionen Quadratkilometern (vgl. World Bank 2004, S. 16).

Sämtliche Länder Lateinamerikas werden den Entwicklungs- oder Schwellenländern zugerechnet, das durchschnittliche BIP pro Einwohner betrug 2003 kaufkraftbereinigt 7404 US$[6]. Den geringsten Wert erreicht dabei Haiti (1.742 US$), den höchsten Argentinien (12.106 US$) (vgl. UNDP 2006, S. 222).

Politisch waren die Länder Lateinamerikas im 20. Jahrhundert von einem häufigen Wechsel demokratischer und autokratischer Regierungen oder teilweise jahrzehntelangen Diktaturen gekennzeichnet. Daher ist positiv zu vermerken, dass seit der (Re-)Demokratisierungswelle in den 1980er Jahren heute alle Staaten Lateinamerikas bis auf Kuba demokratisch gewählte Regierungen haben und politische Differenzen überwiegend mit zivilen Mitteln ausgetragen werden.

Seit den 1990er Jahren haben die meisten Länder ihre Wirtschaft stark liberalisiert und eine stärkere Orientierung ihrer Volkswirtschaften am Weltmarkt ermöglicht. Die vormals in vielen Ländern hohe Inflation konnte erfolgreich gesenkt werden. Für die Zeit zwischen 1990 und 2002 wurde durchschnittlich ein BIP-Wachstum von 2,9 % erreicht (vgl. World Bank 2004, S. 184). Die sozialen Gegensätze wurden dadurch jedoch nicht entschärft.

Die Region hat seit der Kolonialzeit eine quasifeudale Gesellschaftsstruktur mit einer kleinen Ober- und Mittelschicht und einer großen Unterschicht. Daran haben auch die teilweise äußerst blutigen Konflikte zwischen marxistischen Bewegungen und Befürwortern des Status quo, die während des Kalten Krieges in Lateinamerika ausgetragen wurden, wenig geändert (Ausnahme: Kuba). Die Entstehung eines staatstragenden Bildungsbürgertums wie in Europa und den USA fand nur in geringem Maße statt (vgl. Nohlen 1994, S. 16ff). Der Gini-Koeffizient, der in der Wissenschaft als Maß für soziale Ungleichheit verwendet wird, schwankte um die Jahrtausendwende in der Region zwischen 59,9 in Guatemala und 43,1 in Nicaragua (zum Vergleich Deutschland: 28,3, USA: 40,8) (vgl. UNDP 2006, S. 270ff). Auch heute (2006) lebt ein großer Teil der Bevölkerung Lateinamerikas in Armut, auch wenn der Anteil derjenigen, die mit weniger als 1 US$ pro Tag auskommen müssen, von 11,3 % (1990) auf 9,5 % (2001) relativ zurückgegangen ist (vgl. World Bank 2004, S. 2).

Natürlich lässt sich die skizzierte Unterentwicklung nicht monokausal erklären. Der Verfasser möchte jedoch trotzdem auf einige Gemeinsamkeiten lateinamerikanischer Staaten hinweisen, die diese signifikant von anderen Regionen auf der Welt unterscheiden und seines Erachtens einen Teil des Gefälles zur entwickelten Welt erklären können:

Die Analphabetenrate ist zwar bedeutend gesunken, trotzdem ist das Bildungsniveau im Vergleich zu Europa, Nordamerika und Asien relativ gering. Studien belegen einen bedeutenden Zusammenhang zwischen Bildung und Einkommensverteilung (vgl. u.a. De Gregorio/Lee 1999, S. 19). Dass sich das Bildungsniveau und damit die soziale Situation in Lateinamerika kurzfristig an die der entwickelten Welt anpassen wird, ist zweifelhaft. Selbst die drei relativ wohlhabenden lateinamerikanischen Staaten, die an der PISA-Studie 2003 teilgenommen haben (Brasilien, Mexiko und Uruguay), haben wesentlich schlechter abgeschnitten als die Industrieländer (vgl. OECD 2004, S. 8, 32 und 34).

Zur geringen Bildung kommen im Geschäftsleben einige kulturelle Phänomene, im Vergleich zu Deutschland die effiziente Organisation von Prozessen und damit wirtschaftlichen Fortschritt erschweren. Mitarbeiter erwarten, dass Entscheidungen zentral getroffen werden und nicht kritisch hinterfragt werden dürfen (Vgl. Kutschker/Schmid 2002, S. 715). Dies führt dazu, dass Entscheidungen oft verschleppt oder von Vorgesetzten gefällt werden (müssen), die über weniger Informationen verfügen als ihre Untergebenen.

Ein weiteres gravierendes Problem der Region ist die Rechtsunsicherheit. Lateinamerika ist zusammen mit Schwarzafrika die Weltregion mit der höchsten Kriminalität (vgl. Van Dijk 2006, S. 4). Die Mordrate betrug 2000 in Lateinamerika und der Karibik 27,6 auf 100.000 Einwohner (vgl. WHO 2002, S. 299), zum Vergleich Deutschland 2002: 1,1 (vgl. UNODC 2005, S. 28). Doch nicht nur gewöhnliche Kriminelle werden von den Lateinamerikanern als Bedrohung wahrgenommen, sondern auch die öffentlichen Institutionen selber. Gerade die Teile der Verwaltung, die für die Durchsetzung von Recht und Gesetz zuständig sind, werden als extrem korrupt empfunden (vgl. Transparency International 2005, S. 18).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Vertrauen der Bevölkerung in Justiz und Polizei nach Kontinenten/Ländern (eigene Tabelle nach Transparency International 2005, S. 18)

Die schwache Umsetzung von Gesetzen kann erklären, warum in Lateinamerika wie in anderen Entwicklungsregionen ein bedeutender Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten im informellen Sektor, das heißt, unter Umgehung der Zahlung öffentlicher Abgaben, stattfindet. Dies ist insofern entwicklungshemmend, als der öffentlichen Hand so die Mittel für Investitionen fehlen. Der regulär wirtschaftende Sektor der Wirtschaft ist derweil doppelt belastet, zum einen durch die Steuern, zum anderen durch die unlautere Konkurrenz des informellen Sektors (vgl. Farrell 2004).

Das Bevölkerungswachstum ist zwar immer noch hoch, jedoch im Vergleich zu früheren Jahrzehnten bedeutend zurückgegangen. Der Geburtenüberschuss betrug 2002 nur noch 1,5 % (vgl. World Bank 2004, S. 40). Für den Gesamtzeitraum zwischen 1975 und 2003 hatte das Bevölkerungswachstum noch 1,9 % pro Jahr betragen (vgl. UNDP 2004, S. 235).

2.1.1 Rückschlüsse aus der Beschreibung Lateinamerikas für diese Arbeit

Verständlicherweise gibt es trotz der skizzierten Gemeinsamkeiten im Detail eine Fülle von historischen und aktuellen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern. Trotzdem teilt der Autor, auch aufgrund seiner privaten und beruflichen Erfahrung in verschiedenen Ländern, die Ansicht einiger Wissenschaftler, dass die lateinamerikanischen Staaten in ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur so viele Ähnlichkeiten aufweisen, dass man sie als Gruppe eines bestimmten Typus bezeichnen kann (vgl. u.a. Huntington 1997, S. 59f).

El Salvador hat, wie im Folgenden beschrieben wird, die typischen Probleme Lateinamerikas. Dies lässt es für den Autor wahrscheinlich erscheinen, dass seine dort gewonnenen und in dieser Arbeit niedergeschriebenen Analysen zu einem hohen Grad auch die Aus- und Weiterbildungssituation in anderen Ländern Lateinamerikas erklären können.

2.2 Grundlegendes zu El Salvador

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Zentralamerika (Microsoft 1995-1996)

2.2.1 Allgemeine Angaben

El Salvador hat nach amtlichen Angaben 6.756.786 Einwohner und eine Fläche von 21.041 km² (vgl. Dirección General de Estadísticas y Censos 2004, S. 2). Das sind in etwa ähnliche Daten wie die für Hessen. Das Land ist das am dichtesten besiedelte der Region, wobei allerdings berücksichtigt werden sollte, dass die meisten anderen (und größeren) Staaten zu einem bedeutenden Teil unfruchtbares Land umfassen. El Salvador hat mit 62 % eine im Verhältnis zu anderen lateinamerikanischen Ländern geringe Urbanisierungsrate (76 %, vgl. World Bank 2004, S. 152 und 154). Hauptstadt mit ca. 2,1 Millionen Bewohnern (Agglomeration) ist San Salvador (vgl. Dirección General de Estadísticas y Censos 2004, S. 2). Der Geburtenüberschuss betrug 2002 2,0 % (vgl. World Bank 2004, S. 38), das Bevölkerungswachstum jedoch migrationsbedingt nur 1,7 % (vgl. World Bank 2004, S. 14).

Von etwa 1980 bis 1992 wurde das Land durch einen Bürgerkrieg erschüttert. Die Politik des Landes wird heute von den beiden wichtigsten Bürgerkriegsfraktionen geprägt, die allerdings der Gewalt abgeschworen haben: von der seit 1989 dauerhaft regierenden ARENA und der ehemaligen Guerillaorganisation FMLN. Erstere vertritt nach Einschätzung des Verfassers in etwa die Positionen der US-amerikanischen Republikaner, die zweite ungefähr die der deutschen Linkspartei. Obwohl sich beide Parteien beträchtlich entradikalisiert haben, ist die politische Landschaft sehr stark polarisiert.

2.2.2 Wirtschaft

Das BIP betrug 2003 kaufkraftbereinigt 4.781 US$[7] (vgl. UNDP 2006, S. 220). Hauptwertschöpfungsbringer war dabei der Dienstleistungsbereich mit 61 %, die Landwirtschaft spielt mit 9 % nur noch eine untergeordnete Rolle (vgl. World Bank 2004, S. 186). Das Wirtschaftswachstum, welches 1995 bis 2000 noch durchschnittlich 3,6 % pro Jahr betrug, ist für den Zeitraum 2001 bis 2004 auf 1,8 % gefallen (vgl. ILO 2005, S. 103), pro Einwohner ergibt sich demnach fast ein Nullwachstum.

Währung in El Salvador ist seit 2001 der US-Dollar. Dies hat zu einer gewissen monetären Stabilität geführt, die aber nach Meinung des Autors mit einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit erkauft wurde: Die Preise in El Salvador liegen deutlich über denen in den vergleichbar entwickelten Nachbarstaaten.

Wie in vielen Ländern Lateinamerikas war und ist der Export von El Salvador nur gering diversifiziert. Hauptexportgüter waren 2003 zu 63 % Textilien, die zu fast 90 % in die USA gingen (eigene Berechnungen nach WTO 2004, S. 153, 156 und 171). Das traditionelle Exportprodukt Kaffee spielt mit 3 % Exportanteil nur noch eine untergeordnete Rolle (eigene Berechnungen nach Camarasal 2006a, S. 1 und WTO 2004, S. 171). Die Regierung von El Salvador setzt große Hoffnungen in den internationalen Handel und hat unter anderem im März 2006 ein Freihandelsabkommen (TLC) mit den USA, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Costa Rica, Panama und der Dominikanischen Republik ratifiziert (vgl. Camarasal 2006b).[8] Aufgrund der bereits erwähnten geringen Wettbewerbsfähigkeit des Landes ist der Autor allerdings nicht sehr optimistisch, dass durch den TLC eine bedeutende Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im Land erreicht werden kann.

Die Gesamtexporte des Landes betrugen 2003 nur 3,136 Mrd. US$ (vgl. WTO 2004, S. 153) oder etwa 472 US$ pro Einwohner (eigene Berechnung), die Importe jedoch über 5,7 Mrd. US$ (vgl. WTO 2004, S. 175). Das Defizit wird vor allem durch Überweisungen (Remesas) ausgewanderter Salvadorianer gedeckt, die im Jahr 2003 über 2 Mrd. US$ betrugen (vgl. ILO 2005, S. 48). Die Zahl der im Ausland lebenden Salvadorianer wurde vom salvadorianischen Außenministerium für 2003 mit fast 2,8 Millionen angegeben, 90 % davon in den USA (vgl. Lara López 2004, S. 29).

2.2.3 Soziales

Nach Angaben des Statistischen Amtes von El Salvador lebten 2004 35,4 % aller Haushalte in relativer Armut. Das bedeutet, ihre Einnahmen reichten nicht, um einen als notwendig definierten Warenkorb für Nahrung, Wohnung, Kleidung, Gesundheit und Erziehung zu finanzieren (vgl. DIGESTYC 2004, S. 14). Der Anteil der Salvadorianer, die mit weniger als 2 US$ pro Tag auskommen müssen, lag 2000 bei 58,8 %. Der Anteil derjenigen, die mit weniger als 1 US$ pro Tag auskommen müssen, bei 31,1 % (vgl. World Bank 2004, S. 54). Der Gini-Koeffizient betrug 2000 53,2 (vgl. World Bank 2006, S. 271). Während des Bürgerkrieges wurde zwar eine Landreform durchgeführt, die allerdings an der Einkommensverteilung im Land wenig änderte und auch nicht die Landflucht reduzieren konnte.

Die meisten Salvadorianer sind in keinem formalen Arbeitsverhältnis beschäftigt. Der Anteil der Beitragszahler zur Sozialversicherung ISSS im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung (inkl. Arbeitslosen) betrug 2004 weniger als 25 % (eigene Berechnung nach ISSS 2004, S. 9f und DIGESTYC 2004, S. 8). Trotzdem bezeichneten sich nur 6,8 % der Erwerbsbevölkerung als arbeitslos (vgl. DIGESTYC 2004, S. 8).

2.2.4 Bildung

Die Weltbank attestierte El Salvador für die 1990er Jahre schwere Unterinvestitionen im Bildungsbereich (vgl. Sosale 2000, S. 39). Der durchschnittliche über sechs Jahre alte Salvadorianer hat nur während 5,6 Jahren seines Lebens eine Schule besucht (vgl. DIGESTYC 2004, S. 5). Die Analphabetenrate beträgt 15,5 %. Dabei sind besonders die Landbevölkerung (24,7 %) und Frauen (17, 7 %) betroffen (vgl. DIGESTYC 2004, S. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Verschulungsgrade in El Salvador (eigene Grafik nach World Bank 2004, S. 76-79)

Wie aus der Grafik ersichtlich, ist der Verschulungsgrad der Bevölkerung auch heute noch relativ niedrig, wenn er auch durch später Eingeschulte und Erwachsenenbildung etwas aufgebessert wird (Zum Vergleich Nettoverschulungsgrade im Euro-Raum: Primarstufe 99 %, Sekundarstufe 90 %, vgl. World Bank 2004, S. 78). Ein bedeutender Teil der Schüler besucht private Bildungseinrichtungen: 19 % der Vorschüler, 11 % der Primarstufler, 32 % der Sekundarstufler (vgl. MINED 2004, S. 16f), aber 70 % der Studenten (vgl. MINED 2004, S. 134ff). Allerdings verlangen sowohl private als auch öffentliche Bildungsinstitutionen Gebühren (vgl. u.a. Sosale 2000, S. 39), so dass die Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Schulen aus sozialer Sicht bis zu einem bestimmten Punkt nicht von Belang ist.

2.2.5 Berufliche Bildung

An berufsqualifizierenden Ausbildungsformen spielen vor allem das Universitätsstudium (92 % aller Studenten) und das Technikerstudium (6 % aller Studenten, vgl. MINED 2002, S. 138) eine Rolle.

Die Aufnahme eines Studiums bedeutet jedoch keineswegs eine erfolgreiche Graduierung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststudienzeit von fünf (Universität) bzw. zwei Jahren (Techniker). Die Zahl der Absolventen betrug 2001 nur 10.198 (vgl. MINED 2002, S. 139) bei insgesamt 109.946 immatrikulierten Studenten (vgl. MINED 2002, S. 137). Die überwiegende Zahl der Salvadorianer bleibt daher auch in der Gegenwart ohne einen höheren Abschluss.

Um die nicht an höheren Einrichtungen stattfindende berufliche Bildung kümmert sich seit 1993 das halbstaatliche „Instituto Salvadoreño de la Formación Profesional“ (INSAFORP, deutsch: Salvadorianisches Institut für berufliche Bildung). Es finanziert sich über eine Arbeitgeberabgabe, die ein Prozent der Lohnsumme bei Betrieben mit über zehn Mitarbeitern beträgt. Das Budget der Institution, 2004 15,6 Mio. US$ (vgl. INSAFORP 2005, S. 41), wird vor allem für Weiterbildungsaktivitäten in Unternehmen (92.210 Teilnehmer), Berufsvorbereitungskurse von drei bis sechs Wochen Dauer (19.385 Teilnehmer) sowie für Empresa-Centro, eine seit 1997 bestehende salvadorianische Variante der „deutschen“ dualen Ausbildung (637 Teilnehmer, alle Informationen INSAFORP 2005, S. 15ff) verwendet. Das INSAFORP beschäftigt dabei selber keine Dozenten, sondern finanziert ausschließlich Kurse privater Bildungsanbieter.

Die genannten Zahlen verdeutlichen, dass die Auswirkungen des INSAFORP auf die Humankapitalbildung in El Salvador eher gering einzuschätzen sind. Dies bestätigt die Ergebnisse von bei Dohmen zitierten internationalen Studien, nach denen Abgaben zur Stärkung der beruflichen Bildung kein sehr effektives Mittel zu sein scheinen (vgl. Dohmen 2001, S. 22ff).

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass Unternehmen in El Salvador nur eine sehr rudimentäre Rahmenausstattung mit Humankapital vorfinden. Wer spezialisiertes Personal benötigt, ist überwiegend auf eigene Ausbildungsmaßnahmen angewiesen.

2.3 Grundlegendes zum Mikrofinanzsektor

In diesem Umfeld bietet die BPES Mikrofinanzdienstleistungen an.

Kredite sind für Arme in der Dritten Welt oft sehr schwer zugänglich, da sie für konventionelle Anbieter keinen rentabel bedienbaren Markt darstellen. Der Grund dafür sind in der Regel die relativ hohen Transaktionskosten[9]. Ein Kreditvolumen von unter 1.000 US$ oder Euro rechtfertigt in der Regel nicht die zeitaufwendige Analyse eines Geschäftsvorhabens und Prüfung der Sicherheiten (vgl. Helms 2006, S. 84).

Neben historischen Vorläufern wie dem Irish Loan Fund System im 18. Jahrhundert oder den deutschen Raiffeisenbanken im 19. Jahrhundert gilt Mohammad Yunus als Vater des Mikrofinanzwesens. Yunus begann in den 1970ern mit der Vergabe von Klein- und Kleinstkrediten an Arme im ländlichen Bangladesch, die vorher gar keinen Zugang zu Krediten hatten oder von Wucherern abhängig waren (vgl. Helms 2006, S. 2ff). Dem Mikrokreditwesen wird mittlerweile eine erhebliche Rolle bei der Bekämpfung von Armut und damit verbundener Gewalt zugesprochen, weshalb Yunus unter anderem mit dem Friedensnobelpreis 2006 ausgezeichnet wurde.

Mittlerweile bietet die Branche nicht nur Mikrokredite, sondern auch andere Dienstleistungen wie Mikrospareinlagen und Mikroversicherungen an, zum Beispiel gegen Ernteausfälle oder für Todesfälle im Familienkreis (vgl. Helms 2006, S. 23).

Ein wesentlicher Vorteil des Mikrofinanzwesens gegenüber anderen entwicklungspolitischen Aktivitäten ist seine Nachhaltigkeit: Nicht nur den Kunden soll eine von Unterstützungsleistungen unabhängige Existenz ermöglicht werden, auch viele Institutionen sind selbsttragend und nach einer Implementierungsphase auf keine Spenden oder Zuschüsse angewiesen (vgl. Morduch 2000, S. 620). Allerdings werden in der Branche verhältnismäßig geringe Gewinne erwirtschaftet, weshalb private Investoren, sofern sie nicht philanthropisch orientiert sind, sich bislang zurückhalten. Ein Grossteil der Investitionen wird von staatlichen Entwicklungsbanken getätigt (vgl. Helms 2006, S. 94f).

Neben der nicht ausschließlichen Gewinnfokussierung ist ein entscheidender Unterschied zum klassischen Bankgeschäft die unterschiedliche Methodik in der Kreditanalyse (Kredittechnologie, span. Tecnología Crediticia), die allerdings im Detail von Land zu Land und von Institution zu Institution variiert. Die meisten Mikrokreditnehmer verfügen nicht über eine Buchführung in ihren Geschäften, weshalb Daten zur Bewertung eines Unternehmens anders gewonnen werden müssen. In El Salvador beispielsweise werden zur Feststellung der Sicherheit eines Kredites die Antragsteller in der Regel von einem Kreditanalysten (span. Analista de Crédito) zu Hause und in ihren Unternehmen besucht. Dabei werden sie hinsichtlich ihres Cash-Flows befragt, wobei Unternehmens- und Haushaltskasse als eine Einheit betrachtet werden. Wichtig ist, dass kein Einnahmen- und Ausgabenblock vergessen wird, zum Beispiel die Gesundheitsausgaben für die Kinder oder Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland. Zudem werden potenzielle Sicherheiten inventarisiert. Weiterhin werden Auskunfteien (vergleichbar mit der deutschen Schufa) konsultiert und auf möglichst unauffällige Weise Auskünfte von den Nachbarn eingeholt, zum Beispiel hinsichtlich der Kontinuität der wirtschaftlichen Aktivitäten der Antragsteller. In vielen Fällen, zum Beispiel wenn die Antragsteller kein eigenes Haus haben, wird außerdem noch ein Bürge verlangt (vgl. u.a. Navajas, González-Vega 2001, S. 15ff). Nachdem alle diese Informationen eingeholt sind, entscheidet der Analyst zusammen mit einem oder mehreren Vorgesetzten, ob ein Kredit bewilligt wird. Anders als andere Mikrokreditinstitutionen, wie die Grameen Bank in Bangladesch, bedient die BPES aus Risikogründen keine Existenzgründer. Grundvoraussetzung für einen Kreditantrag ist ein Jahr Geschäftsexistenz.

2.3.1 Grundlegendes zur ProCredit Holding AG und zur Banco ProCredit El Salvador

Die ProCredit Holding AG ist die Mutter einer Gruppe von Mikrokreditbanken. Sitz der Gesellschaft, die zurzeit in insgesamt 18 Ländern Lateinamerikas, Osteuropas und Schwarzafrikas aktiv ist, ist Frankfurt/Main. Wichtigste Aktionäre der Gruppe, die 2005 über Aktiva von über 2,2 Mrd. Euro verfügte und weltweit mehr als 9.000 Mitarbeiter beschäftigte (vgl. ProCredit Holding 2006, S. 3), sind verschiedene öffentliche Investoren wie die deutsche KfW-Bankengruppe, die zusammen 66,6 % aller Anteile halten. Das Management stellt jedoch die Internationale Projekt Consult GmbH (IPC, Aktienanteil: 24,4 %), ein auf Beratungen im Mikrofinanzbereich spezialisierter Dienstleister.

Der Vorläufer des BPES ist in El Salvador seit 1988 aktiv, als ein Kreditvergabeprogramm von der Salvadorianischen Vereinigung Mittlerer und Kleiner Unternehmer (AMPES) und der deutschen GTZ gegründet wurde. Diese wurde 1995 in die Finanzierungsgesellschaft Financiera Calpiá umgewandelt (vgl. Navajas, González-Vega 2001, S. 6f). Da diese jedoch nur berechtigt war, Spareinlagen entgegenzunehmen und Kredite zu vergeben, entschied man sich dafür, das Institut in eine Bank umzuwandeln, um den Kunden auch Girokonten und den Versand und Empfang internationaler Überweisungen anbieten zu können. Der dazu notwendige Transformationsprozess von der Financiera hin zum Banco ProCredit El Salvador wurde im Juni 2004 erfolgreich abgeschlossen.

Heute verfügt die BPES über ein Netz von 27 Filialen (Stand 2006) und Aktiva von über 131 Millionen US$ (vgl. Banco ProCredit El Salvador 2006a, S. 2).

Im Kreditbereich verfügt das Unternehmen über eine Fülle maßgeschneiderter Angebote für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Hauseigentümer. Dabei bedient es vor allem eine Klientel, die aufgrund der geringen formalen Sicherheiten und des geringen Kreditvolumens von anderen Banken kaum bedient werden. Das durchschnittliche Kreditvolumen für Kleinstunternehmen beträgt 932 US$ (vgl. Banco ProCredit El Salvador 2006a, S. 22).

Die Zinsen der Bank erscheinen europäischen Betrachter zunächst relativ hoch. Kleinunternehmen zahlen zum Beispiel 30 % pro Jahr sowie bis zu 4 % Kommission (vgl. Banco ProCredit El Salvador 2006b). Dies hängt mit der Höhe der Prozesskosten im Verhältnis zu den Kreditvolumina zusammen – die Bearbeitungskosten fallen bei einem Kredit von 1.000 US$ stärker ins Gewicht als bei 1.000.000 US$ (vgl. Helms 2006, S. 84). Trotzdem ist das Kreditvolumen in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld 2005 um 13 % gewachsen. Der Anteil am gesamten Kreditvolumen im Land ist allerdings mit 1,28 % immer noch außerordentlich gering (eigene Berechnung nach Banco ProCredit El Salvador 2006a, S. 21f), allerdings ist das Unternehmen im Kleinkreditbereich fast der einzige Anbieter.

Die Bank ist tendenziell unterfinanziert. Der Markt für Sparanlagen ist bedeutend kompetitiver als der um Kleinkreditkunden Das Unternehmen hat zudem den Wettbewerbsnachteil, sich bei der Einführung von Debit- und Kreditkarten erst im Anfangsstadium zu befinden. Die durchschnittliche Höhe der Spareinlagen im Institut beträgt 768 US$, der Marktanteil 0,95 % (eigene Berechnungen nach Banco ProCredit El Salvador 2006a, S. 21 und S. 23).

2.3.2 Mitarbeiterprofil

Die BPES beschäftigte zum 31.8.2006 681 Mitarbeiter, davon 20 % in der Hauptverwaltung in San Salvador und 80 % in den Filialen.

Die Struktur der Filialen ist in der Regel die folgende: Den Filialleitern (4 % des Personals) sind üblicherweise ein Operationskoordinator (span. Coordinador de Operaciones, 3,5 %) und ein Kreditkoordinator (span. Coordinador de Créditos, 2,5 %) zugeordnet. Der Operationskoordinator ist für den reibungslosen Ablauf der Prozesse innerhalb der Filiale verantwortlich. Ihm sind Kassierer, Auskunfts- und Beratungspersonal (span. Ejecutivos de Atención al cliente), ein Datenverarbeitungsverantwortlicher (span. Digitador) und häufig auch ein Assistent zugeordnet (zusammen 25 %). Der Kreditkoordinator beaufsichtigt die Arbeit der meist männlichen Analysten (36,2 %) und entscheidet im so genannten Komitee zusammen mit ihnen über die Vergabe von Mikrokrediten (s. S. 16). Direkt dem Filialleiter untergeordnet sind die in der Regel weiblichen Kontenpromotoren (span. Ejecutiva de Cuenta, 5 %). Diese Personen gehen hauptsächlich im Einzugsgebiet des Filialortes von Haus zu Haus und machen Werbung für die diversen Produkte der Bank.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Organigramm einer Filiale der BPES (eigene Zeichnung)

Bei den Prozessen herrscht eine strenge Arbeitsteilung vor. Ein bestimmter Mitarbeiter wird in der Regel zunächst nur für seine Stelle ausgebildet. So kann beispielsweise ein Digitador einen ausfallenden Kassierer oder eine Kontenpromotorin nicht ersetzen.

Insgesamt 13,5 % der Angestellten befinden sich in Führungspositionen (leitendes Management in der Zentrale, Filialleiter, Koordinatoren). Das Personal besteht fast ausschließlich aus Salvadorianern, allerdings sind die Schlüsselpositionen Geschäftsführer und Manager des Kreditbereiches mit Ausländern (ein Deutscher und ein Peruaner), die von der Beratungsfirma IPC kommen, besetzt.

Aufgrund des geringen Niveaus der öffentlichen Schulen bevorzugt die Bank bei der Einstellung Personen, die zumindest die Sekundarstufe abgeschlossen haben, noch besser ist allerdings ein Universitätsabschluss. Bewerber werden außer Interviews dabei auch einem Test unterzogen, der neben einem Intelligenztest Mathematik und Orthografie umfasst (vgl. Interview Leiterin Rekrutierung BPES). Der Rekrutierungsbedarf ist aus zwei Gründen beträchtlich, zum einen aufgrund des beträchtlichen Personalwachstums des Unternehmens (seit Ende 2003 +83 %, eigene Berechnungen nach Banco ProCredit El Salvador 2005, S. 2), zum anderen aufgrund der Fluktuation des Mitarbeiterstammes. Von den am 31.12.2003 Beschäftigten waren zum 31.8.2006 nur noch 61,5 % im Unternehmen verblieben (eigene Berechnungen nach Daten der BPES).

2.3.3 Aus- und Weiterbildungsaktivitäten

Die BPES legt großen Wert darauf, als Unternehmen wahrgenommen zu werden, das jungen Leuten mit geringer Berufserfahrung eine Chance zur beruflichen Entwicklung bietet (vgl. BPES 2006, S. 31). Dabei wird die Ausbildungsbereitschaft nicht nur betriebswirtschaftlich erklärt, sondern auch mit der entwicklungspolitischen Mission der Firma: „ Banco ProCredit is based on a long-term vision which it shares with its employees. Promoting the training and professional development of its staff forms an integral part of this vision, as does a commitment to providing stable employment and adequate social protection.” (vgl. BPES 2006, S. 32)

Die Bank ist somit ein interessanter unternehmerischer Sonderfall. Üblicherweise wird Training von Unternehmen veranstaltet, um einen qualifikatorischen Engpass zu überwinden. Entsprechend soll es daher nach dem ökonomischen Minimalprinzip möglichst kostengünstig erfolgen. Nach Eindruck des Autors handelt die ProCredit Holding jedoch nach dem Maximalprinzip: Ein festgelegtes Ausbildungsbudget soll bestmöglich investiert werden. Für die Verallgemeinerung der Ergebnisse dieser Arbeit ist dies allerdings nicht relevant. Die Ausbildungspolitik der Bank folgt immer noch ökonomischen Prinzipien und kann entsprechend untersucht werden.

Aufgrund der im Vorabschnitt beschriebenen Personalentwicklung besteht ein außerordentlicher Einarbeitungs- und Weiterbildungsbedarf, da der Arbeitsmarkt nicht immer den Ansprüchen des Unternehmens entspricht. Die buchhalterisch registrierten Ausbildungskosten betrugen im Jahre 2005 254.560,07 US$, das entspricht 2,1 % der operativen Kosten des Unternehmens (vgl. BPES 2006, S. 27). Die beträchtlichen Investitionen, die in Form von Zeit durch on-the-job-training anfallen, sind dabei jedoch unberücksichtigt.

[...]


[1] Im Folgenden soll der Begriff Ausbildung - soweit nicht explizit anders gekennzeichnet – immer auch Weiterbildung einschließen. Der Ausdruck Training wird synonym verwendet.

[2] “By the phrase, 'human capital', we mean resources which are embodied in people, and are capable of generating income.” (Becker 1964).

[3] Der Begriff Humankapital hat im deutschen Sprachgebiet eine negative Konnotation. 2004 wurde er sogar mit folgender Begründung zum Unwort des Jahres erklärt. „Humankapital degradiert nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen“ (Zitat eines der Juroren, vgl. Schlosser 2005). Dies ist insofern bedauerlich, da Ökonomen mit dem Begriff eigentlich beruflich nutzbare Fähigkeiten/beruflich nutzbares Wissen meinen. Der Autor hat sich trotz Bedenken entschlossen, den seines Erachtens fehlinterpretierbaren Begriff Humankapital zu gebrauchen, da in der Fachdiskussion kein anderer Ausdruck verwendet wird. Eine alternative Wortwahl würde die wissenschaftliche Anschlussfähigkeit seiner Arbeit künstlich erschweren.

[4] Auch wenn die Begriffe Industrieländer/Erste Welt und Entwicklungsländer/Dritte Welt teilweise sehr kritisch betrachtet werden (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2005, S. 2) hat sich der Verfasser dieser Arbeit aufgrund ihrer allgemeinen Verständlichkeit dazu entschlossen, sie zu verwenden.

[5] Bei den World Bank- und UNDP-Daten zu Lateinamerika sind immer auch die Staaten der Karibik inbegriffen, welche allerdings aufgrund ihrer geringen Größe kaum ins Gewicht fallen. Das bevölkerungsreichste nicht lateinamerikanische Land ist Jamaika mit etwa 3 Millionen Einwohnern.

[6] Das reale (nicht kaufkraftbereinigte) BSP betrug 2002 allerdings nur 3280 US$ pro Einwohner (vgl. World Bank 2004, S. 16)

[7] Das reale (nicht kaufkraftbereinigte) BSP betrug 2002 allerdings nur 2110 US$ pro Einwohner (vgl. World Bank 2004, S. 14)

[8] Mehr zu den Freihandelsabkommen von El Salvador auf der Homepage der Salvadorianischen Industrie- und Handelskammer CAMARASAL, http://www.camarasal.com/tlc.php

[9] Transaktionskosten sind Kosten, die bei Vereinbarungen über den Austausch von Gütern und Dienstleistungen entstehen, wenn eine der beiden beteiligten Parteien nur über unvollständige Informationen verfügt. Beispiele sind Informations-, Verhandlungs- und Kontrollkosten (in Anlehnung an: Gabler Wirtschaftslexikon 1992, S. 3295).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836630832
DOI
10.3239/9783836630832
Dateigröße
683 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Witten/Herdecke – Fakultät für Wirtschaftswissenschaft
Erscheinungsdatum
2009 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
berufliche bildung ausbildung weiterbildung berufsbildung microfinance
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Titel: Wann lohnt sich Aus- und Weiterbildung für Unternehmen in Lateinamerika?
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