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Therese Huber und die Französische Revolution

Erfahrung und Fiktion im Spiegel der Briefe und des Romans 'Die Familie Seldorf'

©2008 Magisterarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Diese Arbeit setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen und ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste Teil theoretisch orientiert ist. Zum einen werden im ersten Teil die realhistorischen Erfahrungen und das Erleben der Therese Huber mit dem politischen Großereignis der Französischen Revolution anhand der überlieferten Briefe in Verbindung gebracht, und zum anderen wird im zweiten Teil am praktischen Beispiel des Romans demonstriert, auf welche Art und Weise Therese Huber das Thema der Französischen Revolution im fiktiven Roman Die Familie Seldorf verarbeitet hat. Pointiert lässt sich formulieren: Im fiktiven Roman verarbeitet Therese Huber ihr persönliches Erleben mit der Französischen Revolution. Gleichwohl ist es falsch, den Roman ausschließlich als autobiographischen Text zu deuten, denn Hubers populärer Unterhaltungsroman entstand speziell aus finanziellen Schwierigkeiten, wenngleich auch persönliche Erfahrungen mit eingearbeitet wurden.
Dem eigentlichen Thema sind einige Kapitel überblicksartig vorangestellt. Diese Kapitel haben den Zweck, kurz die wichtigsten historischen Ereignisse und Fakten der Französischen Revolution zu referieren, zusammenhängend darzulegen und zusammenzufassen, um diese im großen Kontext der Arbeit verständlich erscheinen zu lassen. Zudem wird dargeboten, wie die intellektuellen (männlichen) Zeitgenossen Therese Hubers im Allgemeinen auf den Ausbruch der Französischen Revolution reagierten, welchen Einfluss dieses geschichtliche Großereignis auf die Literatur in Deutschland nach 1789 nahm und welche herben Urteile sich Frauen einhandelten, die politisch und literarisch zu dem aktuellen Diskurs in Erscheinung traten bzw. dazu Stellung bezogen.
Die lange Zeit vergessene Autorin Therese Huber war wie kaum eine andere Deutsche eng mit der Französischen Revolution verbunden. Als Ehefrau des berühmten Georg Forster erlangte sie seit ihrer Wiederentdeckung Anfang der 1990er Jahre postum Anerkennung. Begründet liegt dies im außergewöhnlichen Lebenslauf und vor allem in ihrem Wirken. In der Arbeit sollen nicht der gesamte Lebenslauf und das Lebenswerk aufgerollt werden, sondern vor allen Dingen die Zeit der Französischen Revolution, die auch bei ihr zu prägenden Erfahrungen und Veränderungen geführt haben.
Biographisch einschneidend war die Ehe mit Georg Forster, die auf dem Höhepunkt mit dem Ausbruch der Französischen Revolution korrelierte. Für die Arbeit sind zwei Aspekte dieser Beziehung […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


René Lützkendorf
Therese Huber und die Französische Revolution
Erfahrung und Fiktion im Spiegel der Briefe und des Romans 'Die Familie Seldorf'
ISBN: 978-3-8366-3050-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle, Deutschland, Magisterarbeit,
2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

2
Inhalt
1. Einleitung
S. 3
2. Zeitgenössische Reaktionen auf den Ausbruch der
Französischen Revolution
S. 9
2.1 Die klassische Beurteilung der Französischen Revolution
S. 11
2.2 Die Einschätzung der Romantiker zur Französischen Revolution
S. 12
2.3 Das Modell der Literatur aus Sicht der deutschen Jakobiner
S. 13
3. Die literarische Umsetzung und Verarbeitung des historischen
Stoffes der Französischen Revolution
S. 15
4. Die historiographische Beurteilung von politisch aktiven
Frauen in der Französischen Revolution
S. 17
5. Zeitliche Einordnung, realhistorische Aspekte, Ursachen und
Hintergründe der Französischen Revolution
S. 20
5.1 Kennzeichen der vorindustriellen Gesellschaft
S. 20
5.2 Realhistorische Hintergründe und Verlauf der Französischen
Revolution ­ Ein Überblick
S. 22
5.3 Die Mainzer Republik ­ Ein kurzer historischer Exkurs
S. 25
6. Therese Huber ­ Eine ungewürdigte Revolutionsautorin
S. 28
7. Therese Hubers Schaffenszeit seit der Französischen
Revolution ­ Eine Erklärung aus ihren Briefen und zur
Vorgeschichte ihres Romans Die Familie Seldorf
S. 34
8. Therese Huber - Eine dilettantische Schriftstellerin?
S. 43
9. Therese und Georg Forster ­ Irrung und Verwirrung einer
Beziehung in den Zeiten der Französischen Revolution
S. 49
10. Therese Hubers politische Aktivitäten in der Revolutionszeit
S. 57
11. Therese Huber ­ Das Urteil in der Literaturgeschichte
S. 68
12. Die Familie Seldorf
S. 77
12.1 Die unterschiedlichen politischen Ansichten und
Erziehungskonzepte der Eltern- bzw. Großelterngeneration zu
Beginn der Französischen Revolution im Roman Die Familie Seldorf
S. 77
12.2 Trauma von Vater und Familie in der Revolution
S. 90
12.3 Saras Protest und Rache
S. 97
12.4 Saras Rückkehr in die Heimat ­ Die Schlachtfelder in der Vendée S. 103
12.5 Die zerstörte Familie
S. 106
13. Zusammenfassung
S. 113
14. Literatur
S. 118

3
1. Einleitung
Therese Huber und die Französische Revolution. Erfahrung und Fiktion im
Spiegel der Briefe und des Romans Die Familie Seldorf.
Diese Arbeit, mit dem oben genannten Arbeitstitel, setzt sich aus mehreren
Komponenten zusammen und ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste Teil
theoretisch orientiert ist. Zum einen werden im ersten Teil die realhistorischen
Erfahrungen und das Erleben der Therese Huber mit dem politischen Großereignis
der Französischen Revolution anhand der überlieferten Briefe in Verbindung
gebracht, und zum anderen wird im zweiten Teil am praktischen Beispiel des
Romans demonstriert, auf welche Art und Weise Therese Huber das Thema der
Französischen Revolution im fiktiven Roman Die Familie Seldorf verarbeitet hat.
Pointiert lässt sich formulieren: Im fiktiven Roman verarbeitet Therese Huber ihr
persönliches Erleben mit der Französischen Revolution. Gleichwohl ist es falsch,
den Roman ausschließlich als autobiographischen Text zu deuten, denn Hubers
populärer Unterhaltungsroman entstand speziell aus finanziellen Schwierigkeiten,
wenngleich auch persönliche Erfahrungen mit eingearbeitet wurden.
Dem eigentlichen Thema sind einige Kapitel überblicksartig vorangestellt. Diese
Kapitel haben den Zweck, kurz die wichtigsten historischen Ereignisse und
Fakten der Französischen Revolution zu referieren, zusammenhängend darzulegen
und zusammenzufassen, um diese im großen Kontext der Arbeit verständlich
erscheinen zu lassen. Zudem wird dargeboten, wie die intellektuellen
(männlichen) Zeitgenossen Therese Hubers im Allgemeinen auf den Ausbruch der
Französischen Revolution reagierten, welchen Einfluss dieses geschichtliche
Großereignis auf die Literatur in Deutschland nach 1789 nahm und welche herben
Urteile sich Frauen einhandelten, die politisch und literarisch zu dem aktuellen
Diskurs in Erscheinung traten bzw. dazu Stellung bezogen.
Die lange Zeit vergessene Autorin Therese Huber war wie kaum eine andere
Deutsche eng mit der Französischen Revolution verbunden. Als Ehefrau des
berühmten Georg Forster erlangte sie seit ihrer Wiederentdeckung Anfang der
1990er Jahre postum Anerkennung. Begründet liegt dies im außergewöhnlichen
Lebenslauf und vor allem in ihrem Wirken. In der Arbeit sollen nicht der gesamte
Lebenslauf und das Lebenswerk aufgerollt werden, sondern vor allen Dingen die
Zeit der Französischen Revolution, die auch bei ihr zu prägenden Erfahrungen
und Veränderungen geführt haben.

4
Biographisch einschneidend war die Ehe mit Georg Forster, die auf dem
Höhepunkt mit dem Ausbruch der Französischen Revolution korrelierte. Für die
Arbeit sind zwei Aspekte dieser Beziehung wichtig:
1)
Die Verwicklung von Therese und Georg Forster in die Revolutionswirren
der gemeinsamen Mainzer Zeit, mit der beabsichtigten Trennung, weil
Therese Georg Forster nicht liebte.
2)
Die Verarbeitung für den fiktiven Roman, worin Therese Huber die
Vernunftehe entschieden ablehnt und für die Liebesheirat plädiert.
Problematisch ist es einzuschätzen und nachzuweisen, inwieweit die politische
Einstellung Therese Hubers in dem Zusammenhang mit der Französischen
Revolution ist. Trotz guter Forschungsarbeiten in den letzten zwei Jahrzehnten
sind und bleiben viele Dinge im Dunkeln und können nur spekulativ oder
ansatzweise beantwortet werden, weil Therese Huber ihre Aufzeichnungen und
Briefe aus dieser Zeit größtenteils vernichtete. Den Ideen der Aufklärung
beipflichtend, wurden gesellschaftliche Veränderungen gewünscht, Gewalt jedoch
konsequent abgelehnt. Georg Forster wurde nach anfänglicher Zurückhaltung zum
enthusiastischen Anhänger der Revolution, deren Fortgang er jedoch skeptisch
und immer desillusionierter beobachtete, weil auch sein persönliches Schicksal,
die Verbindung mit Therese, nicht in Einklang zu bringen war. Therese Huber lag,
bei aller Begeisterung für die Idee der Freiheit, die Lösung ihrer privaten
Probleme in dieser Zeit mehr im Vordergrund, als Forster in den
Revolutionswirren zu unterstützen. Angesichts der Gewaltexzesse und drohenden
Rückeroberung von Mainz im Dezember 1792 floh sie nach Straßburg und entzog
sich somit einer direkten Konfrontation mit der Revolution, die sie in der Folge
nur noch indirekt erlebte. Sie war beständig bemüht, in der Öffentlichkeit nicht als
handelnd und somit männlich dazustehen und jeden Verdacht auf ein Engagement
als
Jakobinerin
abzuwälzen.
Therese
Huber
vertritt,
je
länger
die
Revolutionswirren andauerten, den Standpunkt einer gemäßigten Republikanerin.
Ein eindeutig differenziertes Bild in dieser Arbeit wiederzugeben, ist unmöglich.
Therese Hubers Zurückhaltung ist auch den gesellschaftlichen Konventionen der
Zeit um 1800 geschuldet. Nichtsdestotrotz begeisterte sie sich für Politik und ´die
Sache der Freiheit`.

5
Frauen wurden in der politischen Öffentlichkeit nicht geduldet, sondern hatten
sich um den Haushalt, die Kindererziehung, die ,,häusliche Sphäre" zu kümmern
und fristeten oft ein bedrückendes Dasein als unzufriedene Ehefrauen.
Gleiches galt für die Schriftstellerei, denn Frauen waren in der literarischen
Öffentlichkeit ebenso verpönt wie in der Politischen. Setzten sich doch einmal
Frauen über die Verbote hinweg, wurden sie gemaßregelt und diskriminiert, ihre
literarischen Leistungen desavouiert.
Die Schlagworte der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit blieben für die Frauen um 1800 bedeutungslos und galten nur für
die Männer.
Einige wenige, wie Therese Huber, wollten dem Schattendasein, der Tristesse und
Bedeutungslosigkeit entkommen und sich eigene Freiräume schaffen. Oftmals
erfolgte dies im Schatten bedeutender Männer.
Wie die Situation von Therese Huber zeigen wird, geschah dies durchaus
ambivalent. In ihrem besonderen Fall sind viele Fragen mit dem ,,einerseits" und
,,andererseits" zu beantworten.
Huber setzte sich zeitlebens für mehr Mitspracherecht, Einflussnahme und
gesellschaftliche Veränderungen ein, vor allem bei Frauen, um denen neue
(bessere) Perspektiven aufzuzeigen, Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten
und gesellschaftliche Missstände aufzudecken. Möglich wurde das nur, weil sie
Bildung erfuhr und fortwährend Wissen erwarb, um ihrer ,,Unmündigkeit" zu
entkommen. Sie hatte es auch Georg Forster zu verdanken, dass sie sich weiteres
Wissen aneignen konnte, der ihr vielseitige Kenntnisse vermittelte, ihren Blick
schärfte und neue Interessen weckte, insbesondere auf den Gebieten der Medizin,
Naturwissenschaften, Geographie und Politik.
Nicht selbstverständlich war es, die Courage aufzubringen und ihr Wissen publik
zu machen. Die von vielen Zeitgenossen geschätzte Therese Huber durchbricht
damit einerseits gesellschaftliche Normen und Konventionen, die ihr wenig
Anerkennung einbrachten, aber andererseits akzeptierte sie auch bis zu einem
bestimmten Punkt diese Konventionen, die sie nicht gänzlich ablehnte. Aus
heutiger Sicht ist dies als Widerspruch zu bewerten. Deutlich wird das dann, wenn
sie ihre häuslichen Pflichten hervorhebt und ihr literarisches Schaffen als
zweitrangig
deklassiert
oder
damit
vorgibt,
ausschließlich
finanzielle
Schwierigkeiten beheben zu müssen. Dies erscheint wenig glaubwürdig. Die

6
Stilisierung zur Mutter, die nur noch für die Familie da ist und das ,,Opfer der
Schriftstellerei" auf sich nimmt, um die Familie zu versorgen, greifen in diesem
Fall zu kurz. Die Flucht in die Anonymität als Anerkennung der herrschenden
gesellschaftlichen Normen darf ebenfalls nicht pauschal als Subordination unter
die bestehenden Verhältnisse gedeutet werden. Widersprüchlich ist in dem
Zusammenhang ebenso, dass Therese Huber einen anderen Berufsweg hätte
einschlagen müssen, nämlich einen typisch gesellschaftlich akzeptierten,
beispielsweise den der Erzieherin. Das Engagement in diese Richtung war
unbedeutend, vergleicht man das mit dem auf dem literarischen Markt. Hätte
Huber nur zum Broterwerb geschrieben und gearbeitet, ohne Freude bei ihrer
Tätigkeit zu empfinden, wäre mit großer Sicherheit ihr umfangreiches Schaffen
weniger ambitiös ausgefallen. In gespielter Naivität war Therese Huber stets
bedacht, nicht aus der konventionellen weiblichen Rolle zu fallen, um nicht mit
dem Prädikat ´gelehrt` behaftet zu werden.
Therese Huber erkannte selbst, dass in ihre frühen Werke autobiographische
Momente einflossen. Als sie mit dem Schreiben begann, befand sie sich in einer
Krise. Sie wurde von der Gesellschaft verurteilt, als Ehebrecherin abgestempelt,
für Forsters Tod verantwortlich gemacht und als Jakobinerin denunziert. Zudem
drohte ihr der finanzielle Ruin. Alle diese Probleme bedurften der Aufarbeitung
und wurden in Romanen und Erzählungen integriert. Viele ihrer Figuren gehen an
der Wirklichkeit zugrunde. Der Typ des innerlich zerrissenen, schwärmerischen
Mannes, so ihr Bild von Georg Forster, tritt ebenso häufig auf wie Frauenfiguren,
die den eigenen Erwartungen und Anforderungen der Gesellschaft nicht gerecht
werden. Demzufolge sind gescheiterte Beziehungen und Dreiecksverhältnisse
bevorzugte Sujets.
Aus Hubers ambivalenter Einstellung lässt sich folgende These ableiten.
Maßgeblich sind ihre Äußerungen in den Briefen.
Therese Huber versucht als weibliche Persönlichkeit wie als Autorin die tradierten
Sphären männlicher Öffentlichkeit und weiblicher Häuslichkeit zu durchbrechen,
gleichsam gesellschaftliche Normen aufzuweichen. Dessen ungeachtet relativiert
und begrenzt Therese Huber ständig ihr emanzipatorisches Potential, so dass die
Ansätze für ein Durchbrechen bestehender gesellschaftlicher Konventionen eine
zu geringe Geltung erlangen.

7
Gerade im Roman Die Familie Seldorf schränkt Therese Huber die Aktivitäten
der Protagonistin, trotz der Neuartigkeit des Stoffes und des revolutionären
Auftretens, am Ende erheblich ein und zeichnet ein düsteres Zukunftsbild, was
jedem gesellschaftlichen Fortschrittsoptimismus entgegensteht und so als
restaurativer Schritt Hubers zu beurteilen ist.
In ihrem wohl bedeutendsten Roman Die Familie Seldorf greift Therese Huber
den Stoff der Französischen Revolution auf und integriert ihre junge Heldin in die
realhistorischen Geschehnisse der Revolution.
Einer allgemein zunehmenden Enttäuschung über den Verlauf der Französischen
Revolution versuchte Therese Huber entgegenzuwirken, indem sie deren ideale
politische Ziele darstellte, gleichzeitig aber auch die Auswüchse der
Schreckensherrschaft und falsch motiviertes politisches Handeln kritisierte.
Politisch falsches Handeln wird durch die unterschiedlichen Erziehungsmethoden
im Roman hervorgerufen, die dazu beitragen, dass die Protagonistin letzten Endes
scheitert.
Die Romanhandlung ist auf zwei Ebenen aufgebaut, die vielschichtig differenziert
und miteinander verwoben sind. Die politische Geschichte, die Familien- und
Liebesgeschichte
sind
zueinander
interdependent.
Nur
aus
diesem
Abhängigkeitsverhältnis erklärt sich der Roman. In beiden Bereichen ist Sara die
Hauptakteurin,
deren
schmerzhafter
persönlich-privater
und
politischer
Entwicklungsprozess, der bis in die Vergangenheit hineinreicht, wird um die
entsprechenden Erfahrungsdimensionen der Vater- und Großvatergeneration des
alten Seldorf und Berthier im Einzelnen vorgeführt. Es kommen dabei immer
wieder Weiblichkeitsvorstellungen zur Sprache und werden in ihrer Funktion für
privates und öffentliches, falsches und richtiges, Handeln kritisch betrachtet.
Die Protagonistin des Romans, Sara Seldorf, tritt zwar zu Beginn nach den
Normen der gängigen Geschlechterkonventionen in Erscheinung, löst sich aber im
Verlaufe der Handlung zum Teil gewaltsam von dieser ab, stellt sie in Frage und
relativiert sie. Sie ist kein Vorbild an Tugend, weder in ihrem privaten noch in
ihrem politischen Handeln, sondern entwickelt sich allmählich, indem sie
Erfahrungen sammelt und die Verantwortung auch für ihre Fehlentscheidungen
auf sich nimmt.
Die Thematisierung der Französischen Revolution ist in diesem Roman weniger
auf die Darstellung der politisch relevanten, öffentlichen Ereignisse und Debatten

8
selbst konzentriert, sondern auf die Motivationen für politisches Handeln und die
Auswirkungen von politischem Geschehen im konkreten menschlichen Schicksal
und im Einzelfall.
Die Erarbeitung dieses umfangreichen Themas erfolgt auf der Basis der im
Literaturverzeichnis genannten Hilfsmittel (Primär- und Sekundärliteratur). Bei
der Erschließung und Deutung des Romans arbeite ich konsequent textanalytisch
unter Zuhilfenahme der Forschungsliteratur.
Zum besseren Verständnis verwende ich in der Arbeit durchweg den Namen
Therese Huber, auch für die Zeit als sie mit Georg Forster verheiratet war.

9
2. Zeitgenössische Reaktionen auf den Ausbruch der Französischen Revolution
Begeisterter Jubel beim Aufbruch der Freiheit ­ enttäuschte Abkehr angesichts
grausamer revolutionärer Praxis. Dieses Muster trifft zu für die meisten
Persönlichkeiten im geistigen Leben dieser Epoche.
Von deutschen Intellektuellen wurde die Revolution zunächst befürwortet. Die
wichtigste geistige Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderungen war die
Aufklärung. Als am 14. Juli 1789 die Bastille gestürmt wurde, die französische
Nationalversammlung die Menschen- und Bürgerrechte erklärten, dachten viele
Deutsche, dass sich die Ideen verwirklichen ließen, über die bereits Jahrzehnte
berichtet wurde.
1
Für jeden einzelnen, der sich zu den Ereignissen äußerte, sind die Aussagen des
Pro und Contra einigermaßen genau registriert worden. Die Antworten auf die
Französische Revolution sind vielgestaltig, progressiv oder reaktionär,
verständlicher Überschwang des Enthusiasmus ­ Rückkehr zu Besinnung und
Besonnenheit, verstockter Konservatismus ­ verbohrter Utopismus, realistischer
Sinn für die politische Wirklichkeit, sei es als Anerkennung des Neuen, sei es als
Verteidigung des Alten, Humanität als Ergebnis der Revolution ­ Humanität als
Ergebnis ihrer Abwehr. Für und wider, Lob und Tadel sind daher relativ
gleichmäßig verteilt, je nach Denkweise des Chronisten und Geschichtsschreibers.
Die Geschichte dieser Bewertung von Urteilen ist nicht minder interessant als die
Texte und Tatsachen, die beiden zugrunde liegen. Die Romantik und ihre
vermeintliche Haltung zur Revolution ist dabei ein besonders aufschlussreicher
Fall. Die Folgen der romantischen Reaktion auf die Revolution und die
Staatsphilosophie, die daran anknüpft, gehören in entscheidendem Maße zur
Geschichte ihrer Interpretation und ihrer Missverständnisse.
2
Noch im Jahr 1789 traten die ersten Kritiker der Revolution auf den Plan, die den
Dritten Stand zur Nationalversammlung ablehnten.
3
Die meisten deutschen
Schriftsteller distanzierten sich infolge der bekannt werdenden Gräuel im
französischen Nachbarland von der Revolution, da sie annahmen, dass das Volk
1
Vgl. Kuhn, Axel: Die Französische Revolution und Deutschland. In: Die Französische
Revolution: Forschung ­ Geschichte ­ Wirkung. Hrsg. von Helmut Reinalter. Frankfurt/Main,
Bern, New York, Paris: Peter Lang 1991 (=Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle
,,Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850"; Bd. 2), S. 131.
2
Vgl. Brinkmann, Richard: Deutsche Frühromantik und Französische Revolution. In: Deutsche
Literatur und Französische Revolution. Sieben Studien u.a. von Gerhard Kaiser, Walter Müller
Seidel, Kurt Wölfel. Göttingen: Vandenhoeck Ruprecht 1974, S. 172.
3
Vgl. Kuhn, A.: Die Französische Revolution und Deutschland. S. 132.

10
in Deutschland für die Freiheit noch nicht reif sei.
4
Trotzdem waren
Veränderungen
gewünscht.
An
die
Stelle
der
Revolution
trat
die
Reformbewegung des aufgeklärten Absolutismus, der eine behutsame
Veränderung von Staat und Gesellschaft erwirken sollte.
5
Letztendlich wäre dies
der praktikabelste Weg, denn Deutschland war am Ende des 18. Jahrhunderts
ohnehin noch in mehrere Kleinstaaten zerstückelt, die eine einheitliche
Vorgehensweise bei Veränderungen unmöglich werden ließen.
Wer seit 1789 die Revolution ablehnte, galt als Konservativer, wer sich von ihr im
Jahr 1793 distanzierte, galt als Liberaler. Wer 1793 dennoch zur Revolution hielt,
galt in Deutschland als Jakobiner, Demokrat oder Republikaner.
6
Die
Radikalisierung der Revolution bewirkte, dass sich die verschiedenen Interessen
stärker herauskristallisierten.
7
Die Erfahrungen, welche die Zeitgenossen mit der Französischen Revolution
sammelten, führten zu einem grundsätzlichen Nachdenken über die
Veränderbarkeit der Gesellschaft und die Rechtmäßigkeit revolutionärer
Umwälzungen. In diesem Zusammenhang wurde die Rolle der Literatur neu
überdacht. Die Frage, ob Aufklärung zur Revolution führe, bzw., ob die
gewaltsamen Revolutionen durch schriftstellerische Betätigung begünstigt worden
sind, gehörte zu den viel diskutierten Problemen der Revolutionsjahre. Die
Meinungen waren auch hier geteilt. Folglich entwickelten sich neue Positionen,
die sich in drei Hauptrichtungen differenzieren lassen und kurz erläutert werden
sollen:
1)
die klassische Richtung, maßgeblich von Goethe und Schiller bestimmt,
4
Vgl. Gilli, Marita: ,,Volk" bei Georg Forster und den deutschen Jakobinern. In: Volk ­ Nation ­
Vaterland. Hrsg. von Ulrich Herrmann. Hamburg: Meiner 1996 (=Studien zum achtzehnten
Jahrhundert; Bd. 18), S. 49.
5
Vgl. Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 5. überarb. Aufl. Hrsg.
von Wolfgang Beutin u.a.: Stuttgart, Weimar: Metzler 1994, S. 154.
6
Im Übrigen waren alle deutschen Revolutionsanhänger glühende Verehrer Lessings. Lessing war
der erste deutsche Schriftsteller, der die Literatur als Waffe benutzte, um auf
gesellschaftspolitische Missstände aufmerksam zu machen. Er unterwarf sich niemals den von den
traditionell herrschenden Ständen festgelegten Werten und Maßstäben. Frühzeitig ersehnte er eine
demokratische Sozialordnung und eine brüderliche Gleichberechtigung aller Menschen. Vgl. Grab,
Walter: Jakobinismus und Demokratie in Geschichte und Literatur: 14 Abhandlungen.
Frankfurt/Main u.a.: Lang 1998 (=Schriftenreihe: Forschungen zum Junghegelianismus; 2), S. 55
f.
7
Vgl. Kuhn, A.: Die Französische Revolution und Deutschland. S. 133. und Grab, W.:
Jakobinismus und Demokratie in Geschichte und Literatur. S. 19.
Die zahlenmäßig größte und künstlerisch bedeutsamste Strömung des deutschen Geisteslebens war
die liberale Einstellung, die als Ideal eine konstitutionelle Monarchie anstrebte, bei der sich der
Herrscher auf das Bürgertum stützen und auf seine traditionellen Bündnispartner, Adel und Klerus,
verzichten sollte.

11
2)
die romantische Richtung, die insbesondere von den Brüdern Schlegel und
Novalis ausgearbeitet wurde, und
3)
die jakobinische Richtung, die von einer Reihe revolutionärer Demokraten
vertreten wurde.
2.1 Die klassische Beurteilung der Französischen Revolution
Ausgangspunkt für die klassische Literaturauffassung war die Ablehnung der
Revolution.
Unabhängig
davon
befürworteten
,,die
Klassiker"
jedoch
gesellschaftliche Veränderungen. Es ging ihnen darum, an den Ideen der
Revolution festzuhalten, aber Wege aufzuzeigen, wie man deren ´Auswüchse` in
der Jakobinerherrschaft verhindern könne. Die deutschen Klassiker wollten diese
Veränderungen allmählich und nicht auf revolutionärem Wege durchgeführt
sehen. Eine wichtige Funktion wiesen sie dabei der Literatur zu. Diese sollte die
Bevölkerung moralisch verbessern und auf eine Stufe der Sittlichkeit emporheben,
auf der sich gesellschaftliche und politische Veränderungen von selbst, und vor
allem gewaltlos vollziehen würden. Eine moralische Verbesserung des Menschen
schien Schiller nur möglich durch einen Ausgleich zwischen der sinnlichen und
der rationalen Natur des Menschen, deren Diskrepanz der eigentliche Grund für
alle gesellschaftlichen Missstände und die Auswüchse der Französischen
Revolution sei. Dem Schriftsteller wurde dabei die Aufgabe zugedacht, diesen
Ausgleich idealtypisch im Kunstwerk vorwegzunehmen und zu gestalten und dem
Leser in der Person des ,,klassischen Helden", der diesen Ausgleich zwischen
Sinnlichkeit und Rationalität verkörperte, ein Vorbild für die eigene sittliche
Vervollkommnung vor Augen zu führen.
Für die dichterische Praxis bedeutete dies einen weitgehenden Verzicht auf die
Gestaltung der damaligen Wirklichkeit und der in ihr herrschenden Konflikte und
Widersprüche zugunsten einer utopischen Idealisierung der Wirklichkeit.
Angesichts des damaligen Bildungsstandes der Bevölkerung konnte eine solche
auf Idealisierung und Veredlung der menschlichen Natur gerichtete Dichtung nur
von einer äußerst geringen Elite des Bildungsbürgertums begriffen werden. Die
Masse der Bevölkerung wurde nicht erreicht. Die Hoffnung, über eine moralische
Verbesserung des Menschen zu einer Veränderung der politischen Verhältnisse zu
gelangen, war angesichts dieses Dilemmas illusorisch.

12
2.2 Die Einschätzung der Romantiker zur Französischen Revolution
Ähnlich ablehnend wie die Klassiker verhielten sich auch die Romantiker
gegenüber
der
Revolution
in
Frankreich
und
den
zögernden
Revolutionierungsversuchen in Deutschland, wie sie beispielsweise in der
Mainzer Republik vonstatten gingen. Die deutschen Romantiker gingen davon
aus, dass eine Revolution in Deutschland nicht zu wünschen und vom sittlichen
Standpunkt aus zu verurteilen war, obwohl auch gesellschaftliche Veränderungen
von den Romantikern nicht gänzlich abgelehnt wurden. Die Romantiker waren
sich in ihrer Gesellschaftskritik in vielen Dingen mit den Klassikern einig, zogen
jedoch andere literaturtheoretische Konsequenzen. Die romantischen Autoren
brachen programmatisch mit der sozialen Funktion der Kunst und formulierten
demgegenüber
die
Autonomie
der
Dichtung.
Als
funktionslos
oder
funktionsneutral wurde die Literatur sowohl von der Produktionsseite (Autor), wie
auch von der Rezeptionsseite (Leser) her, aus dem aktuellen gesellschaftlichen
Kontext gelöst und auf die Subjektivität ihrer Produzenten und Rezipienten
bezogen. Die vorgefundenen sozialen und politischen Widersprüche sollten nicht
mehr im Medium der Kunst gelöst oder einer Lösung zugeführt werden, sondern
Autor und Leser verschafften sich ersatzweise im Medium der Poesie eine
Freiheit, die ihnen im realen Leben versagt blieb. Der Autonomieanspruch, der in
der Aufklärung polemisch gegen die feudale und klerikale Indienstnahme der
Kunst gerichtet gewesen war und eine progressive Rolle in der Ausbildung einer
neuen bürgerlichen Kunst gespielt hatte, wurde von den Romantikern zwiespältig
behandelt. Zwar blieb in der Autonomieforderung der bürgerliche Protest gegen
politische Instrumentalisierung und gegen Subsumierung unter die Gesetze des
literarischen Marktes bewahrt, aber er berechtigte nur noch zum Rückzug in die
Sphäre der Subjektivität, der Phantasie, des spielerischen Formexperiments und
der ironischen Improvisation. Der romantische Dichter bezog sich ganz auf sich
selbst und seine künstlerische Tätigkeit. Das machte eine Reflexion über das
Wesen der Poesie unumgänglich. Das Ergebnis war eine höchst anspruchsvolle
Poesiekonzeption. Ziel der romantischen Poesie war die Aufhebung der Trennung
zwischen Kunst und Leben, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen
Gegenwart und Vergangenheit, kurz die Poetisierung des Lebens anstelle seiner
Politisierung. Im Rückgriff auf das deutsche Mittelalter und religiöse und
mythologische Vorstellungsbereiche sollte eine poetische Gegenwelt zur

13
verachteten Gegenwart entworfen werden. Die Orientierung am Mittelalter und
die damit verbundene Verherrlichung vorkapitalistischer Produktions- und
Lebensweisen konnte keine Alternative zum realen Frühkapitalismus sein und ist
als Flucht vor den bestehenden Verhältnissen einzuschätzen. Auswirkungen hatte
diese Poesiekonzeption auch auf das Selbstverständnis des Dichters. Die
Romantiker knüpften an die Genieauffassung der Stürmer und Dränger an und
verstärkten die subjektivistischen und irrationalistischen Elemente bis hin zur
Vergöttlichung der Kunst und des Künstlers. Tatsächlich waren die Stilisierung
der Kunst zur Religion und das übersteigerte Selbstbewusstsein des Künstlers
Ausdruck und zugleich Kompensation realer politischer Ohnmacht. Nicht zufällig
stand im Mittelpunkt der romantischen Dichtung die Gestaltung der
Künstlerproblematik, die an dem schmerzlich erfahrenen Widerspruch zwischen
künstlerischem Selbstverständnis und bürgerlicher Alltagswelt aufbrach.
8
2.3 Das Modell der Literatur aus Sicht der deutschen Jakobiner
Ein Gegenmodell zur klassischen und romantischen Literatur liegt bei den
Schriftstellern vor, die von der Reaktion als Jakobiner diffamiert wurden, von
ihrem Selbstverständnis her aber jenen Typus des politischen Schriftstellers
verkörperten, der in Deutschland nicht anerkannt, sondern fast immer nur
diskreditiert worden ist. Die politischen Vorstellungen waren dabei keineswegs
einheitlich, sie differierten von einem eher gemäßigten Reformismus bis hin zu
radikalen Konzepten einer revolutionären Umgestaltung Deutschlands. Abhängig
waren diese Konzepte, abgesehen von der sozialen und politischen Herkunft der
Autoren, auch von den Orten, an denen die einzelnen Schriftsteller lebten. So
waren die praktischen Wirkungsmöglichkeiten in Mainz oder im süddeutschen
und linksrheinischen Raum ungleich größer als etwa in Norddeutschland oder in
Preußen, wo die Reformbewegung des aufgeklärten Absolutismus revolutionär
gesonnenen Intellektuellen den ´Wind aus den Segeln` nahm.
Einheitlicher als die politischen Konzepte, die von so vielen örtlichen,
biographischen und zeitlichen Gegebenheiten abhingen, waren die Vorstellungen
von der Rolle der Literatur im gesellschaftlichen Prozess. Gegen das Programm
der ästhetischen Erziehung Schillers setzten die jakobinischen Autoren ihr Modell
einer eingreifenden Literatur. Generell schätzten die jakobinischen Autoren die
8
Vgl. Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. S. 156 ff.

14
Wirksamkeit der Literatur eher skeptisch ein und gaben der direkten politischen
Aktion
den
Vorzug.
Die
skeptische
Einstellung
gegenüber
den
Wirkungsmöglichkeiten der Literatur ist Ausdruck der Auffassung, dass die
Verhältnisse nicht durch Literatur, sondern nur durch revolutionäre Handlungen
überwunden werden können. Dass die Literatur dennoch einen so zentralen
Stellenwert für den deutschen Jakobinismus hatte, steht zu dieser generell
skeptischen Einstellung und der speziellen Gegnerschaft dem klassischen Konzept
der ,,ästhetischen Erziehung" gegenüber nicht im Widerspruch. Der von den
Jakobinern immer wieder beschworene Gegensatz zwischen ,,Wort und Tat", d.h.
zwischen literarischer und politischer Praxis, ist nicht antinomisch zu verstehen,
sondern er lässt sich historisch-dialektisch auflösen. Er resultiert aus der
spezifischen gesellschaftlichen Situation in Deutschland am Ende des 18.
Jahrhunderts und kann durch eine Dichtung überwunden werden, die sich
politisch begreift und sich in den Dienst der Aufklärung der unterprivilegierten
Volksschichten stellt. Nicht ,,ästhetische Erziehung" im klassischen Sinne,
sondern politische Erziehung, d.h. Aufklärung der Bevölkerung über ihre Rechte
und Pflichten im Medium der Literatur, ist die Antwort des jakobinischen
Schriftstellers auf die vorgefundene gesellschaftliche Situation. Eine solche
Erziehung zielt nicht wie das klassische Konzept auf eine Vermeidung der
Revolution, sondern versucht, bei der Bevölkerung Einsichten für die
Notwendigkeit einer solchen Revolution zu wecken. Damit wird die Dichtung
unmittelbar zu einem Element der revolutionären Praxis. Sie verliert an
Bedeutung bzw. verändert ihren Charakter, sobald die Umwälzung der
Verhältnisse sich vollzogen hat und die bürgerliche Republik errichtet ist.
Der Bruch mit der klassischen und romantischen Literaturkonzeption erfolgte in
dreifacher Hinsicht:
1)
im Selbstverständnis des Künstlers,
2)
in einer neuen Auffassung der Form-Inhalt-Problematik und
3)
in
der
Stellung
künstlerischer
Tätigkeit
im
gesellschaftlichen
Lebensprozess.
Anknüpfend an Funktionsbestimmungen der Literatur in der Aufklärung und
insbesondere in der Sturm-und-Drang-Poetik, wiesen die Jakobiner der Literatur
folgende Aufgaben zu:

15
1)
Literatur sollte Kritik an den bestehenden Verhältnissen liefern und zur
Entlarvung der herrschenden Ideologie beitragen,
2)
mit Hilfe von Literatur sollten der Bevölkerung gesellschaftspolitische
Kenntnisse und Einsichten in die Veränderbarkeit der Verhältnisse
vermittelt werden,
3)
durch Literatur sollte die Kluft zwischen einer kleinen Gruppe
jakobinischer Intellektueller, die sich als revolutionäre Avantgarde
verstanden, und der Masse der Bevölkerung, dem eigentlichen Träger der
Revolution, überwunden werden und
4)
die Literatur sollte nicht nur den Intellekt ansprechen, sondern auch die
Emotionen der Leser wecken.
Jakobinische Autoren wie Forster, Rebmann und Knigge sahen ihre Aufgabe
darin, die deutsche Öffentlichkeit über die politische Entwicklung im Nachbarland
zu informieren und auf diese Weise Impulse für revolutionäre Veränderungen in
Deutschland zu geben.
Reiseberichte, Reisebeschreibungen, Reiseromane und der satirische Roman
gehörten zum bevorzugten Repertoire jakobinischer Autoren, aber auch mit
radikaler Lyrik (z.B. Gottfried August Bürger) traten die jakobinischen Verfasser
in die Öffentlichkeit.
9
Wie erfolgte nun die literarisch-künstlerische Umsetzung des historischen Stoffes
der Französischen Revolution in den Werken deutscher Autoren?
3. Die literarische Umsetzung und Verarbeitung des historischen Stoffes der
Französischen Revolution
Die Französische Revolution war nicht nur ein zentrales politisches Ereignis, dass
die Staaten Westeuropas nachhaltig veränderte, sondern auch ein publizistisches
Großereignis, welches großen Einfluss auf die Literatur nach 1789 nahm. Peter J.
Brenner
10
weist explizit darauf hin, dass eine unmittelbare Auseinandersetzung
mit der politischen Gegenwart erst nach 1789 in der deutschen Literatur einsetzte.
Demnach ist der deutsche Beitrag zur Französischen Revolution gering, weil die
Ideen der deutschen Aufklärung kaum zum Tragen gekommen sind.
9
Vgl. Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. S. 182 ff.
10
Vgl. Brenner, J. Peter: Neue deutsche Literaturgeschichte. Vom ,,Ackermann" zu Günter Grass.
2. akt. Aufl. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 92 f.

16
Auf die Rolle der Kunst zwischen den beiden Revolutionen von 1789 und 1830
wird in der Forschung immer wieder verwiesen. Niemals zuvor in der Geschichte
war es zu einer solchen Flut von politischen Zeitschriften, Zeitungen und
Broschüren,
von
Flugblattliteratur,
Aufrufen,
Bekenntnisschriften
usw.
gekommen wie seit 1789.
11
Es
überwiegen
dabei
jedoch
Tageskommentare
und
Stellungnahmen
zeitgenössischer (männlicher) Berichterstattung. Evident wird ein Mangel an
dramatischer und epischer Bearbeitung des Stoffes. In diesem Zusammenhang
stellt Helmut Koopmann die Frage, ob das Ereignis als solches zu dramatisch
gewesen sei.
12
Dem hält Harro Zimmermann entgegen, dass es sowohl in der
Lyrik als auch in der Dramatik und Epik in den Jahren nach der Bastille-
Erstürmung keinesfalls ,,zum Versiegen der Literaturproduktion"
13
in einer der
drei Gattungen kam. Das Gegenteil war der Fall, beispielsweise wurde ein
,,wahres Romanfieber"
14
am Ende des achtzehnten Jahrhunderts diagnostiziert,
was heute unter dem Kunstbegriff Trivialliteratur
15
zusammengefasst wird.
Die literarischen Reaktionen in Dramen, Gedichten, Erzählungen und Romanen,
insofern sie mit der Französischen Revolution in Verbindung gebracht werden
können, sind in der Regel keine Spiegelungen dieses Ereignisses. Indem das
revolutionäre Geschehen in einer der drei Großgattungen nacherzählt wird, erfolgt
auch eine Bewertung und ist zugleich eine Analyse der Revolution, oftmals in
ihrer Ganzheit. Die literarische Umsetzung erhält somit eine existentielle
11
Vgl. Zimmermann, Harro: Die Französische Revolution in der deutschen Literatur 1789-1989.
In: Schreckensmythen, Hoffnungsbilder: die Französische Revolution in der deutschen Literatur;
Essays. Hrsg. von Harro Zimmermann. Frankfurt/Main: Athenäum 1989, S. 8. Vgl. Deutsche
Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. S. 154 f.
12
Vgl. Koopmann, Helmut: Freiheitssonne und Revolutionsgewitter: Reflexe der Französischen
Revolution im literarischen Deutschland zwischen 1789 und 1840. Tübingen: Niemeyer 1989
(=Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; Bd. 50), S. 6 f.
13
Zimmermann, H.: Die Französische Revolution in der deutschen Literatur 1789-1989. S. 8.
Gerade die sogenannte Unterhaltungsliteratur der deutschen Spätaufklärung vermochte neue und
zeitnahe Stoffe aufzunehmen und in die Diskussion zu bringen.
14
Ebd. S. 9.
15
Den Begriff Trivialliteratur kannte man am Ende des 18 Jahrhunderts noch nicht. Es wurde
unterschieden zwischen guter oder weniger guter Literatur. Die wachsende Produktion von
Trivialliteratur ist dem vermehrten Lesebedürfnis zu zuschreiben. Im Medium der Trivialliteratur
wurde der Kampf für oder gegen die Revolution offensiv geführt. Die trivialen Genres
entwickelten sich dort, wo die ,,höherwertige Literatur" die Mehrheit der Masse nicht mehr
erreichte. Die Entstehung der Trivialliteratur ist die historische Antwort auf das an der ,,großen
Masse" vorbeizielende Konzept der ästhetischen Erziehung und auf die Autonomiebestrebungen
der romantischen Dichtung. Zugleich ist sie eine politische Reaktion auf das Konzept der
eingreifenden Literatur, das die Jakobiner vertraten. Den Trivialautoren gelang es, und dies
politisch konform, vorbei an der Zensur und ohne Angst vor Verfolgungen, ein Massenpublikum
zu erreichen. Vgl. Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. S. 160.

17
Komponente der Revolution und am Ende werden Revolutionshoffnungen oder
Revolutionsbefürchtungen
meist
deutlicher
sichtbar
als
in
direkten
Stellungnahmen.
Die Französische Revolution ist in ihrer literarischen Verarbeitung häufig Geistes-
und Seelengeschichte. Die Romane, Erzählungen, Dramen und Gedichte weisen
nach, in welchem Ausmaß der Einzelne oder die Einzelne von der Revolution
betroffen war. Die fiktionale Literatur lässt die Umsetzung der allgemeinen
Weltgeschichte in dem Erfahrungsbereich literarischer Figuren erkennen, die
nicht mit dem Autor identisch sein müssen, die aber die Identität mit dem Leser
suchen. Aufschlussreicheres über die Wirkung der Revolution erfährt man aus den
literarischen Bearbeitungen eher als über theoretische Betrachtungen.
16
Die Zunahme des Lese- und Informationsbedürfnisses im späten achtzehnten
Jahrhundert verstärkte den Anspruch des Romanautors, den Wirklichkeits- und
Wahrhaftigkeitsgehalt seiner Einbildungen ins rechte Licht zu rücken. Die Genres
und Motive der epischen Aufarbeitung des bedeutendsten Zeitphänomens kannten
damals kaum eine Grenze.
17
4. Die historiographische Beurteilung von politisch aktiven Frauen in der
Französischen Revolution
Die historiographische Rezeption von Frauen der Französischen Revolution
widmete sich vor allem aus dem Blickwinkel der Zeit auf Persönlichkeiten des
öffentlichen Interesses wie Marie-Antoinette, Madame de Stael, auf Frauen der
besseren Gesellschaft, z.B. Madame de Condorcet und Madame Roland oder auf
Frauen der Konterrevolution, z.B. Charlotte Corday. Eine weitere Kategorie
literarischer bzw. pseudowissenschaftlicher Darstellung sind die ,,Frauen aus dem
Volk", denen Zügellosigkeit, Brutalität und Triebhaftigkeit ­ gleichsam
,,tierische[s] Instinktverhalten"
18
­ unterstellt wurde.
Mit diesen zweifellos bedeutenden Frauen, die Macht, Einfluss und Bildung
erfahren hatten, beschäftigte sich die Forschung, ohne Anspruch auf eine
16
Vgl. Koopmann, H.: Freiheitssonne und Revolutionsgewitter. S. 8 f.
17
Vgl. Zimmermann, H.: Die Französische Revolution in der deutschen Literatur 1789-1989. S.
10.
18
Vgl. Petersen, Susanne: Frauen in der Französischen Revolution. In: Die Französische
Revolution: Forschung ­ Geschichte ­ Wirkung. Hrsg. von Helmut Reinalter. Frankfurt/Main,
Bern, New York, Paris: Lang 1991 (=Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle
,,Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850"; Bd. 2), S. 74.

18
wissenschaftlich fundierte biographische Annäherung und die einzelne Frau und
ihr Schaffen im gesellschaftlichen Kontext genauer zu erfassen.
19
Der antifeministische Diskurs stützte sich auf Vorwürfe von Zeitgenossen
gegenüber politisch aktiven und engagierten Frauen, der teilweise bis heute
anhält. Frühzeitig wandten sich unter anderem Christoph Martin Wieland,
Friedrich Schiller, Johann Wolfgang Goethe, Johann Wilhelm Ludwig Gleim,
Matthias
Claudius
usw.
gegen
den
,,tumultuarischen
Sturm
einer
racheschnaubenden
Volksmenge"
in
Paris,
gegen
das
grassierende
,,Freiheitsfieber" einer schwärmerischen Nation, das zu nichts anderem führen
könne als zu Egoismus, Anarchie und Tyrannei.
20
Friedrich Schiller, der immerhin einmal Ehrenbürger Frankreichs gewesen war,
veröffentlichte 1799 nachfolgendes Gedicht. In seinem Lied von der Glocke
spricht er nicht nur der Volksbewegung insgesamt die Kompetenz ab,
gestalterisch konstruktiv in den Lauf der Geschichte einzugreifen, sondern einige,
besonders bissige Passagen maßregeln allein das öffentliche Eingreifen von
Frauen in die Revolution:
,,[...]. Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruh´ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher;
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster werden frei.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des
Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Stadt und Länder ein. [...]."
21
19
Vgl. Petersen, S.: Frauen in der Französischen Revolution. S. 73.
20
Vgl. Zimmermann, H.: Die Französische Revolution in der deutschen Literatur 1789-1989. S.
11. sowie Grab, W.: Jakobinismus und Demokratie in Geschichte und Literatur. S. 18.
21
Schiller, Friedrich: Gedichte. Hrsg. von Georg Kurscheidt. Frankfurt/Main: Deutscher Klassiker
1992, S. 56-68, hier S. 66 f. Das Lied von der Glocke entstand zwischen Sommer 1797 und Ende
September 1799.

19
Schiller stellte Frauen als fleischfressende Bestien dar, die sich an der Angst ihrer
Opfer erfreuen, die sie zur eigenen Lustbefriedigung erst lange quälen müssen,
bevor sie ihren Feinden das Leben nehmen und sich geradezu blutrünstig ihres
Herzens bemächtigen. Zweifellos wurden Schillers Passagen aber auch durch jene
Briefe und Berichte stimuliert, die deutsche Revolutionszeugen nach Hause
schickten, welche unter dem Eindruck der letzten gescheiterten Aktionen im
Frühjahr 1795 von den aktiven Pariser Sansculottinnen entstanden waren.
22
Eine wissenschaftlich dezidierte Untersuchung über die Frauen der Revolution
setzte in den 1960er Jahren ein. Hierbei wurden insbesondere die Sozialstruktur,
Lebensverhältnisse, Formen des politischen Engagements und Zielvorstellungen
sowie ökonomische Motive untersucht, die das Frauenbild der Revolutionszeit
komplettierten.
23
Die Forderungen der Frauen waren eindeutig und unmissverständlich:
1)
Abbau bestehender Diskriminierungen unter Einschluss politischer
Rechte,
2)
Forderung nach Bildung und Ausbildung,
3)
Ökonomischer
Schutz
nach
Scheidung
und
zivilrechtliche
Gleichbehandlung und Gleichstellung,
4)
Befreiung der Frau von der Vorherrschaft des Vaters oder Ehemannes und
volle Geschäftsfähigkeit.
24
Die Meinungen und Beurteilungen deutscher Zeitgenossen zur Französischen
Revolution sind, wie bereits angedeutet wurde, in zahlreichen Sammelbänden
veröffentlicht und untersucht worden. Sucht man in diesem Quellenmaterial nach
den Aussagen von weiblichen Zeitgenossen, wird die Diskrepanz in der
unterschiedlichen Tradierung politischer Äußerungen von Frauen und Männern
deutlich. Zeitzeugnisse von Frauen werden spärlich zitiert und stehen häufig in
biographischem Kontext zu Männern.
So erhalten beispielsweise Therese Huber und Caroline Schlegel-Schelling einen
Platz in der Revolutions-Literatur-Geschichtsschreibung, weil sie als Ehefrau
bzw. Mitstreiterin von Georg Forster an der Gründung der Mainzer Republik
22
Vgl. Petersen, S.: Frauen in der Französischen Revolution. S. 74.
23
Vgl. Ebd., S. 75.
24
Vgl. Ebd., S. 76.

20
beteiligt waren. Die ambivalente Situation von Frauen unterwirft diese dem
Paradox, zugleich beteiligt und ausgegrenzt zu sein.
25
5. Zeitliche Einordnung, realhistorische Aspekte, Ursachen und Hintergründe der
Französischen Revolution
Wenn man die Gegenwart unserer Gesellschaft in Europa und Nordamerika aus
ihren geschichtlichen Bedingungen erfassen will, wird häufig als Ausgangspunkt
die Französische Revolution von 1789 und die Industrielle Revolution zu Beginn
des 19. Jahrhundert genannt. Beide Ereignisse machen in teils dramatischer, teils
besonders deutlicher Form Akzente sichtbar, die seitdem mit besonderem Gewicht
die Geschichte des 19. Jahrhunderts bis in unser Jahrhundert hinein geprägt
haben. In der Französischen Revolution wurden der Absolutismus und das Ancien
Régime gestürzt, und es begann der moderne Prozess der Demokratisierung
zunächst in der Staatsform, später in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Mit der sogenannten Industriellen Revolution setzte ab 1800 ­ zunächst in
England, dann in ganz Europa und Nordamerika ­ der Industrialisierungsprozess
unserer Gesellschaft besonders deutlich erkennbar ein.
Die genannten Prozesse setzten nicht erst ab diesem Zeitpunkt ein, sondern
wurden zu dieser Zeit nur deutlicher sichtbar. Zum anderen stellen sie nicht die
letzte Ursache für Umgestaltungen dar und entwickeln sich auch nicht
unverbunden nebeneinander, sondern in ständiger Wechselwirkung. Die
Benennungen der Prozesse, wie Demokratisierung oder Industrialisierung,
bezeichnen mehr nur Brennpunkte der Geschichte, jedoch nicht den ganzen Inhalt
der Umwandlungen.
26
5.1 Kennzeichen der vorindustriellen Gesellschaft
Man kann die Neuartigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse im 19. und 20.
Jahrhundert nur aus den Eigenarten der sich auflösenden gesellschaftlichen
Struktur erkennen und daran messen. Zusammenfassend lässt sich die
untergehende Ordnung kennzeichnen als eine ständisch-agrarische Ordnung vor
allem (gesamt) europäischer Prägung.
25
Vgl. Vahsen, Mechthilde: Die Politisierung des weiblichen Subjekts: Deutsche
Romanautorinnen und die Französische Revolution (1790-1820). Berlin: Erich Schmidt 2000
(=Schriftenreihe: Philologische Studien und Quellen ; 162), S. 19 f.
26
http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?quid=XTOAFXpage=0
(In: Informationen zur politischen Bildung, Heft 164)

21
Als spezifisch unterscheidende Merkmale dieser Ordnung im Vergleich zu den
neuen Lebensverhältnissen kann man also nennen:
·
ihr vorwiegend agrarischer Charakter
27
,
·
ihre ständische Struktur
28
,
·
die zentrale Stellung der meist geheiligten Traditionen in dieser
Gesellschaft
29
,
·
die Überwölbung der ganzen gesellschaftlichen Ordnung durch die
kirchliche Vormundschaft über Einhaltung und Deutung der kulturellen
Normen und der Interpretation des menschlichen Daseins.
30
Die Französische Revolution ist so nicht nur ein politisches Drama und die
Industrialisierung nicht nur ein technischer Vorgang, sondern beide stehen in
Verbindung mit tiefgehenden sozialen, ökonomischen und kulturellen
27
Die große Mehrheit der Bevölkerung in Europa (zwischen 70 und 80%) lebte im 18. Jahrhundert
von der Landwirtschaft und in ländlichen Siedlungen.
Vgl. http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?quid=XTOAFXpage=0
(In: Informationen zur politischen Bildung, Heft 164)
28
Über die Bezeichnung ,,Stände" für soziale Schichtungen gibt es eine noch nicht abgeschlossene
Debatte. Die Unterschiede zwischen den Schichten bestanden nicht nur im ökonomischen,
sozialen und soziokulturellen Bereich, sondern waren auch rechtlicher Natur. Die Rechte und
Pflichten, die Chancenunterschiede und beruflich erwerbsmäßigen Tätigkeiten waren auf die
verschiedenen sozialen Schichten durch Rechtsvorschriften verschieden und in einer Rangordnung
verteilt, deren Einhaltung öffentlich erzwingbar war und erzwungen wurde. Ein Wechsel zwischen
den in der ständischen Ordnung wichtigsten Schichten/Stände war erschwert und nicht frei vom
persönlichen Entschluss der Menschen. Man bezeichnet die damalige Gesellschaft auch
Abstammungsgesellschaft im Gegensatz zu unserer heutigen Leistungsgesellschaft.
Die Einteilung und Benennung der verschiedenen Stände war in Europa nicht überall gleich, aber
ähnlich. Überall aber stand über allem der Grund besitzende weltliche und geistliche Adel mit den
Fürsten und Königen an der Spitze der Hierarchie. Der Adel kontrollierte die Bodennutzung und
lebte hauptsächlich von den Abgaben und Dienstleistungen der ihm unterworfenen Bauern. Der
Adel stellte die Befehlsgewalt der bewaffneten Kräfte, lange Zeit hindurch auch die Gerichtsherren
und die Verwalter der öffentlichen Ämter. In den meisten Fällen war der Adel bis ins 18.
Jahrhundert hinein, wie z. B. auch in Frankreich, von der Steuerzahlung befreit.
Nach Schätzungen machte der Grund besitzende Adel in Frankreich im 18. Jahrhundert etwa 1,5
bis 2 % der gesamten Bevölkerung aus, besaß aber etwa 50 % des bebauten Bodens und
kontrollierte große Teile des übrigen Bodens durch Abgaben und Frondienstverpflichtungen der
Bauern.
In viel größerem Umfang als heute war überhaupt die Wahlmöglichkeit des Menschen im Hinblick
auf den Wohnort, die Arbeitsstelle und Berufszugehörigkeit und Heirat durch die gesamte
Organisation der Gesellschaft in einer hierarchischen Ordnung von Über- und Unterordnung direkt
geregelt. Vgl. Ebd.
29
Im Verhalten, in der Verteilung der Rechte und Pflichten, in der Erziehung, im religiösen und
allgemeinen Brauchtum, ebenso in der Arbeitsweise des Handwerks und des Bauern und im
Handel spielten neben den Satzungen geheiligte Traditionen, die Überlieferungen von den
Vorfahren eine viel größere Rolle als in unserer Welt der beschleunigten Veränderungen. Vgl.
Ebd.
30
Das ganze war überwölbt durch die religiöse, kulturelle und moralische Entscheidungsgewalt
der kirchlichen Organisation, die die Tradition, die Über- und Unterordnung als gottgewollt
interpretierte und damit zur Einhaltung der Normen und zur Unterordnung in der Hierarchie
beitrug. Vgl. Ebd.

22
Veränderungen oder hatten solche zur Folge. Die beiden genannten Ereignisse
und die mit ihnen verbundenen Prozesse signalisierten zunächst nicht nur eine
Erneuerung der Lebensgewohnheiten, sondern auch die Auflösung und den
Untergang einer nicht mehr zeitgemäßen Lebens- und Gesellschaftsordnung.
Insofern kann man durch sie so etwas wie eine sozialgeschichtliche Wetterscheide
charakterisieren.
31
5.2 Realhistorische Hintergründe und Verlauf der Französischen Revolution ­ Ein
Überblick
Das welthistorisch bedeutsame Ereignis der Französischen Revolution wird in der
neuen Historiographie zu Recht als wichtige Übergangs- bzw. Umwälzungsphase
bezeichnet, in deren Verlauf grundlegende Veränderungen der politischen,
sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse Frankreichs erfolgten.
32
Die Bedeutung der Französischen Revolution liegt jedoch nicht nur in der
Beseitigung der alten gesellschaftlichen Zustände, an deren Stelle eine neue, der
Aufklärung verpflichtete Staats- und Rechtsordnung trat, sondern auch darin, dass
dieses revolutionäre Ereignis im Rahmen einer sich über mehrere Jahrhunderte
erstreckenden bürgerlichen Emanzipationsbewegung neben den tatsächlich
durchgesetzten politischen Umstrukturierungen in Frankreich verschiedene
gesamteuropäische Wirkungen hervorrief.
Die Französische Revolution hat im eigenen Land der sozialen Schicht des Besitz-
und Bildungsbürgertums zur Macht verholfen und 1791 den ersten demokratisch
legitimierten
modernen
Nationalstaat
mit
Repräsentativverfassung
hervorgebracht. Mit der Zerstörung des Römischen Reiches Deutscher Nation
erschütterte und veränderte sie das europäische Staatensystem grundlegend.
Darüber hinaus hat sie auch im Inneren der europäischen Staaten tiefgehende
Veränderungen und Reformen bewirkt.
33
Die Epoche von 1789 bis 1799, in deren Verlauf das Ancien Régime gewaltsam
beseitigt wurde und die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
31
Vgl. http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?quid=XTOAFXpage=0
In: Informationen zur politischen Bildung (Heft 164)
32
Vgl. Kuhn, Axel: Die Französische Revolution. Stuttgart: Reclam 1999, S. 11.
33
Vgl. Reinalter, Helmut: Demokratie und Französische Revolution. In: Die Französische
Revolution. Forschung ­ Geschichte ­ Wirkung. Hrsg. von Helmut Reinalter. Frankfurt/Main,
Bern, New York, Paris: Lang 1991 (=Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle
,,Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850"; Bd. 2), S. 93.

23
Verhältnisse neu geordnet wurden, wird in der Geschichtswissenschaft als
Französische Revolution bezeichnet. Die Französische Revolution ging aus der
Unfähigkeit des Ancien Régime hervor, seine Strukturen der veränderten sozialen
und geistigen Situation des späten 18. Jahrhunderts anzupassen. Die Ablehnung
von Reformversuchen und der Staatsbankrott von 1788 verschärften die
Autoritätskrise des Königtums, die in die Revolution von 1789 mündete.
34
Die Revolution lässt sich in drei Hauptphasen gliedern:
1)
Errichtung und Sturz der konstitutionellen Monarchie (1789/1792);
2)
die Konventsherrschaft der Girondisten
35
und Jakobiner
36
(1792/1794), die
in ihrer 2. Hälfte die Diktatur des Wohlfahrtsausschusses (La Terreur)
unter Robespierre umschloss und
3)
die bürgerliche Republik (1794-99)
37
, seit 1795 unter dem Direktorium.
34
Vgl. Brockhaus-Enzyklopädie: Französische Revolution. 19. völlig neu bearbeitete Aufl., Bd. 7.
Mannheim: Brockhaus 1988, S. 585. und In: Informationen zur politischen Bildung (Heft 164)
http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?quid=XTOAFXpage=0
Die sozialhistorischen Gründe der Französischen Revolution sind darauf zurück zu führen, dass
der verschuldete Adel seiner ökonomischen, verwaltenden und militärischen Funktionen immer
weniger nachkam und am Hof von Versailles ein verschwenderisches Leben führte. Bereits unter
Ludwig XIV (1661-1715) entwickelte das Königtum einen immer größeren bürokratischen
Apparat und verschuldete sich durch ausgedehnte Kriege, so dass es durch immer größere
Steuerlast und zentralisierte Einengung auch des städtischen Lebens für die große Masse der
Bevölkerung zunehmend zu einer schweren Belastung wurde. Trotz immer weiterer Steuern, die
der dritte Stand zu zahlen hatte, wie Wegesteuern, Salzsteuern, Kopfsteuern oder Fenstersteuern
wurde im 18. Jahrhundert das Staatsdefizit immer größer. Vgl. In: Informationen zur politischen
Bildung (Heft 164): http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?quid=XTOAFXpage=0
35
Nach dem Departement Gironde, aus dem mehrere Anführer stammten, benannte politische
Vereinigung, die die Interessen des kleinen und mittleren Bürgertums vertrat. Die Girondisten
arbeiteten zunächst mit den Jakobinern für die Errichtung der Republik zusammen, traten dann
aber für einen gemäßigt-liberalen, die Besitzverhältnisse nicht antastenden Kurs ein. Ihre Anführer
fielen der Agitation und Gewaltanwendung der Jakobiner und Sansculotten zum Opfer und wurden
als Gegenrevolutionäre am 31. Oktober 1793 hingerichtet u.a. Brissot, Vergniaud, Condorcet. Vgl.
Kuhn, A.: Die Französische Revolution. S. 98 ff.
36
Nach dem ursprünglichen Tagungsort im Pariser Jakobinerkloster bekannter politischer Klub,
dessen weit verzweigte Organisation sich über ganz Frankreich und bis ins Ausland erstreckte.
Seine bekanntesten Führer waren Robespierre, Danton, Marat, St. Just. Die Jakobiner traten für
politische Gleichheit, eine starke Staatsmacht und die rücksichtslose Verfolgung aller Gegner der
Revolution ein. Sie waren politisch für den Terror (La Terreur) verantwortlich. Die Herrschaft der
französischen Jakobiner begann mit dem Sturz der Girondisten am 2. Juni 1793 und dauerte bis
zur Hinrichtung Maximilien Robespierres am 28. Juli 1794. Vgl. Kuhn, A.: Die Französische
Revolution. S. 101 ff.
37
Die Regierungsgewalt wurde einem gemäßigten bürgerlichen
fünfköpfigen Direktorium
übertragen (1795). Die Direktorialverfassung blieb nur vier Jahre in Kraft. 1799 stürzte Napoleon
Bonaparte das Direktorium und errichtete unter dem Namen des Konsulats eine Militärdiktatur,
die er 1804 in das Kaisertum umwandelte. In: Informationen zur politischen Bildung, Heft 163:
http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?quid=TPIW5Ipage=0

24
In einem gerafften Überblick soll der Verlauf der Französischen Revolution bis
zum Sturz der Jakobiner dargestellt werden. Im Anschluss daran werden die
Auswirkungen auf die Mainzer Republikgründung nachgezeichnet.
Der Verlauf der Französischen Revolution und vor allem die aus ihr entstandene
Expansionspolitik Napoleons zwangen die europäischen Staaten, sich mit den
revolutionären
Errungenschaften
auseinanderzusetzen.
Insbesondere
die
Erklärung der Menschenrechte vom 26. August 1789, die Verkündung der
Verfassung vom 3. September 1791, und die Erlassung des Code civil bzw. Code
Napoleon im Jahr 1804, entwickelten so viel revolutionäres Potential, dass dieser
zwar mit zeitlichen Unterschieden in den europäischen Staaten, letztlich aber
flächendeckend als Vorbild einer politischen, ökonomischen und juristischen
Modernisierung übernommen wurde. Nach der Einberufung der Generalstände am
5. Mai und dem Sturm auf die Bastille vom 14. Juli 1789 kam es bereits Anfang
August zur Abschaffung der Feudalordnung und am 26. August zur Erklärung der
Menschenrechte.
Die Proklamation persönlicher Freiheit (Liberte), Rechtsgleichheit (Agalite) und
einer Art Weltbürgertum (Fraternite) als grundlegende Menschenrechte konnte
jedoch weder über katastrophale Versorgungsverhältnisse noch über höchst
unübersichtliche politische Machtkonstellationen von revolutionären und
gegenrevolutionären Kräften hinwegtäuschen. Die Revolutionsverfassung vom
September 1791 begründete eine konstitutionelle Monarchie, in der die Rechte
und die Macht des Königs stark eingeschränkt und andererseits die legislativen
Kompetenzen der Nationalversammlung gestärkt wurden. Ausgehend von einem
Zensuswahlrecht
38
, das die Möglichkeit des aktiven Wahlrechts an den Besitz und
Eigentum koppelte, wurde über ein Wahlmännergremium die gesetzgebende
Nationalversammlung, bestehend aus 745 Abgeordneten, gewählt. Die Beamten,
Richter und Geschworenen wurden direkt gewählt und von der Legislative
kontrolliert. Die systematische Trennung von Exekutive, Legislative und
Judikative wurde zu einem Grundpfeiler aller späteren bürgerlichen
Verfassungen.
38
Die Beschränkung des Wahlrechts auf bestimmte Einkommensschichten und die Einteilung der
Wahlkörperschaften nach der Höhe des Steueraufkommens, mit der Wirkung, dass die Stimmen
der Reichen einen höheren Zählwert besitzen als die der weniger Bemittelten. Diese
Einschränkungen sind soziale Schranken, die die Grenzen der bürgerlichen Demokratie in dieser
Phase der Französischen Revolution klar aufzeigen. Vgl. Reinalter, H.: Demokratie und
Französische Revolution. S. 95.

25
Ein Jahr nach dem Erlass der Verfassung, im September 1792, wurde die
konstitutionelle Monarchie von der Nationalversammlung abgeschafft und
Frankreich zur Republik erklärt. Die hieraus folgende Konventsverfassung hob
das Zensuswahlrecht auf und entwarf eine direkte und absolute Volksherrschaft,
in der über jedes Gesetz eine Volksabstimmung herbeigeführt werden sollte.
Praktiziert wurde diese direkte Demokratie jedoch nicht. Stattdessen führten die
inneren Zersplitterungen und Widersprüche der Revolution und ihre äußeren
Bedrohungen durch die sogenannten Koalitionskriege zu einer Verschärfung der
Auseinandersetzungen und zur Herausbildung von diktatorischen Verhältnissen.
Nach der Hinrichtung des Königs Ludwig XVI am 21. Januar 1793 trat die
Französische Revolution in eine Phase des Terrors ein, in der ausgehend vom
Wohlfahrtsausschuss Robespierres und Dantons die Menschenrechte diktatorisch
außer Kraft gesetzt wurden. In den Jahren der Schreckensherrschaft von
Jakobinern und Sansculotten
39
, 1793 und 1794, wurden Hunderte von Menschen
der
Konterrevolution
bezichtigt,
in
Spruchkammerverfahren
des
Revolutionstribunals zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet. Was als
entschiedene Maßnahme zur Rettung der revolutionären Bewegung angesichts
nach wie vor katastrophaler sozialer und ökonomischer Verhältnisse, politischer
Unruhen in der Provinz, royalistischer Aufstände, militärischer Niederlagen und
einer Zersplitterung der Revolutionäre selbst angelegt war, endete mit der
Hinrichtung Robespierres, der Entmachtung der Jakobiner, der Aufhebung des
Revolutionstribunals und der Einsetzung einer Direktoratsverfassung, in der sich
erneut das Zensuswahlrecht des girondistischen Besitzbürgertums durchsetzte.
40
5.3 Die Mainzer Republik ­ Ein kurzer historischer Exkurs
Einen ersten Höhepunkt deutscher republikanischer Bestrebungen bildete die
Mainzer Republik. Sie existierte rund fünf Monate, von Ende Oktober 1792 bis
Anfang April 1793.
Nach der Bildung einer Kriegskoalition von Österreich und Preußen gegen das
revolutionäre Frankreich zu Beginn des Jahres 1792 erklärte dieses den Krieg. Der
39
Eine in den Pariser Stadtbezirken politisch aktive, aber nicht fest organisierte soziale Gruppe,
die nach ihrer von der bisherigen Mode der Kniebundhosen abweichenden Bevorzugung langer
Hosen (sans-culottes = ohne Hosen) benannt wurde. Sie rekrutierte sich aus Kleinbürger- und
Arbeiterkreisen und übte durch Demonstrationen, Petitionen und Gewalttätigkeiten zeitweilig
erheblichen Druck auf den Konvent aus. Die Sansculotten traten für unmittelbare Volksherrschaft,
Zwangswirtschaft, soziale Sicherung der Unterschichten und vollständige Entmachtung der bisher
herrschenden Klassen ein. Vgl. dazu ausführlich Kuhn, A.: Die Französische Revolution. S. 113 ff.
40
Vgl. Kremer, Detlef: Romantik. Stuttgart, Weimar: Metzler 2001, S. 8 f.

26
Vormarsch der österreichischen und preußischen Armee wurde in der berühmten
Kanonade von Valmy
41
, am 20. September 1792, an der im Gefolge des Herzogs
von Weimar auch Goethe teilnahm, aufgehalten und zurückgeschlagen. Im
Anschluss daran wurde die Stadt Mainz, die unter dem Präsidenten des
Jakobinerklubs Georg Forster
42
, als erste revolutionäre Republik auf deutschem
Boden proklamiert worden war, zunächst von französischen Truppen besetzt.
Noch heute debattieren Historiker darüber, ob sie hauptsächlich als Ergebnis
französischer Besatzungspolitik oder als eine deutsche Freiheitsbewegung
aufzufassen ist. Welche Fakten sprechen für die eine, welche für die andere
Auffassung?
Erstmalig in der deutschen Geschichte trat in dieser Zeit ein Landesparlament
zusammen, das sich aus Abgeordneten zusammensetzte, die aufgrund eines
allgemeinen, gleichen und direkten (Männer-)Wahlrechts gewählt worden waren,
der Rheinisch-deutsche Nationalkonvent. Die Wahl fand am 26. Februar 1793
statt, die konstituierende Sitzung am 17. März 1793. Insgesamt wurden 16
Sitzungen abgehalten werden.
43
Auf seiner zweiten Sitzung, am 18. März, beschloss der Konvent eine
Unabhängigkeitserklärung. Er dekretierte, dass die von ihm vertretenen
Landstriche zwischen Landau und Bingen ,,von jetzt an einen freien,
unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen." Die Abgeordneten kündigten
die Zusammenarbeit mit dem deutschen Kaiser auf und bestimmten außerdem,
dass das freie Volk der einzige rechtmäßige Souverän dieses Staates sei. Drei
Tage nach der Unabhängigkeitserklärung, am 21. März 1793, beschloss der
Konvent, die Vereinigung des neuen Staates in die französische Republik zu
beantragen. Johann Georg Forster, die schillerndste Persönlichkeit unter den
Anhängern der Mainzer Republik im ausgehenden 18. Jahrhundert, überbrachte
den Anschlusswunsch zusammen mit zwei anderen Delegierten nach Paris. Am
30. März 1793 trug er die Annexionsbitte den Abgeordneten des Konvents vor.
41
Vgl. Grab, W.: Jakobinismus und Demokratie in Geschichte und Literatur. S. 27.
Eine Debatte über Menschenrechte gewann praktische Bedeutung, als französische Truppen nach
ihrem Sieg bei Valmy im Herbst 1792 das südliche Rheinland besetzten. Die Mainzer
Republikaner, unter denen sich einige Professoren befanden, versuchten mit Flugschriften,
Broschüren usw. die Bevölkerung mit dem demokratischen Gedankengut vertraut zu machen.
42
Vgl. Joost, Ulrich: Georg Forster. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache,
Bd. 3. Hrsg. von Walther Killy. Gütersloh, München: Bertelsmann 1989, S. 455.
Georg Forster: geboren am 27. November 1754 in Nassenhuben bei Danzig, gestorben am 10.
Januar 1794 in Paris; Naturwissenschaftler, Philosoph, Essayist und Übersetzer
43
Vgl. Kuhn, A.: Die Französische Revolution. S. 186.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836630504
DOI
10.3239/9783836630504
Dateigröße
964 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – Philosophie, Geschichte und Sozialwissenschaften, Germanistisches Institut
Erscheinungsdatum
2009 (Mai)
Note
2,5
Schlagworte
therese huber französische revolution familie seldorf georg forster schriftstellerin
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Titel: Therese Huber und die Französische Revolution
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