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Neue Lehr- und Lernformen im Spiegel der pädagogischen Praxis

©2006 Examensarbeit 165 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Grundschule steht heute – wie das Bildungswesen insgesamt – vor neuen Herausforderungen und Problemen, die sich vor allem aus den Veränderungen in der Gesellschaft und damit auch aus den außerschulischen Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Kinder ergeben. Die große Verantwortung, die Lehrkräfte für die Entwicklung der ihnen anvertrauten Kinder übernehmen, erfordert es, sich ständig mit neuen Erkenntnissen und Erfahrungen auseinanderzusetzen. Nur so können sie die Anforderungen und die pädagogischen Arbeit sinnvoll und erfolgreich bewältigen. Insbesondere Lehrerinnen und Lehrer müssen sich mit den Veränderungen der Schülerinnen und Schülern auseinandersetzen und sich den Herausforderungen stellen. Um zeitgemäß und zukunftsgerecht unterrichten zu können, ist jedoch auch eine Reformierung der Unterrichts- und Lernmethoden dringend notwendig. Denn der Prozess des Lehrens und Lernens kann durch geeignete Methoden geordnet, verbessert, und beschleunigt werden, das heißt, die Qualität des Unterrichts kann somit gesteigert werden.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich genau mit dieser Problematik und stellt neue Methoden und Formen des Lernens und Unterrichtens aus verschiedenen Blickwinkeln vor.
Das Thema lautet „Neue Lehr- und Lernformen im Spiegel der pädagogischen Praxis“.
Die PISA-Ergebnisse machen weiterhin deutlich, dass Kinder und Jugendliche in deutschen Schulen erhebliche Mängel in den getesteten Bereichen aufweisen. Spätestens jetzt sollte darauf reagiert werden. Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Lernkultur entwickelt, die dementsprechend neue Lehr- und Lernformen benötigt. Die Entfaltung neuer Lehr- und Lernformen existiert bereits seit längerem, doch welche Formen sind effektiv? Die traditionelle und fast verdrängte Form des Lehrens ist der Frontalunterricht. Moderne Unterrichtsmethoden sind vergleichsweise offener und freier. Den Lehrkräften und Bildungsexperten ist auch mittlerweile deutlich geworden, dass sich die Schule an die Veränderungen anpassen muss und dass neue Lehr- und Lernmethoden dringend notwendig sind. Allerdings gibt es bezüglich dessen sehr unterschiedliche Meinungen und Umsetzungsmöglichkeiten. Ich möchte in dieser Arbeit einige konträre Meinungen vorstellen. Heinz Klippert gehört zu denen, die Innovationsarbeit in Schule und Unterricht leisten möchten. Seit circa zehn Jahren beschäftigt er sich bereits mit offenen Lernformen. Er hat zahlreiche Methoden entwickelt, um […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Tanja Breitfeld
Neue Lehr- und Lernformen im Spiegel der pädagogischen Praxis
ISBN: 978-3-8366-2920-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland, Staatsexamensarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

2
Inhaltsverzeichnis zum Thema
,,Neue Lehr- und Lernformen im Spiegel der pädagogischen Praxis"
1
Einleitung
5
1.1
Thema
und
Zielsetzung 5
1.2
Aufbau
der
Arbeit
6
I
Theoretische
Grundlagen 8
2
Entwicklung einer neuen Lernkultur -
Neue Formen des Lehrens und Lernens
8
2.1
Theoretische Konzepte und Überlegungen
8
2.1.1 Vorüberlegungen zur neuen Lernkultur
9
2.1.2
Neue
Lehr-
und
Lernformen
15
2.1.3 Franz E. Weinert: Die Notwendigkeit der Methodenvielfalt
als Reaktion auf die Heterogenität in deutschen
Klassenzimmern
16
2.1.4
Grundbildungskonzept
von
PISA
20
2.1.5 Die Bedeutung der PISA-Studie für die neue Lernkultur
23
2.1.5.1
Was
ist
PISA?
23
2.1.5.2 Auswirkungen der PISA-Ergebnisse
auf das deutsche Bildungswesen
und
die
neue
Lernkultur 24
2.1.6
Elsbeth Stern: Veränderung der Lerngelegenheiten für eine
effektive
Lernleistung
­
die Bedeutung des Lernens
28
2.1.6.1 Psychologische Erkenntnisse des Lernens
33
2.1.6.2
Lernpsychologische
Kriterien guten Unterrichts
34

3
2.1.7 Zusammenfassung der theoretischen Konzepte
36
2.2
Praktische
Konzepte
38
2.2.1
Heinz Klippert: Verbesserung der Lernleistung
durch
effektives
Methodenlernen
38
2.2.1.1 Relevanz der verstärkten Methodenschulung
39
2.2.1.2 EVA: Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen:
,,Das
neue
Haus
des
Lernens"
43
2.2.1.3 Wie viel Lehrerlenkung benötigen Schülerinnen und
Schüler?
46
2.2.2
Realschule Enger:Lernen
lernen
49
3
Zusammenfassung und Überleitung zur Entwicklung
einer
präzisen
Fragestellung
53
3.1
Zusammenfassung der theoretischen Grundlagen
53
3.2
Entwicklung und Festlegung der präzisen Forschungsfrage
54
3.3
Überblick
über
den
Forschungsstand
56
II Empirische Untersuchung:
Darstellung
der
Forschung
62
4 Forschungsdesign:
Festlegung
der Forschungsmethodik und
Durchführung
der
Untersuchung 62
4.1
Untersuchungsplan:
Qualitatives
Design
63
4.1.1
Einzelfallanalyse
64
4.1.2
Feldforschung
64
4.1.3
Verlauf
der
Untersuchung
65

4
4.2
Erhebungstechniken
70
4.2.1
Teilnehmende
Beobachtung
70
4.2.2
Der
Fragebogen 71
4.2.2.1
Der
Schülerfragebogen 72
4.2.2.2
Der
Lehrerfragebogen
74
4.2.3.
Die
Schülertests 76
4.3
Auswertungsdesign
77
4.3.1
Gütekriterien
qualitativer
Forschung
77
4.3.2 ,,Self fulfilling prophecy" und der ,,Pygmalion-Effekt"
80
4.3.3
Auswertungsmethode
82
5
Ergebnisse
84
5.1
Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
84
5.1.1 Darstellung der Beobachtungsergebnisse
84
5.1.1.1
Erste
Beobachtung
84
5.1.1.2
Zweite
Beobachtung
88
5.1.1.3
Dritte
Beobachtung
91
5.1.2 Darstellung und Interpretation
der
gesamten
Ergebnisse
94
5.2
Fazit
112
5.3
Pädagogische
Konsequenzen
114
III
Schlussteil
116
6 Schlusswort
116
7 Literaturverzeichnis
118
8 Anhangverzeichnis
125

5
1 Einleitung
1.1
Thema und Zielsetzung
Die Grundschule steht heute ­ wie das Bildungswesen insgesamt ­ vor neuen Herausfor-
derungen und Problemen, die sich vor allem aus den Veränderungen in der Gesellschaft
und damit auch aus den außerschulischen Lebens- und Entwicklungsbedingungen der
Kinder ergeben. Die große Verantwortung, die Lehrkräfte für die Entwicklung der ihnen
anvertrauten Kinder übernehmen, erfordert es, sich ständig mit neuen Erkenntnissen und
Erfahrungen auseinanderzusetzen. Nur so können sie die Anforderungen und die pädago-
gischen Arbeit sinnvoll und erfolgreich bewältigen. Insbesondere Lehrerinnen und Lehrer
müssen sich mit den Veränderungen der Schülerinnen und Schülern auseinandersetzen
und sich den Herausforderungen stellen. Um zeitgemäß und zukunftsgerecht unterrichten
zu können, ist jedoch auch eine Reformierung der Unterrichts- und Lernmethoden drin-
gend notwendig. Denn der Prozess des Lehrens und Lernens kann durch geeignete Me-
thoden geordnet, verbessert, und beschleunigt werden, das heißt, die Qualität des Unter-
richts kann somit gesteigert werden.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich genau mit dieser Problematik und stellt neue Me-
thoden und Formen des Lernens und Unterrichtens aus verschiedenen Blickwinkeln vor.
Das Thema lautet ,,Neue Lehr- und Lernformen im Spiegel der pädagogischen Praxis".
Die PISA-Ergebnisse machen weiterhin deutlich, dass Kinder und Jugendliche in deut-
schen Schulen erhebliche Mängel in den getesteten Bereichen aufweisen. Spätestens jetzt
sollte darauf reagiert werden. Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Lernkultur entwi-
ckelt, die dementsprechend neue Lehr- und Lernformen benötigt. Die Entfaltung neuer
Lehr- und Lernformen existiert bereits seit längerem, doch welche Formen sind effektiv?
Die traditionelle und fast verdrängte Form des Lehrens ist der Frontalunterricht. Moderne
Unterrichtsmethoden sind vergleichsweise offener und freier. Den Lehrkräften und Bil-
dungsexperten ist auch mittlerweile deutlich geworden, dass sich die Schule an die Verän-
derungen anpassen muss und dass neue Lehr- und Lernmethoden dringend notwendig
sind. Allerdings gibt es bezüglich dessen sehr unterschiedliche Meinungen und Umset-
zungsmöglichkeiten. Ich möchte in dieser Arbeit einige konträre Meinungen vorstellen.
Heinz Klippert gehört zu denen, die Innovationsarbeit in Schule und Unterricht leisten
möchten. Seit circa zehn Jahren beschäftigt er sich bereits mit offenen Lernformen. Er hat
zahlreiche Methoden entwickelt, um wichtige Schlüsselqualifikationen zu vermitteln und

6
eigenständiges Arbeiten und Lernen anzuregen. Seine Bücher verfügen über eine Menge
Übungsbausteine für den Unterricht. In meiner späteren Tätigkeit als Lehrerin interessiert
es mich, wie effektiv die Lehr- und Lernmethoden von Klippert sind. Im Rahmen dieser
Arbeit wird ein Teil seines Konzeptes kritisch untersucht.
Ich möchte mit der folgenden Arbeit, und insbesondere mit der empirischen Untersuchung,
in erster Linie der Frage nachgehen, ob das Methodentraining von Klippert die Leistungen
der Schülerinnen und Schüler verbessert und ob sie die erlernten Methoden auch auf an-
dere Situationen oder Fächer übertragen und anwenden können. Nebenbei interessiert
mich, inwieweit die Schülerinnen und Schüler Schlüsselkompetenzen während der Metho-
denschulung erwerben, denn Klippert behauptet, dass wichtige Basiskompetenzen durch
dieses Training geübt und vermittelt werden.
Dafür werde ich an einer Grundschule eine Forschung durchführen, die genau diese As-
pekte untersuchen soll.
1.2
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist im Wesentlichen in drei grobe Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt geht es
um die theoretischen Grundlagen, die für die empirische Untersuchung relevant sind. Im
zweiten Teil werde ich meine eigene Forschung darstellen. Im abschließenden dritten Ka-
pitel reflektiere ich kurz diese Arbeit und den damit verbundenen Prozess.
Die theoretischen Grundlagen beschäftigen sich mit der Entwicklung einer neuen Lernkul-
tur und mit neuen Formen des Lehrens und Lernens. Dieser erste Teil ist nochmals in zwei
Abschnitte gegliedert, als erstes werden theoretische Konzepte vorgestellt, danach folgen
die praktischen Konzepte. Das Kapitel 2.1 über die theoretischen Konzepte geht primär
der Frage nach, was die neue Lernkultur ausmacht und welche Rolle die PISA-Studie da-
für spielt. Des Weiteren werden Kriterien guten Unterrichts und Erkenntnisse über das
Lernen von zwei sehr angesehenen Lernpsychologen, Franz Weinert und Elsbeth Stern,
vorgestellt.
In Kapitel 2.2 geht es um praktische Konzepte bezüglich neuer Lehr- und Lernformen.
Insbesondere Klippert und seine Methodenschulung werden in diesem Abschnitt genauer
erläutert, da die anschließende empirische Untersuchung auf dem Klippert-Konzept ba-
siert. Dieses Konzept stimmt nicht mit den Ansichten und Erkenntnissen von Stern über-
ein. Möglicherweise kann man anhand der Forschungsergebnisse jedoch später feststel-

7
len, welches Konzept eher zutrifft. Ein praktisches Beispiel für die Umsetzung des Metho-
dentrainings nach Klippert existiert bereits. Die selbstständige Realschule Enger, die mit
ihrem Konzept in Kapitel 2.2.2 vorgestellt wird, sei ein Beleg dafür, dass das Einüben von
Methoden und die Vermittlung grundlegender Kompetenzen erfolgreich funktioniert.
Kapitel 3 dient der Überleitung zum empirischen Teil dieser Arbeit. An dieser Stelle wird
der Überblick über den Forschungsstand dargestellt und die präzise Forschungsfrage ent-
wickelt und verfasst.
Daraufhin folgt die Darstellung der Forschung, diese ist in zwei grobe Abschnitte geglie-
dert. Anfangs wird das methodische Vorgehen der empirischen Untersuchung explizit er-
läutert. Dazu gehören der Untersuchungsplan, die Erhebungstechniken und das Auswer-
tungsdesign.
Danach werden die wichtigsten Ergebnisse dargestellt und interpretiert.
Mir ist dabei bewusst, dass die Anlage dieser Staatsarbeit mit einer exakten und umfang-
reichen empirischen Forschungsarbeit nicht direkt zu vergleichen ist.

8
I
Theoretische Grundlagen
2
Entwicklung einer neuen Lernkultur ­ Neue Formen
des Lehrens und Lernens
Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit der Entwicklung der ,,neuen Lernkultur" und
neuen Formen des Lehrens und Lernens. Es gliedert sich in zwei Abschnitte, als erstes
werden die theoretischen Konzepte und Überlegungen dargestellt, daraufhin folgen einige
praktische Konzepte. Die gesamten theoretischen Grundlagen dienen als Hintergrundin-
formation für die anschließende empirische Untersuchung.
2.1
Theoretische Konzepte und Überlegungen
Ziel ist es, in diesem Abschnitt Forschungsergebnisse und Hintergrundinformationen zu
dem Thema ,,Neue Lehr- und Lernformen" darzulegen und zu bewerten. Die Entwicklung
der neuen Lernkultur soll anhand einiger Beispiele und Erklärungen vorgestellt werden.
Weiterhin soll geklärt werden, warum neue Lehr- und Lernformen überhaupt notwendig
sind. Einige Aussagen zur PISA-Studie und ihren Ergebnissen unterstützen diese Fragen
und werden bei der Beantwortung hilfreich sein.
Um einen nachvollziehbaren Einstieg in dieses Themengebiet zu gewinnen und präzise
Informationen als Grundlage dieser Arbeit darzustellen, beziehe ich mich zunächst auf
Franz E. Weinert und seine Überlegungen. Weinert ist Professor für Psychologie am Max-
Planck-Institut für psychologische Forschung in München und durch seine zahlreichen
wissenschaftlichen Arbeiten bekannt geworden. Der Artikel ,,Lernkultur im Wandel"
(vgl.
Weinert. In: Beck. 1997, S. 11-27)
von Franz Weinert, soll anfangs als Grundlage für die Be-
arbeitung des folgenden Kapitels dienen, da sich dieser mit grundsätzlichen Überlegungen
zur Lernkultur beschäftigt. Des Weiteren war Weinert an dem Grundbildungskonzept von
PISA beteiligt, welches anschließend kurz dargestellt wird.

9
2.1.1 Vorüberlegungen zur neuen Lernkultur
Weinert hat sich ebenso mit der Frage beschäftigt, was die neue Lernkultur ausmacht bzw.
welchen Wandel die Lernkultur vollzieht. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich in
den Lexika keine exakte Antwort darauf finden ließe. Eine Alternative sei die separate
Betrachtung der Begriffe ,,Lernen" und ,,Kultur". Jedoch werde man unter ,,Kultur" vermut-
lich nicht die passende Erläuterung finden, da dieser Begriff sehr bedeutungsvielfältig sei
(vgl. Weinert, a.a.O., S. 11).
Laut Duden gibt es für Kultur sechs Bedeutungen, die am meis-
ten zutreffende ist wohlmöglich folgende:
,,Eine Kultur ist eine feine Lebensart, Erziehung und Bildung."
(Duden (Hrsg.): Das Fremdwörterbuch. 2005 (CD Rom))
Weinert hat folgende Überlegung dazu vorgenommen:
,,
Wendet man den Begriff Kultur und des kulturellen Wandels auf das schuli-
sche Lernen an, so könnte man unter Lernkultur die Gesamtheit der für die be-
stimmte Zeit typischen Lernformen und Lehrstile sowie die ihnen zugrunde lie-
genden anthropologischen, psychologischen, gesellschaftlichen und pädago-
gischen Orientierungen verstehen." (Weinert, a.a.O., S. 12)
Das heißt, eine Lernkultur sei unter anderem abhängig von der Zeit und würde von Verän-
derungen der Gesellschaft beeinflusst, sie sei somit wandelbar. Die Lernkultur bestehe
aus zeitgemäßen Lehr- und Lernformen.
Weiterhin sagt Weinert, dass die Veränderungen der Form des Lernens durch eine neue
Didaktik die neue Lernkultur ausmachen. Weinert hat zehn Thesen aufgestellt, die die
Merkmale der neuen Lernkultur darstellen. Ich werde die Hauptaussagen dieser Thesen
im Folgenden aufführen, um möglicherweise eine Annäherung des Begriffs ,,(Neue) Lern-
kultur" zu erhalten.

10
1. These über den aktiv Lernenden
Hier geht es darum, wie und wann der Mensch Informationen aufnimmt und sie anschlie-
ßend verarbeitet. Einen Teil der Informationen, die uns tagtäglich begegnen, verarbeiten
wir und lernen somit dadurch. Dieser Prozess könne bewusst oder auch unbewusst ge-
schehen. Jedoch sei bei beiden Formen des Lernens ein wenig geistige Leistung des Ler-
nenden nötig. Daraus resultiere aber nicht, dass alle Einsichten, die durch das Lernen
hervorgerufen wurden, auch selbstständig entdeckt werden müssen. Im schulischen Un-
terricht dominiere das aktiv-rezeptive Lernen, das heißt, die Schüler nähmen aktiv die
Lerninhalte auf. Das entdeckende Lernen sei nicht der Regelfall, meint Weinert
(vgl. Wei-
nert, a.a.O., S.15).
2. These über den konstruktiv Lernenden
Diese These beschreibt den Wissenserwerb und erläutert an drei Beispielen, dass es un-
terschiedliche Auffassungen des Lernens gibt. Der Wissenserwerb sei nicht ein sich selbst
organisierender Prozess. Die Voraussetzung für den Aufbau einer intelligenten Wissens-
basis sei das verständnisvolle Lernen, dabei seien konstruktive Lernakte von großer Be-
deutung. Die drei folgenden Beispiele stellen die unterschiedlichen Verwendungsvarianten
des Begriffs ,,Lernen" dar.
1. Situation: Die Schülerinnen und Schüler einer Klasse sollen einen sehr schwierigen und
ihnen unbekannten Text lesen, müssen ihn aber nicht verstehen, sondern lediglich den
Wortlaut auswendig lernen. Diese Aufgabe könne fast jede Schülerin und jeder Schüler
durch Fleiß und viele Wiederholungsübungen bewältigen, auch wenn sie den Inhalt des
Textes nicht verstehen.
2. Situation: Nun sollen die Schülerinnen und Schüler denselben Text oberflächlich verste-
hen, so dass sie in der Lage sind, anschließend eine grobe Zusammenfassung des Inhalts
zu notieren. In diesem Fall benötige die Schülerschaft allerdings ein wenig Vorwissen, um
die wichtigsten Inhalte verstehen zu können. Verfügen einige jedoch nicht über dieses
Wissen, können sie es durch eine hohe Intelligenz oder durch effektive Bearbeitungsstra-
tegien zum Teil ausgleichen.
3. Situation: In diesem Fall sollen die Schülerinnen und Schüler den gesamten Text tief-
gründig verstehen können. Hierzu sei eine gut organisierte Wissensbasis notwendig. In

11
diesem Sinne sei festzustellen, dass der Lernende der Konstrukteur seines eigenen Ler-
nens sei.
3. These über den selbstständig Lernenden
Das selbständige Lernen eines Schülers gehörte schon zu den klassischen Forderungen
der Reformpädagogik. Diese Art des Lernens sei ein prägnantes Merkmal der sich wan-
delnden Lernkultur. Selbständiges Lernen sei Vorraussetzung, Mittel und Ziel des Unter-
richts. Die wichtigste Bildungsaufgabe der Schule sei die didaktische Förderung der meta-
kognitiven Entwicklung
(vgl. Weinert, a.a.O., S.15f).
4. These über den motiviert Lernenden
Um Schülerinnen und Schüler für das Lernen zu begeistern, müssen sie ein gewisses Maß
an Motivation mit sich bringen. Weinert erklärt weiterhin, dass der Zusammenhang zwi-
schen Motivationsstärke, Lernaktivität und Lernleistung relativ gering sei. Bezüglich der
neuen Lernkultur stelle sich die Frage, ob es ,,gute" oder ,,schlechte" Lernmotive gibt. ,,Gu-
te" Motive seien intrinsische Beweggründe, die aus eigenem Antrieb durch Interesse an
den Lerninhalten vom Schüler her erfolgen. Negativ zu beurteilen, also ,,schlechte" Lern-
motive, seien äußere Zwänge oder erwartete Belohnungen, da durch die externen Anreize
die intrinsischen Lernbedürfnisse verschlechtert bzw. abgewertet werden können.
5. These über den ganzheitlichen Lernenden
Ein weiteres Merkmal der neuen Lernkultur, welches Weinert an dieser Stelle erläutert, ist
die Verbindung von Geistesschulung und Persönlichkeitsschulung im Unterricht der Schu-
le. Der ganzheitlich lernende Schüler entspricht jedoch nicht dem ganzheitlichen Unter-
richt, dieser ist laut Weinert chaotisch und unstrukturiert. Ein ganzheitlich Lernender weise
kognitive, motivationale und emotionale Merkmale als Ergebnis des Lernens auf.
,,Schulisches Lernen ist mehr als reiner Wissenserwerb, nämlich stets auch Be-
dingung und Mittel der Persönlichkeitsentwicklung." (Weinert, a.a.O., S.18)
6. These über das Lernen in einer Gemeinschaft von Lernenden
Vor einiger Zeit noch waren die Schülerinnen und Schüler überwiegend dem Frontalunter-
richt ausgesetzt. Der einzelne Lernende war ganz auf sich allein gestellt und musste sepa-
rat und einsam lernen. Das kooperative und gemeinsame Lernen in Gruppen sei heutzu-

12
tage beliebt und ein Zeichen für eine veränderte Lernkultur. Die neue Lernkultur sei eine
Kultur des sozialen Lernens in der Schule.
7. These über ein vom Lehrer möglichst unabhängiges Lernen
Die aktuelle Lehrerrolle der neuen Lernkultur entspricht der Rolle eines Moderators einer
selbständigen und unabhängigen Lerngruppe. Die Ergebnisse der Münchner Grundschul-
studie zeigen, dass die Schüler bessere Lernleistungen zeigen und aufmerksamer sind,
wenn der Unterricht schülerzentriert ist und vom Lehrer bzw. ,,Moderatoren" angeleitet wird
und das Lernen von ihm unterstützt wird. Die neue Lernkultur braucht kompetente, profes-
sionelle, schülerzugewandte und offene Lehrer für ein erfolgreiches und effektives Lernen
und Lehren, so fordert Weinert
(vgl. Weinert, a.a.O., S.17-21).
8. These über das Lernen ohne permanenten Leistungsdruck
Ein zu hoher Leistungsdruck führe eher zu weniger Lernerfolg bei den Schülerinnen und
Schülern. Jedoch gibt es viele Schulen, die den gesamten Unterricht als Leistungssituation
ansehen. Dabei sollten Fehler vermieden werden, da sie ,,falsch" sind. Doch die neue
Lernkultur und Weinert fordern ein Lernen durch Fehler und neue Einsichten. Weiterhin sei
es notwendig, Leistungssituationen von Lernsituationen zu unterscheiden und angenehme
Lerngelegenheiten zu schaffen.
9. These über das Lernen lernen
Die aktuelle Didaktik der neuen Lernkultur ist der Meinung, dass es nicht auf den Inhalt
des Lernens ankomme, sondern auf die Art und Weise ,,wie" jemand lernt. Das Wichtigste
dabei sei der Erwerb von Schlüsselqualifikationen und allgemeiner Strategien der Informa-
tionsverarbeitung (Methoden). Nicht die Lernprodukte sollen im Mittelpunkt des Unterrichts
stehen, sondern die Lernprozesse (Lernen lernen). Weinert ist der Auffassung, dass sol-
che Forderungen ökonomisch vernünftig und pädagogisch wünschenswert seien, psycho-
logisch gesehen jedoch nicht realisierbar
(vgl. Weinert, a.a.O., S. 22).
10. These über das Lernen durch und für die Welt außerhalb der Schule
Schülerinnen und Schülern wird immer wieder gesagt, dass sie für ihr eigenes Leben ler-
nen und nicht für die Schule. Jedoch gibt es auch kritische Meinungen dazu. Die in der
Schule erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse bilden nur die Basis für ein lebenslanges
Lernen. Das Wissen wird nämlich ständig erneuert bzw. erweitert, und die veränderten

13
Anforderungen verlangen eine individuelle Anpassung. Die moderne Lernforschung stimmt
mit den Veränderungen des Unterrichts überein. Das Lerntheoretische Modell fasst Lernen
als einen Prozess zwischen den sozio-kulturellen Lebens- und den kognitiv-individuellen
Lernaspekten auf. Der Projekt-Unterricht ist hierfür sehr gut geeignet. Die Schülerinnen
und Schüler haben die Möglichkeit, verschiedene Fachgebiete kennen zu lernen und auf
außerschulische Inhalte zurück zu greifen. Diese Art des Unterrichts sei zugleich sehr
motivierend
(vgl. Weinert, a.a.O., S. 22f) .
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die neue Lernkultur nicht nur gekennzeich-
net ist durch die zehn aufgeführten Merkmale von Weinert, sie ist vielmehr eine Verände-
rung eines komplexen Systems, an dem sowohl die Schülerinnen und Schüler, die Lehre-
rinnen und Lehrer als auch die Lehrziele und Lerninhalte beteiligt sind.
Was eine ,,neue Lernkultur" sein kann, lässt sich auch aus einer weiteren Perspektive un-
tersuchen: Die Frage nach den Ursachen für die Entstehung wird im Folgenden erläutert.
Die neue Lernkultur hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt und bedeutet eine Um-
orientierung vom Lernen und Lehren. Durch die Veränderungen, die die Schüler mit sich
bringen, haben sich auch die Ansprüche verändert. Kinder wachsen heutzutage unter
völlig anderen Verhältnissen und Bedingungen auf als ihre Eltern und Großeltern. Viele
wachsen allein, ohne Geschwister auf oder nur mit einem Elternteil. Der hohe Zuwachs an
internationalen Mitbürgern stellt eine weitere Veränderung dar
(vgl. Harrmann, Kalb. 1999,
S.50)
.
All diese Komponenten und noch einige mehr weisen die Ursachen für die Entstehung
einer neuer Lernkultur auf. Die deutschen Schulklassen werden immer heterogener, das
heißt, die Altersklassen können in einer Jahrgangsstufe sehr stark variieren, weiterhin gibt
es sehr unterschiedliche Lernstärken und Lerntypen. Auch die multikulturellen Klassen
verstärken die Heterogenität. Aber nicht nur die Kinder haben sich verändert, es gibt zahl-
reiche weitere Veränderungen wie die Entwicklung immer neuerer Technologien, die wirt-
schaftliche Globalisierung oder die explosionsartige Wissensvermehrung. Auch diese Um-
brüche nehmen Einfluss auf unser Bildungswesen. Es liegt nahe, dass die Bildungspolitik
und somit die Verantwortlichen für Schule auf solche Veränderungen reagieren müssen.
Dr. Heinz Klippert, auf den ich in Kapitel 2.2.1 noch genauer eingehen werde, ist bereits
vor einigen Jahren auf die Notwendigkeit einer Reform in deutschen Klassenzimmern ein-
gegangen. Er reagierte unter anderem mit seinem Buch ,,Pädagogische Schulentwicklung.

14
Neue Formen des Lehrens und Lernens als Schulprogramm" darauf. Er führt folgende
Gründe für eine unterrichtliche Innovation auf. Zum einen kritisiert er das deutsche Bil-
dungswesen, da seiner Meinung nach die deutschen Schülerinnen und Schüler
1
in interna-
tionalen Vergleichsstudien wie TIMSS
2
oder PISA
3
zu schlecht abschneiden. Zum anderen
fehlten ihnen so genannte Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit, Eigeninitiative,
Problemlösungsverfahren, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Methodenbeherr-
schung, die sie, so sagt Klippert, für eine erfolgreiche Zukunft benötigen. Er fordert daher
neue Lehr- und Lernformen
(vgl. Klippert. 2000, S. 20-22).
Die neue Lernkultur laut der ,,Werkstatt für Neue Lernkultur" prägt ein neues Verständnis
des Lernens und veränderte Rollen der Lernenden und Lehrenden. Das Lernen der Schü-
lerinnen und Schüler solle eigenaktiv und selbst gesteuert geschehen. Der Lernende stehe
im Mittelpunkt und solle Verantwortung für sein Lernen übernehmen. Der Lehrende gerät
in den Hintergrund und übernimmt die Rolle eines Moderators und Lernbegleiters. Der
Lehrer oder die Lehrerin soll den Lernprozess der Kinder begleiten. Der Einsatz von viel-
fältigen Medien nimmt immer mehr an Bedeutung zu und macht unter anderem die neue
Lernkultur aus. Weiterhin ist die Nutzung von unterschiedlichen Lernorten wie z.B. Muse-
en, Bibliotheken oder Zoos auch sehr wichtig
(vgl. http://www.neue-lernkultur.de/neuelernkultur.php?aspekt=washeisst).
Das neue Lernverständnis geht davon aus, dass Schülerinnen und Schüler für ihr Leben
lernen. Der Lernprozess hat in dem Sinne kein Ende, er sei niemals abgeschlossen. Ler-
nen solle auch in der alltäglichen Lebenswelt stattfinden. Schülerinnen und Schüler sollten
selbstreflexiv lernen, das heißt, sie müssen über ihr Lernen nachdenken und dieses beur-
teilen können. Das lernende Subjekt stehe im Mittelpunkt und lernt aktiv und selbstständig.
Die wichtigste Aufgabe dabei sei das ,,Lernen zu lernen"
(vgl. http://www.neue-
lernkultur.de/neuelernkultur.php?aspekt=lernverstaendnis).
Klippert ist der Meinung, dass Schülerinnen und Schüler einen größeren Lernerfolg haben,
wenn sie wissen, wie sie lernen. Dafür hat er vielfältige Methoden für verschiedene Lern-
typen entwickelt. Er geht davon aus, dass Kinder, die bestimmte Lernmethoden beherr-
schen, einen besseren Lernerfolg haben. Sie müssen ,,lernen zu lernen".
1
Wenn in dieser Arbeit die Rede von ,,deutschen Schüler/innen" ist, dann sind zugleich alle Kinder gemeint,
die eine Schule in Deutschland besuchen, also auch Migrantenkinder.
2
Third International Mathematics and Science Study
3
Programme for International Student Assessment

15
Es gehe im Großen und Ganzen um die Art und Weise, wie jemand lernt. Wenn ein Kind
weiß, welche Lernmethode für es geeignet ist, dann hat es das Lernen bereits gelernt und
kann sich Wissen erfolgreich aneignen.
2.1.2 Neue Lehr- und Lernformen
Wie bereits deutlich geworden ist, reichen die traditionellen Unterrichts- und Lernmethoden
nicht mehr aus, um der neuen Lernkultur gerecht zu werden. Der lehrerzentrierte und dar-
bietende Unterricht habe wenig Erfolg bei den deutschen Schülerinnen und Schülern. Wie
schon erwähnt, fehlten den Kindern zukunftsgerechte Schlüsselqualifikationen, diese
müssten durch neue Lehr- und Lernformen verstärkt vermittelt und geübt werden. Durch
neue Formen des Lehrens und Lernens, so verspricht Klippert, würden die Lehrkräfte ent-
lastet und die Überbelastungen der Lehrerinnen und Lehrer einen Ausweg finden. Diese
Idee solle durch kooperative und schüleraktive Arbeitsformen eingesetzt werden und durch
ein verstärktes Methoden-, Kommunikations- und Teamtraining. Wenn Klippert von einer
neuen Lernkultur spricht, meint er damit das eigenverantwortliche Arbeiten und Lernen der
Schülerinnen und Schüler, kurz ,,EVA" genannt. Ziel seines Konzeptes ist das Erreichen
wichtiger Schlüsselqualifikationen
(vgl. Klippert. 2002. S. 42f).
Klippert hat sich bereits dazu geäußert, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um
die Leistungen der Schülerinnen und Schüler (wieder) zu verbessern. Er stützt sich dabei
unter anderem auf einige Ergebnisse der PISA-Studie, die in Kapitel 2.1.4 in groben Zügen
dargestellt werden.

16
2.1.3 Franz E. Weinert: Die Notwendigkeit der Methodenvielfalt als Reaktion auf
die Heterogenität in deutschen Klassenzimmern
Kinder besäßen, so beschreibt es Weinert in seinem Aufsatz, unterschiedliche Lernvor-
aussetzungen ­ und Fähigkeiten, darauf sollten die Lehrkräfte flexibel reagieren. Schüle-
rinnen und Schüler würden bereits mit unterschiedlichen Voraussetzungen eingeschult.
Während der Schulzeit würden nicht alle ausreichend von den Eltern unterstützt und ge-
fördert, diese Unterschiede machen sich deutlich in der Unterrichtspraxis bemerkbar. Die
Heterogenität wird unter anderem durch die unterschiedlichen Leistungsstärken der Schü-
lerinnen und Schüler geprägt sowie durch verschiedene soziale Verhaltensweisen. Die
Zunahme an Kindern aus unterschiedlichen Kulturen stellt eine zusätzliche Herausforde-
rung dar, weil viele dieser Kinder zum größten Teil erhebliche sprachliche Mängel aufwei-
sen. Es gibt zahlreiche Gründe, warum methodische Variationen in den Unterricht integ-
riert werden sollten. Um die individuellen Unterschiede in den Klassenzimmern an den
Unterricht anzupassen wird eine flexible Methodenvielfalt benötigt. Leider werden bei der
Entwicklung von sämtlichen didaktischen Unterrichtsmodellen die praktischen Erfahrungen
und psychologischen Befunde nur selten berücksichtigt. Ein Großteil der Lehrmethoden ist
nicht in der Lage die heterogenen Lernvoraussetzungen zu kompensieren. Damit ist nicht
gemeint, dass die Schülerinnen und Schüler an sich angeglichen werden sollen, sondern
dass die Leistungsunterschiede nicht so stark abweichen. Jedes Kind ist ein Individuum
und wird durch vielfältige Gegebenheiten geprägt, somit ist eine vollständige Beseitigung
der Unterschiede auch gar nicht möglich und sollte auch nicht erforderlich sein. Es ist nun
mal Tatsache, dass Kinder unter unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen aufwach-
sen und sich individuell entwickeln. Sie entfalten somit auch persönliche Interessen, Ei-
genarten und Verhaltensweisen. Ein guter Unterricht sollte infolgedessen alle persönlichen
Merkmale und Unterschiede der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen und flexibel
darauf reagieren. Jedoch müssen bestimmte Einflussfaktoren besonders beachtet wer-
den. Dazu gehören Lebensalter, Geschlecht, Intelligenz, Vorkenntnisse sowie motivationa-
le Einstellungen und volitationale Haltungen
(vgl. Weinert, Franz E.: Notwendige Methodenviel-
falt. 1997. S.50).
Die Hauptaussagen dieser Faktoren werde ich nun im Einzelnen genauer erläutern.
Das Lebensalter der Kinder hänge so eng mit der kognitiven Entwicklung und der Bildung
zusammen, dass es nicht leicht sei, diese Merkmale voneinander zu trennen bzw. separat

17
zu betrachten. Man kann also die Schulleistungen der Kinder nicht ausschließlich auf das
Alter zurückführen, vielmehr sei dies ein Merkmal für Reifungsprozesse, die sich auf die
Lernentwicklung auswirken.
Ein weiterer Einflussfaktor ist das Geschlecht. Jungen und Mädchen sollten allerdings alle
Lernziele gleichermaßen erreichen können. Die Unterschiede in mathematischen und
technischen Fächern sind häufig auf sozialpsychologische Resultate zurückzuführen. Em-
pirische Untersuchungen belegen, dass Jungen sich mehr für mathematische und techni-
sche Angelegenheiten interessieren als Mädchen und auch bessere Leistungsergebnisse
erzielen.
Die Intelligenz sei ein Merkmal, welches ebenfalls präziser beachtet werden sollte, denn
intelligentere Menschen, dies ist wissenschaftlich bewiesen, lernen schneller und leichter.
Weinert führt an dieser Stelle an, dass Personen mit einer höheren Intelligenz auch intelli-
gentes Wissen erwerben könnten. Damit meint er vernetztes Wissen, welches sinnvoll
aufgebaut sei und vielfältig und flexibel anwendbar sei. Intelligenz, so beschreibt Herr
Weinert, sei eine Bündelung verschiedener Fähigkeiten, die einem helfen, strategisch zu
denken, angebracht zu handeln und Probleme selbstständig zu lösen. Es gibt jedoch un-
terschiedliche Begabungen, beispielsweise besondere sprachliche Fähigkeiten oder ma-
thematische Begabungen. Die unterschiedlichen Ausprägungen von Intelligenz in einer
Schulklasse müssen genauso berücksichtigt werden wie die individuellen Begabungen
einzelner Kinder
(vgl. Weinert a.a.O., S.51 ).
Ein weiterer wichtiger Punkt den Weinert aufführt, ist die Vorkenntnis, die es erleichtere
neue Inhalte zu lernen. Das inhaltsspezifische Wissen sei eine Voraussetzung für das
Lernen neuer Inhalte. Allerdings sei die Qualität des Vorwissens dabei entscheidend.
Schülerinnen und Schüler können, so erläutert Weinert, bessere schulische Leistungen
erzielen, wenn sie über bereichsspezifisches Wissen verfügen. Die kognitiven Fähigkeiten
stehen diesbezüglich nicht im Vordergrund.
Weiterhin führt Herr Weinert motivationale Einstellungen und volitationale Haltungen
auf, die Einfluss auf die Differenzen in einer Klasse nehmen. Damit meint er die unter-
schiedliche Lernmotivation einzelner Schülerinnen und Schüler und die individuelle Inte-
ressen der Kinder. Solche Faktoren müssten ebenso berücksichtigt werden und mithilfe
geeigneter Methodenvielfalt kompensiert werden. Jedoch wirken sich die Motivation und
auch das persönliche Interesse der Kinder langfristig auf verschiedene Fähigkeiten aus.
Weiterhin würden die Faktoren bezüglich des Interesses und der Motivation das selbstge-
steuerte Lernen bestimmen.

18
Die aufgeführten lern- und leistungsrelevanten Unterschiede zwischen den Schülerinnen
und Schülern weisen dennoch Gemeinsamkeiten auf, die den Unterricht bzw. die Lehrkräf-
te vor eine Herausforderung stellt. Beispielsweise bekämen Schülerinnen und Schüler, die
bereits günstige Voraussetzungen von zuhause mitbringen und über besondere Fähigkei-
ten verfügen mehr Aufmerksamkeit durch den Lehrer oder die Lehrerin und zusätzliche
Unterstützung durch MitschülerInnen. Weiterhin blieben die individuellen Unterschiede
bezüglich der Persönlichkeitsmerkmale, die sich auf das Lernen beziehen, während der
Grundschulzeit recht beständig. Lerndifferenzen zwischen den Schülerinnen und Schülern
ließen sich nur schwer ändern bzw. beeinflussen
(vgl. Weinert, a.a.O., S. 51).
Die Reaktionen der Lehrkräfte auf die zahlreichen Differenzen zwischen den Schülerinnen
und Schülern können sehr unterschiedlich ausfallen. Weinert führt in seinem Aufsatz vier
verschiedene Reaktionsformen auf. Als erstes nennt er die passive Form. Lehrkräfte,
die diese Reaktion aufweisen, ignorieren die Unterschiede bezüglich der Lernleistung ver-
schiedener Schülerinnen und Schüler. Sie richten sich beispielsweise nach der Leistung
eines Durchschnittsschülers bzw. einer Schülerin und gestalten ihren Unterricht nach des-
sen Maßstäben. Die Gefahr sieht Weinert allerdings darin, dass in einem solchen Unter-
richt die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler immer besser werden und die schwä-
cheren Kinder sich verschlechtern. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Lehrkraft
die Rolle eines Moderators übernimmt, der lediglich eine selbstständige Lerngruppe ,,mo-
deriert".
Die zweite mögliche Reaktionsform sei die substitutive Form. In diesem Fall sollten sich
die Schülerinnen und Schüler an die Anforderungen des Unterrichts anpassen, bzw. ver-
suchen die entsprechenden Lehrkräfte diese Angleichung herzustellen. Lehrerinnen und
Lehrer vermitteln wirkungsvolle Lernstrategien und fördern die Motivation der Kinder, in-
dem sie interessante Lernanreize geben und das Klassenklima beleben. Dadurch sollten
die unerwünschten Leistungsunterschiede der Schülerinnen und Schüler verringert wer-
den.
Die aktive Reaktionsform stelle eine weitere Möglichkeit dar, um auf die Unterschiede in
einer Klasse reagieren zu können. Der Unterricht werde an die lernrelevanten Unterschie-
de zwischen den Schülerinnen und Schülern angepasst. Die Lehrmethoden sollten sich an
die Differenzen der Kinder anpassen, so dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler
Lernfortschritte machen.

19
Die vierte Art ist die proaktive Reaktionsform. Der Unterricht sei so gestaltet, dass ein-
zelne Kinder gezielt gefördert werden. Um dies leisten zu können, müssten Lehrerinnen
und Lehrer die Leistungen und Fähigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler frühzeitig er-
fassen, um darauf planvoll reagieren zu können. Herr Weinert führt des Weiteren auf, dass
Lernende unter günstigen pädagogischen Bedingungen besser Wissen erwerben können.
Voraussetzungen dafür seien unterschiedliche Lernziele für Schülerinnen und Schüler mit
differenten Lernvoraussetzungen und verschiedenen Interessen. Diese Unterscheidung
führe dazu, dass alle Lernenden mit ihren individuellen Unterschieden angesprochen wür-
den
(vgl. Weinert, a.a.O., S.52).
Abschließend sei festzustellen, dass es wichtig erscheine, Differenzen zwischen Schüle-
rinnen und Schülern zu kompensieren, um individuelle Leistungsunterschiede zu reduzie-
ren und möglichst alle Kinder zu fördern. Ein guter Unterricht berücksichtige alle Lerntypen
und fördere sowohl schwächere als auch lernstärkere Schülerinnen und Schüler. Es gibt
also eine Vielzahl von Möglichkeiten, um die Leistungsdifferenzen in einer Klasse aus-
zugleichen, allerdings ist dafür kein didaktisches Patentrezept vorhanden, denn guter und
erfolgreicher Unterricht muss individuell auf die Kinder und die Gegebenheiten abgestimmt
und praktiziert werden
(vgl. Weinert, a.a.O., S.52).
Im anschließenden Abschnitt wird das Grundbildungskonzept von PISA grob beschrieben,
um die Konzeption und Durchführung der Studie nachvollziehen zu können, denn diese
steht in enger Beziehung zur neuen Lernkultur. Weinert hat dazu ein Buch herausge-
bracht, auf das ich mich dabei beziehen werde.

20
2.1.4 Das Grundbildungskonzept von PISA
Bevor auf die Bedeutung der PISA-Ergebnisse und deren Konsequenzen für die neue
Lernkultur eingegangen wird, wird das Grundbildungskonzept dieser Studie kurz vorge-
stellt, um die wichtigen methodischen Grundlagen der Leistungsmessung zu klären und
den pädagogischen Nutzen zu überprüfen.
Die PISA-Studie ist eine Schulleistungsmessung, die die Leistungen der Jugendlichen der
neunten Jahrgangsstufe misst und die von der Organisation für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt wird bzw. wurde. Schulleistungsmessun-
gen gibt es schon länger, genauer genommen so lange wie es Schulen gibt. Doch auf die
Ergebnisse von PISA wird nun öffentlich Stellung genommen. Da die deutschen Schüle-
rinnen und Schüler zu schlecht abgeschnitten haben, müsse sich die Qualität des Unter-
richts verbessern, um die Leistung zu steigern. Wie bereits erwähnt wurde und in den
nächsten Kapiteln auch noch erläutert wird, sind neue Lehr- und Lernformen dafür not-
wendig, um die Qualität des Unterrichts zu sichern
(vgl. Weinert (Hrsg.) 2002, S. 5f).
Bei der ersten PISA-Studie im Jahre 2000 nahmen insgesamt 180 000 Jugendliche aus 33
Staaten teil, die stichprobenartig erfasst wurden. In Deutschland wurden ca. 8000 Schüle-
rinnen und Schüler von 220 Schulen getestet
(vgl. Baumert. u.a. In: Weinert (Hrsg.). 2002, S.
287).
Die Erfassung der Lesekompetenz stand im Mittelpunkt der ersten Erhebung. Lesen
sei eine Fähigkeit, nach PISA, die einem verhilft, unterschiedliche geschriebene Texte zu
verstehen. Dabei ist es weiterhin wichtig, verschiedene Arten von Texten in ihren Aussa-
gen und Absichten zu erfassen. Da Jugendliche und auch Erwachsene alltäglich mit Tex-
ten konfrontiert sind, ist Lesen eine Kompetenz, die ebenso im privaten Leben hilfreich und
nützlich ist. PISA bezieht sich in ihrer Erhebung jedoch nicht ausschließlich auf fortlaufen-
de Texte, sondern auf Informationstexte, in denen Graphiken, Tabellen oder Karten einge-
baut sind. Für die Untersuchung wurden authentische Texte eingesetzt, die aus privaten,
öffentlichen, berufsbezogenen oder bildungsbezogenen Bereichen stammen. Ferner blei-
ben die Texte während der Überprüfung den Jugendlichen ständig verfügbar. Es wird
nämlich bei dieser Testsituation nicht die Gedächtnisleistung getestet, sondern primär das
Textverständnis
(vgl. Baumert. u.a. a.a.O., S. 290f).
Allerdings sei es auch bedeutungsvoll, die wichtigsten Inhalte eines Textes zu behalten.
Diese Fähigkeit sei besonders für Schülerinnen und Schüler bzw. für solche Personen
bedeutend, die für Prüfungen oder ähnliches Inhalte eines Textes lernen müssen. Die
Fähigkeit, aus einem Text die prägnanten Inhalte zu behalten und bei gegebener Situation

21
diese wieder aufzurufen, wurde ebenfalls bei PISA überprüft
(vgl. Baumert. u.a. a.a.O., S.
292).
Wie bereits erwähnt, wurde bei der ersten Erhebung die mathematische Grundbildung der
Jugendlichen nur sekundär überprüft. Nach PISA beinhaltet die mathematische Grundbil-
dung folgende Fähigkeiten: Schülerinnen und Schüler sollten die Mathematik in ihrer so-
zialen und kulturellen Welt einzuordnen wissen, das heißt, welche Rolle spielt die Mathe-
matik in ihrer Welt. Darüber hinaus sollten sie Sachverhalte mathematisch beurteilen kön-
nen und im Alltag die Mathematik aktiv anwenden können. Der Mathematikunterricht sollte
diese Fähigkeiten vermitteln und fördern, indem er die Jugendlichen auf offene Aufgaben
vorbereitet, ihnen verhilft, alltägliche Anforderungen mithilfe der Mathematik zu bewältigen
und ihnen Lösungsroutinen vermittelt.
,,Die mathematischen Inhalte des PISA-Tests werden in erster Linie
durch Leitideen bestimmt, die das mathematische Denken strukturie-
ren."
(Baumert. u.a. a.a.O., S. 295)
Darunter fallen die im Lehrplan festgelegten Bereiche wie Algebra, Arithmetik und Geo-
metrie. Ferner werden Veränderungen und Wachstum sowie Raum und Form überprüft.
55 % der Mathematikaufgaben im PISA-Test, ähnlich wie bei der Überprüfung der Lese-
kompetenz, sind zum Ankreuzen ausgelegt, das heißt, sie unterliegen dem ,,Multiple Choi-
ce" Verfahren. Die restlichen 45% werden durch offene Aufgabenstellungen überprüft
(vgl.
Baumert. u.a. a.a.O., S.297).
Neben der mathematischen Grundbildung wurden ebenso Aspekte der naturwissenschaft-
lichen Grundbildung getestet, jedoch auch nur nebensächlich. Darunter fallen folgende
Fähigkeiten: Die Entwicklung eines Verständnisses für naturwissenschaftliche Konzepte
und das Anwenden dieser. Die Rahmenkonzeption unterscheidet dabei drei Bereiche, die
bei PISA getestet werden: 1. naturwissenschaftliche Konzepte, 2. wissenschaftliche Pro-
zesse und 3. naturwissenschaftliche Anwendungssituationen. Dazu gehören unter ande-
rem zentrale Fragen aus der Physik, Chemie, Biologie und den Geowissenschaften. Diese
Bereiche werden jedoch nicht einfach nur abgefragt, sie sollen vielmehr angewandt wer-
den
(vgl. Baumert. u.a. a.a.O., S. 298).
Die Erfassung fächerübergreifender Kompetenzen ist ein weiterer Aspekt, der bei PISA
überprüft wurde. Damit sind so genannte ,,Schlüsselqualifikationen" gemeint, die der Ar-
beitsmarktforscher Mertens Anfang der siebziger Jahre einführte. Auch Klippert, auf den in

22
Kapitel 2.2 näher eingegangen wird, beschäftigt sich mit dem Erwerb von ,,Schlüsselquali-
fikationen". Dazu gehören Kompetenzen wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkei-
ten, Flexibilität, Kreativität und Problemlösefähigkeit und viele mehr. Mertens erklärt, dass
solche Fähigkeiten für das spätere Berufsleben sehr wichtig sind. Bei der ersten Erhebung
im Jahre 2000 wurden bereits Voraussetzungen des selbstregulierten Lernens überprüft,
die in Kapitel 2.1.5 genauer erläutert werden. Die zweite PISA-Studie (2003) hat weiterhin
fächerübergreifende Problemlösekompetenzen getestet.
Bevor im Jahre 2000 die Hauptuntersuchung stattfand, gab es 1999 bereits einen Feldtest,
um geeignete Instrumente für die Untersuchung auszuwählen und zu verbessern
(vgl.
Baumert. u.a. a.a.O., S. 310).
Im folgenden Kapitel wird die Bedeutung der PISA-Studie für die neue Lernkultur erläutert
sowie die Auswirkungen. Dabei wird näher auf die Lesekompetenz und das selbstregulier-
te Lernen eingegangen.

23
2.1.5 Die Bedeutung der PISA-Studie für die neue Lernkultur
Es wurden zuvor bereits die wichtigsten Grundlagen des PISA-Konzeptes vorgestellt. Nun
möchte ich weitere relevante Kriterien der PISA-Studie darstellen, da sich einige Autoren
immer wieder darauf beziehen und die Studie zum Teil auch Hinweise und Gründe für die
Reformierung der Lehr- und Lernformen liefert. Sie steht somit in enger Verbindung zur
neuen Lernkultur und zeigt Gründe für die Notwendigkeit neuer Lehr- und Lernformen.
2.1.5.1 Was ist PISA?
Die Abkürzung PISA bedeutet ,,Programme for International Student Assessment". Es
handelt sich hierbei um eine internationale Vergleichsstudie, bei der die Leistung von 15-
jährigen Schülerinnen und Schülern, dies entspricht in Deutschland der 9. Jahrgangsstufe,
erfasst wurde. Insgesamt haben 33 Staaten an der Bildungsstudie teilgenommen. Getestet
wurden drei Bereiche: 1. die Lesekompetenz, 2. die mathematische Grundbildung und 3.
die naturwissenschaftliche Grundbildung. Wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten dieser
Bereiche sind zum einen Teil des Lehrstoffs und zum anderen bilden sie elementare Quali-
fikationen für das Erwachsenenleben
(vgl. PISA 2000. 2001, S.15-17).
Die erste Erhebung fand im Jahre 2000 statt, dort wurde primär die Lesekompetenz der
Schülerinnen und Schüler überprüft, im Jahre 2003 wurde die zweite Erhebung durchge-
führt, hierbei stand die mathematische Grundbildung im Vordergrund. Die dritte Erhebung
wird 2006 mit dem Schwerpunkt naturwissenschaftliche Grundbildung ausgeführt.
Neben den drei aufgeführten Bereichen wurden auch fächerübergreifende Kompetenzen
wie zum Beispiel Voraussetzungen für selbstreguliertes Lernen als auch Kooperations-
und Kommunikationsfähigkeit überprüft. Wobei die Lesekompetenz als eine zentrale fä-
cherübergreifende Qualifikation betrachtet wird, da spätestens in der Sekundarstufe I das
Leseverständnis eine Sache aller Unterrichtsfächer ist
(vgl. Weinert (Hrsg.), 2002. S. 289).
Weiterhin ist es wichtig zu erwähnen, dass nicht nur Faktenwissen der Schülerinnen und
Schülern verlangt wurde, sondern auch wichtige und zukunftsgerechte Basiskompetenzen
erforscht wurden, die für ein erfolgreiches Leben in der heutigen Gesellschaft von großer
Bedeutung sind und somit auch notwendige Voraussetzungen für die Arbeitswelt darstel-
len. Des Weiteren wird gefragt, ob die Jugendlichen diese Kompetenzen, wenn sie denn
vorhanden sind, erworben haben
(vgl. PISA 2000, a.a.O., S. 15-17).

24
2.1.5.2 Welche Auswirkungen haben die PISA-Ergebnisse auf das
deutsche Bildungswesen und die neue Lernkultur?
Die Ergebnisse der deutschen Schülerinnen und Schüler lassen zu Wünschen übrig. Das
Leistungsniveau der 15-Jährigen ist im internationalen Vergleich sehr schwach. Es man-
gelt ihnen an den Basisfähigkeiten wie Lesekompetenz sowie mathematischer und natur-
wissenschaftlicher Grundbildung. Es hat sich ferner herausgestellt, dass sich die unter-
schiedliche Förderung und Vorbereitung bezüglich der Bildung von Seiten des Elternhau-
ses auf die schulische Leistung auswirkt. Kinder, die weniger Anregungen und Hilfen von
ihren Eltern erhalten, bekommen nicht dieselben Bildungschancen wie Schülerinnen oder
Schüler mit ausreichender Förderung. Die Klassen an deutschen Schulen sind sehr hete-
rogen, trotz des dreigliedrigen Schulsystems. Die deutschen Bildungseinrichtungen haben
es noch nicht geschafft, diese Heterogenität und insbesondere die fehlende Förderung
einzelner Kinder auszugleichen
(vgl. Gisbert. 2004. S. 22).
In Kapitel 2.1.3 wurde von Weinert bereits auf die Heterogenität in deutschen Klassen-
zimmern reagiert.
Wie bereits erwähnt ist das Niveau der deutschen Schülerinnen und Schüler im Bereich
der Lesekompetenz im internationalen Vergleich sehr niedrig. Es wurde jedoch festgestellt,
dass Kinder mit einer guten Lesekompetenz über kognitive Grundfähigkeiten verfügen und
Texte schnell erfassen können. Des Weiteren sind sie in der Lage bestimmte Lernstrate-
gien effektiv anzuwenden. Kinder, die diese Fähigkeiten besitzen, zeigen zugleich ein
großes Interesse am Lesen und an Büchern allgemein. Daraus könnte man folgendes
schließen:
Schülerinnen und Schüler, die über eine hohe Lesekompetenz verfügen, weisen auch in
anderen Bereichen gute bzw. bessere Fähigkeiten auf als solche, die eine geringe Lese-
kompetenz besitzen. Im Allgemeinen haben die Jugendlichen besser abgeschnitten, die
auch über eine gute Lesekompetenz verfügen
(vgl. PISA 2000. 2001. S. 131).
PISA zeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Lese- und Mathematikleistung
gibt. In der Ergebnisdarstellung heißt es: ,,Die mathematische Leistung steigt, wenn die
Leseleistung wächst!" Somit trägt die Lesekompetenz zu der mathematischen Grundbil-
dung bei. Lesen ist weiterhin ein entscheidender Faktor bei dem Wissenserwerb
(vgl. PISA
2000, a.a.O., S. 185).
Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den schlechten Ergebnissen im Bereich der
Lesekompetenz?

25
Es steht fest, dass Schülerinnen und Schüler in diesem Bereich gefördert werden müssen.
Eine ausreichende Förderung kann zur Verbesserung der Informationsverarbeitung, also
zum Textverständnis führen und die Motivation eines Jugendlichen steigern.
,,Darüber hinaus zeigen sich deutliche Leistungsvorsprünge bei Schüle rinnen
und Schülern, die über eine textrelevante Wissens-basis sowie über hohe Le-
segeschwindigkeit und kognitive Grundfähigkeiten verfügen" (PISA 2000.
a.a.O., S. 131).
Die Autoren sind der Meinung, dass alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben,
ausreichend gefördert zu werden, auch wenn die anschließenden Ergebnisse und Erfolge
unterschiedlich ausfallen können. Auf spezielle Förderungsmaßnahmen zur Lesemotivati-
on und ­ Kompetenz werde ich hier allerdings nicht eingehen.
Forscher haben herausgefunden, dass das Wissen über die Anwendung effektiver Lern-
strategien die Behaltens- und Transferleistung eines Textes steigert. Leider werde im Un-
terricht viel zu wenig Wissen über solche Lernstrategien und verstehendes Lesen und
Lernen vermittelt. Dabei sei dies eine wirksame Methode zur Förderung der Lesekompe-
tenz. An dieser Stelle möchte ich auf die Lernpsychologin Stern (Kapitel 2.1.6) verweisen,
die ebenfalls dem Wissen eine zentrale Bedeutung bei allen Lernprozessen erteilt. Sie ist
der Meinung, dass es wichtig sei, Wissen über Lernprozesse und deren Wirkungsmecha-
nismen zu besitzen, denn nur so könne erfolgreiches Lernen stattfinden
(vgl. Stern 5/2003.
S. 459, In:
http://www.viel-wissen.de/servlet/PB/menu/1030439_l1/index.html?QUERYSTRING=stern).
Um jedoch auf die Defizite der Kinder bestmöglich eingehen zu können, und sie dement-
sprechend zu fördern, müssten die Lehrkräfte über diagnostische Fähigkeiten verfügen, so
heißt es im PISA-Bericht
(vgl. PISA 2000. 2001. S. 132).
Grundvoraussetzung für eine Steigerung der Lesekompetenz ist primär die Lesemotivati-
on. Den Kindern muss die Freude und das Interesse am Lesen näher gebracht werden,
erst dann ist eine Förderung weiterer Kompetenzen möglich. Lesen ist auch im Alltag der
Kinder und im späteren Leben entscheidend, um beispielsweise wichtige Informationen
der Medien aufnehmen zu können. Bereits die Grundschule müsse frühzeitig mit einer
effektiven Leserziehung beginnen, die in den darauf folgenden Jahrgangsstufen fortge-
setzt werden solle. Leseförderung müsse nicht nur Gegenstand des Deutschunterrichts
sein, auch andere Fächer eignen sich dafür. Die Förderung der Leseleistung kann fächer-
übergreifend geschehen. Wichtig sei an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass die Ent-

26
scheidungen für die Auswahl einer weiterführenden Schule am Ende der Grundschulzeit,
häufig auf der Leseleistung des Kindes basieren
(vgl. PISA 2000, a.a.O., S. 133).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es notwendig ist, dass Schulen, Erzieher und
Lehrkräfte auf die PISA-Ergebnisse reagieren müssen. Die Förderung der Lesekompetenz
ist für viele Bereiche des Lernens und anderer Fähigkeiten wichtig. Die neue Lernkultur
muss mit ihren Methoden und Formen des Lehrens und Lernens auf die Defizite im Be-
reich der Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler reagieren, indem sie effek-
tive Förderungen leistet.
PISA widmet sich des Weiteren einem Kapitel zum ,,Selbstreguliertem Lernen", das an
dieser Stelle erwähnt werden sollte, da das selbstregulierte Lernen eine wichtige Basis-
kompetenz darstelle, welche unter anderem auch getestet wurde.
Diese Lernstrategie sei sehr wichtig und effektiv, da Personen, die über diese Lernfähig-
keit verfügen, ihr eigenes Lernen regulieren können und sich selbstständig Lernziele set-
zen. Darüber hinaus weiß der selbstregulierte Lerner, welche Strategien er einsetzen
muss, um einen effektiven Lernerfolg zu erzielen. Schülerinnen und Schüler, die selbstre-
guliert lernen, setzen flexibel Strategien zum Wissenserwerb ein und sind motivierte Ler-
ner. Hierbei wirken die notwendigen kognitiven, motivationalen und sozialen Vorausset-
zungen für erfolgreiches Lernen zusammen
(vgl. PISA 2000, a.a.O., S. 271).
Die folgende Aussage stellt die Voraussetzungen für ein selbstreguliertes Lernen dar:
,,Ohne die Kenntnis von Strategien der Informationsverarbeitung, verbunden mit
Wissen um deren Wert und Nutzen, ist selbstreguliertes Lernen kaum denkbar,
da diese Kenntnis Lerner erst in die Lage versetzt, ihr eigenes Lernen aktiv zu
gestalten."
(PISA 2000, a.a.O., S. 272)
Hier kommen erneut die Erkenntnisse über die Bedeutsamkeit des Wissens von Stern ins
Spiel. Das anschließende Kapitel 2.1.6 liefert ausführliche Informationen über die Wis-
sensbedeutung bezüglich des Lernens.
Zusammenfassend wird deutlich, dass selbstreguliertes Lernen eine wichtige Kompetenz
darstellt, die jedoch nur erfolgreich ausgeführt werden kann, wenn die Voraussetzungen
dafür gegeben sind. Eine solide Wissensbasis bezüglich der Lernstrategien ist eine zentra-
le Voraussetzung. Fest steht auch, dies zeigen die Ergebnisse der PISA-Studie, dass
deutsche Schülerinnen und Schüler erhebliche Mängel in diesem Kompetenzbereich auf-
weisen. Wie bereits erwähnt besteht großer Förderbedarf bezüglich der Lesekompetenz.

27
Auch müssen sie im Bereich des selbstreguliertem Lernens ausreichend gefördert werden.
Dies scheint erfolgreich zu gelingen, wenn sie Kenntnisse über sinnvolle Lese- und Lern-
prozesse verfügen. Diese Kenntnisse können jedoch nur durch vielfältige Lern- und Lese-
erfahrungen erworben werden. Daraus lässt sich schließen, dass Schulen und insbeson-
dere die Lehrkräfte ihren Unterricht umorientieren müssen, um die oben genannten Kom-
petenzen zu fördern. Es gibt sicherlich bereits einige Schulen, die im Bereich der Lese-
kompetenz ausreichende Fördermaßnahmen zur Verfügung stellen, aber leider sind sol-
che Schulen noch in der Minderheit. Die Lerngelegenheiten müssen so verändert werden,
dass Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gegeben wird eine effektive Lernleistung
zu erzielen.

28
2.1.6 Elsbeth Stern: Veränderung der Lerngelegenheiten für eine effektive Lern-
leistung ­ die Bedeutung des Lernens
Elsbeth Stern ist Lehr- und Lernforscherin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in
Berlin und beschäftigt sich vorwiegend mit dem Lernen von Kindern. Sie hat lange Zeit mit
Weinert zusammengearbeitet. Sie nimmt Bezug zur modernen Gehirn- und Lernforschung
und erklärt somit auch die Funktion des Lernens. Ich möchte mich an dieser Stelle auf ihre
Erkenntnisse und Untersuchungen beziehen, da sie, ähnlich wie Weinert, die Bedeutung
des Lernens aus psychologischer Sicht betrachtet und nicht (immer) derselben Meinung ist
wie die bisher dargestellten Didaktiker. Sie vertritt beispielsweise nicht die Gedanken und
Erkenntnisse von Heinz Klippert. Des Weiteren scheint es wichtig zu erwähnen, dass Klip-
pert in seinen neuesten Erscheinungen Frau Stern und ihre Erkenntnisse zitiert.
4
Jedoch
ist es auffällig, dass Klippert erst in seinen aktuellen Erscheinungen Aussagen und Er-
kenntnisse von Stern und weiteren Vertretern der Lernpsychologie vertritt. An dieser Stelle
wäre es interessant zu untersuchen, ob sich sein Methodentraining diesbezüglich verän-
dert hat, oder, ob er sich in Widersprüche verwickelt. (Weiteres zu Klippert, Kapitel 2.2.1)
In ihren Auseinandersetzungen zur Funktion des Lernens, gibt sie Erklärungen, die zum
größten Teil auf empirischen Untersuchungen basieren. Weiterhin liefert sie Kriterien für
einen guten Unterricht.
Stern ist der Meinung, dass sinnvolles Wissen bei allen Lernprozessen im Vordergrund
stehe und dass das Ziel des Lernens intelligentes Wissen sein solle, welches der Weg
zum Können sei. Die Bedeutung des Lernens sei sehr groß, denn nur durch ein kontinuier-
liches Lernen könne sinnvoll Wissen erworben werden. Elsbeth Stern plädiert für eine
anspruchsvollere Lernkultur, bei der die Bedeutung des Lernens in den Vordergrund rückt
und dadurch intelligentes Wissen angeeignet wird.
Im Folgenden wird die Bedeutung des Lernens aus Sicht von Stern erläutert und welche
Maßnahmen zur Verbesserung der Lernleistung von Schülerinnen und Schülern getroffen
werden sollten.
Leistungsunterschiede resultieren häufig aus der unterschiedlichen Wissensorganisation.
Kinder beispielsweise lassen sich bei der Bildung von Begriffen primär von ihrer Wahr-
nehmung leiten. Häufig benötigt man allerdings einen theoretischen Hintergrund bzw. ein
tiefgründiges Wissen, um einige Dinge zu verstehen. Jüngere Kinder haben aus Alters-
gründen noch nicht die Gelegenheit zum Erwerb dieses Wissens gehabt und greifen somit
4
siehe bsplw.: Klippert, Heinz.: Lehrerbildung. 2004

29
auf ihre Wahrnehmung zurück und erklären sich die Dinge somit. Ihr Wissen ist anders
organisiert
(vgl. Stern; Schumacher: Lernziel: Intelligentes Wissen 2004. S.121-123,In: http://www.viel-
wissen.de/servlet/PB/menu/1030439/index.html).
Bezüglich der Erforschung des Lerntransfers hat sich herausgestellt, dass es nicht selbst-
verständlich ist, zwei vom Aufbau her gleiche Aufgaben, vom Inhalt her jedoch unter-
schiedlich, zu lösen. Auch nicht, wenn man die eine bewältigen kann. Besteht die zweite
Aufgabe nämlich aus anderen Wissenselementen, so ist die Übertragung der bekannten
Lösungsstrategie nicht gewährleistet. Konkret bedeutet dies, dass ein Schüler beispiels-
weise Aufgaben zur englischen Grammatik lösen kann, da er bereits die englischen Voka-
beln beherrscht und die Grammatik im Unterricht gelernt hat. Er kann allerdings nicht die-
selben Aufgaben im Fach Französisch lösen, da er diese Sprache nicht beherrscht
(vgl.
Stern; Schumacher. a.a.O., S. 123-124).
Stern ist weiterhin der Meinung, dass das Lernen ein sehr wichtiger Faktor der geistigen
Entwicklung ist und dabei eine entscheidende Rolle spielt. Bereits im Kindergarten und
auch später in der Grundschule würden die Lernpotenziale der Kinder nicht ausreichend
genutzt, da Erzieher und Lehrer diese zu wenig förderten. Aus diesem Grund muss die
Erziehung bereits im Kindergarten anspruchsvoller werden und in der Grundschule selbst-
verständlich weitergeführt werden. Dabei sollten Erzieher und Lehrer auf die neueren Er-
kenntnisse der Lern- und Gehirnforschung eingehen.
Stern führt einen Beleg für die unzureichende Förderung in der frühen Kindheit auf. Sie
sagt, die Gründe für das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler bei der
PISA-Studie lägen bei dieser mangelhaften Förderung der Kinder. Wie hier ersichtlich
wird, kann eine unzureichende Förderung in der Grundschule zu Lücken in der weiteren
Schullaufbahn führen.
,,Trotz der noch nicht abgeschlossenen Hirnentwicklung müssen Kinder schon
früh gefördert werden."
(Stern.5/2003.S.457,
In:http://www.viel-wissen.de/servlet/PB/menu/1030439/index.html)
Die Schule müsse den Kindern Wissen und Kompetenzen vermitteln. Die benötigten Kom-
petenzen entstehen nicht durch Reifung. Das angeeignete Wissen muss allerdings immer
wieder neu genutzt und aufgebaut werden, damit es nicht verloren geht. Um sich effektiv

30
Wissen anzueignen, braucht der Mensch eine Anleitung bzw. eine Überwachung durch
einen Lehrer, so erläutert Stern
(vgl. Stern, a.a.O., S. 457-459).
Wie aber schafft es eine Lehrkraft, den Schülerinnen und Schülern etwas beizubringen?
Wie muss das Lernen und Lehren gestaltet sein, damit am Ende etwas Sinnvolles heraus-
kommt? Dafür benötigt man Wissen über Lernprozesse und deren Wirkungsmechanismen
(vgl. Stern, a.a.O., S.
459)
. Wie bereits erwähnt, solle die Erziehung anspruchsvoller werden,
damit die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler verbessert werden. Im Zusam-
menhang damit stehe die Gestaltung einer anspruchsvolleren Lernumgebung für Kinder.
Aber was genau muss an den Lerngelegenheiten geändert werden? Erzieher, Eltern und
auch Lehrer müssen den Kindern mehr zumuten. Im Folgenden werden Gründe dafür
geliefert:
Kinder können viel mehr lernen, wenn man damit etwas früher beginnen würde, das heißt,
den Schulstoff einfach vorverlegen. Erkenntnisse aus der Lernforschung lassen uns wis-
sen, dass der Erwerb einer Fremdsprache leichter fällt je jünger man ist. Somit könnten
Kinder eine Sprache mehr erlernen, würden sie früh genug damit beginnen. Auch das
naturwissenschaftliche Wissen könnte durch eine frühere Lerngelegenheit erweitert wer-
den.
,,Wir könnten also mehr Stoff in die Schulzeit packen, wenn
diese effizienter
genutzt würde."
(Stern, a.a.O., S.460)
Eigentlich geht es aber primär gar nicht darum, mehr zu lernen, sondern generell anders
und effizienter zu lernen. Schülerinnen und Schüler sollten ihr Wissen sinnvoll verknüpfen
und den Lernstoff verstehen, nur so kann erfolgreiches Lernen stattfinden. Erst wenn die-
ser Schritt getan ist, besteht die Möglichkeit, mehr Schulstoff einzuführen.
Ein weiterer Grund für eine Veränderung der Lerngelegenheiten bzw. die Frühförderung
der Kinder sei die Gehirnleistung im Kleinkindalter. Das Gehirn ist zu diesem Zeitpunkt
sehr aufnahmefähig und muss regelmäßig trainiert werden, sonst gehen wichtige Kapazi-
täten verloren. Das Lernen fällt im Kindesalter leichter als im fortgeschrittenen Alter.
Die Ergebnisse der Hirnforschung unterstützen einen Unterricht, der eine anregende Lern-
umgebung schafft, in der Schülerinnen und Schüler aktiv neues Wissen aufbauen können
(vgl. Stern, a.a.O., S.460-463).
Stern kritisiert die Tradition der Bildung, nämlich die Idee der formalen Bildung. Diese geht
davon aus, dass die geistige Entwicklung durch das Beschäftigen mit möglichst komplexen

31
und abstrakten Aufgaben, egal, welche Inhalte, gesteigert wird. Allerdings haben amerika-
nische Psychologen und später auch Stern und Ludwig Haag einen berechtigten Zweifel
an dieser Annahme eines spezifischen Transfers ausgeübt. Stern und Haag haben bewie-
sen, dass es beispielsweise keinen Zusammenhang zwischen Lateinlernen und logischem
Denken gibt. Das heißt, das logische Denken wird nicht durch das Erlernen von Latein
gefördert.
Der Inhalt spiele somit doch eine entscheidende Rolle beim Lernen. Es komme nur dann
zur Lernübertragung, wenn beide Gebiete die gleichen Wissenselemente beinhalten
(vgl.
Stern, a.a.O., S. 463f).
Stern widerlegt, dass intelligente Schülerinnen oder Schüler weniger für die Schule lernen
müssen als weniger intelligente Kinder. Wie bereits erwähnt, ,,sei der Schlüssel zum Kön-
nen Wissen und nicht Intelligenz!"
(vgl. Stern. 6/2003. S. 568, In:
http://www.viel-
wissen.de/servlet/PB/menu/1030439/index.html ).
,,Die Verfügbarkeit einer intelligenten Wissensbasis, die es einem ermöglicht,
sich neuen Situationen flexibel anzupassen, gehört zum Höchsten, was Men-
schen erreichen können."
(Stern, a.a.O., S. 568)
Die Münchener Scholastik-Studie zeigt jedoch, dass intelligentere Kinder im Allgemeinen
auch über mehr Wissen verfügen. Allerdings können weniger intelligentere Kinder durch
viel Fleiß und Übung durchaus denselben Wissenstand erreichen. Das Wissen, welches
zum Erfolg führt, muss allerdings intelligent verknüpft und mit anderen Wissensinhalten
sinnvoll vernetzt sein. Isoliertes Faktenwissen ist eher unbrauchbar. Wenn ein Schüler
beispielsweise den Satz des Pythagoras kennt, ihn aber nicht anwenden oder erklären
kann, hilft er ihm bei der Lösung einer mathematischen Aufgabe wenig
(vgl. Stern, a.a.O., S.
568-571).
Viele Didaktiker und Pädagogen, wie zum Beispiel Klippert, plädieren für die Vermittlung
von zukunftsgerechten Schlüsselqualifikationen, diese sollen im Mittelpunkt des Unter-
richts stehen und sind angeblich wichtiger als die Wissensvermittlung. Elsbeth Stern ist
allerdings anderer Meinung. Sie sagt, dass man Wissen nicht von Kompetenzen abgren-
zen sollte, denn allein das, was unter Kompetenzen falle, sei Wissen. Beispielsweise be-
nötige man für eine erfolgreiche Gruppenarbeit Wissen über die Stärken und Schwächen
der anderen Gruppenmitglieder. Um eine Aufgabe zu bewältigen, brauche man das Wis-
sen über die geeignete Strategie. Lehrkräfte können durchaus Schlüsselqualifikationen

32
vermitteln, sie sollten dies aber immer im Zusammenhang mit der Vermittlung von Inhalten
bzw. Wissen verbinden.
Stern unterscheidet hier allerdings zwischen intelligentem und weniger intelligentem Wis-
sen oder auch brauchbarem und unbrauchbarem Wissen. Weniger intelligentes Wissen
führt nicht zur Bewältigung bestimmter Anforderungen. Um beispielsweise physikalische
Begriffe auf die Umwelt anzuwenden, reicht nicht nur die Definition dieser Begriffe aus.
Dazu benötigt man tieferes und sinnvoll verknüpftes Wissen. Je mehr Wissen zur Verfü-
gung steht, umso leichter fällt der Erwerb weiteren Wissens. Allerdings muss intelligentes
Wissen von Schülern selbst gestaltet werden, Lehrkräfte können dieses nicht vermitteln.
Der Lernende muss an sein bereits vorhandenes Wissen sinnvoll anknüpfen und Zusam-
menhänge herstellen, nur so erfolgt die Konstruktion von brauchbarem Wissen. Je besser
sein Wissen strukturiert ist, desto besser kann er neue Informationen aufnehmen und ver-
netzen
(vgl. Stern, a.a.O., S. 572f).
Der Aufbau solch eines Wissens soll bereits in der Grundschule beginnen, da dieser Pro-
zess Zeit benötigt. Zwei Dinge sind dafür notwendig, zum einen die Automatisierung und
zum anderen das Verstehen. Mit Automatisierung ist das selbst regelnde Anwenden von
Wissen gemeint. Stern führt unter anderem folgendes Beispiel auf: Wenn ein Fahrschüler
das Autofahren lernt, muss er sich zu Beginn immer wieder die einzelnen Schritte vor Au-
gen führen und sich ausschließlich darauf konzentrieren. Ein geübter Fahrer hingegen
macht diese einzelnen Schritte ganz automatisch, er kann sich gleichzeitig auf das Ge-
spräch des Beifahrers konzentrieren, ohne dass er einen Schritt vergisst. Das Wissen über
das Autofahren wird nach einer gewissen Automatisierung selbst regelnd angewandt. Die
Automatisierung erfolgt nach regelmäßigem Üben in Teilschritten. Das automatisierte Wis-
sen ist weiterhin die Voraussetzung für das Verstehen. Ist der Prozess der Automatisie-
rung vollendet, so existiert freier Platz für Verstehensprozesse. Erst wenn die Automatisie-
rung durch den Prozess des Verstehens ergänzt wird, entwickelt sich intelligentes Wissen
(vgl. Stern, a.a.O., S. 574f).
Das schlechte Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler bei internationalen
Studien resultiert unter diesen Voraussetzungen gemäß Stern unter anderem aus dem
unzureichenden Vorwissen, welches die Kinder mitbringen. Aus diesem Grund muss be-
reits in der Primarstufe brauchbares Wissen vermittelt bzw. konstruiert werden, an das
später angeknüpft werden kann.
Um diesen Prozess erfolgreich zu vollziehen, sollten Lehrer wissen, wie Lernen funktio-
niert. Sie sollten aktuelle Ergebnisse aus der Gehirnforschung und der Entwicklungspsy-

33
chologie dabei berücksichtigen. Des Weiteren sollten Lehrkräfte Kenntnis über das Vor-
wissen ihrer Schülerinnen und Schüler haben, damit sie dort anknüpfen können und das
Wissen der Kinder so sinnvoll erweitert wird.
Elsbeth Stern plädiert weiterhin für eine anregende Lernumgebung und für das Üben in
kleinen Schritten, nur so erfolgt ein effizientes Lernen.
Um noch mal auf die ,,schlechten" Ergebnisse von TIMSS und PISA zurückzukommen, soll
hier eine weitere Erklärung von Stern für die Defizite der deutschen Schülerinnen und
Schüler angeführt werden. Das schlechte Abschneiden ließe sich unter anderem auf den
zu wenig anregenden Unterricht zurückführen. Lehrerinnen und Lehrer gestalten ihren
Unterricht häufig viel zu eintönig und uninteressant. Schülerinnen und Schüler müssen
herausgefordert werden, sie brauchen anregende und interessant gestaltete Lernumge-
bungen. Lehrkräfte sollten sie mit Aufgaben oder Problemen konfrontieren, die sie auf
Anhieb noch nicht bewältigen können. Das Vorwissen für die Lösung besitzen sie aller-
dings schon. In solchen Situationen sind die Schülerinnen und Schüler gefordert, nachzu-
denken und ihr bereits erworbenes Wissen zu aktualisieren und mit dem Neuen zu ver-
knüpfen
(vgl. Stern, 4/2004. S. 534f,
In: http://www.viel-wissen.de/servlet/PB/menu/1030439/index.html).
2.1.6.1 Psychologische Erkenntnisse des Lernens
Lernen bedeute, so formuliert es Stern, Informationen zu verarbeiten, dabei sei das Ent-
scheidende die Ausblendung bestimmter Inhalte. Der Mensch nimmt nur die Informationen
auf, die für ihn wichtig erscheinen, dabei hilft ihm das so genannte Arbeitsgedächtnis. Die-
ses sei der Grund dafür, dass wir nicht alles speichern bzw. behalten können. Zentrale
Funktionen des Arbeitsgedächtnisses sind im Frontalhirn (Frontalhirnlappen = Lobus fron-
talis) lokalisiert. Personen, die Störungen in diesem Bereich des Gehirns haben, seien in
der Ausführung von Plänen gestört.
Eine hohe Gedächtnis-Leistung sei nicht durch unspezifisches Gedächtnis-Training zu
erwerben. Eine effiziente Nutzung der Gedächtniskapazität setzt die systematische Struk-
turierung von Wissen voraus. Um das Gedächtnis zu entlasten und sich viel zu merken,
benötige man ein gutes mathematisches Wissen und Verständnis. Die Mathematik verhilft
zu einigen Strategien, mit denen man viele Informationen speichern kann. Hier spielt das
Vorwissen wieder eine entscheidende Rolle. Wer beispielsweise das binäre Zahlensystem
beherrscht, kann die gegebenen Informationen dahingehend umwandeln und bündeln, mit

34
dieser Strategie würde die Gedächtnis-Leistung gesteigert. Die Bündelung von Wissen
nennt man
,,Chunking", damit ist die Merkfähigkeit in einem bestimmten Inhaltsbereich
gemeint, die dadurch verbessert werden kann, indem man das Wissen in die-
sem Bereich systematisch umstrukturiert und vielfach vernetzt.
(Stern: 4. Teil: Chunking I (Bündelung), In:
http://www.viel-wissen.de/servlet/PB/menu/1030439/index.html)
Das Entscheidende, argumentiert Stern, sei bei allen Lernprozessen die Art und Weise,
wie wir Wissen speichern.
2.1.6.2 Lernpsychologische Kriterien guten Unterrichts
Lehrkräfte, die einen guten Unterricht vollziehen, besitzen Kenntnisse über Lernprozesse
und die Funktion des Lernens, nur so können sie auf die Schülerinnen und Schüler einge-
hen und effektiven Unterricht gestalten.
Wie bereits erläutert, ist Stern ist der Meinung, dass nur in Verbindung mit Wissen gelernt
werden könne. Wissen ist nämlich situiert, das heißt auf die Situation beschränkt, in der es
erworben wurde. Es sei weiterhin an die Bewältigung einer bestimmten Anforderung ge-
bunden. Der Transfer dieser Inhalte auf andere Gebiete könne nur stattfinden, wenn bei
Bewältigung zweier Anforderungen auf das gleiche Wissen zurückgegriffen werden kann.
Ist dies nicht der Fall, das heißt, sind die Anforderungssituationen nicht identisch, muss
das Wissen zunächst umstrukturiert und angepasst werden. Bezogen auf die Unterrichts-
wirklichkeit, bedeute dies, dass gute LehrerInnen die Schülerinnen und Schüler auf Paral-
lelen zwischen den verschiedenen Fächern bzw. Inhaltsgebieten hinweisen sollten
(vgl.
Stern: 8. Teil: Transfer von Lernstrategien, In:
http://www.viel-wissen.de/servlet/PB/menu/1030439/index.html).
Ein effektiver Mathematikunterricht befähige die Kinder zum Modellieren mit Zahlen, sie
müssen begreifen, dass Zahlen nicht nur zum Zählen da sind. Die Hauptaufgabe der
Grundschule sei die Vermittlung einer abstrakten Zahlauffassung. Ein guter Mathematik-
lehrer bzw. eine gute Mathematiklehrerin gäbe den Kindern Aufgaben vor, die die Anwen-
dung mathematischer Prinzipien in neuen Kontexten erfordern. Schülerinnen und Schüler
benötigen dazu Freiraum, um selbstständig Lösungswege zu finden. Ein guter naturwis-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836629201
DOI
10.3239/9783836629201
Dateigröße
14.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dortmund – Erziehungswissenschaften, Studiengang Pädagogik
Erscheinungsdatum
2009 (April)
Note
2,0
Schlagworte
klippert primarstufe lernformen gruppenpuzzle pisa
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Titel: Neue Lehr- und Lernformen im Spiegel der pädagogischen Praxis
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