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Genderspezifische Gesundheitsförderung für Männer

Konzeptionelle Grundlagen und Implikationen für die Praxis

©2008 Bachelorarbeit 98 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die geringere Lebenserwartung von Männern und das im Vergleich zu Frauen andere Gesundheitsverhalten von Männern war mir schon länger bekannt, spätestens seit der Ausbildung zum Logopäden mit entsprechenden epidemiologischen Erörterungen vor knapp zehn Jahren. Diese Tatsachen und die bei vielen Erkrankungen höhere Morbidität von Männern begegnete mir im Studium der Gesundheitswissenschaften erneut. Als Mann wunderte mich das: Die höhere Mortalität und Morbidität von Männern im Vergleich zu Frauen stehen im Kontrast zu ihrer (in ihrem Durchschnitt) sozioökonomisch und politisch vorherrschenden Stellung. Dies wirft Fragen nach den Ursachen auf: Was verursacht derartige sichtbar werdenden Gesundheitsdefizite bei Männern? Dass tradierte Formen von Männlichkeit in vielerlei Hinsicht und auch in Bezug auf Gesundheit defizitär sind, wurde z. B. von der relativ kleinen Männerbewegung in den USA der siebziger Jahre oder in der BRD in den achtziger Jahren diskutiert. Aber ein tieferes Verständnis der gesundheitlichen Verfasstheit von Männern ergab sich dadurch noch nicht.
Es scheint eigentlich als selbstverständlich, dass Männer sich mit ihrer epidemiologisch auffälligen Gesundheitsproblematik in Wissenschaft und gesellschaftlicher Diskussion auseinandersetzen. Gleichwohl geschah dies lange Zeit kaum.
Demgegenüber erarbeitete sich seit den siebziger Jahren, getragen von der Frauenbewegung, die Frauengesundheitsbewegung und Frauengesundheitsforschung eigene Perspektiven auf die Gesundheit von Frauen und gerade auch der Einbettung von Gesundheit in die gesellschaftlichen Verhältnisse. Einer androzentristischen Sicht von Körper und Gesundheit konnte eine Geschlechterperspektive entgegengestellt werden, die auf die Bedeutung des Geschlechts über die Biologie hinaus verwies. Die Rolle des sozialen Geschlechts (engl. Gender) im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (engl. Sex) wurde thematisiert. Wichtige Impulse zur Veränderung einer reduzierten biomedizinischen Sicht hin zu einem bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit wurden von der Frauengesundheitsbewegung gegeben: „Gegen ein technisches, organ- und funktionsbezogenes Verständnis der Medizin setzten die Frauen die Bedeutung sozialer und psychischer Bedingungen, unter denen Krankheit entsteht und behandelt wird und unter denen Gesundheit erhalten bleibt“.
Die Bedeutung des sozialen Geschlechts für die Gesundheit von Männern wurde von Männern indes selten analysiert. In der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die gesundheitliche Ungleichheit
von Frauen und Männern.
2.1 Mortalität und Morbidität im Geschlechtervergleich
2.2 Diskussion biologischer Faktoren für die gesundheit-liche Ungleichheit von Frauen und Männern
2.3 Die Klosterstudie
2.4 Spezifische Gesundheitsrisiken von Männern
2.4.1 Stressbelastungen
2.4.2 Arbeitsbelastungen
2.4.3 Gewalterfahrungen
2.4.4 Risikoverhalten
2.4.5 Ernährung
2.4.6 Rauchen
2.4.7 Alkohol
2.4.8 Illegale Drogen
2.4.9 Depressionen
2.5 Soziale Vernetzung von Männern
2.6 Auf Gesundheit zielendes Handeln von Männern
2.7 Männer und Sport
2.8 Das Echo auf Gefährdungen männlicher Gesundheit

3.Genderspezifische Bedingungen für das Gesundheitsverhalten von Männern
3.1 Theorien zur Männlichkeit in Bezug auf Gesundheit
3.1.1 Geschlechterrollen und somatische Kulturen
3.1.2 Pierre Bourdieus Analyse der männlichen Herrschaft
3.1.3 Connells Soziologie der Männlichkeit
Exkurs: Gesundheit homosexueller Männer
3.1.4 Kontroversen um die Männlichkeitskritik
3.1.5 Männliche Sozialisation und Bewältigung
3.2 Gesundheitsrelevante Aspekte
männlicher Dispositionen
3.2.1 Körperbewusstsein, Externalisierung und Feindseligkeit
3.2.2 Unabhängigkeit und Kontrollfähigkeit
3.2.3 Risikobereitschaft
3.2.4 Konkurrenz von Arbeitswelt und Gesundheit
3.3 Interaktion von Gender und sozialen Faktoren
3.4Gesundheitsressourcen und Potenziale von Männern
3.5 Zusammenfassung genderspezifischer Bedingungen
für das Gesundheitsverhalten von Männern

4. Konsequenzen für eine genderspezifische
Gesundheitsförderung
4.1 Möglicher Orientierungsrahmen für eine gender-
spezifische Gesundheitsförderung bei Männern
4.2 Gesundheitsförderung für Männer als gesellschaftliche
Aufgabe
4.3 Förderung des Gesundheitsverhaltens von Männern:
Kriterien und Beispiel

5. Schluss

1. Vorwort

Die geringere Lebenserwartung von Männern und ihr im Vergleich zu Frauen anderes Gesundheitsverhalten war mir schon länger bekannt, spätestens seit der Ausbildung zum Logopäden mit entsprechenden epidemiologischen Erörterungen vor nun knapp zehn Jahren. Diese Tatsachen sowie die bei vielen Erkrankungen höhere Morbidität von Männern begegnete mir im Studium der Gesundheitswissenschaften erneut. Als Mann wunderte mich das: Die höhere Morbidität und Mortalität von Männern im Vergleich zu Frauen stehen im Kontrast zu ihrer (im Durchschnitt) sozioökonomisch und politisch vorherrschenden Stellung. Dies wirft Fragen nach den Ursachen auf: Was verursacht derartig auffallende Gesundheitsdefizite von Männern? Dass tradierte Formen von Männlichkeit in vielerlei Hinsicht und auch in Bezug auf Gesundheit defizitär sind[1], wurde z. B. von der relativ kleinen Männerbewegung in den USA der siebziger Jahre oder in der BRD in den achtziger Jahren diskutiert. Aber ein tieferes Verständnis für Ursachen der spezifischen Gesundheitsprobleme von Männern ergab sich dadurch noch nicht.

Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Männer sich mit ihrer auffälligen Gesundheitsproblematik in Wissenschaft und gesellschaftlicher Diskussion auseinandersetzen. Gleichwohl geschah dies lange Zeit kaum.

Demgegenüber erarbeitete sich seit den siebziger Jahren, getragen von der Frauenbewegung, die Frauengesundheitsbewegung und Frauengesundheitsforschung eigene Perspektiven auf die Gesundheit von Frauen und gerade auch auf die Einbettung von Gesundheit in die gesellschaftlichen Verhältnisse. Einer androzentrischen Sicht von Körper und Gesundheit wurde eine Geschlechterperspektive entgegengestellt, die auf die grundsätzliche Bedeutung des Geschlechts über die bloße biologische Festlegung hinaus verwies. Die Rolle des sozialen Geschlechts (engl. Gender) als Erweiterung des biologischen Begriffes von Geschlecht (engl. Sex) wurde thematisiert. Wichtige Impulse zur Veränderung einer lediglich biomedizinischen Sicht hin zu einem bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit wurden auf diese Weise von der Frauengesundheitsbewegung gegeben: „Gegen ein technisches, organ- und funktionsbezogenes Verständnis der Medizin setzten die Frauen die Bedeutung sozialer und psychischer Bedingungen, unter denen Krankheit entsteht und behandelt wird und unter denen Gesundheit erhalten bleibt“ (Babitsch et al. 2006, S. 511).

Die Bedeutung des sozialen Geschlechts für die Gesundheit von Männern wurde von Männern indes selten analysiert. Aus biomedizinischer Sicht war das soziale Geschlecht kein Thema; der scheinbare „Normalfall Mann“ in der Medizin musste nicht hinterfragt werden. Will Courtenay formulierte dieses Manko so: „It can be argued, that most of what we know about health is about men's health, that most medical research of the last century was conducted on men. But in fact it was conducted on male bodies“ (Courtenay 2002, S. 2, Hervorhebung wie im Original). Es ergeben sich jedoch Erkenntnislücken, wenn Forschung sich auf die Körper von Männern konzentriert und deren soziale und psychische Bedingungen außer Acht lässt. Um Gesundheit von Männern zu verstehen und natürlich auch um sie beeinflussen zu können, müssten Erklärungsmodelle zu den Gesundheitsproblemen von Männern in ihrer gesellschaftlichen und individuellen Situation und in ihrem Mann-Sein gefunden werden.

Diese Arbeit möchte die Hintergründe für die gesundheitliche Situation von Männern beleuchten, dem gesundheitsrelevanten Verhalten von Männern nachgehen und Kriterien für eine gesundheitsfördernde Praxis diskutieren. Zunächst werden epidemiologische Erkenntnisse und erste Einschätzungen dazu aufgeführt und Konzepte von Männlichkeit (bzw. von verschiedenen Männlichkeiten) und deren Zusammenhang mit Gesundheit ausführlich reflektiert. Schließlich werden Konsequenzen dieser Überlegungen für eine mögliche genderspezifische Gesundheitsförderung erörtert und einzelne Beispiele von Gesundheitsförderung für Männer betrachtet.

2. Die gesundheitliche Ungleichheit von Frauen und Männern

2. 1 Mortalität und Morbidität im Geschlechtervergleich

Die Lebenserwartung von Männern und Frauen ist unterschiedlich. Männer werden in Deutschland und in fast allen Staaten der Welt nicht so alt wie Frauen. Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes durch das Robert-Koch-Institut (im Folgenden abgekürzt R.K.I.) beziffert die durchschnittliche mittlere Lebenserwartung bei Geburt im Jahr 2006 mit 81,6 Jahren bei Frauen und 76 Jahren bei Männern (R.K.I. 2006 S. 15). Dieser Unterschied von derzeit fünfeinhalb Jahren ähnelt den Zahlen anderer westlicher Industrieländer[2].

Auch die Mortalität in verschiedenen Altersabschnitten unterscheidet sich. Die höhere Mortalität von Männern, ihre sogenannte Übersterblichkeit, fällt in den mittleren Lebensjahren zwischen 30 und 65 mit doppelt so vielen Todesfällen wie bei Frauen deutlich aus (R.K.I. 2005/1 S. 16). Dies entspricht auch einer etwas älteren Statistik von 1988 des United Nations Secretariat: In 30 Industriestaaten betrug die Geschlechterdifferenz bei der Lebenserwartung bei Männern und Frauen damals durchschnittlich 6,6 Jahre. Dabei war der Anteil der verschiedenen Altersstufen an der Mortalitätsdifferenz unterschiedlich: Die Lebensjahre von 0 – 24 machten daran 11,5 % aus, Lebensjahre 25 – 64 trugen zu 46,1 % zu dieser Geschlechterdifferenz an Lebenserwartung bei. Die Lebensjahre 65 – 74 und 75 aufwärts machten 42,3 % aus. Bei anderer Einteilung zeigt der Zeitraum von 45 - 74 Jahren den größten Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Mortalität: 58,8 % der Übersterblichkeit von Männern ereignet sich in diesem Lebenszeitraum (vgl. Luy 2002 S. 8).

Der Unterschied in der durchschnittlichen Lebenserwartung von Männern und Frauen war im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. 1990 war dieser Unterschied in Deutschland mit 6,6 Jahren noch um ein Jahr größer als heute. Die Lebenserwartung stieg seit 1990 um 2,8 Jahre bei Frauen und um 3,8 Jahre bei Männern, vor allem durch verminderte Alterssterblichkeit der Männer (vgl. R.K.I. 2006 S. 15). Es gab also in den zurückliegenden Jahren eine Angleichungstendenz. Diese ist auch in anderen Ländern zu beobachten, z. B. in Dänemark und zeitweise in den Niederlanden, und sie wird dort mit dem veränderten Tabakkonsum von Frauen in Zusammenhang gebracht (vgl. R.K.I. 2006 S. 16).

Dieser jüngeren Tendenz in Deutschland geht eine lange Phase des wachsenden Unterschiedes voraus: 1850 lag die Lebenserwartung für beide Geschlechter bei annähernd 40 Jahren. Sie ging dann bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts für Männer um vier Jahre zurück, für Frauen um nur ein Jahr. Die Industrialisierung mit ihren Arbeitsverhältnissen war offenbar für Männer gefährlicher als für Frauen[3]. In Deutschland stieg dann bis 1900 / 1910 die Lebenserwartung auf 44,8 Jahre bei Männern und 48,3 bei Frauen mit nun dreieinhalb Jahren Differenz. Diese Differenz wuchs bis 1950 auf vier Jahre langsam an, vergrößerte sich bis 1970 rasch auf 6,5 Jahre und wuchs dann wieder verlangsamt bis 1980 auf 6,7 Jahre (vgl. Dinges 2007 S. 26 f.).

Es gibt also in dem skizzierten Zeitraum im Vergleich zur durchschnittlich steigenden allgemeinen Lebenserwartung eine mal größer, mal kleiner werdende Differenz in der Lebenserwartung der Geschlechter – bei generell höherer Lebenserwartung der Frauen. Die Todesursachen veränderten sich in diesem Zeitraum erheblich. „Früher überwogen verschiedene Infektionskrankheiten bei den Todesursachen, wovon vermehrt vor allem jüngere Frauen betroffen waren, während heute die Herz-Kreislauf-Erkrankungen dominieren, die damit auch von allen Todesursachen den größten Beitrag zu den geschlechtsspezifischen Mortalitätsdifferenzen liefern“ (Luy S. 9). Wir werden im Folgenden die derzeitigen Haupttodesursachen und Erkrankungen und deren unterschiedliche Häufigkeit bei Männern und Frauen beleuchten, um weiteren Aufschluss über momentane geschlechtsspezifische Gesundheitsunterschiede zu erhalten. Besonders hervorgehoben werden Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen, die zusammen 70 % der Todesfälle ausmachen (vgl. R.K.I. 2005/1 S. 20).

Bei den Todesursachen liegen seit langem die Herz-Kreislauferkrankungen vorn, wobei hier die Sterblichkeit in allen Altersgruppen außer bei über 90jährigen Frauen seit 1990 zurückgeht (vgl. R.K.I. 2006 S. 19). Insgesamt sterben an diesen Erkrankungen in jeder Altersgruppe mehr Männer (vgl. ebd. S. 22).

Die Anzahl der Herzinfarkt-Neuerkrankungen ist rückläufig für beide Geschlechter; in der Altersgruppe von 25 – 54 Jahren jedoch nimmt sie bei Frauen zu, korrelierend mit ihrem inzwischen vermehrten und früher beginnenden Zigarettenkonsum (vgl. R.K.I. 2006 S. 24). Unterm Strich jedoch „ist die altersstandardisierte Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate bei Männern doppelt so hoch wie bei Frauen“ (ebd. S. 24). Die Inzidenz von Schlaganfällen ist bei Männern ebenfalls um 10 % höher als bei Frauen (vgl. ebd. S. 27).

Nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen Krebserkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland dar. Bei den Männern endet vor allem Lungenkrebs, bei den Frauen Brustkrebs tödlich, bei beiden Geschlechtern danach Darmkrebs und bei Männern dann Prostatakrebs. Das Erkrankungsrisiko steigt in Deutschland seit 1990; z. Zt. erkranken altersstandartisiert 452 Männer und 335 Frauen pro 100.000 jährlich (vgl. R.K.I. 2006 S. 40 ff.).

Von Lungenkrebs sind Männer dreimal häufiger betroffen; Rauchen ist der Hauptrisikofaktor. Die Inzidenz sinkt bei Männern seit 1990, während sie bei Frauen wegen veränderten Rauchverhaltens langsam steigt (R.K.I. 2006 S. 42).

Bei Darmkrebs, dem bei beiden Geschlechtern zweithäufigsten Krebs, ist die Inzidenz für Männer und Frauen nahezu gleich (vgl. ebd. S. 43).

Deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es ebenfalls bei Demenzen und Depressionen. Zwei von drei Demenzkranken sind Frauen, hauptsächlich, weil Demenz meist im hohen Alters auftritt und Frauen länger leben. Sie scheinen aber auch die Demenzerkrankung länger zu überleben, was zur hohen Prävalenz beiträgt (vgl. R.K.I. 2006 S. 33). Zu Depressionen: Der Bundesgesundheitssurvey 1998 ergab, dass während eines Jahres 15 % der Frauen und 8,1 % der Männer eine depressive Phase hatten (vgl. R.K.I. 2006 S. 29). Zur Diskussion hierzu und zu möglicherweise unterschätzten männlichen Depressionen siehe auch das Kapitel 2. 4. 9.

Die Hintergründe erhöhter männlicher Morbidität und Mortalität werden nun in den Abschnitten 2. 2 bis 2. 7 diskutiert.

2. 2 Diskussion biologischer Faktoren für die gesundheitliche

Ungleichheit von Frauen und Männern

Die unterschiedliche Morbidität und Mortalität von Frauen und Männern lässt vor allem dann, wenn man aus primär naturwissenschaftlicher Sicht argumentiert, biologische Gründe plausibel erscheinen. „Das kürzere Y-Chromosom macht Jungen anfälliger für die auf dem X-Chromosom vererbten Krankheiten. (...) Auch wird vermutet, dass auf dem X-Chromosom lokalisierte Genabschnitte die Produktion des Immunglobulin IgM steuern, Jungen deshalb ein anfälligeres Immunsystem haben“ (Kolip Stein-Hilbers 2000, S. 37, vgl. auch Luy S. 17). Selbstredend ergeben sich Unterschiede, wenn Krankheiten an einem biologischen Geschlechtsmerkmal, bspw. der Prostata, auftreten. Im vorangegangen Abschnitt wurden Haupttodesursachen skizziert, u. a. die Herz-Kreislauferkrankungen. Es wird „diskutiert, ob die weiblichen Östrogene einen Schutz vor Herz-Kreislauferkrankungen darstellen“ (Kolip Stein-Hilbers 2000 S. 37 f.). Dies beträfe die Lebensjahre vor der Menopause, wobei dieser Zusammenhang bis dato noch nicht empirisch bestätigt werden konnte (vgl. ebd. S. 38).

Für die pränatale Sterblichkeit, „eine der wichtigsten Stützen der biologischen Perspektive“ (Luy S. 16), kommt Marc Luy zu dem Schluss, dass entgegen der früheren Annahme deutlich höherer pränataler Sterblichkeit männlicher Föten derzeit keine sicheren Aussagen über eine erhöhte Sterblichkeit vor dem siebten Schwangerschaftsmonat möglich seien. Nach dem siebten Monat ist jedoch ein höheres männliches Sterblichkeitsrisiko belegbar, welches aber im Rahmen des allgemeinen Rückgangs von Totgeburten und Säuglingssterblichkeit zurückzugehen scheint (vgl. ebd.). Luy referiert auch Erklärungsansätze, nach denen das Zusammenspiel kultureller und evolutionsgeschichtlicher Einflüsse für die geringere Lebenserwartung von Männern verantwortlich sei[4]. Männer hätten evolutionäre Nachteile durch höheren biologischen Aufwand zur Samenproduktion, durch den Aufwand ihrer natürlichen Aufgabe, einen Partner zu finden und mit daraus resultierender innermännlicher Konkurrenz, die wiederum zu Konflikt- und Risikobereitschaft führt, wie wir sie auch heute noch bei Männern finden.

Für Frauen ergab sich ein Nachteil durch den aufrechten Gang und daraus resultierenden Schwierigkeiten beim Geburtsvorgang. Der männliche Nachteil blieb bestehen, während das Geburtsrisiko für Frauen entscheidend reduziert werden konnte (vgl. Luy S. 18).

Kaum biologisch erklärbar sind jedoch die europäischen Unterschiede in der Erwartung gesunder Lebensjahre: 1996 erwarteten in Deutschland Frauen 69 gesunde Lebensjahre, Männer 63. Diese Differenz ist in anderen Ländern geringer, in Dänemark und den Niederlanden sogar nicht vorhanden, was gegen biologische Naturkonstanten als Ursachen spricht (vgl. Cornelißen 2005 S. 475 f.).

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die relativen und absoluten Schwankungen in der geschlechtlichen Mortalitätsdifferenz sind nicht allein durch konstante biologische Faktoren erklärbar. Hier müssen unabhängig davon lebensweltliche Einflüsse wirken oder auch mit biologischen Faktoren interagieren. P. Kolip und M. Stein-Hilbers resümieren, dass zwar nach wie vor auch biologische Faktoren für Unterschiede verantwortlich seien, nach dem Kindesalter aber andere Faktoren mitwirkten (vgl. Kolip Stein-Hilbers 2000 S. 38). Im folgenden Kapitel wird Marc Luys Klosterstudie vorgestellt, welche die unterschiedliche Mortalität von Frauen und Männern im spezifischen Lebensraum Kloster untersucht und starke Argumente für das Vorhandensein lebensweltlicher Einflüsse enthält.

2. 3 Die Klosterstudie

Ziel dieser Studie waren Aussagen über den relativen Anteil von biologischen und von Verhaltens- und Umweltfaktoren an der männlichen Übersterblichkeit. Mönche und Nonnen in Klöstern wurden deshalb als Studienpopulation gewählt, weil sich im Kloster die Umwelt- und Verhaltensfaktoren für Frauen und Männer gleichen, so dass Unterschiede der Lebenserwartung nicht auf sie, sondern auf biologische Ursachen zurückgeführt werden müssen. Wenn Sterblichkeitsunterschiede in der Allgemeinbevölkerung höher als in Klöstern ausfallen, muss diese Differenz durch Umwelt- und Verhaltenseinflüsse bedingt sein (vgl. Luy S. 20).

Das Klosterleben ist geprägt durch einen für alle Mitglieder verbindlichen einfachen und im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung stressarmen Lebensstil. In der spezifischen, nicht an monetärer Gewinnmaximierung orientierten Ökonomie des Klosters[5] „stellen Beruf bzw. ausgeübte Tätigkeit keine Belastung für die Ordensmitglieder dar, sondern werden als eine Form der Verwirklichung des Ordensideals verstanden (Luy S. 21). Ernährung und Wohnverhältnisse sind bei Nonnen und Mönchen sehr ähnlich, medizinische Versorgung ebenfalls. Auch wie auch immer zu begründende männliche Risikofreude, Unterschiede der Arbeitsbelastung, ungleiche Rollen zwischen Mann und Frau spielen hier kaum eine Rolle. Eine gewisse Ungleichheit hält Luy für möglich durch unterschiedliches Rauchverhalten; möglicherweise sei Rauchen bei Mönchen häufiger als bei Nonnen.

Während sich der Unterschied in der Lebenserwartung von Männern und Frauen in dem von Luy untersuchten Zeitraum von 1910 – 1985 in der Allgemeinbevölkerung vergrößerte (s. o.), zeigte sich in der Klosterstudie, dass sich der Unterschied in Klöstern konstant auf einem Niveau zwischen 0 – 2 Jahren bewegte (vgl. Luy S. 120). Luy nimmt an, dass biologische Faktoren ein bis zwei Jahre der Lebenserwartungsdifferenz ausmachten (vgl. ebd. S. 119). Bei Mönchen erhöhte sich, anders als bei Nonnen, vor allem nach 1955 im Vergleich zur männlichen Normalbevölkerung die Lebenserwartung, und zwar gerade in der im Kapitel 2. 1 schon angesprochenen Altersgruppe von 45 - 74 Jahren, in der ein Großteil der männlichen Übersterblichkeit auftritt (vgl. ebd. S. 118 f.). Luy schließt daraus: „Diese Sterblichkeitsunterschiede können eigentlich nur aus unterschiedlichen Verhaltensweisen und sozio-ökonomischen Belastungen resultieren...“ (Luy S. 119).

Lebensweltliche Faktoren dürften sich, anders als die biologische Grundausstattung, beeinflussen lassen. Diese Faktoren sollen in den folgenden Abschnitten 2. 4. - 2. 7 behandelt werden. Die Hintergründe männlicher Risiken und Eigentümlichkeiten werden danach im Kapitel 3 erörtert.

2. 4 Spezifische Gesundheitsrisiken von Männern

2. 4. 1 Stressbelastungen

Im vorangegangenen Abschnitt wurde das relativ stressarme Leben im Kloster angesprochen. Generell sind Menschen natürlich verschiedensten Stressoren ausgesetzt, wobei zunächst nicht ersichtlich ist, ob Männer stärker als Frauen Stress unterliegen: Männer haben zwar eine andere Stellung im Erwerbsleben als Frauen, was erhöhten Stress ausmachen kann (zu Arbeitsbelastungen siehe folgenden Abschnitt und Kapitel 3. 2. 4). Andererseits aber sind vorwiegend von Frauen ausgeübte Tätigkeiten wie Kindererziehung und Mehrfachbelastungen durch Haushalt und Arbeit bei Frauen ebenfalls plausible Quellen von Stress. Für eine weitere Betrachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede ist eine Klärung des Begriffes Stress sinnvoll. Toni Faltermaier beschreibt die transaktionale Konzeption von Stress nach Lazarus:

„In dieser Definition werden auf der einen Seite externe Anforderungen aus der Umgebung, aber auch interne Anforderungen (...) als das System der Person (...) fordernde Kräfte konzipiert. Auf der anderen Seite stehen die Anpassungskapazitäten der Person (...). Stress entsteht nur dann, wenn die Anforderungen die Anpassungskräfte des personalen Systems beanspruchen oder übersteigen (...)“ (Faltermaier 2005 S. 75).

Entscheidend ist dabei die subjektive Bewertung einer Situation. Für die gesundheitlichen Folgen von Stress ist desweiteren das Bewältigungsverhalten („Coping“) zentral (vgl. Faltermaier 2005 S. 99). Bewältigungsverhalten kann funktional oder dysfunktional ausfallen. „Es ist gut belegt, dass Frauen eher bereit sind als Männer, aktiv nach sozialer Unterstützung zu suchen. Diese Strategie zeigte sich als sehr wirksame Form der Bewältigung von Belastungen“ (Faltermaier 2005 S. 105). Hingegen wird das Bewältigungsverhalten von Männern pessimistischer eingeschätzt: „They are more likely than women to use avoiding coping strategies – such as denial, distraction and increased alcohol consumption – and are less likely to employ healthy, vigilant coping strategies and to acknowledge that they need help“ (Courtenay 2003 S. 4). Das Nicht-Gelingen der Bewältigung führt zu physischen und psychischen Stressreaktionen, deren Stärke und Dauer über den gesundheitlichen Ausgang entscheidet (vgl. Faltermaier 2005 S. 84).

In Bezug auf als typisch männlich angesehene Dispositionen nimmt Faltermaier an, dass ein von u. a. Aggressivität, Feindseligkeit, Konkurrenzstreben und Gefühl von Zeitdruck gekennzeichnetes Typ-A-Verhalten große Ähnlichkeit mit Persönlichkeitstereotypen von Männlichkeit habe und sozial für eine berufliche Karriere erwartet werde. Dieses Verhalten beeinflusse (in Bewertung und Bewältigung, s. o.) den Umgang mit Stressoren und schaffe auch belastende Situationen. Der Einfluss des Typ-A-Verhaltens auf die Entstehung von Herzerkrankungen sei belegt (vgl. Faltermaier 2004 S. 19).

Gleichzeitig fallen bei Männern die körperlichen und psychischen Reaktionen stärker aus: „Studies consistently report that men exhibit greater psychophysiological responses during acute behavioural stress, and that men are slower to recover from stress, which may help to explain the greater prevalence and severity of coronary heart disease among men (Courtenay 2003 S. 9).

Das Thema Stress und Bewältigung wird in dieser Arbeit immer wieder auftauchen, auch gleich im folgendem Abschnitt ist es von Bedeutung.

2. 4. 2 Arbeitsbelastungen

Arbeit kann für Männer verschiedenste Gesundheitsrisiken in sich bergen „So zeigt die Analyse der Arbeitsplatzbedingungen der 30- bis 65-jährigen Erwerbstätigen im Bundes-Gesundheitssurvey, dass Männer häufiger als Frauen an Arbeitsplätzen arbeiten, die von anstrengender Arbeit, schlechter Luft und Stress gekennzeichnet sind, Männer machen häufiger Überstunden und arbeiten häufiger in Schicht und/oder Nachtarbeit“ (R.K.I. 2005/1 S. 35).

Es ist schwer zu quantifizieren, inwieweit arbeitsbedingter Stress bei Männern zu Erkrankungen führt. Zwar ist er als Ursache plausibel, aber Luy weist darauf hin, dass in der DDR der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern kaum geringer als in der alten BRD war, trotz viel stärkerer Einbindung der Frauen in das Berufsleben und entsprechenden Mehrbelastungen durch Haushalt und Familie (vgl. Luy S. 12). Gleichwohl könnten die o. g. bei Männern häufigen Bewältigungsstile eine Erklärung liefern für trotzdem ausgeprägte männliche Übersterblichkeit bei Herz-Kreislauferkrankungen in der DDR. Auch vermuten verschiedene Autorinnen, dass die multiplen Rollen von Frauen trotz Mehrfachbelastungen ein gesundheitsförderndes Potenzial hätten (vgl. Kolip Stein-Hilbers 2000 S. 39, differenzierend Babitsch et al. S. 521 f.). Zu männlichen Bewältigungsstilen siehe besonders auch Abschnitt 3. 1. 5.

In jedem Fall: Es kann festgehalten werden, dass es ein generelles Risiko von stressbedingten Erkrankungen durch Arbeitsbelastungen gibt, dem Männer je nach Bewältigungsressourcen ausgesetzt sind; dies legt auch der oben zitierte Bericht des R.K.I. zu Grunde. Das Risiko kann je nach Tätigkeit und Position variieren: Faltermaier vermutet Risiken bei anhaltender Arbeitsbelastungen und geringen Kontrollmöglichkeiten (vgl. Faltermaier 2004 S. 17). Angreifbar sind Männer in diesem Bereich auch dadurch, dass Erwerbsarbeit für ihre Identität zentrale Bedeutung hat (vgl. Faltermaier 2004 S. 17) – dies erhöht die Anforderungen an den Einzelnen und beeinflusst die Bewertung von Belastungen (mehr zu männlicher Identität und Arbeit wiederum in Kapitel 3). Die Bedeutung der Erwerbsarbeit für Männer zeigt sich auch an den großen Gesundheitsrisiken, die Arbeitslosigkeit mit sich bringt (vgl. Courtenay 2003 S. 12 und R.K.I. 2005/1 S. 36). Hier wird deutlich, dass Arbeit eben nicht nur krank machen, sondern gleichzeitig auch protektiv wirken kann (vgl. Koppelin Müller 2004 S. 134).

Schadstoff- und Lärmexpositionen: Diese Belastungen treffen Männer stärker als Frauen, weil sie häufiger erwerbstätig und häufiger vollzeiterwerbstätig sind. Sie sind stark abhängig vom Beruf; Männer sind stärker in entsprechenden Berufen vertreten (vgl. Koppelin Müller 2004 S. 127, Courtenay 2003 S. 12).

Arbeitsunfälle: Auch davon sind Männer stärker betroffen, einerseits durch stärkere Erwerbstätigkeit, andererseits durch die unfallträchtigere Art der Tätigkeiten. „Von den über 1,2 Millionen Arbeitsunfällen 1996 entfielen 83 Prozent auf Männer und nur 17 Prozent auf Frauen. Von den rund 1.800 tödlichen Arbeitsunfällen waren im Jahr 1996 Männer in 86 Prozent der Fälle betroffen (...). Nur 13 Prozent der Personen, die nach einem Arbeitsunfall eine Behinderung haben, sind Frauen“ (Cornelißen 2005 S. 516). Für die USA kommt W. Courtenay zu noch drastischeren Zahlen (vgl. Courtenay 2003 S. 12).

2. 4. 3 Gewalterfahrungen

Gewalt wird überwiegend von Männern ausgeübt. Die Opfer männlicher Gewalt sind häufig – außer bei Gewalttaten gegen sexuelle Selbstbestimmung oder unter Eheleuten - Jungen oder junge Männer: „Junge Männer haben heute im Vergleich zu Frauen ein fast vierfach höheres Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, doppelt soviel männliche wie weibliche Jugendliche werden mindestens einmal täglich zu Hause geschlagen (...)“ (Döge 2004 S. 235). Erst im mittleren Lebensalter bilden die Frauen die Mehrzahl der Betroffenen (vgl. R.K.I. 2005/1 S. 69 f.). Die Folgen von Gewalt bei Jungen und Jugendlichen sind neben direkten physischen Folgen von Prellungen bis zu schweren Verletzungen psychische Traumatisierungen.

Die Einschätzung des Ausmaßes sexuellen Missbrauchs von Jungen bleibt wegen hoher Dunkelziffern schwierig; P. Döge schätzt, dass jeder achte bis zehnte Junge sexuell missbraucht wird (Döge 2004 S. 235). Nach amerikanischen Untersuchungen berichten insgesamt halb soviele Jungen wie Mädchen, sexuell missbraucht worden zu sein (Courtenay 2003 S. 3). Die Neigung von Jungen, davon zu berichten, ist wohl noch geringer, als bei Mädchen. Zusammenhängend mit der sexuellen Traumatisierung gilt die Feststellung: „Among adolescent boys (...), those who have been sexually abused are more likely than who were not abused to report poor mental health and are twice as likely to smoke or drink frequently or to have used drugs" (Courtenay 2003 S. 3 f.)[6].

Zu nennen ist ebenfalls die Gewalt gegen Homosexuelle durch Heterosexuelle. Vielfältige Erkenntnisse bietet hierzu bspw. der Materialband zu den Ergebnissen der MANEO-Studie von 2006/2007[7].

Das Ausmaß an Gewalterfahrungen von Jungen, Jugendlichen und bestimmten Gruppen von Männern ist erheblich und hat Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Eine tiefere Analyse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen; verwiesen sei auf Kapitel 3, in dem auch Aspekte von Gewalt angesprochen werden.

2. 4. 4 Risikoverhalten

Männer gehen mehr Risiken ein als Frauen. Man mag den höheren Konsum von Alkohol und Drogen hier einordnen (siehe entsprechende Abschnitte). Deutlich wird Risikoverhalten aber auch in riskanterem Fahrstil (vgl. R.K.I. 2005/1 S. 66 f.), tätlichen Auseinandersetzungen, höherer Kriminalität und in riskanterem Sexualverhalten (vgl. Courtenay 2003 S. 3). Gesundheitliche Auswirkungen dieser Risiken können Verletzungen sein (auch Verletzungen Anderer) sowie Schädigungen durch Substanzmissbrauch oder durch sexuell übertragene Krankheiten. Im Bereich Heim und Freizeit ist die Unfallhäufigkeit bei Männern und Frauen dagegen etwa gleich hoch; im Altersverlauf sinken die Unfallzahlen bei Männern und steigen bei Frauen[8]. Die Anzahl der Sportunfälle ist bei Männern höher als bei Frauen, die mehr Unfälle im Haushalt haben (vgl. R.K.I. 2005/1 S. 67 f.).

Ursachen für das Risikoverhalten der Männer finden sich in männlichen Sozialisationsbedingungen (siehe Kapitel 3, speziell Abschnitt 3. 2. 3). Es werden aber auch biologische Faktoren genannt, so z. B. die bei Männern bzw. männlichen Jugendlichen spezifische Aktivität des Monoaminsystems. Monoaminoxidase ist ein Neuroregulator, dem Einfluss auf Risikofreudigkeit zugeschrieben wird (vgl. Raithel 2004 S. 149 und Courtenay 2003 S. 9).

Eher durch Sorglosigkeit oder auch Unwissenheit als durch Risikofreude ist das folgende Thema gekennzeichnet: Die Ernährung von Männern.

2. 4. 5 Ernährung

Männer haben im Durchschnitt einen höheren Energiebedarf als Frauen auf Grund höherer Größe, Muskelanteil und körperlicher Aktivität (vgl. Mensink S. 159). Über diesen Bedarf hinaus essen Männer jedoch oft mehr als nötig, was zu Übergewicht führt: 70 % der Männer zwischen 30 und 50 gelten als übergewichtig (vgl. Klotz 1998 S. 461). „Die größten Differenzen zwischen Männern und Frauen sind im mittleren Lebensalter zu beobachten, einem Lebensabschnitt, in dem bei Männern das Herz-Kreislauf-Krankheiten-Risiko deutlich höher ist als bei Frauen“ (Mensink S. 163 f.). Die Auswahl der Speisen unterscheidet sich ebenfalls: Männer essen „anteilmäßig weniger Getreide, Kuchen/Kekse, Eier, Obst, Milch/Käse, Süßigkeiten, (...) Gemüsearten (...). Dafür nehmen sie anteilmäßig mehr Fisch, Fleisch, Wurstwaren, Kartoffeln und pflanzliche Fette zu sich. Auch trinken sie mehr Bier, Wein/Sekt und Spirituosen“ (Mensink S. 161). Ungesunde Ernährung erhöht neben dem Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen auch das von Krebserkrankungen. Hier ist auch die eher männliche Vorliebe für scharf gebratenes oder gegrilltes Fleisch zu nennen (vgl. Klotz 1998 S. 461).

Frauen gelten als gesundheitsinteressierter (vgl. auch Abschnitt 2. 6), was auch ihre Ernährung beeinflusst (vgl. Mensink S. 157). Darüber hinaus sind sie einem Schönheitsideal der Schlankheit unterworfen – mit Risiken für ihr Essverhalten. Courtenay verweist demgegenüber auf amerikanische Studien, nach denen ein Viertel normalgewichtiger Männer meint, zu wenig zu wiegen und annähernd die Hälfte der übergewichtigen Männer ihr Gewicht als normal einschätzen. Männer machen sich anscheinend eher mehr Sorgen „zu wenig“ zu sein, während Frauen eher mehr Probleme mit dem „Zuviel“ bekommen. Dies spricht für einen Unterschied in der Körperwahrnehmung (vgl. Courtenay 2003 S. 6).

2. 4. 6 Rauchen

„Historisch betrachtet gehörten Männlichkeit und Rauchen (...) lange zusammen. Für viele männliche Jugendliche war die erste Zigarette ein symbolträchtiger Schritt in das Erwachsensein, das geradezu als Initiation bezeichnet werden könnte“ (Dinges 2007 S. 31). Dinges bezweifelt, dass hier speziell männliche Risikofreude sichtbar werde: Die Assoziation von Rauchen und Männlichkeit entstand zu Zeiten, als das Gesundheitsrisiko des Rauchens nicht bekannt bzw. weithin unterschätzt wurde (ebd.). Laut Mikrozensus von 2003 bezeichnen sich 33 % der Männer und 22 % der Frauen insgesamt als Raucher bzw. Raucherinnen. Diese Anteile variieren in den Altersstufen: Zwischen 20 und 50 Jahren rauchen 40 – 45 % der Männer und 30 – 35 % der Frauen. Zwischen 15 und 20 Jahren beträgt der Abstand jedoch nur 4 % (vgl. Cornelißen 2005 S. 507). Es zeigt sich also eine Tendenz zur Angleichung bei Männern und Frauen – allerdings mit Unterschieden in Menge und Qualität des Konsums (vgl. Kolip Stein-Hilbers 2000 S. 40). Die Angleichungstendenz zeigt sich weltweit, wenn man das Verhältnis von Rauchern und Raucherinnen in einem Land insgesamt vergleicht mit dem (recht ausgeglichenem) Verhältnis speziell bei Jugendlichen. Die Tendenz scheint in Großbritannien mit ausgeglichenen Anteilen in der Gesamtbevölkerung am weitesten voran geschritten zu sein (vgl. WHO 2008 S. 166).

Die Gefährdungen durch Rauchen sind bekannt. „Das Rauchverhalten ist ein wesentlicher Risikofaktor für die vorzeitige Sterblichkeit und für eine Reihe von (...) Krankheitsbildern, insbesondere Lungenkrebs und kardiovaskuläre Krankheiten“ (RKI 2005/1 S. 38). Die sich angleichende Inzidenz von Lungenkrebs bei Männern und Frauen wurde schon erwähnt (vgl. hierzu auch ebd. S. 78). Wir sehen daran, dass ursprünglich männlich konnotiertes Verhalten von Frauen übernommen werden kann, also kulturell und historisch variiert. Die gesellschaftliche Einbindung von Gesundheitsverhalten wird in Kapitel 3 ausführlich erörtert.

2. 4. 7 Alkohol

Alkoholkonsum ist bei Männern trotz Angleichungstendenzen weiter verbreitet als bei Frauen: Sie konsumieren 75 % des Alkohols, während Frauen weniger und seltener täglich trinken (vgl. Sieverding 2000 S. 8). Männer stellen mehr als zwei Drittel der Alkoholabhängigen (vgl. Vosshagen 2004 S. 56) und sterben doppelt so häufig wie Frauen an Leberzirrhose (vgl. ebd. S. 55). Drei Viertel der Alkoholtoten sind Männer (vgl. Vosshagen 2007 S. 1). Starkes Trinken ist in seiner Wirkung autodestruktiv, wirkt aber auch sozial verheerend auf Familien und berufliche Möglichkeiten und reduziert die Schwelle aller möglichen Formen der Gewalt gegen Kinder und Frauen“ (vgl. Vosshagen 2004 S. 57).

Neben biologischen Unterschieden bei der Metabolisierung von Alkohol (vgl. Sieverding 2000 S. 11) wird von Unterschieden in Auffassung der jeweiligen Geschlechtsrolle ausgegangen: „In entwicklungspsychologischer Perspektive haben Jugendliche die Aufgabe, sich die ihnen entsprechende Geschlechtsrolle anzueignen. Dies gelingt ihnen dann leicht, wenn sie auf „typisch weibliche“ bzw. „typisch männliche“ Verhaltensweisen zurückgreifen können“ (Kolip 2002 S. 887). A. Vosshagen konstatiert, dass erhöhter Alkoholkonsum und Alkoholprobleme einhergehen mit hohen Werten in psychologischen Skalen, die die traditionelle Männerrolle erfassen und dass Alkohol in Männervereinen wie Studentenverbindungen, Schützenvereinen oder auch in der Armee eine wichtige Rolle spielt (vgl. Vosshagen 2004 S. 56). Bei männlichen Suchtkranken spricht man von geschlechtsspezifischem Verhalten der Außenorientierung bzw. Externalisierung, durch welches innere Gefühle der Hilflosigkeit und Bedürftigkeit durch Alkohol „gelöst“ werden. Der Begriff Externalisierung wird im Abschnitt 3. 1. 5 ausführlich besprochen werden. Vosshagen erwähnt Studien, nach denen Alkoholprobleme bei Männern wahrscheinlich sind bei einem von Vermeidung geprägtem Coping-Stil und passivem emotionalen Bewältigungsverhalten (vgl. Vosshagen 2004 S. 57). „Coping“ wurde im Abschnitt 2. 4. 1 zu Stressbelastungen angesprochen; zum komplexen Thema Bewältigung siehe Abschnitt 3. 1. 5.

2. 4. 8 Illegale Drogen, Medikamente

Ähnlich wie beim Alkoholkonsum neigen männliche Jugendliche eher als Mädchen zum Konsum illegaler Drogen wie Cannabis oder Ecstasy – auch hier bei deutlicher Angleichungstendenz (vgl. Cornelißen 2005 S. 512). Nach einer Erhebung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hatten 2001 15 % der männlichen und 11 % der weiblichen Jugendlichen innerhalb der vergangenen zwölf Monate illegale Drogen konsumiert (ebd.). Es scheinen aber Unterschiede im Konsummuster zu bestehen: „Der typische Cannabisklient einer ambulanten Beratungsstelle ist männlich, zwischen 18 und 24 Jahre alt und befindet sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung. Über 80 % der jungen Menschen, die wegen riskanten Cannabiskonsums eine Beratungsstelle aufsuchen, sind männlich“ (Stoever 2006 S. 18). Wenn jugendliche Experimentierlust und Stressbewältigung sich – unbewusst – vermischen, besteht die Gefahr von Abhängigkeit (vgl. Böhnisch / Stecklina 2007 S. 46): Wieder stoßen wir auf männliche Bewältigungsstile. Bei den durch Drogen Gestorbenen ergibt sich ein drastisches Bild: 83 % der Drogentoten sind männlich (vgl. Cornelißen 2005 S. 512).

[...]


[1] Vgl. hierzu Harrison, James; Warning: The male sex role may be dangerous for your health. In: Journal of Social Issues, 1978, Nr. 34, S. 65 - 86

[2] Der Unterschied betrug 2005 jedoch in Russland 13 Jahre, in verschiedenen Nachfolgerepubliken der UdSSR ebenfalls elf bis zwölf Jahre (WHO 2007).

[3] R. Connell konstatiert im Widerspruch dazu, dass in der industriellen Frühzeit Frauen ähnlich in die Industriearbeit eingebunden (und somit ähnlich gefährdet) gewesen seien (vgl. Connell S. 217).

[4] Carey, A. D., Lopreato, J. (1995): The biological evolution of the male-female mortality

differential. In: The Mankind Quarterly 36 (1995): 3-28.

[5] Pierre Bourdieu nennt die katholische Kirche „dieses auf Verneinung der Ökonomie beruhende Unternehmen mit ökonomischer Dimension“, in dem ökonomische Handlungen nicht als solche eingestanden werden (vgl. Bourdieu 1998 S. 186 ff.). Dadurch wird das Prinzip der Profitmaximierung nicht in dem Maß auf alltägliche Handlungen angewandt, wie außerhalb der Kirchen- bzw. Klostermauern – was Stress sicherlich reduziert.

[6] Vertiefend hierzu: Lenz (2007) S. 230 f.

[7] Fedgenheuer, Moritz Lippl , Bodo (2007): Materialband zu den Ergebnissen der Maneo-Studie 2006/2007. Gewalterfahrungen von schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern in Deutschland, Berlin 2007. Download 17. 7. 2008 von http://www.maneo-toleranzkampagne.de/umfrage-bericht2.pdf

[8] Die Unfallrisiken von älteren Frauen könnten durch verbreitetere Osteoporose und reaktionsbeeinträchtigende Medikamente größer sein (vgl. Cornelißen 2005 S. 484).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836629188
Dateigröße
683 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Magdeburg – Sozial- und Gesundheitswesen
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
gesundheitsförderung gender männer gesundheit
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Titel: Genderspezifische Gesundheitsförderung für Männer
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