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Bullying und Aggressionen im Schulbus

Eine empirische Untersuchung über Aggressionen im Schulbus im Rahmen eines Schüler Streitschlichter Programms

©2008 Diplomarbeit 148 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Beschäftigung mit den theoretischen Überlegungen zu den Themata Bullying und Viktimisierung und Ursachen von Aggression im schulischen Kontext, Aggressionstheorien, entwicklungspsychologische Meilensteine im Hinblick auf die Entwicklung der sozialen Intelligenz und der social skills, legen den Grundstein für die empirische Studie.
Das Pendel eines geringen Selbstwirksamkeitskonzepts kann einerseits in Richtung aggressives Verhalten ausschlagen, andererseits in Richtung erlernter Hilflosigkeit und damit Viktimisierung. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer verlaufen vielschichtig und vielfach fließend.
Die Forschungsfrage resultiert aus der Annahme, dass vielfach Aggression sowohl physischer, als auch verbaler Natur durch den Einsatz von SchülerstreitschlichterInnen und eines Konfliktlösungsprogramms unterbunden werden kann. Aggressive Verhaltensweisen determinieren Angst sowohl bei Tätern als auch bei Opfern. Durch adäquate Bewältigungsstrategien und das Zurückgreifen auf Ressourcen wie ein gestärktes Selbstwirksamkeitskonzept, soziale Kompetenz, Empathie und Einfühlungsvermögen in andere, können Ängste verringert und zukünftige Interaktionen positiver gestaltet werden.
Durch den Einsatz von Peermediation können Lösungsansätze gefunden werden die effizient sind, da die Kultur innerhalb der Peer anders zu betrachten ist als unter Erwachsenen. SchülerstreitschlichterInnen befinden sich im inneren Kreis, minimieren das Gefühl der Zurechtweisung und damit die Gefahr das ohnedies schwache Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitskonzept der Beteiligten noch weiter zu schwächen. Der Einbeziehung des adaptiven Shame Managements und die ReIntegration von Bullies in die schulische Gemeinschaft stellt einen essentiellen Teil des Konfliktlösungsprozesses dar.
Die vorliegende Arbeit ist eine explorative Studie, auf Basis der theoretischen Auseinandersetzung wird folgende Forschungsfrage formuliert:
Forschungsfrage:
Wie sehen Eltern die Schulwegsituation ihrer Kinder?
Wie erleben Busfahrer die Fahrt mit dem Bus, welche Stellungnahme bezieht die Direktion der Bundesbusse?
Welches Ausmaß an selbst berichteter Situationsangst und Aggression kann in einer Kärntner Schule unter 12 bis 14-jährigen Kindern, die täglich einen Schulbus benutzen müssen erhoben werden?
Wie wirkt sich eine Intervention in Form eines Konfliktlösungstrainings auf selbst berichtete Aggressivität aus?
Wie erleben die SchülerstreitschlichterInnen das […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Isolde Elisabeth Rodler
Bullying und Aggressionen im Schulbus
Eine empirische Untersuchung über Aggressionen im Schulbus im Rahmen eines Schüler
Streitschlichter Programms
ISBN: 978-3-8366-2783-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich, Diplomarbeit, 2008
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

2008
Bullying & Aggressionen im
Schulbus

Danksagung
In erster Linie gilt mein Dank meinem Betreuer Herrn Univ.Doz.Dr. Walter
Renner für die wissenschaftliche Begleitung und Beratung.
Als nächstes gilt mein besonderer Dank Frau Mag
a
. Birgit Senft, die mit
kritischen Fragen die Entwicklung des empirischen Teils gefördert hat.
Der Unterstützung der Direktion des BG.Tanzenberg ist zu danken, dass diese
Untersuchung überhaupt stattfinden konnte.
Ganz besonders aber, gilt mein Dank den 17 SchülerInnen des
BG.Tanzenberg, die in ihrer Freizeit mit unheimlicher Motivation und Freude, an
der Ausbildung zu Schüler ­ StreitschlichterInnen teilgenommen haben.
4

Inhalt
1
Einleitung ... 8
1.1
Herleitung des Themas, Motivation... 9
1.2
Überblick über die Arbeit ... 14
2
Theoriegeleitete Überlegungen zur Entwicklung ... 18
2.1
Entwicklung im Kontext von Ökologie... 18
2.1.1 Entwicklung, Enkulturation, und Akkulturation ... 21
2.1.2 Mikrosystem und bindungstheoretische Ansätze ... 23
2.1.3 Das Mikrosystem als Interaktionspartnerschaft zwischen Eltern und
Kindern ... 27
2.1.4 Temperament und Persönlichkeitsentwicklung als Entwicklungsaufgabe 32
2.1.5 Selbstkonzept und Kontrollüberzeugungen ... 36
2.1.6 Persönlichkeit und die Anlage - Umweltdeterminanten. ... 38
2.1.7 Selbstwert, Selbstbewusstsein, Selbstregulation, Selbstwirksamkeit ... 42
2.1.8 Selbstregulation im Bezug auf aggressives Verhalten ... 44
2.1.9 Soziale Gruppenkohäsion und soziale Kompetenz ... 47
2.1.10
Resilienz und Vulnerabilität ... 51
3
Physische und psychische Gewalt, Aggression, Bullying -verschiedene
Termini für ein weltweites gesellschaftliches Problem. ... 53
3.1
Bullying und Viktimisierung (Bullying and Victimisation) ... 57
3.2
Bullying und Viktimisierung sind ein Thema im österreichischen
Schulsystem ... 60
3.2.1 Drei differenzierbare Verhaltensweisen von Bullies und Strukturmerkmale
abweichenden Verhaltens. ... 62
3.3
Gruppendynamische Merkmale einer Bullyingsituation ... 66
3.3.1 Die Opferrolle der Victims ... 70
3.4
Die Rolle des Shame Management im Bezug auf Bullying ... 73
4
Die Intervention ... 76
4.1
Organisatorische Vorbereitung ... 76
4.2
Trainingsprogramm für SchülerstreitschlichterInnen ... 77
4.2.1 Gruppenarbeit ... 77
5

4.2.2 Kommunikation ... 80
4.2.3 Konflikt ... 81
4.2.4 Konfliktlösung ... 84
4.2.5 Streitschlichtung und Wiedergutmachung ... 85
5
Empirische Studie... 88
5.1
Forschungsfrage ... 89
5.2
Untersuchungsdesign ... 89
5.3
Erhebungsmethoden ... 90
5.3.1 Diskursives Interview ... 90
5.3.2 Fragebogenerhebung... 90
5.3.3 Gruppendiskussion ... 91
5.3.4 Teilnehmende Beobachtung ... 91
5.4
Auswertungsverfahren ... 92
5.4.1 Qualitative Inhaltsanalyse ... 92
5.4.2 Statistische Analysen ... 92
5.5
Datenerhebung ... 93
5.6
Befragung der Eltern im Vorfeld ... 94
5.7
Befragung der Busfahrer und der Direktion der Bundesbusse ... 96
5.8
Stichprobenbeschreibung der SchülerInnen ... 96
5.8.1 Geschlecht und Schulstufen der Befragten ... 97
5.8.2 Rücklauf zum 2. Messzeitpunkt ... 99
5.8.3 Altersverteilung der SchülerInnen ... 100
6
Ergebnisse ... 101
6.1
Ergebnisse der Skala zum Selbstbild von Peter Kurz ... 101
6.1.1 Reliabilitätsanalyse zur Skala Selbstbild ... 101
6.1.2 Häufigkeiten der Skala Selbstbild ... 102
6.1.3 Gruppenvergleiche der Skala Selbstbild ... 103
6.2
Ergebnisse zur Situationsangst STAI ... 104
6.2.1 Reliabilitätsanalyse des STAI X1 ... 104
6.2.2 Gruppenvergleiche im STAI X1 ... 107
6.2.3 Angst im Zusammenhang mit dem Selbstbild ... 108
6

6.3
Ergebnisse für die selbst zusammengestellten Items zum Thema Gewalt
...
110
6.3.1 Faktorenanalyse für die Items zum Thema Gewalt (im Schulbus) ... 110
6.3.2 Beschreibung der Faktoren : ... 113
6.3.3 Vergleich der Faktoren zu Gewalt nach Geschlecht ... 115
6.3.4 Vergleich der Faktoren zu Gewalt nach Schulstufen ... 117
6.4
Ergebnis der Prä-Post Untersuchung ... 118
6.4.1 Messwiederholungsergebnisse zu den Faktoren zu Gewalt ... 119
6.5
Ergebnisse aus der Sicht der Schüler-StreitschlichterInnen ... 123
7
Zusammenfassung und Diskussion ... 126
8
Literatur ... 134
7

1 Einleitung
Die nachstehende Arbeit setzt sich mit der Thematik Aggressionen am
Schulweg, respektive im Schulbus, sowie Bullying und Viktimisierung im
Kontext Schule, auseinander.
Es handelt sich um eine Prä-Post Untersuchung. Diese Untersuchung sollte im
ersten Schritt die Gewaltbereitschaft und Situationsangst im Schulbus
erfassen. Im zweiten Schritt wurden SchülerInnen zu Konfliktlösern
ausgebildet, deren Einsatz im Schulbus zur Deeskalation von aggressiven
Konfliktverläufen sorgen sollte.
Der dritte Teil der Untersuchung befasst sich mit der Auswertung der
quantitativen und qualitativen Daten, die nach der geplanten Intervention und
Ausbildung von 17 SchülerstreitschlichterInnen gewonnen wurden. Durch die
neuerliche Befragung mittels eines selbst erstellten Fragebogens und
qualitativen Interviews wurde versucht Unterschiede aufzuzeigen, die durch den
Einsatz von Konfliktlösern entstanden sind.
Erziehung und Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen hat sich aufgrund
von gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten weitgehend
auf das Schulsystem und die Peergroup verlagert. Kinder verbringen über 50
Prozent ihrer Zeit in der Schule. Durch die Berufstätigkeit meist beider
Elternteile, folgend aus zunehmendem wirtschaftlichen Druck, werden die
erzieherischen Kompetenzen vom Elternhaus weitgehend an die Schule
delegiert. Das Schulsystem fokussiert seinen Aufgabenbereich hauptsächlich
auf Wissensvermittlung und kognitive Lernziele. Soziale Fertigkeiten und die
Förderung von emotionaler Kompetenz finden derzeit keinen Eingang in die
Lehrpläne.
8

Aufgrund der starken Orientierung von Kindern und Jugendlichen an der
Peergroup, kann nicht häufig genug betont werden, dass allein im Rahmen des
Schulalltags, die social response und social community gefordert ist und zu
einem fixen Bestandteil der Lehrinhalte und Lernziele erhoben werden muss.
Soft skills und emotionale Intelligenz sind von grosser Relevanz um soziale
Interaktionen positiv zu gestalten, zukünftig sind die Schulsysteme gefordert
neue Lernkulturen zu etablieren, die das social functionning fokussieren.
1.1 Herleitung des Themas, Motivation
Der nachfolgende Abschnitt beschreibt den Prozess der Themenfindung und
die Motivation für diese Arbeit.
Im Rahmen meines Studiums nahm ich an einer Lehrveranstaltung aus
Verkehrspsychologie teil, und stieß im Rahmen meiner Recherchen für ein
adäquates Referat, auf eine sehr interessante Thematik.
Projekt ,, Up To You"
In der Bundesrepublik Deutschland wird seit dem Jahr 2000 an der Osterrath
und der Ketteler Realschule in Westfalen, das Projekt ,, Up to You" mit der
Zielsetzung durchgeführt, Schüler als Schulbusbegleiter auszubilden, um das
Geschehen im Schulbus zu beobachten, Konflikte frühzeitig zu erkennen und
auf die Jugendlichen zuzugehen bevor es zu Auseinandersetzungen und zu
körperlichen Aggressionen kommt. Mitarbeiterinnen des Busverkehrs
Ostwestfalen trainierten zwei Tage lang Schüler der fünften Klassen, die dann
im Schulbus Konflikte erkennen und einer Deeskalation zuführen sollen.
(www.osterrath-realschule.de)
Im Rahmen der Recherche wurden noch einige ähnliche Projekte gefunden, die
sich mit der Problematik auseinandersetzen, durch Interventionen die Fahrt im
Schulbus konfliktfreier gestalten zu können.
9

Persönliche Erfahrungen
Da ich selbst Mutter eines mittlerweile erwachsenen Sohnes bin, habe ich
oftmals Situationen im Schulbus überliefert bekommen, die mich letztendlich
dazu anregten die Thematik und Problematik für meine Diplomarbeit
auszuwählen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine ganz spezielle Situation, mein Sohn
war Schüler am Bundesgymnasium Tanzenberg in Kärnten, und musste um zur
Schule zu gelangen den öffentlichen Bus von Klagenfurt nach Tanzenberg
nutzen. Er war zu diesem Zeitpunkt Schüler der zweiten Klasse und somit
bereits die Busfahrt gewöhnt. Immer wieder erzählte er von Raufereien im Bus,
in die er selbst zwar nie verwickelt war, aber besonders SchülerInnen der
Unterstufe also der ersten und zweiten Klasse, waren immer wieder Opfer von
verbalen und körperlichen Angriffen durch ältere SchülerInnen.
Ich holte meinen Sohn von der Schule ab und wartete auf ihn vor dem Schultor.
Er kam mit einer Zeichenmappe aus dem Haus, und auf meine Frage wem
diese denn gehöre erzählte er mir, er trage diese Mappe für einen Schüler aus
der fünften Klasse, und müsse sie noch im Bus abgeben.
Bei der Heimfahrt erklärte er mir, dass er dies schon seit längerem mache,
denn so sei für ihn die Fahrt im Schulbus gefahrlos, als Gegenleistung darf er
mit den älteren Schülern im hinteren Bereich des Busses mitfahren, so dass er
während der Busfahrt nie Probleme habe, denn der rückwärtige Bereich des
Busses sei reserviert für die Schüler der Oberstufe, dort herrsche Ruhe.
Die Entscheidung eine Untersuchung in diesem Bereich durchzuführen
resultiert nicht nur aus persönlicher Erfahrung, sondern auch aus zunehmenden
Medienberichten zum Thema Aggressionen in der Schule, und am Weg zur
Schule , im speziellen im Schulbus. Bullying endet nicht vor dem Schultor.
Explizit wird darauf hingewiesen, dass es sich in dieser Untersuchung um
Linienbusse handelt, die dem SchülerInnentransport dienen, da Schulbusse per
10

lege und per definitionem verkehrstechnisch wesentlich strengere Auflagen zu
erfüllen haben. Dies betrifft sowohl die Anzahl der zu transportierenden
Fahrgäste als auch zusätzliche Sicherheitseinrichtungen, wie Gurtenpflicht et.
cetera.
Der Anteil an Kindern in Kärnten die Linienbusse für den Schulweg benutzen
liegt bei 90%.Nur 10% der SchülerInnen Kärntens bewältigen den Schulweg mit
einem speziell dafür zugelassenen Schulbus. (Kuratorium für Verkehrssicher-
heit).
Die Situation in Schulbussen eskaliert zunehmend, immer wieder berichten
Medien über Aggressionen im Schulbus, die Busfahrer sind größten
Belastungen ausgesetzt, einem erhöhten Lärmpegel, Sachbeschädigungen und
den körperlichen und psychischen Aggressionen der SchülerInnen
untereinander. Dazu kommen noch weitere Risikofaktoren, nämlich die heillose
Überfüllung der Busse, das Gedränge und der akute Platzmangel der/des
Einzelnen trägt nicht zur Kalmierung bereits schwelender Konflikte bei.
Es ist auch zu bedenken, dass sowohl der Schulweg, als auch die Fahrt im Bus
im so genannten rechtlichen Vakuum stattfindet, das bedeutet, dass die Schule
nicht mehr, und die Eltern noch nicht zuständig sind. Die Busfahrer selbst
haben so gut wie keine Möglichkeit Sanktionen gegen SchülerInnen die
körperliche Gewalt gegen andere anwenden, zu verhängen.
Persönliche Motivation
Aufgrund meiner beruflichen Vorerfahrung im Konfliktmanagement von
Unternehmen, habe ich mich mit dieser Thematik bereits auseinandergesetzt.
Es war mein Wunsch, aufgrund der Häufung an Medienberichten über die
Situation im Bus, Zeitungsartikel, Leserbriefe von Eltern und Schülern, gerade
an dieser Schule zu arbeiten, da die SchülerInnen aufgrund der
geographischen Situation eine längere Busfahrt zur Schule in Kauf nehmen
11

müssen. Mein aufrichtiger Dank gilt hier der Direktion des Bundesgymnasiums
Tanzenberg, die mir ermöglicht hatte diese Arbeit durchzuführen.
Mein, reflexiv betrachtet, etwas zu ehrgeizig gestecktes Ziel war, durch ein
Training und Intervention mit freiwilligen Schülern am Bundesgymnasium
Tanzenberg, Schüler zu Streitschlichtern auszubilden und so den Weg zur
Schule im Bus zur gewaltfreien Zone zu erklären. Mittels des Ansatzes der
Peer-Mediation sollten den SchülerInnen Möglichkeiten eröffnet werden
Konflikte zu erkennen und Tools zu erlernen, wie man diese einer gewaltfreien
Lösung zuführen kann.
Erklärungsversuch der Ursachen von Gewalt bei Kindern und Jugendlichen
Unter verschiedenen wissenschaftlichen Aspekten der Pädagogik, Psychologie,
Soziologie, Entwicklungs und Kulturpsychologie werden unterschiedliche
Ansätze zur Erklärung von zunehmender Gewalt unter Kindern und
Jugendlichen verfolgt. Eine zentrale Rolle wird dem Selbstwirksamkeitskonzept,
der Wahrnehmung, der Kommunikationsfähigkeit und Copingstrategien im
Umgang mit Konflikten eingeräumt. Im Rahmen der Intervention am
Bundesgymnasium Tanzenberg wurde versucht unter Einbindung
wissenschaftlicher Erkenntnisse und bereits approbierter Verfahren, auf die in
dieser Arbeit noch im Kapitel 4 näher eingegangen wird, mit den teilnehmenden
Schülern die verschiedenen Ebenen der Kommunikation zu erarbeiten und
Lösungen zu finden, die keiner Gewalt bedürfen und zukünftige Interaktionen
unter neuen Aspekten zu ermöglichen.
Ereignisse wie sie an der Schule von Erfurt stattgefunden haben, ebenso wie
an der Schule von Bad Reichenhall, erschüttern immer wieder die Öffentlichkeit
in ihren Grundfesten.
Auch wenn die Tendenz zur Relativierung in der öffentlichen Meinung
vorhanden ist, so kann aufgrund der, von der WHO in Auftrag gegebenen
Studie, dem HBSC-factsheet Nr.5, über Bullying und Victimization aus dem
Jahr 2004, in der 14,5 Prozent der Mädchen, und 25,7 Prozent der Buben an
12

österreichischen Schulen angeben im letzten Monat vor der Befragung,
körperlich oder verbal angegriffen worden zu sein, die Thematik als tickende
soziale Zeitbombe gesehen werden. Österreich liegt in dieser Untersuchung im
internationalen Vergleich im Spitzenfeld.
(www.hbsc.org)
Wenn ich auch selbstkritisch am Ende meiner Arbeit feststellen muss, dass
nicht immer Ziele erreicht werden können, die man sich gesetzt hat, bin ich
stolz darauf wenigstens einen kleinen Teil dazu beigetragen zu haben, um
SchülerInnen die an der Intervention teilgenommen haben, bei der Bewältigung
von Konflikten zumindest ansatzweise andere Perspektiven und
Lösungsmöglichkeiten zu eröffnen.
13

1.2 Überblick über die Arbeit
Der dieser Arbeit zugrunde liegende Leitgedanke ist die kindliche Entwicklung,
die den Grundstein für soziale Beziehungen legt und zukünftige
Beziehungsstrukturen bis ins Erwachsenenalter prägt.
Das Kapitel 2 behandelt die kindliche Entwicklung im Kontext der Ökologie und
unterstreicht die Wechselbeziehung von Umwelt und Verhalten.
Im Kapitel 2.1.1 liegt der Fokus auf dem Einfluss der Kultur auf die kindliche
Entwicklung, Enkulturation und Akkulturation werden thematisiert.
Dem Mikrosystem und bindungstheoretischen Überlegungen wird im Kapitel
2.1.2 viel Raum gegeben. Die kindliche Entwicklung wird entschieden durch das
Bindungsverhalten und den Bindungsstil beeinflusst. Die primären
Bindungspersonen und die Familie stellen die erste sozialisierende Instanz dar.
Sensitivität für die Bedürfnisse des Säuglings und reziproke Interaktionen mit
dem Kind, stellen die Weichen für die soziale Entwicklung.
Das Kapitel 2.1.3 befasst sich mit der Interaktionspartnerschaft zwischen Eltern
und Kindern und deren emotionaler Qualität, die sich prägend auf die Selbst
und Beziehungsentwicklung und somit die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt.
Es werden auch Möglichkeiten der Unterstützung durch die Eltern
herausgearbeitet um Kindern Handlungsmuster zur Konfliktlösung anzubieten
und zukünftige soziale Interaktionen positiv zu gestalten.
2.1.4 setzt sich mit dem Temperament und der Persönlichkeitsentwicklung
auseinander. Selbstregulierende Kontrolle, Bewältigungs- und Copingstrategien
werden angerissen um die Brücke zur Ursachenfindung für aggressive
Verhaltensweisen oder determinierte Opferrollen zu schlagen.
14

Das Kapitel 2.1.5 behandelt das Selbstkonzept und Kontrollüberzeugungen und
die Fähigkeit um das Wissen auf die Umwelt aktiv einwirken zu können.
2.1.6 befasst sich im Rahmen der Persönlichkeitsforschung mit der nature-
nurture controversy und den Anlage ­ Umweltdeterminanten. Kognitive,
behavioristische Sichtweisen und Theorien, sowie das fünf Faktoren Modell
und der reziproke Determinismus werden diskutiert.
Im Kapitel 2.1.7 werden die Termini Selbstwert, Selbstbewusstsein,
Selbstregulation und das Selbstwirksamkeitskonzept im Bezug auf sozialen
Stress erörtert.
2.1.8 befasst sich mit der Thematik der Selbstregulation im Bezug auf
aggressive Verhaltensweisen und der Konfliktkultur im Elternhaus als
dargebotene Handlungsmuster.
Das Kapitel 2.1.9 beschäftigt sich mit der sozialen Gruppenkohäsion, der
sozialen Kompetenz (social functionning) und dem Erlernen der Bewältigung
von sozialen Stress-Situationen. Die Verschränkung individuellen Verhaltens
mit den Einstellungen und Werthaltungen der Gruppe wird thematisiert.
Im Kapitel 2.1.10 werden Vulnerabilität und Resilienz im Bezug auf soziale
Stressoren betrachtet und Erklärungen für die Vulnerabilität gesucht.
Das 3. Kapitel setzt sich mit physischer und psychischer Gewalt aufgrund der
Studie der WHO (2002) auseinander und geht explizit auf zwischenmenschliche
Gewalt im schulischen Kontext ein.
3.1. die Themen Bullying und Viktimisierung, Täter und Opferrolle im
schulischen Kontext werden anhand des HBSC factsheets Nr.5 (2004)
abgehandelt und im Kapitel 3.2 wird auf die Situation an österreichischen
Schulen explizit eingegangen.
15

Das Kapitel 3.2.1 behandelt Verhaltensweisen von Bullies an Schulen und im
Schulbus anhand eines konkreten Beispiels.
Das Kapitel 3.3 befasst sich mit den gruppendynamischen Merkmalen einer
Bullying ­ Situation. Die Schweigespirale von Noelle Neumann (1980) , sowie
der Bandwagon Effekt von Lazarsfeld (1962) finden Einzug in aktuelle
gruppendynamische Studien.
3.3.1 behandelt die Opferrolle und versucht Risikofaktoren und
Ursachenerklärungen zu erfassen.
Der Abschnitt 3.4 behandelt die Rolle des Shame Management im Bezug auf
Bullying und leitet zu Interventionsmassnahmen über.
Im Kapitel 4 und seinen Unterabschnitten wird das
Schülerstreitschlichterprogramm, die Intervention am Bundesgymnasium
Tanzenberg beschrieben und enthält eine Mindmap, die die einzelnen Themata
des Programms aufzeigt.
Das Kapitel 5 behandelt die empirische Studie, 5.1 enthält die
Forschungsfragen, das Kapitel 5.2 erklärt das Untersuchungsdesign.
Der Abschnitt 5.3 und Unterkapitel, befasst sich mit den Erhebungsmethoden
wie dem diskursiven Interview, der Fragebogenerhebung, Gruppendiskussion
und teilnehmender Beobachtung.
5.4 beschäftigt sich mit den Auswertungsverfahren 5.4.1 beinhaltet die
qualitative Inhaltsanalyse. 5.1.2 die statistischen Analysen.
Im Kapitel 5.5 wird die Datenerhebung beschrieben, 5.6 und 5.7 beschreibt die
Elternbefragung und die Befragung der Busfahrer.
16

Das Kapitel 5.8 beschreibt die Stichprobe, die Unterkapitel 5.8.1 das
Geschlecht und die Schulstufe, der an der Befragung teilnehmenden
SchülerInnen, 5.8.2 den Rücklauf der Fragebögen zum 2. Messzeitpunkt sowie
5.8.3 die Altersverteilung.
Im Kapitel 6 werden die Ergebnisse der quantitativen Untersuchung
präsentiert. 6.1 und Unterkapitel behandeln die Skala zum Selbstbild, 6.2 und
Unterkapitel setzen sich mit den Ergebnissen des STAI X1, der Situationsangst
auseinander.
Das Kapitel 6.3 erörtert die Ergebnisse aus den selbst zusammengestellten
Items zum Thema Gewalt , Die Abschnitte 6.3.1 befassen sich mit der
Faktorenanalyse , 6.3.2 mit der Beschreibung der Faktoren .6.3.3 vergleicht die
Faktoren zu Gewalt nach Geschlecht und 6.3.4 nach Schulstufen.
6.4 setzt sich mit dem Ergebnis der Prä ­Post Untersuchung auseinander, das
Unterkapitel 6.4.1 beschreibt die Messwiederholungsergebnisse zu den
Faktoren zu Gewalt.
Das Kapitel 6.5. präsentiert die Ergebnisse zur Befragung der SchülerInnen, die
am Ausbildungsprogramm zum Schülerstreitschlichter teilgenommen haben.
Das Kapitel 7. enthält die Zusammenfassung und Diskussion.
17

2 Theoriegeleitete Überlegungen zur Entwicklung
2.1 Entwicklung im Kontext von Ökologie
Die menschliche Entwicklung getrennt vom Ökosystem zu betrachten wäre eine
wissenschaftliche Isolation, deren Ergebnisse den heutigen Erkenntnissen nicht
gerecht würden. Der Mensch ist von einem symbiotischen Zusammenleben mit
dem Ökosystem und von sozialen Interaktionen abhängig. Gerade in Zeiten der
ökologischen Bedrohungen wie drohenden Klimaveränderungen wird die
Bedeutung des Ökosystems und der Rolle des Menschen wieder deutlich ins
Bewusstsein gerückt.
Bereits Lewin (1936) artikuliert und definiert den Begriff des Lebensraums.
Lebensraum drückt die subjektive Bedeutung aus, die die Umwelt für das
Individuum besitzt. Barker (1968) und auch Wright (Barker & Wright 1954),
beide Schüler von Lewin, legen ihr Augenmerk auf Umweltsegmente, die auch
als ökologische Umwelten bezeichnet werden. Damit wird von den Autoren
Regelhaftigkeit beschrieben, die vom Verhalten innerhalb eines bestimmten
Kontexts abgeleitet werden kann. Damit sind kollektive Verhaltensmuster
gemeint. Bronfenbrenner (1979) unterteilt diese Umweltsegmente in kleinere
Einheiten und prägt den Begriff des Settings, das als Analyseeinheit zu sehen
ist. Er geht davon aus, dass die Wechselbeziehung von Umwelt und Verhalten
innerhalb der ökologischen Systeme synomorph zu betrachten ist. (Vgl: Oerter
& Montada, 2002, Kap.3)
Bronfenbrenner (ders.) bezeichnet das Setting im Mikrosystem als die
unmittelbare Umgebung in dem das Individuum lebt. Die kleinste soziale Zelle,
nämlich die Familie, zählt zum Mikrosystem. Aus diesem System, das den
unmittelbaren Lebensraum eines Kindes darstellt, mit den dazugehörenden
Lebensbedingungen, finanziellen Verhältnissen, der sozialen Situation,
18

Einschränkung der Möglichkeiten, zum Beispiel aus wirtschaftlichen Gründen,
resultieren Faktoren, die die Entwicklung des Kindes massiv beeinflussen und
aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Persönlichkeitsbildung eine
essentielle Rolle spielen. Das Mikrosystem beinhaltet sowohl die Mutter Kind
Dyade, als auch die Beziehungen zu Vater und Geschwistern, so genannte
Triaden. Im Mikrosystem finden sich auch durchaus größere soziale Gefüge.
Als Beispiel können hier Patchwork Familien genannt werden, die durch
Trennung der Eltern neue Elemente in Form einer erweiterten Familienstruktur
beider Elternteile, ins Mikrosystem einfließen lassen.
Das Mesosystem wird durch Wechselbeziehungen zwischen zwei oder
mehreren Settings, die durch gegenseitige Unterstützung, oder Widersprüche
gekennzeichnet sind, essentiell für die Entwicklung des Individuums. Gerade
Patchworkfamilien mit den Wechselwirkungen gegenseitiger Unterstützung oder
aber auch in Form von Widersprüchen, die aufgrund einer erweiterten
Familienstruktur auftreten, können zur Erklärung des Begriffes Mesosystem
herangezogen werden. Ebenso zählt der Freundes und Bekanntenkreis der
Eltern und deren soziale Kontakte, die unmittelbar und mittelbar auf die Familie
wirken zum so genannten Mesosystem. Bronfenbrenner betont die
Verschachtelung der Systeme und deren gegenseitige Beeinflussung. Die
Wechselwirkung zwischen den einzelnen Settings prägt die individuelle
Entwicklung des Kindes.
Das Exosystem, kann eines oder mehrere Settings beinhalten, deren direkte
Beeinflussung durch das Individuum nicht möglich ist, das Individuum jedoch
befindet sich im Einfluss- und Wirkungsbereich des Exosystems.
Die nähere Definition des Exosystems kann in der Arbeitswelt der Eltern, oder
im Schulbereich der Geschwister, gesehen werden, oder anderen Bereichen,
die das Leben des Kindes indirekt beeinflussen, obwohl das Kind selbst darauf
keinen Einfluss hat. Schneewind (2001b) spricht vom ,,Spill Over" und meint
damit die Beeinflussung des Kindes durch die Befindlichkeit der Eltern,
verursacht durch das Arbeitsumfeld, oder persönliche Stress-Situationen.
19

Ebenso kann Beeinflussung des Kindes durch den schulischen Bereich der
Geschwister erfolgen, obwohl das Kind selbst noch nicht der Schulpflicht
unterliegt.
Das Makrosystem steht im Bezug zu Systemen niedrigerer Ordnung, der
Einflussbereich des Makrosystems ist im Bezug auf Kultur, Ideologien,
Werthaltungen und Normen zu betrachten, der alle vorgenannten Systeme
beeinflusst. Das Makrosystem das massiver wissenschaftlicher Kritik
unterzogen wurde, da es unter anderem laut Hübner-Funk & Müller (1981),
Rotter & Steinert (1981) mit den vorgenannten Systemen nicht vergleichbar sei,
wird hier genannt um die Theorie im Gesamtbild erscheinen zu lassen und die
Brücke zum Einflussbereich der Kultur in der Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen zu schlagen. Die vorgenannte Kritik an Bronfenbrenners Settings
bezieht sich auf die Unvergleichbarkeit des Makrosystems mit den
vorgenannten Systemen und Settings, da laut den genannten Kritikern die
Ausdifferenzierung der einzelnen Themata im Bereich von Kultur, Ökonomie,
Politik, und Soziologie in Bronfenbrenners Theorie im Bezug auf das
Makrosystem nicht nachvollziehbar sei. (Vgl: Oerter & Montada, 2002, S.76)
Die genannte Kritik von Rotter & Steinert (dies.) kann allerdings die Entwicklung
und Migrationsbewegungen im europäischen Raum seit dem Jahre 1981 nicht
beinhalten. Gerade in unserer Zeit, in der verschiedenste Kulturen durch
Migration innerhalb kürzester Zeit aufeinanderprallen und oft das interkulturelle
Verständnis nicht gegeben ist, neige ich persönlich dazu dem Makrosystem und
denn untergeordneten Settings in unserer Zeit eine essentielle Bedeutung in
der Kindesentwicklung zuzuschreiben.
Die vorgenannten Settings lassen das Bild von konzentrischen Kreisen
entstehen, deren gemeinsamer Mittelpunkt das Individuum darstellt. So
beeinflussen sich die konzentrischen Kreise immer direkt oder indirekt. in
Wechselwirkung oder einseitiger Wirkung, je enger die Grenzen beieinander
liegen, desto größer ist die Einwirkung auf den Menschen, wobei dem
20

Mikrosystem, nämlich der Herkunftsfamilie, und dem Mesosystem in der
Kindesentwicklung die größte Bedeutung als sozialisierende Instanz
zugeschrieben werden. Damit kann auch die Bedeutung und Verantwortung für
die positive Kindesentwicklung, die die Wissenschaft jahrelang ausschließlich
der Mutter Kind Dyade zugeschrieben hat, laut neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen auch auf das Mikro und Mesosystem aufgeteilt werden.
Makrosystem
KIND
Mikrosystem
Mesosystem
Exosystem
Abbildung 1 Soziale Interaktionen innerhalb der Systeme
2.1.1 Entwicklung, Enkulturation, und Akkulturation
Unter Berücksichtigung der Systeme und Settings nach Bronfenbrenner (1979)
und in Anbetracht der Tatsache, dass das Makrosystem wissenschaftlich
mehrfach kritisiert wird, so ist doch der Einfluss und Wirkungsbereich der Kultur
auf das Individuum nicht wegzudiskutieren.
21

Die Einigkeit einer Vielzahl von Autoren im Bezug auf die Kultur und deren
Auswirkungen auf die individuelle Entwicklung wird mit dem Verständnis
manifestiert, dass individuelle Entwicklung nur im Zusammenhang mit den
Einflüssen der Kultur betrachtet werden kann.
Der Einfluss des Individuums auf die Kultur und vice versa kann als
Gegebenheit betrachtet werden. Die Weitergabe der Kultur kann zwangsläufig
nur durch den Einzelnen und das Kollektiv erfolgen. Hier kommt die Definition
von Herskovits (1948) zum Tragen, der die Kultur als vom Menschen
gemachten Anteil an der Umwelt bezeichnet. Die Übertragung von kulturellem
Wissen geschieht generationsüberschreitend mit Hilfe von drei
Transmissionsebenen. Durch die vertikale Transmission, von der
Herkunftsfamilie auf die Kinder, erfolgt die Enkulturation und auch die
Sozialisation.
Die diagonale Transmission wird durch andere Erwachsene, zum Beispiel
PädagogInnen eingeleitet. Gehören diese Erwachsenen dem eigenen
Kulturkreis an, dann ist weiterhin von Enkulturation und Sozialisationsprozessen
auszugehen. Sind diese Gruppen einem anderen Kulturkreis zugehörig so kann
hier bereits von Akkulturationsprozessen gesprochen werden. Dies ist heute ein
wichtiger Faktor, da sich viele verschiedenste Kulturkreise mischen und sich
somit Enkulturation und Akkulturation nicht mehr klar abgrenzen lassen. Eine
Verschränkung der Entwicklung mit dem kulturellen Umfeld ist unbestritten.
In der Entwicklungspsychologie spielt die dritte Ebene, nämlich die horizontale
Transmission eine sehr große Rolle. In dieser Ebene erfolgt die Enkulturation
durch Gleichaltrige, sogenannte Peers. Die Kultur innerhalb der Peergroup
muss sich nicht gänzlich mit der Kultur der Erwachsenenwelt decken. Neue
Formen, häufig kommunikationsspezifischer Natur, entstehen in der jeweiligen
Peergroup und werden letztendlich auch von Erwachsenen übernommen.
22

Für diese Enkulturation sorgen kommunikationspsychologische Tools, wie
Werbung und Medien, die neue Termini annehmen, verbreiten und letztendlich
dem alltäglichen Sprachgebrauch zuführen.
Als aktuelles Beispiel sei hier der Terminus der Coolness genannt. Innerhalb
der Peergroup werden neue Ausdrücke geprägt, um eine klare Abgrenzung zur
Sprache der Erwachsenen zu finden, oder um Termini oder Codes zu kreieren
die im Sprachgebrauch für bestimmte Situationen nicht adäquat vorhanden
sind.
Auch in der horizontalen Transmission sind die Grenzen zwischen Enkulturation
und Akkulturation heute fließend. Als Beispiel kann herangezogen werden, dass
in Österreich lebenden Kindern aus anderen Kulturkreisen die neue Kultur
durch die Peer nähergebracht wird.
2.1.2 Mikrosystem und bindungstheoretische Ansätze
Nach John Bowlby (1984) ist das attachment system (Bindungsverhalten)
sowie auch das nurturing (Fürsorgeverhalten) evolutionsgeschichtlich zu
betrachten. Das Bindungs ­ und Fürsorgeverhalten ist essentiell für das
Überleben der Art und stellt aus diesem Grunde entwicklungsgeschichtlich
einen stabilen Faktor dar.
Bowlby (1984) bezeichnet das Bindungsverhalten als ein psychologisches
Konstrukt, das das Verhalten des Kindes situationsbedingt steuert. In
Situationen, in denen sich das Kind ängstigt oder unsicher ist, wird
Bindungsverhalten aktiviert, sonst folgt das Kind seinem Explorationsdrang, um
nach und nach die Umwelt und seinen Wirkungsbereich zu erschließen und zu
erweitern. Bindung resultiert aus Verhaltensweisen, die ein Kind zeigt um Nähe
und Schutz der Bindungsperson zu suchen. Bowlby geht davon aus, dass es
sich nicht ausschließlich um die physische Mutter handeln muss, sondern um
eine soziale Bezugsperson, die dem Kind als Bindungsobjekt dient.
23

Mary Ainsworth (1969) wurde von den Forschungsergebnissen von Harlow
et.al. (1966) inspiriert. Sie konnte im Zuge ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit
ein standardisiertes Forschungsinstrument entwickeln, um bei 12 bis 24-
monatigen Kindern Bindungsqualität zu ermitteln. Ainsworth (dies.) und Bowlby
(ders.) bestätigen dass die Bindung des Kindes über drei Etappen verläuft,
wobei der Höhepunkt in der Phase der Lokomotion zwischen 12 und 18
Monaten erreicht wird.
Der Fremde ­ Situationstest von Ainsworth & Wittig (1969), untersucht Kinder
im Alter zwischen 12 und 24 Monaten. Inhalt dieses Tests ist die Untersuchung
des explorativen Verhaltens und der Bindungsqualität.
Kinder befinden sich in einer fremden Umgebung gemeinsam mit der Mutter
und können sich mit verschiedenem Spielzeug beschäftigen, nach Eintritt einer
fremden Frau, die sich zuerst mit der Mutter unterhält, verlässt die Mutter kurz
den Raum. Dieser Test wurde vielfach modifiziert und verfeinert und die
Aussagekraft der Strategien des Nähe und Distanzverhaltens, der
Emotionsregulation und des Nähesuchens der Kinder, die aus daraus
hervorgehen Test in vorerst drei Bindungsstilen definiert.
Als Bindungsstil A wird das unsicher ­ vermeidende Verhalten bezeichnet. Die
Kinder zeigen bei der Rückkehr der Mutter auffällig wenig Emotionalität, und
beschäftigen sich weiter mit dem Spielzeug. Vorerst wurden diese Kinder für
emotional sehr stabil und sicher gesehen, daher wurde der Bindungsstil mit
dem Buchstaben A benannt. Aus Längsschnittstudien allerdings ging hervor,
dass Kinder die dieses Verhaltensmuster zeigen, unter wenig einfühlsamer
Fürsorge zu leiden hatten. Die Mütter konnten mit stark emotionalen Situationen
nicht umgehen, so dass die Kinder lernen mussten Emotionen möglichst nicht
auszuagieren, sondern zu kaschieren um die Mutter, die teilweise sogar
Feindseligkeit gegenüber dem Kind zeigte, in der für beide Seiten erträglichen
Nähe zu halten.
24

Spangler & Grossmann (1993) untersuchten die Ausschüttung des
Stresshormons Cortisol bei Kindern die den FST durchgeführt hatten. In dieser
Untersuchung konnte nachgewiesen werden, das bei Kindern mit dem
Bindungsstil A derselbe oder höhere Anstieg von Cortisol nachweisbar war, wie
bei Kindern, die durch Weinen und Schreien ihren Emotionen Ausdruck gaben,
weil die Mutter den Raum verlassen hatte. Kinder mit Bindungsstil A versuchen
aktiv die Emotionen zu kontrollieren und erhöhen somit die physiologische
Belastung durch Stress.
Der sichere und balancierte Bindungsstil B besagt, dass Kinder zwar ihren
Kummer durch Weinen und Schreien kundtun, sich jedoch wenn die Mutter
wieder eintritt, nach kurzem körperlichen Kontakt wieder dem Spiel widmen
und sich in Anwesenheit der Mutter sofort wieder wohlfühlen.
Diese Kinder haben die Mutter in den ersten Monaten nach der Geburt als
einfühlsam, verlässlich und freundlich erlebt. Sie erleben, die Mutter als hilfreich
bei der Emotionsregulation und tröstend bei Kummer.
Der Bindungsstil C beschreibt die ambivalent, unsichere Bindung. Diese Kinder
zeichnen sich durch hochgradige Empfindlichkeit allein schon bei der
Annäherung der Fremden im Versuch aus, und tendieren zu Wut und
lautstarkem Ausdruck des Kummers. Allerdings zeigt sich nach Rückkehr der
Mutter eine ambivalente Reaktion. Wenn die Mutter zurückkehrt reagieren sie
ambivalent. Einerseits wird der Körperkontakt gesucht, andererseits wehren sie
sich gegen Kontakt und Interaktionsversuche der Mutter. Ainsworth (dies.)
erklärt dieses Verhalten damit, dass Kinder mit dem Bindungsstil C in ihrer
Sozialisation ihre Mutter einerseits als herzlich und überschwänglich erlebten
und andererseits als unnahbar und kalt. Daraus lässt sich kein verlässliches
Muster ableiten. Diese unsichere Bindung verursacht übertrieben emotionalen
Ausdruck um wahrgenommen zu werden, gleichzeitig wird Abwehr mobilisiert
um Enttäuschung vorzubeugen.
1990 wurde durch Main & Solomon ein weiterer Bindungsstil hinzugefügt, der
sich in die drei Bindungsstile nicht einordnen lässt. Der D - Typus zeichnet sich
25

durch verschiedene Verhaltensauffälligkeiten aus. Kinder die diesem Typus
angehören zeigen teilweise bizarres Verhalten wie Grimmassieren, Schreien,
wenn die Mutter anwesend ist. Dies scheint Ausdruck eines Konflikts zwischen
Angst und Wunsch nach Annäherung zu sein, ein Schwanken zwischen
verschiedenen Stilen, diese desorganisierten Verhaltensweisen können
verschiedene Ursachen haben. In weiteren Forschungen wurden die Ursachen
teils in Übergangssituationen gesehen in denen sich die Kinder innerhalb des
Mikrosystems befinden, teils aber in schwerwiegenden Übergriffen wie
Kindesmissbrauch, oder in ängstigenden Erfahrungen im Umgang mit
Bezugspersonen. Kinder mit diesem Bindungsstil laufen Gefahr nachhaltige
Verhaltensstörungen wie z.B. extrem aggressive Verhaltensweisen zu
entwickeln.
Durch längsschnittliche Vergleiche wie z.B. von Grossmann & Grossmann
(2001) wurde das sowohl das Modell von Bowlby als auch von Ainsworth et.al
(1969) bestätigt. Es ist unbestritten, dass frühe Sozialisationserfahrung und
Bindungsverhalten den Boden für künftige soziale Beziehungen zu
Vertrauenspersonen und soziale Interaktionen bereitet. Die Bindungsqualität
erweist sich als relativ stabiles Merkmal, das vom frühesten Kindesalter meist
bis ins Erwachsenenalter Beziehungen beeinflusst. Durch life events kann sich
die Bindungsqualität vorübergehend von sicherem Bindungsstil in unsicheren
ändern, stabilisiert sich dann aber meist wieder.
Die Wichtigkeit der Bindung im frühen Lebensalter wird auch dadurch
manifestiert, dass Kinder mit einer sicher balancierten Bindung in
Konfliktsituationen mit Gleichaltrigen über mehr Kompetenz verfügen, höhere
Frustrationstoleranz aufweisen und wenig Feindseligkeit und körperliche
Aggressionen zeigen. Hier soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass sich
die Bindungsstile und -qualität nicht ausschließlich an der Mutter Kind Dyade
orientieren, die Bindungsqualität zur Triade, Väter, Geschwister aber auch zu
den Großeltern, sind ebenso essentiell für die Entwicklung.
26

Dazu meint Helm Stierlin (1997) dass die Eltern Kind - Interaktion den
Bindungsstil prägt. Die Familie ist demnach als zentrale sozialisierende Instanz
zu sehen, die im Weiteren die Meilensteine in der Entwicklung und Bearbeitung
von Konflikten setzt und die Basis für eine erfolgreiche Konfliktbewältigung
schafft.
2.1.3 Das Mikrosystem als Interaktionspartnerschaft zwischen
Eltern und Kindern
Eltern sind aus Sicht der Gesellschaft für die physische und psychische
Sicherheit, die ökonomischen und ökologischen Bedingungen, in denen das
Kind aufwächst verantwortlich.
Die Sicherheit bezieht sich sowohl auf Gefahren, die im unmittelbaren Umfeld
des Kindes liegen, als auch auf Gefahren im Umgang mit anderen Personen.
Im gesellschaftlichen Kontext wird von Eltern erwartet die Verantwortung für die
Pflege, Betreuung, die Fürsorge und Erziehung, und damit das kindliche
Wohlbefinden, zu übernehmen.
Eltern sind die ersten und wichtigsten Interaktionspartner des Kindes. Im
vorangehenden Kapitel wurde die Thematik bindungstheoretischer
Erkenntnisse erörtert, nunmehr sollen die Bedingungen zum Bereiten eines
fruchtbaren Bodens für sichere Bindungsqualität behandelt werden.
Der Einfluss auf die Qualität der Bindung wird durch die Art des Umgangs mit
dem Kind, und die so genannte Sensitivität der Bezugspersonen gegenüber
dem Kind wirksam. De Wolff & van Ijzendoorn (1997) definieren einige
essentielle Unterstützungsmerkmale zur Etablierung einer sicheren
Bindungsqualität.
Sensitivität für kindliche Signale
eine positive Haltung gegenüber dem Kind
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Synchronisation im Sinne einer sanften Abstimmung reziproker
Interaktionen mit dem Kind.
Unterstützung und Stimulierung durch häufige Interaktionen mit dem
Kind.
(In: Oerter & Montada, 2002, S.117)
Unter Sensitivität wird die Fähigkeit der Eltern, in der Regel der Mutter, oder
aber der primären Bindungsperson verstanden, prompt und angemessen auf
das kindliche Verhalten zu reagieren. Vor allem die emotionale Qualität der
Interaktion mit dem Kind spielt eine essentielle Rolle. (Ainsworth et.al.1978)
Diese Sensitivität darf nicht mit hyperprotektivem Verhalten verwechselt
werden, sie bezieht sich auf angemessenes Verhalten und angemessene
Aktion und Reaktion im Bezug auf Bedürfnisse des Säuglings.
Nach De Wolff & van Ijzendoorn (1997) ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch
dass Kinder, deren Eltern über die vorgenannten Merkmale verfügen und die
unterstützend, stimulierend agieren und damit eine enge affektive Bindung
herstellen, über eine sichere Bindung verfügen.
Bowlby (1984) bezeichnet das Bindungsverhalten als evolutionsgeschichtlich
essentiell. Nurturing und attachment werden von ihm als arterhaltend gesehen.
Nurturing und attachment der Eltern für den Säugling dient dem Schutz vor
lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen, auf die er selbst aufgrund fehlender
physischer und psychischer Bewältigungsmodi, nicht reagieren kann. Das
affektive Band zwischen Eltern und Kind motiviert das Kind späterhin explorativ
seine Umwelt zu erkunden, immer mit dem Rückhalt der
Interaktionspartnerschaft. Damit verbinden sich sowohl das Bedürfnis nach
Bezogenheit, als auch das Autonomiebestreben und das Explorationsverhalten
des Kindes.
So zeigen Längsschnittstudien von Grossmann & Grossmann (1991)
sowie (Cassidy & Shaver.1999), dass der Bindungsstil späterhin wesentlich die
28

Art der Sozialbeziehungen von Kindern beeinflusst, die Selbst und
Beziehungsentwicklung prägt und sich auf die Persönlichkeitsentwicklung, das
Selbstvertrauen, das Selbstwirksamkeitskonzept, sowie die soziale Kompetenz
und das emotionale Wohlbefinden auswirkt.
Eltern kommt die Aufgabe zu die Entwicklungsschritte durch Interaktion mit dem
Kind wesentlich zu beeinflussen, dazu wurden von Borba (1999) die
Unterstützungsmaßnahmen für Eltern definiert, um Kindern hilfreich beim
Erreichen der Entwicklungsziele zur Seite zu stehen, und diese durch autonome
Gewohnheiten ins Persönlichkeitssystem integrieren zu können. Thomas &
Chess (1979) konnten in einer Längsschnittstudie nachweisen, dass dem
angeborenen Temperament für die spätere Persönlichkeitsentwicklung zwar
eine erhebliche Funktion zugesprochen werden kann, der Hauptfaktor aber die
Angleichung zwischen dem kindlichen Temperament und dem Verhalten seiner
Hauptbezugsperson darstellt. Die Überschätzung der Temperamentsdisposition
und deren Auswirkungen auf das Kindes und Jugendalter wurde endgültig von
Rollet & Werneck (1998) falsifiziert. Im Rahmen einer Längsschnittstudie der
Familienentwicklung im Lebenslauf an der 175 Familien teilnahmen, konnte
nachgewiesen werden, dass Säuglinge die mit drei Monaten als schwierig
galten, im Alter von drei Jahren, beziehungsweise acht Jahren keine
Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Rollet & Werneck argumentieren mit dem
Erziehungsstil der Eltern. Somit ist die Bedeutung des Mikrosystems für eine
positive Kindesentwicklung ein weiteres Mal bewiesen.
Borba (1999) hat nachstehende Möglichkeiten der Unterstützung von Kindern
durch die Eltern und Herkunftsfamilie aufgelistet:
Persönliche Fertigkeiten :
Positives Selbstwertgefühl, entwickelt sich durch positive Selbstüberzeugungen
und ein gutes Selbstwirksamkeitskonzept, das durch die Herkunftsfamilie
bestärkt und gefördert wird. Die Kultivierung eigener Stärken, erfolgt durch
29

positives Bestärken, Loben und die Ermutigung Lösungskompetenzen zu
erlangen.
Emotionale Fertigkeiten
Die Kommunikationsmuster der Familie, wie aufmerksames Zuhören, lernen für
sich selbst zu sprechen und sich adäquat mitzuteilen, um
Problemlösungskompetenz zu erlangen und ein positives verbales und
nonverbales Kommunikationsverhalten zu erlernen.
Soziale Fertigkeiten
Unterstützung um Freundschaften schließen zu können und kooperative
Partnerschaften zu gestalten , und das Erlernen auch mit schwierigen
Beziehungen umgehen zu können. Die Ausbildung von
Kommunikationswerkzeugen um konstruktive Konfliktlösungen zu erreichen.
Motivationale Fertigkeiten
Das Erlernen von Selbstmotivation und Beharrlichkeit, Zielsetzung und
Erreichung durch Nicht aufgeben und das Bestreben gestellte Aufgaben auch
zu Ende zu bringen, obwohl dies mit Schwierigkeiten verbunden ist. Das
Anwenden von Shaping, Verhaltensänderung, und Chaining zur
Verhaltensformung, so dass durch Verstärkung leistungssteigernde Fertigkeiten
erworben werden können. ,, Hilf mir es selbst zu tun", soll für Eltern als Leitmotiv
zur Unterstützung des Kindes gesehen werden.
Moralische Fertigkeiten
Stärkung der Empathiefähigkeit, Erlernen von Mitgefühl und Sensibilität für
andere, das Erlernen von sozialer Kompetenz. ( In: Borba. 1999. S.5)
Die Neuropsychologie geht anhand von jüngsten Forschungsergebnissen
davon aus dass in der frühesten Kindheit im Gehirn eine Vielzahl an
Verschaltungen stattfindet. Dies führt zur nutzungsabhängigen Stabilisierung
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synaptischer Netzwerke, diese Synapsenbildung bildet sich zurück wenn die
Verschaltungen nicht gebraucht werden, das heißt wenn bei einem Kind diese
Verschaltungen und daraus resultierenden Aktionen nicht zur Anwendung
gelangen, werden bereits gebildete Verschaltungen einer Rückbildung
zugeführt. Der Neuropsychologe und Hirnforscher Hüther (Gebauer & Hüther,
2003) geht davon aus, dass Kinder im Alter von ca.3-5 Jahren über eine so
große Synapsenanzahl verfügen, die im weiteren Leben nicht mehr erreicht
wird. Haben keine Verschaltungen stattgefunden bilden sich jene, die nicht
gebraucht werden oder nicht durch entsprechende Nutzung und Stimulation
gefestigt werden, sich zurück. Kindern müssen viele Möglichkeiten zur
Stimulation geboten werden, um die Stabilisierung der Nervenzellenkontakte zu
erreichen.
Als einfaches Beispiel dazu kann das so einfach anmutende Erlernen mehrerer
Sprachen bei einem Kleinkind dienen. Ich habe vor einigen Wochen auf Gran
Canaria einen vierjährigen Jungen bei einer Geburtstagsparty erlebt, der als
Muttersprache deutsch erlernt hat, mit seinem Vater italienisch parliert, und mit
seinem Großvater spanisch spricht. Es hat mich unheimlich fasziniert dieses
kleine Kind im Gespräch mit Mutter, Vater und Großvater zu erleben und
zuzuhören, wie mitten im Gespräch die Sprache völlig problemlos gewechselt
wird. Er war im Spiel mit Gleichaltrigen mit denen er englisch sprach, da er
einen englischen Kindergarten besucht und hat innerhalb weniger Minuten vier
mal die Sprache gewechselt, wobei auch die Konsequenz der Familie für mich
absolut bewundernswert war, dass diese Mehrsprachigkeit permanent
gefördert und auch innerhalb der Familie praktiziert wird.
Bauer (2005) sieht als besonders wichtigen Bereich für das Erlernen von
sozialen Fertigkeiten die Hirnrinde und den Frontallappen. In diesem Bereich
finden Aufmerksamkeitssteuerung und Wahrnehmung statt, entsteht das
Selbstbild und die Handlungsplanung. Die Selbstwirksamkeitserfahrung, der
Aufbau von Motivation, Empathiefähigkeit, soziale Kompetenz und
Impulskontrolle, sowie emotionale und soziale Kompetenz finden in diesen
31

Bereichen statt. Diese Verschaltungen müssen jedoch durch eigene
Erfahrungen von Kindern vom frühen Kindesalter an stabilisiert und durch
Bezugspersonen innerhalb des Mikro und Mesosystems gefördert werden.
2.1.4 Temperament und Persönlichkeitsentwicklung als
Entwicklungsaufgabe
Rothbart & Bates (1998) definieren Temperament als (..) konstitutionell
verankerte Wurzeln von emotionalen, motorischen und
aufmerksamkeitsbezogenen Reaktionen und der Selbstregulierung. (Vgl: Oerter
& Montada, 2002, S.210)
Thomas & Chess (1977) konnten neun unterschiedliche
Temperamentsdimensionen herausfiltern. Durch Messungen an Kindern
unterschiedlichen Alters mittels Fremdratings durch Eltern und Pädagogen und
häusliche in vivo Untersuchungen, wurden drei Temperamentsdimensionen als
essentiell bewertet. Der positive Affekt und die Annäherung, der negative Affekt,
und die aktive Bemühung um Kontrolle (effortful control). Rothbart & Bates
(1998) fügten die soziale Orientierung als vierten Faktor hinzu.
Alle vorgenannten Temperamentsdimensionen treten bereits im frühen
Säuglingsalter auf. Sowohl positiver Affekt und Annäherung als auch der
negative Affekt mit Tendenzen zu Distress zeigen sich bereits im Alter von zwei
bis drei Monaten. Die Stabilität dieser Faktoren über Jahre hinweg, darunter
fallen auch Furchtsamkeit und belastende Irritierbarkeit (irritable stress), ist
durch zahlreiche Studien bewiesen.
Aufmerksamkeit und das Bemühen um Kontrolle ersetzen im Laufe der
kindlichen Entwicklung die so genannte Hemmungskontrolle und werden später
als Selbstkontrolle nicht mehr als Temperamentsdimension behandelt.
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836627832
DOI
10.3239/9783836627832
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt – Kulturwissenschaften, Studiengang Psychologie
Erscheinungsdatum
2009 (März)
Note
1,0
Schlagworte
gruppenkohäsion shame management victimisation persönlichkeit aggressivität
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Titel: Bullying und Aggressionen im Schulbus
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