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Gemeinsames Wohnen im Alter: Von der Alten-WG bis zum Mehrgenerationenwohnen

Neue Herausforderungen für die Verbraucherberatung?

©2008 Masterarbeit 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Senioren sind eine Gruppe von Verbrauchern, die infolge der derzeitigen demographischen Alterung der Gesellschaft zunehmend Beachtung findet. Manche politische Entscheidungsträger und Mitglieder einer zu diesem Thema eingerichteten Forschungsgemeinschaft sehen darin eine Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit der Wohlfahrtsstaaten. Trotz dieser eher düsteren Aussichten wird die steigende Anzahl an älteren Menschen keinesfalls nur negativ gesehen. Denn es ist bei weitem nicht so, dass wir in eine Zukunft mit überwiegend pflegebedürftigen Senioren steuern. Ganz im Gegenteil, es gibt eine große und steigende Anzahl an gesunden und aktiven älteren Menschen. Diese können auch nach ihrer Erwerbsphase der Gesellschaft in Form von Wissensvermittlung, sozialem Engagement, Arbeits- und Wirtschaftskraft einen erheblichen Nutzen bietet.
Leider geht dieses Potential jedoch auf Grund vieler Hürden und Probleme häufig verloren. Mangelnde soziale Kontakte und geringer finanzieller Spielraum sind Teil dieser Problematik. Eine nicht unwesentliche Ursache hierfür ist, dass die meisten Senioren - oftmals alleine - in ihrer bestehenden privaten Wohnung bleiben. Dabei gibt es durchaus alternative Wohnformen, die das Leben älterer Menschen spürbar zufriedener machen könnten.
Insbesondere gehören hierzu Formen Gemeinsamen Wohnens im Alter, wie etwa das Mehrgenerationenwohnen, welche durch Vorteile wie Gesellschaft, gegenseitige Hilfe und auch mögliche wirtschaftliche Vergünstigungen positiv zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können.
Auch wenn sogenannte „Alten-WGs“ über die Medien weiter an Bekanntheitsgrad gewinnen, das Interesse an Haugemeinschaften für ältere Menschen steigt und zunehmend Senioren Gemeinsames Wohnen im Alter als reizvoll bezeichnen, führt diese Wohnform weiterhin ein Nischendasein. Oftmals scheitern entsprechende Projekte schon in frühen Phasen, da Senioren mit der Umsetzung meist überfordert sind. Hier könnte Beratung für die Planung, Organisation und Abstimmung hilfreich sein.
In welchem Umfang das Thema Gemeinsames Wohnen im Alter (GeWoA) bei Beratungsstellen seinen Platz findet und inwieweit angebotene Beratung auch von Senioren genutzt wird, darüber ist allerdings kaum etwas bekannt. Um herauszufinden, wie die Sicht der Verbraucherberatungsstellen hierzu ist und ob das Gemeinsame Wohnen im Alter eine neue Beratungsherausforderung darstellt, soll mit vorliegender qualitativer Studie erforscht werden. Folgende […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Fragestellung

2 Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen
2.1 Senioren
2.2 Gemeinsames Wohnen im Alter
2.3 Verbraucherberatung für Senioren
2.4 Verbraucherberatung über Gemeinsames Wohnen im Alter

3 Forschungsmethodik

4 Ergebnisdarstellung
4.1 Allgemeines zu den Verbraucherberatungsstellen
4.2 Beratung über Wohnen im Alter
4.3 Beratung über Gemeinsames Wohnen im Alter
4.4 Beschäftigung mit dem Gemeinsamen Wohnen im Alter
4.5 Meinung der Berater über Gemeinsames Wohnen im Alter
4.6 Zukünftiges vorstellbares Engagement der Verbraucherberatungsstellen zur Verbreitung des Gemeinsamen Wohnens im Alter

5 Interpretation und Diskussion

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Spektrum an Wohnmöglichkeiten für unterschiedliche Wohnbedürfnisse älterer Menschen

Tabelle 2: Städteauswahl der interviewten VBS

Tabelle 3: Kategoriensystem

Tabelle 4: Allgemeine Angaben zu den VBS

Tabelle 5: Selbst genannte Wohnmöglichkeiten im Alter in der Beratung

Tabelle 6: Mögliche Chancen und Grenzen Gemeinschaftlicher Wohnprojekte

Diagrammverzeichnis

Diagramm 1: Häufigkeit der in den VBS vorhandenen Beratungsmittel für Wohnen im Alter

Diagramm 2: Engagement der VBS für GeWoA

Diagramm 3: Höhe des Wissens der Interviewpartner über Projekte GeWoA

Diagramm 4: Allgemeines Fachwissen der Berater bezüglich GeWoA

Diagramm 5: Bedeutung der Verbraucherberatung für GeWoA

Diagramm 6: Häufigkeit des in den VBS genannten zukünftigen Engagements für GeWoA

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schnittmengenmodell der nachhaltigen Entwicklung

Abb. 2: Neue Herausforderungen für die Verbraucherberatung

Abb. 3: Waage der am häufigsten genannten Chancen und Schwierigkeiten

Abb. 4: Zusammenhänge der größten Einflussfaktoren auf neue Herausforderungen für die Verbraucherberatung bezüglich GeWoA

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung und Fragestellung

Senioren sind eine Gruppe von Verbrauchern, die infolge der derzeitigen demographischen Alterung der Gesellschaft zunehmend Beachtung findet. Manche politische Entscheidungsträger und Mitglieder einer zu diesem Thema eingerichteten Forschungsgemeinschaft sehen darin eine Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit der Wohlfahrtsstaaten (Schoenmaeckers 2008, S. 196-197). Trotz dieser eher düsteren Aussichten wird die steigende Anzahl an älteren Menschen keinesfalls nur negativ gesehen. Denn es ist bei weitem nicht so, dass wir in eine Zukunft mit überwiegend pflegebedürftigen Senioren steuern. Ganz im Gegenteil, es gibt eine große und steigende Anzahl an gesunden und aktiven älteren Menschen. Diese können auch nach ihrer Erwerbsphase der Gesellschaft in Form von Wissensvermittlung, sozialem Engagement, Arbeits- und Wirtschaftskraft einen erheblichen Nutzen bietet.

Leider geht dieses Potential jedoch auf Grund vieler Hürden und Probleme häufig verloren. Mangelnde soziale Kontakte und geringer finanzieller Spielraum sind Teil dieser Problematik. Eine nicht unwesentliche Ursache hierfür ist, dass die meisten Senioren - oftmals alleine - in ihrer bestehenden privaten Wohnung bleiben. Dabei gibt es durchaus alternative Wohnformen, die das Leben älterer Menschen spürbar zufriedener machen könnten (BmFSFJ 2005, S. 29, S. 186-187; Belardi 2007, S. 29; Parran 2008, S. 442).

Insbesondere gehören hierzu Formen Gemeinsamen Wohnens im Alter, wie etwa das Mehrgenerationenwohnen, welche durch Vorteile wie Gesellschaft, gegenseitige Hilfe und auch mögliche wirtschaftliche Vergünstigungen positiv zu einer nachhaltigen Entwicklung[1] beitragen können (Sennlaub 2005, S. 75-76; S. 81-82).

Auch wenn sogenannte „Alten-WGs“ über die Medien weiter an Bekanntheitsgrad gewinnen, das Interesse an Haugemeinschaften für ältere Menschen steigt und zunehmend Senioren Gemeinsames Wohnen im Alter als reizvoll bezeichnen, führt diese Wohnform weiterhin ein Nischendasein (bbw – Trendstudie 2008, S. 201; BmFSFJ 2005, S. 238). Oftmals scheitern entsprechende Projekte schon in frühen Phasen, da Senioren mit der Umsetzung meist überfordert sind. Hier könnte Beratung für die Planung, Organisation und Abstimmung hilfreich sein (KDA 2006, S. 55-56).

In welchem Umfang das Thema Gemeinsames Wohnen im Alter (GeWoA) bei Beratungsstellen seinen Platz findet und inwieweit angebotene Beratung auch von Senioren genutzt wird, darüber ist allerdings kaum etwas bekannt. Um herauszufinden, wie die Sicht der Verbraucherberatungsstellen hierzu ist und ob das Gemeinsame Wohnen im Alter eine neue Beratungsherausforderung darstellt, soll mit vorliegender qualitativer Studie erforscht werden. Folgende zentrale Fragestellungen stehen dabei im Vordergrund:

- Welchen Stellenwert hat die Beratung zum Gemeinsamen Wohnen im Alter in der Seniorenberatung heute?
- Welche Rolle wird Gemeinsames Wohnen im Alter nach Ansicht der Berater zukünftig haben?
- Inwieweit ist mit dem Gemeinsamen Wohnen im Alter ein besonderes Engagement der Verbraucherberatungsstellen (VBS) verknüpft?

Im kommenden Kapitel (Kap. 2) werden hierzu die theoretischen Grundlagen für die Studie gelegt und der wissenschaftliche Standpunkt über die Verbrauchergruppe der Senioren, Gemeinsames Wohnen im Alter, Verbraucherberatung für Senioren und speziell die Verbraucherberatung über Gemeinsames Wohnen im Alter aufgezeigt. Im empirischen Teil der Arbeit werden die ausgewählte Forschungsmethodik erläutert (Kap. 3) und anschließend (Kap. 4) die Ergebnisse dargestellt. Diese werden im Folgenden (Kap. 5) interpretiert und diskutiert. Im Schlusskapitel (Kap. 6) folgt eine Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit, in der zusätzlich die Ergebnisse der Studie kritisch reflektiert sowie mögliche weitere Forschungsthemen aufgezeigt werden.

2 Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Um für die gesamte Studie ein einheitliches Grundverständnis und entsprechende Vorkenntnisse zu gewährleisten, werden nun auf wissenschaftlicher Basis die relevanten Begriffe definiert sowie deren bisherige Entwicklung, Status Quo und Relevanz dargelegt. Diese sind: Senioren, Gemeinsames Wohnen im Alter und Verbraucherberatung für Senioren.

Nachdem die einzelnen Begriffe geklärt sind, wird abschließend noch der Status Quo sowie die Relevanz der Verbraucherberatung für Gemeinsames Wohnen im Alter betrachtet.

2.1 Senioren

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen Senioren als Verbraucher[2], gemäß §13 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Demnach ist ein Verbraucher „jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“ (BGB (2007) S. 9). Verbraucher erwerben demnach Waren oder Dienstleistungen nur für den privaten Zweck und stehen somit immer am Ende einer Produktionskette.

Auch wenn der Begriff „Senior“ jedem geläufig ist, gibt es in der Bedeutung je nach Quelle doch merkliche Unterschiede.

Definition

Im Duden findet man unter dem Wort „Senior“ die Erläuterung „älterer Mensch“ (DUDEN 2005, S. 946). Doch was unter „älteren Menschen“ zu verstehen ist, ist schwierig zu beantworten, da sich das Verständnis im Laufe der Geschichte immer wieder ändert. In der Gerontologie (der Wissenschaft vom Altern und vom Alter) spricht man daher von dem „differenziellen Altern, welches durch Geschlecht, soziale Lage, gesundheitliche Situation, Art des Erlebens früherer und aktueller Eindrücke sowie der Bewältigung der Anforderungen des Alterns selber, beeinflusst wird“ (Belardi/ Fisch 1999, S. 73). Demnach ist eine gefühlte Grenze zum „Alt- sein“ sehr subjektiv und verläuft fließend.

Die Gesellschaft legt dennoch durch das wirtschaftlich bedingte Renteneintrittsalter eine klare Grenze fest, ab wann ein Mensch als Senior gilt. Dieses variiert und liegt momentan in Deutschland gesetzlich bei 65 Jahren. Durch schrittweise Anhebung wird es ab dem Jahr 2029 bei 67 Jahren liegen. Trotz der Erhöhung neigen die Menschen eher dazu, schon etwas früher in Rente zu gehen. So haben z. B. in den USA viele Menschen die Möglichkeit bereits zwischen 62 und 65 Jahren in Rente zu gehen (http://www.vdk.de/perl/cms.cgi?ID=de10544, 20.11.08; Johnson 2008, S. 703; Dychtwald 2006, S. 49).

Aufgrund dieser Schwankungen soll in vorliegender Arbeit die Grenze von 65 Jahren nicht als absolut gelten, sondern als grobe Ausrichtung dienen. Dies ist auch im Hinblick darauf zu sehen, dass in folgender Studie die Anforderungen an VBS in Zusammenhang mit dem Thema Gemeinsames Wohnen im Alter im Mittelpunkt stehen und nach Meinung der Verfasserin eine exakte Altersabgrenzung dafür nicht wesentlich ist.

Entwicklungen und Status Quo

Ein wesentliches Merkmal der heutigen Senioren in den Industrieländern ist ihre im Gegensatz zu vorherigen Generationen verlängerte Rentenphase. Diese kommt durch den erwähnten früheren Renteneintritt, aber vor allem durch die längere Lebenszeit der Menschen zustande.

In Europa bzw. speziell auf Deutschland bezogen, verschiebt sich durch eine niedrigere Geburtenrate und einer längeren Lebenszeit der Bevölkerung das ehemals klassische Aussehen der Bevölkerungspyramide (starke Anzahl an jungen Jahrgängen und geringe Anzahl von Senioren) zunehmend und gleicht heute eher einer „zerzausten Wettertanne“: Es gibt weniger junge Menschen und die höchste Anzahl ist im mittleren Alter zu finden. Die Anzahl der Menschen über 60 Jahre wird sich weiter erhöhen, so dass diese nach Vorausrechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2050 den größten Anteil der Menschen in den Industrienationen darstellen werden (Statistisches Bundesamt, Gruppe VI A 2006, S.34). Es wird also auch das Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung kontinuierlich ansteigen. „Bei der annähernd konstanten Geburtenhäufigkeit und Basisannahme zur Lebenserwartung beträgt es im Jahr 2050 ca. 50 Jahre“ (Statistisches Bundesamt, Gruppe VI A 2006, S. 38).

Im „Fünftem Bericht zur Lage der Generationen in der Bundesrepublik Deutschland“ (2005) wird betont, dass die heutigen Senioren durch die längere Lebensphase vor allem einen Zugewinn an „aktiven Jahren“ haben. „Aktive Jahre“ heißt dabei, dass sich die Senioren noch produktiv in die Gesellschaft integrieren können und es ihnen noch gut möglich ist, selbständig und in eigener Verantwortung zu leben, da geistige und körperliche Einschränkungen relativ selten auftreten. Im Gegensatz zu den jungen Menschen, welche z. B. einen Beruf nachgehen oder Kindern erziehen müssen, haben Senioren weniger Verpflichtungen und gewinnen somit einen Freiraum, in dem sie noch viel unternehmen und bewirken können (BmFSFJ 2005, S. 29, Görnert-Stuckmann 2005, S. 21). Demnach haben ältere Menschen trotz Ruhestand der Gesellschaft noch einiges an Potenzial zu bieten. „Retirement means more than ending an individual’s professional career. In retirement (…) many individuals want to stay useful and plan to spend time engaging in the leisurely activities they enjoy“ (Johnson 2008, S. 703).

Die dafür nötigen Voraussetzungen sind den heutigen Senioren durchschnittlich gesehen mehr gegeben als den Generationen vor ihnen. Sie sind vergleichsweise gesünder, gebildeter und finanziell besser ausgestattet (BmFSFJ 2005, S. 29). Sie haben „die meiste Zeit ihres Lebens im Frieden verbracht und sich wie kaum eine andere Generation vor ihnen mit der Entwicklung eigener Ziele und Ideale befassen können“ (Görnert-Stuckmann 2005, S. 20). Sie können sich mehr darauf einlassen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren und für ihr Leben mitzubestimmen. Die gesundheitlichen Vorteile kommen unter anderem dadurch zustande, dass die Lebensweise der gegenwärtigen Generation der Senioren in den jüngeren Jahren weniger körperlich belastend war. Sie erscheinen ca. 10 Jahre jünger, als die Senioren der vorherigen Generation im gleichen Alter. Dies wird in der Literatur als „down-Aging“- Phänomen bezeichnet (Horx 2005, S. 294).

Nach einer repräsentativen Studie der GfK ist die „Verjüngerung“ auch psychologisch zu beobachten. Demnach fühlt sich der überwiegende Teil der heutigen Senioren jünger, als sie es wirklich sind. Die über 60jährigen sehen sich durchschnittlich 9 Jahre jünger (GfK 2008).

Zusammengefasst scheint folgendes Zitat zutreffend: „Die Generation 50plus wird zwar biologisch älter, bleibt aber mental jünger“ (Michael 2006, S. 97). Auch in Zukunft kann davon ausgegangen werden, dass sich die Menschen im Ruhestand immer mehr versuchen, „weiterzuentwickeln und offen zu sein für neue Lebensstile“ (Dychtwald 2006, S. 60).

Doch neben der steigenden Anzahl an „aktiven Alten“ führt die längere Lebenserwartung in den Industrienationen auch dazu, dass es immer mehr Menschen über 80 Jahre gibt. Nach Schätzungen wird z. B. in den Ländern der Europäischen Union im Jahr 2050 der Anteil der Menschen über 80 Jahren von 3,4% im Jahr 2000 auf ca. 11,8 % gestiegen sein. „While demographic ageing is not a new phenomenon, it is clear that the share of the elderly, and in particular the very old (80+) will increase substantially” (European Commission 2008, S.11). Momentan sind in Deutschland ca. 3,6 % der Bevölkerung über 80 Jahre, in zwanzig Jahren werden es ca. 6,3 % sein und im Jahr 2050 ca. 11 % (BmFSFJ 2002, S. 55). Diese Phase ist stärker durch körperliche und gesundheitliche Einschränkungen geprägt, als es in den anderen Altersphasen der Fall ist. Es gibt daher auch eine steigende Anzahl an Senioren, welche verstärkt auf Hilfe und Pflege angewiesen sind (Horx 2005, S. 294).

Ein weiteres Merkmal der Senioren ist der erhöhte Frauenanteil in der späteren Lebensphase. Dieser kommt dadurch zustande, dass Frauen eine längere Lebenserwartung haben und zudem auf Grund eines früheren Heiratsalters häufiger ihre Ehemänner überleben. So leben in allen Mitgliedsstaaten der EU mehr Frauen als Männer alleine in einem Haushalt (Statistisches Bundesamt 2006, S. 34; Europäische Gemeinschaft 2003, S. 3).

Weil ältere Menschen zudem einen kleineren Freundschaftskreis haben als junge Menschen (DZA 2002, S.15), kann davon ausgegangen werden, dass es vielen Senioren an sozialen Kontakten mangelt und manche sogar in regelrechter Isolation leben (Belardi 2007, S. 29). Fehlende Kinder oder deren Wegzug aus dem Elternhaus können diesen Umstand nochmals verstärken.

Insgesamt ist zu sehen, dass die heutigen Senioren eine sehr heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Lebensstilen und verschiedenen körperlichen sowie psychologischen Entwicklungen darstellen (Höpflinger 2004, S. 12; Dychtwald 2006, S. 58). Dadurch wird der Begriff die „Alten“ vielerorts neu gedeutet. Nach einer europäischen Definition gibt es nicht mehr nur die „Alten“, sondern „junge Alte“ (60 bis 75 Jahre), „alte Alte“ (75 und älter), Hochbetagte (85 bis 94) und Überlebende (ab 95 aufwärts) (Giessler 2005, S. 12).

Aufgrund dieser Differenzen soll folgendes Zitat aus einer Trendstudie kritisch betrachtet werden: „Gegenüber denen, die vor ihnen alt wurden, haben die Senioren von heute entscheidende Vorteile: Sie werden älter, reicher - und sie werden immer mehr“ (bww – Trendmärkte 2008, S. 4). Das kann zwar teilweise zutreffen, ist jedoch sehr verallgemeinert dargestellt. Zwar wird nach Schätzungen die Anzahl an älteren Menschen in den Industrieländern weiter steigen und die Hochaltrigkeit nimmt zu (European Commission 2007, S.11), jedoch ist zu vermuten, dass es dadurch auch mehr verarmte Senioren geben wird, die mit einer relativ geringen Rente auskommen müssen (BmFSFJ 2005, S. 186-187).

Relevanz der Senioren als neue Verbrauchergruppe

Als der Begriff „Senioren“ in die deutsche Sprache eingeführt wurde, sollte er den Begriff „die Alten“ positiv aufwerten und somit auch hervorgehoben werden, dass ältere Menschen in vielerlei Hinsicht Potential besitzen und ernst zu nehmende Verbraucher sind (Tews 1991, S. 28).

Doch erst in neuester Zeit scheint die Wirtschaft die Senioren auf Grund ihrer Zunahme in der Gesellschaft verstärkt als ernst zu nehmende Verbraucher wahr zu nehmen und sich mehr auf ihre Bedürfnisse einzustellen. Denn es werden zukünftig wahrscheinlich weniger die jungen, sondern immer mehr die älteren Menschen sein, welche steigende Konsumausgaben haben. Zur heutigen Zeit wächst besonders durch die 68er Generation eine Gruppe an Senioren heran, die gerne konsumieren (Michael 2006, S. 100).

Dies liegt vermutlich daran, dass- obwohl die Einkommenslage der Senioren in Deutschland heterogen ist und es auch immer mehr mit einem sehr geringen Einkommen geben wird (BmFSFJ 2005, S. 186-187; Reidl 2005, S.57, S. 60; Schmitz- Scherzer 2005, S. 76)- sich die heutigen Senioren wenig Sorgen um eine mögliche Armut machen müssen (Kruse 2007, S. 65). So gibt es momentan „die wohlhabendsten Rentner aller Zeiten“ (Lehr 2006, S. 25-26), „die zumindest zum Teil den Konsumausfall Jüngerer infolge abnehmender Geburtsjahrgänge ausgleichen können“ (BmFSFJ 2005, S. 227). Nach einer Studie „50plus“ der „Gesellschaft für Konsumforschung“ (GfK) stimmten 2005 im Vergleich zu 1992 etwa die Hälfte der Befragten dem hedonistischen Gedanken zu: „Ich mache mir lieber ein schönes Leben als immer nur zu sparen“ (Reidl 2005, S. 57-58; GfK 2008).

Trotz dieser Heterogenität der Senioren, hebt sich ihre Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen von der Nachfrage jüngerer Menschen ab. So fragen Senioren nicht nur andere Produkte und Dienstleistungen nach, sondern präferieren auch spezielle Produktsorten wegen ihrer Funktionen. Senioren reagieren z. B. auf eine handlich geschickte Produktverpackung: „Rund ein Drittel „kaufen künftig ein anderes Produkt, wenn sie mit der Verpackung unzufrieden waren“ (Meyer- Hentschel 2006, S. 79).

Außerdem geben Senioren im Vergleich zu jüngeren Menschen relativ viel ihres Einkommens für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung aus. Dies liegt u. a. daran, dass Senioren häufig ihre teils zu großen und teuren Wohnungen weiternutzen, anstatt sich trotz weniger Haushaltsmitglieder und geringerem Einkommen eine geeignetere Wohnalternative zu suchen (BmFSFJ 2005, S. 229). Demgegenüber geben sie zwar meist weniger für Verkehr und Mobilität aus, haben aber- je älter sie werden- auch mehr Ausgaben für Güter der Gesundheitspflege (BmFSFJ 2005, S. 229). Diese verschobene Nachfrage wird durch die Alterung der Gesellschaft vermutlich weiter zunehmen (BmFSFJ 2005, S. 227).

Das Wohnen im Alter stellt eine Konsumform da, welche also in zweierlei Hinsicht von hoher Bedeutung für Senioren sein kann. Zum einen auf Grund der hohen finanziellen Belastung, zum anderen auf Grund der sehr spezifischen Anforderungen an die „Funktionen“ des Produkts „Wohnen“.

2.2 Gemeinsames Wohnen im Alter

Als spezielle Form des Wohnens im Alter wird nun das Gemeinsame Wohnen im Alter definiert und dessen Entwicklung aus dem allgemeinen Wohnen im Alter, Status Quo sowie Relevanz für die Gesellschaft betrachtet.

Definition

Eine Definition des Begriffes Gemeinsames Wohnen kann je nach subjektiver Auffassung sehr unterschiedlich ausfallen. Die Grenzen sind fließend und sieht man das Wohnen nicht nur „innerhalb eines privaten, räumlich abgegrenzten Bereichs“ (Sennlaub 2005, S. 21), sondern nimmt „den Bereich um die eigentliche private Wohnung herum“ dazu (Sennlaub 2005, S. 22), findet - solange es sich nicht um ein alleinstehendes Singlehaus handelt - in nahezu jeder Wohnform ein gemeinsames Wohnen statt (Bilharz 2008, S. 2). Selbst die gemeinsame Nutzung eines Flurs in einem Mehrfamilienhaus oder das Zusammenwohnen mit dem Ehepartner könnten insofern als Gemeinsames Wohnen betrachtet werden.

Für nachfolgende Studie ist dies jedoch zu weit gegriffen. Unter dem Begriff Gemeinsames Wohnens werden hier grob solche Wohnformen verstanden, in denen familienfremde Menschen gemeinschaftlich zusammenleben und sich gemeinsame Wohnfläche teilen. Dies kann in einer Wohnung, einem Haus oder in einer Siedlung geschehen (Bilharz 2008, S. 3). Um das Gemeinsame Wohnen im Alter (GeWoA) klar von anderen Wohnformen abzugrenzen, wird die Definition des KDA herangezogen. Dabei heißt es: „Das Hauptziel (…) ist das gemeinschaftliche Zusammenleben bei gleichzeitiger Wahrung der Selbstständigkeit (…). Die älteren Menschen wollen (…) die Art, wie, wo und mit wem sie zusammenleben möchten, auch selbst gestalten. Vielfach werden solche Wohnprojekte deshalb auch selbst organisiertes gemeinschaftliches Wohnen genannt. Diese Selbstorganisation bezieht sich in den meisten Fällen (…) auch auf die Planung und Führung des Wohnprojektes. (…) Sie [binden] mehrheitlich keine professionelle Betreuung ein, zumindest nicht in Form einer Betreuungsträgerschaft für das Projekt. Das Konzept besteht vielmehr darin, aus dem gemeinschaftlichen Zusammenleben eine Basis für Solidarität und Nachbarschaftshilfe zu schaffen und höchstens im Bedarfsfall ambulante Dienste in Anspruch zu nehmen“ (KDA 2006, S. 26-27).

Auf Grund dieser Definition werden für nachfolgende Studie fremdorganisierte Einrichtungen wie das „Betreute Wohnen“ oder „Seniorenresidenzen“ nicht als eine Form Gemeinsamen Wohnens im Alter verstanden. Dagegen sind Haus- und Wohngemeinschaften sowie Projekte des „Mehrgenerationenwohnens“ oder des „Integrierten Wohnens“ Formen des Gemeinsamen Wohnens im Alter. Bei den letzteren zwei Wohnform wird die Gemeinschaft meist nicht nur in einem Gebäude, sondern in einer Siedlung gelebt und es kommen verschiedene Generationen oder Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen (KDA 2006, S. 27). Zu der Definition passt z. B. auch das Projekt „Wohnen gegen Hilfe“, das auf Städte beschränkt ist und in Baden-Württemberg (BW) z. B. in Freiburg und Karlsruhe angeboten wird. Hierbei stellen Senioren Wohnraum für Studierende zur Verfügung, die dafür dem Vermieter in Dingen des täglichen Lebens zur Seite stehen (http://www.studentenwerk.mhn.de/wohnen/wohnen_gegen_hilfe, 25.09.08).

Ein relativ bekanntes Beispiel für GeWoA ist die Alten- Hausgemeinschaft des ehemaligen Bürgermeisters von Bremen- Henning Scherf. Dieser macht durch ein selbst veröffentlichtes Buch und Vorträgen in ganz Deutschland seine Hausgemeinschaft publik. Mit seiner Frau und Freunden plante und führte er dieses Projekt selbständig aus. Dabei traten vor allem bei den Umbaumaßnahmen des Wohnobjektes und bei der Gruppenbildung Probleme auf. Auch das „Leben“ in der Hausgemeinschaft war und ist durch Alltagsprobleme geprägt, die durch unterschiedliche Wohngewohnheiten entstanden sind. Dennoch betrachtet er diese Art des Zusammenwohnens im Alter als gelungen. Er hebt insbesondere soziale Vorteile, wie z. B. die feste Integration der Kinder der Bewohner in die Gemeinschaft und die gegenseitige Hilfeleistung bei Krankheit hervor. Als besonders angenehm empfindet er die Möglichkeit, auf der einen Seite immer Gesellschaft zu finden, wenn ihm danach ist, auf der anderen Seite sich aber auch jederzeit in den privaten Wohnbereich zurückziehen zu können (Scherf 2006, S. 123- 137).

Dies ist eine sehr spezifische Form im Alter zu wohnen. Um deutlich zu machen, wie sich GeWoA entfaltet hat, wird im Folgenden die Entwicklung des Wohnens im Alter im Allgemeinen betrachtet.

Entwicklung des GeWoA aus dem allgemeinen Wohnen im Alter

Bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein war es in Europa ein normales Bild, dass ältere Menschen in einer Großfamilie bis zu ihrem Tod mit Arbeitern und Bediensteten zusammen in einem Haus lebten. Die Bewohner teilten sich hausinterne Einrichtungen und führten daher eine Art gemeinsames Wohnen, in der Form eines Mehrgenerationenwohnens aus. Erst durch die Industrialisierung wurde der Bereich Wohnen und Arbeit (und somit auch die Arbeiter von der Familie) räumlich getrennt, wobei der Wohnraum immer privater wurde und in den meisten Fällen nur noch die Kernfamilie zurückblieb (Sennlaub 2005, S. 35-37).

Dagegen beeinflussen heute „zwei dominante Entwicklungslinien das zukünftige Wohnen im Alter: 1 eine wachsende Singularisierung und 2 der gesellschaftliche Alterungsprozess“ (Krämer 2005, S. 52).

Daher ist in der gegenwärtigen Zeit innerhalb der Europäischen Union ein starker Anstieg der Einpersonenhaushalte zu vermerken, der voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten weiter bestehen bleibt (Europäische Gemeinschaft 2003, S. 1).

In Deutschland waren nach dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2005 38% aller Haushalte Einpersonenhaushalte und kamen somit an häufigsten als Haushaltsform vor. Demgegenüber gibt es kontinuierlich weniger Haushalte mit drei oder mehr Personen (Statistisches Bundesamt (Presseexemplar) 2006, S. 14). Diese Entwicklung bestimmen die Senioren ausschlaggebend mit. Von den 91% aller deutschen Alleinstehenden, die in einem Singlehaushalt wohnen, sind 38% 65 Jahre und älter (Statistisches Bundesamt 2006, S. 30).

Der hauptsächliche Grund für die steigende Anzahl an Senioren- Einpersonenhaushalten (und in geringerer Zahl auch an Mehrpersonenhaushalten) ist die demographische Alterung der Gesellschaft (Krämer 2005, S. 53). “Over the last four decades Europe has benefited from the fact that the large baby boom cohorts swelled the working age population. This demographic dividend will vanish from 2010 onwards as the baby boomers will start retiring” (European Commission 2007, S. 11).

Durch die Zunahme der älteren Bevölkerung bekommt die Diskussion um das Wohnen im Alter zunehmend Relevanz. Denn das Wohnen nimmt einen höheren Stellenwert ein, je älter Menschen werden. Dies liegt u. a. daran, dass der Arbeitsort im Rentenalter wegfällt und somit mehr Zeit in der Wohnung verbracht wird (Höpflinger 2004, S. 9). „Eine wichtige Form der Vorbereitung auf das eigene Alter bildet daher die Auseinandersetzung mit der Frage, wie man im Alter wohnen möchte“ (Kruse 2007, S. 78). Zwar möchten Senioren im Vergleich zu jüngeren Menschen meist lieber in ihrer vertrauten Umwelt bleiben, dennoch müssen Senioren oftmals aus einer Zwangslage heraus ihre Wohnung verlassen. Gründe hierfür sind z. B. Wohnungskündigung oder weil die Ausstattung ihren Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Hin und wieder suchen Senioren aber auch Veränderungen „weil man noch einmal die Chance auf Entwicklung ergreifen und sich um die Gestaltung bisher zu kurz gekommener Wünsche kümmern möchte“ (Görnert-Stuckmann 2005, S. 24).

„Beim Wohnen im Alter bezieht sich ein großer Teil der aktuellen Fachdiskussion auf Fragen der barrierefreien Gestaltung von Wohnungen und Wohnumfeld sowie auf spezifische Wohnungsangebote“ (Krämer 2005, S. 54). Barrierefrei bedeutet, dass jeder Mensch etwas Gebautes möglichst ohne fremde Hilfe betreten, befahren und benutzen kann (Görnert- Stuckmann 2005, S. 26). „Die aktuelle Agenda der Themen wird (…) dadurch bestimmt, dass in Deutschland die Interessen und Bedürfnisse älterer Menschen bei der Bewertung von Struktur und Qualität des (…) vorhandenen Wohnangebotes allzu lange keine Rolle gespielt haben und deshalb eine Art von Anpassungsstau entstanden ist“ (Krämer 2005, S. 54).

Durch die steigende Anzahl an Senioren haben sich in der EU unterschiedliche Wohnformen im Alter entwickelt. In Deutschland gibt es neben den traditionellen Wohnmöglichkeiten wie z. B. Altenwohnungen, Altenwohnheime und Alten- bzw. Pflegeheime, viele neuere Formen wie z. B. das Gemeinsame Wohnen, Betreutes Wohnen und heimähnliche Wohnformen für Pflegebedürftige (Schöffler 2006, S. 11). Die Bertelsmann Stiftung hat in Zusammenarbeit mit dem KDA folgende Einteilung der neuen Wohnmöglichkeiten im Alter nach der Entscheidungssituation vorgenommen:

Tabelle 1: Spektrum an Wohnmöglichkeiten für unterschiedliche Wohnbedürfnisse älterer Menschen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Kremer- Preiß, Ursula/ Stolarz, Holger (2003), S. 20

Doch trotz dieser vielen Möglichkeiten leben, wie eingangs erwähnt, die meisten älteren Menschen in Deutschland - ebenso wie in der gesamten EU - in zunehmender Anzahl alleine oder in institutionellen Einrichtungen. „In some countries, it is still common for older people to cohabit with their children. In others, older people typically live alone and a large proportion of the very old live in institutions“ (European Commission 2007, S. 13).

In der BRD ist bei ca. 93% der über 65jährigen die eigene Wohnung die dominierende Wohnform, in Baden- Württemberg leben sogar knapp 97% im eigenen Haushalt. Neben den Heimen, in denen lediglich 5,3% aller Senioren wohnen und den „Sonderwohnformen“, leben nur 1,6% der über 65-jährigen in speziellen Altenwohnungen. Zu letzteren gehören Formen des „Gemeinsamen Wohnens im Alter“. Diese machen einen relativ kleinen Teil der ausgeführten Wohnformen im Alter aus und stellen dementsprechend eine Nische in Deutschland dar (Ministerium für Arbeit und Soziales 2006, S. 112).

Die Wohnform des Gemeinsamen Wohnens im Alter entwickelte sich erst seit den 90er Jahren und erscheint daher gesamtgeschichtlich neu. Betrachtet man jedoch die vorindustriellen Großhaushalte, als eine Form des gemeinsamen Wohnens, ist es im Grunde nur eine Nachahmung von dem, was es vor der Industrialisierung in vielen Haushalten schon gab (Greiffenhagen 2007, S. 37-39).

Status Quo des Gemeinsamen Wohnens im Alter

Die Zahl vorhandener Projekte des Gemeinsamen Wohnens im Alter kann nur geschätzt werden. Dennoch ist erkennbar, dass deren Anzahl in der EU steigt. Durch Studien ist bekannt, dass sie in den Niederlanden und Dänemark (im Verhältnis zur Einwohnerzahl[3] ) häufiger zu finden sind als in Deutschland (Kremer- Preis 2003, S. 123). Dies kann daran liegen, dass etwa in den Niederlanden eine „finanziell geförderte, landesweite Organisation“ vorhanden ist, die Beratung zum Gemeinsamen Wohnen im Alter anbietet (Kremer- Preiß 2003, S. 123).

Etwas Vergleichbares gibt es in Deutschland noch nicht. Es ist jedoch ein bundesweiter Verein „Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V.“ aktiv, welcher sich stark für eine Verbreitung des Gemeinsamen Wohnens im Alter einsetzt. „Der Verein initiiert, berät und vernetzt alternative Wohnprojekte sowie Wohninitiativen älterer und jüngerer Menschen“ (http://www.fgwa.de/index.php?id=24, 27.07.2008). Erst in jüngster Zeit ab 2007 wird vom Bundesamt für Familien, Senioren, Frauen und Jugend ausgehend in einem Modellprojekt versucht, ein beratendes Netzwerk für das GeWoA aufzubauen (http://www.kompetenznetzwerk-wohnen.de, 11.11.2008).

Über die Aktivitäten der restlichen Mitgliedsstaaten der EU hinsichtlich des Gemeinsamen Wohnens im Alter ist nur schwer wissenschaftliche Literatur zu finden. Oben genannte Definitionsprobleme werden durch unterschiedliche Sprachen noch verstärkt. In einem Artikel des Forums für Gemeinschaftliches Wohnen e.V. wird erwähnt, dass es vor allem in Skandinavien und den USA schon lange Formen des GeWoA gibt. Als synonyme Oberbegriffe für das GeWoA werden dort Beispiele wie Kommunitarismus und „community living“ in den USA sowie das Cohousing in Dänemark genannt (Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V. 2006, S. 1-2).

Cohousing bedeutet soviel wie „gemeinschaftliches Wohnen unter Eigentümern oder Genossenschaftsmitgliedern“ (Kremer- Preiß 2003, S. 123). Ursprünglich wurde es als ein Mehrgenerationenprojekt entwickelt, um Doppelverdienern u. a. eine bessere Kinderbetreuung und eine sichere Nachbarschaft zu ermöglichen. Nach Dänemark hat es sich schnell bei den Nachbarn Schweden und den Niederlanden verbreitet und ist heute ebenso in Frankreich, Spanien, Belgien, Großbritannien und Italien zu finden. In neuster Zeit hat sich auch das sogenannte „elder cohousing“ entwickelt: „Cohousing for the elderly is booming across Europe“ (Lietaert 2007). Auf Grund der Unabhängigkeit nach außen- besonders auch, weil keine unterstützenden Gesundheitseinrichtungen integriert sind- kann es als eine Form des Gemeinsamen Wohnens im Alter verstanden werden. Beim „elder cohousing“ sind Möglichkeiten für Selbständigkeit, Gemeinschaft und aktive Beiträge im späteren Lebensalter gegeben. Es hat keine hierarchischen Strukturen und Entscheidungen werden auf Grundlage der Gemeinschaft getroffen. Ferner haben die Bewohner die Möglichkeit das Gemeinwesen selbst zu entwickeln, zu gestalten und zu führen (Simon/ Curtis 2008, S. 218; Lietaert 2007).

Von politischer Seite betrachtet, scheint es in Europa kein erkennbares direktes Engagement in Richtung GeWoA zu geben. Doch auf Grund der Probleme der demographischen Alterung und möglichen nachhaltigen Vorteile des GeWoA könnte sich dieses Thema zukünftig in der Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung der europäischen Kommission wiederfinden. Hier gibt es viele Projekte für z. B. die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Berücksichtigung des demographischen Wandels. Des Weiteren ist u. a. die Nachhaltigkeit im Verbrauch als eine Herausforderung aufgelistet (http://ec.europa.eu/sustainable/welcome/index_de.htm, 13.11.2008).

Relevanz Gemeinsamen Wohnens im Alter

Die Formen des „Gemeinsamen Wohnens“ sind für ältere Menschen eine zunehmend interessante Wohnalternative und so gewinnen auch entsprechende Wohnangebote für Senioren an Relevanz.

Nach vorherigen dargelegten Merkmalen der heutigen Senioren, wie z. B. mehr aktive Zeit, mehr Eigenständigkeit, jedoch auch häufige Vereinsamung, ist zu vermuten, dass zukünftig mehr ältere Menschen nach „Alternativen zum herkömmlichen Angebot des Eigenheims, der Wohnung und des Pflegeheims“ suchen (Giessler 2005, S. 10). Diese Annahme unterstützt eine Schweizer Studie des Age Reports[4], in der im Jahr 2003 immerhin 21% der befragten zu Hause lebenden Menschen (60 Jahre und Älter) das Zusammenleben mit anderen Menschen als wünschenswert empfanden (Höpflinger 2004, S. 78). Genauso sagt eine repräsentative Studie der des bbw[5] Marketing (2008) aus, dass ältere Menschen (in diesem Fall über 50 Jahre) einen starken „Wunsch nach gemeinschaftlichen Lebensformen haben, die gleichzeitig ein selbstbestimmtes Wohnen im Alter ermöglichen“ (bbw – Trendstudie 2008, S. 201). Von 28 % der befragten Senioren, die Veränderungspläne hinsichtlich ihrer Wohnform haben, gaben 16 % an, einen Umzug in ein Gemeinschaftliches Wohnen vorzuhaben. Ferner hatten sich bereits 14% aller befragten Senioren zum Thema Gemeinschaftliches Wohnen informiert, das somit zwar weniger Informationsnachfrage als ambulante Dienste und Betreutes Wohnen gefunden hat, jedoch mehr als eine barrierefreie Anpassung der eigenen Wohnung (bbw – Trendstudie 2008, S. 212).

Auch die Lebensweise und der bessere Gesundheitszustand heutiger und zukünftiger Senioren weißt darauf hin, dass sie in einem höheren Maße Wohnformen nachfragen werden, „die ein aktives, sozial integriertes nachberufliches Leben ermöglichen“ und das nicht nur für die reichen Senioren zu finanzieren ist (Höpflinger 2004, S. 20, S. 98).

Da zu vermuten ist, dass es auch viele Senioren der nächsten Generation mit einem relativ geringem Einkommen geben wird (BmFSFJ 2005, S. 186), würde dies für eine zukünftige erhöhte Nachfrage von Senioren nach Formen des gemeinsamen Wohnens sprechen und dessen Bedeutung in der Gesellschaft stärken.

Die Zunahme der Zahl alter Menschen und das steigende Interesse am Gemeinsamen Wohnen im Alter sind wesentliche Argumente, warum diese Nischenwohnform relevant ist und in Zukunft möglicherweise stärker gefördert wird (Höpflinger 2004, S. 105).

Ein weiterer Aspekt GeWoA ist dessen möglicher Einfluss auf eine nachhaltige Entwicklung. Nach der Definition von 1987 der „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ ist dies „eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ (Die Bundesregierung 2008, S. 15). Dabei sollen „ökonomische, soziale und ökologische Herausforderungen“ miteinander vernetzt werden (Die Bundesregierung 2008, S. 32). Dies ist im folgenden Schaubild dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schnittmengenmodell der nachhaltigen Entwicklung

Quelle: Belz/ Bilharz (2005), S. 3

Die Befürchtung von politischen Entscheidungsträgern und Forschern, dass die Wohlfahrtsstaaten durch die Alterung der Gesellschaft nicht mehr zukunftsfähig sind (Schoenmaeckers 2008, S. 196-197), könnte durch einen möglichen nachhaltigen Aspekt des Gemeinsamen Wohnens beschwichtigt werden. Denn es gibt „kaum ein vergleichbares Beispielfeld, bei dem das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen und Aspekten so stark ausgeprägt ist wie beim Thema `Bauen und Wohnen`“ (Deutscher Bundestag 1998, S. 126), wobei insbesondere das Gemeinsame Wohnen im Alter viele Potenziale zu einer nachhaltigen Entwicklung aufzuweisen scheint.

Nach Sennlaub (2005) gibt es relativ viele nachhaltige Chancen des GeWoA. Demnach sind mögliche ökologische Vorteile „die Verringerung des Konsums an Gebrauchsgütern, die Reduzierung des Wohnflächenverbrauchs durch das Auslagern von Wohnfunktionen in einen gemeinschaftlichen Bereich, und (…) die urbane Alternative zum Wohnen im suburbanen Einfamilienhaus (unter anderem mit dem Vorteil der Reduzierung von täglichen Autoströmen)“ (Sennlaub 2005, S. 67).

Die Solidargemeinschaft einer gemeinsamen Wohnform fördert zudem das soziale Potential, welches in der heutigen Gesellschaft leider nicht mehr selbstverständlich ist und häufig vermisst wird. Denn in Formen des GeWoA existieren ein höherer Gemeinschaftssinn und weniger Eigennutz.

Zuletzt gibt es auch noch den ökonomischen Anteil, der selten als nachhaltiger Effekt in der Literatur Beachtung findet, jedoch gerade beim Gemeinsamen Wohnen bedeutsam sein kann. Durch GeWoA können zum einen finanzielle Vorteile für die Bewohner entstehen, indem sie sich Wohnkosten wie Miete und Strom teilen und weniger Geld für gemeinschaftliche Gebrauchsgüter aufwenden müssen. Zum anderen muss auch der Vermieter eventuell weniger Geld für Reparaturen etc. aufwenden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Bewohner auf Grund der gemeinsamen Verbundenheit einen fürsorglicheren Umgang mit der Hausanlage haben, als übliche Mieter (Sennlaub 2005, S. 75, S. 78, S. 81-82).

Ähnlich sieht es für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft aus. Wohnungsbauunternehmen, welche durch die demographischen Veränderungen über leerstehende Häuser verfügen, können in Menschen, die ein Gemeinsames Wohnen in einer Hausgemeinschaft planen, eine neue Zielgruppe finden und sich je nach Bedarf als Bauträger oder Vermieter anbieten. Vorteile für die Wohnungswirtschaft können auch hier geringere Instandsetzungs- und Betriebskosten sein, da die eigene Hausmitgestaltung der Bewohner eventuell zu einem fürsorglicheren Umgang der Bewohner mit dem Mietobjekt führt. Ferner ziehen in Projekten des GeWoA weniger Menschen aus und ein, wodurch geringere Verwaltungskosten für das Wohnungsunternehmen resultieren. Durch die Beteiligung der Bewohner an der altengerechten Wohnungsgestaltung ergibt sich zudem der Vorteil, dass automatisch der „reale Nachfragebedarf“ ermittelt wird (Forum Seniorenarbeit NRW 2005, S. 2-3).

Neben den Vorteilen für den Wohnungsmarkt kann GeWoA auch den Kommunen finanziell zu Gute kommen, wenn hierdurch wieder mehr Menschen vom Umland in die Stadt ziehen und somit mehr Steuereinnahmen vorhanden sind[6]. „Für die Innenstadtentwicklung eröffnet sich hier eine neue Chance: Brachliegende Gelände, in einigen Fällen sogar die verlassenen Gebäude darauf, können für Wohnzwecke umgenutzt werden und Wohnqualität bieten, die sich an den veränderten Wohnansprüchen orientiert“ (Sennlaub 2005, S. 86). Überdies können staatliche Stellen durch die Selbstbestimmtheit beim gemeinsamen Wohnen profitieren, indem die Kosten durch mehr Eigenverantwortung und bürgerschaftliches Engagement gesenkt werden können (Greiffenhagen 2007, S. 31).

Wenn Formen des gemeinsamen Wohnens im Alter zukünftig aus der Nische geholt werden sollten, wäre dies demnach eine gute Chance für eine nachhaltige Entwicklung. „Insbesondere aus sozialer Sicht stellen sie interessante Ansätze dar, um einerseits dem Phänomen der Vereinsamung in einer älter werdenden Gesellschaft entgegenzuwirken, andererseits aber auch eine zunehmende Altersarmut abzufedern“ (Bilharz 2008, S. 14).

Jedoch weißt Bilharz (2008) darauf hin, dass bei aller Euphorie nicht vergessen werden darf, dass die möglichen ökonomischer Effekte durch GeWoA schwierig festzustellen sind. Ferner sind die denkbaren ökologischen Vorteile nur mühsam zu erreichen. Letzteres liegt vor allem an dem gesellschaftlichen Trend zu größerem Wohnraum und daran, dass im Alter eine große Trägheit in Bezug auf einen Wohnungswechsel vorliegt. Dennoch „könnte bei zunehmender Altersarmut die (unfreiwillige) Nachfrage nach kleinerem und gemeinsam genutztem Wohnraum steigen“ (Bilharz 2008, S. 11-12).

Aber auch wenn sich GeWoA nicht weit verbreitet, kann es dennoch sehr hohe Innovationswirkung auf professionelle Angebote wie Betreutes Wohnen oder Altenheime haben. Allein durch die Existenz GeWoA kann schon aus der Nische heraus der Anspruch an das Niveau anderer weit verbreiteter Wohnformen steigen. Denn nicht zuletzt auf Grund der Wohnexperimente GeWoA, die vor allem Wert auf Selbstbestimmung legen, wird vielleicht der Standard anderer Einrichtungen erhöht (Kremer-Preiß/ Stolarz, S. 86, Höpflinger 2004, S. 102), so dass z. B. Altenheime mehr die Individualität der Bewohner achten und auf Gemeinschaft setzen.

[...]


[1]

Nachhaltige Entwicklung ist „eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ (Die Bundesregierung 2008, S. 15).

[2] Für den Begriff Verbraucher findet man in der Literatur verschiedene Definitionen. Nach DUDEN können Verbraucher synonym auch als „Konsumenten“ oder „Käufer“ bezeichnet werden (DUDEN 2005, S. 558).

[3] Leider wurde hier kein Bezug zur Anzahl der Senioren gemacht, was Verzerrungen im Vergleich beinhalten könnte.

[4] Diese Stichprobe bestand aus einer Zufallsauswahl von 1012 Menschen in der deutschsprachigen Schweiz (Höpflinger 2004, S. 164)

[5] bbw = Betriebswirtschaftliche Beratung für die Wirtschaft (http://www.bbwmarketing.de/cms/kontakt, 04.12.08)

[6] Die Verfasserin ließ sich diese Aussage durch einen telefonischen Anruf im Finanzministerium BW bestätigen (04.12.08). Demnach orientieren sich der kommunale Finanzausgleich und der Anteil an Einkommenssteuerleistungen an der Höhe der Einwohnerzahl in der Stadt, weswegen eine Kommune bei steigender Einwohnerzahl mehr Steuereinnahmen bekommt (Näheres im Gemeindefinanzierungsreformgesetz und im Gesetz über kommunalen Finanzausgleich).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836627597
DOI
10.3239/9783836627597
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität München – Wirtschaftswissenschaften, Studiengang Consumer Science
Erscheinungsdatum
2009 (März)
Note
1,7
Schlagworte
gemeinsames wohnen verbraucherberatung senioren konsum nachhaltigkeit
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Titel: Gemeinsames Wohnen im Alter: Von der Alten-WG bis zum Mehrgenerationenwohnen
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