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Stresssymptome in der Arbeitswelt und dadurch entstehende psychische Krankheiten am Arbeitsplatz mit Schwerpunkt Alkoholerkrankung

©2008 Diplomarbeit 77 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der wirtschaftliche Wandel, die strukturellen Veränderungen im Beschäftigungssystem und die erhöhten Arbeitsanforderungen setzten viele Beschäftigte in der heutigen Zeit unter Druck und verursachen psychische Probleme. Nicht jeder kann dem standhalten. In diesem Zusammenhang werden Suchtmittel immer häufiger zur Bewältigung von Anforderungen und Belastungen eingesetzt.
Gegenstand dieser Arbeit ist die Darstellung der veränderten Strukturen in der heutigen Arbeitswelt und die daraus resultierenden psychischen Störungen. Die in Kapitel 2.2 beschriebenen unternehmerischen Folgen wie Fehlzeiten und Leistungseinbußen sollen den betrieblich notwendigen Handlungsbedarf verdeutlichen. Trotz der drastischen Zunahme von psychischen Krankheiten in Deutschland weiß man in vielen Betrieben noch sehr wenig darüber. Oft müssen zunächst die Vorurteile in den Führungsebenen abgebaut werden, um ein Umdenken einleiten zu können. Es besteht immer noch die Vorstellung, dass die psychisch erkrankten Mitarbeiter simulieren und sich vor der Arbeit drücken wollen, oft heißt es: ‘Der soll sich einfach mal zusammenreißen!’ Der Zusammenhang zwischen den heutigen Anforderungen im Berufsleben und der Zunahme von Stress und seelischen Störungen soll im dritten Abschnitt verdeutlicht werden. Im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Arbeit wurden die psychischen Erkrankungen ‘Depression’ und ‘Ängste’ gewählt, da hier ein enger Zusammenhang zur Alkoholerkrankung besteht.
Schwerpunkt der Diplomarbeit ist die Suchterkrankung am Beispiel der Alkoholabhängigkeit und die damit verbundenen Probleme am Arbeitsplatz. Alkohol als Genussmittel stellt für viele Menschen ein Ausdruck von Lebensqualität und Geselligkeit dar. Seine anregende, stimmungssteigernde Wirkung und die Förderung der Kontakt- und Kommunikationsbereitschaft werden hierbei geschätzt. Das abendliche Glas Wein oder Bier scheint zunächst unbedenklich. Kritisch wird es allerdings, wenn sich der Alkoholgenuss zur Regelmäßigkeit entwickelt oder durch den Konsum die eigene Stimmung verbessert werden soll, was letztendlich in der Sucht enden kann.
Im vierten Kapitel wird der Alkoholismus näher definiert. Auffälligkeiten und mögliche Ursachen werden beschrieben. Es erfolgt eine Darstellung des gesamten Verlaufs bis hin zur Abhängigkeit und deren medizinischen und psychosozialen Folgen. Bei der Darstellung des Sachverhaltes wurde darauf geachtet, dass die Bearbeitung weniger medizinisch erfolgt (was […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALTSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Wandel der Strukturen in der Arbeitswelt
2.1 Arbeitsunfähigkeiten und Krankheitsarten
2.2 Betriebliche Relevanz

3 Verbreitung psychischer Störungen
3.1 Stress
3.1.1 Stressoren
3.1.2 Stressreaktionen
3.1.3 Folgen von Stress
3.2 Psychische Erkrankungen
3.2.1 Depressionen
3.2.2 Ängste
3.2.3 Burn Out

4 Süchte
4.1 Alkoholismus – Definition und Fakten
4.1.1 Typologien des Alkoholismus
4.1.2 Einschränkung von Fähigkeiten
4.1.3 Mögliche Auffälligkeiten im Arbeitsalltag
4.2 Ursachen
4.2.1 Aus psychoanalytischer Sicht
4.2.2 Aus Sicht des Arbeitsumfeldes
4.3 Verlauf und Folgen
4.3.1 Alkohol und Gehirn
4.3.2 Verlaufsphasen der Alkoholabhängigkeit nach Jellinek
4.3.3 Medizinische Folgeschäden
4.3.4 Psychosoziale Folgen
4.4 Risikogruppe Führungskraft
4.5 Volkswirtschaftliche Kosten

5 Präventionen - Maßnahmen
5.1 Maßnahmen durch das Unternehmen
5.1.1 Betriebsvereinbarungen
5.1.2 Stufenplan
5.1.3 Nebenamtliche betriebliche Suchtkrankenhilfe
5.2 Maßnahmen durch die Führungskraft
5.2.1 Die Führungskraft als Co-Alkoholiker
5.2.2 Wahrnehmungen
5.2.3 Gespräch
5.3 Außerbetriebliche Maßnahmen
5.3.1 Beratung
5.3.2 Selbsthilfegruppen
5.3.3 Nachsorge
5.4 Arbeitsrechtliche Aspekte
5.4.1 Fürsorgepflicht
5.4.2 Sicherheitsaspekt
5.4.3 Entgeltfortzahlungspflicht
5.4.4 Betriebsverfassungsgesetz von 1972

6 Fazit

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANGVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Die umgekehrte U-Kurve

Abbildung 2: Drogenkreislaufmodell nach Glaeske & Feser

Abbildung 3: Phasenmodell der Alkoholabhängigkeit nach Jellinek

1 Einleitung

Der wirtschaftliche Wandel, die strukturellen Veränderungen im Beschäftigungssystem und die erhöhten Arbeitsanforderungen setzten viele Beschäftigte in der heutigen Zeit unter Druck und verursachen psychische Probleme. Nicht jeder kann dem standhalten. In diesem Zusammenhang werden Suchtmittel immer häufiger zur Bewältigung von Anforderungen und Belastungen eingesetzt.[1]

Gegenstand dieser Arbeit ist die Darstellung der veränderten Strukturen in der heutigen Arbeitswelt und die daraus resultierenden psychischen Störungen. Die in Kapitel 2.2 beschriebenen unternehmerischen Folgen wie Fehlzeiten und Leistungseinbußen sollen den betrieblich notwendigen Handlungsbedarf verdeutlichen. Trotz der drastischen Zunahme von psychischen Krankheiten in Deutschland weiß man in vielen Betrieben noch sehr wenig darüber. Oft müssen zunächst die Vorurteile in den Führungsebenen abgebaut werden, um ein Umdenken einleiten zu können. Es besteht immer noch die Vorstellung, dass die psychisch erkrankten Mitarbeiter simulieren und sich vor der Arbeit drücken wollen, oft heißt es: „Der soll sich einfach mal zusammenreißen!“[2] Der Zusammenhang zwischen den heutigen Anforderungen im Berufsleben und der Zunahme von Stress und seelischen Störungen soll im dritten Abschnitt verdeutlicht werden. Im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Arbeit wurden die psychischen Erkrankungen „Depression“ und „Ängste“ gewählt, da hier ein enger Zusammenhang zur Alkoholerkrankung besteht.

Schwerpunkt der Diplomarbeit ist die Suchterkrankung am Beispiel der Alkoholabhängigkeit und die damit verbundenen Probleme am Arbeitsplatz. Alkohol als Genussmittel stellt für viele Menschen ein Ausdruck von Lebensqualität und Geselligkeit dar. Seine anregende, stimmungssteigernde Wirkung und die Förderung der Kontakt- und Kommunikationsbereitschaft werden hierbei geschätzt. Das abendliche Glas Wein oder Bier scheint zunächst unbedenklich.[3] Kritisch wird es allerdings, wenn sich der Alkoholgenuss zur Regelmäßigkeit entwickelt oder durch den Konsum die eigene Stimmung verbessert werden soll, was letztendlich in der Sucht enden kann.

Im vierten Kapitel wird der Alkoholismus näher definiert. Auffälligkeiten und mögliche Ursachen werden beschrieben. Es erfolgt eine Darstellung des gesamten Verlaufs bis hin zur Abhängigkeit und deren medizinischen und psychosozialen Folgen. Bei der Darstellung des Sachverhaltes wurde darauf geachtet, dass die Bearbeitung weniger medizinisch erfolgt (was sich nicht ganz vermeiden ließ), sondern einen größeren Bezug zur Arbeitswelt hat.

Inhalt des fünften Kapitels sind mögliche Präventionen innerhalb eines Betriebes. Der Arbeitsplatz gilt als wichtiger Ort, um Suchtkranke schon in einem frühzeitigen Krankheitsstadium zu erreichen. Die Präventionen werden sowohl als vorbeugende Maßnahme wie auch als begleitende Hilfsmaßnahme aus der Krankheit heraus beschrieben. Hierbei werden verschiedene Betriebsgrößen und deren Möglichkeiten berücksichtigt. Betriebliche Voraussetzungen, welche die Führungskraft sensibilisieren und deren Handeln erleichtern sollen, werden näher beschreiben. Es wird nicht auf die einzelnen Behandlungsmethoden eingegangen. Zur Abrundung des Themenblocks werden abschließend auf die nicht unerheblichen rechtlichen Aspekte angeführt.

2 Wandel der Strukturen in der Arbeitswelt

Unsere Arbeitswelt ist vom Strukturwandel geprägt. Immer weniger Beschäftigte sind im produzierenden Gewerbe tätig, dafür steigen die Beschäftigungszahlen im Informations-, Medien- und Dienstleistungssektor. Dieser Wandel wirkt sich auch auf die Gestaltung von Arbeitszeiten und -organisationen sowie die Anforderungen am Arbeitsplatz aus. Oft sind psychische Belastungen wie Zeit-, Verantwortungs-, Qualitäts- und Konkurrenzdruck die Folge. Hinzu kommt eine zunehmende Informationsdichte sowie die Verdichtung der Arbeitsinhalte und –abläufe. Körperliche Belastungen durch Schwerstarbeit, Lärm usw. treten in den Hintergrund.[4] Weitere Veränderungen sind in der Zusammensetzung der Belegschaften erkennbar. Die Mitarbeiter stehen Kollegen internationaler Herkunft gegenüber. Der Anteil der akademischen Fachkräfte ist wesentlich höher als noch vor 20 Jahren. Der augenfälligste technologische Wandel der letzten Jahre fand auf dem Gebiet der Computerisierung statt. Im Bereich der Technologie stehen heute schnellere und günstigere Informations- und Kommunikationssysteme zur Verfügung. Dies ermöglicht eine weltweite Vernetzung innerhalb eines Unternehmens. Das Internet hat starke Auswirkungen auf den Wettbewerb. Die Konkurrenz ist nicht mehr nur regional sondern international vertreten.[5] Immer mehr Unternehmen wachsen zu globalen Organisationen.[6] Auch die gesellschaftlichen Trends sind nicht außer Acht zu lassen. Das Heiratsalter sowie die Scheidungsrate steigt. Die Anzahl von Single-Haushalten nimmt entsprechend zu. All diese Veränderungen sind für die Organisationen von größter Bedeutung und fordern sie zu einem Wandel ihrer Strukturen heraus. Um zwischen Konkurrenten, Zulieferern und neuen politischen Gegebenheiten überleben zu können, müssen neue Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt gebracht werden. Der Erfolg hängt wesentlich vom Handeln der Mitarbeiter ab.[7] Diese müssen ihre Einstellungen und Verhaltensweisen den veränderten Bedingungen anpassen. Aber nicht jeder ist diesen Anpassungsprozessen gewachsen.[8]

2.1 Arbeitsunfähigkeiten und Krankheitsarten

Der Krankenstand wird von verschiedenen volkswirtschaftlichen und betrieblichen Faktoren beeinflusst. Geringe Arbeitslosigkeit sowie hohe Arbeitsbelastungen und ein schlechtes Betriebsklima führen zu einem steigenden Krankenstand, während die Angst vor Arbeitsplatzverlust, hohe Arbeitsmotivation und gute Arbeitsbedingungen den allgemeinen Krankenstand senken.[9] Nach den Auswertungen der DAK nahmen Muskel-Skelett-Erkrankungen mit 22 % aller Krankheitstage in 2006 den Spitzenplatz ein, gefolgt von Krankheiten des Atmungssystems und Verletzungen. Bereits an vierter Stelle standen mit 10 % die psychischen Erkrankungen (siehe hierzu Anhang 1 und 2), wobei Frauen mit einem Anteil an AU-Tagen von 12, 2 % und Männer mit 8,4 % (mit etwas längerer Falldauer) betroffen waren. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieser Wert stabil geblieben. Zu den wichtigsten Arten gehörten weiterhin Erkrankungen des Verdauungs- und Kreislaufsystems, Krankheiten des Nervensystems, der Augen und Ohren sowie Infektionen.[10]

Im betrachteten Zeitraum von 1997 bis 2001 haben die Fehltage wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer und verhaltensgestörter Erkrankungen über 50 % zugenommen. Aufgrund ihrer Kostenintensität sah die DAK sich veranlasst, psychische Erkrankungen, Angststörungen und Depressionen in ihrem Gesundheitsreport 2005 als Schwerpunkt zu thematisieren:[11]

Bis 2004 stiegen die Erkrankungsfälle weiter bis auf 70 %. Diese Entwicklung wurde durch andere Krankenkassen bestätigt. Auffällig hierbei ist weiterhin, dass das Krankenstandniveau insgesamt weitgehend konstant geblieben ist bzw. in 2004 sogar eine rückläufige Tendenz zeigt (Anstieg seit 1997 um 5 %). Somit stiegen die psychischen Erkrankungen überproportional. Auch die Erkrankungen der Muskel-Skelett-Systeme und Symptome (Krankheiten, für die keine klinische Ursache gefunden werden konnte), die im Zusammenhang mit psychischen bzw. psychosomatischen Beschwerden auftreten können, sind um 18 % (Frau) bzw. um 10 % (Mann) gestiegen. Die Gründe für die stärkere Betroffenheit der Frau liegen in der schlechteren sozialen Situation (geringere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Status bzw. Einkommen). Außerdem scheinen Frauen ihre Gefühle offener schildern zu können, was die ärztliche Diagnosestellung erleichtert. Die Analyse hat weiterhin gezeigt, dass die psychischen Erkrankungen bezüglich des Krankenstandes in den Altersgruppen von 35 bis 44 Jahren einen hohen Anteil aufweisen. Die Ausfalltage steigen mit dem Alter, wie in der Abbildung unter Anhang 3 ersichtlich, kontinuierlich (bis auf 183 Tage) an. Auffallend ist der überproportionale Anstieg der psychischen Erkrankungen in jüngeren Altersgruppen (seit 1997 um 100 %). Abschließend soll hier noch auf die besonders betroffenen Wirtschaftsgruppen eingegangen werden. Untersuchungen haben ergeben, dass Berufe mit Mehrfachbelastungen durch psychische und physische Risikofaktoren für hohe Erkrankungszahlen verantwortlich sind. Die meisten Ausfallzahlen werden im Gesundheitswesen verzeichnet, gefolgt von der Öffentlichen Verwaltung, Organisationen und Verbänden (siehe hierzu die Tabelle im Anhang 4). Dies erklärt sich teilweise durch die hohen Anforderungen an sozialer Interaktion und Kommunikation mit Menschen.[12]

2.2 Betriebliche Relevanz

Arbeitsunfähigkeiten und Krankenstände bedeuten für Betriebe eine Zunahme von Fehlzeiten, die wiederum nachhaltige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen hat. Entgeltfortzahlungen ohne entsprechende Arbeitsleistung und Störungen der Arbeitabläufe, die durch – oft unvorhersehbare - Abwesenheit von Mitarbeitern auftreten, führen zu erheblichen Kostensteigerungen.[13] Der Wirtschaft entstehen durch krankheitsbedingte Fehlzeiten und durch sogenanntes „Krankfeiern“ jährlich Milliardenverluste. Durch das in 1969 in Kraft getretene Lohnfortzahlungsgesetzt wurde die Problematik zunächst verstärkt.[14] Seitdem ist glücklicherweise aber eine positive Entwicklung des Krankenstandes zu verzeichnen. In 2005 wurde mit einem Durchschnitt von 3,3 % der bisherige Tiefststand seit 1970 erreicht. Dies entspricht einem durchschnittlichen Krankenstand von 14,1 Kalendertagen.[15] Dem gegenüber standen in 2004 Krankheitskosten von insgesamt ca. 224,9 Mrd. Euro.[16] Aber auch für die Mitarbeiter haben die Fehlzeiten ihrer Arbeitskollegen Konsequenzen. Deren Abwesenheit bedeutet in erster Linie Mehrarbeit und eine Veränderung der gewohnten Arbeitabläufe durch Um- oder Nichtbesetzung ihrer Stammarbeitsplätze. Nicht selten entsteht durch diese Mehrbelastung ein gestörtes Betriebsklima. Darüber hinaus sinkt die Toleranzgrenze, wenn die Begründetheit der Abwesenheit angezweifelt wird. Diese Nichtakzeptanz kann dann sogar zu vermehrten Fehlzeiten durch jene betroffenen Arbeitnehmer führen. Für den Vorgesetzten bedeutet dieser Zustand einen zusätzlichen Aufwand für organisatorische Umstellungen zur Gewährleistung eines reibungslosen Arbeitsablaufes. Die damit verbundenen Kosten sollen so gering wie möglich gehalten werden.[17] Somit sollte jedes Unternehmen mit hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten sich die Frage stellen bzw. die Ursachen ermitteln, wie diese beeinflusst und welche gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Verminderung ergriffen werden können. Hierbei ist zu beachten, dass die Verminderung der Fehlzeiten selbstverständlich nicht zu Lasten der Wiederherstellung der Gesundheit der Mitarbeiter gehen darf.[18]

3 Verbreitung psychischer Störungen

Stressbelastung und seelische Störungen nehmen weltweit zu. Etwa jeder vierte scheint davon betroffen. Allein in Deutschland leiden Millionen unter Angstzuständen und Depressionen.[19] Mitarbeiter sind aufgrund gestiegener Arbeitsbelastung sowie Überstunden durch zahlreichen Stellenabbau erschöpft. Fehlentscheidungen im oberen und mittleren Management haben zugenommen. Umfragen haben ergeben, dass sich viele über Schwierigkeiten Arbeit und Familie zu vereinbaren beklagen.[20] Die Entstehung psychischer Erkrankungen kann außerdem durch permanente Unter- oder Überforderung sowie geringe Eigenverantwortung begünstigt werden.[21] Die Betroffenen fühlen sich elend, unglücklich und sind von schwer fassbaren Beschwerden beeinträchtigt, die ihre Lebensqualität und Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Trotz der vielfältigen Informationsmöglichkeiten ist ihr eigentliches Leiden nicht klar.[22]

3.1 Stress

Lange waren Widerstände spürbar. Mittlerweile wird zunehmend erkannt, dass zwischen arbeitsbedingtem Stress und innerbetrieblichen Spannungen, Fehlzeiten und Leistungsabfall ein Zusammenhang besteht.[23] [24]

Der Begriff „Stress“ kommt ursprünglich aus dem Englischen und steht für Druck oder Anspannung.[25] Stress bezeichnet die angespannte Reaktionslage des Körpers bei der Einwirkung verschiedener äußerer Reize (Stressoren), die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, andererseits aber auch zu körperlichen und geistigen Belastungen führen können.[26] Der östr.-kanad. Biochemiker Hans Selye (*26.01.1907 in Wien) gilt als „Vater der Stressforschung“.[27] Bereits in den 1930er und 1940er Jahren konzentrierte er sich auf die Aufklärung der Wirkung verschiedener Reize und suchte in diesem Zusammenhang nach einem Begriff, der die Summe aller Kräfte, die gegen einen Widerstand wirken, bezeichnen sollte. Sein in 1950 veröffentlichtes Buch „Streß“ führte zu einem Boom der Stressforschung und fand so seinen Einzug in die Medizin und Psychologie.[28] Selye beschreibt Stress als Belastungen, Anstrengungen und Ähnlichem, denen man täglich durch zahlreiche Umwelteinflüsse gegenübersteht. Durch Anspannungen und Anpassungszwänge steht man unter seelischem und körperlichem Druck, was zu einem persönlichen Ungleichgewicht führen kann.[29]

3.1.1 Stressoren

Als Stressoren gelten alle inneren und äußeren Anforderungen, die als tatsächliche oder

mögliche Gefährdung des eigenen Wohlergehens wahrgenommen werden.[30] Sie können in drei Faktorengruppen unterteilt werden.

Als Umweltfaktoren gelten ökonomische, politische oder auch technologische Unsicherheiten. Mitarbeiter einer Organisation bzw. die Gestaltung einer Organisationsstruktur nehmen durch eine unsichere Umwelt wie z. B. einen wirtschaftlichen Abschwung Einfluss und erzeugen Unsicherheit. Viele Menschen empfinden Innovationen im Bereich der Technik (Computer und Automation) als Stress auslösende Bedrohung, da ihre Fähigkeiten und Erfahrungen kurzfristig veraltert wirken könnten.

Zu den Organisationsfaktoren gehören u. a. Aufgaben- und Rollenanforderungen sowie Organisationsstrukturen und die Organisationsführung. Die Aufgabenfaktoren umfassen die Arbeitsgestaltung und deren Bedingungen sowie die physische Umgebung. So können Großraumbüros als gut einsehbarer Ort oder Fließbänder durch ihre Laufgeschwindigkeit zu Anspannungen führen. Schichtarbeit bewirkt eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus und führt zu gesundheitlichen Problemen. Als Rollenanforderungen bezeichnet man Funktionen, die mit einer bestimmten Rolle im Unternehmen verbunden sind. Hier entstehen oft Überlastungen oder Konflikte. Zu viele Regeln und Vorschriften können in einer Organisationsstruktur zu Stressauslösern werden. Nicht unerheblich ist auch der Managementstil und das Verhalten von Führungskräften. Eine unrealistische Unternehmens- oder Führungskultur ruft nicht selten Anspannungen und Angst unter den Mitarbeitern hervor, weil sie sich mit dieser nicht identifizieren können.

Die individuellen Faktoren stellen die dritte Gruppe dar. Sie umfassen familiäre und wirtschaftliche Probleme sowie die eigene Persönlichkeit. Beispiele hierfür sind Beziehungsprobleme in Ehe und Partnerschaften oder Erziehungsprobleme mit den Kindern. Stresssymptome in der Persönlichkeit werden durch die persönliche Veranlagung des Menschen begründet.[31]

Weiterhin entscheidet die persönliche Bewertung darüber, welche Situation als Stress erlebt wird. Jeder reagiert unterschiedlich auf ähnliche Probleme.[32] Menschen mit einer geringen Stressanfälligkeit reagieren schwächer bzw. später auf Stressoren und erholen sich schneller. Bei hoher Anfälligkeit treten Stressschäden häufiger auf, die zu einer erhöhten Anfälligkeit der verschiedensten Krankheiten führen.[33]

Zur Minderung des Stresses bzw. dessen Anfälligkeit ist jeder Mensch mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet. Ressourcen sind innere „Kraftquellen“ und betreffen die persönlichen Fertigkeiten, Kenntnisse, Neigungen und Stärken, die oft gar nicht bewusst sind.

3.1.2 Stressreaktionen

Das Zusammenspiel von Stressoren und Stressreaktionen garantiert den ökonomischen

Gebrauch von Körperkräften, um flexibel auf die verschiedensten Anforderungen reagieren zu können.[34] Dies tut der Mensch als ganzheitliches System, aber differenziert auf vier verschiedenen Verhaltensebenen:

Die kognitive Ebene beschreibt hierbei alle geistig-gedanklichen Vorgänge im Zentralnervensystem wie z. B. Ungläubigkeit, Verwirrung oder Konzentrationsmangel. Es werden Reize wahrgenommen, welche die Rezeptoren erregen sowie gedankliche Bewertungen und Gedächtnisverlagerungen auftreten lassen. Die emotionalen Ebene ist die Gefühlsebene aus der Angst, Wut, Hilflosigkeit oder Ärger resultieren. Sie erfolgen aufgrund von hormonellen Ausschüttungen. Auf der vegetativen Ebene reagiert das vegetative Nervensystem und die daran angeschlossenen Organe. Stresshormone (z. B. Adrenalin) werden ausgeschüttet, welche die Atmung und Verbrennungsvorgänge beschleunigen, den Blutdruck steigen lassen oder Schweißreaktionen herbeiführen. Auch Durchfall, Übelkeit und Erbrechen können auftreten. Die muskuläre Ebene beinhaltet Reaktionen der gesamten Skelettmuskulatur wie z. B. zitternde Hände, Rückenschmerzen, Stottern oder Spannungsschmerzen. Der Körper stellt sich auf Flucht oder Angriff optimal ein. Werden die Aktivierungsreaktionen frühzeitig erkannt, können sie genutzt werden, um der Belastung bereits im Anfangsstadium entgegenzuwirken. Ist der Stress allerdings überdosiert oder lang andauernd, erfolgt eine Überforderungsreaktion.[35]

3.1.3 Folgen von Stress

Etwa 70 % aller Krankheiten werden mit Stress in Verbindung gebracht. Chronischer Bluthochdruck, Magen- und Darmkrankheiten oder Suchtkrankheiten sind nur einige.[36] Auch die Folgen können wieder in drei Kategorien eingeteilt werden. Die physiologischen Symptome sind eher in medizinischen Forschungen begründet. Hier wurde festgestellt, dass Stress Stoffwechselveränderungen sowie eine Beschleunigung von Herzschlag und Atmung auslösen kann. Weiterhin wurde erhöhter Blutdruck, Kopfschmerzen und ein erhöhtes Herzinfarktrisiko festgestellt. Der Zusammenhang zwischen Stress und Symptomen ist allerdings aufgrund ihrer Komplexität und schweren Messbarkeit nicht klar. Somit sind die psychologischen Symptome weitaus interessanter. Neben psychologischen Zuständen wie z. B. in Anspannung, Angst, Reizbarkeit gilt die Arbeitsunzufriedenheit als offenkundigste Auswirkung. Arbeitsplätze mit vielfältigen und gegensätzlichen Anforderung sowie unklaren Pflichten und Verantwortlichkeiten erhöhen nachweislich diese Unzufriedenheit. Die dritte Kategorie bilden die verhaltensbezogenen Stresssymptome. Sie umfasst Veränderungen im Bereich der Produktivität, Fehlzeiten und Fluktuation. Weitere Symptome sind Nikotin- oder Alkoholkonsumverhalten, Schlafstörungen, veränderte Essgewohnheiten etc..

Bei der Untersuchung der Beziehung zwischen Stress und dessen Auswirkung auf die Arbeitsleistung stößt man in der Literatur mehrfach auf die umgekehrte U-Kurve.

Abbildung 1 : Die umgekehrte U-Kurve

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Mindtools, 06.10.2007

Die Kurve versucht darzustellen, dass ein niedriges bis moderates Stressniveau die Reaktions- und Leistungsfähigkeit erhöhen kann. Die Betroffenen erfüllen ihre Anforderungen dann oft sogar besser und schneller. Wird der Druck allerdings zu hoch, führt dies wiederum zu einem Leistungsabfall. Mit diesem Modell sollen die Folgen der dauerhaften Stressbelastung oder ihrer Intensität dargestellt werden. Auch permanent niedriges Stressniveau kann die Leistung langfristig negativ beeinflussen, da auch eine niedrige Belastung auf Dauer kräftezehrend und erschöpfend wirkt. Das Modell der umgekehrten U-Kurve (Inverted U-Relationship) ist allerdings kritisch zu betrachten. Es ist zwar sehr beliebt, wird aber nicht durch empirische Untersuchungen bestätigt.[37]

3.2 Psychische Erkrankungen

Gemäß aktuellen Untersuchungen sind 50 bis 75 % aller Arztbesuche auf psychische Überlastung zurückzuführen. Als häufigste Begründung wird arbeitsbedingter Stress angegeben – Tendenz steigend.[38] Die drei folgenden psychischen Erkrankungen sollen die Problemstellung näher erläutern.

3.2.1 Depressionen

Die Depression im medizinischen Sinne ist eine behandlungsbedürftige psychiatrische Erkrankung, wobei der Erkrankte nicht in der Lage ist, sich aus eigener Kraft von der gedrückten Stimmung zu befreien. Das gesamte körperliche Empfinden und Denken sowie die Gefühle und das Verhalten des Betroffenen sind beeinflusst. Sie gilt als die häufigste psychische Störung unserer Bevölkerung.[39] Typische Symptome sind der Verlust von Interesse und Freude an normalen Aktivitäten und Vergnügungen, erhöhte Müdigkeit, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit verbunden mit Gewichtsverlust. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind vermindert und es kommen schnell Schuldgefühle und Gedanken der Wertlosigkeit auf. 50 % der Betroffenen leiden unter Selbstmordgedanken und 10 bis 15 % sterben durch Selbstmord. Bei den meisten Patienten verläuft die Depression in Episoden, die auch ohne therapeutische Behandlung nach ca. sechs bis acht Monaten wieder abklingen. Bei etwa 60 % der behandelten Patienten kommt es nach einiger Zeit allerdings zu erneuten Episoden, was dann als „rezidivierende (wiederkehrende) depressive Störung“ bezeichnet wird. Auch werden häufig Komorbiditäten in Form von Suchtabhängigkeiten festgestellt.[40] Die Krankheit wird durch ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren ausgelöst. Zunächst gilt es als bekannt, dass der Stoffwechsel im Gehirn der Erkrankten verändert ist. Auch eine genetische Erkrankungsbereitschaft scheint möglich zu sein. Daneben stehen Faktoren wie organische Veränderungen im Gehirn, psychische und psychosoziale Umstände, fehlgeleitete Lernvorgänge oder ungelöste innere Konflikte. Zur Diagnose gibt es kein Untersuchungsverfahren, das eine Depression sicher nachweisen könnte. Sie kann also nur anhand der Symptome, die in psychologischen Tests oder körperlichen Untersuchungen aufgetreten sind, gestellt werden. Wichtig ist, dass körperliche Ursachen durch Bestimmung verschiedener Blutwerte, Hirnstrommessungen oder einer Computertomografie ausgeschlossen werden. Auch andere psychische Erkrankungen sollten abgegrenzt werden.[41]

3.2.2 Ängste

Ängste sind als Anpassungs- und Lernvorgang normal und lebensnotwendig, da sie uns auf Bedrohungen und Störungen aufmerksam machen. Andererseits fordern sie uns heraus und verhelfen zu Höchstleistungen.[42] Wenn aber einem sehr heftigen Angstempfinden keine entsprechenden Gefahren oder Bedrohungen zugrunde liegen, spricht man von einer Angststörung. Angststörungen gehören wie auch die Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Sie sind meist miteinander verbunden.[43] In Deutschland leben fast 9 % der Bevölkerung mit schwerwiegenden Angststörungen, wobei die neuen Bundesländer mit 16 % doppelt so stark konfrontiert sind wie die westlichen (7 %).[44] Der Betroffene ist hier normalerweise nicht in der Lage, seine Ängste alleine zu bewältigen bzw. sie auszuhalten. Meist sind sie mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität verbunden, weil der Erkrankte bestimmte Plätze bzw. Situationen meidet oder im schlimmsten Fall seine Wohnung nicht mehr verlässt. Die Ursachen von Angststörungen können sehr komplexe seelische Konflikte sein, die sich von Patient zu Patient erheblich unterscheiden.[45] Die häufigsten Auslöser unserer Zeit sind Trennungen, der Wegfall von Sicherheit gebenden Personen und Situationen.[46] Die Symptome sind psychischer sowie körperlicher Natur und für den Betroffenen nur schwer zu erkennen. Dieser wirkt dann nervös, ruhelos, reizbar oder auch aggressiv. Er ist leicht durcheinander zu bringen und schreckhaft. Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit werden auffällig. Hinzu kommen Resignation, Verzweiflung bis hin zur Rührseligkeit. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehen aber meist körperliche Symptome. Diese müssen i. d. R. erst gezielt erfragt werden, weil sie in einem Gesamt-Beschwerdebild aufgehen und der Patient sich lange über die Details nicht sicher ist. Sie äußern sich durch dumpfen Kopfdruck, verminderte Speichelsekretion oder Hautblässe. Der Betroffene neigt zur ständigen Errötung, die Pupillen erweitern sich, die Augen sind angstvoll aufgerissen. Weitere Anzeichen können Herzbeschwerden jeglicher Art sein, nicht selten auch Appetitlosigkeit oder Anfälle von Heißhunger etc. Auch die Ursachen können körperlich oder seelisch bedingt sein. So können eine Überfunktion der Schilddrüse, Unterzuckerung oder Beeinträchtigungen des Zentralen Nervensystems Angststörungen hervorrufen. Seelische Gründe können Persönlichkeits- und Anpassungsstörungen oder die schizophrene Psychose sein. Suchtkrankheiten rufen fast immer Angststörungen hervor sowohl während des Missbrauchs als auch im Entzug.[47] Angststörungen können klassifiziert werden in phobische Störungen (Agoraphobie, soziale oder spezifische isolierte Phobie) und andere Angststörungen (Panikstörungen, generalisierte Angststörungen, andere gemischte Störungen).[48]

3.2.3 Burn Out

Burn Out (engl.: to burn out = ausbrennen) gilt bislang noch nicht als Diagnose sondern als ein beklagenswerter Zustand mit verhängnisvollen Konsequenzen für den Betroffenen und sein Umfeld (Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, etc.). Obwohl immer mehr Menschen davon betroffen sind, findet Burn Out nur zögerlich Eingang in die Wissenschaft. Ursprünglich verstand man unter diesem Begriff die negativen Folgen der beruflichen Aus- oder Überlastung mit gemütsmäßiger Erschöpfung, innerer Distanzierung bis hin zum Leistungsabfall.[49] Ein weiterer Grund für den Arbeitgeber, sich mit Burn Out auseinander zu setzten ist in den Kosten begründet. Neben einer verringerten Produktivität kommt es nicht selten zu Frühpensionierungen und Umschulungen.[50] Inzwischen stellen sich Beschwerden und Leidensbild schon wesentlich komplexer dar. Die bisherigen Studien gelten eher als mangelhaft. So findet man die meisten Veröffentlichungen im Bereich der „helfenden und sozialen“ Berufe, dessen Angehörige am häufigsten betroffen scheinen. Hohe Arbeitsbelastung, schlechte Arbeitsbedingungen oder Zeitdruck führen zu Burn Out. Weitere Faktoren können ein schlechtes Betriebsklima sowie Nacht- und Schichtarbeit sein.[51] Am Anfang des Prozesses besteht ein Überengagement zur Zielerreichung. Warnsymptome können hier freiwillige unbezahlte Mehrarbeit oder das Gefühl der Unentbehrlichkeit sein. Es folgt ein reduziertes Engagement gekennzeichnet durch Symptome wie Fehlzeiten oder eine negative Einstellung zur Arbeit. Der Betroffene zeigt dann emotionale Reaktionen wie Humorlosigkeit, Selbstmitleid, Intoleranz oder Misstrauen. Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität nehmen ab. Dies zeigt sich durch ungenaues Arbeiten, verringerte Initiative und Flexibilität oder auch Widerstände gegen Veränderungen aller Art. Das emotionale, soziale und geistige Leben verflacht. Im weiteren Verlauf zeigen sich psychosomatische Reaktionen wie Herz- und Magen-Darm-Probleme, erhöhter Konsum von Alkohol/Kaffee/Tabak/anderen Drogen, Schlafstörungen oder die Unfähigkeit zur Entspannung in der Freizeit. Letztendlich empfindet der Betroffene eine Verzweiflung. Anzeichen hierfür können Hoffnungslosigkeit, existentielle Verzweiflung und sogar Selbstmordabsichten sein.[52] Sämtliche Symptome orientieren sich an den Grenzen der betreffenden Person. Diese orientieren sich jeweils an deren seelischen, geistigen, körperlichen oder psychosozialen Fähigkeiten, was somit für Dritte vielsagend und wenig aussagekräftig ist. Weiterhin problematisch ist, dass Menschen sich schon länger ausgebrannt dahinschleppen, ohne sich mit den Ursachen realistisch auseinander zu setzen.[53]

4 Süchte

Die Einnahme von Suchtmitteln ist oft ein Versuch, mangelndes Selbstwertgefühl, Unsicherheit oder innere Lehre zu kompensieren.[54] Gekennzeichnet ist die Abhängigkeit meist durch den starken Wunsch oder ein unwiderstehliches Verlangen, Substanzen oder Medikamente, Alkohol oder Tabak zu konsumieren. Mit Hilfe des Suchtmittels erhofft sich der Betroffene seine persönlichen Schranken zu überwinden. Bei der Abhängigkeit im engeren Sinne hat der Konsum der Substanz oder Substanzklasse für die jeweilige Person einen höheren Stellenwert als alle anderen Verhaltensweisen, die früher einmal wichtig für ihn waren.

Es wird unterschieden zwischen psychischer und körperlicher Abhängigkeit. Bei der psychischen A. besteht ein starker Wunsch oder Zwang zur Einnahme eines Suchtmittels. Die körperliche A. stellt sich schneller ein. Der Betroffene hat entweder bereits die Erfahrung eines Entzugssyndroms gemacht oder die Einnahme erfolgt in der Erwartung, Entzugssymptome zu mildern. Die Dosen werden zunehmend höher, um die ursprüngliche Wirkung hervorzurufen, bis hin zu gesundheitsschädigenden Mengen. Im Laufe der Zeit verändert sich das Verhaltensmuster im Umgang mit der jeweiligen Substanz. Andere Interessen werden zugunsten des Konsums vernachlässigt.

Menschen bringen für eine Suchterkrankung eine bestimmte Veranlagung mit. Sie wirken unausgeglichen in ihren Einstellungen, in ihrem Verhalten und Denken sowie in der Beziehung zu anderen Menschen. Sie sind misstrauisch, nachtragend bei Kränkungen und reagieren übertrieben empfindsam auf Zurückweisungen. Freude können sie nur schwer empfinden. Soziale Normen werden meist missachtet. Verantwortung weisen sie von sich. Andererseits besteht ein großes Verlangen nach Zuneigung und „Akzeptiertwerden“, nach Gewissheit, Sicherheit und Geborgenheit. Die Wirkung der Einnahme von Entspannungsmitteln in Form von Medikamenten, Alkohol und anderen Rauschmitteln vermittelt dieses Gefühl der Wärme und hilft zumindest vorübergehend in der subjektiven Wahrnehmung.[55] Außerdem haben medizinische Untersuchungen zu der Annahme geführt, dass z. B. Alkohol die Verarbeitung und Überwindung von negativen Stress-Auswirkungen erleichtert. Es ist davon auszugehen, dass die Forschung sich auch zukünftig mit der Frage beschäftigt, wie Stress den Gebrauch von Suchtmitteln beeinflusst.[56]

Laut Aussage der Weltgesundheitsorganisation „World Health Organization“ (WHO) hatten 2001 weltweit ca. 290 Mio. Menschen Suchtprobleme.[57] Als Suchtmittel gelten Nikotin, Opiate, Kokain, Cannabis, Halluzinogene etc., auf die hier nicht näher eingegangen wird. Auch Sonderformen wie Bulimie, Koffein-, Fett- oder Tätigkeitssüchte (Spielsucht) werden nicht behandelt.[58] Die zweithäufigste Suchtsubstanz nach dem Konsum von Tabak ist in Deutschland der Alkohol. Alkoholabhängige stellen die größte Patientengruppe in den psychiatrischen Bezirks- und Landeskrankenhäusern dar. Ca. 42.000 Personen sterben jährlich an den Folgen des Missbrauchs.[59]

4.1 Alkoholismus – Definition und Fakten

Der Begriff Alkoholismus wurde von dem schwedischen Arzt Magnus Huss 1852 geprägt, gilt aber als unscharf definiert. Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde eine Unterscheidung in Alkoholmissbrauch und Alkolabhängigkeit getroffen, die auch in die Klassifikationssysteme der Krankheiten eingegangen ist. Von Missbrauch ist auszugehen, wenn der Alkoholkonsum zu körperlichen und psychischen Folgeschäden führt. Die Kennzeichen für die Abhängigkeit gelten analog dem vorherigen Kapitel.

Heute wird unter Alkoholismus nur noch die Alkoholabhängigkeit verstanden.[60] Seit 1968 gilt er aufgrund seiner individuellen süchtigen Verhaltensmuster mit dem Verlust der Selbstkontrolle und der Verlaufsprogression in Deutschland im Sinne der Reichsversicherungsverordnung als anerkannte Krankheit. Somit besteht seitens der Krankenkassen und Sozialversicherungen die Leistungspflicht für die Abhängigkeit und die Folgeerkrankungen. Auch wenn die Erkrankung durch das Verhalten des einzelnen bedingt ist, wird sie nicht vorsätzlich erworben. Die Alkoholabhängigkeit unterscheidet sich also nicht von anderen Krankheiten wie z. B. Diabetes oder Herzinfarkt.[61] Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 01.06.1986 – 5h AZR 536/80 – festgestellt, dass Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im Sinne § 1, Abs. 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes (neu: Entgeltfortzahlungsgesetz) ist.[62] Das Abhängigkeitspotential ist vergleichbar mit dem mancher Beruhigungs- und Schlafmittel, aber nicht so stark wie das von Rauschdrogen wie Kokain und anderen Aufputschmitteln. Entscheidend ist die psychische Abhängigkeit.[63] Die Frage auf die vertretbare Menge oder Gefahren des Alkohols kann nur schwer beantwortet werden, da die Grenzen zwischen Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit fließend sind. Deutschland steht in der Rangfolge der EU-Staaten und ausgewählter Länder hinsichtlich des Pro-Kopf-Konsums von reinem Alkohol mit 10,2 Litern pro Jahr in 2003 auf Platz fünf. Die Angabe bezieht sich auf die gesamte bundesrepublikanische Bevölkerung. Bei einer Eingrenzung auf die Altersgruppen der 15 bis 70-Jährigen ist mit einem Konsum von ca. 14 Litern (etwa 40 Gramm reiner Alkohol) zu rechnen. Wenn der Konsum gegenüber der soziokulturellen Norm erhöht ist oder zu unpassenden Gelegenheiten (z. B. am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr) erfolgt, ist von einem Alkoholmissbrauch auszugehen. Auch der tägliche Konsum oder gezieltes Trinken zum Abbau von Spannungen, Ängsten und Frustrationen sprechen für einen Missbrauch.[64] Die Konsumintensität wird mit einer Einnahme von 20 – 60 g als riskant, von 40 –120 g als gefährlich und mit 80 – 120 g als Hochkonsum bezeichnet. In Deutschland tranken in den letzten 12 Monaten hochgerechnet auf die Wohnbevölkerung (= 47,3 Mio. 18 – 59-Jährige) insgesamt 17,8 % (8,5 Mio. Menschen) im Mittel mehr als 20 - 30 g Reinalkohol pro Tag. Insgesamt erhalten nach einer Repräsentativerhebung in 2000 3,1% der 18- bis 59-Jährigen in Deutschland die Diagnose Alkoholabhängigkeit nach DSM-IV (vierte Ausgabe des D iagnostic and S tatistical Manual of M ental Disorders). Aktuell geht man von jährlich 73.714 Todesfällen durch Alkoholkonsum aus. Die volkswirtschaftlichen Kosten für alkoholbezogene Krankheiten werden auf jährlich ca. 20,2 Mrd. Euro geschätzt.[65]

4.1.1 Typologien des Alkoholismus

Der US-Amerikanische Physiologe Elvin Morton Jellinek (*15.08.1890 in New-York) war einer der ersten Forscher, der den Krankheitscharakter des Alkoholismus erkannte. Er hat 1960 die bislang bekannteste Typologie aufgestellt:

- Der Alpha-Trinker trinkt aus psychologischen Gründen (Konflikttrinker). Er versucht mit Alkohol seine Probleme zu lösen. Es besteht eine fortschreitende Abhängigkeit bei noch kontrolliertem Konsum.
- Der Beta-Trinker trinkt aus sozialen Gründen (Gelegenheits-Trinker) ohne eine eingetretene Abhängigkeit. Es kommt zu Folgekrankheiten wie z. B. Leberschäden oder Magenleiden.
- Der Gamma-Trinker trinkt aus einem inneren Zwang. Es besteht eine seelische und körperliche Abhängigkeit ohne Kontrolle über den Alkoholkonsum.
- Der Delta-Trinker trinkt regelmäßig relativ große Mengen, meist ohne Berauschung (Gewohnheitstrinker). Er kann den Konsum lange unter Kontrolle halten. Er ist zwar körperlich aber nicht seelisch abhängig.
- Der Epsilon-Trinker betreibt tagelanges exzessives Trinken mit anschließenden längeren Pausen (Episodischer Trinker). Das Trinkverhalten ist völlig unkontrolliert.[66] [67]

Weitere Typologien wurden in den letzten Jahrzehnten entwickelt, die aber noch als umstritten gelten. Hierzu gehört Babor (1992), der in zwei Typen unterscheidet:

- Typ A beginnt im Alter von ca. 30 Jahren. Es bestehen wenige Risikofaktoren in der Kindheit, wenige Folgeschäden und psychopathologische Störungen.
- Typ B beginnt schon sehr früh, weist Risikofaktoren in der Familie und Kindheit auf. Folgeschäden und zusätzlicher Drogenkonsum treten häufiger auf.
Die Typologie nach Cloninger (1987) unterscheidet nach einer genetischen Veranlagung des Abhängigen:
- Typ 1 hat eine unauffällige Persönlichkeit und entwickelt relativ spät eine psychische Abhängigkeit. Das Hauptziel des Trinkens liegt in der Vermeidung von Angstgefühlen. Dieser Typ entspricht den meisten Alkoholikern.
- Typ 2 weist ein genetisch bedingtes Trinkverhalten auf. Der Alkoholismus ist familiär geprägt. Die Probleme beginnen schon in jungen Jahren und werden meist vom Konsum weiterer Rauschdrogen begleitet.[68] [69]

[...]


[1] Vgl. Personalführung, S. 32

[2] Vgl. Psychologie Heute, 03/07, S. 41

[3] Vgl. Das Beratungsnetz, 13.12.2007

[4] Vgl. Arbeitsschutzverwaltung NRW, 03.10.2007

[5] Vgl. Robbins, S. 628 - 630

[6] Vgl. Bea, Dichtl, Schweitzer, S. 193

[7] Vgl. Robbins, S. 628 - 630

[8] Vgl. edb., S. 633

[9] Vgl. DAK-Gesundheitsreport 2007, S. 14

[10] Vgl. edb., S. 28

[11] Vgl. DAK-Gesundheitsreport 2005, S. 39

[12] Vgl. edb., S 43 - 52

[13] Vgl. Kador/Müller-Hagen, S. 9

[14] Vgl. Gieffers/Pohen, S. 173

[15] Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes a), 16.11.2007

[16] Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes b), 16.11.2007

[17] Vgl. Derr, S. 13

[18] Vgl. Kador/Müller-Hagen, S. 9

[19] Vgl. Faust, S. 9

[20] Vgl. Robbins, S. 653 - 654

[21] Vgl. Psychologie Heute, 03/07, S. 40

[22] Vgl. Faust, S. 9

[23] Vgl. Wagner-Link, S. 2

[24] Vgl. Psychologie Heute, 03/07, S. 40

[25] Vgl. ebd., S. 7

[26] Vgl. Neues Hauslexikon, Band 9, S. 1841

[27] Vgl. ebd., S.1732

[28] Vgl. Aerztezeitung, 05.10.2007

[29] Vgl. Wagner-Link, S. 7

[30] Vgl: edb., S. 8

[31] Vgl. Robbins, S. 655 - 656

[32] Vgl. Wagner-Link, S. 6 - 7

[33] Vgl. edb, S. 30

[34] Vgl. FH - Hannover, 03.10.2007

[35] Vgl. Wagner-Link, S. 31 - 34

[36] Vgl. FH - Hannover, 03.10.2007

[37] Vgl. Robbins, S. 658 - 659

[38] Vgl. Personalführung 1/2007, S. 38

[39] Vgl. Barmer Ersatzkasse, Depressionen, 09.10.2007

[40] Vgl. DAK-Gesundheitsreport 2005, S. 57

[41] Vgl. Barmer Ersatzkasse, Depressionen, 09.10.2007

[42] Vgl. Psychologie Heute, 02/07, S. 22

[43] Vgl. DAK-Gesundheitsreport 2005, S. 53

[44] Vgl. Faust, S. 16

[45] Vgl. Medizin-Netz, 10.10.2007

[46] Vgl. Psychologie Heute, 02/07, S. 24

[47] Vgl. Faust, S. 18 - 23

[48] Vgl. DAK-Gesundheitsreport 2005, S. 56

[49] Vgl. Faust, S. 117

[50] Vgl. Burisch, S. 6

[51] Vgl. Faust, S. 120 - 121

[52] Bgl. Burisch, S. 18 - 19

[53] Vgl. Faust, S. 124

[54] Vgl. Ladewig, S. 36

[55] Vgl. edb., S. 30 - 35

[56] Vgl. edb, S. 44

[57] Vgl. WHO – Weltgesundheitsorganisation, 20.10.2007

[58] Vgl. Ladewig, S. 59 - 62

[59] Vgl. WHO – Weltgesundheitsorganisation, 20.10.2007

[60] Vgl. Feuerlein, S. 15

[61] Vgl. DHS a), S. 9

[62] Vgl. Lenfers, S. 130

[63] Vgl. Feuerlein, S. 24

[64] Vgl. DHS b), S. 10

[65] Vgl. DHS, 27.10.2007

[66] Vgl. Feuerlein, S. 76

[67] Vgl. Beratung und Therapie Online, Suchterkrankungen, 04.10.2007

[68] Vgl. Feuerlein, S. 76 - 77

[69] Vgl. Feser, S. 38

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836625500
DOI
10.3239/9783836625500
Dateigröße
745 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Mainz – Betriebswirtschaft III, Berufsintegrierender Studiengang Betriebswirtschaft BIS (Diplom)
Erscheinungsdatum
2009 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
stress psychische erkrankung sucht alkoholabhängigkeit prävention
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Titel: Stresssymptome in der Arbeitswelt und dadurch entstehende psychische Krankheiten am Arbeitsplatz mit Schwerpunkt Alkoholerkrankung
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