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Gewinner der Globalisierung? Die Bedeutung von Dubai im Weltwirtschaftssystem

©2006 Examensarbeit 154 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
4.500 Mitarbeiter, zehn Länder, drei Kontinente und fünf Zeitzonen: Das ist die Bilanz der Produktion der elektrischen Zahnbürste „Sonicare Elite 7000“ der Firma Philips aus den Niederlanden (vgl. Abb. 1). Bis zu der Verpackung in Seattle haben die Komponenten zwei Drittel des Erdumfangs zurückgelegt.
Die „Weltbürste“ ist nur eines von zahllosen Beispielen, welches auf die weltumspannenden Produktionsnetze hinweist. Die Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung ist der Motor der Weltwirtschaft, die sich laut Weltbank in der „revolutionären Phase“ der Globalisierung befindet. Unter Globalisierung versteht man gemeinhin die Zunahme weltweiter Verflechtungen infolge der Ausbreitung und Vertiefung ökonomischer, ökologischer, politischer und kultureller Prozesse. Aus ökonomischer Perspektive steht die Ausbildung weltweiter Märkte im Mittelpunkt, „auf denen Waren und Dienstleistungen gehandelt, Investitionen getätigt, Technologien übertragen und Informationen ausgetauscht werden“. Mit zunehmender Interdependenz der Weltwirtschaft hängt das ökonomische und soziale Wohl der Nationen, Regionen und Städte von komplexen Interaktionen auf globaler Ebene ab. Mit anderen Worten, „what happens in any given country or locality is broadly determinedby its role in systems of production, trade and consumption which have become global in scope”. Jeder Ort, jede Region oder Nation übernimmt somit innerhalb des von Konkurrenz geprägten Weltsystems eine spezifische Rolle.
Der gegenwärtige Strukturwandel im Zeichen der Globalisierung fordert die „Rollenverteilung“ des „modernen Weltsystems“, dessen Ursprung unter anderem im Europa des 15. Jahrhunderts zu suchen ist, heraus. Vor diesem Hintergrund ist der „ökonomische Auf- bzw. Abstieg von Ländern und Regionen“ zu sehen, das heißt es gibt Gewinner und Verlierer des Strukturwandels.
Dubai bietet die moderne Version von Tausendundeiner Nacht: es sind vor allem Projekte der Superlative, wie zum Beispiel das einzige Sieben-Sterne Hotel der Welt und aufgeschüttete Inseln in Form einer Palme, die das Bild von Dubai nachhaltig prägen. Künstliche Welten, internationale Sportereignisse, Gesundheitstourismus und an erster Stelle Shopping-Tourismus – Dubai ist in vielfältiger Weise für Touristen aus aller Welt attraktiv. Jedoch beginnt die große Erfolgsgeschichte der Moderne nicht erst mit dem Touristenaufkommen der 1990er Jahre. Dubai konnte sich früh als Dienstleistungs- und Handelszentrum in der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Tobias Haberkorn
Gewinner der Globalisierung? Die Bedeutung von Dubai im Weltwirtschaftssystem
ISBN: 978-3-8366-2448-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland, Staatsexamensarbeit,
2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

,,Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten."
K
URT
T
UCHOLSKY

Inhaltsverzeichnis
1
EINLEITUNG 1
1.1
Von der ,,Weltbürste" zur Weltwirtschaft
1
1.2
Warum Dubai?
2
1.3
Forschungsstand und Fragestellung
3
2
WELTWIRTSCHAFTSSYSTEM 4
2.1
Weltsystem-Theorie und ,,Weltwirtschaften"
5
2.1.1
Das Weltsystem nach W
ALLERSTEIN
5
2.1.1.1
Die Analyse des Weltsystems
5
2.1.1.2
Das moderne Weltsystem
6
2.1.2
Die ,,Weltwirtschaften" nach B
RAUDEL
8
2.2
Die Wirtschaftsräume nach O
TREMBA
10
2.3
Tripolarität der Weltwirtschaft 11
2.3.1
Die Triade nach O
HMAE
11
2.3.2
Regionale Theorie des Welthandels nach G
ROTEWOLD
12
2.3.3
Weltstädte, Global Cities und Steuerungszentralen
14
2.4
Zusammenfassung 16
3
GLOBALISIERUNG DER WELTWIRTSCHAFT
19
3.1
Problematisierung der Globalisierung
19
3.1.1
Der problematische
Begriff
Globalisierung
20
3.1.2
Das Problem Globalisierung
21
3.2
Konzeption von Globalisierung
22
3.2.1
Globalisierung als neue Epoche
23
3.2.2
Globalisierung als Prozess
24
3.2.3
Voraussetzungen der Globalisierung
24
3.2.3.1
Technologische Innovationen
24
3.2.3.2
Institutionelle Veränderungen
26
3.2.3.3
Die Integration neuer Märkte
27

3.2.4
Akteure der Globalisierung
27
3.2.4.1
Der Nationalstaat als Akteur
28
3.2.4.2
Global agierende Unternehmen
28
3.2.4.3
Der Konsument
29
3.3
Erscheinungsformen der Globalisierung
30
3.3.1
Globalisierung des Handels
30
3.3.1.1
Entwicklung der Rahmenbedingungen des Welthandels
30
3.3.1.2
Entwicklungen im Handel mit Waren und Dienstleistungen
31
3.3.1.3
Regionale Struktur des Welthandels
34
3.3.2
Globalisierung der Produktion
44
3.3.2.1
Von der klassischen zur neuen internationalen Arbeitsteilung
44
3.3.2.2
Transnationale Unternehmen
46
3.3.2.3
Ausländische Direktinvestitionen
47
3.3.3
Globalisierung der Finanzmärkte
52
3.3.3.1
Das Bretton Woods-System
52
3.3.3.2
Spekulation versus Effizienz
53
3.3.4
Globale Transportnetze
54
3.3.4.1
Die Herausbildung von Transportnetzen
55
3.3.4.2
Containerlinienschifffahrt 55
3.3.4.3
Luftverkehr 61
3.4
Fazit ­ das globalisierte Weltwirtschaftssystem
64
3.4.1
Globalisierung versus Regionalisierung
65
3.4.2
Globale Vernetzung
68
3.4.2.1
Global Cities als Nodalpunkte von globalen Netzwerken
68
3.4.2.2
Verbindung der Nodalpunkte
69
4
DUBAI IM WELTWIRTSCHAFTSSYSTEM
71
4.1
Die Golfregion
72
4.1.1
Die Golfküste unter europäischem Einfluss
72
4.1.2
Beginn der Öl-Ära
73
4.1.3
Eine Region hängt am Öltropf
74
4.1.3.1
Die Ausgangsbedingungen
74
4.1.3.2
Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC)
76
4.1.4
Die Golfregion ­ Dependenz versus internationale Profilierung
80
4.2
Überblick über die VAE
81
4.2.1
Politisches System der VAE
82
4.2.2
Außenwirtschaftspolitik der VAE
84
4.2.3
Sozio-ökonomische Betrachtung der VAE
87
4.2.3.1
Entwicklung im Zeichen des Ölreichtums
87
4.2.3.2
Entwicklung im Zeichen der Diversifizierung
91

4.3
Dubai ­ Wirtschaftsstruktur und Standortfaktoren
94
4.3.1
Der Aufschwung Dubais nach dem Zweiten Weltkrieg
96
4.3.2
Ölinduzierte Entwicklung und Diversifizierungstendenzen 98
4.3.2.1
Immobilienboom in Dubai
101
4.3.2.2
Freihandelszonen als Schnittpunkte der Diversifizierungsstrategie
102
4.3.2.3
Wer investiert in Dubai?
104
4.3.3
Handel 105
4.3.4
Transportwesen 108
4.3.4.1
Die Häfen Dubais
108
4.3.4.2
Dubai International Airport
113
4.3.5
Tourismus 118
4.3.6
Finanzen 122
4.3.7
Produzierendes Gewerbe
123
4.4
Fazit: Dubais Sonderweg in der Golfregion
124
5
DUBAIS BEDEUTUNG IM GLOBALISIERTEN
WELTWIRTSCHAFTS-SYSTEM 126
5.1
Gewinner und Verlierer der Globalisierung
126
5.2
Dubai als ,,Hub" der Golfregion
128
5.3
Dubai ­ ein überregionales Steuerungszentrum?
131
6
LITERATURVERZEICHNIS 132

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Die Produktion der ,,Weltbürste"
1
Abb. 2: Die politisch-geographische Gliederung des Weltwirtschaftraumes
11
Abb. 3: Die Triade nach O
HMAE
12
Abb. 4: Hierarchie der Steuerungszentralen in den heutigen Weltwirtschaften
16
Abb. 5: Die Karriere des Wortes ,,Globalisierung"
20
Abb. 6: Wachstum der Warenexporte und des Welt-BIP 1950-2004
32
Abb. 7: Entwicklung der weltweiten Waren - und Dienstleistungsexporte 1994-2004
34
Abb. 8: Entwicklung der Anteile der regionalen Warenexporte am
Weltwarenexport
35
Abb. 9: Wachstum der Dienstleistungsexporte nach Region 2000-2004
42
Abb. 10: Matrix der Welthandelsflüsse für die Jahre 1965, 1985 und 2003
42
Abb. 11: Entwicklung der auswärtigen Bestände an ADI 1980,1990
und 2000-2004
49
Abb. 12: Regionale ADI-Exporte und ­Importe 2004
50
Abb. 13: Wachstum von Welthandel und Weltcontainerumschlag
57
Abb. 14: Regionale Anteile am Containerumschag
58
Abb. 15: Die Konfiguration makrologistischer Netze
61
Abb. 16: ,,spaghetti bowl" ­ RTAs in Amerika und Asien-Pazifik
66
Abb. 17: Die Kernräume der Welt (Triade) und die Hauptachse des Welthandels 70
Abb. 18 Historische Entwicklung der Golfregion
71
Abb. 19: Regionale Verteilung der Öl- und Gasrerven
75
Abb. 20: Entwicklung des Rohölpreises
1
1960-2006
2
(in US-$ 2004/b)
78
Abb. 21: OPEC-Exportflüsse von Rohöl und raffiniertem Öl 2004 (in 1000 b/d)
80
Abb. 22 VAE-territoriale Gliederung der sieben Emirate
82
Abb. 23: VAE: Erdöl- und Erdgasfelder im On-Shore und Off-Shore Bereich
87
Abb. 24: VAE: Verteilung des BIP auf die Sektoren im Jahr 2004
92
Abb. 25: Ladeverkehr wie seit Hunderten von Jahren: Ein Holzfrachter wird am
Dubai Creek beladen
96
Abb. 26: Entwicklung des Bruttoinlandprodukts von Dubai
100
Abb. 27: Sektoralstruktur der Wirtschaft Dubais im Jahre 2003
101
Abb. 28: Entwicklung des Anteils des Dienstleistungssektors am BIP Dubais
104

Abb. 29: Entwicklung des Außenhandels (ohne Rohöl) 1975-2003
106
Abb. 30: Dubais Handelspartner im Jahr 2003
108
Abb. 31: Ausschnitt Dubai City mit Port Rashid und Hamriyah Port (blau)
sowie DIA (rot) und DAFZ (gelb)
109
Abb. 32: Ausschnitt Dubai City mit Jebel Ali und JAFZ (blau)
110
Abb. 33: Port Rashid und Jebel Ali-Hafen: Entwicklung der abgefertigten Fracht
1980-2005 112
Abb. 34: Containerverkehr Port Rashid und Jebel Ali-Hafen
112
Abb. 35: DIA: Entwicklung des Passagieraufkommens 1980-2004
115
Abb. 36: Passagierbewegungen DIA 2003
115
Abb. 37: DIA: Entwicklung des Frachtaufkommens 1980-2004
116
Abb. 38: Verteilung des Hotelangebots auf die Emirate im Jahr 2003
120
Abb. 39: Die internationale Arbeitsteilung: Güterdistribution über einen
Transhipment Hafen
128
Abb. 40: Die strategisch bedeutendsten Häfen und Transportwege im
containerisierten Weltsystem
130
Abb. 41: FedEx Express Global Hubs
130

Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Entwicklung der Kosten für ein 3-minütiges Telefongespräch
25
Tab. 2: Kosten der Überwindung von Raum und innerhalb der
26
Tab. 3: Entwicklung des Weltaußenhandels
31
Tab. 4: Welt-Warenhandel (Exporte) nach Produkten im Jahr 2004
33
Tab. 5: Die führenden Exporteure und Importeure im Weltwarenhandel im Jahr 2004
37
Tab. 6: Veränderung der Struktur des Welt-Warenhandels nach Produktkategorien
der Industrie- und
39
Tab. 7: Die Top 20 Gewinner im Warenexport nach Technologiekategorien 1985-
2000
a
40
Tab. 8: Anteil der inter- und intraregionalen Warenexporte am Gesamtexport einer
Region im Jahr 2004 (in %)
44
Tab. 9: Die Dynamik der weltweiten Finanzmärkte 1990 bis 2000
53
Tab. 10: Die 20 größten Containerhäfen weltweit im Jahr 2003
(gemessen in TEU)
58
Tab. 11: Reserven der Ölprovinz Persisch-Arabischer Golf (2005)
75
Tab. 12: Abhängigkeit der OPEC-Staaten von Erdölexporten
(2004, Angaben in Mio. US-$)
77
Tab. 13: VAE ­ Wirtschaftskraft durch Erdöl und Erdgas im Jahr 2004
88
Tab. 14: Diversifizierung des Handels in den VAE
91
Tab. 15: Die 10 am schnellsten wachsenden Containerhäfen 2003-2004
113

Verzeichnis der Textblöcke
Textblock 1: Merkmale von Weltstädten und Global Cities
15
Textblock 2: Lob und Kritik an der Globalisierung
22
Textblock 3: Beschreibung der Produktkategorien (UNCTAD 2002: 180)
38
Textblock 4: Messen und Tagungen in Dubai im Jahr 2006
121

Abkürzungsverzeichnis
ADI:
Ausländische
Direktinvestitionen
b/d:
barrel
per
day
BIP:
Bruttoinlandprodukt
BSP:
Bruttosozialprodukt
CEO:
Chief
Executive
Officer
COMECON:
Council of Mutual Economic Aid
DAFZ:
Dubai Airport Free Zone
DCCI:
Dubai Chamber of Commerce and Industry
DCV:
Dubai
Cargo
Village
DED:
Department
of Economic Development
DIA:
Dubai
International
Airport
DIFX:
Dubai
International Financial Exchange
DLC:
Dubai
Logistics
City
DP World:
Dubai Ports World
DPA:
Dubai
Ports
Authority
DPI:
Dubai
Ports
International
DUBAL:
Dubai Aluminium Company
GATS:
General Agreement on Trade and Services
GATT:
General Agreement on Tariffs and Trade
GCC:
Gulf
Cooperation
Council
IBRD:
International Bank for Reconstruction and Development (Welt-
bank)
IISS:
International
Institute for Strategic Studies
ISL:
Institute
of
Shipping Economics and Logistics
IWF:
Internationaler
Währungsfonds
JAFZ:
Jebel Ali Free Zone
JXB:
Jebel
Ali
International
Airport
KKP:
Kaufkraftparität
MERCOSUR:
Mercado Común del Sur
NGO:
Non
Governmental
Organization
NIAE:
Newly Industrialized Asian Economies
OAPEC:
Organization of Arabian Petroleum Exporting Countries
OECD:
Organization for Economic Cooperation and Development
OPEC:
Organization of Petroleum Exporting Countries
RTA:
Regional
Trade
Arrangements
SACU:
Southern African Customs Union
TEU:
Twenty
foot
equivalent
unit (20-Fuß-Container = 30m3)
TNU:
Transnationale
Unternehmen
TRIM:
Trade
Related
Investment Measures
TRIPS:
Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights
VAE:
Vereinigte
Arabische
Emirate
WTO:
World
Trade
Organization

1
1 Einleitung
1.1 Von der ,,Weltbürste" zur Weltwirtschaft
4.500 Mitarbeiter, zehn Länder, drei Kontinente und fünf Zeitzonen: Das ist die Bilanz der
Produktion der elektrischen Zahnbürste ,,Sonicare Elite 7000" der Firma Philips aus den Nie-
derlanden (vgl. Abb. 1). Bis zu der Verpackung in Seattle haben die Komponenten zwei
Drittel des Erdumfangs zurückgelegt (H
OPPE
2005: 136f.).
Quelle: H
OPPE
(2005: 127)
Abb. 1: Die Produktion der ,,Weltbürste"
Die ,,Weltbürste" ist nur eines von zahllosen Beispielen, welches auf die weltumspannenden
Produktionsnetze hinweist. Die Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung ist der Motor
der Weltwirtschaft, die sich laut Weltbank in der ,,revolutionären Phase" der Globalisierung
befindet (W
ELTBANK
1995: 1). Unter Globalisierung versteht man gemeinhin die Zunahme
weltweiter Verflechtungen infolge der Ausbreitung und Vertiefung ökonomischer, ökologi-
scher, politischer und kultureller Prozesse (K
NOX
& M
ARSTON
2001: 17). Aus ökonomischer
Perspektive steht die Ausbildung weltweiter Märkte im Mittelpunkt, ,,auf denen Waren und
Dienstleistungen gehandelt, Investitionen getätigt, Technologien übertragen und Informatio-
nen ausgetauscht werden" (K
OOPMANN
& F
RANZ
M
EYER
2003: 12). Mit zunehmender
Interdependenz der Weltwirtschaft hängt das ökonomische und soziale Wohl der Nationen,
Regionen und Städte von komplexen Interaktionen auf globaler Ebene ab (K
NOX
& A
GNEW
1998: 3). Mit anderen Worten, ,,what happens in any given country or locality is broadly de-
termined by its role in systems of production, trade and consumption which have become
global in scope" (ebd.). Jeder Ort, jede Region oder Nation übernimmt somit innerhalb des
von Konkurrenz geprägten Weltsystems eine spezifische Rolle.
Der gegenwärtige Strukturwandel im Zeichen der Globalisierung fordert die ,,Rollenvertei-
lung" des ,,modernen Weltsystems", dessen Ursprung laut W
ALLERSTEIN
unter anderem im
Europa des 15. Jahrhunderts zu suchen ist, heraus. Vor diesem Hintergrund ist der ,,ökono-

2
mische Auf- bzw. Abstieg von Ländern und Regionen" (S
TERNBERG
1997: 680) zu sehen,
das heißt es gibt Gewinner und Verlierer des Strukturwandels.
1.2 Warum Dubai?
,,Dubai bietet die moderne Version von Tausendundeiner Nacht" (H
ERRMANN
2004): es sind
vor allem Projekte der Superlative, wie zum Beispiel das einzige Sieben-Sterne Hotel der
Welt und aufgeschüttete Inseln in Form einer Palme, die das Bild von Dubai nachhaltig prä-
gen. Künstliche Welten, internationale Sportereignisse, Gesundheitstourismus und an erster
Stelle Shopping-Tourismus ­ Dubai ist in vielfältiger Weise für Touristen aus aller Welt at-
traktiv.
Jedoch beginnt die ,,große Erfolgsgeschichte der Moderne" (ebd.) nicht erst mit dem Touris-
tenaufkommen der 1990er Jahre. Dubai konnte sich früh als Dienstleistungs- und
Handelszentrum in der Golfregion etablieren, bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts
spielte der Perlenhandel die entscheidende Rolle. Zollfreiheit und Steuervergünstigungen
zogen bereits damals zahlreiche Händler an ­ heute gilt Dubai als einer der bedeutendsten
Umschlagplätze für den Goldhandel. Die Erlöse aus den Petrodollars nutzte die Führung seit
den 1960er Jahren, um den Standort Dubai durch groß angelegte Infrastrukturprojekte, wie
beispielsweise die beiden Tiefseehäfen Jebel Ali und Port Rashid, kontinuierlich zu stärken
und für die Nach-Erdöl-Zeit zu sorgen.
Zu Beginn des Jahres 2006 machte Dubai mit Schlagzeilen auf sich aufmerksam, die als
Menetekel für die etablierten Industrieländer gedeutet werden können: Zum einen der Vor-
stoß der Dubai Ports World sechs Häfen an der Ostküste der USA zu übernehmen, zum
anderen die neu gegründete internationale Börse DIFX (Dubai International Financial Ex-
change), die Unternehmen aus einem Raum anziehen will, in dem ein Drittel der
Weltbevölkerung lebt (FAZ 2006a: 24).
Innerhalb von nur 50 Jahren ist Dubai vom verschlafenen Fischerdorf zur ,,cosmopolitan re-
gionally dominant twenty-first century city" (P
ACIONE
2005: 265) aufgestiegen und hat somit
eine einzigartige Entwicklung vollzogen. Auf der Suche nach einer Position in der Weltwirt-
schaft im Zeitalter der Globalisierung (S
CHOLZ
1999b: 21) gibt man sich nicht mit der
,,reaktiven Mittlerrolle" eines ,,globalisierten" Ortes zufrieden, sondern strebt die aktive Funk-
tion eines ,,globalen Ortes" an (S
CHOLZ
2005: 17).
,,Could Dubai become the most important city on earth?" ­ fragt N
ICOLSON
im Online-Angebot
der Khaleej Times vom 13. Februar 2006 und bringt damit das Selbstbewusstsein und die
Ambitionen der Regierung Dubais auf den Punkt. Scheinbar erwacht hier eine Region, die
bisher kaum jemand auf dem ,,Globalisierungsradar" hatte.

3
1.3 Forschungsstand und Fragestellung
Die Globalisierungsdebatte vermittelt oftmals den Eindruck von einem zeitlich ,,isoliert" auftre-
tenden Phänomen. Der zweite zentrale Begriff des Titels der Arbeit ­ Weltwirtschaftssystem
­ wurde gewählt, um den Globalisierungsansatz in einen systematischen (historischen) Zu-
sammenhang zu stellen. Welchen Beitrag leistet die geographische Perspektive?
,,Die Weltwirtschaftlichen Vorgänge und die mit diesen zusammen-
hängenden Transporte von Personen sowie von materiellen und
immateriellen Gütern und Leistungen sind nicht nur an sich wirt-
schaftsgeographische Arbeitsfelder, sondern ihre Wirkungen auf das
innere Gefüge der an den Außenbeziehungen beteiligten Staaten
machen sie zu einem wirtschaftsgeographischen Kernbereich"
(V
OPPEL
1999: 193).
R
ITTER
(1994: 3) beklagt, dass die Beschäftigung der Geographen mit dem Welthandel im-
mer spärlich ausfiel und seit Mitte des 20. Jahrhunderts zum Stillstand kam. Der Hauptgrund
ist der kleine Maßstab, das heißt Übersee- und Welthandel sind mit geographischen Metho-
den nur schwer fassbar. Ferner hätte man versäumt eine ,,tragfähige Brücke zur
Außenhandelstheorie der Nationalökonomie zu schlagen." (ebd.: 4). Zehn Jahre später greift
D
ICKEN
die Problematik wieder auf und stellt sie gleichzeitig in den größeren Zusammenhang
der Globalisierungsdiskussion. Obwohl die Prozesse und die Folgen, die mit dem Begriff
Globalisierung verbunden sind, Gegenstandsbereich der Geographie sind, seien die Geog-
raphen an den zentralen Streitfragen nicht beteiligt: ,,Geography is rather like the small child
in the school playground who always gets missed out when the big children are picking
teams" (2004: 6). Darüber hinaus moniert er, dass sich die geographische Forschung in gro-
ßem Maße mit dem Zu- und Abfluss von ausländischen Direktinvestitionen beschäftige,
während Handelsströme wenig beachtet würden: ,,in the case of international trade, what
matters are not so much changes in volume ­ although they are important ­ as changes in
composition
" (ebd.: 8).
Mit eben jener ,,composition" in zeitlicher und räumlicher Dimension beschäftigt sich das
nachfolgende Kapitel. Eine explizite ,,Theorie der Weltwirtschaft" existiert nicht. Dennoch
sollen die vorgestellten Konzepte
1
mit ihren verschiedenen Aspekten in der Gesamtansicht
eine erste systematische Annäherung an das Weltwirtschaftssystem darstellen.
Den aktuellen Entwicklungen und der Struktur der Weltwirtschaft im Kontext der Globalisie-
rung widmet sich das dritte Kapitel, welches zusammen mit dem zweiten Kapitel einen
,,theoretischen Rahmen" bildet, innerhalb dessen schließlich die Bedeutung von Dubai
herausgearbeitet werden soll.
1
Die Auswahl der Konzepte orientiert sich an R
ITTER
(1998)

4
2 Weltwirtschaftssystem
V
OPPEL
beschreibt den Begriff Weltwirtschaft als ,,die in den Leistungsbilanzen ausgewiese-
nen grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Aktivitäten sowie den Kapitalverkehr zwischen
den Staaten der Erde" (1999: 193).
Der Weltwirtschafts
raum
umfasst nach L
ESER
den globalen Wirtschaftsraum, ,,in dem sich
die Gesamtheit der volkswirtschaftlichen Aktivitäten unter Nutzung der internationalen Wirt-
schaftsbeziehungen raumdifferenziert darstellt" (2001: 992).
Als konstituierendes Element der Weltwirtschafts
ordnung
ist die Weltbank (IBRD) anzuse-
hen, die zusammen mit der Welthandelsorganisation (WTO) und dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) die drei Institutionen internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit
repräsentiert. Oberstes Ziel der Weltbank ist die Schaffung einer neoliberalen Weltwirt-
schaftsordnung, deren wichtigste Elemente Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung
sind (K
ULKE
2004a: 196f.).
Der Begriff Weltwirtschafts
system
existiert zwar in der Literatur
2
, bedarf aber einer Erläute-
rung, da es keine einheitliche Definition gibt. Für die vorliegende Arbeit wird W
ALLERSTEIN
s
Begriff des Weltsystems zugrunde gelegt. Ein Weltsystem ist als ,,ein vernetztes System von
Ländern, die durch ökonomische und politische Konkurrenzbeziehungen miteinander ver-
bunden sind" zu verstehen (K
NOX
& M
ARSTON
2001: 65). Die Intention des Begriffs
,,Welt
wirtschafts
system" ist einerseits eine notwendige Einschränkung unter Betonung der
wirtschaftlichen Aspekte und andererseits der Hinweis auf die Explikation unter systemtheo-
retischen Gesichtspunkten. Die Herangehensweise entspricht somit einem
humangeographischen Ansatz, der Orte und Regionen als Bestandteile eines sich ständig
wandelnden globalen Systems interpretiert (ebd.).
Bei den nachfolgenden Ausführungen steht demnach nicht die einzelne Volkswirtschaft im
Vordergrund, sondern die globale Analyse der Strukturen und Prozesse in der Weltwirt-
schaft.
2
Beispielsweise von S
CHAMP
(1996: 207)

5
2.1 Weltsystem-Theorie und ,,Weltwirtschaften"
Die Weltsystem-Theorie operiert auf einem sehr abstrakten Niveau, indem sie die Analyse
des ,,world system" in den Vordergrund der Analyse stellt (T
ERLOUW
1992: 15). Auf der Su-
che nach einem konzeptionellen Gesamtrahmen stößt man immer wieder auf W
ALLERSTEIN
s
Konzeption eines Weltsystems, auf den der Begriff ,,world system" zurückgeführt wird (vgl.
z.B. K
NOX
& A
GNEW
1998: 65; K
NOX
& M
ARSTON
2001: 65; O
STERHAMMEL
& P
ETERSSON
2006: 19). Als Schüler von B
RAUDEL
ist W
ALLERSTEIN
s Konzeption eng mit dessen dreibän-
digem Werk verbunden, in dem er die Existenz mehrerer Weltwirtschaften postuliert.
2.1.1
Das Weltsystem nach W
ALLERSTEIN
2.1.1.1 Die Analyse des Weltsystems
Für W
ALLERSTEIN
stellt sich zunächst das Problem dar, dass der Analyserahmen für den so-
zialen Wandel so groß sein muss, dass die wichtigsten gesellschaftlichen Veränderungen
erfasst werden können:
,,For the proper understanding of the social dynamics of the present
requires a theoretical comprehension that can only be based on the
study of the widest possible range of phenomena, including through
all of historical time and space" (W
ALLERSTEIN
1976: 9).
Eine solche Analyse müsste deshalb die ökonomische, politische, kulturelle und soziale
Perspektive umfassen. Es erweist sich jedoch aus überaus schwierig die einzelnen Perspek-
tiven, die nicht klar voneinander abgegrenzt werden können, in ihrer Gesamtschau zu
bearbeiten.
W
ALLERSTEIN
wählt deshalb ,,the economic process to delimit a social system, because this
process has the greatest influence on other aspects of human behavior" (H
OPKINS
&
W
ALLERSTEIN
1977, zit. nach T
ERLOUW
1992: 15):
,,It [das Buch, Anm. d. Verf.] assumes that the unit of analysis is an
economic entity, the one that is measured by the existence of an ef-
fective division of labor, and that the relationship of such economic
boundaries to political and cultural boundaries is variable"
(W
ALLERSTEIN
1976: Vorwort, xi).
Gemäß W
ALLERSTEIN
sind zwei soziale Systeme grundsätzlich voneinander zu unterschei-
den. Zum einen die Minisysteme, zum anderen die Weltsysteme. Unter Minisystemen
versteht er sehr kleine soziale Systeme mit einer einzigen Kultur und Regierungsform. Inner-
halb der Minisysteme ist kaum Arbeitsteilung erkennbar. Die ökonomischen, politischen und
kulturellen Grenzen sind somit identisch (W
ALLERSTEIN
1979: 5, 155f.). Solche Subsistenz-
wirtschaften, wie sie beispielsweise in Jäger-, Sammler- oder Viehzüchtergesellschaften
vorherrschten, existieren heute auf der Welt in der Reinform kaum noch. Das dominierende
soziale System nach W
ALLERSTEIN
ist das ,,world-system" ­ ,,a unit with a single division of
labor and multiple cultural systems" (W
ALLERSTEIN
1979: 5).

6
W
ALLERSTEIN
unterscheidet zwei ,,world-systems":
· ,,world-empire": Bestimmend ist hier ein zentrales politisches System, welches über das
gesamte Territorium herrscht und somit politisch Regionen integriert.
· ,,world-economy": In diesem Fall gibt es nicht ein einziges politisches System, das die
Regionen zusammenhält, sondern zahlreiche Staaten stehen in Konkurrenz zueinander
(W
ALLERSTEIN
1976: 230; T
ERLOUW
1992: 55).
Ein ,,world-empire" wird demnach durch politische Fesseln zusammengehalten und ist
gleichzeitig eine ökonomische Einheit. Hingegen ist eine ,,world-economy" durch wirtschaftli-
chen Austausch gekennzeichnet, der durch die Kräfte des Marktes reguliert wird.
2.1.1.2 Das moderne Weltsystem
,,In the late fifteenth and early sixteenth century, there came into
existence what we may call a European world-economy"
(W
ALLERSTEIN
1976: 15).
W
ALLERSTEIN
identifiziert für die Zeit nach dem 16. Jahrhundert nur noch
ein
Weltsystem,
dessen Wurzeln er im Aufkommen der europäisch dominierten Weltwirtschaft feststellt. Aus-
schlaggebend für die Entfaltung des modernen Weltsystems ist die Hinwendung zum
Kapitalismus:
,,In a capitalist world-economy, political energy is used to secure mo-
nopoly rights (or as near to it as can be achieved). The state
becomes less the central economic enterprise than the means of as-
suring certain terms of trade in other economic transactions. In this
way, the operation of the market (...) creates incentives to increased
productivity and all the consequent accompaniment of modern eco-
nomic development" (W
ALLERSTEIN
1979: 16).
Europa war zu jener Zeit nicht die einzige Weltwirtschaft, allerdings eliminierte es im Zuge
der geographischen Expansion die anderen Weltsysteme genauso wie es die noch beste-
henden Minisysteme absorbierte (W
ALLERSTEIN
1979: 27). Wie und warum Europa im
einzelnen den kapitalistischen Pfad beschritt und dabei die Welt erschloss ­ W
ALLERSTEIN
spricht von einer Reihe von historischen, ökologischen und geographischen Zufällen (1979:
18) ­, kann und muss nicht im Rahmen der Arbeit dargelegt werden. Von besonderem Inter-
esse ist vor allem W
ALLERSTEIN
s Analyse der Ausdehnung der ,,world-economy" und ihrer
Struktur:
,,It should (...) be noted that the size of a world-economy is a function
of the state of technology, and in particular of the possibilities of
transport and communication within its bounds. Since this is a con-
stantly changing phenomenon, not always for the better, the
boundaries of a world-economy are ever fluid" (W
ALLERSTEIN
1976:
231).
Ausgangspunkt für die Herausbildung der Struktur des Weltsystems ist die Arbeitsteilung in
geographischer Hinsicht, im Rahmen derer die ökonomischen Aufgaben nicht gleich verteilt
sind. Es bildet sich vielmehr eine Asymmetrie aus, die dadurch gekennzeichnet ist, dass rei-

7
che, begünstigte Regionen die armen, benachteiligten ausbeuten. In erster Linie ist dies eine
Funktion der unterschiedlichen sozialen Organisation der Arbeit, das heißt der Anpassung
einer bestimmten Arbeitsorganisation an die vorherrschende Produktionsstruktur
(W
ALLERSTEIN
1976: 65, 231). W
ALLERSTEIN
entwirft auf der Basis der weltweiten Arbeitstei-
lung das Bild einer Welt, die in vier Regionen aufgeteilt ist:
·
Kernregion:
Wichtig für die Herausbildung einer Kernregion waren die Ausbreitung freier
Arbeit, sprich Lohnarbeit und Selbständigkeit unter einem starken Staatsapparat
(W
ALLERSTEIN
1976: 65, 231). Florierende Städte, fortgeschrittene und komplexe Formen
der Landwirtschaft, das Aufkommen neuer Industrien und die Rolle der Kaufleute als ge-
wichtige ökonomische und politische Kraft sowie die zunehmende Diversifizierung und
Spezialisierung der Wirtschaft sind weitere Merkmale (W
ALLERSTEIN
1976: 73; 1979: 38).
In Kernregionen ist somit Wissen und Macht konzentriert ­ sie verfügen über hoch entwi-
ckelte Technologien und weisen eine hohe Produktivität auf (K
NOX
& M
ARSTON
2001: 66).
·
Peripherie:
Im Gegensatz zu der Kernregion ist für die Peripherie die unfreie Arbeit ­
Sklaverei, Feudalismus und die ,,cash crop"-Arbeit ­ kennzeichnend (W
ALLERSTEIN
1976:
65, 74). Der Logik folgend stellen die peripheren Regionen auch hinsichtlich der anderen
Merkmale das Negativ der Kernregion dar: abhängige und ungünstige Handelsbeziehun-
gen, primitive oder veraltete Technologien, Monokultur, Mangel an Humanressourcen
sowie niedriges Produktionsniveau (K
NOX
& M
ARSTON
2001: 66).
·
Semiperipherie:
Die Semiperipherie repräsentiert nach W
ALLERSTEIN
,,a midway point on a
continuum running from the core to the periphery" (1976: 74). Hierbei handelt es sich nicht
etwa um eine Restkategorie, sondern um ein ,,necessary structural element in a world-
economy" (ebd.: 231). Bezeichnend sind Deindustrialisierung und das Streben nach
Unabhängigkeit in der landwirtschaftlichen Produktion, für die ,,sharecropping" charakteris-
tisch ist, das heißt ein Teil der Pacht wird durch die Ernte bezahlt (ebd.: 81). Die
semiperipheren Regionen entwickelten sich nicht zum bloßen Anhängsel der Kernregion.
W
ALLERSTEIN
begründet dies mit der ,,high land/labor ratio" und der Existenz einer starken
Bourgeoisie, die bedeutende Auswirkungen hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produkti-
on in Notzeiten besitzt (ebd.: 76).
·
externe Arena:
So bezeichnet W
ALLERSTEIN
jene Teile der Erde, die nicht in das euro-
päisch dominierte Weltsystem integriert wurden. Eine Art Handelsbeziehung zu der exter-
nen Arena liegt nur dann vor, wenn es sich um seltene Kostbarkeiten handelt:
,,It is only when Europe had no choice, could not get a product within
the framework of its own world-economy that it went to the outside
arena to get it at higher cost" (W
ALLERSTEIN
1976: 222).
Die verschiedenen Regionen dürfen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, erst
die Gesamtkonstellation ergibt das moderne Weltsystem, das sich gemäß W
ALLERSTEIN
wie

8
ein Organismus verhält, ,,in that it has a life-span over which its characteristics change in
some respects and remain stable in others" (1976: 229).
Für das oben skizzierte Weltsystem ­ mit seinen ersten Zentren und Kernregionen in Ober-
italien (Venedig), England, Niederlande, Frankreich (der Norden), später dann nachrückende
Teile in Westeuropa, Nordamerika sowie im 20. Jahrhundert Japan ­ ist einerseits charakte-
ristisch, dass ,,various areas came to be dependent upon each other for their specialised
roles" (W
ALLERSTEIN
1979: 38) und andererseits, dass sich eine Hierarchie zwischen den
Regionen herausgebildet hat.
Die Kernregionen kämpften um die ökonomische und militärische Vorherrschaft untereinan-
der und suchten gleichzeitig das Monopol, die peripheren Regionen auszubeuten sowie
deren Staatsapparat zu schwächen (ebd.: 131).
Die Semiperipherie nimmt entsprechend eine Position zwischen Kernregion und Peripherie
ein. Sie beutet einerseits die Peripherie aus und wird andererseits von den Kernregionen
dominiert und ausgebeutet (ebd.: 39, 71f., 97). Laut W
ALLERSTEIN
hat die Existenz der Semi-
peripherie insofern einen ausgesprochen stabilisierenden Effekt auf das Weltsystem, als sie
die Beziehung zwischen Kernregion und Peripherie entpolarisiert. Ferner profitieren semipe-
riphere Regionen von der Struktur des Weltsystems und haben deshalb im Hinblick auf den
potentiellen Status einer Kernregion ein Interesse an der Erhaltung dessen (ebd.: 21f., 34,
69).
Die Hoffnung auf den Aufstieg ist berechtigt, denn das Weltsystem ist dynamisch. Die politi-
sche Fragmentierung des Weltsystems erzeugt eine instabile Situation, wodurch
wirtschaftliche Zyklen von Wachstum und Stagnation sowie politische Zyklen von Rivalität
und Hegemonie entstehen. Die Entscheidungsträger sind weltweit verteilt, mehr noch als die
Staaten konkurrieren die Firmen miteinander. Das Resultat sind ständige Gewichtsverlage-
rungen im Weltsystem (T
ERLOUW
1992: 18). Länder der Peripherie können semiperipheren
Status erreichen, Kernregionen können zu peripheren Regionen absteigen. Die Transparenz
des Systems verdeutlicht W
ALLERSTEIN
unter anderem am Beispiel Spaniens, welches als
Ursprungsland des modernen Weltsystems im 16. Jahrhundert im Laufe der folgenden Jahr-
hunderte zunehmend in eine semiperiphere Position geriet (W
ALLERSTEIN
1976: 128ff.).
2.1.2
Die ,,Weltwirtschaften" nach B
RAUDEL
Für eine systematische Herangehensweise an das Weltwirtschaftssystem empfiehlt sich
B
RAUDEL
s Konzept der ,,Weltwirtschaften". Um Missverständnisse zu vermeiden, unterschei-
det er zunächst zwei Bedeutungen des Wortes ,,Weltwirtschaft": Einerseits versteht er
darunter ,,den Markt des gesamten Erdkreises", das heißt ,,die Menschheit oder jenen Teil
der Menschheit, der wechselseitig Handel treibt und heutzutage gewissermaßen nur noch
einen einzigen Markt darstellt". Andererseits bezeichnet Weltwirtschaft ,,lediglich einen Aus-

9
schnitt, einen wirtschaftlich autonomen Sektor unseres Planeten, der sich im wesentlichen
selbst versorgen kann und aufgrund seiner Verbindungen und seines internen Austauschs
eine gewisse organische Einheitlichkeit aufweist" (B
RAUDEL
1986: 18).
B
RAUDEL
nähert sich den Weltwirtschaften zum einen in räumlicher und zum anderen in zeit-
licher Hinsicht.
Die räumliche Perspektive
Die Existenz einer Weltwirtschaft beruht auf der von ihr eingenommenen ,,Zone", die einen
eigenen Raum darstellt. Drei Charakteristika des Raumes hebt B
RAUDEL
hervor:
·
Grenze:
Die Grenze einer Weltwirtschaft, die wie eine ,,Art Hülle ein riesiges Gebiet" um-
schließt, zieht er dort, ,,wo eine andere Weltwirtschaft gleichen Typs beginnt" und deren
,,Überschreitung beiden Seiten wirtschaftlich nur in Ausnahmefällen Vorteile bringt"
(B
RAUDEL
1986: 23). Die Grenze ist dabei in der Regel ein inaktiver Randbereich, den oft
natürliche Hindernisse bilden.
·
Die kapitalistische Stadt
: Im Zentrum einer Weltwirtschaft steht ein kapitalistischer ,,städti-
scher Pol", ,,eine Stadt, in der Informationen, Waren, Kapitalien, Kredite, Menschen,
Aufträge und Geschäftsbriefe zusammenströmen". Umgeben wird sie von einem Kranz
aus ,,Relaisstädten", deren Aktivität auf das Zentrum ausgerichtet ist. Merkmale der domi-
nierenden Stadt sind ein ,,ausgefallenes Völkergemisch", Gewissensfreiheit, traditionelle
Toleranz, aber auch eine ausgeprägte soziale Differenzierung. Kommt es zu Verschiebun-
gen hinsichtlich der Vorrangstellung der ,,Weltstadt", dann wird der ,,gesamte Kreis der
Weltwirtschaft in Mitleidenschaft" gezogen ­ bis hin zu schweren Erschütterungen in der
Peripherie (ebd.: 24ff.).
·
Hierarchische Gliederung
: Für jede Weltwirtschaft postuliert B
RAUDEL
die Ausbildung von
drei Zonen, in denen jeweils Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft, Technik und politische
Organisation unterschiedlich gestaltet sind. Die Zone auf der höchsten Stufe ist der Kern-
bereich, der die fortschrittlichsten und vielfältigsten Elemente vereinigt. Der daran
anschließende Bereich ,,weist nur noch einen Teil dieser Vorzüge auf" und bildet damit die
Zone der ,,glänzenden Zweiten". Die Peripherie beschreibt B
RAUDEL
als altmodisch, rück-
ständig und fremder Ausbeutung ausgesetzt. Rückständige Gebiete sind jedoch nicht nur
die Randgebiete der Weltwirtschaft, sondern auch Bestandteil der zentralen Region. Darü-
ber hinaus gibt es auch ,,neutrale" Zonen, das heißt ,,von Handel und Wandel nahezu
unberührte[n] Zonen" (B
RAUDEL
1986: 36ff.).
Die zeitliche Perspektive
Ebenso wie den Raum, teilt B
RAUDEL
die Zeit in Abschnitte ein. Phasen von bis zu 70 Jahren
treten als Konjunkturzyklen in Erscheinung, von denen der Kondratieff-Zyklus wohl zu den

10
bekanntesten zählen dürfte. Es handelt sich dabei um ein Modell, das die Entwicklung der
Wirtschaft in ,,langen Wellen" zu erklären sucht. Zu Beginn der im Durchschnitt 50 bis 70
Jahre andauernden ,,langen Welle" ­ wie der Zyklus auch genannt wird ­ steht eine Phase
der Prosperität, die durch eine neue Technologie ausgelöst wird. Sobald die Nachfrage ge-
sättigt ist, folgt die Phase der Rezession und schließlich Depression mit entsprechenden
Preisentwicklungen. Daneben führt B
RAUDEL
noch weitere Konzepte von Konjunkturzyklen
auf, die unterschiedliche Zeitspannen beschreiben. Da die Zyklen alle gleichzeitig auftreten,
verbinden sie sich zu einem Gesamteffekt und verstärken oder schwächen die Schwankun-
gen der Gesamtkonjunktur. Sozusagen als Metazyklus sieht B
RAUDEL
den langfristigen
Trend (
longue durée
), der ,,von Jahrhundert zu Jahrhundert ins Gewicht" fällt. Ganz allmäh-
lich hebt der langfristige Trend dabei die Preise und Wirtschaftsaktivitäten bis zu dem
Zeitpunkt an, von dem an er wieder langsam, aber stetig ihren Niedergang herbeiführt. Er
wird dabei immer wieder von den kürzeren, aber deutlicher hervortretenden Wellen überla-
gert, doch werden diese recht komplexen Konjunkturströme nach B
RAUDEL
erst durch den
langfristigen Trend gestoppt oder angestoßen (ebd.: 73ff.).
In seinem dreibändigen Werk ,,Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts" weist B
RAUDEL
mehrere Weltwirtschaften nach: Venedig, Antwerpen und Amsterdam verdankten ihre
zentrale Stellung den Welthandels- und Weltfinanzströmen, während für den Aufstieg von
London und New York die Steuerungsmacht über die Weltproduktion verantwortlich war
(T
ERLOUW
1992: 53).
2.2 Die Wirtschaftsräume nach O
TREMBA
O
TREMBA
legt ebenfalls einen fruchtbaren Ansatz vor. Bei der Analyse des ,,Bauplans des
Weltwirtschaftraumes" stellt er eine Zweigliederung dessen fest (vgl. Abb. 2):
·
Kontinentaler Weltwirtschaftsraum:
Die Kernregionen liegen in der gemäßigten Zone der
Nordhalbkugel, im Binnenbereich der Landmassen. Nach O
TREMBA
gliedert sich der Kon-
tinentalwirtschaftraum der Alten Welt in zwei Kernräume, den europäisch-russischen und
den chinesischen. Beide sind an einigen Stellen mit Landverkehrswegen verbunden. Mari-
time Verbindungen fehlen weitgehend. Der Verkehr ist auf Landverkehrsmittel inklusive
Binnenschifffahrt beschränkt, der die Zentren des kontinentalen Wirtschaftsraumes verbin-
det. Die Dynamik dieses Wirtschaftsraums liegt in der Erschließung der peripheren
Gebiete durch Ausbau der Verkehrsachsen (O
TREMBA
1978: 245ff.).
·
Maritimer Weltwirtschaftsraum:
Auch dessen Kern liegt in der nördlichen gemäßigten Zo-
ne. Innerhalb des maritimen Weltwirtschaftraumes unterscheidet O
TREMBA
drei
Schwerpunkte: Nordamerika, Europa und Japan. Zwischen Nordamerika und Europa
dehnt sich der atlantische Seeverkehrsraum aus, den er als stärkste Seeverkehrszone
hervorhebt. Die Handelszentren sind nun Hafenplätze an den Küsten, Halbinseln oder

11
vorgelagerten Inseln, die ihre Gütertransporte und ihren Handel in erster Linie über die
Seewege abwickeln. Spiegelverkehrt zu dem kontinentalen Weltwirtschaftsraum bilden
nun die Binnenräume der Landmassen die Peripherie. Dem Kern schließen sich zwei wei-
tere maritime Räume an, der pazifische und der indoaustralische, die an der Westseite des
Pazifiks in Verbindung treten. Hier sieht O
TREMBA
die Dynamik in einer wachsenden
Emanzipation dieser Ergänzungsräume, die von ,,den Kräften der Kernräume, ihrem Be-
darf und ihrem Kapital gespeist" werden. Entsprechend dynamisch ist die Entwicklung des
Verkehrs und damit der Verbindungswege zwischen den peripheren Teilen und den Kern-
regionen (ebd.).
Quelle: O
TREMBA
(1978: 277)
Abb. 2: Die politisch-geographische Gliederung des Weltwirtschaftraumes
2.3 Tripolarität der Weltwirtschaft
Kern der nachfolgenden Konzepte ist die Ausrichtung auf drei Gravitationszentren der Welt-
wirtschaft. Während O
HMAE
s Konzept als strategische Empfehlung für Unternehmen
angelegt ist, hebt G
ROTEWOLD
die Beziehungen zwischen Kerngebieten und Peripherie her-
vor. Unter dem letzten Unterkapitel werden mehrere Konzepte zusammen betrachtet, die
nicht die Region oder das Land, sondern die Stadt zum Untersuchungsgegenstand haben.
2.3.1
Die Triade nach O
HMAE
In seinem Buch ,,Macht der Triade" (1985) empfiehlt O
HMAE
als Direktor eines weltweit ope-
rierenden Beratungsunternehmens den international agierenden Unternehmen die
Hinwendung zu der Triaden-Strategie. Als ,,Triade" bezeichnet er die Kernregionen Japan,

12
USA und Europa, in denen die wichtigsten Märkte liegen. Dort herrscht der härteste Konkur-
renzdruck und dort werden die zukunftsweisenden Technologien entwickelt. Deshalb ist es
seiner Ansicht nach als international tätiges Unternehmen unerlässlich, in diesen bedeutend-
sten Märkten präsent zu sein, um Märkte und Technologien der Triade als Insider zu nutzen.
Der intensivste weltwirtschaftliche Austausch, insbesondere der Welthandel, findet zwischen
den Triade-Ländern statt. Gleichzeitig betont O
HMAE
die Einbindung einer jeweils vierten
Region, die er als Schwellen- und Entwicklungsländer sieht und erweitert damit sein Triade-
Konzept (vgl. Abb. 3). Jeder Triade-Kern hat demnach einen erweiterten Einflussbereich, der
geographisch am nächsten liegt. Für die USA ist es Lateinamerika, für Europa Afrika und der
Nahe beziehungsweise Mittlere Osten und für Japan Asien (O
HMAE
1985: 143f.).
Quelle: O
HMAE
(1985: 144)
Abb. 3: Die Triade nach O
HMAE
(1985: 144)
2.3.2
Regionale Theorie des Welthandels nach G
ROTEWOLD
In Grundzügen mit O
HMAE
s Triade-Konzept verwandt ist G
ROTEWOLD
s ,,regionale Theorie
des Welthandels" aus dem Jahr 1979, die sich mit Formen des Handels zwischen und inner-
halb von zwei ,,Regions-Typen" beschäftigt: Kerngebiete und Peripherie (G
ROTEWOLD
1979:
1). Für Kerngebiete ist ,,a complex of vertically integrated manufacturing industries" charakte-
ristisch sowie spezialisierte Technik-, Konstruktions-, Transport- und Verwaltungsleistungen.
Zwar besitzt auch die Peripherie Fertigungsindustrien, im Unterschied zu denjenigen der
Kerngebiete sind diese jedoch nicht vertikal integriert, das heißt im Produktionsprozess mi-
teinander verbunden (ebd.: 10f.). Der grundlegende Unterschied zwischen Kerngebieten und
Peripherie basiert demnach auf der Unterscheidung von Kernindustrien und peripheren In-
dustrien (G
ROTEWOLD
1993: 34).
Abgesehen von der damals noch existierenden Sowjetunion fallen die von G
ROTEWOLD
iden-
tifizierten Kerngebiete ­ die Industrieländer in Europa, Nordamerika und Japan ­ mit den
Kerngebieten der Triade zusammen. Kerngebiete sind nicht mit den politischen Grenzen

13
eines Staates gleichzusetzen, sondern es sind die Regionen, ,,in denen Kernindustrien agg-
lomerieren, und wo die neuesten Techniken entwickelt werden" (G
ROTEWOLD
1993: 41). In
einem Land können folglich Kernregionen und periphere Areale existieren. Allerdings sind
nur wenige dieser peripheren Areale vollständig in die Weltwirtschaft integriert und haben ein
entsprechend niedriges Pro-Kopf-Einkommen (ebd.: 48).
G
ROTEWOLD
unterscheidet vier Typen des Handels (1979: 38ff.; 1993: 45ff.):
·
Intrakern-Handel:
Der Handel innerhalb von Kerngebieten ist sehr umfangreich, was er
auf das hohe Ausmaß der vertikalen und horizontalen Integration der Industrien zurück-
führt. Der Handel umfasst hauptsächlich gleiche Waren, von Industrien erzeugt, die
identische Ressourcen, Technologien und Produktionsfaktoren einsetzen, wie er am Bei-
spiel der Automobilindustrie verdeutlicht.
·
Interkern-Handel:
Auch für diesen Typ postuliert G
ROTEWOLD
den Austausch gleicher
Waren, den er für die Kerngebiete der Triade und die zentrale Sowjetunion annimmt. Die
Produktpalette umfasst ebenfalls vornehmlich die der verarbeitenden Industrie. Allerdings
muss der Interkern-Handel im Gegensatz zum Intrakern-Handel Hemmnisse wie Zölle
überwinden. Da sich der Intrakern-Handel auf seinen eigenen Komplex von vertikal integ-
rierten Industrien verlässt, ist der Interkern-Handel geringer als der Intrakern-Handel.
·
Kern-Peripherie-Handel:
Aufgrund des Technologievorsprungs und der größten Märkte in
den Kernregionen bezieht die Peripherie ihre Produkte ­ neben Fertigprodukten auch Zwi-
schenprodukte zur weiteren Verarbeitung ­ überwiegend aus den Kerngebieten. Im
Gegenzug liefert die Peripherie ihre Produkte ­ überwiegend Rohmaterialien ­ vorzugs-
weise in die Kerngebiete.
·
Intraperipherie-Handel:
Der Handel der Peripherien untereinander ist gering und besteht
hier in erster Linie aus Energieträgern und in geringem Umfang speziellen Produkten.
Der Intra- und Interkern-Handel beruht demzufolge auf dem Austausch von ,,gleichen" War-
en, wohingegen sich der Kern-Peripherie- und Intraperipherie-Handel auf den Austausch von
unterschiedlichen Waren stützt. Die Brennpunkte des Welthandels sind die Kerngebiete, in
denen das Netz des Warenaustauschs und damit das Verkehrsnetz am dichtesten ist. Der
Handel der Peripherie beschränkt sich weitgehend auf den Austausch mit Kerngebieten,
weshalb auch das Verkehrsnetz zur Bewältigung des Kern-Peripherie-Handels entsprechend
ausgestaltet ist.

14
2.3.3
Weltstädte, Global Cities und Steuerungszentralen
,,There are certain great cities in which a quite disproportionate part of
the world's most important business in conducted" (H
ALL
1984: 1).
Aus der Analyse der international bedeutendsten Städte leitet F
RIEDMAN
ein System aus pri-
mären und sekundären Weltstädten ab, um eine Verbindung zwischen städtischer und
weltwirtschaftlicher Entwicklung ableiten zu können (F
RIEDMAN
1986: 69). Als ,,Global city"
bezeichnet S
ASSEN
Knotenpunkte der Weltwirtschaft in Bezug auf Weltfinanz- und speziali-
sierte Serviceleistungen, auf die Produktion von Innovationen sowie internationale Märkte für
Innovationen und Produkte. Diesen neuen Stadttyp verkörpern nach S
ASSEN
allen voran
New York, London und Tokio. Sie betont ferner, dass Global Cities nicht einfach als Ergebnis
einer ,,global economic machine" zu begreifen sind, sondern als ,,specific places whose spa-
ces, internal dynamics, and social structure matter" (S
ASSEN
1991: 3f.). S
ASSEN
s Augenmerk
liegt auf der Rolle der genannten Städte hinsichtlich der Organisation des globalen Produkti-
onssystems und den globalen Finanzmärkten. Indem die Global Cities sowohl
Produktionssysteme als auch die Finanzmärkte steuern, üben sie globale Kontrolle aus
(ebd.: 6). Des Weiteren wirft sie die Frage auf, ob der Trend der Dezentralisierung in Hinblick
auf Betriebe, Büros und Dienstleistungen ­ einhergehend mit der Ausweitung zentraler Funk-
tionen als Reaktion auf eben jene dezentralisierte Organisation der Firmen ­ nicht auch das
Aufkommen von ,,regional subcenters" begünstigt, das heißt kleineren Städten auf einer nied-
rigeren Stufe der urbanen Hierarchie (ebd.: 8).
Meist wird jedoch der Begriff Weltstadt (world city) synonym mit Global City verwendet. K
NOX
&
M
ARSTON
weisen darauf hin, dass seit der Ausbildung des Weltsystems im 16. Jahrhundert
zu jeder Zeit bestimmte ,,'world cities', oder ,global cities'" existierten, ,,die weit über nationale
Grenzen hinaus eine Schlüsselstellung besaßen" (K
NOX
& M
ARSTON
2001: 515). Neben der
Organisation des Handels galten sie in früheren Jahrhunderten als Zentren kolonialer, impe-
rialer und geopolitischer Interessen. Auch K
ULKE
verwendet die Begriffe ,,world cities" und
,,global cities" synonym und kennzeichnet letztere als Steuerungs- und Kontrollzentralen der
globalen wirtschaftlichen Aktivitäten (K
ULKE
2004a: 235). Weltstädten und Global Cities wer-
den bestimmte Merkmale zugesprochen, die sich zum Teil überschneiden
(vgl. Textblock 1).

15
Textblock 1: Merkmale von Weltstädten und Global Cities
Der Begriff ,,Steuerungszentrale" stammt von R
ITTER
, der ihn erstmals bei einer Untersu-
chung über Österreich anwendete. Er beschreibt Steuerungszentralen als
,,Standorte, von denen aus alle übrigen Orte, Subregionen und Ein-
zelwirtschaften vorgefertigte Entscheidungen, Handlungsan-
weisungen oder Entscheidungsimpulse in Form von Information be-
ziehen, und von wo aus auch eine gewisse Kontrolle der Entwicklung
der Subsysteme ausgeht" (R
ITTER
1998: 179).
R
EBITZER
greift die Thematik auf, indem er untersucht, inwiefern man in ökonomischen Welt-
systemen von Steuerungszentralen sprechen kann (R
EBITZER
1995: 1). Ausgangspunkt für
seine Überlegungen sind die Weltwirtschaften als ,,höchstrangige Umsysteme" der Steue-
rungszentralen. Innerhalb der Weltwirtschaften nehmen die Steuerungszentralen die
Führungsposition ein. Angesichts der Komplexität beschränkt sich R
EBITZER
auf den für
Steuerungszentralen relevanten Bereich der höchstrangigen Wirtschaftsdienste, die er als
funktionale Steuerungssysteme auffasst und dem ,,Internationalen Management Subsystem"
unterordnet (ebd.: 44f.):
· Steuerungssystem der Weltproduktion: für das Management der Güterproduktion.
· Steuerungssystem der Weltfinanzen: für das Management der monetären Ströme.
· Steuerungssystem von Welthandel, -verkehr und -kommunikation: für das Management
der nicht-monetären Ströme, insbesondere für Güterströme und Informations- und Daten-
fluss.
Abgrenzungskriterien für Weltstädte nach F
RIEDMAN
(1986: 72):
· größeres Finanzzentrum
· Firmenzentralen multinationaler Unternehmen einschließlich regionaler Zentralen
· internationale Organisationen
· starkes Wachstum der unternehmensorientierten Dienstleistungen
· bedeutendes Industriezentrum
· größerer Verkehrsknotenpunkt
· hohe Bevölkerungszahl
Merkmale von Global Cities (K
NOX
& M
ARSTON
2001: 517):
· Standorte für global gehandelte Wirtschaftsgüter und Warentermingeschäfte, Investitionen, De-
visen, Aktien und Anleihen
· Standorte von Clustern hoch spezialisierter unternehmensorientierter Dienstleistungen (v.a.
Finanzen, Controlling, Werbung etc.)
· Standorte der Headquarter von TNU
· Standorte nationaler und internationaler Handelszentralen
· Standorte der meisten führenden NGOs und zwischenstaatlichen Organisationen
· Standorte der mächtigsten und international einflussreichsten Medienkonzerne

16
· Steuerungssystem der Weltpolitik: für das Management des wirtschaftlichen Umfeldes.
Die genannten Steuerungssysteme bilden das Analyseraster, mit Hilfe dessen R
EBITZER
die
Triaderegionen Nordamerika, Europa und Japan untersucht. Für die genannten Triadenre-
gionen entwickelt er eine Hierarchie der Steuerungszentralen (vgl. Abb. 4), deren Spitzen
London (Westeuropa), New York (Nordamerika) und Tokio (Japan) bilden. R
EBITZER
berück-
sichtigt zudem ,,die Geburt einer chinesischen Weltwirtschaft", die er als ,,System in der
Genese" begreift (R
EBITZER
1995: 247f.).
Quelle: R
EBITZER
(1995: 248)
Abb. 4: Hierarchie der Steuerungszentralen in den heutigen Weltwirtschaften
nach R
EBITZER
2.4 Zusammenfassung
Das Ziel des Kapitels war es einen konzeptionellen Rahmen hinsichtlich einer strukturellen
Annäherung an das Weltwirtschaftssystem zu bilden. Die Konzepte wurden immer wieder
kritisiert, erweitert, verglichen und miteinander verbunden, worauf im Folgenden eingegan-
gen wird.
T
ERLOUW
legt die Weltsystemtheorie nach W
ALLERSTEIN
seiner Arbeit ,,The regional geogra-
phy of the world system" (1992) zugrunde und sieht darin eine Möglichkeit die regionale
Geographie zu revitalisieren. Zwei Fragen sind für ihn dabei von zentraler Bedeutung: Die
Frage nach den externen Grenzen des Weltsystems, mit anderen Worten sind alle Staaten
Teil des gleichen Weltsystems? Und die Frage nach der internen Abgrenzung im Weltsys-
tem, das heißt wer gehört zum Kern, zur Semiperipherie, Peripherie? T
ERLOUW
betont, dass
der Handel ­ genauer gesagt das Handelsvolumen und die Persistenz der Handelsbezie-
hungen ­ als Ausdrucksform der geographischen Arbeitsteilung entscheidend für die
Einbindung in das Weltsystem ist (1992: 80, 192). W
ALLERSTEIN
postuliert nur
ein
Weltsys-
tem, welches er als das kapitalistische Weltsystem bezeichnet. T
ERLOUW
stellt dies nicht in
Frage, er zweifelt jedoch daran, dass alle Staaten Teil dieses Weltsystems sind:

17
,,States are incorporated into the world-system to widely differing de-
grees. It is therefore better to think of the world-system as a diffuse
entity with varying degrees of integration and even isolated pockets"
(ebd.: 192).
Er kritisiert damit implizit W
ALLERSTEIN
s Konzeption, die er als zu formal und zu rigide an
Raum und Zeit gebunden sieht. Die Staaten sind jedoch gemäß T
ERLOUW
nicht nur in unter-
schiedlichem Maße in das Weltsystem integriert ­ oder eben nicht ­ sie gehören auch den
unterschiedlichen Positionen des Kerns, der Semiperipherie oder der Peripherie an (ebd.:
191). Als Kern bezeichnet er Nordamerika, Europa und Nordostasien. Die ,,stable semiperi-
phery" bilden lateinamerikanischen Staaten wie Mexiko und Kolumbien, aber auch Staaten
des Nahen-/Mittleren Ostens, zu denen T
ERLOUW
unter anderen die Türkei, Syrien und den
Iran zählt. Die ,,upwardly mobile semiperipheral states" sind auf der Welt verteilt, Beispiele
sind Griechenland, Thailand und Südkorea. Des Weiteren unterscheidet er auch zurückfal-
lende semiperiphere Staaten, wie Südafrika oder Staaten in Osteuropa. Auch die Peripherie
unterteilt T
ERLOUW
in stabile und zurückfallende periphere Staaten. Zu ersteren zählt er zent-
ralamerikanische Staaten, zu letzteren beispielsweise Zentralafrika.
R
ITTER
kritisiert die bei W
ALLERSTEIN
hervorgehobene kausale Beziehung zwischen der
Stärke der Kernräume und der Schwäche der Peripherie. Aus kaufmännischer Sicht sei dies
falsch, da im Handel der Vorteil des Partners langfristig auch der eigene sei (1994: 113).
R
EBITZER
bevorzugt B
RAUDEL
s Ansatz, da er im Gegensatz zu seinem Schüler W
ALLERSTEIN
mehrere autonome Weltwirtschaften koexistieren lässt. Schließlich existiere in der Realität
nicht eine homogene Region einer Weltwirtschaft (1995: 9). In den Augen von K
NOX
&
A
GNEW
repräsentiert die Aufteilung der Welt in eine Kernregion, Semiperipherie und Periphe-
rie mehr als nur eine alternative Länderklassifikation: ,,it is a reflection of a particular
conception of the dynamics of the world economy" (1998: 61).
B
RAUDEL
s Weltwirtschaften enden im ,,no man's land" oder in der ,,no man's sea" (1986: 23),
das heißt in wenig belebten Gebieten mit natürlichen Hindernissen. R
ITTER
erweitert den
Ansatz, indem er am Außenrand zweier Weltwirtschaften ,,Überschneidungs- und Kontaktpe-
ripherien" postuliert, durch die sich ein Transithandel ­ wenn auch in geringem Umfang ­ mit
Produkten der Kernräume und Raritäten der jeweiligen Peripherien und Semiperipherien
zwischen den Polen der großen Handelszentren bewegt (1994: 113).
Als auffällige Gemeinsamkeit kann man festhalten, dass alle dargelegten Konzepte mehr
oder weniger explizit das Bild einer tripolaren Struktur der Weltwirtschaft entwerfen, mit den
Kernregionen Nordamerika, Europa und Ostasien. Dabei sind die Primärstädte von
F
RIEDMAN
beispielsweise mit den Zentren der B
RAUDEL
schen Weltwirtschaften, seine Se-
kundärstädte mit dessen Relaisstädten vergleichbar (R
EBITZER
1995: 13). O
HMAE
s Triade
hingegen besteht zwar aus Kerngebieten auf drei Kontinenten, bildet aber nicht drei Welt-
wirtschaften im Sinne B
RAUDEL
s, sondern nur eine (R
ITTER
1994: 151). An F
RIEDMAN
s ,,world

18
city hypothesis" kritisiert R
EBITZER
dessen Beschränkung auf marktwirtschaftliche Länder,
die er nach der Einkommensklassifikation der Weltbank einordnet und damit Städte in ärme-
ren Regionen unberücksichtigt lässt. Auch in China, Indien und Russland könnten sich
Weltstädte herausbilden, ebenso in dem arabischen Raum, der aufgrund seiner nicht
marktwirtschaftlichen Wirtschaftsform durch das Raster falle (R
EBITZER
1995: 13).
G
ROTEWOLD
s Ansatz ist deshalb bemerkenswert, da er eine Antwort auf die Frage gibt, war-
um überhaupt die Staaten der Triade miteinander Handel betreiben, wenn sie doch auch
alles selbst herstellen könnten. Auffällig ist, dass diese Länder vornehmlich Waren austau-
schen, die in die gleichen Kategorien der internationalen Güterbewegung fallen. Sie haben
den gleichen Verwendungszweck, sind aber von unterschiedlichen Herstellern und damit
differenziert nach Machart, Design und Marke (R
ITTER
1994: 152).
Wenn O
TREMBA
1978 schreibt, dass China bislang aus eigener Kraft seine Fensterseite,
sprich die maritim orientierte Küstenregion, nicht ausnutzen konnte, dann zeigt dies, welche
Umbrüche in der Zwischenzeit stattgefunden haben. Chinas Bedeutung hat sich nicht zuletzt
gerade wegen der maritimen Ausrichtung seiner Weltwirtschaft entscheidend gewandelt.
Was ist geschehen?

19
3 Globalisierung der Weltwirtschaft
Nur wenige Jahre nach O
TREMBA
s Veröffentlichung wurde angesichts der rasanten Entwick-
lungen in der Weltwirtschaft der Begriff ,,Globalisierung" in die wissenschaftliche Diskussion
implementiert. Der Begriff erlebte eine steile Karriere, indem er schnell die Grenzen der wirt-
schaftswissenschaftlichen Betrachtung überwand und in zahlreichen wissenschaftlichen
Disziplinen Eingang fand. Nach dem Ende des Kalten Krieges und damit nach der Auflösung
der starren politischen Blöcke sowie dem Aufkommen neuer Informationstechnologien ­ an
erster Stelle ist die Verbreitung des Internets zu nennen ­ entwickelte der Begriff Globalisie-
rung eine Eigendynamik, die nicht zuletzt auch durch dessen große Resonanz in den Medien
und der Öffentlichkeit entfacht wurde. Ziel des folgenden Kapitels ist es, grundlegende Zu-
sammenhänge zwischen Globalisierung und Weltwirtschaftssystem aufzuzeigen.
3.1 Problematisierung der Globalisierung
,,Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte ­ missbrauchte
­ und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste,
nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit)Wort
der letzten, aber auch der kommenden Jahre" (B
ECK
1997: 42).
Die Einschätzung des Soziologen B
ECK
verweist auf die Problematik ,,eines der wahrschein-
lich kontroversesten debattierten gegenwärtigen Phänomene" (B
ATHELT
& G
LÜCKLER
2003:
263) ­ bereits die Bezeichnung ,,Phänomen" steht für etwas schwer fass- und definierbares.
Die Darstellung der Zusammenhänge von Globalisierung und Weltwirtschaftssystem und
nicht zuletzt die Frage nach Gewinnern und Verlierern der Globalisierung erfordert jedoch die
Auseinandersetzung mit dem, was unter Globalisierung zu verstehen ist. Nach D
ICKEN
(2004: 5) ist ,,Globalisierung" in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen ,,in a
rhetorical
or
discursive
sense", zum anderen ,,in a
material
sense". Ersteres bezieht sich auf die Frage
nach dem Bedeutungsinhalt des Begriffes ,,Globalisierung", zweiteres auf die Auswirkungen
von ,,Globalisierung", wobei beide Aspekte miteinander verbunden sind, da sich beschriebe-
ne Auswirkungen auf ein spezifisches Verständnis dessen berufen müssen, was man mit
Globalisierung meint.

20
3.1.1
Der problematische Begriff Globalisierung
Globalisierung scheint allgegenwärtig. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht das
Wort ,,Globalisierung" in den Medien auftaucht (vgl. Abb. 5).
Quelle: Enquete-Kommission 2002: 49
Abb. 5: Die Karriere des Wortes ,,Globalisierung"
Eine kaum überschaubare Flut von Veröffentlichungen trägt zu dem geradezu inflationären
Gebrauch des Begriffs Globalisierung bei, dem dadurch droht zu einem ,,catch-all-term" deg-
radiert zu werden, ,,used by many to bundle together virtually all the ´goods´ and ´bads´ of
contemporary society", mit anderen Worten in der Bedeutungslosigkeit zu versinken (D
ICKEN
2004: 5). Der zu Beginn des Kapitels zitierten Aussage B
ECK
s ist deshalb nur teilweise zu-
zustimmen, da der Begriff Globalisierung heute keineswegs mehr ,,seltenst definiert" ist. Als
Folge der interdisziplinären Beschäftigung mit Globalisierung existiert eine Vielzahl von Defi-
nitionen, die unterschiedliche Aspekte berücksichtigen. Während Wirtschaftswissenschaftler
die Internationalisierung der Produktion und die Entgrenzung des Welthandels in den Mittel-
punkt der Betrachtung stellen, betonen Sozialwissenschaftler die Vermehrung und
Verdichtung sozialer Beziehungen auf transnationaler Ebene sowie die Herausbildung einer
Weltgesellschaft, Politikwissenschaftler den tendenziellen Bedeutungsverlust der National-
staaten, Kulturwissenschaftler die Homogenisierung der Kulturen (N
USCHELER
2005: 52f.).
Ein neuer Begriff für eine Struktur, die schon seit Jahrhunderten existiert?
Die Frage richtet den Fokus auf den zentralen Streitpunkt in der Diskussion um den Bedeu-
tungsinhalt von ,,Globalisierung": Befinden wir uns in einer Phase der weltwirtschaftlichen ­
aus Sicht anderer Disziplinen gesellschaftlichen, politischen, ökologischen usw. ­ Entwick-
lung, die sich fundamental von früheren Phasen der Entwicklung unterscheidet und damit im
Sinne einer Zäsur eine neue Ära rechtfertigt? Eine Analyse der weltweiten Verflechtungen ist
bereits bei Karl M
ARX
in seinem Kommunistischen Manifest zu lesen, die er vor über 150
Jahren verfasst hat:

21
,,Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Pro-
duktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. (...)
Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden
noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien,
deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird,
durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den
entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren
Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zu-
gleich verbraucht werden. (...) An die Stelle der alten lokalen und
nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allsei-
tiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.
Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion"
(M
ARX
& E
NGELS
1848/1967: 16f.).
Den Begriff ,,Globalisierung" kannte M
ARX
selbstverständlich nicht. Seine Analyse, von dem
klassenkämpferischen Grundton abgesehen, deckt sich allerdings mit vielem, was man heu-
te zum Thema lesen kann. So genannte Globalisierungsskeptiker verweisen auf die
Expansion des kapitalistischen Weltsystems seit dem 16. Jahrhunderts, wie es vor allem
W
ALLERSTEIN
expliziert hat (vgl. Kap. 2.1.1.2) oder auf die Phase des Imperialismus vor
1914, in der ein funktionierender Weltmarkt, freier Welthandel, ungehinderter Kapitalverkehr,
Wanderungsbewegungen, multinationale Konzerne, internationale Arbeitsteilung sowie ein
Weltwährungssystem bereits existierten (M
ÜLLER
-M
AHN
2002: 4; O
STERHAMMEL
&
P
ETERSSON
2006: 15). Globalisierung sei deshalb nichts Neues, im Gegenteil, um 1900 sei
die Welt viel stärker globalisiert gewesen als heute (D
ICKEN
2004: 8; T
HUROW
2004: 23). Der
,,Mythos"
3
Globalisierung erhebe Anspruch auf Einmaligkeit, die realiter nicht gegeben sei.
N
ASSEHI
sieht in ,,Globalisierung" eher ein ,,kognitives Schema", das spezifisch Neue sei die
Art und Weise, wie man die Welt beobachte (N
ASSEHI
1999: 26).
3.1.2
Das Problem Globalisierung
Jenseits der Kontroverse darüber, was mit dem Begriff ,,Globalisierung" genau gemeint ist,
stehen nicht definitorische Probleme im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern Globalisierung
als Problem an sich. Im Sinne von D
ICKEN
s ,,
material
sense" sind es nun die Auswirkungen
der Globalisierung, an denen sich die Kontroverse entfacht. Es stehen sich dabei zwei Lager
gegenüber, welche Dehesa als ,,globaphiles" beziehungsweise ,,globaphobes" bezeichnet
(D
E LA
D
EHESA
2006: Einleitung, S. X). Während erstere ,,eine neue Ära von Wachstum und
Wohlstand" begrüßen, sehen sich Globalisierungsgegner der globalen ,,Herrschaft des Groß-
kapitals der westlichen Länder zum Nachteil von Demokratie, Arbeitnehmerrechten, armen
Ländern überhaupt und des globalen Ökosystems ausgesetzt" (O
STERHAMMEL
& P
ETERSSON
2006: 11). Die einen verbinden mit Globalisierung Aufbruchstimmung, für andere erscheint
sie als äußere Bedrohung, die Angstgefühle auslöst. Nicht selten scheint die Grenze zwi-
3
Hirst, P (2000): The Myth fo Globalization. In: M. Vellinga (Hrsg.): The Dialectics of Globalization. Regional Res-
ponses to World Economic Processes: Asia, Europe, and Latin America in Comparative Perspective. Boulder.
Oxford: 17-30.

22
schen Befürwortern und Kritikern einer Aufteilung der Lager in Wirtschaftswissenschaftler
und Sozialwissenschaftler zu entsprechen (vgl.
Textblock 2).
Textblock 2: Lob und Kritik an der Globalisierung
Grundlegendes Problem der Globalisierungsdebatte ist die fehlende theoretische Basis, auf
die man sich gemeinsam beziehen könnte (S
CHAMP
1996: 206; M
ÜLLER
-M
AHN
1999: 4). Der
Grund dafür ist die Komplexität des Forschungsbereichs. Das Spektrum dessen, was heute
alles in die Globalisierungsdebatte miteinbezogen wird ist so breit, dass es eine Metatheorie
gar nicht geben kann. Daher existiert eine Vielzahl von Ansätzen aus unterschiedlichen wis-
senschaftlichen Disziplinen nebeneinander. Es ist deshalb sinnvoll, zwischen verschiedenen
Dimensionen der Globalisierung zu differenzieren: ökologische, politische, kulturelle, kom-
munikationstechnologische, ökonomische etc. (G
ROTZ
2003: 3). Im Mittelpunkt der
vorliegenden Arbeit stehen ökonomische Aspekte der Globalisierung, genauer gesagt wirt-
schaftsgeographische Aspekte, die im Folgenden erläutert werden.
3.2 Konzeption von Globalisierung
Die Darstellung der Problematik um den Begriff ,,Globalisierung" hat gezeigt, dass dieser
aufgrund seiner allseitigen und oft auch unreflektierten Verwendung Spielraum für Interpreta-
tionen offen lässt, die nicht selten mit partikularen Interessen verbunden sind. Infolge dessen
und mit Hinsicht auf die zentrale Fragestellung der Arbeit ist die Erläuterung eines Konzeptes
von Globalisierung notwendig, welches schließlich die Grundlage der Arbeit bildet.
S
TIGLITZ
(2002: 18):
,,Weshalb ist die Globalisierung ­ als eine Kraft, die so viel Gutes bewirkt hat ­ mittlerweile so
heftig umstritten? Die Volkswirtschaft vieler Länder ist dank der Öffnung ihrer Märkte für den
internationalen Handel sehr viel schneller gewachsen, als es ansonsten der Fall gewesen wäre.
Der Welthandel fördert die ökonomische Entwicklung, wenn die Exporte eines Landes die treiben-
de Kraft seines Wirtschaftswachstums sind. Exportinduziertes Wachstum war das Kernstück der
Industriepolitik, der Millionen von Menschen in Asien ihren Wohlstand verdanken. Aufgrund der
Globalisierung leben viele Menschen auf der Welt heute länger als früher, und ihr Lebensstandard
ist deutlich höher. Menschen im Westen halten die niedrig bezahlten Arbeitsplätze bei Nike viel-
leicht für reine Ausbeutung, aber viele Menschen in den Entwicklungsländern stellen sich deutlich
besser, wenn sie einen Job in einer Fabrik ergattern, als wenn sie weiterhin in der traditionellen
Landwirtschaft tätig sind."
E
SCHER
(1999: 659):
,,Die Globalisierung ist ein ,Projekt' der Ersten Welt. Die Akteure und Institutionen vereinheitlichen
durch Neoliberalismus und mit Hilfe der digitalen Revolution die Handels- und Finanzmärkte der
Welt, deregulieren Produktionsprozesse, treiben den Rückzug des Staates aus vielen öffentlichen
Bereichen voran und setzen die Privatisierung von industriellen Schlüsselunternehmen auch in
der Dritten Welt im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank bzw. IWF durch."

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836624480
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz – Geowissenschaften, Geographie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
globalisierung weltwirtschaft welthandel dubai mittlerer osten
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Titel: Gewinner der Globalisierung? Die Bedeutung von Dubai im Weltwirtschaftssystem
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