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Der psychoanalytische Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung nach Freud und seine Anwendung in der Sozialen Arbeit

©2008 Diplomarbeit 84 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Eine Grundannahme der Psychoanalyse ist die Annahme des Bestehens und Wirkens unbewusster Prozesse. Damit ist gemeint, dass menschliches Erleben, Selbsterleben und Verhalten nicht nur von unbewussten Intentionen, sondern auch von unbewussten oder genauer von unbewusst gewordenen Erfahrungen, Wünschen oder Ängsten bestimmt wird.
Diese Grundannahme der Psychoanalyse, wie sie vor allem von Stemmer-Lück vertreten wird, ist eine entscheidende Basis der vorliegenden Arbeit. In dieser werden psychoanalytische Grundannahmen und Themen aufgezeigt und miteinander verglichen. Im Hauptteil wird sich besonders dem psychoanalytischen Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung nach Freud gewidmet.
Dieser Bereich der Psychoanalyse bildet das Herzstück dieser Arbeit. Es wird ausführlich über die Theorie des Ansatzes gesprochen, bevor im Weiteren die Anwendung in der Sozialen Arbeit tiefgründiger erörtert wird.
Ziel dieser Ausarbeitung ist es, die Anwendung des psychoanalytischen Ansatzes in der Sozialen Arbeit darzulegen. Ebenso soll geklärt werden, inwieweit heutige Sozialarbeiter mit der Theorie der Übertragung und Gegenübertragung vertraut sind und wie sich die Umsetzung in der Praxis gestaltet.
Hierfür wird schließlich ein Ausblick für die Soziale Arbeit angeführt, der auf Basis einer wissenschaftlichen Erhebung innerhalb dieser Arbeit aufgestellt wird.
In Kapitel 2 werden zunächst die Grundbegriffe und das Wesen der Psychoanalyse erläutert, um dem Leser einen Überblick zu verschaffen, mit dem er Gedankengänge, die innerhalb dieser Arbeit aufgestellt werden, zu verstehen vermag.
Im Folgenden wird in Kapitel 3 der Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung dargestellt. Es werden hierzu Definitionen gegeben und diese mit Zugangspunkten in der Therapie verknüpft.
Der psychoanalytische Ansatz wird im Kapitel 4 mit der praktischen Anwendung in der Sozialen Arbeit zusammengeführt. Es wird überprüft, ob bereits eine Zusammenarbeit zwischen Psychoanalyse und Sozialer Arbeit besteht. Deshalb werden in der Folge praktische Anwendungsgebiete für den theoretischen Ansatz von Freud erschlossen sowie die Bedeutung für die Soziale Arbeit ersichtlich gemacht.
Nach der Darstellung der theoretischen Grundlagen werden die gewonnenen Erkenntnisse in Kapitel 5 mit Hilfe einer wissenschaftlichen Erhebung überprüft und evaluiert.
Anschließend werden im sechsten Kapitel die Folgen von misslungener Übertragung und Gegenübertragung anhand eines […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

Eine Grundannahme der Psychoanalyse[1] ist die „Annahme des Bestehens und Wirkens unbewusster Prozesse. Damit ist gemeint, dass menschliches Erleben, Selbsterleben und Verhalten nicht nur von unbewussten Intentionen, sondern auch von unbewussten oder genauer von unbewusst gewordenen Erfahrungen, Wünschen oder Ängsten bestimmt wird.“[2]

Diese Grundannahme der Psychoanalyse, wie sie vor allem von Stemmer-Lück[3] vertreten wird, ist eine entscheidende Basis der vorliegenden Arbeit. In dieser werden psychoanalytische Grundannahmen und Themen aufgezeigt und miteinander verglichen. Im Hauptteil wird sich besonders dem psychoanalytischen Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung nach Freud gewidmet.

Dieser Bereich der Psychoanalyse bildet das Herzstück dieser Arbeit. Es wird ausführlich über die Theorie des Ansatzes gesprochen, bevor im Weiteren die Anwendung in der Sozialen Arbeit tiefgründiger erörtert wird.

Ziel dieser Ausarbeitung ist es, die Anwendung des psychoanalytischen Ansatzes in der Sozialen Arbeit darzulegen. Ebenso soll geklärt werden, inwieweit heutige Sozialarbeiter mit der Theorie der Übertragung und Gegenübertragung vertraut sind und wie sich die Umsetzung in der Praxis gestaltet.

Hierfür wird schließlich ein Ausblick für die Soziale Arbeit angeführt, der auf Basis einer wissenschaftlichen Erhebung innerhalb dieser Arbeit aufgestellt wird.

In Kapitel 2 werden zunächst die Grundbegriffe und das Wesen der Psychoanalyse erläutert, um dem Leser einen Überblick zu verschaffen, mit dem er Gedankengänge, die innerhalb dieser Arbeit aufgestellt werden, zu verstehen vermag.

Im Folgenden wird in Kapitel 3 der Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung dargestellt. Es werden hierzu Definitionen gegeben und diese mit Zugangspunkten in der Therapie verknüpft.

Der psychoanalytische Ansatz wird im Kapitel 4 mit der praktischen Anwendung in der Sozialen Arbeit zusammengeführt. Es wird überprüft, ob bereits eine Zusammenarbeit zwischen Psychoanalyse und Sozialer Arbeit besteht. Deshalb werden in der Folge praktische Anwendungsgebiete für den theoretischen Ansatz von Freud erschlossen sowie die Bedeutung für die Soziale Arbeit ersichtlich gemacht.

Nach der Darstellung der theoretischen Grundlagen werden die gewonnenen Erkenntnisse in Kapitel 5 mit Hilfe einer wissenschaftlichen Erhebung überprüft und evaluiert.

Anschließend werden im sechsten Kapitel die Folgen von misslungener Übertragung und Gegenübertragung anhand eines Beispiels dargestellt und bewertet.

Die Legitimität der Anwendung des Ansatzes der Übertragung und Gegenübertragung in der Sozialen Arbeit wird in Kapitel 7 dargelegt. Einher geht hier die Frage, ob und wenn ja, was für eine Zusatzausbildung ein Sozialarbeiter innehaben sollte, um bei vorkommenden Übertragungen richtig und adäquat reagieren und die Eindrücke und Einblicke in das Bewusstsein des Gegenübers richtig deuten und behandeln zu können.

Kapitel 8 enthält schließlich ein Fazit dieser Ausarbeitung sowie einen Ausblick auf die Soziale Arbeit auf Basis der dargestellten Erkenntnisse.

2. Grundbegriff Psychoanalyse

In diesem Kapitel wird der Begriff „Psychoanalyse“ definiert und auf seine wichtigsten Aspekte eingegangen. Darüber hinaus wird das Konzept der Psychoanalyse in einen wissenschaftlichen Kontext eingeordnet und eine Aufstellung seiner Grundannahmen durchgeführt.

2.1. Der Grundbegriff

Im Folgenden wird eine Definition von Psychoanalyse gesucht. In der Fachliteratur hat sich hierzu bisher noch keine einheitliche Definition durchgesetzt.[4]

Für diese ist es notwendig, die Stellung der Psychoanalyse innerhalb der Wissenschaftsprofessionen zu erkennen, darzustellen, und zu beachten wie andere Wissenschaftler bisher Psychoanalyse definiert haben. Ebenso ist es notwendig, dass hier beachtet wird, welcher Disziplin der Definitionsgeber angehört. Wichtig ist hier, aus welcher Sicht er spricht, denn diese sind je nach Profession doch sehr einseitig und festgeschrieben.[5]

Laut Stemmer-Lück ist eine genaue Definition von Psychoanalyse schwierig, da sie ein „umfassendes, schillerndes „Wesen“ ist, welches sich seit der Gründung von Vater Freud[6] enorm weiter entwickelt und ausdifferenziert hat, sich ständig verändert und sich je nach Betrachtungswinkel anders darstellt.“[7]

Eben dieser Begründer Sigmund Freud[8] sagte über die Psychoanalyse, dass es in der analytischen Behandlung um nichts anderes gehe, als um einen Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt. Der Patient[9] erzähle hierbei von vergangenen Erlebnissen und gegenwärtigen Eindrücken, und bekennt im besten Falle seine Wünsche und Gefühlsregungen. Der Arzt versuche die Gedankengänge des Patienten zu dirigieren, „gibt ihm Aufklärungen und beobachtet die Reaktionen von Verständnis oder von Ablehnung, welche er so bei dem Kranken hervorruft.“[10]

Der Aspekt, der für eine Definition unablässig ist, ist der, dass die Entwicklung eines Menschen ein lebenslanger Prozess ist, der ständig und in unmittelbaren Zusammenhang mit der Beziehung und indirekt auch mit gesellschaftlichen Aspekten vor sich geht. Die Entwicklung der Psyche erschließt sich daher aus differenzierten Prozessen die nicht abgeschlossen werden, sondern sich in einem ständigen Wandel befinden.

Eine genaue, eindeutige Definition kann aber auch hier nicht gegeben werden.

2.2. Die Stellung innerhalb der Wissenschaften

Um den Begriff der Psychoanalyse besser verstehen zu können, ist die Darstellung ihrer Stellung innerhalb der Wissenschaften unabdingbar.

Die Psychoanalyse bewegt sich auf dem Grenzgebiet verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Daher werden in diesem Abschnitt die unterschiedlichen Verständnisse des Konzepts Psychoanalyse verschiedener Disziplinen beleuchtet.

Einige Wissenschaftler ordnen die Psychoanalyse in einem Dreieck zwischen den Wissenschaften Biologie, Soziologie und Psychologie an, laut Kutter bspw. stelle sich die Psychoanalyse in der Form von sich überschneidenden Kreisen dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1: Die Psychoanalyse als System zwischen den Systemen benachbarter Wissenschaften[11]

Kutter ist der Meinung, dass sich die Psychoanalyse als ein System zwischen diesen drei Einzelsystemen befinde, jedoch nicht als identisch mit einer dieser Wissenschaftsrichtungen einhergehe.

Dass die Psychoanalyse wie im Schaubild in der Mitte der drei Wissenschaften angesiedelt ist und somit offensichtlich auch ein direkter Bezug zu jeder einzelnen bestehe, lasse sich folgendermaßen erklären:

- Biologische Prozesse bestimmen die Entwicklungsphasen eines Menschen. So durchleben Menschen im Laufe ihrer Jugend z.B. hormonelle Veränderungen, die den Körper als auch das Verhalten prägen.
- Ebenso werden das Verhalten und das Sein des Menschen durch soziologische Prozesse geformt und beeinflusst. Für den Menschen sind soziologische Einflüsse wie das Lebensumfeld sowie die gesellschaftlichen Gegebenheiten unabdingbar für die ständige Neubildung seines Charakters einzubeziehen. Die Veränderung des Menschen geschieht hier permanent und in Interaktion zwischen dem Menschen und seinem Umfeld.
- In der Psychologie beschäftigt man sich ebenso wie in der Psychoanalyse mit dem menschlichen Erleben und Verhalten.

Somit ist der direkte Bezug zwischen der Wissenschaft, Psychologie und der Teilwissenschaft Psychoanalyse schon in seinen Grundsätzen gefunden. Das Erleben und Verhalten eines Menschen interagiert ständig untereinander und ist, wie schon angedeutet, ein lebenslanger Prozess, der einen Menschen prägt.

2.3. Die psychoanalytischen Grundannahmen

Psychoanalyse unterliegt wie alle Wissenschaftsdisziplinen einigen Grundannahmen, die prägend sind.

Zwei Grundannahmen, die für diese Arbeit wichtig erscheinen, werden nun erläutert.

Mit dem Zuordnen der Psychoanalyse zu benachbarten Wissenschaftsdisziplinen wird schon die erste Grundannahme deutlich:

„Menschliche Entwicklung geschieht in dem Zusammenwirken von Reifungsaspekten, mit Aspekten der Beziehung, welche auch gesellschaftliche Momente mit einschließen.“[12]

Diese Zusammenfassung von Stemmer-Lück zeigt erneut deutlich, wie die Psychoanalyse mit den drei genannten Wissenschaften verbunden ist und in ihnen interagiert.

Die „Reifungsaspekte“ sind Aspekte der Entwicklung, die der Biologie zuzuordnen sind. Der Mensch entwickelt sich weiter und verändert sich im Aussehen wie im Verhalten.

Der Grundaspekt der „Beziehung“ ist der Psychologie zuzuordnen, denn diese Wissenschaft befasst sich in ihren Grundsätzen genau mit diesen Beziehungen und Interaktionen.

Die „gesellschaftlichen Momente“, die in der Zusammenfassung zu den Aspekten der Beziehung genannt werden, lassen sich der Soziologie zuordnen. Diese befasst sich mit dem gesellschaftlichem Umfeld und der Beziehungsgestaltung innerhalb von diesem.

Eine weitere Grundannahme der Psychoanalyse beinhaltet das wie eingangs der Arbeit im Zitat schon erwähnte „Bestehen und Wirken unbewusster Prozesse.“[13]

Dieses bedeutet, dass nicht nur bewusste Intentionen unser Fühlen, Denken und Erleben steuern, sondern auch unbewusste Intentionen ihren Teil dazu beitragen. Wie dieses geschieht, wird in der Folge der Arbeit im Kapitel 3.2.1. expliziter erörtert und soll hier noch nicht vorweg genommen werden.

3. Darstellung der Übertragung und Gegenübertragung

Nachdem der Grundbegriff der Psychoanalyse erläutert und damit eine Grundlage aus der Wissenschaft geschaffen wurde, kann nun zur Übertragung und Gegenübertragung selbst übergegangen werden.

Zunächst wird ein geschichtlicher Grundriss zeigen, wann der Ansatz aufgekommen und näher untersucht wurde, bevor Definitionen ein klares Bild dessen geben sollen, was der Ansatz beinhaltet. Hierbei werden neben möglichen Zugangspunkten auch Anwendungsgebiete beim Klienten erläutert. In der Folge werden Beispiele die bisher erläuterten Punkte vertiefen.

3.1 Der geschichtlicher Grundriss

Sigmund Freud gilt als „Entdecker“ des psychoanalytischen Ansatzes der Übertragung und Gegenübertragung. Erstmals erwähnte er den Begriff der Übertragung 1895 in den „Studien über Hysterie“[14]. Damals war er den intensiven Beziehungsphantasien und auch drängenden Beziehungswünschen seiner damals überwiegend weiblichen Patienten begegnet. Dabei war er einerseits der Meinung, dass die Phantasien seine Behandlung behindern würden, andererseits glaubte er, dass sie bedeutsame Informationen enthielten, auch wenn sie augenscheinlich nur auf den Therapeuten[15] gerichtet waren. Freud nannte die Übertragungen seiner Patienten „falsche Verknüpfungen[16][17].

Freud betonte in der Folge, dass diese falschen Verknüpfungen nicht ausschließlich negativ zu bewerten seien, sondern richtig verstanden sogar für die Unterstützung der Patienten bei der Bewältigung ihrer Konflikte hilfreich sein könnten.

Um die Geschichte und eine Definition des Ansatzes der Gegenübertragung darzustellen, ist ein Zitat aus einem Freudschen Vortrag auf dem internationalen Psychoanalytischen Kongress in Nürnberg 1910 angebracht:

„ Wir sind auf die Gegenübertragung aufmerksam geworden, die sich beim Arzt durch den Einfluss des Patienten auf das unbewusste Fühlen des Arztes einstellt, und sich nicht weit davon, die Forderung zu erheben, dass der Arzt diese Gegenübertragung in sich erkennen und bewältigen müsse. Wir haben […] bemerkt, dass jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten.“[18]

Dieses soll noch keine Definition darstellen, da sich eine Erklärung, was Gegenübertragung nun bedeutet, im Kapitel 3.2.2. finden lässt.

Was Freud hier in seinem Vortrag das erste Mal öffentlich erwähnte, wird im Laufe des 20. Jahrhunderts ein Teil eines häufig angewandten psychoanalytischen Ansatzes. Im privaten Umfeld hatte Freud die Übertragung und Gegenübertragung schon bei einem Fall ins Gespräch gebracht, bei dem ein Therapeutenfreund Freuds eine Affäre mit seiner Patientin gehabt haben soll.

3.2. Die Definitionen

Die Wortwahl der Übertragung und Gegenübertragung lässt den Schluss zu, dass es sich um ein Paket von wechselseitigen Vorgängen handelt.

Das Phänomen der Übertragung und Gegenübertragung bedarf immer sehr intensiv menschlicher, im Sinne von Heilung geprägter, Beziehungen. So kann sie im Alltagsleben von Menschen wie auch in dafür geschaffenen Freiräumen, z.B. geplanten, inszenierten Gesprächen, zum Tragen kommen.

Um die Begriffe der Übertragung und Gegenübertragung bestmöglich darstellen zu können, lassen sich Definitionen aus dem therapeutischen Setting[19] verwenden. Hier herrscht das klassische Bild vom Therapeuten auf der einen, und dem Patienten auf der anderen Seite vor, wobei der Therapeut scheinbar gefühlsneutral und die emotionale Situation beherrschend über dem Patienten steht.

Um die Situation besser darzustellen, wird sie in der Folge am Beispiel eines Schaubildes visualisiert.

Hierbei ist der Therapeut größer dargestellt als der Patient. Dieses soll jedoch nicht den Eindruck einer Übermacht des Therapeuten zeigen.

3.2.1. Übertragung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 2: Übertragung visuell

Als Übertragung wird im psychoanalytischen Kontext ein Affekt verstanden, der bei einem Klienten im Zuge seiner Therapie vorkommen kann und aus der heutigen Sicht im besten Fall auch vorkommen sollte. Der Patient schildert dem Therapeuten Geschichten und Darstellungen aus seiner Vergangenheit und erfährt dadurch tief verborgene Gefühle und Empfindungen, die er vorher nicht klar definieren konnte.

In der Folge gilt es nun für den Therapeuten, die Empfindungen zu erkennen, sie zu benennen und zu ergründen, woher diese stammen.

Hierbei geht es um eine emotionale Bewusstmachung und Durcharbeitung der früheren Erfahrungen, nicht jedoch um eine rein kognitive Aufklärung. Es geht um Übertragung von Beziehungsmustern. Dabei müssen Gefühle nicht immer etwas mit dem Wert der Persönlichkeit des Menschen zu tun haben, sondern entstehen vielmehr dadurch, dass er „gerade jetzt eine bestimmte Beziehung erlebt, in der diese Gefühle wiedererwachen.“[20]

Da die vorher unbewussten und verborgenen Gefühle den Klienten bisher bedrückten, kann wie im Beginn dieses Kapitels der Übertragung von „sollte“ gesprochen werden, da mit der Übertragung eine Last von ihm abfallen kann.

Auch ist an dieser Stelle noch zu sagen, dass man in der Fachwelt zwischen positiver und negativer Übertragung unterscheidet. Bei positiver Übertragung ist es oft der Fall, dass Gefühle wie Liebe oder Zuneigung übertragen werden. Analog werden bei einer negativen Übertragung Hassgefühle und eben Abneigung übertragen und dem entsprechenden Gegenüber zu Teil.

Die Übertragung lässt sich darstellen als eine „Manifestation[21] des Unbewussten“[22].

Doch auf das Unbewusste als Erklärung für eine stattfindende Übertragung sollte noch tiefgehender eingegangen werden.

Das Unbewusste an sich ist eine psychoanalytische Abhandlung. Aus wissenschaftlicher Sicht konnte bewiesen werden, dass beim Menschen unbewusste Prozesse wirken und beständig sein können.

Die untenstehende Schautafel veranschaulicht grafisch die Einordnung des Unbewussten in den Kontext des gesamten Bewusstseins des Menschen. Sie wurde ursprünglich von Freud[23] erstellt und von Müller-Pozzi[24] neu modifiziert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Das topische Modell des Unterbewussten[25]

In dem Schaubild ist zu erkennen, dass zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein ein Vorbewusstsein herrscht. Dieses ist zunächst ebenso wie das Unterbewusstsein inaktiv, jedoch ständig abrufbar.

Es herrscht ein reger Fluss von Gedanken und Vorstellungen zwischen Vorbewusstsein und Bewusstsein, die beliebig hin und her geschoben werden können.

Zwischen Vorbewusstsein und Unterbewusstsein befindet sich jedoch eine Art Schranke, die nicht alles Vorbewusste in das Unterbewusstsein lässt. Bei allem, was unser Leben erheblich stören könnte oder beeinträchtigen würde, wird versucht, es gar nicht erst in das Unterbewusstsein zu lassen und es so bald wie möglich wieder aus dem Bewusstsein zu entfernen.

Die Verdrängung, welche sich auf das Unterbewusstsein bezieht, ist jedoch nun der Punkt, wo die Übertragung ansetzt, denn sie gelingt fast nie vollständig. Die unbewussten Gedanken kehren in Symptom, Traum, Fantasie als auch einer geplanten Inszenierung wie in der Therapie mit Übertragung und Gegenübertragung wieder.

Eben diese Inszenierung hat als Manifestation des Unbewussten bestand. Sie spielt eine wichtige Rolle innerhalb der Psychoanalyse in einem therapeutischen Setting und findet häufige Anwendung unter den Psychologen.

Doch hier ist unbedingt klarzustellen, dass eben eine solche Übertragung durch das Unbewusste auch alltäglich und zwischen allen Mitmenschen stattfinden kann und auch stattfindet.

So lässt sich herausstellen, dass es eine große Herausforderung ist, die Inhalte der Gespräche dem Unterbewussten zuordnen zu können und zu identifizieren, dass gerade eine Übertragung stattfindet.

Es wurde festgestellt, dass Übertragung vom Patienten bzw. Klienten ausgeht. Gegenübertragung hingegen spiegelt das genaue Gegenteil wider, also eine Übertragung vom Therapeuten auf den Patienten.

3.2.2. Gegenübertragung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 4: Gegenübertragung visuell

Als Gegenübertragung wird ein möglicher Verhaltenseffekt beim Therapeuten verstanden. Der Therapeut kann im Zuge einer Therapie Gefühle wie Hass oder Abneigung gegenüber dem Klienten entwickeln, die, ähnlich dem Gründen bei der Übertragung des Patienten, bisher verdrängt oder unbewusst waren. Durch bestimmte Äußerungen oder Gefühlsneigungen des Klienten können in dem Therapeut Neigungen oder Gefühle ausgelöst werden, die es zu verstehen gilt. Der Therapeut muss sich bewusst darüber werden, woher die auf diesen Gefühlen folgende Empfindung für den Klienten rührt.

Um an dieser Stelle zurück auf Sigmund Freud zu kommen, lässt sich erwähnen, dass die Gegenübertragung zu seiner Zeit noch als „unschicklich“[26] und die Therapie behindernd galt. Sie wurde als Gefühle des Therapeuten definiert, die aus seiner eigenen bewältigten Vergangenheit beruhen. Sie seien in der analytischen Situation zu unterdrücken, auch wenn sie als Resonanz auf das Gespräch mit dem Patienten entstünden.

Freud definiert die Gegenübertragung als einen „Einfluss des Patienten auf das unbewusste Fühlen des Arztes“[27]. Der Arzt[28] müsse diese Gegenübertragung in sich erkennen und bewältigen. Freud ist der Meinung, dass ein Psychoanalytiker nur so weit komme, wie seine inneren Widerstände und Komplexe dies zulassen. Er verlangt daher zunächst eine Selbstanalyse, die im Laufe der weiteren Erfahrungen mit dem Patienten vertieft werden sollen.

Doch trotz seiner dadurch ausgedrückten vorwiegend negativen Einstellung zur Gegenübertragung konnte Freud ihr auch etwas Positives und Hilfreiches abgewinnen:

„ […] Er [der Analytiker] soll dem gebenden Unbewussten des Kranken sein eigenes Unbewusstes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysanden einstellen, wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist […]“[29]

Freud sagt damit, dass der Analytiker sein Unbewusstes den unbewussten Gefühlen des Patienten öffnen solle, um so mehr in Erfahrung bringen zu können.

Er selbst war bis in die 50er Jahre der einzige Vertreter dieser Ansicht zur Gegenübertragung. Erst dann sollten Wissenschaftler dieses von Freud erläuterte Thema erneut aufgreifen. Bis dahin hielt sich die allgemein anerkannte Meinung, dass der Analytiker die Haltung als „vollkommen kühlen Objekt(s)“[30] einzunehmen hat.

Im Zuge der nächsten Jahre und im Wandel der Zeit änderte sich in den nächsten Annäherungen auch die Meinung über die negative Haltung, die Freud größtenteils aus ihr gezogen hatte.

Der Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung wird nun in Fachkreisen als sehr hilfreich empfunden, wenn er durch den Therapeuten verstanden und richtig angewandt wird. Er kann jedoch auch erneut als störend empfunden werden, wenn eben ein solches „Verstehen“ der auftretenden Gefühle durch den Patienten nicht entsteht.

Nur richtiges Deuten und richtige Anwendung lässt dem „Arbeits- Ich“ alle Chancen offen, richtig und für den Klienten zum Vorteil zu arbeiten und weiter zu analysieren.

Es muss „die Ersetzung des Unbewussten durch Bewusstes (…) sein“[31].

[...]


[1] Psychoanalyse ist der Name 1. eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind; 2. einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich auf diese Untersuchung gründet; 3. eine Reihe von psychologischen, auf solchem Wege gewonnenen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen, in:

Freud, Sigmund, gesammelte Werke, Band XIII, Jenseits des Lustprinzips und andere Arbeiten aus den Jahren 1920- 1924, Fischer Verlag, Auflage 7, Dezember 2005, S. 209- 233

[2] Stemmer-Lück, Magdalena, Beziehungsräume in der Sozialen Arbeit, Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in der Praxis, Kohlhammer Verlag, 2004, Stuttgart, S. 18

[3] Magdalena Stemmer-Lück, Dr. Dipl. Psychologin, Psychoanalytikerin

[4] Freud definiert bspw., dass „die Psychoanalyse“ […] ein Verfahren [sei], wie man nervös Kranke ärztlich behandelt,[…]“ - Freud, Sigmund, gesammelte Werke, Band XI, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Fischer Verlag, Auflage 7, Dezember 2005, S. 7 ; Salzberger-Wittenberg dagegen „[…] bezeichnet [in der Psychoanalyse] zum ersten ein System von Erkenntnissen und Theorien über psychische und emotionale Zustände und zweitens eine bestimmte Methode therapeutischen Vorgehens.“ Salzberger-Wittenberg, Isca, Die Psychoanalyse in der Sozialarbeit, Ernst Klett Verlag, 1973, Stuttgart, S. 9

[5] vgl. FN 4

[6] Freud erwähnte den Begriff der Übertragung 1895 in den „Studien über Hysterie“; vgl. FN 13

[7] Stemmer-Lück, Magdalena, Beziehungsräume in der Sozialen Arbeit, Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in der Praxis, Kohlhammer Verlag, 2004, Stuttgart, S. 15

[8] Sigmund Freud, (1859- 1939), bedeutender Tiefenpsychologe, Begründer vieler Psychoanalytischer Ansätze, einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts.

[9] Im therapeutischen Setting „Patient/in“, im sonstigen Setting „Klient/in“

[10] Freud, Sigmund, gesammelte Werke, Band XI, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Fischer Verlag, Auflage 7, Dezember 2005, S. 9

[11] Kutter, Peter, Moderne Psychoanalyse, Eine Einführung in die Psychologie unbewusster Prozesse, Klett- Cotta Verlag, Auflage 3, Juli 2000, S. 83

[12] Stemmer-Lück, Magdalena, Beziehungsräume in der Sozialen Arbeit, Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in der Praxis, Kohlhammer Verlag, 2004, Stuttgart, S. 17

[13] Ebenda, Stemmer-Lück, S. 18, bzw. S. 1 dieser Arbeit

[14] Breuer, Josef und Freud, Sigmund, Studien über Hysterie, Fischer Verlag, 6. Auflage, Frankfurt, Mai 1991

[15] Statt „Therapeut“ wird zeitweise, wenn es nicht nur rein um ein therapeutisches Setting geht, auch der Begriff „Analytiker“ verwendet.

[16] Emotionen werden falsch mit früheren, unbewussten Emotionen verbunden. Ort, Zeit und Situation stimmen nicht und werden von der früheren Situation auf die jetzige projiziert.

[17] Ebenda, Breuer und Freud, S. 66

[18] Studienausgabe Ergänzungsband, Schriften zur Behandlungstechnik, Fischer Verlag, Frankfurt, 2000, S. 126

[19] Das „Gesetzte“; „Vorausgesetzte“, in: Duden, 24. Auflage, Verlag Bibliographisches Institut, 2007

[20] Salzberger-Wittenberg, Isca, Die Psychoanalyse in der Sozialarbeit, Ernst Klett Verlag, 1973, Stuttgart, S. 23

[21] Manifestationen= Sichtbare oder erkennbare Dinge

[22] Stemmer-Lück, Magdalena, Beziehungsräume in der Sozialen Arbeit, Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in der Praxis, Kohlhammer Verlag, 2004, Stuttgart, S. 23

[23] Köhler, Thomas, Freuds Psychoanalyse, Eine Einführung, Kohlhammer Verlag, 2007, Stuttgart, S. 27

[24] Heinz Müller-Pozzi, Dr. Phil. , Psychoanalytiker

[25] Müller-Pozzi, Heinz, Psychoanalytisches Denken, eine Einführung, Huber Verlag, September 2002, Bern, S. 56 ; ebenso Koch, Karl, Gegenübertragungsanalyse, Vandenhoeck Verlag, Göttingen, 1993, S. 16

[26] Spengler, Katrin, Wagner, Sabine, Wenn der Spiegel lebt; Psychoanalytiker sprechen über Gegenübertragung, Wissenschaft und Praxis Verlag, Ludwigsburg- Berlin, 1995, S. 66

[27] Vortrag Sigmund Freud, Zukünftige Chancen der psychoanalytischen Therapie, 1943, S. 108

[28] im Sinne von „Therapeut“.

[29] Freud, Sigmund, gesammelte Werke, Band VIII, Werke aus den Jahren 1909- 1913, Fischer Verlag, Auflage 7, Dezember 2005, S. 381

[30] Hartkamp, Norbert, Persönlichkeitsstörungen: Leitlinie und Quellentext. Leitlinienentwicklung der Fachvertreter für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. In Abstimmung ... AÄGP, DGPM, DGPT und DKPM, Schattauer, F.K. Verlag, Januar 2002, S. 272

[31] Freud, Sigmund, gesammelte Werke, Band XI, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Fischer Verlag, Auflage 7, Dezember 2005, S. 451

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836623568
DOI
10.3239/9783836623568
Dateigröße
625 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven; Standort Emden – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2008 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
sigmund freud psychoanalyse übertragung gegenübertragung soziale arbeit
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Titel: Der psychoanalytische Ansatz der Übertragung und Gegenübertragung nach Freud und seine Anwendung in der Sozialen Arbeit
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