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Nachfragemacht im deutschen Lebensmitteleinzelhandel

©2008 Diplomarbeit 84 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Einem gegenwartsnahen Appell des European Economic and Social Committee (2005) sei die erste Aufmerksamkeit gewidmet:
„The buying power of the Large Multiples in the food market must continue to be a matter of concern for the competition authorities.“
Was veranlasst die EU-Institution zu diesem Aufruf und was ist mit „buying power“, bzw. Nachfragemacht überhaupt gemeint? Mit Nachfragemacht ist die Fähigkeit gemeint, dass relativ große oder aus anderen Gründen starke Käufer privilegierte Sonderkonditionen - ohne Beachtung gerechtfertigter Mengenrabatte - gegenüber ihren Lieferanten aushandeln können.
Innerhalb der Lebensmittel-Wertschöpfungskette lässt sich der Lebensmitteleinzelhandel als „Flaschenhals“ für den Absatz der Zulieferer betrachten. Wenigen großen Handelskonzernen steht eine Vielzahl von Produzenten gegenüber, und da die Wertschöpfungstiefe des Handels relativ gering ist, bestimmt sich die Profitabilität und Marktstellung eines Händlers erheblich über seine Einstandspreise. Verschärft wird die strukturell delikate Situation durch einen seit Jahren andauernden Konzentrationsanstieg im Lebensmitteleinzelhandel. In Deutschland werden mittlerweile rund 90% der Lebensmitteleinkäufe bei den Top 5 getätigt, 1980 betrug dieser Anteil noch 28%. Im europäischen Vergleich ist das deutsche Konzentrationsniveau nicht einmal besonders hoch. Insbesondere die skandinavischen Staaten weisen höhere Level auf, dagegen haben die südlicheren Staaten wie Griechenland, Italien oder Spanien ein niedrigeres Niveau.
Der Wareneinkauf bündelt sich noch mehr als dieses Konzentrationsmaß es nahe legt, denn es ist sinnvoll zwischen Angebots- und Beschaffungsmärkten zu trennen. Nachfragebündelung entsteht zum Beispiel durch internationale Einkaufskooperationen, aber auch auf nationaler Ebene z.B. zwischen kleinen und einem großen Händler - beispielhaft sei hier das Bündnis zwischen EDEKA und Globus genannt.
Das Bundeskartellamt differenziert zusätzlich zwischen den Beschaffungsmärkten für Herstellermarken und für Handelsmarken. Bei Handelsmarken konzentriert sich der Umsatz eines Herstellers meist auf 1 - 2 Abnehmer, bei Herstellermarken entspricht der Umsatzanteil, den ein Hersteller mit einem bestimmten Händler erzielt, oft dem absatzseitigen bundesweiten Marktanteil, den dieser Händler bei dem entsprechenden Produkt hält.
Auf das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Lieferanten und Einkäufern reagieren in den letzten Jahren sowohl […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Florian Jonathan Stollowsky
Nachfragemacht im deutschen Lebensmitteleinzelhandel
ISBN: 978-3-8366-2262-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn, Deutschland, Diplomarbeit,
2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1
2. Eckpunkte des deutschen Lebensmitteleinzelhandels
3
3. Varianten von Nachfragemacht
5
3.1. Die ,,Spiegelbildtheorie" des Oligopols
5
3.2. Ein verhandlungstheoretisches Basismodell
6
3.3. Kritik am Basismodell
7
4. Quellen der Nachfragemacht
8
4.1. Das Umsatzvolumen eines Käufers
9
4.1.1. Entstehung von Abbruchoptionen
10
4.1.2. Interaktion zwischen Einkaufsvolumen und Produktionstechnologie 11
4.2. Türsteher ­ Funktion
13
4.3. Relative Abhängigkeit
13
4.4. Handelsmarken
14
5. Konsequenzen von Nachfragemacht
15
5.1. Die Rolle der Vertragsgestaltung
16
5.2. Zusammenspiel zwischen vertikalen und horizontalen Effekten
18
5.3. Der Wasserbetteffekt
19
5.4. Langfristige Auswirkungen auf das Produktangebot
21
5.4.1. Effekte auf die Produktvielfalt
21
5.4.2. Innovations- und Investitionsanreize
24

6. Unsicherheit über die Ausbringungsmenge
25
6.1. Motivation
26
6.1.1. Der Milchmarkt in Großbritannien
26
6.1.2. Der Milchmarkt in Deutschland
27
6.2. Einführung in die Theorie
29
6.2.1. Erwartete inkrementelle Durchschnittskosten
29
6.2.2. Modellannahmen und Determinanten des Einstandspreises
30
6.3. Asymmetrische Nachfragemacht
32
6.4. Veränderung der Marktstruktur
35
6.5. Anreizeffekte im Hinblick auf die Produktionstechnologie
37
6.6. Dynamischer Verhandlungsrhythmus
38
7. Schlussbetrachtung
39
Appendix A: Beweise
41
Appendix B: Abbildungen
45
Appendix C: Tabellen
51
Appendix D: Fragebögen
54
1. Beschreibung des Auswahlverfahrens
54
2. Auswertung der Antworten
55
Fragebogen 1
57
Fragebogen 2
69
Literaturverzeichnis
76

1
1. Einführung
Einem gegenwartsnahen Appell des European Economic and Social Committee (2005) sei die
erste Aufmerksamkeit gewidmet:
,,The buying power of the Large Multiples in the food market must continue to be
a matter of concern for the competition authorities."
Was veranlasst die EU-Institution zu diesem Aufruf und was ist mit ,,buying power", bzw.
Nachfragemacht überhaupt gemeint? Mit Nachfragemacht ist die Fähigkeit gemeint, dass
relativ große oder aus anderen Gründen starke Käufer privilegierte Sonderkonditionen - ohne
Beachtung gerechtfertigter Mengenrabatte - gegenüber ihren Lieferanten aushandeln können.
Innerhalb der Lebensmittel-Wertschöpfungskette lässt sich der Lebensmitteleinzelhandel als
,,Flaschenhals" für den Absatz der Zulieferer betrachten.
1
Wenigen großen Handelskonzernen
steht eine Vielzahl von Produzenten gegenüber, und da die Wertschöpfungstiefe des Handels
relativ gering ist, bestimmt sich die Profitabilität und Marktstellung eines Händlers erheblich
über seine Einstandspreise.
2
Verschärft wird die strukturell delikate Situation durch einen seit
Jahren andauernden Konzentrationsanstieg im Lebensmitteleinzelhandel. In Deutschland
werden mittlerweile rund 90% der Lebensmitteleinkäufe bei den Top 5 getätigt, 1980 betrug
dieser Anteil noch 28%.
3
Im europäischen Vergleich ist das deutsche Konzentrationsniveau
nicht einmal besonders hoch. Insbesondere die skandinavischen Staaten weisen höhere Level
auf, dagegen haben die südlicheren Staaten wie Griechenland, Italien oder Spanien ein
niedrigeres Niveau.
4
Der Wareneinkauf bündelt sich noch mehr als dieses Konzentrationsmaß es nahe legt, denn es
ist sinnvoll zwischen Angebots- und Beschaffungsmärkten zu trennen. Nachfragebündelung
entsteht zum Beispiel durch internationale Einkaufskooperationen, aber auch auf nationaler
Ebene z.B. zwischen kleinen und einem großen Händler ­ beispielhaft sei hier das Bündnis
zwischen EDEKA und Globus genannt.
Das Bundeskartellamt differenziert zusätzlich zwischen den Beschaffungsmärkten für
Herstellermarken und für Handelsmarken. Bei Handelsmarken konzentriert sich der Umsatz
eines Herstellers meist auf 1 ­ 2 Abnehmer, bei Herstellermarken entspricht der Umsatzanteil,
den ein Hersteller mit einem bestimmten Händler erzielt, oft dem absatzseitigen bundesweiten
Marktanteil, den dieser Händler bei dem entsprechenden Produkt hält.
5
Auf das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Lieferanten und Einkäufern reagieren in den
letzten Jahren sowohl der Gesetzgeber als auch die Wissenschaft. Die moderne Forschung
begegnet der Herausforderung zum Beispiel, indem sie die Beziehungsstruktur zwischen
1 Siehe Lademann (1988). Abb. 1 im Appendix B stellt den ,,Flaschenhals" innerhalb der Wertschöpfungskette dar.
2 Vgl. Bundeskartellamt Fall B 2 ­ 333/07, S. 103 ff.
3 Vgl. Bundeskartellamt Fall B 2 ­ 333/07, S. 82 und Ernst & Young (2006).
4 Siehe Oldenziel et al. (2006) S.50. Auch Großbritannien weist ein hohes Konzentrationsniveau auf. Das hat die
Competition Commission dazu veranlasst die zweite große Marktanalyse innerhalb der letzten Jahre durchzuführen. Das
Ergebnis wurde 2008 auf der Webseite der Behörde veröffentlicht.
5 Siehe Fall B 2 ­ 333/07, S. 99.

2
Handel und Zulieferern zusehends durch verhandlungstheoretische Modellierung darstellt.
6
Die
Legislative antwortet durch Modifizierung von Gesetzen. Etwa § 20 Abs. 3 Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verbietet Firmen, von denen andere Firmen abhängig
sind, letztere dazu zu veranlassen, ihnen ungerechtfertigte Vorteile zu gewähren. Diese
Regelung wurde 2007 durch die ,,Preismissbrauchsnovelle" verschärft. Seitdem ist es nicht
mehr obligatorisch, dass es sich bei den abhängigen Firmen um relativ kleine und mittlere
Firmen handelt, auch größeren abhängigen Firmen wird nun eine Schutzwürdigkeit gegenüber
Nachfragern zugestanden.
Die Globalisierung drückt sich im Lebensmittelhandel durch internationale Einkaufsallianzen,
Auslandsexpansionen oder globale Beschaffungsstrategien aus. Die Auswirkungen aus der
zunehmenden internationalen Verflechtung und der ansteigenden Marktkonzentration sind
gegenwärtig - aufgrund der Aktualität der Entwicklungen - noch nicht abschließend
prognostizierbar. Zu vermuten ist aber, dass die Dimension der Konsequenzen nicht bei
einzelnen Regionen und nicht an der Schnittstelle zwischen Industrie und Handel verharrt.
Vielmehr ist zu erwarten, dass die Konzentration und Neustrukturierung ausstrahlt, sowohl in
Richtung Endverbraucher als auch in Richtung nationale und internationale Agrarmärkte.
7
Der Umfang und die Aktualität der Thematik motivieren zu gründlichen Untersuchungen. In
diesem Sinne setzt sich die vorliegende Arbeit allgemein mit dem Thema Nachfragemacht im
Lebensmitteleinzelhandel auseinander und richtet dabei den Fokus im Speziellen auf den
deutschen Lebensmitteleinzelhandel.
Da die Arbeit einen theoretischen Blickwinkel einnimmt, sind einzelne Ergebnisse nicht nur
,,deutschlandspezifisch", sondern grundsätzlich übertragbar auf andere Märkte.
8
Um einen
deutschen Bezug herzustellen, stellt der Verfasser in Kapitel 2 die relevanten Eckpunkte des
deutschen Marktes vor, in den daran anschließenden Kapiteln legt er an den entsprechenden
Stellen Zwischenbemerkungen dar und in Kapitel 6 findet sich eine Fallstudie zum deutschen
Milchmarkt, der als Musterbeispiel für einen Handelsmarkenkontext dient. Um den Grad der
eigenen Informiertheit zu erhöhen, hat der Verfasser zwei Fragebögen entworfen. Einen mit
dem Schwerpunkt Milchmarkt und einen weiteren zur Vergleichbarkeit. Die Hauptauswertung
ist im Kapitel 6.1.2. und die Beschreibung sowie eine Zusatzauswertung im Appendix D.
Die Diplomarbeit ist wie folgt aufgebaut: in Kapitel 2 befindet sich eine Einführung in den
relevanten Bereich des deutschen Marktes; Kapitel 3 stellt zwei Herangehensweisen an das
Thema Nachfragemacht vor; Kapitel 4 führt in die Ursachen der Nachfragemacht ein; Kapitel 5
zeigt mögliche Effekte der Nachfragemacht und Kapitel 6 stellt ein speziell für den britischen
Milchmarkt entwickeltes Modell vor und überprüft die Gültigkeit für den deutschen Markt.
6 Für eine Einführung vgl. Inderst/Wey (2007).
7 Siehe z.B. Wiggerthale (2008), Studie im Auftrag von Oxfam Deutschland e.V.
8 Darüber hinaus sind die Ergebnisse mitunter übertragbar auf weitere Einzelhandelsbranchen, in denen Nachfragemacht
existiert. Vgl. z.B. den Geschäftsbericht der Adidas Group 2007, S. 109 (,,Kundenrisiken").

3
2. Eckpunkte des deutschen Lebensmitteleinzelhandels
Das deutsche Bruttoinlandsprodukt betrug 2006 rund 2.309,1 Milliarden . Davon entfielen
128,5 Milliarden und damit 5,6% auf den Lebensmitteleinzelhandel.
9
Wie gesehen erlebt der
Lebensmitteleinzelhandel einen seit Jahren anhaltenden Konzentrationsprozess. Welche Gründe
hat das?
Zum einen gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder technische Neuerungen, die
größeren und finanziell potenteren Marktteilnehmern beim internen Wachsen Vorteile
verschafft haben, etwa elektronische Regaletiketten, Self-Scanning oder seit Neuestem die
RFID ­ Technik (,,Radio Frequency Identification"). Zum anderen erlebt der Handel seit 1986
aufgrund der Lockerung von Fusionsrestriktionen einen bis heute fortschreitenden Fusions- und
Akquisitions-Boom. Beispiele sind die Übernahme von Allkauf 1998 durch die Metro oder
aktuell die Übernahme von Plus durch EDEKA. Außerdem sind inhärente Markt-Mechanismen
denkbar, die über eine Interaktion zwischen Angebots- und Nachfragemacht zu einem
,,natürlichen Oligopol" führen.
10
Die Top 5 des deutschen Lebensmitteleinzelhandels sind der Marktführer EDEKA, die Rewe-
Group, die Schwarz-Gruppe, Aldi und Metro.
11
Eine Besonderheit des deutschen Marktes
besteht in der genossenschaftlichen Organisation der zwei größten Handelsketten, EDEKA und
Rewe. Die Basis beider Unternehmen wird durch selbstständige Einzelhändler bzw.
Genossenschaften gebildet. Der Einkauf und die strategische Ausrichtung wird überwiegend
durch Regionalgesellschaften bzw. die Zentrale gesteuert. Eine weitere Besonderheit des
deutschen Marktes ist der im internationalen Vergleich hohe Marktanteil der Discounter. Laut
KPMG (2006) beträgt der Anteil mittlerweile 40% und für 2010 sagt die Studie 45% voraus;
für Frankreich schätzt das W&ABE-Institut (2007) einen Discounteranteil von 10,5%, für
Großbritannien sogar nur 5,5%.
12
Die Discounter erreichen ihre Preisführerschaft durch scharfe
Kalkulation, Fokussierung auf ein begrenztes Sortiment von ,,schnelldrehenden" Produkten,
meist Eigenmarken, eine einfache Warenpräsentation und rationellen Service.
13
Unter anderem aufgrund dieses hohen Discounter-Anteils wird dem deutschen Markt mitunter
ein ,,ruinöser Preiswettbewerb" zugeschrieben. Zum Beispiel die Europäische Kommission
sieht den ausgeprägten Preiswettbewerb der 90er Jahre begründet in einer Kombination aus
schwachem Wirtschaftswachstum infolge der Wiedervereinigung, der auffälligen Discounter-
Quote und dem relativ hohen Marktanteil der Top 6 ­ 10 Lebensmitteleinzelhändler.
14
Allerdings sieht das Bundeskartellamt im deutschen Handel ein ,,abgestuftes
Wettbewerbsverhältnis". Als Beweis zieht das Amt die teilweise deutlichen Sortiment- und
9 Vgl. http://www.lebensmittelhandel-bvl.de/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=127&cid=23.
10 Näheres hierzu in Kapitel 5.3.
11 Vgl. Tab. 1 im Appendix C.
12 Allerdings prognostiziert KPMG (2005) ein baldiges Ende des Discounter-Wachstums durch Neukundengewinnung. Die
Begründung ist der bereits sehr hohe Kundenanteil, kombiniert mit einem niedrigen akquisitorischen Potential.
13 Für Erklärungsansätze warum Discounter speziell in Deutschland so erfolgreich sind, siehe Wortmann (2003).
14 Vgl. European Commission (1999) S. 102 ff.

4
Formatunterschiede heran, gepaart mit einer Dualität zwischen ,,Dauer-Niedrigpreis-Strategie"
im Bereich der Handelsmarken und einer ,,high-low-Strategie" im Bereich der
Herstellermarken.
15
Die Folge aus dem abgestuften Wettbewerbsverhältnis ist einerseits ein
bedingter Preiswettbewerb auf der Angebotsseite und andererseits eine erhöhte Konzentration
auf den Beschaffungsmärkten, denn klammert man den Hard-Discounter Aldi beim Einkauf
von Herstellermarken aus und berücksichtigt, dass die Soft-Discounter Penny, Plus und Netto
zu den Vollsortimentern EDEKA, Rewe und Tengelmann gehören, verbleiben neben der
Schwarz-Gruppe nur noch drei Firmen als breite Absatzkanäle für Produzenten von
Herstellermarken.
Auch wenn es Gründe gibt, den ,,ruinösen Preiswettbewerb" zu relativieren, zeichnet sich der
deutsche Markt trotzdem durch Enge und Sättigung der Marktlandschaft sowie eine gewisse
Verbraucherzurückhaltung aus - mit entsprechendem Druck auf die Margen.
16
Dies bestätigt
sich, wenn man die Zusammensetzung internationaler Märkte vergleicht. Zum einen hat es bis
heute kein ausländischer Großhändler geschafft sich dauerhaft im deutschen Markt zu
etablieren, zum anderen expandieren deutsche Lebensmittelhändler mit zunehmendem Tempo
in ausländische Märkte.
17
Im europäischen Ausland nehmen deutsche Retailer fast ausnahmslos
Spitzenpositionen ein. Unter den Top 10 in Zentral- und Osteuropa befinden sich vier deutsche
Handelskonzerne, unter den Top 10 in Zentral- und Westeuropa befinden sich sogar fünf
deutsche Händler. Aldi war der Erste, der den Sprung ins Ausland wagte; die Märkte fingieren
in Österreich seit 1967 unter dem Namen Hofer. Bis auf EDEKA erzielen mittlerweile alle
deutschen Handelskonzerne einen beträchtlichen Anteil ihres Umsatzes im Ausland.
18
Aber
nicht nur durch Expansion, entweder durch M&As oder durch Filialneueröffnungen wie sie vor
allem Aldi und Lidl präferieren, sondern auch durch internationale Allianzen verbinden sich
deutsche Händler zunehmend mit dem Ausland.
Um direkten Wettbewerb zu vermeiden, setzen sich die Mitglieder einer solchen Allianz
normalerweise aus unterschiedlichen Staaten zusammen. Hauptziele sind die Ausnutzung von
Einkaufssynergien, Nachfragebündelung und das Weghandeln von Preisunterschieden in den
verschiedenen Ländern mit der Intention einer europäischen Bestpreis-Kondition, insbesondere
bei Herstellermarken. An grenzüberschreitenden Beschaffungsallianzen zeigt sich deutlich, dass
man Konzentrationsmaße, die sich auf die Angebotsseite beziehen, nicht ohne weiteres auf die
Beschaffungsmärkte übertragen kann.
19
15 Siehe Fall B 2 ­ 333/07, S. 83 und S. 99. Im Appendix C, Tab. 2 sieht man die Divergenz deutscher Retailer bezüglich
ihrer Sortimentsbreite und ihrem Anteil an Handels-, bzw. Herstellermarken.
16 Vgl. http://www.lebensmittelhandel-bvl.de/modules.php?name=Stellungnahmen&file=article&sid=261.
17 Bis auf den dänischen Handelskonzern Dansk Supermarked, der sich im nördlichen Bundesgebiet etablieren hat, konnte
sich noch kein ausländischer Großhändler im deutschen Markt behaupten. Bestes Beispiel ist Wal-Mart, der größte
Lebensmitteleinzelhändler der Welt. Nach acht Jahren andauernder Verluste zog sich der Konzern 2006 aus dem
deutschen Markt zurück.
18 Im Appendix B auf Abb. 2 und 3 sowie im Appendix C in Tab. 3 und 4 finden sich Kennzahlen zur Internationalität
deutscher Retailer.
19 Für einen Überblick über die Eigenschaften von Käufer-Allianzen und für wettbewerbspolitische Implikationen, siehe
European Commission (1999) S. 172 ff.

5
3. Varianten von Nachfragemacht
Je nachdem in welcher Form nachgelagerte Unternehmen mit ihren Lieferanten im Markt
interagieren, lassen sich zwei theoretische Betrachtungsperspektiven gegenüberstellen.
Ein Konzept, der Oligopson-Ansatz, erfasst Nachfragemacht spiegelbildlich zum Oligopol, das
andere fußt auf verhandlungstheoretischer Modellierung.
3.1. Die ,,Spiegelbildtheorie" des Oligopols
20
Der Oligopson-Ansatz unterstellt eine anonyme Marktinteraktion der Beteiligten, der Preis
bildet sich folglich durch die Schnittstelle zwischen kumuliertem Angebot und kumulierter
Nachfrage. Genauso wie sich Angebotsmacht in einer strategischen Verringerung der
Angebotsmenge zeigen und damit in einer Erhöhung des Verkaufspreises manifestieren kann,
kann sich Nachfragemacht in einer strategischen Verringerung der Nachfrage und damit eines
Rückganges des zu leistenden Einstandspreises entwickeln.
Ein Beispiel soll dies illustrieren: Die Firmen A, B und C stehen in einem homogenen Cournot-
Wettbewerb. Der sich im Gleichgewicht ergebende Verkaufspreis ergibt sich aus dem
Schnittpunkt des kumulierten Angebots mit der Nachfragekurve. Jedes Unternehmen antizipiert
die Ausbringungsmenge seiner Konkurrenz und nimmt diese als gegeben hin, gleichzeitig
maximiert es seinen Gewinn, indem es Grenzkosten gleich Grenzerlös setzt. Liegt nun eine
fallende inverse Nachfragefunktion vor, dann fällt der Marktpreis und damit auch der
Grenzerlös eines jeden Unternehmens, wenn es seine Ausbringungsmenge erhöht. Stehen die
Unternehmen im Wettbewerb miteinander, dann berücksichtigen sie solch einen negativen
Preiseffekt nur auf ihre eigenen Erlöse, nicht aber auf die der Konkurrenz.
Fusionieren jetzt zum Beispiel A und B, dann werden sie ihre Output-Entscheidungen
koordinieren. Diese Koordination wird dazu führen, dass der gemeinsame Nachfusionsoutput
geringer ausfällt als der gemeinsame Vorfusionsoutput, denn nun berücksichtigt beispielsweise
A den negativen Effekt einer eigenen Angebotserhöhung auf den Grenzertrag von B. Aufgrund
des unterstellten homogenen Cournot-Oligopols wird C nun entsprechend seiner
Reaktionsfunktion auf die Preissteigerung mit einer Ausweitung seines Angebots reagieren.
Aber im Standardfall ist dieser Gegeneffekt nicht ausreichend, um die Endkunden vor einem
letztlich niedrigeren Angebot und einem höheren Preis zu bewahren.
21
Dieser eben beschriebene Zusammenhang lässt sich nun spiegelbildlich auf den vorgelagerten
Markt übertragen.
In Abhängigkeit der antizipierten Menge ihrer Konkurrenz, wählen jetzt A, B und C jeweils ihre
gewinnmaximierende Inputnachfrage. Der markträumende Preis wird wieder uniform
und determiniert durch Angebot und Nachfrage sein. Das Angebot bestimmt sich diesmal durch
20 Eine Darstellung dieser Idee findet sich z.B. in Scherer/Ross (1990) und Blair/Harrison (1993).
21 Für den Zusammenhang zwischen der nachgelagerten Stufe und dem Konsumentenmarkt siehe beispielsweise Bester
(2004) S. 77 ff.

6
die Angebotsfunktion des vorgelagerten Marktes, und die Nachfrage ergibt sich aus der
gemeinsamen Inputnachfrage von A, B und C. Konzentriert sich nun der nachgelagerte Markt
etwa durch eine Fusion und produziert der vorgelagerte Markt mit steigenden Grenzkosten,
dann wird das neue Unternehmen die Nachfrage verringern und damit auch den
Gleichgewichtspreis. Unterstellt man zusätzlich, dass sich das Outputvolumen proportional
zum Inputvolumen verhält, dann wird das Angebot auf dem Endverbrauchermarkt fallen und
damit normalerweise auch die Konsumentenrente.
Als Resümee lässt sich festhalten, dass das Oligopson-Modell angebracht zu sein scheint für
einen Markt, in dem Käufer und Verkäufer zu einem einheitlichen markträumenden Preis
finden. Der Nachfrager ist hier als passiver Preisnehmer und nicht als aktiver Verhandler zu
betrachten. Die Wahrscheinlichkeit einen solchen Kontext anzutreffen, ist z.B. beim Handel mit
standardisierten Produkten, am besten unter den festen Regeln einer Börse, hoch.
22
3.2. Ein verhandlungstheoretisches Basismodell
Im Lebensmittelmarkt, vor allem bei Transaktionen zwischen großen Händlern und großen
Lieferanten findet sich aber oft eine andere Beziehungsstruktur.
Dort entstehen Marktergebnisse durch individuell und bilateral ausgehandelte Vertragsinhalte,
folglich sind einheitliche Einstandspreise eher die Ausnahme statt die Regel.
23
In einem solchen
Kontext führt die Ausübung von Nachfragemacht nicht zu einer Reduzierung der Nachfrage,
sondern zu maßgeschneiderten Vertragskonditionen.
Dazu wird jetzt ein verhandlungstheoretisches Basismodell vorgestellt, das trotz seiner
Einfachheit dabei hilft, Einsichten in die Ursachen von Nachfragemacht zu gewinnen.
Bei diesem Modell wird eine vertikale Marktstruktur mit einem nachgelagerten Käufer K und
einem vorgelagerten Verkäufer V betrachtet. Beide Parteien verhandeln über die einmalige
Bereitstellung eines superioren Produktes. V produziert das Gut zu den Kosten
C0
und K ist
in der Lage, es auf dem lokalen Endverbrauchermarkt zum Preis
P
D
S
zu verkaufen, zusätzliche
Kosten entstehen K dabei nicht. Der gemeinsam zu realisierende Bruttogewinn ist folglich
Z =P
D
S
-
C0
. V hat außerdem die Möglichkeit, sein Produkt auf dem ,,Weltmarkt" zum Preis
P
W
S
, mit
P
D
S
P
W
S
C
abzusetzen. Auch K ist nicht unbedingt auf das gemeinsame Geschäft
angewiesen, er besitzt die Option, ein anderes, minderwertigeres Gut auf dem Weltmarkt zum
Preis
W
I
C
zu kaufen. Als Verkaufspreis auf dem lokalen Endverbrauchermarkt kann er für
das inferiore Gut den Preis
P
D
I
=
C
erzielen.
Den jeweils alternativen Geschäftskanal, der beiden Firmen offen steht, bezeichnet man in der
Verhandlungstheorie als Abbruchoption (,,outside option"). Die Abbruchoption von V beträgt
22 Je nach Marktstruktur lässt sich der eben beschriebene Zusammenhang mit leichten Abweichungen mühelos auf den
Monopol-, bzw. Monopson-Ansatz übertragen.
23 Etwa aufgrund komplexer Detailvereinbarungen, wie z.B. Logistik oder gemeinsamer Promotionsveranstaltungen.

7
folglich
A
V
=
P
W
S
-
C0
und die Abbruchoption von K beläuft sich auf
A
K
=
P
D
I
-
W
I
0
.
Wenn jetzt gilt, dass der inkrementelle Überschuss aus dem Zustandekommen des
gemeinsamen Geschäftes, also
I =Z -A
V
-
A
K
, einen positiven Wert annimmt und man
vorerst von Verteilungsfragen absieht, ist es für beide sinnvoll das Geschäft zu realisieren.
Wie muss nun ein Einstandspreis
W
S
aussehen, dem sowohl Verkäufer als auch Käufer
zustimmen? Offensichtlich wird keiner der beiden einen Vertrag akzeptieren, der ihn am Ende
schlechter stellt als wenn er seine Abbruchoption wahrnimmt.
Das heißt, für V muss
W
S
-
C P
W
S
-
C
und für K muss
P
D
S
-
W
S
P
D
I
-
W
I
gelten. Daraus
folgt sofort die Bedingung
P
W
S
W
S
P
D
S
W
I
-
P
D
I
. Wo genau nun
W
S
in dem durch
P
W
S
und
P
D
S
W
I
-
P
D
I
konstituierten Intervall liegt, wird über bilaterale Verhandlungen und damit
durch die individuelle Verhandlungsmacht entschieden.
24
Definiert man beispielsweise die
Verhandlungsmacht von K mit
V
K
, dann wird der Bruttogewinn von K
A
K
V
K
I
und der
von V
A
V
1-V
K
I
sein. Umso stärker die individuelle Verhandlungsmacht, umso mehr
wird der Teilnehmer vom inkrementellen Überschuss extrahieren.
Um die Zusammenhänge weiter zu verdeutlichen, unterstellt man nun eine symmetrische Nash-
Verhandlungslösung, d.h. man setzt
V
K
=
1/2
.
25
Zusätzlich dividiert man die individuellen
Bruttogewinne durch Z, um zu sehen welchen Anteil
S
i
der Teilnehmer i am gesamten
Bruttogewinn Z absorbieren kann und was die Determinanten dieses Anteils sind. Wir erhalten
die Formeln
S
K
=
1/2 A
K
-
A
V
/ 2Z
und
S
V
=
1/2 A
V
-
A
K
/ 2Z
.
Trotz der einfachen Struktur lassen sich aus dem Basismodell also drei interessante
Erkenntnisse ableiten.
1. Je höher die Abbruchoption einer Partei ist, desto größer wird der von ihr absorbierbare
Gewinnanteil sein.
2. Je niedriger die Abbruchoption der Gegenseite, umso positiver für den Verhandlungspartner.
3. Steigt die Verhandlungsmacht eines Spielers, z.B.
V
K
, dann steigt der Anteil, den dieser am
inkrementellen ,,Überschusskuchen" vereinnahmen kann.
26
3.3. Kritik am Basismodell
Der Zweck des Modells besteht darin, die möglichen Einflussfaktoren einer einfachen
bilateralen Verhandlungssituation zu ermitteln. In der Tendenz und für die Intuition erfüllt es
diese Aufgabe akkurat, aber es besitzt natürliche Grenzen in seinem Erklärungspotential.
Eine Grenze zeigt sich darin, dass das Modell die Rolle privater Informationen nicht adäquat
berücksichtigt, bzw. dass es vollkommene Information voraussetzt, zum Beispiel über die
Abbruchoption des Gegenübers.
24 Die Intervalldifferenz stellt natürlich nichts anderes dar als den inkrementellen Überschuss aus der gemeinsamen
Geschäftsrealisierung.
25 Vgl. Nash (1950). Eine Einführung in die grundsätzlichen Prinzipien der Verhandlungstheorie findet sich z.B. in
Osborne/Rubinstein (1990).
26 Für eine ähnliche Einführung siehe z.B. Inderst/Shaffer (2007).

8
Auch berücksichtigt es keine expliziten Marktstrukturen, wie z.B. die Wettbewerbsstruktur.
Diese kann aber einen wichtigen Einfluss auf die bilateralen Verhandlungen haben. Zum
Beispiel Möglichkeiten der horizontalen Kollusion (implizit oder explizit) oder aufwendigere
Beschaffungsstrategien wie etwa eine Einkaufspolitik, die sich über mehrere Lieferanten
verteilt (,,multiple sourcing"), werden nur indirekt über die Dimension der Abbruchoption
erfasst.
27
Auch Verhandlungsresultate und damit Einkaufskonditionen der Konkurrenz können
nicht ohne weiteres vernachlässigt werden, denn je nach Wettbewerbsintensität können diese
Resultate einen externen Einfluss auf die inkrementelle Verhandlungsmasse ausüben.
Ein weiterer Punkt ist, dass das Modell nur unzureichend die Bedeutung der Vertragsgestaltung
beachtet. Für die reine Feststellung von Nachfragemacht spielen die konkret ausgehandelten
Konditionen eine geringe Rolle, denn Nachfragemacht offenbart sich sowohl in individuell
niedrigeren pro Stück Kosten als auch in beispielsweise höheren Regalmieten. Wenn man aber
nach der Durchschlagskraft der Vertragsinhalte auf die Konsumentenrente schaut, dann darf
man die ausgehandelten Konditionen nicht ignorieren.
28
4.
Quellen der Nachfragemacht
An dieser Stelle ist es angebracht, darauf hinzuweisen, dass das Auftreten unterschiedlicher
Einkaufskonditionen per se kein Hinweis auf Nachfragemacht sein muss. Beispielsweise kann
ein monopolistischer Anbieter, der Preisdiskriminierung 2. Grades betreibt, mengenabhängige
Rabatte gewähren. Auf diese Weise bedient er sich einer Selbstselektionstechnik mit dem Ziel,
die persönliche Zahlungsbereitschaft ­ reflektiert in unterschiedlicher Nachfrage - seiner
Kundschaft möglichst optimal auszuschöpfen.
29
Im Kontext des Lebensmittelmarktes erscheint
diese Erklärung in den meisten Fällen aber unplausibel.
Die Frage ist also, welche Charakteristika einer vertikalen Beziehung bzw. welche
Charakteristika eines bestimmten Käufers müssen erfüllt sein, damit man von Nachfragemacht
im weiter oben angegebenen Sinne sprechen kann?
Die OECD (1998, Paragraf 20) kommentiert diese Angelegenheit wie folgt:
,,[...] a retailer is defined to have buyer power if, in relation to at least one
supplier, it can credibly threaten to impose a long-term opportunity cost (harm or
withheld benefit) which, were the threat carried out, would be siginificantly
disproportionate to any resulting long-term opportunity cost to itself. By
disproportionate, we intend a difference in relative rather than absolute
opportunity cost, e.g. Retailer A has buyer power over supplier B if a decision to
delist B's product could cause A's profit to decline by 0.1 percent and B's to
decline by 10 percent."
Das heißt, die OECD definiert hier Nachfragemacht als die relative Gewinnbeeinträchtigung
der Verhandlungspartner, gegeben die Verhandlung scheitert.
27 Um zu sehen wie die Gegenwart großer Abnehmer dazu führen kann, dass es für Hersteller schwieriger wird eine
kollusive Vereinbarung aufrechtzuerhalten, siehe Snyder (1996).
28 Mehr zu diesem wichtigen Aspekt in Kapitel 5.1.
29 Für eine Einführung in die Theorie der Preisdiskriminierung 2. Grades siehe z.B. Bester (2004) S. 63 ff.

9
In der Literatur, die sich mit Nachfragemacht beschäftigt, findet man unterschiedliche
Erklärungsansätze für ,,buyer power".
Die reine Größe eines Unternehmens, gemessen am Umsatzanteil am betrachteten Markt, stellt
einen Indikator dar, der auf den ersten Blick schlüssig klingt.
30
Auch der Vergleich relativer
Anteile, wie es die OECD vorschlägt, erscheint plausibel.
Alternative Faktoren können zum Beispiel die Produktionstechnologie, bzw. Kostenfunktion
des Produzenten sein, die Risikoeinstellung der Parteien, eine ,,Türsteher-Funktion" eines
Händlers, der (z.B. technische) Entwicklungsstand des Käufers, Handelsmarken, die
Finanzkraft eines Lieferanten, der Umfang von Zusatzkapazitäten in einer Industrie oder auch
die Produktlebenszeit. In den folgenden Unterkapiteln werden einzelne Faktoren genauer
vorgestellt, diskutiert und - wenn möglich - Interdependenzen aufgezeigt.
4.1. Das Umsatzvolumen eines Käufers
31
Einen theoretischen Grund, warum ,,Größe" an sich zu Marktmacht führen kann, liefert das
Cournot-Modell für Wettbewerb mit homogenen Produkten. Das Modell illustriert die
Wechselbeziehungen zwischen Marktanteilen (gemessen am Herfindahl-Hirschmann-Index)
und Marktmacht (beurteilt durch den Lerner-Index).
32
Bei Gültigkeit des Oligopson-Ansatzes wäre diese Herangehensweise durchaus übertragbar auf
die Beschaffungsmärkte. Wie aber schon dargelegt, ist die ,,typische Beziehung" zwischen
einem Lebensmittelhändler und seinen Lieferanten nicht durch anonyme Marktinteraktion
geprägt, sondern durch bilaterale Verhandlungen.
Ein Gegenbeispiel soll zeigen, warum in diesem Kontext die bloße Größe eines Unternehmens
nicht unbedingt Verhandlungsmacht erzeugt. Dazu wird noch einmal auf das
Verhandlungsmodell aus Kapitel 3.2. zurückgegriffen.
Angenommen wir haben einen Käufer K und zwei Verkäufer
V
1
und
V
2
. K verhandelt mit
V
1
über die Aufteilung des gemeinsamen Bruttogewinns
Z
1
und mit
V
2
über die Aufteilung
von
Z
2
, die den Bruttogewinnen zugrunde liegenden Geschäfte seien unabhängig voneinander.
Die Anteile, die K an
Z
1
bzw.
Z
2
extrahieren kann, wenn er mit
V
1
bzw.
V
2
unabhängig
voneinander verhandelt, werden die gleichen sein, wie wenn K statt mit zwei verschiedenen
Verkäufern nur mit einem Verkäufer V, unter sonst gleichen Bedingungen, über
Z
1
Z
2
zusammen verhandelt. Das bedeutet, nur weil K jetzt mit einem Verkäufer über ein größeres
Gesamtvolumen verhandelt, verleiht ihm das noch keine Nachfragemacht.
33
30 Bei ihrer ersten großen Untersuchung des Lebensmittelmarktes in Großbritannien, errechnete die Competition
Commission (2000) einen Marktanteil von 8% am Gesamtmarkt als ausreichend für einen Händler, um die Beziehung zu
einem Zulieferer zu bestimmen.
31 Große Käufer entstehen z.B. durch M&As oder durch endogenes Wachstum. In beiden Fällen steigt die Konzentration,
aber nur Letzteres erhöht die Gesamtnachfrage ­ zumindest wenn man auf die kurze Frist blickt.
32 Der Herfindahl-Hirschmann-Index ist eine Kennziffer zur Konzentrationsmessung. Er wird berechnet, indem man den
Marktanteil von jeder im betrachteten Markt operierenden Firma quadriert und dann die Summe aus diesen Werten bildet.
Daraus folgt, dass umso höher der HHI ist, desto konzentrierter ist der betrachtete Markt. Der Lerner-Index stellt das
Verhältnis zwischen Preis-Grenzkosten-Aufschlag zum Preis dar.
33 Vgl. Doyle/Inderst (2006).

10
Als nächstes werden Ideen und Modelle vorgestellt, die verständlich machen, warum bloßes
Umsatzvolumen, teilweise kombiniert mit bestimmten Marktbedingungen, doch zu
Nachfragemacht führen kann.
4.1.1. Entstehung von Abbruchoptionen
Wie bereits gezeigt, gibt es Gründe zu der Annahme, dass sich der individuell abschöpfbare
Gewinnanteil, den ein Unternehmen aus einem kollektiv realisierbarem Handel vereinnahmen
kann, aus den Werten der Abbruchoptionen und dem Parameter ,,Verhandlungsmacht" ableitet.
Ein Hauptursprung für Nachfragemacht liegt in der Fähigkeit eines Einzelhändlers, das ihm von
einem Lieferanten gelieferte Produkt zu wechseln und damit in der Qualifikation seinen
Lieferanten auszutauschen (auszulisten). Schon allein die Möglichkeit bzw. die ,,Drohung",
dies zu tun, erhöht die Abbruchoption des Händlers. Die konkrete Umsetzung einer
Lieferantensubstitution kann auf vielfältige Art erfolgen.
Ein klassisches Beispiel ist die von Katz (1987) formalisierte Option eines großen Käufers
seinen Lieferanten rückwärts zu integrieren und damit sein eigener Inputzulieferer zu werden.
34
Anhand eines Modells mit einem Lieferantenmonopol und unterschiedlich großer Käufer zeigt
Katz, dass Preisdiskriminierung 3. Grades, hier abgebildet in Sonderkonditionen für große
Käufer, wohlfahrtssteigernd sein kann. Der ausschlaggebende Faktor für den Preisnachlass ist
die glaubwürdige(re) Drohung eines großen Käufers, rückwärts zu integrieren. Die
Glaubwürdigkeit der Drohung wird gespeist aus der Tatsache, dass ein größerer Käufer die mit
einer Integration verbundenen Fixkosten über ein höheres Absatzvolumen verteilen kann.
Weniger drastisch, aber die Abbruchoption des Einzelhändlers genauso erhöhend, ist die
Möglichkeit eines einfachen Lieferantenwechsels. Auch dieser Wechsel kann mit Fixkosten,
wie z.B. Suchkosten, verbunden sein, die profitabler zu schultern sind, wenn sie über ein relativ
großes Absatzvolumen verteilt werden können.
Selbst wenn die vorgelagerte Industrie für ein Produkt, auf das der Händler aus
Profitabilitätsgründen nicht verzichten will (,,unverzichtbare" Erstmarke), eine monopolistische
Struktur aufweist und Rückwärtsintegration nicht möglich ist, kann ein großer Händler eine
akkurate Abbruchoption besitzen, denn die Gegenwart eines großen Käufers kann auf
unterschiedliche Weise marktzutrittsfördernd wirken.
Übernimmt ein Händler beispielsweise einen Teil der Rüstkosten oder verpflichtet er sich für
einen gewissen Zeitraum eine bestimmte Menge abzunehmen, kann das den Marktzutritt
erheblich erleichtern.
35
Indirekter können große Händler zu mehr Markteintritt anregen, weil
unter Umständen bereits ein einmaliges Erlangen ihrer Ordervolumen die ökonomische
Entwicklungsfähigkeit antreiben kann. Dies vor allem dann, wenn positive Skaleneffekte
34 Auch in Sheffman/Spiller (1992) besitzt ein größerer Käufer ein glaubwürdigeres ,,Drohinstrumentarium" seinen
Lieferanten rückwärts zu integrieren. Für eine Weiterentwicklung der Vorgehensweise von Katz und einem spezifischen
Fokus der Auswirkungen größerer Abnehmer auf die Investitionsanreize vorgelagerter Firmen siehe Inderst/Wey (2007a).
35 Die Präsenz großer Händler kann auch helfen Koordinationsprobleme zwischen im Wettbewerb stehenden Käufern zu
mildern, denn letztendlich profitieren sie gemeinsam von einem Mehr an Wettbewerb. Siehe Fumagalli/Motta (2006).

11
und/oder eine steile Lernkurve auf der Produktionsseite existieren.
36
Die eben aufgezählten Substitutionsmöglichkeiten werden noch verstärkt, wenn der Käufer
nicht nur groß, sondern zusätzlich ,,hoch entwickelt" (,,sophisticated buyer") ist. Das heißt,
wenn er beispielsweise über exzellent ausgebildetes Personal oder technische Fachkenntnisse
verfügt. Möchte ein Lebensmitteleinzelhändler etwa den Lieferanten wechseln, ist es hilfreich
für ihn zu wissen, wo sich der am besten Passende befindet. Überdurchschnittlich ausgebildete
Mitarbeiter, eine anspruchsvoll erstellte Datenbank o.ä. wirken sich folglich positiv auf die
eigene Abbruchoption aus.
Aber nicht nur beim bloßen Lieferantenwechsel, sondern vor allem auch bei der Förderung von
Marktneueintritt ist eine hohe Entwicklungsstufe nützlich. Technische Hilfestellung oder
(temporäre) Nutzung von Manager ,,Know-how" seien hier exemplarisch genannt.
Eine weitere Option, die durch das Zusammenspiel von Größe und Hochentwicklung
wahrscheinlicher wird, ist das sogennante ,,multiple sourcing". Umso besser ein Käufer über
die vorgelagerte Industrie informiert ist, umso mehr steht ihm die Möglichkeit offen, sich aus
Gründen der strategischen Abhängigkeitsverringerung eine breit gestreute Lieferantenbasis zu
sichern. Tendenziell kann man davon ausgehen, dass relativ große Käufer auch relativ hoch
entwickelt im eben thematisierten Sinne sind.
Während bis hierher primär auf die Abbruchoption des Käufers geschaut wurde, wird jetzt eine
Idee vorgestellt, wie die Abbruchoption eines Produzenten unter der Gegenwart eines großen
Retailers sinken kann. Wenn eine Verhandlung über ein Absatzvolumen scheitert, sieht sich der
Produzent einer frei gewordenen Produktionskapazität gegenüber. Je größer die
Verhandlungsmasse war, desto größer wird die frei gewordene Kapazität sein. Will der
Produzent sein Produktionsniveau halten, dann muss er diese Kapazität bei den verbleibenden
Käufern unterbringen. Aber unter der Standardannahme fallender Grenzerträge der Einkäufer,
wird der Anbieter die fallende Grenzertagskurve der verbliebenen Einkäufer relativ tief - und
mit steigendem Angebot immer tiefer- treffen. Dieser Effekt wird den Einstandspreis und damit
den Produzentengewinn schmälern.
37
4.1.2. Interaktion zwischen Einkaufsvolumen und Produktionstechnologie
Abhängig von der vorgelagerten Produktionstechnologie können einige im vorherigen Kapitel
genannte potentielle Vorteile auch zu Nachteilen für große Händler werden.
Beispielsweise kann einem Abnehmer der Lieferantenwechsel erschwert werden, wenn die
vorgelagerte Industrie enge Kapazitätsbeschränkungen aufweist. In diesem Fall würde sich
sowohl die Abbruchoption des Käufers als auch die des Verkäufers verschlechtern. Ein
möglicher Ausweg aus diesem Abhängigkeitsdilemma wäre ,,multiple sourcing".
38
36 Wenn ein starker Händler dazu beiträgt ein gewisses Wettbewerbsniveau im vorgelagerten Markt beizubehalten, kann
man seine Nachfragemacht auch als ,,Schutzschild" für die Konkurrenz betrachten. Vgl. Inderst/Shaffer (2007).
37 Um zu sehen wie u.a. dieser Effekt zu einer Wohlfahrtssteigerung führen kann, siehe Inderst/Wey (2007b).
38 Siehe hierzu Inderst (2005).

12
Begünstigt werden kann ein volumenstarker Abnehmer wiederum, falls sein Anbieter mit einer
konvexen Kostenfunktion arbeitet. Diese Idee wird im Appendix B, Abb. 4 dargestellt und ruht
auf folgenden Annahmen: bilaterale und simultane Verhandlungen unter symmetrischen
Informationen mehrerer Einkäufer mit einem monopolistischem Anbieter.
Während den Verhandlungen wird jeder Käufer als marginal betrachtet, da angenommen wird,
dass alle anderen Verhandlungen zu einem effizienten Ergebnis führen. Das heißt, die
betreffende Verhandlungsmasse wird hinzu addiert zu den restlichen Aufträgen und dann wird
ermittelt, welche inkrementellen Kosten dies bei dem Monopolisten verursacht.
39
Abb. 4 stellt die Situation dar, in der es
X 2
Käufer gibt. Das Volumen, das der große
Händler ordern möchte beträgt
q
L
, das des Kleineren beläuft sich auf
q
S
und die X anderen
Händler werden in der Summe
Q
ordern. Um das Beispiel interessant zu machen, wurde sich
dafür entschieden dem Monopolisten eine ,,typische" Kostenfunktion zuzuweisen; d.h. er muss
eine gewisse Menge an Fixkosten zahlen, am Anfang werden seine Durchschnittskosten sinken
und ab einem bestimmten Punkt wird die Kostenfunktion konvex verlaufen.
40
Im linken Schaubild sehen wir die Ausgangssituation eines großen Käufers. Während der
Verhandlung über den entsprechenden Einstandspreis wird die georderte Menge aller anderen
X 1
Käufer als gegeben angenommen und untersucht, welchen Teil der Kostenfunktion das
Ordervolumen
q
L
frequentiert, angenommen die übrigen Verhandlungen über das
Ordervolumen
Qq
S
führen zu einem effizienten Resultat. Die inkrementellen
Durchschnittskosten, die durch das zusätzliche Volumen
q
L
hervorgerufen werden, zeigen sich
dann in der Steigung der zwischen
Qq
S
und
Qq
s
q
L
angelegten Geraden.
Die gleiche Systematik steht hinter dem rechten Schaubild. Nur wird jetzt die Menge
Qq
L
als exogen gegeben unterstellt, daraus folgend werden sich die inkrementellen
Durchschnittskosten des kleineren Käufers auf
[
C Qq
L
q
S
-
C Qq
L
]
/ q
s
belaufen.
Wie Abb. 4 zu entnehmen ist, fallen die inkrementellen Durchschnittskosten eines kleinen
Händlers höher aus als die eines großen Händlers. Der Grund ist, dass der größere Händler von
geringeren inframarginalen Kosten profitiert, woraus normalerweise auch ein niedrigerer
Einstandspreis für den größeren Händler erfolgt.
41
Eine andere Ursache für Nachfragemacht kann aufgrund der Risikoeinstellung der Parteien
entstehen. Wenn der Anbieter risikoavers ist, kann auch eine lineare Kostenfunktion in einer
konkaven Überschussfunktion münden, siehe Chae/Heidhues (2004).
42
Darauf aufbauend lässt
sich eine ähnliche Argumentationskette starten wie eben dargelegt.
39 Normann et al. (2006) unterstreichen mit einem Experiment die These, dass steigende Grenzkosten, gefolgt von einer
konkaven Überschussfunktion, zu einem Preisnachlass für große Abnehmer führen.
40 Statt über die Kostenfunktion kann man das Preisfindungssystem auch mit Hilfe der Überschussfunktion darstellen. Die
Argumentation ist dann, dass die konvexen Produktionskosten zu einer konkaven Überschussfunktion führen. Woraus
folgt, dass ein höheres Ordervolumen einen höheren Grenzüberschuss pro Stück nach sich zieht, gegeben die oben
genannten Annahmen.
41 Chipty/Snyder (1999) ist hier eine klassische Referenz, die die US-amerikanische Kabelfernsehindustrie mit diesem
Ansatz untersucht.
42 Chae und Heidhues zeigen außerdem, wie Nachfragebündelung zu einem Diskont führen kann, wenn der Abnehmer
risikoavers ist und die Präferenzen durch eine HARA-Nutzenfunktion abgebildet sind.

13
4.2. Türsteher - Funktion
Man spricht von einer Türsteher-Funktion (,,Gatekeeper") eines Händlers, wenn dieser einen
relativ großen Marktanteil in einem bestimmten Verkaufsgebiet besitzt.
43
Es ist intuitiv, dass aus
einer solchen Stellung Nachfragemacht entstehen kann.
Zum Beispiel kann es für einen Markenproduzenten, der großen Wert auf die Reputation und
Erreichbarkeit seiner Produkte legt, zumal wenn er dafür eine teure nationale Werbekampagne
initiiert hat, negativ sein, wenn diese nicht flächenübergreifend erhältlich sind. Andererseits
liegt es in diesem Fall auch im ureigenen Interesse des Händlers, dieses zentrale Produkt
anzubieten. In so einer gegenseitigen Abhängigkeit ist im Einzelfall die Frage zu klären, wer
von beiden im Endeffekt weniger unter einer Nichteinigung leidet.
Um Nachfragemacht als Türsteher auszuüben, muss eine Handelskette im Prinzip nicht
besonders groß sein. Auch eine kleinere Handelskette, die etwa in einem wenig besiedelten
Verkaufsgebiet agiert, kann grundsätzlich als Türsteher fungieren.
In Deutschland sorgt das dicht gespannte Discounter-Filialnetz und die insgesamt relativ hohe
Verkaufsfläche dafür, dass vermutet werden kann, dass tendenziell Wettbewerb herrscht und
man nicht von lokalen Monopolen ausgehen muss.
44
Allerdings: in § 19 Abs. 3 Satz. 1 spricht
das GWB von einer ,,Marktbeherrschungsvermutung", wenn ein einzelnes Unternehmen einen
Marktanteil von zumindest einem Drittel hat. Betrachtet man außerdem das vom
Bundeskartellamt definierte ,,abgestufte Wettbewerbsverhältnis" - Differenzierung zwischen
Eigen- und Herstellermarken - und beachtet, dass das Amt in seinen Ermittlungen im Zuge der
Fusion zwischen Netto und Plus diesen ein Drittel Anteil in bestimmten Regionalmärkten
bereits überschritten sieht, besteht doch eine ,,lokale Monopolvermutung", insbesondere im
Herstellermarkenbereich.
45
4.3. Relative Abhängigkeit
Besonders in der wettbewerbsrechtlichen Praxis spielen bei der Beurteilung von
Nachfragemacht relative Kennziffern eine Rolle. Beispielsweise ermittelte die Europäische
Kommission 1999 im Zuge der Fusionsverhandlungen zwischen Rewe und Meinl einen
bestimmten Abhängigkeitsindikator. Im Ergebnis kam die Kommission zu dem Schluss, dass
die Gefahr eines Ausbeutungsmissbrauchs besteht, wenn ein Kunde für mindestens 22% des
Gesamtumsatzes eines bestimmten Lieferanten verantwortlich ist.
46
Gerät der Lieferant durch
einen Absatzausfall in Höhe dieses Schwellenwertes in Zahlungsschwierigkeiten, kann man
von ökonomischer Abhängigkeit sprechen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Frage,
43 Beispielsweise untersagte die Europäische Kommission 1996 die Fusion zwischen den finnischen Händlern Kesko und
Tuko. Sie befürchtete, dass Kesko seine Rolle als ,,gatekeeper" zu sehr ausbauen könnte. Siehe European Commission
(1999) S. 169.
44 Laut ,,Agrimente 2008" der ZMP steht ,,dem Verbraucher in Deutschland etwa doppelt soviel Verkaufsfläche zur
Verfügung wie in Frankreich oder England". Die KPMG (2005) hat ermittelt, dass 93% der Deutschen Aldi und 81% der
Deutschen Lidl als ,,erreichbar" bezeichnen.
45 Vgl.
Bundeskartellamt
Fall B 2 ­ 333/07, S. 47 ff.
46 Vgl. Entscheidung vom 3.2.1999, ABI L 274, S. 16 (Rz. 101). Auch das Bundeskartellamt bezieht sich im Fusionsfall
Netto/Plus auf diese Definition. Siehe Fall B 2 ­ 333/07, S. 115.

14
ob es nicht Möglichkeiten gibt, Zahlungsschwierigkeiten, die aus einem solchen Umsatzverlust
resultieren, zu relativieren; etwa indem das betroffene Unternehmen sein kurzfristiges
Produktionsniveau und damit auch die Kosten flexibilisiert oder seine Kreditkanäle modifiziert.
Da es in der Beziehung zwischen einem Lebensmitteleinzelhändler und einem Zulieferer recht
alltäglich ist, dass der Zulieferer für einen verhältnismäßig kleinen Umsatzanteil beim Händler
und ein Händler für einen relativ großen Anteil beim Zulieferer verantwortlich ist, erscheint es
zu pauschal, daraus unbedingte Nachfragemacht abzuleiten.
47
Möglicherweise ist es sinnvoller, die absoluten Gewinneinbußen die beiden Parteien im Falle
eines Scheiterns der Verhandlungen entstehen, zu vergleichen; denn auch wenn ein bestimmtes
Produkt nur für einen Bruchteil des totalen Umsatzes bzw. Gewinnes eines Retailers
verantwortlich ist, kann es trotzdem mit erheblichen negativen Konsequenzen verbunden sein,
dieses Produkt nicht im Sortiment zu führen. Handelt es sich z.B. um ein stark nachgefragtes,
nicht substituierbares Markenprodukt, könnte die Neigung der Konsumenten den Händler zu
wechseln und dabei im Zuge des ,,One-Stop-Shoppings" auch andere Produkte bei der
Konkurrenz einzukaufen, steigen. Daraus folgt, dass ein mechanischer Blick auf relative
Anteile nicht ausreicht, um Verhandlungsmacht angemessen zu erfassen. Zweckdienlicher ist
es, Abbruchoptionen bzw. Substituierungsalternativen zu prüfen.
4.4. Handelsmarken
Handelsmarken stellen für den Handel beim Bemühen ein möglichst großes Stück vom
inkrementellen ,,Überschusskuchen" zu gewinnen, ein probates Mittel dar.
48
Dies unterstreicht
zum einen die Tatsache, dass heutzutage kaum noch ein Händler existiert, der nicht wenigstens
ein Produkt unter seiner Handelsmarke produzieren lässt. Außerdem ergibt es sich aus der
Tatsache, dass es sich kaum noch ein Produzent leisten kann, sich der Produktion von
Eigenmarken zu verweigern.
49
Die Gründe für die Beliebtheit der Handelsmarken sind
vielfältiger Natur.
Indem ein Händler seinem knappen Regalplatz Eigenmarken zuweist, verknappt er das
Angebot. Die ökonomische Intuition assoziiert dies mit einem Preisanstieg bzw. hier mit einem
Sinken des Einstandspreises, zusätzlich tritt er dadurch vom vertikalen in den horizontalen
Wettbewerb mit den Produzenten. Auch mit einer Straffung des Wettbewerbs verknüpft die
ökonomische Logik tendenziell niedrigere Preise, denn die ,,Einzigartigkeit" der Marke wird
unterminiert (Markenerosion).
Außerdem erhöhen Handelsmarken sowohl die Abbruchoption als auch die sogennante ,,Status-
quo-Auszahlung".
47 Vgl. Bundeskartellamt Fall B 2 ­ 333/07, S. 110.
48 Ein Literaturüberblick über das ökonomische Wesen von Eigenmarken findet sich in Bergès-Sennou et al. (2004). Für
eine aktuelle Studie zur Entwicklung der Eigenmarken in den USA und in Europa siehe IRI (2007).
49 Rund 75% der Produzenten stellen mittlerweile Handelsmarken her, siehe Ernst & Young (2006). Berechnet in Mengen
betrug der Anteil der Eigenmarken 2006 in Deutschland 38,9% - das ist der vierthöchste Wert in Europa. Der Anteil
schwankt je nach Produktkategorie, hoch ist er z.B. für Instanttee (86,5%) und niedrig bei Kindernährmitteln (0,3%).
Vgl. Private Label Manufacturers Association (2007).

15
Ersteres ist intuitiv, denn Handelsmarken stellen eine Substitutionsalternative dar - entweder
indem ein externer Hersteller den Auftrag erteilt bekommt die Handelsmarke herzustellen oder
auch durch Rückwärtsintegration bzw. die Drohung damit. Die Status-quo-Auszahlung, in der
Verhandlungstheorie auch ,,inside option" genannt, verbessert sich, da Eigenmarken dem
Handel bei langwierigen Verhandlungen die Möglichkeit bieten ein gewisses Absatzniveau zu
sichern. Das heißt, dass stockende Verhandlungen dem Retailer weniger Opportunitätskosten
verursachen, die Spieltheorie spricht in diesem Sinne von einem Mehr an ,,Geduld".
50
Umso
geduldiger eine Partei während alternierenden Verhandlungsrunden sein kann, umso
ausgeprägter sollte ihre Verhandlungsmacht ausfallen und damit letztendlich auch der ihr
zufallende Anteil am inkrementellen Überschuss.
Ein weiterer Vorteil, der einem Händler bei der Produktion von Eigenmarken entstehen kann,
ist verknüpft mit der Verschiebung der Arbeitsteilung, die durch die Entfaltung der
Eigenmarken entsteht. Der Einzelhandel übernimmt nicht nur mehr und mehr traditionelle
Aufgaben der Industrie, wie beispielsweise Marketing oder Design, sondern das vertikale
Zusammenwachsen kann sogar so weit gehen, dass der Handel einen tief gehenden Einblick in
den Herstellungsprozess erhält.
51
Diese Verbesserung seiner Kenntnisse, z.B. um die
Kostenstruktur bestimmter Produkte, erhöht die Möglichkeit zu seinen Gunsten eine
Informationsasymmetrie gegenüber einem Verhandlungspartner herzustellen.
Tendenziell findet sich die Fertigung von Handelsmarken als Kerngeschäft eher bei kleinen und
mittleren Produzenten mit schwacher Kapitalausstattung.
52
Größere und insbesondere
kapitalstarke Hersteller dürften weniger geneigt sein, ihre sensiblen Informationen zu teilen.
5. Konsequenzen von Nachfragemacht
Die Ausübung von Nachfragemacht hat Auswirkungen auf die Verteilung der Wohlfahrt aus
einem gemeinsamen Handelsgeschäft. Es liegt nahe, dass aufgrund von Nachfragemacht der
Gewinn des Händlers steigt und der des Lieferanten fällt. Weniger intuitiv wird es, wenn man
nach den kurz- bzw. langfristigen Auswirkungen auf die Konkurrenz des bevorteilten Käufers,
nach den Effekten auf die Marktstrukturen oder auch nach Investitionsanreizen fragt.
Zusätzlich ist auch die Frage interessant, wie sich die Konsumentenrente verändern wird. Will
man diese Frage lösen, kommt man nicht umhin, die Konsequenzen auf die Konkurrenz, die
Marktstrukturen und die Investitionsanreize zu erforschen; denn sowohl einzeln als auch im
Zusammenspiel wirken all diese Faktoren mit der Zeit auf die Rente der Konsumenten ein.
Die viel beachtete Idee des ,,Countervailing Power" geht beispielsweise davon aus, dass starke
Käufer, stark geworden etwa durch eine Fusion, gewissermaßen als Agenten für die
50 In diesem Zusammenhang ist vor allem die sogenannte ,,nicht-kooperative Verhandlungstheorie" zu nennen.
51 Für eine aktuelle Studie über ,,den Kampf um die Wertschöpfungskette", siehe Ernst & Young (2006). Ein Extrembeispiel
in diesem Zusammenhang ist, dass Lidl ­ um sich bei Eigenmarken unabhängig zu machen ­ bei Aachen eine der größten
Schokoladenfabriken Europas bauen wird.
52 Vgl. Spiller (2000) S. 396f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836622622
DOI
10.3239/9783836622622
Dateigröße
807 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn – Wirtschaftswissenschaften, Volkswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2008 (November)
Note
1,7
Schlagworte
lebensmittel einzelhandel milchmarkt nachfragemacht wertschöpfungskette
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Titel: Nachfragemacht im deutschen Lebensmitteleinzelhandel
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