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Sexuell übergriffiges Verhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden

Sozialpädagogische Hilfen im Rahmen der stationären Jugendhilfe

©2007 Diplomarbeit 117 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Diese Arbeit soll ein Thema ansprechen, welches bis heute oft verschwiegen wurde. Ein Thema, welches bagatellisiert oder als pubertäres Suchverhalten abgetan wurde. Ein Thema, das mit den Begriffen Neugier- und Experimentierverhalten beschrieben wurde. Welches als persönliches Problem zwischen Opfer und Täter oder als einmaliger Ausrutscher verharmlost wurde.
Dies stellt jedoch eine der schlimmsten Formen der Gewalt dar. Sexuelle Übergriffe, speziell gegenüber Kindern, aber auch Jugendlichen, bringen für das Opfer schwere körperliche und seelische Folgen mit sich.
Mehrere Statistiken, die unter Punkt ‘B.1 Darstellung der Problematik‘ aufgezeigt sind, zeigen, dass dieses Thema nicht ‘unter den Teppich gekehrt’ werden darf.
Die Anzahl von registrierten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrug im Jahre 2005 über 55000. Der Anteil der Tatverdächtigen unter 21 Jahren machte dabei knapp 20 % aus. In Anbetracht dieser Zahlen scheint das Thema momentan brisanter denn je. Gerade die Entwicklung zu jüngeren Tätern und die steigende Deliktzahl in diesem Täterkreis wirft Fragen auf. Ausführlichere Angaben werden unter dem Punkt ‘B.1 Darstellung der Problematik‘ aufgeführt.
Was ist der Grund für diese Entwicklung? Ist durch das große Angebot von Literatur, Beratungsstellen und Schlagzeilen in den Medien lediglich die Aufmerksamkeit und somit die Anzeigebereitschaft für diesen Täterkreis erhöht? Dies würde allerdings bedeuten, dass die Deliktzahl sich nicht unbedingt verändert hat, sondern lediglich die Anzahl der registrierten Delikte.
Oder ist es so, dass die Anzeigebereitschaft nach wie vor eher gering ist, und wir es mit einer steigenden Deliktzahl und einer Verschiebung zu jüngeren Tätern zu tun haben? Dass sexuell übergriffiges Verhalten oftmals als Bagatelle abgetan wird (‘unglückliche Kontaktaufnahme’) und den Opfern die Schuld gegeben wird (‘aufreizende Erscheinung’), spricht zumindest dafür.
Wie auch immer, ob die Deliktzahl gleichgeblieben ist, oder steigt - angesichts der bekannten Daten ist dringender Handlungsbedarf in Form von Prävention und Therapie notwendig. In der vorliegenden Arbeit wird lediglich die Täterarbeit, d.h. die Therapie betrachtet. Bezug auf präventive Maßnahmen zu nehmen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Wenn ein Jugendlicher sexuell übergriffig wird, bedeutet das nicht automatisch, dass dies der Beginn ‘einer Täterkarriere’ sein muss. Das Risiko, dass jedes Kind, jeder […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

A. Einleitungsgedanke

B. Theoretische Grundlagen und Informationen zu sexuell übergriffigem Verhalten
1. Darstellung der Problematik
2. Die normale (sexuelle) Entwicklung
3. Kriterien für abweichendes Verhalten
3.1 Ursachen bzw. Auslöser
3.2 „Modell der vier Voraussetzungen“ von Finkelhor
3.3 Täterbezogene Informationen
3.4 Schwierigkeiten bei der Feststellung
3.5 Kriterienfragebogen
4. Übergriffiges Verhalten von Mädchen
4.1 Unverständnis für sexuelle Übergriffe durch Mädchen
4.2 Ursachen für sexuell übergriffiges Verhalten
4.3 Druckmittel gegenüber dem Opfer
4.4 Erscheinungsformen
4.5 Übergriffiges Verhalten von Mädchen wird kaum anerkannt
5. Grundsätze für die Therapie
5.1 Richtige Vorgehensweise von Mitarbeitern
5.2 Therapieziele

C. Praxisbeispiel einer vollstationären Einrichtung
1. Allgemeines zum gesamten Jugendhilfezentrum
2. Das Pinardi-Haus
2.1 Geschichte des Hauses Pinardi
2.2 Die therapeutische Wohngruppe Pinardi allgemein
2.3 Die therapeutische Intensivgruppe Turin allgemein
2.4 Ambulanz
3. Das pädagogischen Konzept des Hauses
3.1 Baustein: Opferschutz durch Prävention
3.2 Baustein: Aufnahme
3.3 Baustein: Rechtliche Grundlagen
3.4 Baustein: Pädagogische Grundlagen
3.5 Baustein: Therapeutische Grundlagen
3.6 Baustein: Schule und Ausbildung
3.7 Baustein: Kooperation mit Justiz und Psychiatrie
3.8 Baustein: Nachsorge
3.9 Baustein: Multiprofessionelles Team
3.10 Baustein: Fort- und Weiterbildung
3.11 Baustein: Wissenschaftliche Begleitung
4. Die pädagogische Methoden der einzelnen Gruppen
4.1 Gruppe Pinardi
4.2 Gruppe Turin
5. Weitere interessante Details vom Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg

D. Vergleich: Theorie und Praxis
1. Vergleich
1.1 Therapieinhalte
1.2 Therapieziele
2. Bewertung der Arbeit des JHZ Don Bosco Helenenberg

E. Resümee
1. Zusammenfassung
2. Stellungnahme

F. Ausblick

Anhang
1. Arbeitshilfen im pädagogischen Konzept
1.1 Laufzettel für Jugendliche der Stufe 0
1.2 Stufenpläne der Gruppe Pinardi
1.3 Stufenpläne der Gruppe Turin
1.4 Wochenpläne
2. Gesetzestexte
2.1 Strafgesetzbuch, Abschnitt 13
2.2 SGB VIII
3. Liste von Einrichtungen in Deutschland
3.1 Stationärer -Einrichtungen
3.2 Ambulante Beratungsstellen / Dienste

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Vorwort

Allem voran möchte ich mich bei wichtigen Personen bedanken, die mich bei der Erstellung der Arbeit unterstützt haben.

Zuerst einmal vielen Dank an Herrn Professor Veith, der sich bereit erklärte, die Erstbetreuung meiner Diplomarbeit zu übernehmen. Des Weiteren sei Frau Gabriele Weiß für die Übernahme der Zweitkorrektur vielmals gedankt.

Vielen Dank an die Einrichtung Don Bosco, speziell Herrn Friesen (Bereichsleiter), der sich die Zeit nahm, mir die Einrichtung zu zeigen und sämtliche Fragen zu beantworten.

Dank an meine Eltern, die mir finanziell ermöglichten, das Studium zu absolvieren und jederzeit bei Problemen ein Ansprechpartner für mich waren.

Ein besonderer Dank geht an meinen Freund, der mich mit viel Liebe und Geduld während meines ganzen Studiums, vor allem während der Diplomarbeit unterstützt und mich immer wieder ermutigt hat.

Dank auch an unserm Schöpfer. Er ist es, der Anlass zu hoffen gibt. Er klärt die Frage nach der Schuld.

Juni 2007

A. Einleitungsgedanke

Diese Arbeit soll ein Thema ansprechen, welches bis heute oft verschwiegen wurde. Ein Thema, welches bagatellisiert oder als pubertäres Suchverhalten abgetan wurde. Ein Thema, das mit den Begriffen Neugier- und Experimentierverhalten beschrieben wurde. Welches als persönliches Problem zwischen Opfer und Täter oder als einmaliger Ausrutscher verharmlost wurde.

Dies stellt jedoch eine der schlimmsten Formen der Gewalt dar. Sexuelle Übergriffe, speziell gegenüber Kindern, aber auch Jugendlichen, bringen für das Opfer schwere körperliche und seelische Folgen mit sich.

Mehrere Statistiken, die unter Punkt „B.1 Darstellung der Problematik“ aufgezeigt sind, zeigen, dass dieses Thema nicht „unter den Teppich gekehrt“ werden darf.

Die Anzahl von registrierten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrug im Jahre 2005 über 55000. Der Anteil der Tatverdächtigen unter 21 Jahren machte dabei knapp 20 %[1] aus. In Anbetracht dieser Zahlen scheint das Thema momentan brisanter denn je. Gerade die Entwicklung zu jüngeren Tätern und die steigende Deliktzahl in diesem Täterkreis wirft Fragen auf. Ausführlichere Angaben werden unter dem Punkt „B.1 Darstellung der Problematik“ aufgeführt.

Was ist der Grund für diese Entwicklung? Ist durch das große Angebot von Literatur, Beratungsstellen und Schlagzeilen in den Medien lediglich die Aufmerksamkeit und somit die Anzeigebereitschaft für diesen Täterkreis erhöht? Dies würde allerdings bedeuten, dass die Deliktzahl sich nicht unbedingt verändert hat, sondern lediglich die Anzahl der registrierten Delikte.

Oder ist es so, dass die Anzeigebereitschaft nach wie vor eher gering ist, und wir es mit einer steigenden Deliktzahl und einer Verschiebung zu jüngeren Tätern zu tun haben? Dass sexuell übergriffiges Verhalten oftmals als Bagatelle abgetan wird („unglückliche Kontaktaufnahme“) und den Opfern die Schuld gegeben wird („aufreizende Erscheinung“), spricht zumindest dafür.

Wie auch immer, ob die Deliktzahl gleichgeblieben ist, oder steigt - angesichts der bekannten Daten ist dringender Handlungsbedarf in Form von Prävention und Therapie notwendig. In der vorliegenden Arbeit wird lediglich die Täterarbeit, d.h. die Therapie betrachtet. Bezug auf präventive Maßnahmen zu nehmen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Wenn ein Jugendlicher sexuell übergriffig wird, bedeutet das nicht automatisch, dass dies der Beginn „einer Täterkarriere“ sein muss. Das Risiko, dass jedes Kind, jeder Jugendliche oder Heranwachsende, hauptsächlich aber Risikogruppen, derart sexuell missbräuchliches Verhalten erlernen können, ist jedoch gegeben. Daher ist die frühzeitige Erkennung und Intervention von großer Wichtigkeit.

Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit Sensibilität, Verständnis und Fachwissen für die Thematik des sexuell übergriffigen Verhaltens aufgebaut werden.

Abschnitt B der Arbeit befasst sich mit theoretischen Grundlagen zum Thema des sexuell übergriffigen Verhaltens von Jugendlichen oder Heranwachsenden.

In Abschnitt C soll die praktische Arbeit einer Einrichtung, die sich auf Jugendliche und Heranwachsende mit sexuell übergriffigem Verhalten spezialisiert hat, anhand deren Konzepts vorgestellt werden. Vorgestellt wird dabei das Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg. Dieses ist eine der wenigen und eine der ersten Einrichtungen in Deutschland, die sich auf dieses Klientel spezialisiert hat und am längsten damit arbeitet.

Im darauf folgenden Abschnitt D sollen die Aussagen aus den beiden vorherigen Abschnitten verglichen und bewertet werden.

Da es bereits eine Vielzahl von Beratungsstellen und Hilfsangebote für Opfer von sexuellen Übergriffen gibt, wird hier die Arbeit mit den Tätern behandelt.

Wird in dieser Arbeit von Tätern gesprochen, sind überwiegend männlichen Jungendlichen gemeint. Zu begründen ist dies einerseits damit, dass Mädchen eher seltener als Täter in Frage kommen, andererseits, dass auch der praktische Teil auf männliche Jugendliche ausgelegt ist. Jedoch soll anhand eines Kapitels (siehe Punkt B.4) dargelegt werden, dass auch heranwachsende Frauen – wenn auch nur in der Minderheit – sexuell übergriffiges Verhalten aufzeigen können.

„Junge Menschen“[2] ist ein fest definierter Sammelbegriff für die drei folgenden Gruppierungen:

Unter 14-Jährige: Kinder

14- bis unter 18-Jährige: Jugendliche

18- bis unter 21-Jährige: Heranwachsende

Die Gruppe der Kinder wird in dieser Arbeit nicht behandelt. Entsprechend dem Thema geht es ausschließlich um Jugendliche und Heranwachsende. Erwachsene werden ebenfalls außen vor gelassen.

Im Verlauf der Arbeit wird unter anderem auch auf die Betrachter sexuell übergriffigen Verhaltens eingegangen. Unter dem Begriff des „Betrachters“ werden Personen und Gruppen wie z.B.: Pädagogisches Fachpersonal wie Lehrer, Sozialpädagogen oder Erzieher, Eltern, Verwandte usw. zusammengefasst.

B. Theoretische Grundlagen und Informationen zu sexuell übergriffigem Verhalten

In dieser Arbeit wird vorwiegend der Begriff „sexuell übergriffiges Verhalten“ verwendet. Gleich zu Beginn soll jedoch klargestellt werden, dass dieser Überbegriff, obwohl er sich relativ harmlos anhört auf Unfreiwilligkeit, Gewalt, Verletzung sowie auf Opfer und Täter hinweist.

Er wird unter anderem durch Begriffe wie sexuelle Gewalt, sexuelle Ausbeutung, sexuelle Belästigung, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, sexuelle Impulsivität, sexuell aggressives Verhalten, sexuelle Misshandlung usw. definiert. All dies sind Um- und Beschreibungen die wir im alltäglichen Gebrauch hören oder in der Literatur zu lesen bekommen. Allesamt sind als „Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ anzusehen und sind im Strafgesetzbuch (StGB) gemäß Abschnitt 13 beschrieben (siehe Anhang Punkt 2.1).

Die Definition des Begriffs „sexuell übergriffiges Verhalten“ umfasst jedoch auch viel geringere Handlungen, die nicht unbedingt auf körperlicher Gewalt basieren. So sind alle sexuellen Handlungen gegen den Willen einer anderen Person hinzuzuzählen, die auf Grund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Vorsichtige Berührungen oder Blicke können bereits den Anfang markieren. Jedoch darf nicht jede Berührung oder jeder Blick automatisch als sexuell übergriffiges Verhalten angesehen werden. Dies kann erst festgelegt werden, wenn unter anderem Aussagen über die Motivation der Handlungen vorliegen.

Die überaus weite Definition des Begriffs „sexuell übergriffiges Verhalten“ ist nötig, um die Anfänge dieses Verhaltens zu erkennen.

Im folgenden Kapitel werden Zahlen aus der „Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2005 der Bundesrepublik Deutschland“ aufgeführt. Sie sollen nachdrücklich belegen, dass diese Themen, die fast täglich zu lesen und zu hören sind, tatsächlich ein ernstes Problem darstellen.

1. Darstellung der Problematik

Nachfolgend soll anhand von Zahlen und Statistiken der Bedarf an Information und Täterarbeit erörtert werden.

Zur Erläuterung der folgenden Abbildungen und Tabellen soll eine kurze Definition der Straftatgruppen gemäß Abschnitt 13 StGB erfolgen. Der genaue Wortlaut des Gesetzestextes ist im Anhang unter Punkt 2.1 einzusehen.

- Sexueller Missbrauch von Kindern, liegt dann vor, wenn eine Person sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt. Hierzu zählen die Paragraphen 176, 176a, 176b des StGB. Wobei es beim Paragraphen 176b bis zu Handlungen mit Todesfolge geht.
- Exhibitionistische Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses liegen vor, wenn öffentlich sexuelle Handlungen vorgenommen werden. Hierunter fallen die Paragraphen 183 und 183b StGB.
- Der Tatbestand der Vergewaltigung und sexuelle Nötigung ist gegeben, wenn sexuelle Handlungen unter Gewalt, Bedrohung oder Ausnutzung einer Schutzlosen Lage des Opfers verübt werden. Hierzu zählen die Paragraphen 177 Abs. 2, 3 und 4, sowie 178 StGB.
- Besitz und Verschaffung von Kinderpornographie sind durch Verbreiten, öffentliches zur Schau stellen, Herstellen und Vertrieb von pornographischem Material, mit sexuellem Missbrauch von Kindern als Inhalt, gekennzeichnet. Dieses ist beschrieben im Paragraph 184b StGB.
- Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung bedeutet, dass Personen unter Ausnutzung einer Zwangslage, Hilflosigkeit oder List zur Aufnahme oder Fortführung der Prostitution oder Durchführung sexueller Handlungen an Dritten gezwungen werden. Seit 11.02.2005 wird dieser Tatbestand im Paragraph 232 StGB behandelt (frühere Paragraphen 180b und 181 Abs.1 Nr. 2 u. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Diagramm über die zeitliche Entwicklung der Deliktzahlen in ausgewählten Gruppen

Quelle: PKS Berichtsjahr 2005. S. 137

Um die Präsenz des Themas zu verdeutlichen, wird zu Beginn die zeitliche Entwicklung der Deliktzahlen gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrachtet. In der vorher stehenden Abbildung 2 ist der zeitliche Verlauf der erfassten Fälle vom Jahr 1987 bis zum Jahr 2005 dargestellt. Zu beachten ist, dass von 1987 bis 1990 nur die alten Bundesländer, von 1991 bis 1992 die alten Bundesländer mit Berlin und ab 1993 das gesamte Bundesgebiet erfasst wurde.

Exemplarisch wurden drei Straftat-Gruppen aufgeführt. Beim Exhibitionismus zeigt sich eine gleichbleibende Zahl der erfassten Fälle, die um den Wert von 10 000 schwankt. Im Falle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung ist eine leichte Steigung zu verzeichnen. Beim sexuellen Missbrauch von Kindern, ist bis zum Jahre 1997 ein starker Anstieg zu erkennen. Von da an etwa gleichbleibend mit leicht fallender Tendenz zum Jahre 2005 hin. Erschreckend ist in dieser Abbildung, dass der Missbrauch von Kindern deutlich über den anderen beiden Tatbeständen steht, teilweise mehr als doppelt so hoch.

Diese Sachlage wird durch die folgende Tabelle 1 bekräftigt. Wie aus dieser ersichtlich ist, macht der sexuelle Missbrauch von Kindern, bei den registrierten Taten, prozentual den größten Teil aus. Gleich gefolgt von Exhibitionismus, Vergewaltigung und sexueller Nötigung.

Mit Schusswaffen wurde in den wenigsten Fällen gedroht, eingesetzt wurden sie „nur“ in der Straftatgruppe Menschenhandel.

Betrachtet man die Verteilung der Taten nach der Größe der Städte, in denen sie verübt worden sind, fällt auf, dass die Anzahl an Taten in kleineren Städten größer ist. Hierbei sei jedoch erwähnt, dass im Verhältnis dazu auch der Größere Anteil der Bevölkerung in kleineren Städten lebt. (< 20t EW: 42,0%; 20t – 100t EW: 27,3%; 100t – 500t EW: 16,3%; >500t EW: 14,4%)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Zahlen über bekannt gewordene Fälle im gesamten Bundesgebiet

Quelle: PKS Berichtsjahr 2005. S. 138

Berücksichtigt man dies, so ist im Fall des Missbrauchs von Kindern die Anzahl der Taten in Städten < 20000 Einwohner im Verhältnis zu den übrigen geringer. Im Falle von Vergewaltigungen ist die Anzahl der Taten in Großstädten (>500000 Einwohner) überdurchschnittlich hoch, und auf dem Land (<20000 Einwohner) überdurchschnittlich gering. Dies wird auch in der nachstehenden Tabelle 2 verdeutlicht. Diese stellt die Verteilung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung über das gesamte Bundesgebiet, aufgeschlüsselt nach Bundesländern, dar. Die zeitliche Entwicklung ist in Form der Häufigkeitszahlen ebenfalls aufgeführt.

Vergleicht man gemäß Tabelle 2 die Zahl der erfassten Fälle mit der Häufigkeitszahl, so stellt man teilweise große Unterschiede fest. Bayern, beispielsweise, mit einer sehr hohen Zahl an erfassten Fällen hat jedoch im Gegensatz zu Berlin, mit erheblich weniger erfassten Fällen, eine deutlich geringere Häufigkeitszahl. Die Häufigkeitszahl betrachtet das Problem relativ zur Einwohnerzahl des jeweiligen Landes. Gemessen an der Einwohnerzahl haben demnach Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) prozentual höhere Deliktzahlen als große Länder (Bayern, Baden-Württemberg). Ausnahme bilden Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein sowie Mecklenburg-Vorpommern, welche trotz ländlicher Struktur eine erhöhte Häufigkeitszahl aufweisen.

Der zeitliche Verlauf zeigt ein Absinken der erfassten Fälle mit Maximum in den Jahren 2002 und 1998.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

*) Fälle pro 100 000 Einwohner

Tabelle 2: Häufigkeitszahlen in den Ländern von sexuellem Missbrauch von Kindern

Quelle: PKS Berichtsjahr 2005. S. 141

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Zahlen über die Geschlechts- und Altersstruktur der Tatverdächtigen in der gesamten Bundesrepublik

Quelle: PKS Berichtsjahr 2005. S. 139

Werden die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht nach ihrer regionalen Verteilung sondern auf den Täter bezogen betrachtet, gibt Tabelle 3 Aufschluss über die Anzahl und Altersverteilung der Tatverdächtigen. Die Anzahl ist im Gegensatz zu den registrierten Fällen geringer, was daran liegen könnte, dass viele Fälle nicht aufgeklärt werden können, bzw. dass ein Täter für mehrere Taten verantwortlich sein kann.

Auch in dieser Statistik macht der sexuelle Missbrauch von Kindern den größten Teil aus, gefolgt von Vergewaltigungen und sexueller Nötigung.

Wie ersichtlich ist, werden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung überwiegend von männlichen Erwachsenen ab 21 Jahren verübt. Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren weißen dafür eine hohe Zahl bei sexueller Nötigung oder sexuellem Missbrauch von Kindern auf. Diese Aussagen sind vor allem vor dem Hintergrund, dass eine derartige Täterkarriere meist schon im Jugendlichenalter beginnt, sehr wichtig.

Im Folgenden soll der Focus auf die Situation der Opfer gelegt werden. Betrachtet man Tabelle 4, ist offensichtlich zu erkennen, dass sich der Großteil der Opfer beim weiblichen Geschlecht wiederfindet. Zu bemerken ist hingegen, dass in den Gruppen sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie Kindern die Anzahl der Opfer des männlichen Geschlechts steigt.

In den Gruppen „Vergewaltigung“ und „sexuelle Nötigung“ sowie „sonstige sexuelle Nötigung“ ist der Großteil der Opfer der Altersgruppe der Erwachsenen unterzuordnen. Ansonsten eher der Gruppe Jugendliche als derer der Heranwachsenden.

In den Gruppen „sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie Kindern“ sind die Opfer hauptsächlich unter der Altersgruppe Kinder zu finden, was sich aus der Definition der Straftatgruppe ergibt. Beim Missbrauch von Schutzbefohlenen sind ca. 50 % Kinder als Opfer verzeichnet, danach hauptsächlich noch Jugendliche.

Die nachfolgende Abbildung 3 soll die altersmäßige Verteilung der weiblichen Opfer noch verdeutlichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Opfer nach Alter und Geschlecht

Quelle: PKS Berichtsjahr 2005. S. 140

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

*) Opfer pro 100 000 weiblicher Einwohner bezogen auf die jeweilige Altersgruppe

Abbildung 3: Darstellung von weiblichen Opfern nach Altersgruppen bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 2, 3 und 4, 178 StGB

Quelle: PKS Berichtsjahr 2005. S. 140

Wie in Abbildung 3 deutlich zu erkennen ist, besteht vor allem in den Altersgruppen Jugendliche und Heranwachsende eine sehr hohe Opfergefährdungszahl. Bei Erwachsenen ist die Gefährdung schon deutlich geringer, bei über 60-jährigen taucht sie fast nicht mehr in der Statistik auf. Die hohe Diskrepanz zwischen Versuch und vollendetem Fall könnte unter anderem an der geringen Anzeigebereitschaft bzw. Verharmlosung von „Versuchen“ zu finden liegen.

Neben den Statistiken des Bundeskriminalamts (BKA) gibt es eine Vielzahl an Studien und Befragungen.

Ein Beispiel wäre eine Studie von Jutta Elz aus dem Jahre 2004. Die Befragung von Schulleitern, LehrerInnen und SchülerInnen sowie Eltern fand in Bochum statt: 44 % der Schulleitungen und ebenso viele der 161 LehrerInnen teilten mit, dass es sexuelle Belästigung an ihren Schulen gäbe. Für sexuellen Missbrauch gaben die Schulleitung 5,5 %, die LehrerInnen jedoch 12 % an. Die 930 befragten SchülerInnen aus 26 Schulen und allen Klassenstufen gaben zu 44 % an, verbale und zu 21 % tätliche sexuelle Belästigung beobachtet zu haben. Als Opfer bezeichneten sich 24 %, bzw. 13 %, als Täter 11 %, bzw. 5 %. Als Opfer gaben Mädchen mit 34 % erlebte verbale und 19 % tätliche Belästigung an, Jungen zu 12 % bzw. 7 %. Von den befragten Eltern glaubte niemand, dass tätliche sexuelle Übergriffe überhaupt in der Schule vorkommen.

Weiter belegen wissenschaftliche Untersuchungen, dass etwa ein Drittel der Opfer sexueller Gewalt angeben, von älteren Kindern oder Jugendlichen missbraucht worden zu sein. Bestätigt wird dies dadurch, dass die internationale Täterforschung deutlich macht, dass ein großer Teil der Täter im Kinder- und Jugendalter mit sexuellen Übergriffen beginnt.

Derartige Studien sind jedoch eher kritisch zu betrachten, da Sexualdelikte oftmals von den Befragten verleugnet oder gar verschwiegen werden. Ein weiteres Problem stellt die Definition der Begrifflichkeiten von Studie zu Studie dar, so dass eine Vergleichbarkeit meist nicht möglich ist. Darüber hinaus werden in den wenigsten Studien explizit die Begriffe Missbrauch oder sexualisierte Gewalt verwendet.

Zusammenfassend lassen sich die folgenden Trends feststellen:

Die Deliktzahlen im sexuellen Missbrauch von Kindern sind in den 90-er Jahren deutlich gestiegen. Auch bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung sind die Deliktzahlen hoch und tendenziell steigend, wie aus Abbildung 2 ersichtlich ist. Dies sind alarmierende Zahlen, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Dunkelziffer meist noch höher ist.

Betrachtet man Tabelle 1 und Tabelle 2, liegt die Problematik aufgrund der Verteilung eher in großen Städten als auf dem Land. Zu begründen wäre dies unter anderem mit größerer Anonymität und einer somit geringerer Hemmschwelle.

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik des BKA stellen männliche Jugendliche – gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung – den größten Anteil der Tatverdächtigen bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Jungen.

Dass etwa ein Drittel der Opfer angeben von älteren Kindern oder Jugendlichen missbraucht worden zu sein, bestätigt sich beim Betrachten der hier dargestellten Tabelle 3. In der Gruppierung „Junge Menschen“ ist die Anzahl der Tatverdächtigen unter den Jugendlichen am höchsten. Nach Taten aufgeschlüsselt vor allem bei den Delikten sexueller Missbrauch von Kindern und sonstiger sexueller Nötigung. Das vorwiegend männliche Jugendliche zu Tätern werden ist ebenfalls sehr deutlich, wobei die geringe Zahl der weiblichen Täter nicht zu vernachlässigen ist.

Bei den Opfern verhält sich die Sachlage in etwa umgekehrt zu den Tätern. Diese sind meist weiblich, jedoch ist eine Tendenz zu erkennen, dass je jünger die Opfer werden, desto höher der Anteil der männlichen Opfer ist.

Bei den weiblichen Opfern stellen wiederum die Jugendlichen und Heranwachsenden den Großteil der Opfer dar.

Aus all diesen Zahlen und Diagrammen kann man also herauslesen, dass das Problem von sexuellen Übergriffen auch und vor allem bei den Jugendlichen und Heranwachsenden ein Thema ist. Opfer sowie Täter kommen aus dieser Gruppe.

Um etwas dagegen zu tun, muss die steigende Zahl der Sexualdelikte verringert werden. Ein Problem bekämpft man am besten an der Ursache, in diesem Fall also bei den Tätern. Darum liegt hier das Augenmerk auf der Arbeit mit diesen. Vor dem Hintergrund, dass eine Täterkarriere meist schon im Jugendlichenalter beginnt, ist diese Arbeit sehr wichtig. Wie Anita Heiliger in einem Artikel[3] bereits verdeutlicht, entsteht die Fähigkeit und Bereitschaft zur Ausübung sexueller Gewalt nicht spontan im Erwachsenenalter sondern basieret auf Erfahrungen als Kind oder Jugendlicher.

An dieser Stelle soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass es schon eine Vielzahl an Einrichtungen und Ausarbeitungen zur Betreuung von und Arbeit mit Opfern gibt.

2. Die normale (sexuelle) Entwicklung

Zu Beginn dieses Teils der Arbeit wird auf die normale (sexuelle) Entwicklung eines Jugendlichen eingegangen. Dies ist notwendig, um zu erkennen, wie sich sexuell übergriffiges Verhalten äußert. Denn nur wer weiß, was als „normal“ oder als „abweichend“ einzustufen ist, kann derartiges Verhalten feststellen, intervenieren oder Hilfe einleiten.

Bei der normalen Entwicklung spielen bezüglich der sexuellen Aufklärung die Eltern die bedeutendste Rolle. Hierbei werden Mädchen zu 69 % von der Mutter und zu 18 % vom Vater aufgeklärt. Bei den Jungen werden nur 43 % von der Mutter, aber 32 % vom Vater aufgeklärt.[4] Als weitere Instanzen sind Gleichaltrige sowie LehrerInnen zu nennen.

Folgende Instanzen[5] prägen die sexuelle Entwicklung eines Jugendlichen und können sie positiv oder negativ beeinflussen:

- Die Eltern, welche dem Jugendlichen Moralvorstellungen und ihre Einstellungen allgemein vermitteln.
- Die PädagogInnen, welche anhand von pädagogischen Methoden den Jugendlichen Wissen und Meinungen vermitteln.
- Die Medien, die in der Öffentlichkeit unterschiedlichste Bilder präsentieren, was „wahre“ Männlichkeit ausmachen soll.
- Die Cliquen, in denen sich Jugendliche selbst gegenseitig aufklären.
- Das kulturelle Umfeld, in welches sich die Jungen einfügen müssen.
- Der Junge selbst, indem er unter den verschiedensten Angeboten und Darstellungen von Männlichkeit auswählt, was es für ihn bedeutet.
- Biologische Vorgänge, wie die hormonelle Steuerung.
- Die patriarchale Gesellschaftsstruktur, die sich in allen Bereichen des Lebens bemerkbar macht.

Bei näherer Betrachtung des Punktes der hormonellen Steuerung, ist festzustellen, dass der Jugendliche verschiedene Phasen der hormonellen Veränderungen durchlaufen hat. Diese werden begleitet durch Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes und der Erlangung der Möglichkeit zur Fortpflanzung.

Bei der Phase, in welcher der Jugendliche die männliche / weibliche Geschlechtsrolle übernimmt, intime Beziehungen zu Gleichaltrigen bzw. erste ernste Partnerschaften aufbaut, eine emotionale Unabhängigkeit von den Eltern, eine stabile Identität und eine Zukunftsperspektive entwickelt, wird von Pubertät[6] und Adoleszenz[7] gesprochen.

Meistens gehen mit diesen Prozessen der Selbstfindung und Ablösung Konflikte einher, die zu Überschreitungen und zum Austesten der Grenzen führen.

Dieser ganze Prozess dauert eine bestimmte Zeit an, verschwindet jedoch bei Jugendlichen, die sich „normal“ entwickeln, auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Insgesamt gelten Jungen was die Sexualität betrifft als sprachlos. Meist schaffen sie es nur durch Witze, Sprüche oder Sexualisierungen, abwertend, über dieses Thema zu reden. Sie sehen die Sexualität oft nur in Zusammenhang mit der eigenen Attraktivität, der Statusfrage, dem realen oder phantasierten Erfahrungsvorsprung, der Position in der Clique, den Reaktionen von Erwachsenen oder dem Ansehen bei den Mädchen.

Im Gegensatz zu teilweise frühreifen Jugendlichen mit problematischem sozialem Umfeld (schlechte finanzielle Lage, niedriger Bildungsstand der Eltern, kritische Ereignisse, Arbeitslosigkeit, Scheidung etc.) sind Jugendliche mit geregelten Familienverhältnissen und guten elterlichen Beziehungen vom Eintrittsalter in die Pubertät her beim Durchschnitt zu finden.

Es bleibt zu berücksichtigen, dass sich nicht nur bei Jugendlichen mit abnormaler sexueller Entwicklung, sondern generell, das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs in den letzten Jahren deutlich nach unten verschoben hat. Die weiblichen Jugendlichen haben dabei seit der sexuellen Revolution in den 60ern merklich aufgeholt und die männlichen Jugendlichen teilweise sogar überholt.

Wie wichtig die Sexualaufklärung für eine normale bzw. gelingende sexuelle Entwicklung ist, ist allgemein bekannt, im Gegensatz zum Wissenstand über die normale sexuelle Entwicklung von Jungen. Im Bereich der Forschung sieht dies anders aus. Derzeitig besteht ein immer wachsenderes Interesse an der Erkundung von sexuellen Störungen im Kindes- und Jugendalter, im Vergleich zum Interesse an der Erforschung der Normalentwicklung. Dies ist angesichts der Tatsache, dass bisher keine konkreten Merkmale zur Erkennung einer sexuellen Störung vorliegen, die speziell auf Kinder und Jugendliche abgestimmt sind, positiv zu bewerten.

3. Kriterien für abweichendes Verhalten

Der wohl wichtigste Unterschied zwischen normalem und abweichendem Verhalten bezieht sich auf die Persönlichkeitsmerkmale, die sozialen Eigenschaften und die Einstellungen zum Tatverhalten.

Dabei stellt sich folgende Frage: Wie lässt sich sexuell auffälliges / übergriffiges Verhalten eindeutig feststellen? Teilweise besteht die Meinung, dass sexuelle Devianz bei Jugendlichen gar nicht diagnostiziert werden darf, da diese noch keine vollständig entwickelte Persönlichkeit besitzen. Ein derartiges Verhalten wird eher als episodenhaft oder entwicklungsbedingt abgetan. Des Weiteren wird oft und selbstverständlich argumentiert, dass Männer, im Vergleich zu Frauen, einen stärker ausgeprägten Drang nach sexueller Befriedigung haben, und das Ausleben dieser ihrer Natur entspricht.

Andererseits wird oftmals die Schuld bei den Opfern selbst gesucht. Als Argumente werden hier das aufreizende Äußere und Verhalten, sowie Unstimmigkeiten bei der Kommunikation sexueller Absichten (Sie sagt „Nein“, meint aber „Ja“ usw.) angegeben.

Eine weitere Möglichkeit der Ursache besteht in der Gruppendynamik. Dabei wird dem Einfluss der Peergroup in Form von Befürwortung früher und erhöhter Sexualität, sowie dem Anwenden von Gewalt ein hoher Stellenwert zugerechnet.

Bei den oben aufgeführten möglichen Ursachen, kann davon ausgegangen werden, dass die subjektive Sicht, sowie das Geschlecht des Betrachters, eine große Rolle spielen, selbst wenn versucht wird, so neutral wie möglich zu sein. Die folgenden beiden Abschnitte sollen zur Wahrung der Objektivität Kriterien zur Bewertung von sexuell auffälligem Verhalten aufzeigen.

3.1 Ursachen bzw. Auslöser

Bis heute gibt es keine eindeutig belegten Auslöser, welche die Entwicklung zu einem Täter begünstigen. Es wird davon ausgegangen, dass die jugendlichen Täter meist selbst sexuelle Missbrauchserfahrungen erlebt haben. Eine Befragung ergab, dass es zwar ein begünstigender Faktor sein kann, jedoch nur ca. 50 % angaben, selbst derartige Erfahrungen in der Kindheit gemacht zu haben[8]. Dies lässt darauf schließen, dass mehrere Ursachen als Auslöser in Betracht gezogen werden müssen. Hierbei kann von einem Mehrfaktorenmodell oder auch von einer Multi-Problem-Konstellation gesprochen werden. Dazu zählen z.B.:

- Fehlende Zuwendung und „menschliche Wärme“
- Probleme der Eltern wie Alkoholmissbrauch, häufiger Streit, körperliche Gewalt, Vernachlässigung, einhergehend mit einer konflikthaften Familiensituation mit teilweise offen ausgetragenen Auseinandersetzungen
- Über einen längeren Zeitraum angestaute Wut, Rachegefühle oder Aggressionen
- Häufiger Wechsel von Bezugspersonen
- Körperliche Gewalt / Misshandlung[9]
- Sexualisiertes Klima und sexuelle Grenzüberschreitungen in der Familie
- Störungen der Mutter-Kind-Beziehung oder gar Fehlen der Mutter
- Fehlende Männerfiguren in der Erziehung[10], vor allem der Vater
- Keine zufriedenstellende Sozialkontakte und kaum Kontakte zu Gleichaltrigen; leben in Einsamkeit und Isolation
- Psychosexuell werden keine Kontakte mit Gleichaltrigen gesammelt, es besteht kaum Wissen über Sexualität
- Schulische oder berufliche Unzufriedenheit z.B. schlechte Zensuren, keine Zugehörigkeit zur Klassengemeinschaft
- Negatives Selbstbild einhergehend mit geringem Selbstwert und niedrigem Selbstvertrauen
- Retardierte geistige Entwicklung
- Probleme mit der männlichen Identität

Die oben aufgeführten Punkte beschreiben negative Beziehungs- und defizitäre Bindungserfahrungen, welche gegen die Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Bindung, Anerkennung und Lust eines jungen Menschen gehen. Über sexuell übergriffiges Verhalten wird versucht diese Bedürfnisse anderweitig zu befriedigen.

Es ist von einem zum anderen Jugendlichen verschieden, welche der oben genannten, oder auch unbekannten Ursachen, ihn zum Täter werden lassen.

Einen Versuch der Gruppierung der obigen Ursachen stellen nachfolgende Erklärungsansätze dar. Hier sind der individuelle, sozialisationstheoretische und feministisch / patriarchatskritische Ansatz zu benennen.[11]

1. Individueller Erklärungsansatz:

Hier geht es um Ursachen, die innerhalb der Person selbst liegen. Eine weitere Unterteilung in biologische, psychische und kognitive Faktoren kann vorgenommen werden.

- Der biologische Ansatz meint, dass der Junge oder Mann biologisch und hormonell bedingt aggressiver (als die Frau) und auf Angriff ausgerichtet ist. Insbesondere in frustrierenden Lebenssituationen.
- Auf der psychischen Ebene wird davon ausgegangen, dass psychische Dispositionen bei Jungen bestehen, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse angemessen einzusetzen. So versuchen sie den Zustand chronischer Deprivation, d.h. ihr ausgeprägtes Bedürfnis Zuwendung, Liebe und körperliche Sexualität, durch sexuelles Verhalten zu überwinden, welches keine Anforderung an Selbstvertrauen und intime vertrauensvolle Beziehungen stellt.
- Der kognitive Ansatz geht von einer kognitiven Verzerrung aus. Dabei kommt es beim Täter zu mangelnder Empathie gegenüber den psychischen und physischen Schmerzen seiner Opfer. Darüber hinaus ist seine Vorstellung von „gesunder und normaler“ Sexualität sehr verzerrt, so dass das abwehrende Verhalten der Opfer oftmals falsch verstanden wird.

2. Sozialisationstheoretischer Erklärungsansatz:

Das Wort „sozialisationstheoretisch“ spricht die Defizite an, die beim Sozialisationsprozess vorhanden sind. Die Sexualität männlicher Jugendlicher stellt heutzutage noch eines der größten Tabus im Rahmen der Sozialisation dar. Die Aufklärung über Sexualität beschränkt sich häufig nur auf die Fakten, welche in der Schule durch die LehrerInnen vermittelt werden. Diese beinhalten jedoch lediglich rein biologische Tatsachen. Auf der emotionalen und der psychosozialen Ebene bleiben vor allem männliche Jugendliche auf sich selbst gestellt. Selten erhalten sie von Älteren oder Gleichaltrigen Informationen, welche brauchbar und realitätsnah sind. Das Defizit versuchen sie durch den Konsum von Videofilmen, Internetinhalten oder Zeitschriften auszugleichen. Dort wird die männliche Sexualität meist so dargestellt, dass es nur um Leistung, Körper und Geschlechtsverkehr geht. Es entsteht Frust und Angst, dass diesen Standards nicht entsprochen wird. Somit kann es dazu kommen, dass der Bereich Sexualität zur individuellen Konfliktlösung „missbraucht“ wird. Der männliche Jugendliche kann somit Macht ausüben und erweitern. Er nutzt diese Handlungsmuster, um die eigenen psychischen Belange auszugleichen.

Sexuelle und / oder körperliche Gewalterfahrung können bei diesem Ansatz hinzukommen.

3. Feministischer / Patriarchatskritischer Erklärungsansatz:

Dieser Ansatz beschreibt sexuelle Übergriffe aufgrund ihres häufigen Auftretens, nicht als persönliche Ausnahmeerscheinung. Vielmehr werden Sie als häufiger und regelmäßiger Bestandteil des Alltags von Kindern, Frauen, Jungen usw. angesehen. Die Problematik wird als Gesellschaftsproblem dargelegt, welche von dieser bearbeitet werden muss. Hierbei wird sexuelle Gewalt als geschlechtsspezifisch betrachtet. Bei den Tätern handelt es sich vorwiegend um männliche Jugendliche oder Heranwachsende, während das Opfer zumeist weiblich ist.

Sexuelle Gewalt wird in der patriarchalen Gesellschaft hervorgebracht, indem die Mitglieder der Gesellschaft traditionelle Hierarchien der Geschlechter als sexistische Vorstellungswelt in sich aufnehmen. Die sexuelle Gewalt ist ein Instrument der Herrschaft von Männern, die somit ihre Dominanz und Macht gegenüber der Frau ausdrücken.

Erwähnenswert ist, dass es bei sexuellen Übergriffen aus Kombination von Gewalt mit Sexualität zu einer Gleichsetzung von Männlichkeit und sexueller Betätigung kommt. Dies wiederum stellt den Versuch dar, durch die sexuelle Gewalt über eine andere Person, dieses bestehende Defizit aufzuheben.

3.2 „Modell der vier Voraussetzungen“ von Finkelhor

Im Folgenden soll das Modell von David Finkelhor[12], welcher unter anderem durch seine Arbeit am CCRC[13] bekannt wurde, betrachtet werden. In seinem Modell, welches er im Jahre 1984 entwickelt hat, nennt er vier Voraussetzungen, die einen Jugendlichen zum Täter eines sexuellen Übergriffs werden lassen[14]:

Voraussetzung 1: Motivation zum sexuellen Übergriff

Jeder sexuell aggressiven Handlung geht eine Motivation zu derselben voraus. Er benennt drei Motivationskomponenten sowie Faktoren unterschiedlicher theoretischer Ausrichtungen, die zur Entwicklung der einzelnen Motivationskomponenten beitragen können. Dies wären die emotionale Kongruenz, die sexuelle Erregung und die Blockierung (siehe Tabelle 5).

Voraussetzung 2: Überwindung innerer Hemmungen

Einer vorhandenen Motivation zu sexuell übergriffigem Verhalten stehen in der Regel innere Hemmungen z.B. in Form von gesellschaftlichen Normen und schlechtem Gewissen gegenüber. Vor einer derartigen Handlung müssen diese Hemmungen überwunden werden. Einzelne Faktoren, die zur Überwindung innerer Hemmungen beitragen, sind ebenfalls in Tabelle 5 dargestellt. Das Aufeinandertreffen der inneren Motivation zum Missbrauch auf der einen und der inneren Hemmungen auf der anderen Seite löst einen inneren Konflikt aus. Bei der Lösung dieses Konfliktes zugunsten von Missbrauch haben objektiv falsche Vorstellungen wie z.B. Kinder wollen gerne genitale (Erwachsenen-) Sexualität erleben eine wichtige, entlastende Funktion.

Voraussetzung 3: Überwindung äußerer Hemmungen

Die Überwindung äußerer Hemmungen beinhaltet hauptsächlich die Vorbereitungsphase auch Grooming genannt. Diese beginnt mit dem "Umschauen nach geeigneten Opfern".

Während die Voraussetzungen 1 und 2 sich im Wesentlichen auf Aspekte innerhalb der sexuell aggressiven Person beziehen, richten sich die Voraussetzungen 3 und 4 auf Aspekte außerhalb der Person. Auch zu diesen Voraussetzungen beschreibt Finkelhor unterschiedliche Faktoren, die zur Überwindung äußerer Hemmungen sowie des kindlichen Widerstandes beitragen.

Voraussetzung 4: Überwindung des kindlichen Widerstandes

Mit den Voraussetzungen 1 bis 3 hat der Jugendliche eine Motivation für sexuell übergriffiges Verhalten entwickelt, seine inneren Konflikte in Bezug auf seine Phantasien abgebaut und einen vertrauensvollen, von Abhängigkeit geprägten Kontakt zu einem Kind hergestellt. Als letzte Voraussetzung vor der sexuellen Handlung wird er nun den Widerstand des Kindes in Bezug auf eine sexuelle Handlung überwinden.

[...]


[1] Polizeiliche Kriminalstatistik – Bundesrepublik Deutschland, 2005

[2] altersgemäße, rechtliche Untergliederung siehe § 7 SGB VIII

[3] Heiliger, 2006

[4] Schmidt-Tannwald & Kluge; In: Körner & Lenz 2004

[5] Aktion Jugendschutz – Kompaktwissen, 1999

[6] Teil der Adoleszenz; es werden bestimmte Hormone produziert, beim Jungen Testostoron, beim Mädchen Östrogen; bei Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren, bei Jungen zwischen 12 und 20 Jahren

[7] Übergangsstadion von Kindheit zum vollen Erwachsenen; Zeitabschnitt in dem die Person biologisch ein Erwachsener, aber emotional und sozial noch nicht vollends gereift ist; die Weltgesundheitsorganisation bestimmt das Alter dieser Phase auf 10 – 20 Jahre

[8] vgl. Julius &Boehme, 1997

[9] Amyna e. V, S. 87

[10] Aktion Jugendschutz - Kompaktwissen

[11] vgl. Eitel, S. 41 ff

[12] Professor der soziologischen Abteilung der Universität New Hampshire

[13] Crimes against Children Research Center

[14] vgl. Kolshorn u.a. 2002 und Deegener 1995, S. 212ff

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836622158
DOI
10.3239/9783836622158
Dateigröße
614 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau – Sozialarbeit
Erscheinungsdatum
2008 (November)
Note
2,0
Schlagworte
jugendliche heranwachsende übergriffe jugendhilfe belästigung
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Titel: Sexuell übergriffiges Verhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden
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