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Anthropogene Einflüsse auf das Relief in landwirtschaftlich geprägten Räumen am Beispiel des Kulturlandschaftswandels in Thüringen bis 1900

©2008 Bachelorarbeit 73 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In Mitteleuropa weisen historische Siedlungsräume im Gegensatz zu den ursprünglichen Naturlandschaften eine bemerkenswerte Vielfalt an geomorphologischen Formen auf. Einige sind Zeugnisse der Landnahme und Nutzbarmachung durch den Menschen und entweder künstlich geschaffen oder zumindest manuell induziert worden. Bedingt durch die Fortschritte in der Agrartechnik und in der Landeskultur, durch die Entwicklung von Handel, Industrie und Verkehr, als auch durch den Anstieg und den Rückgang der Bevölkerungszahlen in Folge von Kriegen, Epidemien und klimatischen Veränderungen, unterliegt das Bild der Landschaften seit Jahrtausenden ständigen Veränderungen. Die Spuren dieser Veränderungen sind auf dem Relief der Erde zum Teil heute noch – mal mehr, mal weniger leicht – zu erkennen.
Problemstellung:
Auch wenn klar ist, dass bestimmte Oberflächenformen anthropogen verursacht sein müssen, da sie entweder nirgendwo sonst natürlich vorkommen bzw. nachweislich vom Menschen künstlich geschaffen wurden, bleiben doch einige Fragen offen. Warum haben die Menschen im Laufe der Vergangenheit einen solch großen Einfluss auf das Relief genommen, und waren ihnen die Auswirkungen ihrer Handlungen bei der Ausführung bewusst? Anders könnte auch gefragt werden, ob die Relikte anthropogener Einflüsse geplant oder nur in Kauf genommene Nebenprodukte wirtschaftlicher Tätigkeiten waren. Neben der Fragestellung nach dem Sinn und Zweck kommt zwangsläufig auch die Frage nach der Vielfalt menschlicher Einflussnahme auf. Von welchem Formenschatz muss man für ein begrenztes Untersuchungsgebiet in Mitteleuropa ausgehen? Welche Formen sind heute offensichtlicher, welche unter der Erdoberfläche oder dichter Vegetation verborgen? Haben sich einzelne Formen im Laufe der Zeit gewandelt?
Zielsetzung:
Für das Themengebiet um die anthropogene Reliefformung ist die Industrialisierung ein Untersuchungszeitraum, mit dem sich diese Arbeit nur am Rande beschäftigen soll, da durch die Vielfalt und Komplexität der Veränderungen eine Festlegung auf einen der beiden großen Zeitabschnitte – entweder vor oder während und nach der Industrialisierung – erforderlich ist. An dieser Stelle sei auf das Kapitel 6 hingewiesen, in dem ein Ausblick auf die Epochen des Kulturlandschaftswandels im 20. und 21. Jahrhundert gegeben wird.
In dieser Arbeit sollen die Oberflächenformen traditionell landwirtschaftlich geprägter Räume untersucht und in den Kontext der Siedlungsgeschichte bis […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Moritz van der Meulen
Anthropogene Einflüsse auf das Relief am Beispiel des Kulturlandschaftswandels in
Thüringen bis 1900
ISBN: 978-3-8366-2170-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland, Bachelorarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

3
Inhaltsverzeichnis
Seite
1 Einführung ... 5
1.1 Problemstellung ... 5
1.2 Zielsetzung ... 6
1.3 Untersuchungsgebiet ... 7
2 Die Geographie ländlicher Siedlungen in Mitteleuropa ... 9
2.1 Die Wissenschaftsrichtung der Anthropogeomorphologie ... 10
2.2 Kulturlandschaften und Landschaftselemente ... 11
3 Der Wandel der historischen Kulturlandschaften in Thüringen ... 15
3.1 Vor- und Frühgeschichte ... 15
3.1.1 Jungsteinzeit von 6.000 bis 1.800 v. Chr. ... 15
3.1.2 Bronzezeit von 1.800 bis 800 v. Chr. ... 18
3.1.3 Eisenzeit von 800 v. Chr. bis 0 ... 18
3.2 Antike ... 20
3.2.1 Römische Kaiserzeit von 0 bis 375 n. Chr. ... 20
3.2.2 Völkerwanderungszeit und Thüringerreich von 375 bis 531 n. Chr. .. 21
3.3 Mittelalter ... 23
3.3.1 Fränkische Zeit und Frühmittelalter von 531 bis 908 n. Chr. ... 23
3.3.2 Hochmittelalter von 908 bis 1320 n. Chr. ... 24
3.3.3 Spätmittelalterliche Wüstungsperiode von 1320 bis 1500 n. Chr. ... 26
3.4 Neuzeit ... 27
3.4.1 Frühe Neuzeit und Merkantilismus von 1500 bis 1800 n. Chr. ... 27
3.4.2 Agrarreformen und Frühindustrialisierung von 1800 bis 1900 n. Chr. 29
4 Landschaftselemente als Kennzeichen anthropogener Reliefveränderungen ... 30
4.1 Aktiv durch extensive Landwirtschaft geschaffene Oberflächenformen ... 31
4.1.1 Künstliche Ackerterrassen und Raine ... 31
4.1.2 Weinbergterrassen ... 33
4.1.3 Wölbäcker und Bifänge ... 33
4.1.4 Feldraine und Anwande ... 35
4.1.5 Lesesteinansammlungen ... 36
4.1.6 Feuchte Niederungen oder Sieke ... 38
4.2 Aktiv durch historischen Bergbau geschaffene Oberflächenformen ... 39
4.2.1 Pingen und Stollenmundlöcher ... 40
4.2.2 Tagesbrüche und Halden ... 42

4
4.3 Passiv durch quasinatürliche Prozesse überprägte Oberflächenformen ... 42
4.3.1 Quasinatürliche Ackerterrassen und Raine ... 43
4.3.2 Hohlwege und Weidgassen oder Viehtriften ... 45
4.3.3 Kulturwechselstufen ... 47
4.3.4 Erosionsschluchten oder Runsen ... 48
4.3.5 Erosionstälchen und Tilken oder Tobel ... 49
5 Anthropogeomorphologie ausgewählter Landschaftselemente Thüringens ... 51
5.1 Künstliche Ackerterrassen und Raine ... 51
5.1.1 Reinstädter Grund bei Kahla im mittleren Saaletal ... 52
5.1.2 Erlau und St. Kilian bei Hildburghausen im Thüringer Wald ... 53
5.2 Pingen und Stollenmundlöcher ... 54
5.2.1 Tännig bei Bad Lobenstein im Thüringer Schiefergebirge ... 55
5.2.2 Domberg bei Suhl im Thüringer Wald ... 56
5.3 Hohlwege und Weidgassen oder Viehtriften ... 58
5.3.1 Gefell bei Hirschberg im Ostthüringer Schiefergebirge ... 59
5.3.2 Camburg bei Jena im mittleren Saaletal ... 60
6 Fazit und Ausblick ... 61
7 Zusammenfassung ... 63
Literaturverzeichnis ... 64
Abbildungsverzeichnis ... 71
Karten- und Tabellenverzeichnis ... 72

5
1 Einführung
In Mitteleuropa weisen historische Siedlungsräume im Gegensatz zu den ursprüng-
lichen Naturlandschaften eine bemerkenswerte Vielfalt an geomorphologischen
Formen auf. Einige sind Zeugnisse der Landnahme und Nutzbarmachung durch
den Menschen und entweder künstlich geschaffen oder zumindest manuell indu-
ziert worden. Bedingt durch die Fortschritte in der Agrartechnik und in der Landes-
kultur, durch die Entwicklung von Handel, Industrie und Verkehr, als auch durch
den Anstieg und den Rückgang der Bevölkerungszahlen in Folge von Kriegen, Epi-
demien und klimatischen Veränderungen, unterliegt das Bild der Landschaften seit
Jahrtausenden ständigen Veränderungen (vgl. Meyer et al. 2008: 4). Die Spuren
dieser Veränderungen sind auf dem Relief der Erde zum Teil heute noch ­ mal
mehr, mal weniger leicht ­ zu erkennen (vgl. Goudie 2004: 25-27).
1.1 Problemstellung
Auch wenn klar ist, dass bestimmte Oberflächenformen anthropogen verursacht
sein müssen, da sie entweder nirgendwo sonst natürlich vorkommen bzw. nach-
weislich vom Menschen künstlich geschaffen wurden, bleiben doch einige Fragen
offen. Warum haben die Menschen im Laufe der Vergangenheit einen solch gro-
ßen Einfluss auf das Relief genommen, und waren ihnen die Auswirkungen ihrer
Handlungen bei der Ausführung bewusst? Anders könnte auch gefragt werden, ob
die Relikte anthropogener Einflüsse geplant oder nur in Kauf genommene Ne-
benprodukte wirtschaftlicher Tätigkeiten waren. Neben der Fragestellung nach
dem Sinn und Zweck kommt zwangsläufig auch die Frage nach der Vielfalt men-
schlicher Einflussnahme auf. Von welchem Formenschatz muss man für ein be-
grenztes Untersuchungsgebiet in Mitteleuropa ausgehen? Welche Formen sind
heute offensichtlicher, welche unter der Erdoberfläche oder dichter Vegetation
verborgen? Haben sich einzelne Formen im Laufe der Zeit gewandelt?

6
1.2 Zielsetzung
Für das Themengebiet um die anthropogene Reliefformung ist die Industrialisie-
rung ein Untersuchungszeitraum, mit dem sich diese Arbeit nur am Rande beschäf-
tigen soll, da durch die Vielfalt und Komplexität der Veränderungen eine Festle-
gung auf einen der beiden großen Zeitabschnitte ­ entweder vor oder während
und nach der Industrialisierung ­ erforderlich ist. An dieser Stelle sei auf das Kapi-
tel 6 hingewiesen, in dem ein Ausblick auf die Epochen des Kulturlandschaftswan-
dels im 20. und 21. Jahrhundert gegeben wird.
In dieser Arbeit sollen die Oberflächenformen traditionell landwirtschaftlich ge-
prägter Räume untersucht und in den Kontext der Siedlungsgeschichte bis 1900 n.
Chr. gesetzt werden. Nach den Grundlagen und Definitionen bedarf es daher zu-
nächst einem Abriss über den Wandel der Landnutzung im Untersuchungsgebiet,
weil dieser als Vorwissen für eine spätere Betrachtung der Formen unerlässlich ist.
Nur wenn die Siedlungsgeschichte mit den verschiedenen Merkmalen als Hinter-
grundwissen bekannt ist, kann daraus die Landnutzung in jenem Zeitabschnitt ver-
standen und die Entstehung der Oberflächenformen abgeleitet werden.
Alle für das Untersuchungsgebiet relevanten und darüber hinaus wichtigen Formen
in vergleichbaren Gebieten sollen danach im Einzelnen behandelt werden. Für die
detaillierte Behandlung vieler der Oberflächenformen ist ein direkter Bezug auf das
Untersuchungsgebiet generell sinnvoll, jedoch schwer in die Struktur des Kapitels
einzuflechten. Ein solches Vorgehen würde der Übersichtlichkeit der Arbeit abträg-
lich sein, weshalb sich ein extra Kapitel mit einer Auswahl von Oberflächenformen
aus dem Untersuchungsgebiet anbietet. Mit dem Ziel in jenem Kapitel auch konk-
rete Beispiele behandeln und entsprechende Geländeaufnahmen mit einem not-
wendigen Vorwissen auswerten zu können, muss es ans Ende der Arbeit gerückt
werden.

7
1.3 Untersuchungsgebiet
Das untersuchte Gebiet in den Grenzen des heutigen Freistaats Thüringen in der
Bundesrepublik Deutschland - im Folgenden einfach ,Thüringen` genannt - eignet
sich für eine anthropo-geomorphologische Arbeit besonders gut. Das rezente
Landschaftsbild Thüringens resultiert aus einer
"langen und komplexen erd- und
kulturgeschichtlichen Entwicklung"
(Meyer et al. 2008: 7) und zeichnet sich durch
einen zeitlich sehr differenzierten Charakter aus. Bereits um 6000 bis 5500 v. Chr.
gelangten erste zivilisierte Siedler aus Asien über die Balkanhalbinsel und das Do-
naugebiet entlang der großen Flüsse wie Elbe, Saale, Unstrut, Elster und Pleiße
nach Thüringen. Seitdem kann umfangreich und nahezu lückenlos die Landschafts-
formung unter dem Einfluss des Menschen nachgezeichnet werden (vgl. Kap. 3,
vgl. Meyer et al. 2008: 7-31).
Abb. 1: Landschaften im Freistaat Thüringen
(BKG 2007)
Mit einer Größe von 16.251 km² liegt Thüringen im Bereich der deutschen Mittel-
gebirgsschwelle. Das fruchtbare Thüringer Becken macht den nordwestlichen und
zentralen Teil aus. Südöstlich angrenzend befindet sich das Thüringer Schieferge-
birge, sowie südlich gelegen der Thüringer Wald mit dem Großen Beerberg von
Maßstab 1 : 185 000
N

8
982 m Höhe als landesweit höchste Erhebung. Rund um die Werrasenke im Süd-
westen erschließen sich neben dem Thüringer Wald die Vorderrhön, die Hohe
Rhön und das Grabfeld. Zum Untersuchungsgebiet gehören im äußersten Nord-
westen zudem Teile des Harzes, der Kyffhäuser im Norden, das Untereichsfeld und
der Westteil der Goldenen Aue. Der Osten wird bestimmt von der Ostthüringisch-
Vogtländischen Hochfläche, durch die Saale und Weiße Elster fließen (vgl. Abb. 1,
vgl. Kap. 2.2, vgl. Microsoft Corporation 2008a). H
IEKEL
hat 2004 eine Einteilung
Thüringens in sieben verschiedene Naturräume vorgenommen, die der Abbildung
2 zu entnehmen ist, welche von M
EYER
& S
CHOTTKE
illustriert wurde.
Abb. 2: Naturräumliche Gliederung Thüringens
Meyer & Schottke 2007
Mit einer Bevölkerungsdichte von 142 Einwohnern je km² in 2007 zählt das Bun-
desland zu den am schwächsten besiedelten Bundesländern Deutschlands (vgl. TLS
2008a). Zum Vergleich: der östlich angrenzende Freistaat Sachsen hatte 2006 eine
Bevölkerungsdichte von 231 Einwohnern/km² (vgl. SLA Sachsen 2008). Auch die
Statistik zur Flächennutzung des Thüringer Landesamts für Statistik für das Jahr
2004 unterstreicht den ländlichen Charakter des Bundeslandes (vgl. TLS 2008b).
Maßstab 1 : 185 000
N

9
Von den 1.617.200 ha Gesamtfläche sind 873.629 ha, also mehr als die Hälfte
landwirtschaftlich genutzt. Zusammen mit einer Waldfläche von 515.675 ha und
einer Wasserfläche von 19.397 ha ergibt sich so ein ländlicher Raum von 87,11 %
(vgl. Tab. 1, vgl. TLS 2008b). Für ein von Industrialisierung und hohem Bevölke-
rungsdruck geprägtes Bundesland wie Nordrhein-Westfalen ergibt sich nach der-
selben Rechnung für den Stand von 2006 ein ländlicher Raum von nur 77,04 % -
trotz der mehr als doppelt so großen Gesamtfläche (vgl. Tab. 1, vgl. LDS NRW
2008). In Thüringen konnten die Merkmale einer kulturell geprägten Landschaft
mit den wenigen Agglomerationen und stark überwiegenden ländlichen Strukturen
besser konserviert werden (vgl. Kap. 4).
Tab. 1: Katasterflächen nach Nutzungsarten
(eigene Darstellung, Daten: TLS 2008b, LDS NRW 2008)
Thüringen 2004
NRW 2006
unbebaut
Landwirtschaftsfläche [ha]
873.629
1.700.900
Waldfläche [ha]
515.675
859.400
Wasserfläche [ha]
19.397
65.700
bebaut
andere Flächen [ha]
208.499
782.600
Insgesamt [ha]
1.617.200
3.408.600
2 Die Geographie ländlicher Siedlungen in Mitteleuropa
Um die Relikterscheinungen früher landwirtschaftlicher Betätigung richtig einord-
nen zu können, müssen sie in den Kontext der Geographie ländlicher Siedlungen
gesetzt werden. Denn seitdem der Mensch in Dörfern sesshaft geworden ist, wurde
fast nur noch innerhalb des Territoriums der ländlichen Siedlung gewirtschaftet
(vgl. Abb. 3), statt breit gestreut in auf den Wanderungen zufällig angetroffenen
Gunsträumen. Die enge Verbindung von Wohnplatz und Flur spiegeln sich in der
besitzmäßigen Parzellierung
1
1
eine Parzelle ist die kleinste Besitzeinheit im ländlichen Raum
und der Typisierung der Wohnplatzgestalt wieder
(vgl. Heineberg: 258). Während letztere einen eher humangeographischen Aspekt
besitzt, hat die Parzellierung der Flur auch eine hohe Relevanz für die Anthropo-
geomorphologie (vgl. Müller 2005: 27-36).

10
Abb. 3: Territorium einer ländlichen Siedlung
(Heineberg 2004: 258)
2.1 Die Wissenschaftsrichtung der Anthropogeomorphologie
Renommierte, international auf Englisch publizierende Geomorphologen wie bei-
spielsweise B
ROWN
, N
IR
oder G
OUDIE
haben sich an einer Definition versucht. Dem-
nach lässt sich die Wissenschaftsrichtung zusammenfassend als die Studie von der
Rolle der Menschen bei der Schaffung von Oberflächenformen und der Einfluss-
nahme auf geomorphologische Prozesse wie Verwitterung, Erosion, Transport und
Ablagerung beschreiben (vgl. Brown 1970: 74-85, vgl. Nir 1983, vgl. Goudie 1993:
37-59). Die Geomorphologen sprechen von
Anthropogeomorphologie
und beto-
nen dadurch den anthropogenen Aspekt. Im Gegensatz zu den Zielsetzungen die-
ser Arbeit können die Gegenstände der Forschungen auch aktuell und zukunfts-
orientiert sein. Zahlreiche Studien beschäftigen sich z.B. mit Auswirkungen auf das
Relief durch künstliche Bodenabsenkung (vgl. Johnson 1991), künstliche Stauseen
(vgl. Meade 1991: 245-262), beschleunigte Salzverwitterung (vgl. Goudie & Viles
1998), verstärkte Küstenerosion (vgl. Bird 1979: 82-101), die Austrocknung von

11
Seen (vgl. Gill 1996: 207-228) und den Verlust von Feuchtgebieten (vgl. Walker et
al. 1987: 189-200) - alles sehr junge Phänomene in der Erdgeschichte.
Zwei der wichtigsten Vertreter der Anthropogeomorphologie in Deutschland sind
B
ORK
und M
ÜLLER
. Gerade B
ORK
hat in zahlreichen Studien, sowie wissenschaftlichen
Aufsätzen und Büchern über Jahrzehnte hinweg eine aufwändige Methodenfolge
entwickelt, um die zahlreichen Fragen zu den Landschaften der Erde unter dem
Einfluss des Menschen zu beantworten. In einem seiner neueren Werke aus dem
Jahre 2006 bezeichnet B
ORK
seine standardisierte Methodik als ,Landschaftssys-
temanalyse`, sieht sie aber eher interdisziplinär als streng anthropo-geomorpho-
logisch (vgl. Bork 2006: 9-11), was
VON
D
ROSTE ET AL
. unterstützen (vgl. von Droste et
al. 1994: 276). Auch M
ÜLLER
bietet eine umfangreichen Überblick über die Kennzei-
chen anthropogener Einflüsse auf das Relief (vgl. Müller 2005). Gleichermaßen un-
tersuchen die beiden Wissenschaftler vornehmlich den erdgeschichtlichen Zeit-
raum seit Beginn der Sesshaftwerdung des Menschen bis zur Industrialisierung ­
ein Untersuchungszeitraum der auch für diese Arbeit gelten soll.
2.2 Kulturlandschaften und Landschaftselemente
Abb. 4: Typisches Bild einer Kulturlandschaft, Euerdorf in Unterfranken
(Müller 2005: 19)

12
Bei der Kulturlandschaft handelt es sich ursprünglich um einen Begriff aus dem
Bereich der Denkmalpflege. Über die Landschaftsökologie hat der Terminus auch
Einzug in die Humangeographie und Physische Geographie gehalten.
,,Die Kulturlandschaft ist das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen na-
turräumlichen Gegebenheiten und menschlicher Einflussnahme im Laufe
der Geschichte. Dynamischer Wandel ist daher ein Wesensmerkmal der
Kulturlandschaft.
[...]
Die historische Kulturlandschaft ist ein Ausschnitt
aus der aktuellen Kulturlandschaft, der durch historische, archäologi-
sche, kunsthistorische oder kulturhistorische Elemente, Strukturen ge-
prägt wird. In der historischen Kulturlandschaft können Elemente, Struk-
turen und Bereiche aus unterschiedlichen zeitlichen Schichten und in
Wechselwirkung miteinander vorkommen. Elemente und Strukturen ei-
ner Kulturlandschaft sind dann historische, wenn sie in der heutigen Zeit
aus wirtschaftlichen, sozialen, politischen oder ästhetischen Gründen
nicht mehr in der vorgefundenen Weise entstehen, geschaffen würden
oder fortgesetzt werden, sie also aus einer abgeschlossenen Geschichts-
epoche stammen
[...]
"
(VdL 2003, zitiert nach LVR & LWL 2007: 15, vgl. Abb. 4).
Abb. 5: Kulturlandschaften Nordrhein-Westfalen Abb. 6: Kulturlandschaften Berlin/Brandenburg
(LVR & LWL 2007: 28)
(MIR BB & SV f. SE BE 2007: 12-13)
N
N
50 km

13
Durch eine lange und flächendeckende Kulturgeschichte können in Thüringen Kul-
turlandschaften als ubiquitär betrachtet werden (vgl. Kap. 3). Durch die aufgezeig-
ten Unterschiede zwischen den Begriffen `Landschaft' und `Kulturlandschaft' ist
eine Differenzierung in jedem Fall wünschenswert, auch weil sie zu ganz anderen
Gebietseinteilungen führt. Da im Freistaat Thüringen allerdings keine Landschafts-
verbände oder vergleichbare Institutionen existieren, ist hier noch keine förmliche
Einteilung für die Kulturlandschaften vorgenommen worden, wie dies z.B. für Nord-
rhein-Westfalen (vgl. Abb. 5), Niedersachsen oder Berlin/Brandenburg (vgl. Abb. 6)
geschehen ist. Als Alternative hat sich das Forschungsprojekt von S
CHMIDT
& M
EYER
eine eigene kulturlandschaftliche Gliederung Thüringens zum Ziel gesetzt (vgl.
Fachhochschule Erfurt 2004: 92), die bis dato aber noch nicht veröffentlich wurde.
Die vom Bundesamt für Naturschutz ausgewiesenen 63 Landschaften sollen statt-
dessen bei der Orientierung helfen (vgl. Tab. 2).
Tab. 2: Übersicht der Landschaften Thüringens
(eigene Darstellung, Daten: BfN 2008)
Acker- u. Bergbauland-
schaft südlich Leipzig
Göttingen-
Northeimer Wald
Mittlerer Thüringer
Wald
Plothener Teichplatte
Thüringer Becken
Altenburg-Zeitzer-
Lössgebiet
Grabfeld
Mulde-Lösshügelland
Querfurter Platte und
Untere Unstrutplatten
Untere Lagen des
Mittelvogtländischen
Kuppenlandes
Dün und Hainleite
Hainich
Nördliches Unstrut-
Berg- und Hügelland
Ringau, Obereichsfeld /
Südabdachung von Dün
und Hainleite
Unteres Eichsfeld
Eichsfelder Becken
Hochlagen thüringisch-
sächsischen Vogtlandes
Nordthüringer Hügel-
land
Ronneburger Acker-
und Bergbaugebiet
Unteres Werratal
Elstertal
Hohe Rhön
Nordwestlicher
Thüringer Wald
Saale-Elster-
Sandsteinplatte
Unterharz
Erfurt
Hohes Thüringer Schie-
fergebirge
Oberes Saaletal
Salzunger
Werrabergland
Waltershauser Vor-
berge mit
Hörselbergen
Erzgebirgsbecken
Ilm-Saale- und
Ohrdruffer Platte
Obermainisches
Hügelland
Schalkauer Plateau
Weißenfels-
Jenaer-Saaletal
Ettersberg
Itz-Baunach-Hügelland
Obermaintal mit Stein-
ach-Rodach-Talspinne
Schwarza-Sormitz-
Gebiet
Werra-Gäuflächen
Fahnersche Höhe
Jena
Ohmgebirge und
Bleicheröder Berge
Südharzer
Zechsteingürtel
Werraaue
Meiningen-Wartha
Frankenwald
Kyffhäuser
Orlasenke
Südliches Unstrut-Berg-
und Hügelland
Westliche und
östliche Kuppenrhön
Fulda-Werra-Bergland
Leine-Ilme-Senke
Östliches
Rhönvorland
Südliches Vorland des
Thüringer Waldes
Westthüringer
Berg- und Hügelland
Gera
Mittelharz
Ostthüringisch-Vogt-
ländische Hochflächen
Tal der Werra
Gera-Unstrut-
Helme-Niederung
Mittlere Saale
Paulinzellaer Vorland
Tannrodaer Waldland

14
Um historische Kulturlandschaften durch Feldbegehungen im Detail aufnehmen zu
können, fehlen meist finanzielle Mittel und ausreichend Zeit. Übersichtskartierun-
gen, wie sie dieser Arbeit zugrunde gelegt werden, müssen ihre raumbezogenen
Daten daher in erster Linie aus Karten und Luftbildern beziehen (vgl. Meyer et al.
2008: 41). Wurden die Kennzeichen anthropogener Einflüsse auf das Relief bisher
nur als Oberflächenformen aus Menschenhand oder Relikte landwirtschaftlicher
Nutzung angesprochen, so existiert in der Physischen Geographie und Human-
geographie auch der Fachbegriff der Landschaftselemente. In seinem Aufsatz über
die Elemente und die Bedeutung traditioneller Kulturlandschaften definiert E
WALD
Landschaftselemente einerseits als größere Teile oder Bestandteile der Kulturland-
schaft wie z.B. einen Weinberg oder einen Niederwald; andererseits sollen auch
Kleinformen als Landschaftselemente angesprochen werden. Nach E
WALD
gibt es
verschiedene Möglichkeiten, solche Elemente der traditionellen Kulturlandschaft zu
gliedern oder zu typisieren. Sein Ansatz der Einteilung in flächenhafte, linienhafte
und punktuelle Form entspricht einem geographischen Grundprinzip und erscheint
adäquat. Neben dieser Einteilung allgemeiner Landschaftselemente verweist der
Autor in jeder Spalte seiner Auflistung auf weitere agrarmorphologische Formen
(vgl. Tab. 3). Als Beispiele nennt E
WALD
die Oberflächenformen Anwand, Bifang,
Gewannstoß, Hohlweg, Kulturwechselstufe, Lesesteine, Rain, Stufenrain, Ackerter-
rasse, Waldrandstufe und Wölbacker (vgl. Ewald 1996: 100-103). Es sind mutmaß-
lich jene Landschaftselemente, welche am meisten Einfluss auf das Relief genom-
men haben, dürfen im Hinblick auf die Reliefformung aber nicht ausschließlich im
Fokus stehen (vgl. Kap 4).

15
Tab. 3: Elemente der traditionellen Kulturlandschaft
(eigene Darstellung nach Ewald 1996: 101-102)
Flächenhafte Elemente
Linienhafte Elemente
Punktuelle Elemente
Waldweidetypen
Wege, Weidgassen
Feldgehölze
Reutberge, Hauberge
Bewässerungskanäle
Kopfweiden
Bünten
Hecken, Ufergehölze
Lesesteinhaufen
Allmende
Zäune, Flechtzäune
andere agrarmorphologische
Formen
Wässerwiesen
Alleen
Weingüter
andere agrarmorphologische
Formen
Streuobstwiesen
Niedermoore
Teiche
Kleinblockfluren
andere agrarmorphologische
Formen
3 Der Wandel der historischen Kulturlandschaften in Thüringen
3.1 Vor- und Frühgeschichte
Die Beschreibung der Kulturlandschaftsgeschichte setzt mit dem Übergang zu
Ackerbau, Sesshaftwerdung, Domestizierung und Differenzierung in der jungstein-
zeitlichen Revolution ein. Zwar weiß man, dass zuvor im mittelsteinzeitlichen Wir-
ken bereits Einflüsse auf die Landwirtschaft ausgeübt wurden, doch geschah dies
mehr zufällig und ungelenkt bzw. nicht geplant im großen Umfang wie in den fol-
genden Perioden (vgl. Burggraaff & Kleefeld 1998).
3.1.1 Jungsteinzeit von 6.000 bis 1.800 v. Chr.
Eine erste Landnahme Thüringens durch zivilisierte Völker erfolgte um etwa 6.000
bis 5.500 v. Chr. durch Siedler aus Kleinasien, die bereits im 9. Jahrhundert v. Chr.
damit begonnen hatten, Haustiere zu halten und Pflanzen anzubauen (vgl. Meyer
et al. 2008: 7). In Thüringen vollzog sich nun der Übergang vom Sammeln, Fischen
und Jagen zur produzierenden Wirtschaftsweise (vgl. Bork 2006: 110). Die verstärk-
te Besiedlung ab ca. 4500 v. Chr. der bis dahin noch ursprünglichen Naturland-
schaft geschah über die Balkanhalbinsel und das Donaugebiet entlang der großen
Flüsse Elbe, Saale, Unstrut, Elster und Pleiße (vgl. Abb. 7). Charakteristisch für die
Siedler der Linien- und Stichbandkeramik war die Nutzung von steinfreien, frucht-

16
baren Gunstgebieten wie Lössbörden und Schwarzerdeböden. Sie legten Felder an,
aber eben auch feste Siedlungen, da das Erntegut gelagert werden musste - ein
typisches Merkmal der bäuerlichen Wirtschaft. Bevorzugte Siedlungsgebiete waren
das Thüringer Becken, die Goldene Aue und das Altenburger Land, gemäß einer
Auenorientierung
2
Abb. 7: Ausbreitung der neolithischen Kultur in Europa
(Küster 1999: 73)
insbesondere die Seitentäler der zuerst erreichten großen Flüs-
se (vgl. Abb. 1, vgl. Meyer et al. 2008: 7-8).
Thüringen war damals allerdings noch flächendeckend mit Primärwald
3
2
Bevorzugung der Ökotopgrenzlage zw. feuchten Niederungen u. trockenem, ackerfähigem Land
3
Urwald im stabilen Endzustand, der sich im Laufe der Sukzession herausbildet hat
aus haupt-
sächlich Stieleichen und Winterlinden bedeckt, wie Pollenanalysen zeigen. Mit der
Bewirtschaftung waren deshalb zunächst intensive Rodungen verbunden, die Platz
schufen für Ackerbau und Großviehwirtschaft, aber auch für die Anlage von Dör-
fern. Man rodete mit dem Steinbeil und brannte die Flächen ab, so dass die liegen
gebliebene Asche gleich der Dünger für die Pflanzen war. Wissenschaftlich belegt
sind die Rodungsvorgänge durch Pollendiagramme, die einen Anstieg der Offen-
landzeiger wie Gräser, Kräuter und typische Ackerbegleiter wiedergeben. Neben
den Pollenkörnern zeugen verkohlte Reste von Getreidekörnern und Spelzen im
Lehmbewurf der Hütten vom frühen Ackerbau (vgl. Meyer et al. 2008: 7-9).
N
Maßstab 1 : 4 000 000

17
Angebaut wurden Emmer, Erbsen, Linsen und Lein. Bestellt wurden die Felder zu-
nächst nur mit der Hacke, später auch mit dem Hakenpflug. Zur Ernte nahm man
die aus Ägypten und Vorderasien bekannte kupferne Sichel. Weder organischer
noch mineralischer Dünger wurden bewusst und gezielt eingesetzt. Wenn der Er-
trag einer Ackerfläche zurückging, wurde diese einfach brach fallen gelassen, wei-
ter als Weide genutzt und an anderer Stelle erneut brandgerodet. Birken wuchsen
empor und wurden später von Buchen verdrängt (vgl. Abb. 8). Spätestens gegen
Ende der Jungsteinzeit gegen 1.800 v. Chr. gab es in den angesprochenen Gunst-
räumen keine großen Primärwälder mehr und die frühe Kulturlandschaft war von
mosaikartigen Rodungsinseln durchsetzt (vgl. Meyer et al. 2008: 7-9). Wie B
URG-
GRAAFF
& K
LEEFELD
bemerken, sind diese Rodungsinseln aus heutiger Sicht
"eine
neue Qualität im Schaffensdrang des Menschen und Ausdruck seines Willens zur
aktiven Gestaltung seiner Umgebung mit dem Ziel, die eigenen Lebensgrundlagen
zu verbessern"
(Burggraaff & Kleefeld 1998).
Abb. 8: Buchenwald nach Rodung bei Römhild, Grabfeld 1994
(Küster 1999: 105)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836621700
Dateigröße
7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum – Fakultät für Geowissenschaften, Geographisches Institut
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
2,0
Schlagworte
geomorphologie landschaftselement kulturlandschaft oberflächenform thüringen
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Titel: Anthropogene Einflüsse auf das Relief in landwirtschaftlich geprägten Räumen am Beispiel des Kulturlandschaftswandels in Thüringen bis 1900
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