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Integration von Migrantenkindern in die bayerische Grundschule

©2007 Magisterarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Als vor mehr als 40 Jahren die ersten so genannten ‘Gastarbeiter’ nach Deutschland kamen, rechnete niemand damit, dass manche von ihnen auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben würden. Neben den Migranten aus den ehemaligen Anwerbeländer, die die größte Gruppe der ausländischen Wohnbevölkerung in Deutschland bilden, gewannen im Laufe der 1980er und 1990er Jahre zwei weitere Migrantengruppen an Bedeutung. Dabei handelt es sich um (Spät-)Aussiedler und um Flüchtlinge. Heutzutage, in der Zeit des kulturellen Pluralismus und der Globalisierung, spielen noch andere Formen der Migration eine wichtige Rolle, die so genannte Globalisierungsmigration und außerdem die Beziehungsmigration.
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten im Jahr 2005 in der Bundesrepublik Deutschland 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Im Alter von unter 25, das vor allem durch die Ausbildung und Vorbereitung auf das spätere Leben geprägt ist, hat in Deutschland, nach dieser Erhebung, jeder Zehnte eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit. Im Vorschulalter (0 bis 6 Jahre) haben mehr als 30 von 100 Kindern, das bedeutet mehr als 30%, einen Migrationshintergrund und in den nachfolgenden Altersgruppen (6 bis unter 10, 10 bis unter 16, 16 bis unter 25) sind es immerhin noch zwischen 24% und 29%..
Was bedeuten eigentlich diese Zahlen für die deutsche Gesellschaft, welche Bedeutung haben sie für die Zukunft des Landes und was bedeutet dies für die Menschen mit Migrationshintergrund selbst, für ihre Identität? Wie kam es überhaupt zu dieser Situation, wie befasste sich die Politik mit den Folgen der Zuwanderung? Was bedeuten diese Zahlen für das Bildungswesen? Was wurde bisher unternommen, damit diese Menschen die gleichen Chancen haben wie die Deutschen ohne Migrationshintergrund? Wie werden diese Kinder in die deutsche, speziell die bayerische Grundschule integriert? Wie werden sie gefördert und gefordert? Welche Rolle spielt heutzutage die interkulturelle Erziehung in der Schule?
Das Thema der Migration war in der Bundesrepublik schon immer ein heikles Thema und wird spätestens seit dem 1. Januar 2005, als sich Deutschland faktisch mit dem Zuwanderungsgesetz dazu bekannte, ein Zuwanderungsland zu sein, immer mehr diskutiert. Die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, sagt dazu: ‘Wir haben mit dem neuen Zuwanderungsgesetz eine Schneise geschlagen in dem Sinne, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Anna Senczakova
Integration von Migrantenkindern in die bayerische Grundschule
ISBN: 978-3-8366-2059-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland,
Magisterarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Ich möchte mich herzlich bedanken
bei meiner Mutter, PhDr. Magdalena Senczaková, für die Unterstützung,
bei Herrn Prof. Dr. Eckart Liebau für seine Betreuung,
bei den Lehrkräften und dem Rektor der Grundschule in Fürth für die produktive Zu-
sammenarbeit
und bei Matthias Merzbacher und meiner ehemaligen Deutschlehrerin Regina May-
erhöfer für das Korrekturlesen.

2
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ...4
1.1
Vorwort ...4
1.2
Der Ausgangspunkt: Die zentralen Fragestellungen der Arbeit...6
1.3
Ziel und Methodik der Arbeit...7
2
Theoretischer Teil...9
2.1
Definitionsansätze ...9
2.1.1
Migration 9
2.1.2
Integration ...11
2.2
Migration in Deutschland ...17
2.2.1
Historischer Abriss zur Migration in Deutschland ...17
2.2.2
Arbeitsmigration: Die drei Phasen der Gastarbeitermigration...20
2.2.3
Aussiedlermigration ...24
2.2.4
Fluchtmigration ...25
2.2.5
Beziehungsmigration ...26
2.2.6
Die Situation heute...27
2.3
Geschichte der Integrationspolitik ­ Bildungspolitische Maßnahmen...29
2.4
Kulturelle Identität ...34
2.5
Die Bedeutung der Migration für das Bildungswesen...37
2.5.1
Bildungsbeteiligung und -verläufe von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund ...37
2.5.2
Umgang des Bildungssystems mit Migration ...42
2.5.3
Integrationskonzepte...42
2.5.3.1
Kindergarten... 43
2.5.3.2
Grundschule ... 45
2.5.3.3
Außerschulische Initiativen... 46

3
3
Empirischer Teil: Ein Beispiel für ein Integrationskonzept an einer
Grundschule in Fürth ...48
3.1
Die Grundschule in Fürth...49
3.1.1
Schulumgebung ...50
3.1.2
Statistische Angaben ...51
3.1.3
Pädagogisches Personal ...53
3.1.4
Die Klasse 1a...53
3.2
Die Migrantenkinder im Unterricht an der Grundschule in Fürth...54
3.2.1
Vorschulkurs ...54
3.2.2
Die Sprachlernklasse ...55
3.2.3
Förderunterricht ...57
3.3
Beobachtung des Unterrichts ...57
3.4
Darstellung der Lehrergespräche ...59
3.5
Theoriediskurs versus Praxisdiskurs ...78
3.6
Schlussfolgerung ...81
4
Ausblick...82
5
Schlusswort ...85
6
Literaturverzeichnis ...88
6.1
Printmedien...88
6.2
Internetseiten ...92
6.3
Weiterführende Literatur ...95
7
Abbildungsverzeichnis ...98

4
1 Einleitung
1.1 Vorwort
Als vor mehr als 40 Jahren die ersten so genannten ,,Gastarbeiter" nach Deutschland
kamen, rechnete niemand damit, dass manche von ihnen auf Dauer in der Bundesre-
publik bleiben würden. Neben den Migranten aus den ehemaligen Anwerbeländer, die
die größte Gruppe der ausländischen Wohnbevölkerung in Deutschland bilden, ge-
wannen im Laufe der 1980er und 1990er Jahre zwei weitere Migrantengruppen an Be-
deutung. Dabei handelt es sich um (Spät-)Aussiedler und um Flüchtlinge (Keim, 2003,
S. 56). Heutzutage, in der Zeit des kulturellen Pluralismus und der Globalisierung, spie-
len noch andere Formen der Migration eine wichtige Rolle, die so genannte Globalisie-
rungsmigration und außerdem die Beziehungsmigration.
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten im Jahr 2005 in der Bundes-
republik Deutschland 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Im Alter von
unter 25, das vor allem durch die Ausbildung und Vorbereitung auf das spätere Leben
geprägt ist, hat in Deutschland, nach dieser Erhebung, jeder Zehnte eine nicht deut-
sche Staatsangehörigkeit. Im Vorschulalter (0 bis 6 Jahre) haben mehr als 30 von 100
Kindern, das bedeutet mehr als 30%, einen Migrationshintergrund und in den nachfol-
genden Altersgruppen (6 bis unter 10, 10 bis unter 16, 16 bis unter 25) sind es immer-
hin noch zwischen 24% und 29%. (vgl. Bildungsbericht, S. 140-147)
Was bedeuten eigentlich diese Zahlen für die deutsche Gesellschaft, welche Bedeu-
tung haben sie für die Zukunft des Landes und was bedeutet dies für die Menschen mit
Migrationshintergrund selbst, für ihre Identität? Wie kam es überhaupt zu dieser Situa-
tion, wie befasste sich die Politik mit den Folgen der Zuwanderung? Was bedeuten
diese Zahlen für das Bildungswesen? Was wurde bisher unternommen, damit diese
Menschen die gleichen Chancen haben wie die Deutschen ohne Migrationshin-
tergrund? Wie werden diese Kinder in die deutsche, speziell die bayerische Grund-
schule integriert? Wie werden sie gefördert und gefordert? Welche Rolle spielt heutzu-
tage die interkulturelle Erziehung in der Schule?

5
Das Thema der Migration war in der Bundesrepublik schon immer ein heikles Thema
und wird spätestens seit dem 1. Januar 2005, als sich Deutschland faktisch mit dem
Zuwanderungsgesetz dazu bekannte, ein Zuwanderungsland zu sein, immer mehr dis-
kutiert. Die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck,
sagt dazu: ,,Wir haben mit dem neuen Zuwanderungsgesetz eine Schneise geschlagen
in dem Sinne, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und sich auch den integra-
tionspolitischen Herausforderungen stellt".
1
Mit meiner Arbeit möchte ich zu dieser Diskussion beitragen und mich mit den oben
genannten Fragen auseinandersetzen und sie diskutieren, eventuell offene Fragen und
Vorschläge geeigneter Intervention für Kinder mit Migrationshintergrund, aber auch für
Lehrer oder Eltern bearbeiten.
Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: Im ersten, theoretischen, Teil werden die Phäno-
mene der Migration und Integration näher erläutert. Es wird an dem historischen Abriss
der Migration in Deutschland dargestellt, wie es zu diesen Phänomenen gekommen ist.
Im Weiteren wird die Diskussion um kulturelle Identität skizziert. Im nächsten Abschnitt
wird die Antwort auf die Frage, welche Bedeutung die Migration überhaupt für das Bil-
dungswesen heutzutage hat, gesucht. Der theoretische Teil ist lediglich als Einleitung
für den empirischen Teil zu sehen, wobei dem Kapitel über die Migrationsgeschichte
besonders viel Raum gewidmet ist, weil hierin das grundlegende Wissen zu finden ist,
das man braucht, um die Problematik besser verstehen zu können.
Anzumerken ist noch, dass es im Hinblick auf den begrenzten Rahmen der Arbeit nicht
möglich ist, alles in dem Maße zu behandeln, wie es wünschenswert wäre.
Im zweiten, empirischen, Teil wird ein Integrationskonzept dargestellt und anhand von
Theorien diskutiert.
1
vgl. DW ­ World.de, Deutsche Welle (2005), "Deutschland ist ein Einwanderungsland". [onli-
ne], erhältlich im Internet unter: http://www.dw-world.de/dw/article/ 0,2144,1689933,00.html
[Stand: 06. 07. 2007]

6
Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung habe ich mich dafür entschieden, in der
vorliegenden Arbeit ausschließlich männliche Personenbezeichnungen zu verwenden.
1.2 Der Ausgangspunkt: Die zentralen Fragestellungen
der Arbeit
Das Jahr 2007 wurde von der Europäischen Kommission zum ,,Europäischen Jahr der
Chancengleichheit für alle" erklärt. Chancengleichheit bedeutet, jedem Einzelnen, un-
abhängig von ethnischer und kultureller Herkunft, die gleichberechtigte Teilhabe an der
Gesellschaft sowie den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dabei
haben Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bislang deutlich schlechte-
re Startbedingungen.
Die Pisa-Studie
2
zeigte, wie sehr der soziale Hintergrund und die Leistung der Schüler
zusammenhängen. Zu dieser Problematik äußerte sich unter anderem der UN ­ Son-
derberichterstatter Vernor Muñoz, nachdem er seinen Bericht zum Recht auf Bildung
vorgelegt hatte, folgendermaßen: ,,Sozioökonomische Beschränkungen hängen mit
Beschränkungen im Bildungsbereich zusammen, die sich auf die schulische Kompe-
tenz und die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler
auswirken. Wie die PISA-Studien zeigen, spiegelt sich soziale Ungleichheit in den
schulischen Erfolgschancen wider. [...] Es ist offenkundig, dass die frühe Einstufung
Auswirkungen für weniger begünstigte Kinder und Jugendliche hat, also für Schüler
aus armen Verhältnissen sowie Schüler mit Migrationshintergrund oder Behinderung
3
."
Im Bildungsbericht 2006 steht einerseits, dass angesichts der demographischen Ent-
wicklung Förderung und (Aus-)Bildung junger Migranten ­ als Kinder der einzig wach-
senden Bevölkerungsgruppe ­ für künftige Produktivität und gesellschaftlichen Wohl-
2
PISA steht für ,,Programme for International Student Assessment" ­ die bisher umfassendste
Schulleistungsstudie, die International durchgeführt wurde.
3
Vereinte Nationen Generalversammlung (2006): UMSETZUNG DER UN-RESOLUTION
60/251 ,,RAT FÜR MENSCHENRECHTE" vom 15. März 2006 Bericht des Sonderberichter-
statters für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz Addendum DEUTSCHLANDBESUCH. [onli-
ne], erhältlich im Internet unter:
www.bundeselternrat.de/fileadmin/pdf_dateien/aktuelles/Munoz-
Arbeitsuebersetzung_Maerz07.pdf [Stand: 20.06.2007], S. 15

7
stand von großer Bedeutung seien, andererseits findet man ein Paar Seiten weiter,
dass die Analysen aus IGLU
4
und anderen Studien zeigten, dass die migrationsspezifi-
sche Benachteiligung schon in den Noten, die in der Grundschulzeit gegeben werden,
angelegt ist. Nach Angaben des Bildungsberichts erhalten somit Schüler mit Migrati-
onshintergrund in der Grundschule, manchmal sogar bei derselben Leistung, etwas
schlechtere Noten als ihre Mitschüler. (vgl. Bildungsbericht, S. 165)
Aus diesen Aussagen geht hervor, dass in der Bundesrepublik eine gewisse Diskre-
panz zwischen den Wünschen, also dem ,Soll', und der Realität, also dem ,Ist', ent-
steht.
Die erste wichtige Frage ist also die nach dem Umgang der Grundschule, im Hinblick
auf die hier vorgelegte Arbeit, in Bayern, mit den Migrantenkindern. Gibt es irgendwel-
che Konzepte, um diese Kinder sinnvoll integrieren zu können? Warum beenden so
viele Migrantenkinder bereits an den Hauptschulen ihre Schullaufbahn und schaffen
den Übergang in die weiterführenden Schulen nicht? Was tut die Grundschule, damit
dies nicht in diesem Maße passiert und damit diese Menschen eine bessere Chance
für ihre Zukunft in dieser Gesellschaft haben?
Die zweite wichtige Frage ist die nach der effektiven Förderung der Migrantenkindern
in der Grundschule. Was könnte noch für eine bessere Integration getan werden?
1.3 Ziel und Methodik der Arbeit
Damit die Integration in der Schule erfolgreich stattfinden kann, ist es wichtig, einiges
zu wissen: Was bedeuten die Begriffe Migration und Integration? Wie kam es über-
haupt dazu, dass Kinder mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik präsent sind?
Welche integrationspolitischen Bildungsmaßnahmen wurden ergriffen? Wie findet
heutzutage Integration im Bildungswesen statt?
4
IGLU ­ Internationale Grundschul­Lese­Untersuchung; siehe dazu: IGLU 2006 ­ Internatio-
nale Grundschul ­ Lese ­ Untersuchung (2006): Einführende Informationen. [online], erhältlich
im Internet unter: http://www.ifs.uni-dortmund.de/iglu2006/ [Stand: 25.06.2007]

8
Die vorliegende Arbeit möchte diese Fragen aufgreifen und den bisherigen Umgang
des Bildungssystems, speziell der Grundschule, mit Migrantenkindern und inwieweit
dieser zu deren Integration beitrug, präsentieren und die eventuellen Möglichkeiten der
Förderung dieser Kinder unter Einbeziehung einer empirischen Untersuchung diskutie-
ren.
Die Untersuchung erfolgte an einer Grundschule in der Fürther Innenstadt, die einen
hohen Ausländeranteil aufweist und deren Name hier wegen des Gesichtspunktes der
Anonymität nicht genannt wird. Weiter im Text als ,,Grundschule in Fürth" genannt. Die
Schulleitung reagierte auf die Anfrage, dort ein Praktikum, verbunden mit einer Hospi-
tation, zu machen, offen und hilfsbereit. In dieser Zeit konnten unter anderem wichtige
Gespräche mit den Lehrkräften geführt und das Schülerverhalten in Vorschulkurs,
Sprachlern- und Regelklassen beobachtet werden. In diesen Gesprächen wurden acht
Punkte diskutiert, wodurch Kenntnisse darüber gewonnen werden sollten, wie die
Lehrkräfte an der oben genannten Grundschule mit dem Thema Integration von
Migrantenkindern in die bayerische Grundschule umgehen. Es wurde diskutiert, wie die
Lehrkräfte die Migrantenkinder in ihren Klassen erleben und ob sie Unterschiede zwi-
schen den einzelnen Kindern nach ihrer kulturellen Herkunft sehen und nach welchem
Konzept sie versuchen, sie zu integrieren. Außerdem, inwieweit sie die Integrationsan-
gebote dieser Schule für sinnvoll bzw. ausreichend halten, nämlich die Sprachlernklas-
se, den Vorschulkurs und über den Unterricht hinausgehende Veranstaltungen, wie
zum Beispiel Schulfeste. Die Erfahrungen, die die Lehrkräfte mit den Kindern aus der
Sprachlernklasse gemacht hatten, und ihre Meinung zum Thema Sprachlernklasse
überhaupt waren sehr aufschlussreich. Aus den Gesprächen gingen auch positive Er-
fahrungen hervor; es war die Rede davon, aus welcher Richtung sie Unterstützung
erhalten und wie sie die Zusammenarbeit mit den Eltern dieser Kinder erleben. Am
Ende standen Wünsche dazu, wie die Integration besser funktionieren könnte.
All dem war sehr viel zu entnehmen, wenn es darum ging, sich Gedanken darüber zu
machen welche Empfehlungen man dazu abgeben könnte, wie die Integration von
Migrantenkindern zu verbessern wäre.

9
Die Hospitation dauerte vom Mitte März bis Ende des Schuljahrs 2006/2007. Das
Lehrpersonal hatte sich damit einverstanden erklärt, sich im Rahmen von Lehrerge-
sprächen befragen zu lassen, die in Form von offenen Interviews stattfanden. Gleich-
falls stimmten sie zu, dass die Gespräche und die daraus resultierenden Ergebnisse,
die durch weitere Eindrücke aus unsystematischen Beobachtungen ergänzt werden, in
dieser Arbeit verwendet werden.
Die Beobachtung erfolgte in Form von teilnehmender Beobachtung und dauerte eine
Woche. Die Beobachtungswoche fand während einer gewöhnlichen Schulwoche gleich
am Anfang des Praktikums statt und umfasste vor allem die Stunden der Sprachlern-
klasse und dann diejenige Stunden der Stammklasse, in denen die Kinder aus der
Sprachlernklasse Unterricht hatten. Die Aktivitäten, die im Klassenzimmer stattfanden,
wurden schriftlich festgehalten. In der Stammklasse lag das Augenmerk auf dem Ver-
halten der Kinder aus der Sprachlernklasse. Aus dieser Beobachtung wurden einige
Beispiele für die vorliegende Arbeit ausgewählt.
2 Theoretischer
Teil
2.1 Definitionsansätze
Es gibt sehr viele verschiedene Ansätze, jeder Wissenschaftsbereich hat einen ande-
ren Ausgangspunkt und es ist oftmals unmöglich, eine eindeutige Definition zu finden.
Im Folgenden werden ausgewählte Definitionen zum Thema Migration und Integration
präsentiert.
2.1.1 Migration
Migration oder die synonym verwendete Bezeichnung Wanderung ist eine komplexe
Erscheinung, die nicht nur die betroffenen Menschen angeht, sondern auch die Gesell-
schaften bzw. Regionen, zwischen denen diese Menschen sich bewegen.
Verschiedene Wissenschaften haben sich in unterschiedlicher Weise mit diesem Phä-
nomen auseinandergesetzt und für sich einen unterschiedlichen Mittelpunkt gesetzt.
Die Erziehungswissenschaften haben für sich als Mittelpunkt der Untersuchung die
schulische Situation der sog. zweiten und nachfolgenden Generation ausgewählt (vgl.
Treibel, 1990 S. 17).

10
Wenn man Migration als soziologischen Begriff nimmt, so definieren ihn Schubert und
Klein folgendermaßen: ,,Migration" wird für alle Formen räumlicher Mobilität von Indivi-
duen, (religiösen, ethnischen etc.) Gruppen, Minderheiten und Volksteilen verwendet.
Migrationsprozesse können durch erhöhte individuelle Mobilität (z. B. aufgrund von
Arbeitssuche) ausgelöst werden. Sie können sich in Form von Land- oder Stadtflucht
und damit als Binnen-Migration, in Form von Ein- bzw. Auswanderung (Immigration,
Emigration), also z. B. als politisch-geographische Wanderungsbewegungen, vollzie-
hen. (vgl. Schubert/Klein, 2006)
Für alle Definitionen sind die Aspekte des Wechsels und der Bewegung von zentraler
Bedeutung.
Treibel stellt in ihrem Buch folgende Definition vor: ,,Migration ist der auf Dauer ange-
legte bzw. dauerhaft werdende ,freiwillige' Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in
eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen (Treibel, 1990, S. 21)." In
dieser Definition entfallen die räumlichen und zeitlichen Differenzierungen und zugleich
entfällt die Unterscheidung zwischen Einwanderung und Arbeitsmigration.
In der Bundesrepublik Deutschland findet man alle Formen der Migration. Doch wer
sind eigentlich die Migranten? Im Mikrozensus 2005 werden Migranten wie folgt defi-
niert: ,,Migranten sind Personen, die nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik,
sondern im Ausland geboren sind (,foreign born') (Statistisches Bundesamt, 2005, S.
337)". Man unterscheidet weiter zwischen denjenigen, die nach Deutschland zugezo-
gen sind, sie werden als ,,Zuwanderer" bezeichnet, und denjenigen, die, je nach
Staatsangehörigkeit, Deutsche, wie zum Beispiel ,,Spätaussiedler", oder ,,Ausländer",
sein können. Alle Erwähnten gehören zu den ,,Personen mit Migrationshintergrund".
(vgl. Statistisches Bundesamt, 2005, S. 337)
Zu den Personen mit Migrationshintergrund gehören alle Zugewanderten, unabhängig
von ihrer Nationalität, und letztendlich die ganze ausländische Bevölkerung, unabhän-
gig davon, ob sie im Inland oder im Ausland geboren wurde (vgl. Statistisches Bundes-
amt, 2005, S. 338). Die in Deutschland geborenen Kinder der Zuwanderer werden oft
als Migranten bezeichnet. Dies ist jedoch nicht passend, da sie selbst keine Migration-

11
serfahrung hinter sich haben, und sie sollten demnach als ,,Kinder oder Menschen mit
Migrationshintergrund"
5
bezeichnet werden.
Man unterscheidet verschiedene Migrationsformen, wie zum Beispiel Aussiedlermigra-
tion, Fluchtmigration, Arbeitsmigration, oder auch Beziehungsmigration, die die Ehe-
schließung und Partnerschaft betrifft, oder eine neuere Form, die Globalisierungsmig-
ration, die heutzutage für verschiedene Arbeitnehmer, die mit der Firma ins Ausland
versetzt werden, zur Normalität geworden ist. Auf manche Formen der Migration wird
noch einzugehen sein, wenn über Migration in Deutschland gesprochen wird.
2.1.2 Integration
In den letzten Jahren ist Integration ein zentrales Thema der Pädagogik geworden.
Bedeutsam dafür sind erstens gesellschaftliche Gründe, wie die Ermöglichung und
Sicherung eines humanen Zusammenlebens aller Mitglieder der Gesellschaft, der In-
länder und der Ausländer. Zweitens sind pädagogische Gründe wichtig, wie die Entfal-
tung der Individualität und Sozialität, um eine objektiv und subjektiv befriedigende Le-
bensweise für jeden Menschen zu ermöglichen. Akzeptanz, die auf Humanität beruht,
und strikte Friedfertigkeit sind dafür unverzichtbar. (vgl. Wiater, 2004, S. 49)
Das Wort Integration ist noch nicht lange geläufig. Heute existiert es als Ableitung des
lateinischen ,,integrare" (wiederherstellen, ergänzen), des mittellateinischen ,,integralis"
(ein Ganzes ausmachend) und des lateinischen Substantivs ,,integratio" (Wiederher-
stellung eines Ganzen). Alle diese Wörter kann man auf ,,integer", ,,integritas" und ,,in-
tegrare" zurückführen, und so verband man mit dem Wort im 19. und 20. Jahrhundert
ursprünglich die Vorstellung, dass ein einheitliches Ganzes, das durch irgendwelche
Umstände angetastet und versehrt ist, wiederhergestellt und erneuert werden müsse.
Wer integriert, ergreift also Maßnahmen, um eine gestörte, verloren gegangene, jeden-
falls nicht vorhandene Ganzheit wiederentstehen zu lassen. (vgl. Wiater, 2004, S. 49)
Der Begriff Integration hat nach Wiater eine aktive und eine passive Dimension. Die
aktive meint, dass der zu Integrierende seine Integration selbst wollen und betreiben
muss, die passive bedeutet, dass gesellschaftliche und vor allem schulische Organisa-
5
Da diese Bezeichnung für manche als zu ,,lang und sperrig"(Keim, 2003, S. 1) erscheinen
kann, wird in dieser Arbeit die Bezeichnung ,,Migrantenkinder" als Synonym benutzt.

12
tionsformen vorhanden sein oder geschaffen werden müssen, die die Integration er-
möglichen und erleichtern.
Die Notwendigkeit zur Herstellung einer solchen Ganzheit wird in der Pädagogik mit
folgenden Argumenten begründet:
1) ,,Jeder Mensch ist qua Mensch prinzipiell gleichwertig.
2) Jeder Mensch verfügt über die potenzielle Fähigkeit, einen eigenen aktiven Bei-
trag zu seiner Lebensgestaltung zu leisten.
3) Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe, Zugehörigkeit und persönliche Ent-
wicklungsmöglichkeiten in der Gesellschaft.
4) Jeder Mensch ist von jedem Menschen aus biografischen, kulturellen oder so-
zialen Gründen verschieden; Heterogenität ist der ,,Normalfall" des Mensch-
seins.
5) Jeder Mensch hat in der demokratischen Gesellschaft einen Anspruch darauf,
nicht stigmatisiert und nicht sozial ausgegrenzt zu werden." (Wiater, 2004, S.
50)
Diese Argumentation ist zwar unstrittig, aber es ist schwierig, daraus konsensfähige
Integrationsstrategien abzuleiten. Im Folgenden werden fünf verschiedene Integrati-
onsmodelle präsentiert:
1) das Modell der monistischen Integration, d.h. der Assimilation der gesellschaft-
lichen Minorität in die Aufnahmegesellschaft, die in den 60er Jahren des letzten
Jahrhunderts als Idee vorherrschte
2) das Modell der pluralistischen Integration, d.h. des Nebeneinanders von Min-
derheit und Mehrheit, beispielsweise auch durch Stadtteil ­ Gettoisierung und
Isolation - die Ausländerpädagogik der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts
3) das Modell der interaktionistischen Integration, d.h. der multikulturellen Gesell-
schaft, bei der jede Ethnie subkulturell segregiert, binnenintegriert und in sich
solidarisch ist und mit den anderen Ethnien geregelte, spannungsarme Bezie-
hungen unterhält, so der Ansatz der multikulturellen Gesellschaft der 80er Jah-
re des letzten Jahrhunderts (,,Multikulti")
4) das Modell der partnerschaftlichen Integration, d.h. der Partnerschaft durch in-
terkulturelles gegenseitiges Lernen voneinander, das beide Seiten bereichern

13
kann, die Tenor der Pädagogik der Interkulturalität in den 90er Jahren des 20.
Jahrhunderts (,,Interkulturelle Pädagogik")
5) das Modell eines Prozesses gegenseitiger Anpassung, der auf Transkulturalität
verweist, d.h. der Entwicklung einer neuen Gemeinschaft auf Grund gemein-
sam neu erarbeiteter oder im Alltag praktizierter Bedeutungsgehalte (vgl. Wia-
ter, 2004, S. 51)
Dieses von Wiater vorgestellte fünfte und jüngste Modell, ,,bei dem Migranten oder
Ausländer nicht länger als Personen oder Personengruppe betrachtet werden, die ihre
Heterogenität in eine homogene Gesellschaft einbringen, verknüpft das gesellschafts-
politische Anliegen einer sozialen Integration mit dem pädagogischen eines Lernens
aus gemeinsam gemachten Erfahrungen. Es bedenkt einerseits, dass keine Majoritäts-
Gesellschaft in Wirklichkeit ein statisches autonomes System ist, und anderseits, dass
sich nicht nur die Minorität, die zu dieser Gesellschaft gehören will, verändert bzw. ver-
ändern muss" (Wiater, 2004, S. 51).
Es ist kompliziert, den Begriff Integration klar zu definieren und es ist sehr schwierig,
beim vorliegenden Thema damit zu arbeiten, weil viele Begriffe nebeneinander stehen,
wie zum Beispiel Integration, Eingliederung, Assimilation, Akkulturation, Akkommodati-
on und Absorption, für die es jeweils eine lexikalische Definition gibt. Manchmal mei-
nen mehrere Begriffe das Gleiche, ein anderes Mal steht ein Begriff für verschiedene
Inhalte.
Der Begriff der Integration ist nicht gleichzusetzen mit Assimilation, wird aber oft so
verstanden. Es geht nicht mehr um die Abgrenzung des Fremden vom Eigenen. Integ-
ration beinhaltet stets auch eine Interaktion (vgl. Dieckhoff, 2002, S. 98).
Für die Integration entscheidend ist folglich nach Elwert ,,[...]nicht die Übernahme der
deutschen Sprache als Muttersprache, nicht die Übernahme hiesiger Religionen und
hiesiger Speisekulturen [...], wohl aber der Zutritt zu den Statuslinien der aufnehmen-
den Gesellschaft." (Elwert, 1982, S. 720)
Eine andere Definition, die im Zuwanderungsgesetz steht, besagt, dass ,,Integration ein
langfristiger Prozess ist, der zum Ziel hat, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmä-

14
ßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zuwanderern soll eine
umfassende, möglichst gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen
ermöglicht werden. Zuwanderer haben die Pflicht, die deutsche Sprache zu erlernen
sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen.
Gleichzeitig muss den Zuwanderern ein gleichberechtigter Zugang möglichst zu allen
gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden."
6
Eine weitere Definition, die dem Bericht des bayerischen Kultusministeriums zur Situa-
tion der Ausländerinnen und Ausländer in Bayern zu Grunde liegt, besagt, dass Integ-
ration, soll sie erfolgreich sein, zwischen multikultureller Gesellschaft und Assimilation
liegen muss. Sie setzt den Eintritt in die deutsche Gesellschaft ohne völlige Preisgabe
der bisherigen Identität voraus, so dass die Akzeptanz der Grundwerte des gesell-
schaftlichen Zusammenlebens der aufnehmenden Gesellschaft dem Erhalt einer inne-
ren Vielfalt gegenübersteht. (vgl. Ausländerintegration in Bayern, 1999, S. 69)
Bei der Mehrheit der Definitionen zur Integration handelt es sich schon speziell um die
Eingliederung oder Einbeziehung bestimmter Menschengruppen in die deutsche Ge-
sellschaft
7
und es wird in den meisten Definition das Eigene von dem Fremden ge-
trennt. In der vorliegenden Arbeit wird das Wort Integration, in dem oben definierten
Sinn gesehen und im Zusammenhang mit der Institution Schule benutzt. Die Schule,
und speziell die Grundschule, stellt eine der ersten Stufen auf dem Weg der Sozialisa-
tion dar und es ist deswegen sehr wichtig, dass gerade Kinder mit Migrationshin-
tergrund in diese Institution aufgenommen werden und dort eine Chance auf Teilhabe
bekommen.
Für die vorliegende Arbeit wurde, über das bisher Vorgestellte hinausgehend, von ei-
ner Integrationsdefinition ausgegangen, die besagt, dass ,,Integration die gleichberech-
tigte Teilhabe an dem Chancenangebot in den zentralen Bereichen der Gesellschaft
6
Bundesministerium des Inneren (2005): Zuwanderung A ­ Z. Integration. [online], erhältlich im
Internet unter: http://www.zuwanderung.de/2_neues-gesetz-a-z/integration.html [Stand:
11.05.2007]

15
ist"
8
. In diesem Fall handelt es sich um den prioritären Integrationsbereich der Bildung
und hier um die Institution Schule. Integration hat nach Kolb nicht nur etwas mit Migra-
tion zu tun, denn jeder Mensch muss sich in bestimmte Bereiche integrieren (zum Bei-
spiel Bereich der Arbeit oder Bildung), damit er wiederum in anderen Bereichen erfolg-
reich sein kann. Für die Gruppe der Migranten kann jedoch die Möglichkeit, sich in ei-
nen bestimmten Bereich zu integrieren erschwert werden. Den Migranten fehlen oft
bedeutsame Kapitalien, die z. B. zur Realisierung höhere Bildungsabschlüsse, benötigt
werden. Die Kapitalien, die sie mitbringen, weisen einen niedrigeren Wert auf, so ist es
zum Beispiel mit dem Kapital Sprache. Für die Zuwanderungsgruppe ist die Integration
im Allgemeinen schwieriger als für die einheimische Bevölkerung. (vgl. Kristen; Grana-
to, 2004, S. 124)
Integration in der Schule heißt also ganz konkret, den Kindern die Chance auf die
gleichberechtigte Teilhabe am Bildungsbereich zu ermöglichen.
Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, die für die Integration der Migrantenkinder in die
Grundschule von Bedeutung sind. Einer der wichtigsten Ansätze ist die Interkulturelle
Erziehung bzw. die Interkulturelle Pädagogik.
Zum Thema Interkulturelle Erziehung/Bildung stellt Krüger-Potratz in Bezug auf die
Differenzlinien Sprache, Staatsangehörigkeit, Ethnizität und Kultur vier unterschiedliche
Diskurse vor, die im Folgenden dargestellt werden. Den einzelnen Diskursen kann je-
weils ein sie charakterisierendes Stichwort zugeordnet werden: Gleichheit, Essentiali-
sierung, Universalisierung und Pluralität.
Unter dem ersten Diskurs, dem Gleichheitsdiskurs, könnten die Positionen zusammen-
gefasst werden, die die kollektive Benachteiligung der Zugewanderten (der Fremden,
Migranten, Ausländer, Aussiedler, Flüchtlinge usw.) thematisieren und für deren
7
Nach Kolb gibt es eigentlich keine Integration in die Gesellschaft, denn ,,Integration ist Be-
reichspezifisch und braucht eine bestimmte Zeit".

16
Gleichbehandlung sowie politische und rechtliche Gleichstellung eintreten. Dabei wird
die Frage nach dem Maßstab und der Macht nicht hinreichend bearbeitet. Die aufneh-
mende Gesellschaft und ihre Institutionen werden als ,,gegeben" angesehen und die
sie kennzeichnenden Normalitätsverständnisse werden nicht hinterfragt. Die Folge ist,
dass Differenz mit Defizit und die Forderung nach Chancengleichheit pädagogisch in
assimilatorische und kompensatorische Maßnahmen und Konzepte übersetzt wird. Der
Gleichheitsdiskurs kann als Fortsetzung der Auseinandersetzung über den Umgang
mit ,,Fremden", wie er seit dem 19. Jahrhundert geführt wird, angesehen werden. Der
Gleichheitsdiskurs schließt die Positionen ein, deren Vertreter die assimilatorisch und
kompensatorisch ausgerichteten Maßnahmen kritisieren und das Hauptgewicht auf die
politische Gleichstellung der Zugewanderten als grundlegende Voraussetzung für
Chancengleichheit legen. Denn auch sie stellen die Normalitätsmuster nicht in Frage,
sondern erhoffen sich von der Gleichstellung Gleichheit. ( vgl. Krüger-Potratz, 2005, S.
172)
Im zweiten dem Essentialisierungsdiskurs wird die kulturelle Differenz positiv definiert
und als Bereicherung interpretiert. Aus der positiven Definition kultureller Differenz wird
nicht nur die Forderung nach dem ,,Recht auf Anderssein" abgeleitet, sondern vor allem
die Forderung nach Erhalt der ,,kulturellen Identität", mit der Folge, dass der ,,Andere" in
seiner Kultur eingesperrt (kulturalisiert) bzw. auf das ihm angeblich ,,wesentlich-
eigentliche" zurückgewiesen (essentialisiert) wird. Alles, so das Grundargument, was
eine Person denkt und tut, sei letztlich in ihrer ,,Kultur" begründet, und diese sei zu res-
pektieren. Charakteristisch für den Essentialisierungsdiskurs sind die Rezeption von
Kulturtheorien und die Auseinandersetzung zwischen Vertretern des Kulturuniversalis-
mus und des Kulturrelativismus. Die Frage ,,Was ist Kultur" wird in den Mittelpunkt ge-
stellt. Hier ordnen sich die Konzepte ein, die Interkulturelle Bildung als Friedenserzie-
hung, Erziehung zur Empathie und Solidarität interpretieren, die für kulturelle Bereiche-
rung werben und dort, wo es konkret wird, gemeinsame Feiern (Lieder, Tänze, kulina-
rische Genüsse) und andere Elemente (Exkursionen in die Moschee, Besuch bei ,,tür-
kischen Familien") vorschlagen. (vgl. Krüger-Potratz, 2005, S. 174)
8
Kolb, Holger (Universität Osnabrück): Vorlesung im Rahmen der ,,Interkulturellen Wochen" in

17
Ausgangspunkt für den Universalitätsdiskurs ist der Versuch, statt inter-kulturell, das
heißt zwischen den Kulturen vermitteln zu wollen, unter Bezug auf kulturuniversalisti-
sche Theorien das allen Kulturen Gemeinsame und/oder das über die Einzelkulturen
Hinausweisende herauszustellen. Kulturelle Unterschiede werden dethematisiert eben-
so die Frage der Hegemonie. Differenz wird als etwas in einem gemeinsamen Dritten
zu Überwindendes vorgestellt. Typisch dafür sind Ansätze transkultureller oder kultur-
übergreifender Erziehung. Die dem Universalisierungsdiskurs zuzuordnenden Ansätze
bleiben meist in der Formulierung von Zielsetzungen und allgemeinen Forderungen
stecken oder verweisen schlicht auf Menschenrechtserziehung. (vgl. Krüger-Potratz,
2005, S. 175)
Im letzten dargestellten Diskurs, dem Pluralitätsdiskurs, wird Differenz als Konstrukt
verstanden, das es zu analysieren und zu reinterpretieren gilt. In diesem Zusammen-
hang spielen Theorien über Diaspora, Hybridität und Transnationalität, Transkulturalität
eine Rolle. Es wird betont, dass interkulturelle Bildung und Erziehung nicht länger nur
als Spezialisierung innerhalb der Erziehungswissenschaft verstanden werden dürfen,
sondern als Querschnittaufgabe, als Aufforderung, Erziehung und Bildung ausgehend
von Heterogenität zu konzeptualisieren. Dabei sei zu beachten, dass sprachliche, eth-
nische, kulturelle und nationale Differenzen nur einen Ausschnitt aus der Gesamtheit
von Heterogenität darstellen. Hinzu kämen weitere Differenzmerkmale: Sozialstatus,
Geschlecht, Alter, physische und psychische Gesundheit. (Krüger-Potratz, 2005, S.
176)
2.2 Migration in Deutschland
2.2.1 Historischer Abriss zur Migration in Deutschland
Auch in Deutschland hat Migration eine lange Geschichte mit im Kern seit Jahrhunder-
ten unveränderten Gründen ­ Streben nach einem besseren Leben für sich selbst und
die Nachkommen, Furcht vor politisch, ethnisch oder religiös motivierter Verfolgung
oder Vertreibung.
Nürnberg am 09. 10. 2007.

18
Die deutsche Geschichte wurde seit der frühen Neuzeit von Flucht- und Zwangswan-
derungen, Siedlungswanderungen, Arbeitswanderungen und saisonaler Wanderarbeit
geprägt. Dabei handelte sich nicht nur um Wanderungen von Ausländern nach
Deutschland, sondern auch um Wanderungen von Deutschen ins Ausland. (vgl. Keim,
S. 45) Als Beispiel könnte man die Auswanderung von Pfälzern und Hessen im 19.
Jahrhundert nach Frankreich, wo diese Menschen maßgeblich am Ausbau des Kanal-
netzes und der Eisenbahn mitgewirkt haben, nennen. Weitere Beispiele sind die Aus-
wanderung von abertausenden von Menschen aus bitterer Armut in Deutschland im
19. Jahrhundert nach Russland, Südamerika, in die USA und nach Kanada.
9
Nach dem deutsch-französischen Krieg im Jahre 1871 erfolgte die erste Anwerbung
von so genannten ,Ruhrpolen'. Es handelte sich um Bergarbeiter aus Oberschlesien,
polnische Landarbeiter aus Ost- und Westpreußen und Polen, die sich von der deut-
schen Arbeiterschaft durch die katholische Konfession und ihre Sprache unterschieden
und somit ein eigenständiges Arbeitermilieu in den Städten des Ruhrgebiets, wie Es-
sen, Dortmund oder Gelsenkirchen, bildeten.
10
In den folgenden Jahren ab 1880 nahm die Ost-West-Wanderung aus dem preußi-
schen Osten ins Ruhrgebiet weiter zu. Arbeiter aus dem deutschen, österreich-
ungarischen und russischen Polen waren nicht nur in der Industrie gefragt, sondern
wurden in großer Zahl saisonal auch in der Landwirtschaft als Billiglohnkräfte herange-
zogen. Außer den bereits erwähnten Migrantengruppen aus dem Osten zogen bereits
vor 1900 die ersten Arbeitsmigranten aus Norditalien überwiegend nach Südwest-
deutschland zu. Vor dem ersten Weltkrieg waren im gesamten Deutschen Reich bis zu
200.000 italienische Arbeitsmigranten beschäftigt.
11
Für die Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges wurden tüchtige Arbeitskräfte dringend
benötigt. Aus dem Grund wurden prompt Rückkehrverbote für die nun aus dem ,,feind-
9
vgl. Bundesministerium des Inneren (2005): Zeitstrahl. [online], erhältlich im Internet unter:
http://www.zuwanderung.de/1_zeitstrahl.html [Stand: 11.05.2007]
10
vgl. ebd.

19
lichen Ausland" stammenden Arbeitskräfte eingeführt und zusätzlich weitere Arbeits-
kräfte angeworben oder als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Zudem wur-
den Kriegsgefangene als Arbeitskräfte eingesetzt. Nach Schätzungen befanden sich
nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des deutschen Reiches etwa eine Million
Kriegsgefangene und eine Million zivile Arbeitskräfte. (vgl. Keim nach Herbert, S. 47)
In der Weimarer Republik sank wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage die Zahl
der ausländischen Arbeitskräfte deutlich. Im Jahr 1928 wurde ein Höchststand von
236.000 ausländischen Beschäftigten erreicht. Die Beschäftigung der Arbeitsmigranten
wurde, wie schon vor dem ersten Weltkrieg, staatlich geregelt. Ihre Arbeits- und Auf-
enthaltsgenehmigung war auf zwölf Monate begrenzt, und Visa wurden nur dann aus-
gestellt, wenn die Arbeitgeber nachweisen konnten, dass sie vergeblich nach einheimi-
schen Arbeitskräften gesucht hatten. Die Tätigkeit der Arbeitsmigranten wurde völlig an
den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes ausgerichtet. (vgl. Keim, S. 47)
Von 1933 bis 1945, in der Zeit der Kriegsvorbereitungen und des Zweiten Weltkrieges,
fanden die größten Migrationsbewegungen statt. Die Nationalsozialisten deportierten
Millionen Zwangsarbeiter vorwiegend aus Osteuropa und beschäftigten diese in der
deutschen Kriegswirtschaft. Außerdem wurden KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene zum
so genannten ,Arbeitseinsatz' gezwungen. Zwischen 1939 und 1945 wurden etwa 14
Millionen Menschen nach Deutschland verschleppt. (vgl. Keim nach Wenning, S. 47)
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rund zehn bis zwölf Millionen ,Displaced Per-
sons'
12
in ihre Herkunftsländer repatriiert, zum Teil gegen ihren Willen. Bis 1950 war der
größte Teil in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt oder nach Übersee ausgewandert.
13
11
vgl. ebd.
12
Displaced Persons: ,,Zivilisten außerhalb der nationalen Grenzen ihres Landes aus kriegsbe-
dingten Gründen, die nach Hause zurückkehren wollen, aber dazu unfähig sind, oder die
ohne Hilfe kein Zuhause finden oder die in feindliches oder ehemals feindliches Territorium
zurückgebracht werden müssen (Displaced Persons ­ Ein Problem der Nachkriegszeit. Der
Begriff ­ ,,Displaced Person." [online], erhältlich im Internet unter:
http://www.geschichtsatlas.de/~ga2/dps.htm [Stand: 12.05.2007])."
13
vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. (2005): Oltmer, Joachim (2005): Migration. Deut-
sche Migrationsgeschichte seit 1871. [online], erhältlich im Internet unter:

20
Nach Deutschland flüchteten wiederum zwischen 1945 und 1949 rund zwölf Millionen
Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aus Polen, aus dem Sude-
tenland, Ungarn und Jugoslawien. Zudem kam es nach Gründung der DDR zu einer
Massenübersiedlung von Ost- nach Westdeutschland. Etwa 3,5 Millionen Menschen
überquerten bis zum Bau der Mauer im Jahr 1961 die innerdeutsche Grenze (vgl. Keim
nach Münz, S. 47).
Ab Mitte der 50er Jahre, die durch das steigende Wirtschaftswachstum, das so ge-
nannte ,,Wirtschaftswunder", charakterisiert waren, machte sich in der Bundesrepublik
ein Mangel an Arbeitskräften bemerkbar. Dies führte dazu, dass zwischen 1955-1973
von verschiedenen Unternehmen und Behörden Millionen ausländischer Arbeitskräfte,
so genannte ,,Gastarbeiter", aus verschiedenen Mittelmeerländern angeworben wur-
den. (vgl. Keim, S. 48) Dies wird als erste Phase der Gastarbeitermigration bezeichnet.
Im Folgenden werden diese Phase und die zwei darauf folgenden Phasen der Gastar-
beitermigration in die Bundesrepublik Deutschland näher geschildert.
2.2.2 Arbeitsmigration: Die drei Phasen der Gastarbeitermig-
ration
Erste Phase: Anwerbung (1955-1973)
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die bundesdeutsche Regierung im großen Rah-
men Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Das erste Anwerbeabkommen wurde
1955 mit Italien geschlossen. Danach folgten Abkommen mit Spanien und Griechen-
land (1960) und später auch mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964),
Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968).
14
http://www.bpb.de/themen/Q0DBOG,0,0,Deutsche_Migrationsgeschichte_seit_1871.html
[Stand: 11.05.2007]
14
vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. (2005): Reißlandt, Carolin (2005): Migration. Migra-
tion in Ost- und Westdeutschland von 1955 bis 2004.
http://www.bpb.de/themen/8Q83M7,0,0,Migration_in_Ost_und_Westdeutschland_von_1955
_bis_2004.html [Stand: 11.05.2007]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836620598
DOI
10.3239/9783836620598
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg – Philosophische Fakultät I
Erscheinungsdatum
2008 (Oktober)
Note
1,5
Schlagworte
migration integration bildungswesen grundschule bayern
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Titel: Integration von Migrantenkindern in die bayerische Grundschule
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