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Unterschiede in der Motivation bei der Studienwahl deutscher und tschechischer Ingenieurstudenten, die sich auf persönliche und kulturelle Werte zurückführen lassen

©2008 Masterarbeit 182 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Ein wachsender Mangel an technischen Fachkräften und insbesondere Ingenieuren ist aktuelles Thema der gesellschaftlichen Diskussion. Abgesehen von Finnland wird die Verfügbarkeit von Ingenieuren in allen europäischen Ländern derzeit als nicht befriedigend eingeschätzt. In diesem Problem wird ein ernstzunehmendes Hindernis für die weitere Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften gesehen.
Vor diesem Hintergrund hat es mich als in Deutschland lebende Tschechin interessiert, welche Motivation junge Menschen in Deutschland und der Tschechischen Republik dazu bewegt, ein ingenieurwissenschaftliches Studium zu beginnen. Insbesondere die Frage, ob es in diesem Zusammenhang kulturell bedingte Unterschiede gibt, wollte ich im Rahmen einer empirischen Studie untersuchen. Vor allem die Abhängigkeiten zwischen Werthaltungen und Motiven sollten eingehender betrachtet werden um zu verstehen, ob sich aus diesen Mechanismen für interessierte Gruppen, wie Industrieunternehmen oder Berufsverbände, Möglichkeiten ergeben, dem Mangel entgegenzuwirken.
Zum Thema Werte liegt eine Vielzahl allgemeiner Studien vor. Einige Psychologen, wie Schwartz, Rokeach, Hofstede, Inglehart, Kluckhohn, und Graumann und Maslow, beschäftigten sich in ihren Arbeiten mit der Bedeutung von Werten. Sie untersuchten den Einfluss der Werte auf die Motivation, die kulturellen Werte und ihre Entwicklung, sowie ihren Zusammenhang mit den Prioritäten der Bedürfnisse. Heute weiß man, dass Werte ein Bestandteil der Persönlichkeit sind. Sie stellen „motivationale Ziele“ dar, die die Entscheidungen und das persönliche Handeln beeinflussen. Damit spielen Werte auch bei der Studienwahl eine wichtige Rolle.
Zur Attraktivität der technischen und ingenieurwissenschaftlichen Studienfächer existieren einige Studien, die auch die Gründe des Ingenieurmangels untersuchen. So zeigt z.B. die empirische Studie der Akademie für Technikfolgenabschätzung zum Thema „Die Attraktivität von technischen und ingenieurwissenschaftlichen Fächern bei der Studienwahl“, dass Selbstverwirklichung in Studium und Beruf ein entscheidendes Kriterium für die Studienwahl ist. Die Entwicklung des technischen Interesses bei Jugendlichen, die Förderung von Neugier und Kreativität steht in direktem Zusammenhang mit der Entscheidung für ein technisches Studium.
Neu ist die Frage, ob es Unterschiede zwischen deutschen und tschechischen Ingenieurstudenten in der Motivation bei der Studienwahl gibt. Bis […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Iva Allaverdi
Unterschiede in der Motivation bei der Studienwahl deutscher und tschechischer
Ingenieurstudenten, die sich auf persönliche und kulturelle Werte zurückführen lassen
ISBN: 978-3-8366-1973-8
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Fachhochschule München, München, Deutschland, MA-Thesis / Master, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

I
NHALTSVERZEICHNIS
1
Einleitung und Forschungsstand
3
2
Ausgangspunkt dieser Studie
5
2.1
Arbeitsmarkt für Ingenieure in Deutschland und Tschechischer Republik
5
2.2
Ingenieurausbildung
8
3
Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 10
3.1
Wertetheorie 10
3.2
Motivationstheorie 13
4
Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 17
4.1
Theorie grundlegender menschlicher Werte 17
4.2
Die Kulturtheorie von Schwartz - Kulturelle Wertetypen 23
5
Kulturdimensionen und Kulturstandards 26
5.1
Hofstede's Theorie der Kulturdimensionen 26
5.2
Empirische Untersuchung der Globe-Studie 31
5.3
Kulturstandards als Orientierungssystem 35
6
Dynamik der Werte 40
6.1
Die stille Revolution 40
6.2
Wertewandel im 20. Jahrhundert 42
6.2.1
Veränderungen in Deutschland 42
6.2.2
Veränderungen in der Tschechischen Republik 44
7
Fragestellung und Herleitung der Hypothesen 46
8
Planung und Durchführung der empirischen Studie 48
8.1
Entwicklung des Fragebogens 48

II
8.2
Durchführung einer Pilotstudie 53
8.3
Festlegen des Teilnehmerkreises und Durchführung der Umfrage 54
8.4
Merkmale der Stichprobe 56
9
Methoden und Ergebnisse der statistischen Auswertung 57
9.1
Genutzte Programme 57
9.2
Festlegung der Variablen 58
9.3
Vorgehen in der beschreibenden Statistik 62
9.4
Ergebnisse der beschreibenden Statistik 63
9.5
Methoden der Prüfstatistik 64
9.6
Ergebnisse der Prüfstatistik 65
9.6.1
Korrelation 66
9.6.2
Multiple Lineare Regression 69
10
Inhaltliche Bewertung und Diskussion 72
10.1
Wertedimensionen nach Schwartz 72
10.2
Unterschiede bei persönlichen Werten 74
10.3
Unterschiede bei kulturellen Werten 77
10.4
Kulturstandards und Kulturdimensionen 79
10.5
Fragen zur Motivation bei der Wahl des Studienfachs 86
10.6
Zusammenhänge zwischen Motivation und Werten 95
11
Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick 97
12
Literaturverzeichnis 101
13
Anhang
1
13.1
Fragebogen deutsch
2
13.2
Fragebogen tschechisch
9
13.3
Statistische Auswertung - Korrelation 16
13.4
Statistische Auswertung - Regression 26

III
Tabellenverzeichnis
Tab. 1.
Untersuchung zum Studienabbruch in Deutschland 2005... 8
Tab. 2.
Ingenieurkennziffern für das Jahr 2005 im internationalen Vergleich, OECD ... 9
Tab. 3.
Kooperationsrelevante Auswirkungen der Dimensionen Hofstedes ... 30
Tab. 4.
Kulturdimensionen für Deutschland und die Tschechische Republik im Vergleich... 31
Tab. 5.
Länderskalierung auf Basis der GLOBE-Studie... 34
Tab. 6.
Gegenüberstellung deutscher und tschechischer Kulturstandards... 36
Tab. 7.
Kulturdimensionen und -standards... 39
Tab. 8.
Werte-Items und Wertedimensionen nach Schwartz... 58
Tab. 9.
Kulturelle Werte nach Shalom Schwartz... 59
Tab. 10.
Zusammenfassung der Motivationsfragen zu acht Variablen... 60
Tab. 11.
Zusammenfassung der Fragen zu Kulturstandards in 8 Variablen ... 61
Tab. 12.
Mittelwerte und Standardabweichungen zu den persönlichen Werten... 63
Tab. 13.
Mittelwerte und Standardabweichungen zu den kulturellen Werten... 63
Tab. 14.
Mittelwerte und Standardabweichungen zu den Fragen nach den Kulturstandards ... 64
Tab. 15.
Mittelwerte und Standardabweichungen zu den Fragen nach der Motivation ... 64
Tab. 16.
Korrelationen - persönliche Werte bei deutschen Studenten... 66
Tab. 17.
Korrelationen - persönliche Werte bei tschechischen Studenten... 67
Tab. 18.
Korrelationen - Motivationsfragen und persönliche Werte bei deutschen Studenten ... 67
Tab. 19.
Korrelation - Kulturstandards und persönliche Werte bei deutschen Studenten ... 68
Tab. 20.
Korrelationen - Motivationsfragen und kulturelle Werte bei tschechischen Studenten .. 68
Tab. 21.
Korrelationen - Motivationsfragen und kulturelle Werte bei deutschen Studenten ... 68
Tab. 22.
Korrelationen - Motivationsfragen und kulturelle Werte bei tschechischen Studenten ... 69
Tab. 23.
Regressionsanalyse für die abhängige Variable materielle Erwartung ... 70
Tab. 24.
Korrelation der Wertedimensionen nach Schwartz für deutsche Studenten... 73
Tab. 25.
Korrelation der Wertedimensionen nach Schwartz für tschechische Studenten ... 73
Tab. 26.
Rangfolge der persönlichen Werte ... 76
Tab. 27.
Rangfolge der kulturellen Wertedimensionen ... 78

IV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1
Wertschöpfungsverlust durch Ingenieurmangel im Jahr 2006 in Deutschland ... 6
Abb. 2
Offene Stellen für Ingenieure 2004 ­ 2007, Bundesagentur für Arbeit, VDI... 7
Abb. 3
Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow ... 14
Abb. 4
Kreisstruktur der zehn individuellen Wertetypen von Shalom Schwartz ... 20
Abb. 5
Die zwei bipolaren Wertedimensionen von Shalom Schwartz... 22
Abb. 6
Drei bipolare Wertedimensionen mit sieben kulturellen Wertetypen von Schwartz... 24
Abb. 7
Die drei Wertetypen mit kollektivistischen und individualistischen Werten ... 25
Abb. 8
Hofstedes Pyramide ... 27
Abb. 9
Kulturzwiebel nach Hofstede ... 28
Abb. 10
Entwicklung des Postmaterialismus in der Tschechischen Republik (1991-1999) ... 45
Abb. 11
Ausschnitt aus dem 1.Teil des Fragebogens... 50
Abb. 12
Ausschnitt aus dem 2.Teil des Fragebogens... 53
Abb. 13
Werteorientierung deutscher und tschechischer Studenten ... 74
Abb. 14
Kulturelle Werte deutscher und tschechischer Studenten... 77
Abb. 15
Mittelwerte für die Kulturstandards deutscher und tschechischer Studenten ... 79
Abb. 16
Histogramm zu Frage 13: ,,Gute soziale Atmosphäre und freundschaftliche Beziehung
am Arbeitsplatz haben für mich Vorrang vor der Art der Arbeit"... 80
Abb. 17
Histogramm zur Frage 28: ,,Kritik an meiner Arbeit ist gleichzeitig Kritik
an meiner Person"... 83
Abb. 18
Histogramm zur Frage 19: ,,Nur durch Einhalten von Normen und Regeln
kann ich ein Risiko ausschließen" ... 84
Abb. 19
Histogramm zur Frage 20: ,,Ein Projekt kann nur nach einem festen Plan laufen"... 85
Abb. 20
Profildiagramm für die Fragen nach der Motivation ... 86
Abb. 21
Histogramm zur Frage 38: ,,Ich würde mein Studium jederzeit weiterempfehlen" ... 87
Abb. 22
Histogramm zur Frage 11: ,,Ich denke, dass ich für mein Studium über
die nötigen Fähigkeiten verfüge"... 88
Abb. 23
Zur Frage 3: ,,Es ist mein fester Berufswunsch Ingenieur zu werden"... 88
Abb. 24
Histogramm zur Frage 5: ,,Mit meiner Studienwahl habe ich gute Aussichten
auf einen sicheren Arbeitsplatz"... 89

V
Abb. 25
Histogramm zur Frage 14: ,,Im Berufsleben ist es für mich wichtig,
auf Nummer sicher zu gehen" ... 90
Abb. 26
Histogramm Frage 16: ,,Mein Wunsch ist es, in einem vertrauten Umfeld,
in der Nähe meines Heimatortes zu arbeiten "... 91
Abb. 27
Histogramm zur Frage 18: ,,Meiner Meinung nach, hat dieser Studienabschluss
ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit"... 92
Abb. 28
Histogramm zur Frage 7 ,,Bei meiner Studienwahl hat die Aussicht auf eine
überdurchschnittliche Bezahlung eine Rolle gespielt" ... 93
Abb. 29
Histogramm zur Frage 2a: ,,Am meiner Entscheidung für die Studienwahl
hat mitgewirkt meine Familie" ... 94
Abb. 30
Histogramm zur Frage 2b: ,,Am meiner Entscheidung für die Studienwahl
haben mitgewirkt Freunde/Klassenkameraden" ... 95
Abb. 31
Histogramm zur Frage 2c: ,,Am meiner Entscheidung für die Studienwahl
haben mitgewirkt Medien/Presse" ... 95

1. Einleitung und Forschungsstand 1
Vorwort und Dank
Diese sechsmonatige Masterarbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung zahlreicher
Personen. Ich möchte mich bei all den Menschen bedanken, die mir während dieser Zeit zur Seite
gestanden, die mich gefördert und motiviert haben.
Mein großes Dankeschön geht an Frau Susanne Kaldschmidt, die mir als meine Betreuerin und
Dozentin mit ihren Erfahrungen, ihren Ideen und Bereitschaft jederzeit zur Hilfe war. Durch ihre
Führung auf dem langen Weg von den ersten Ideen bis hin zur Fertigstellung dieser Masterarbeit hat
sie mir die richtigen Impulse für das aktuelle und zukunftsrelevante Thema gegeben und mich stets
hervorragend betreut und motiviert. Ein Dank geht auch an meinen zweiten Betreuer, Herrn Prof. Dr.
Bernhard Zimmermann für seine Unterstützung.
Ich bedanke mich auch bei allen, die in anregenden Gesprächen mit Ideen zu diesem Thema beigetra-
gen haben. Insbesondere Frau Dr. Schroll-Machl, Herr Prof. Alexander Thomas und Herr Prof.
Brodbeck, haben mit ihren Gedanken, Vorschlägen und Materialien wichtige Ideen für meine Arbeit
geliefert.
Ein großes Dankeschön geht auch an alle Dozenten und Mitarbeiter der Technischen Universität in
München und der Technischen Universität in Ostrava, die mich durch ihre Hilfsbereitschaft und
hervorragende Organisation bei der Durchführung der Umfrage unterstützt haben. Namentlich erwähnt
seien hier sowohl Herr Prof. Petr Noskievic an der TU in Ostrava, als auch die Dozenten an der TU
München, Herr Prof. Ulbrich und Herr Prof. Sattelmayer. Aber ohne die große Teilnahme der
Studenten hätte ich meine Masterarbeit nicht realisieren können. An dieser Stelle ein herzliches
Dankeschön an all die zukünftigen Ingenieure, die sich über die eigenen Werte in Verbindung mit
ihrer Studienwahl Gedanken gemacht haben und an meiner Umfrage mit sehr viel Engagement teilge-
nommen haben.
Bedanken möchte ich mich auch bei allen Verwandten, Freunden und Bekannten, die während dieser
Zeit sehr viel auf mich verzichten mussten, mich aber trotzdem liebevoll unterstützten. Mein größter
Dank gilt meiner Familie, die an mich geglaubt hat und mich immer liebevoll unterstützt hat. Zunächst
sei hier mein Sohn David genannt, der mich durch seine Ideen und seine Meinung inspiriert hat und
mit vielen Stunden bei der Erfassung der Fragebogen geholfen hat.
Besonders möchte ich mich bei meinem Mann für seine vielfältige Unterstützung bedanken. Er hat mir
in ungezählten Stunden immer wieder dabei geholfen, meine Gedanken zu sortieren, technische
Unterstützung bei der statistischen Auswertung geleistet und Textentwürfe durchgesehen.

1. Einleitung und Forschungsstand 2
Mein tiefster Dank gilt meiner Mutter, die sich während dieser Zeit um mich und um meine Familie
liebevoll und fürsorglich gekümmert hat und für mich gerade in schwierigeren Zeiten immer wieder
aufbauende Worte gefunden hat.

1. Einleitung und Forschungsstand 3
1 Einleitung und Forschungsstand
Ein wachsender Mangel an technischen Fachkräften und insbesondere Ingenieuren ist aktuelles Thema
der gesellschaftlichen Diskussion. Abgesehen von Finnland wird die Verfügbarkeit von Ingenieuren in
allen europäischen Ländern derzeit als nicht befriedigend eingeschätzt.
1
In diesem Problem wird ein
ernstzunehmendes Hindernis für die weitere Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften
gesehen.
Vor diesem Hintergrund hat es mich als in Deutschland lebende Tschechin interessiert, welche
Motivation junge Menschen in Deutschland und der Tschechischen Republik dazu bewegt, ein in-
genieurwissenschaftliches Studium zu beginnen. Insbesondere die Frage, ob es in diesem Zusammen-
hang kulturell bedingte Unterschiede gibt, wollte ich im Rahmen einer empirischen Studie unter-
suchen. Vor allem die Abhängigkeiten zwischen Werthaltungen und Motiven sollten eingehender
betrachtet werden um zu verstehen, ob sich aus diesen Mechanismen für interessierte Gruppen, wie
Industrieunternehmen oder Berufsverbände, Möglichkeiten ergeben, dem Mangel entgegenzuwirken.
Zum Thema Werte liegt eine Vielzahl allgemeiner Studien vor. Einige Psychologen, wie Schwartz
2
,
Rokeach
3
, Hofstede
4
, Inglehart
5
, Kluckhohn
6
, und Graumann
7
und Maslow
8
, beschäftigten sich in
ihren Arbeiten mit der Bedeutung von Werten. Sie untersuchten den Einfluss der Werte auf die
Motivation, die kulturellen Werte und ihre Entwicklung, sowie ihren Zusammenhang mit den
Prioritäten der Bedürfnisse. Heute weiß man, dass Werte ein Bestandteil der Persönlichkeit sind. Sie
stellen ,,motivationale Ziele"
9
dar, die die Entscheidungen und das persönliche Handeln beeinflussen.
Damit spielen Werte auch bei der Studienwahl eine wichtige Rolle.
Zur Attraktivität der technischen und ingenieurwissenschaftlichen Studienfächer existieren einige
Studien, die auch die Gründe des Ingenieurmangels untersuchen. So zeigt z.B. die empirische Studie
der Akademie für Technikfolgenabschätzung zum Thema ,,Die Attraktivität von technischen und
1
Competence Center Automotive Region Aachen, Ingenieurmangel in Deutschland, 2007
2
Schwartz,S.H., 1992, 1994, 1996, 1999, 2003a
3
Rokeach, M., 1973, 1979
4
Hofstede, G., 1980, 2001a, 2005
5
Inglehart, R., 1971, 1977, 1979, 1989
6
Kluckhohn, F.R., 1951
7
Graumann, C.F., 1965
8
Maslow, A., 2005
9
Schwartz, S.H., Sagiv, L., 1995; Schwartz, S.H., 1992, 1994a

1. Einleitung und Forschungsstand 4
ingenieurwissenschaftlichen Fächern bei der Studienwahl", dass Selbstverwirklichung in Studium und
Beruf ein entscheidendes Kriterium für die Studienwahl ist. Die Entwicklung des technischen
Interesses bei Jugendlichen, die Förderung von Neugier und Kreativität steht in direktem
Zusammenhang mit der Entscheidung für ein technisches Studium.
10
Neu ist die Frage, ob es Unterschiede zwischen deutschen und tschechischen Ingenieurstudenten in
der Motivation bei der Studienwahl gibt. Bis zum heutigen Zeitpunkt liegen keine empirischen
Untersuchungen zur vergleichenden Messung der Unterschiede bei persönlichen und kulturellen
Werten der deutschen und tschechischen Studenten vor. Bis heute ist auch wenig über die
Unterschiede in der Motivation der deutschen und tschechischen Studenten bekannt.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, vermutete Zusammenhänge zwischen persönlichen Werten und
verschiedenen Beweggründen für die Studienwahl zu untersuchen und zu vergleichen. Insbesondere
soll festgestellt werden, ob es in diesem Feld kulturell bedingte Unterschiede zwischen deutschen und
tschechischen Studienanfängern der Ingenieurwissenschaften gibt.
Dazu wird mit Hilfe eines Fragebogens eine Stichprobe bei Studierenden des ersten und dritten
Semesters der Fachrichtung Maschinenwesen an der Technischen Universität München und an der
Technischen Universität Ostrava durchgeführt. Dabei wird der akademisch anerkannte Fragebogen
von Shalom Schwartz verwendet. Gleichzeitig wird für diese Untersuchung ein zusätzlicher Satz von
Fragen entwickelt, die sich konkret mit den deutschen und tschechischen Kulturstandards beschäftigen
und die Motivation der Befragten bei der Studienwahl untersuchen. Auf Basis der gesammelten Daten
werden Werteprioritäten, Kulturdimensionen und Motive der Studenten ermittelt und Unterschiede
zwischen den beiden Ländern überprüft.
10
Akademie der Technikfolgenschätzung in Baden-Württemberg, 2000

2. Ausgangspunkt dieser Studie 5
2 Ausgangspunkt dieser Studie
Die Europäische Union mit 25 Ländern hat sich zu einem durch Hochtechnologie geprägten Wirt-
schaftsraum entwickelt. Trotzdem oder gerade deswegen haben viele Länder mit dem Mangel an
Ingenieuren und technischen Fachkräften ein gemeinsames Problem. Laut EU-Studien fehlen in den
EU-Ländern in 50-70 % der Unternehmen technische Hochschulabsolventen. Aktuelle Unter-
suchungen zeigen, dass in der nächsten Zukunft nicht nur in Europa bis zu 40% Ingenieure fehlen
werden.
11
Technologischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum resultieren vor allem im industriellen Sektor
erst aus dem Zusammenspiel von technologischen Produktionsmöglichkeiten und hoch qualifizierten
Mitarbeitern. So wurde für das verarbeitende Gewerbe in Frankreich gezeigt, dass die zusätzliche
Beschäftigung eines Ingenieurs im Vergleich zu einem Mitarbeiter einer anderen Qualifikation im
Durchschnitt einen mehr als doppelt so hohen Beitrag zur Wertschöpfung eines Unternehmens
leistet.
12
Internationale Benchmark-Studien zum Innovationsgeschehen kamen zum Ergebnis, dass
sich der Mangel an technischen Mitarbeitern als limitierender Faktor in Bezug auf den technologi-
schen Fortschritt erweist.
13
2.1 Arbeitsmarkt für Ingenieure in Deutschland und
Tschechischer Republik
In internationalen Untersuchungen zum Innovationsgeschehen wird in Deutschland und Tschechien
ein Mangel an Nachwuchsakademikern besonders im Bereich naturwissenschaftlich-technischer
Qualifikation festgestellt.
14
In den Volkswirtschaften wird die schlechte Verfügbarkeit von Ingen-
ieuren als Wachstumsrisiko diskutiert. Hilmar Schneider, der Arbeitsmarktdirektor des IZA sagte der
Berliner Zeitung: ,,Alle Welt redet davon, dass unserer Wirtschaft das Öl und das Gas ausgeht. Lange
bevor es passiert, gehen uns aber die Köpfe aus".
15
Als Folge des Ingenieurmangels errechnete das
11
iHNed zpravodajství, 05/2007
12
IW-Trends, Ingenieurmangel in Deutschland, Köln, Dr. Koppel, 2007; Crèpon/Duguet/Mairesse, 1998
13
IW-Trends, Ingenieurmangel in Deutschland, Köln, Dr. Koppel, 20077; Hülskamp/Koppel, 2005
14
Europäische Kommission, 2006
15
Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit, Hilmar Schneider, Berliner Zeitung, 29.06.2007

2. Ausgangspunkt dieser Studie 6
Institut für Wirtschaft für die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2006 einen Wertschöpfungsverlust in
Höhe von mindestens 3,48 Milliarden Euro
16
(s. Abbildung 1).
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
1600
U
nt
er
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snahe
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i-
und
K
uns
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fher
st
ellung
Abb. 1
Wertschöpfungsverlust durch Ingenieurmangel im Jahr 2006 in Deutschland
Unternehmen in Deutschland haben aktuell große Probleme, Bewerber für offene Ingenieurstellen zu
finden. Der Ingenieurmarkt in Deutschland zeigt angesichts der anhaltend guten Konjunktur ein
gravierendes Ungleichgewicht. Die Anzahl arbeitsloser Ingenieure im Jahr 2006 hat sich nachfrage-
seitig halbiert. Und für das Jahr 2007 planten die Unternehmen Neueinstellungen in Höhe von über
8 Prozent ihres Ingenieurpersonals. So gehen Schätzungen des VDI davon aus, dass in Deutschland
aktuell etwa 25.000 Ingenieurstellen nicht besetzt werden können (s. Abbildung 2).
17
16
IW-Trends, Ingenieurmangel in Deutschland, Köln, Dr. Koppel, 2007
17
VDI-Wissensforum, Ingenieurstudien, 2007

2. Ausgangspunkt dieser Studie 7
Durchschnittliche Anzahl offener Ingenieurstellen
ausgehend von einer Dunkelziffer von 1:1 zu gemeldeten Stellen
15000
18000
23000
14000
0
5000
10000
15000
20000
25000
2004
2005
2006
2007
Abb. 2
Offene Stellen für Ingenieure 2004 ­ 2007, Bundesagentur für Arbeit, VDI
Auch das Angebot an technischen Mitarbeitern in der Tschechischen Republik deckt nicht die Nach-
frage, die der Markt bringt. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2007 um 6% gestiegen, d.h. im
Durchschnitt zweimal soviel wie in den alten Ländern der Europäischen Union. Die Wirtschaft schafft
es aber voraussichtlich nicht mehr, mit diesem Tempo weiter zu wachsen. Eine der Hauptbarrieren ist
auch hier der dramatische Mangel an technischen Fachkräften.
18
Laut einer Untersuchung der Firma Hay Group haben sich 55% der ausländischen Unternehmen in der
Tschechischen Republik im Februar 2007 über Ingenieurmangel beklagt. Auch die Kienbaum
Osteuropa-Studie 2006/2007 zeigt, dass das Angebot sowohl an Fach- als auch an Führungskräften in
der Tschechischen Republik mittlerweile knapp wird.
19
Aus diesem Grund bilden einige Konzerne eigene Mitarbeiter aus. So hat zum Beispiel der Auto-
mobilkonzern Skoda in Mladá Boleslav eine eigene Firmenuniversität gegründet. Laut Detlef Witting,
Vorstandsschef des Unternehmens Skoda, entsteht in der Tschechischen Republik eine beachtliche
Autokultur, die dem Land wirtschaftlichen Nutzen bringt. Neben Skoda Auto haben sich auch Toyota
mit Peugeot und Citroen angesiedelt und bald kommt Hyundai dazu. Insbesondere die Zulieferer
erweitern ihre Produktion, bauen aber auch Entwicklungszentren auf und haben damit einen hohen
Bedarf an Ingenieuren. Mit diesem Wachstum erstehen aber auch Probleme. Vor allem ist der Mangel
an qualifizierten Arbeitskräften und Ingenieuren für die weitere Entwicklung kritisch.
18
Tschechisches Radio, Zdenk Valis, Dem tschechischen Markt fehlen spürbar die Arbeitskräfte, 21.06.2007
19
Kienbaum Consultants International GmbH, 12.11.2007

2. Ausgangspunkt dieser Studie 8
2.2 Ingenieurausbildung
Vor dem dargestellten Hintergrund ist es bedrohlich, dass in den nächsten Jahren mehr Ingenieure den
Arbeitsmarkt verlassen werden als aus den Hochschulen nachrücken. Nach Angaben des deutschen
Statistischen Bundesamtes haben im Wintersemester 2007/2008 ungefähr 38.000 junge Menschen in
Deutschland ein Ingenieurstudium begonnen. Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme
um 10 Prozent, allerdings ist die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften im Winter-
semester 2006/2007 um acht Prozent gesunken. Die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissen-
schaften stagniert in Deutschland also bei rund 40.000, obwohl der Bedarf an Ingenieuren steigt.
20
Ein
existierender Engpass in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen droht sich angebotsseitig zu
verschärfen.
Ein Anstieg der Studienanfänger bedeutet auch nicht automatisch ein Anwachsen der Absolventen-
zahlen.
21
Die Gründe für den vorhandenen Engpass an Absolventen ingenieurwissenschaftlicher
Studiengänge sind nicht nur stagnierende Studienanfängerzahlen sondern auch überdurchschnittliche
Abbrecherquoten in den technischen Studiengängen.
22
Etwa ein Drittel aller Studienanfänger in
Deutschland schließt in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern das Universitäts- oder Hochschul-
studium nicht ab
23
(s. Tabelle 1).
Studienabbruchquote in Prozent
Studienbereich
1999 2002
Ingenieurwissenschaften insgesamt
26
30
- Maschinenbau
25
34
- Elektrotechnik
23
33
- Bauwesen
35 30
Tab. 1.
Untersuchung zum Studienabbruch in Deutschland 2005
24
Nach einer Analyse des CSÚ
25
fehlen auch in der Tschechischen Republik Hochschulabsolventen mit
technischem Hintergrund. ,,Unsere technischen Universitäten haben freie Plätze, aber immer weniger
junge Menschen interessieren sich für diese Fächer" sagt Petr Hruska, Geschäftsführer Kienbaum
20
VDI, Dr. Willi Fuchs, Ingenieurnachwuchs fehlt, 19.9.2007
21
VDI Presseportal1, Prof. Bruno O. Braun, 2.12.2007
22
Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion, vom 3.6.2007
23
Institut der deutschen Wirtschaft, Dr. Oliver Koppel, Mai 2007
24
HIS, Hochschulinformationssystem für Bildung
25
Czech Statistical Office, 2007

2. Ausgangspunkt dieser Studie 9
Tschechien.
26
Trotzdem liegt, wie eine OECD Studie zeigt, die Tschechische Republik bei der auf die
Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten bezogenen Zahl der Absolventen technischer Studiengänge
deutlich vor Deutschland. Wie Tabelle 2 zeigt, kamen in Deutschland auf 1000 Beschäftigte 0,98
Ingenieurabsolventen, in der Tschechischen Republik lag dieser Wert bei 1,63. Im Vergleich zur
Slowakischen Republik oder Finnland liegt der Anteil der Ingenieurabsolventen pro 1000 Beschäftigte
jedoch relativ niedrig. Zu Beginn der neunziger Jahre hatte Finnland einen hohen, nicht gedeckten
Bedarf an Ingenieuren und lag hinter Deutschland.
Deutschland
Tschechische
Republik
Slowakische
Republik
Finnland
Anzahl der
Gesamtbeschäftigen
38.823.000 5.009.000 2.084.000 2.398.000
Anzahl Ingenieurabsolventen
38.135
8.177
6.074
8.324
Absolventen pro 1.000
Beschäftigte
0,98 1,63 2,91 3,47
Tab. 2.
Ingenieurkennziffern für das Jahr 2005 im internationalen Vergleich,
27
OECD
Die Universitäten entwickeln das Humankapital für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Die Hochschulaus-
bildung hat somit eine hohe Bedeutung für wirtschaftliche Wachstumschancen. Die Vorbereitung
hängt aber nicht nur von der Qualität des Studiums und der Dozenten der Hochschulen ab. Auch das
Engagement von Industrie und Verbänden ist gefordert, ihren Beitrag zur Verbesserung des Ingenieur-
angebots zu leisten. Ihre Aufgabe ist es insbesondere, junge Menschen gezielt an den Ingenieurberuf
heranzuführen.
Voraussetzung dafür ist es zu verstehen, welche Überlegungen für junge Menschen bei der
Berufswahl relevant sind, wie und warum sie sich für ihren zukünftigen Beruf entscheiden. Hier will
die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten, indem sie Werte junger Ingenieurstudenten und die
daraus entstehende Motivation untersucht. In dieser Studie wird dabei insbesondere der Frage nachge-
gangen, welche Rolle kulturelle Prägungen in diesem Prozess spielen.
26
Kienbaum, Osteuropa-Studie, 2006/2007
27
Institut der deutschen Wirtschaft, Dr. Oliver Koppel, Mai 2007

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 10
3 Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln
In diesem Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zu Abhängigkeiten zwischen Werten, der daraus
resultierenden Motivation und den persönlichen Entscheidungen beschrieben. Dazu werden die
theoretischen Grundlagen der Werte- und der Motivationstheorie vorgestellt. Außerdem werden
Zusammenhänge zwischen Werten und Motivation aufgezeigt. Die Überlegungen in diesem Kapitel
sowie das Wertekonzept von Shalom Schwartz, das in Kapitel 4 eingehend dargestellt wird, bilden den
theoretischen Unterbau für die später beschriebenen Untersuchungen zu Werten und Motivation bei
der Studienwahl, die mit tschechischen und deutschen Studenten durchgeführt wurden.
3.1 Wertetheorie
Wenn in dieser Arbeit von Werten gesprochen wird, dann sind nicht ökonomische Werte gemeint,
sonder persönliche und kulturelle. Als Überzeugungen und Ideale spielen sie in unserem Leben eine
wichtige Rolle. Sie sind breit gefächerte Gefühle, derer man sich häufig gar nicht bewusst ist, und über
die man auch nicht sprechen kann.
28
Sie werden als Bestandteil von Kultur, Grundlage
gesellschaftlicher Normen und als individuelle Präferenz von Menschen gesehen. Ein Blick in die
Geschichte zeigt, dass die Auseinandersetzung mit Werten schon eine lange Tradition hat. Bereits
Platon forderte für die griechische Staatengemeinschaft Gerechtigkeit als Wert.
29
Über Jahrhunderte
wurde das Wertesystem durch die Kirche geprägt und mit der französischen Revolution treten neue
Werte wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in den Vordergrund.
Werte werden im Lauf des Lebens entwickelt. Zuerst übernimmt man sie von den Eltern, von
Erziehern und Menschen, denen man Autorität zuschreibt. Werte sind nicht nur über die Situationen,
sondern auch über die Zeit hinweg relativ stabil; im Erwachsenenalter ändern sich die Werte einer
Person kaum mehr.
30
Für Kinder und Jugendliche stellt neben der Familie auch die Gesellschaft eine
wichtige Bezugsgruppe dar, die maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Werten hat.
31
Bestimmte Werte können für einen Menschen wichtig, aber unwichtig für einen Anderen sein.
32
Fragt
man Kinder, was ihnen im Leben besonders wichtig ist, stehen neben der Familie auch Werte wie
28
Hofstede, G., 1992, S.303-325
29
Starbatty, J., 1990, S.79
30
Bardi, A., Schwartz, S.H., 2003, S.1208
31
Hofstede, G., Hofstede, G.J., 2005, S.21
32
Hofstede, G., Hofstede, G.J., 2005, S.25

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 11
Vertrauen, Geborgenheit und Zuverlässigkeit im Mittelpunkt.
33
Später werden einer Person durch die
Sozialisation gesellschaftliche und kulturelle Werte und Normen vermittelt. Die Wertvorstellungen
spiegeln die tiefste Ebene einer Kultur wieder.
34
Es ist nicht möglich ,,ein Mensch ohne Werte" zu sein. Werte haben eine bestimmte Funktion für den
Menschen, weil sie ihn in unklaren Situationen leiten. Werte haben aber auch aus gesellschaftlicher
Sicht eine große Bedeutung. Im gesellschaftlichen Zusammenhang muss eine minimale Überein-
stimmung bei Werten gegeben sein, andernfalls ist eine Zusammenarbeit und Kommunikation inner-
halb der Gesellschaft nicht möglich.
35
Werte spielen in unterschiedlichen Disziplinen wie Psychologie, Philosophie oder Soziologie eine
wichtige Rolle. Der Wertebegriff wird aber auch innerhalb der jeweiligen Disziplinen nicht einheitlich
verwendet. In der Fachliteratur existieren unterschiedliche Definitionen des Begriffes ,,Werte".
So hat Shalom Schwartz Werte als Überzeugungen über das Wünschbare, als kognitive
Repräsentationen transsituationaler Ziele eines Menschen
36
definiert, die in ihrer Wichtigkeit variieren
und dem Menschen als leitende Prinzipien in seinem Leben dienen.
37
Er beschreibt Werte als
wünschenswerte und funktionsübergreifende Ziele.
38
Friedrich Nietzsche bezeichnet den Wertebegriff
als ,,Schlüsselbegriff des Gegenwartsdenkens". Nach seiner Definition sind Werte in die durch den
Verfall der Metaphysik verwaiste Stelle des ,,Guten" oder auch des ,,höchsten Gutes" eingerückt.
39
Barley erklärt Werte als praktische Konkretisierungen des Guten, Schönen und Wahren.
40
Lautmann
hat in der Fachliteratur 180 verschiedene Wertedefinitionen gefunden und aufgrund einer
sprachanalytischen Untersuchung einen Wertebegriff erarbeitet. Werte sind demnach ,,der Maßstab
der guten Gegenstände", ,,Kriterium zur Auswahl der Objekte, die wir anstreben sollen", ,,normativer
Stand zur Beurteilung von Objekten", ,,Kriterium für normativ gebilligte Gegenstände".
41
Nach
Zapotocky ist das menschliche Handeln wertgeleitet.
42
Und nach Böschemeyer sind Werte
,,allgemeine Leitlinien zur Orientierung auf der Suche nach dem Sinn".
43
Von besonderer Bedeutung sind das Wertekonzept von Kluckhohn und seine Wertedefinition, die oft
als klassisch angesehen wird:
33
UNICEF Deutschland, Werte der Kinder, 2006
34
Hofstede, G., 1992, S.305
35
Schwartz, S.H., 2003
36
Schwartz, S.H., Struch, N., 1989, S.364-373
37
Davidov, E., Schmidt, P., Schwartz, S.H., 2006
38
Schwartz, S.H., 1992, S.1-65
39
Nietzsche F., 1956, S.685
40
Barley, D., 1975, S.146
41
Lautmann, R., 1971, S.105; Grimm, P., Horstmeyer, S., S.20;
42
Zapotocky,K., 2001
43
Böschemeyer, U., 2005, S.22

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 12
,,A value is a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group,
of the desirable which influences the selection from available modes, means and ends of action".
44
Bei seiner "conception of the desirable" handelt es sich um individuell variierende Vorstellungen,
Überzeugungen und Ideale von Menschen.
45
Werte werden definiert als eine spezifische Auffassung
des sozial Wünschenswerten, das für ein Individuum oder für eine Gruppe explizit oder implizit
kennzeichnend ist.
46
Seit Kluckhohn beschäftigt sich die psychologische und sozialwissenschaftliche
Werteforschung mit der Frage nach der Entstehung, dem Wandel sowie den Konsequenzen von
Werten.
In den letzten Jahren erscheinen in der Literatur Wertemodelle, die hauptsächlich auf den Arbeiten
von Rokeach aufsetzen.
47
Der Werteforscher Milton Rokeach schrieb zu Beginn der 60er Jahre, dass
Werte eine unverzichtbare Rolle bei der Verbindung von Person, Kultur und Gesellschaft haben.
48
Er definiert: ,,A value is an enduring belief that a specific mode of conduct or end-state of existence is
personally or socially preferable to an opposite or converse mode of conduct or end-state of
existence".
49
Demnach sind Werte "enduring", also beständig. Er bezeichnet sie als von relativer Beständigkeit,
trotzdem findet persönlicher und sozialer Wandel statt.
50
Das Werteverzeichnis von Rokeach ist zum
Standard für die Werteforschung in den 70er und 80er Jahren geworden. Rokeach geht davon aus, dass
die Zahl der Werte einer Person relativ klein ist und dass alle Menschen bis zu einem bestimmten
Grad über die gleichen Werte verfügen. Unterschiede bestehen in deren Ausprägungsintensität.
Grundlage menschlicher Werte können die Kultur, die Gesellschaft mit ihren Institutionen und die
Persönlichkeit des Einzelnen sein.
51
Rokeach entwickelte in den siebziger Jahren eine Liste von zuerst
12 Zielwerten (terminal values) wie z.B. Freiheit, Glück, Sicherheit und 12 instrumentellen Werten
(instrumental values), wie z.B. strebsam, verständnisvoll, logisch, die er später auf je 18 erweitert
hat.
52
Ein Instrumentalwert ist eine Eigenschaft, die man von sich fordert oder an anderen wertschätzt,
während ein Terminalwert einen Zustand darstellt, den man erreichen will. Die Rokeach Value Survey
(RVS) basiert auf einer angenommenen hierarchischen Struktur der Werte. Werte werden von den
44
Kluckhohn, F.R., 1951, S.395
45
Thome, H., 2003, S.4
46
Kluckhohn, F.R., 1951
47
Rokeach, M., 1973
48
Rokeach, M., 1960
49
Rokeach, M., 1973, S.5
50
Rokeach, M., 1973, S.6
51
Rokeach, M., 1973, S.3
52
Rokeach, M., 1973, S.29-31

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 13
Befragten in eine Reihenfolge gebracht, die ihren persönlichen Prioritäten entspricht. Die hierarchi-
sche Struktur der Werte unterscheidet Rokeach von Kluckhohn und Schwartz.
Das Gemeinsame an Werten ist die Tatsache, dass man sie als motivationale Konstrukte versteht. Sie
haben Einfluss auf die Motivation und damit die Entscheidungen der Menschen.
53
Werte können das
produzieren, was Schwartz und Bilsky
54
als ,,motivierende Ziele" beschrieben haben. Sie beziehen
sich damit auf die wünschbaren Ziele, die eine Person zu erreichen versucht. Graumann schreibt den
Werthaltungen motivierenden Charakter dadurch zu, dass sie ,,selbst als Motive wirken".
55
So
motiviert der Wert Ehrlichkeit in allen Situationen ehrlich zu sein.
Werte ermöglichen es, Handlungen in gute und schlechte einzuteilen, und entscheiden damit gleich-
zeitig über die damit verbundenen Gefühle. Feather bezeichnet Werte in ihrer Funktion als Motive, die
zielgerichtetes Handeln beeinflussen.
56
Innere Werte sind die Gründe dafür, etwas zu tun oder nicht zu
tun. Sie sind eine entscheidende und treibende Kraft. Sie motivieren zu Einstellungen und Verhalten
und werden attraktiver, wenn sie der Erreichung eines bestimmten Zieles dienen.
57
3.2 Motivationstheorie
In der Psychologie gibt es unterschiedliche theoretische Erklärungsansätze, wie Motivation entsteht
und wie sie das Handeln der Menschen beeinflusst. Motivation wird dabei als aktivierende Ausrich-
tung des Individuums im Bezug auf ein Ziel verstanden.
58
Die Motivationstheorie befasst sich also mit
den Einflussfaktoren, die Menschen zu einem bestimmten Verhalten bewegen.
Die bekanntesten motivationstheoretischen Ansätze lassen sich in zwei Gruppen, die Inhalts- und die
Prozesstheorien, einteilen. Die Prozesstheorien beschäftigen sich vornehmlich mit der Fragestellung,
wie ein bestimmtes Verhalten generiert und gesteuert werden kann. Sie betrachten Motivation vor
allem aus der Sicht des Personalmanagements und reflektieren die Möglichkeiten gezielter Einfluss-
nahme. Demgegenüber untersuchen die Inhaltstheorien, was in einem Individuum Verhalten erzeugt
und aufrechterhält. Im Kontext der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass dieser Aspekt
im Rahmen der Studienwahl für junge Menschen relevant ist, dass diese Entscheidung also aus sich
heraus und nicht durch äußere Einflussnahme getroffen wird. Es sollen deshalb im Folgenden die
53
Schwartz, S.H., 2005a, S.22
54
Schwartz, S.H., Bilsky, W., 1987; Schwartz, S.H., 1990
55
Graumann, C.F., 1965
56
Feather, N.T., 1995, S.1136
57
Schwartz, S.H., 2005b, S.23
58
Trommsdorff, G., 2007, Enzyklopädie der Psychologie, S.301-326

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 14
wesentlichen Vertreter der Inhaltstheorie vorgestellt werden, während auf die Prozesstheorien nicht
weiter eingegangen wird.
Motivationstheorie von Maslow
Die wohl bekannteste Inhaltstheorie ist die Bedürfnispyramide des amerikanischen Psychologen
Abraham H. Maslow. Nach der 1954 von ihm entwickelten Motivationstheorie ist der Mensch in
seinem Verhalten von hierarchisch strukturierten Bedürfnissen motiviert und geleitet. Sie lassen sich
als Pyramide in fünf aufeinander aufbauenden Kategorien darstellen.
59
Die unterste Schicht dieser
Hierarchie bilden die physiologischen Bedürfnisse. Darüber liegen die Bedürfnisse nach Schutz und
Sicherheit, die Bedürfnisse nach Liebe und Zugehörigkeit und die Bedürfnisse nach Wertschätzung.
Die Spitze der Pyramide bilden die Selbstverwirklichungsbedürfnisse (s. Abbildung 3).
Abb. 3
Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow
Maslow unterscheidet zwischen Mangelmotivation, die auf die Wiederherstellung des physischen und
psychischen Gleichgewichts gerichtet ist, und der Wachstumsmotivation, die den Menschen antreibt,
sein Handeln weiter zu entwickeln. Die unteren vier der fünf Konzepte nennt Maslow ,,Defizitbedürf-
nisse (deficiency motivation)". Diese Bedürfnisse werden wahrgenommen, solange sie nicht erfüllt
sind. Wird eines der Defizitbedürfnisse erfüllt, so nimmt seine Bedeutung als Motivationsfaktor ab.
Anders ist es aber in der obersten Stufe. Aus Maslows Sicht hat ein Mensch mit der Selbstverwirk-
lichung den Kern der Existenz überhaupt erreicht. Maslow gebraucht den Begriff ,,growth motivation"
­ die Motivation, sich zu entwickeln. Hier handelt es sich um Bedürfnisse, die immer stärker werden,
59
Maslow, A., 1971

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 15
wenn wir sie nähren. Aus seiner Sicht müssen zunächst die Grundbedürfnisse abgedeckt werden, um
der Selbstverwirklichung näher zu kommen. Maslow schlägt vor, die Menschen nach ihrer
,,Philosophie der Zukunft" zu fragen, wie ihr Leben oder die Welt idealerweise wäre, um zu erfahren,
welche ihrer Bedürfnisse gedeckt sind und welche nicht.
60
Motivationstheorie von Herzberg
Im Gegensatz zu Maslows Ansatz geht Herzberg nicht von den individuellen Bedürfnissen sondern
von arbeitstechnischen Merkmalen (job characteristics) aus.
61
Im Rahmen einer empirischen
Untersuchung, der ,,Pittsburgh-Studie", ging Herzberg der Frage nach, was Menschen bei der Arbeit
motiviert. In seinen Studien kam er zum Schluss, dass die Faktoren, die zur Arbeitszufriedenheit
führen, andere sind, als die, die zur Unzufriedenheit führen. Er bezeichnet die einen als Motivatoren,
zu denen Leistungserfolg, Anerkennung, Aufstieg, Verantwortung gehören. Die Anderen, wie
Bezahlung, Sicherheit, Status sind Hygienefaktoren. Die Motivatoren sind intrinsische Motivations-
faktoren, also solche, die vom Handelnden in direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit gebracht
werden. Nur sie wirken dauerhaft. Die Hygienefaktoren dagegen sind extrinsisch, werden also von
Dritten vorgegeben.
Motivationstheorie von McClelland
In seiner Motivationstheorie, die sich auf eine Vielzahl von Untersuchungen stützt, beschreibt
McClelland
62
die Funktion von Motiven innerhalb der Persönlichkeit. Im Gegensatz zur Theorie von
Maslow geht McClelland davon aus, dass Bedürfnisse nicht angeboren sind, sondern dass die meisten
menschlichen Bedürfnisse erlernt werden.
63
Die Grundbedürfnisse der Menschen unterteilt McClelland in Leistungsbedürfnis (need for achieve-
ment), Zugehörigkeitsbedürfnis (soziale Beziehungen zu Menschen - affiliation) und Machtbedürfnis
(Kontrolle und Einfluss auf Andere - power).
Diese drei Hauptmotive menschlichen Handelns stehen nebeneinander und wechseln sich in ihrem
Einfluss auf das Verhalten dynamisch ab.
64
Einzelne Personen können unterschiedlich starke Ausprä-
gungen dieser drei Bedürfnisgruppen und unterschiedliche Prioritäten aufweisen. Unter dem
Leistungsmotiv versteht McClelland das ,,Streben nach Erfolg", das heißt den Wunsch, etwas besser,
schneller und effizienter, also mit geringerer Anstrengung zu tun. Leistungsmotivierte Personen
60
Boeree, C.G., 2006
61
Martell, Ch., 1989, S. 75
62
McClelland, D., 1951;
63
McClelland, D.,1953, S.466
64
Atkinson, J.W., Birch, D., 1970

3. Werte und ihr Einfluss auf Motivation und Handeln 16
messen ihre Leistungen an einem anspruchsvollen Gütemaßstab, suchen nach neuen, innovativen
Lösungswegen und stehen Misserfolgen sehr ablehnend gegenüber. Das Leistungsmotiv drückt sich
durch Hoffnung auf Erfolg bzw. Furcht vor Misserfolg aus.
65
McClelland zeigte, dass die Höhe des
Leistungsmotivs mit der wirtschaftlichen Entwicklung einer Gesellschaft korreliert.
66
Auch Inglehart
stellt eine Verbindung zwischen Leistungsmotivation und Wirtschaftswachstum her. Er vertritt die
Hypothese, dass Leistungsmotivation und wirtschaftliches Wachstum eng zusammenhängen.
67
Es regt
zu höheren Leistungen an, weil die Chancen auf Teilhabe am Wohlstand zunehmen.
Zur Rolle des Machtbedürfnisses in verschiedenen Kulturen gibt es sehr wenige Untersuchungen. Das
Machtmotiv zeigt sich in dem Wunsch nach einer kraftvollen Wirkung auf das Umfeld und in dem
Bemühen, Macht aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Machtmotivierte Personen erleben es als
befriedigend, die Emotionen, das Verhalten und die Einstellungen anderer Personen zu beeinflussen
und an Entscheidungen bedeutend mitzuwirken.
68
Machtmotivierte Personen bevorzugen Situationen,
in denen soziale Anreize wie Anerkennung und Bewunderung vorhanden sind.
69
Diese Personen
verfügen über ein sicheres Auftreten. Menschen mit personalisiertem Machtmotiv streben nach
Dominanz und Überlegenheit. Menschen mit sozialisiertem Machtmotiv streben danach, Macht zum
Wohle anderer einzusetzen.
70
Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, berücksichtigen sie die
Meinungen anderer.
Das Anschlussmotiv äußert sich in einem ständigen Bemühen, positive Beziehungen mit einer anderen
Person oder mehreren Personen aufzubauen. Diese Personen wollen geliebt und akzeptiert werden. Sie
streben nach harmonischen sozialen Interaktionen. Sie bevorzugen Arbeitssituationen mit einer ange-
nehmen, freundlichen und spannungsfreien Atmosphäre unter den Kollegen.
Zum Leistungsmotiv wie auch zum Machtmotiv finden sich Parallelen in der Theorie grundlegender
menschlicher Werte von Shalom Schwartz. Er definiert dort die entsprechenden Wertedimensionen
Leistung und Macht, die sich als Präferenzen der damit verbundenen persönlichen Werte darstellen.
Im nächsten Kapitel wird auf seine Arbeiten näher eingegangen.
65
McClelland, D., 1967, S.497; McClelland, D., 1953, S.214, S.271-273
66
McClelland, D., 1961
67
Inglehart, R., 1998, S.309ff
68
McClelland, D.C., 1978
69
McClelland, D.C., 1985
70
McClelland, D.C., 1978

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 17
4 Das Wertekonzept von Shalom Schwartz
Neben den Psychologen und Soziologen, die sich auf die theoretische Auseinandersetzung mit Werten
konzentrieren, gibt es Forscher, die empirisch orientiert sind. Zu den letzteren gehören vor allem
Ronald Inglehart, Geert Hofstede und Shalom Schwartz. In diesem Kapitel werden die Untersu-
chungen von Schwartz und seine aus den Ergebnissen abgeleitete universelle Wertetheorie vorgestellt.
Nach der Theorie des israelischen Psychologen Shalom Schwartz besteht das Wertesystem jedes
Menschen aus einer fest vorgegebenen Zahl von Einzelwerten, die über alle Kulturen gültig sind. Die
individuellen Unterschiede ergeben sich aus der Priorisierung, also aus der relativen Wichtigkeit, die
den verschiedenen Werten beigemessen wird. Das Ziel von Shalom Schwartz ist es festzustellen, wie
die Wertprioritäten der Menschen sind und wie sie durch die Sozialisierung beeinflusst werden. Seine
Forschungsarbeiten haben sich auch auf die Fragestellung der interkulturellen Unterschiede bei den
Wertprioritäten gerichtet. Er untersuchte, ob diese Werte kulturübergreifend gleiche oder ähnliche
Bedeutung haben und ob die in seiner universellen Wertetheorie vorgeschlagene Struktur vollständig
ist. In Forschungsarbeiten, die auf der ganzen Welt durchgeführt wurden, hat er seine Theorie
überprüft und weiterentwickelt.
4.1 Theorie grundlegender menschlicher Werte
Aufbauend auf den Arbeiten von Kluckhohn und Rokeach formuliert Shalom Schwartz eine
umfassende Theorie der Werte.
71
Um seine Theorie zu testen, entwickelt er zwischen 1988 und 1992
ein Wertemodell als neues, interkulturell einsetzbares Messinstrument mit einem Satz von 57 Werten,
die alle Menschen in unterschiedlichen Ausprägungen gemeinsam haben müssten. Die von ihm ausge-
werteten Stichproben umfassten bis zum Jahr 2001 Probanden aus sechzig verschiedenen Ländern.
Während in vielen anderen Studien kontextspezifische Fragen die Wertung stark beeinflussen,
untersucht Schwartz mit seinem Ansatz Werte unabhängig von der Lebenssituation.
72
Schwartz postuliert, dass Werte einen universellen und transkulturellen Charakter haben. Das heißt,
sie sind in unterschiedlichen Kulturen gültig. Die kulturübergreifende Universalität von Werten lässt
71
Schumann, S., 2005, S. 301; Schwartz, S.H., 1999, S.24f
72
Schwartz, S.H., 2003

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 18
sich daraus begründen, dass sie sich auf drei grundlegende Bedürfnisse der menschlichen Existenz
zurückführen lassen:
73
1.
Bedürfnisse von Individuen als biologischer Organismus
2.
Erfordernis von koordinierter sozialer Interaktion
3.
Anforderungen für das Überleben und Wohlergehen der Gemeinschaft
Bei Werten handelt es sich zum einen um individuell wünschbare Ziele, zum anderen sind diese Ziele
gesellschaftlich geteilt.
Die zehn Wertetypen und ihre motivationalen Ziele
Die identifizierten Werte fasst er in zehn grundlegenden Wertetypen zusammen. Alle in einer Gesell-
schaft vorkommenden Werte lassen sich diesen Wertetypen zuordnen. Es handelt sich um Kategorien
von Werten, denen das gleiche motivationale Ziel zu Grunde liegt. Nach Schwartz sind alle Werte-
typen in seinem Wertesystem in bestimmter Weise wichtig für unser Leben.
74
Sie stellen dauerhafte
Ziele dar, die Menschen für wichtig erachten und die sie deshalb zu erreichen versuchen.
75
Folgende
zehn Wertetypen bilden die Grundlage des Wertesystems von Shalom Schwartz:
(1)
Universalismus
Diese Werte unterstützen soziale Beziehungen. Sie beziehen sich auf die Akzeptanz nicht
nur von nahe stehenden, sondern von allen Menschen. Verbindendes Ziel ist Verständnis,
Toleranz und Schutz für das Wohlbefinden aller Menschen und der Natur. Universalismus
umfasst die Werte Toleranz, eine Welt der Schönheit, Einheit mit der Natur, soziale
Gerechtigkeit, eine Welt in Frieden, Umwelt schützen, Weisheit, Gleichheit.
(2)
Benevolenz
Benevolenzwerte stellen die internalisierte motivationale Basis für kooperative soziale
Beziehungen zwischen Mitgliedern einer Gruppe dar. Verbindendes Ziel ist Erhaltung und
Förderung des Wohlergehens von nahe stehenden Menschen. Sie umfasst Werte wie
Loyalität, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Verantwortlichkeit, Bereitschaft zum Vergeben.
(3)
Tradition
Traditionswerte können zu kooperativen Beziehungen beitragen, jedoch haben sie wenig
direkten Bezug zu aktiver Interaktion zwischen Menschen. Verbindendes Ziel ist Respekt
und Verpflichtung gegenüber den kulturellen oder religiösen Bräuchen und Ideen. Sie
73
Schwartz, S.H., 2003a
74
Schwartz, S.H., 2003a
75
Bardi, A., Schwartz, S.H., 2003, S.1218

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 19
umfassen die Werte Demute, Achtung vor der Tradition, Mäßigung, alle Seiten des Lebens
akzeptieren, religiöse Bindung.
(4)
Konformität
Konformität wirkt der Verletzung von Gruppennormen und daraus entstehenden Konflikten
entgegen. Verbindendes Ziel ist die Unterdrückung von Handlungen und Aktionen, die
andere verletzen und soziale Erwartungen erzwingen. Sie umfasst die Werte wie Selbstdiszi-
plin, Höflichkeit, Respekt gegenüber Eltern und älteren Menschen, Gehorsam.
(5)
Sicherheit
Verbindendes Ziel ist Sicherheit und Stabilität der Gesellschaft, der Beziehung und des
eigenen Selbst. Hierzu gehören die Werte soziale Ordnung, familiäre Sicherheit, nationale
Sicherheit, Ausgleich von Gefälligkeiten, sauber.
(6)
Macht
Machtwerte befriedigen zum einen individuelle Bedürfnisse zum anderen können sie auch
zur Arbeit für die Gruppe motivieren. Verbindendes Ziel ist sozialer Status, Dominanz über
Menschen und Ressourcen. Sie umfassen die Werte Autorität, Reichtum, soziale Macht, in
der Öffentlichkeit Ansehen bewahren.
(7)
Leistung
Leistungswerte können den Gruppenbedürfnissen entsprechen, sie können auf der anderen
Seite auch soziale Beziehungen stören. Verbindendes Ziel ist persönlicher Erfolg, gemäß den
sozialen Standards. Hierunter fallen Erfolg, Kompetenz, Einfluss, Ehrgeiz.
(8)
Hedonismus
Verbindendes Ziel ist Freude und sinnliche Befriedigung. Umfasst die Werte Vergnügen, das
Leben genießen, sich etwas Gutes tun.
(9)
Stimulation
Verbindendes Ziel ist Verlangen nach Abwechslung und Stimulation, um auf ein optimales
Niveau von Aktivierung zu gelangen. Umfasst die Werte Wagemut, ein anregendes Leben,
ein abwechslungsreiches Leben
(10)
Selbstbestimmung
Diese Werte verstärken Kreativität, motivieren zu Innovationen und helfen, mit Problemen
und Herausforderungen umzugehen. Das Verhalten, welches von Selbstbestimmungswerten
ausgeht, befriedigt individuelle Bedürfnisse, ohne anderen dabei zu schaden oder soziale
Beziehungen zu bedrohen. Verbindendes Ziel ist unabhängiges Denken und Handeln.
Umfasst die Werte Kreativität, eigene Ziele wählen, Unabhängigkeit.

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 20
Schwartz ordnet die Wertetypen in einer Kreisstruktur, in der entgegengesetzte Werte sich im Kreis
gegenüberstehen während ähnliche Werte nebeneinander liegen (s. Abbildung 4).
Abb. 4
Kreisstruktur der zehn individuellen Wertetypen von Shalom Schwartz
Für seine Forschung nutzt Schwartz ausschließlich quantitative Methoden, die auf einem Fragebogen
mit Beschreibungen der 57 Werte aufsetzen. Die Befragten bewerten auf einer Skala, wie sehr diese
Werte für sie Leitprinzipien im eigenen Leben darstellen. Diese Schwartz Value Survey wurde in 47
Sprachen übersetzt und liegt einer Vielzahl von Untersuchungen zu Grunde.
In 2001 wurde eine weniger umfangreiche Messmethode für Werte entwickelt, der Portrait Values
Questionnaire (PVQ), der 21 Werte abfragt, die in 10 Wertetypen verteilt sind. Der PVQ wird im
Wesentlichen in der Arbeit mit Zielgruppen genutzt, die mit den abstrakten Wertetypen der SVS über-
fordert wären. In der vorliegenden Studie wurde der Fragebogen mit 57 Werten benutzt und ausge-
wertet, da diese Methode allgemein als zuverlässiger angesehen wird.

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 21
Bipolare Dimensionen in der Wertestruktur
Kennzeichen der Schwartz´schen Theorie der Werte ist die Beziehung der Werte zueinander, die seine
Arbeit von allen bisherigen Theorien über Werte unterscheidet. Nach seinem Modell erschließt sich
die Bedeutung eines Wertes für eine Person aus dem Muster der Zusammenhänge mit allen anderen
Werten. In diesem Konzept stehen die Werte nicht nebeneinander, sondern in gegenseitigen Bezieh-
ungen, die ähnlich oder entgegengesetzt sind. Bestimmte Ziele ergänzen sich und konkurrieren
zugleich mit anderen. Schwartz identifiziert in der Kreisstruktur zwei bipolare Dimensionen, in denen
die zehn universellen Wertetypen organisiert werden können.
In der 1. Dimension liegen sich ,,Offenheit gegenüber Wandel" und ,,Bewahrung des Bestehenden"
(Openness to Change und Conservation) gegenüber. Diese Dimension spiegelt den Konflikt zwischen
eigenem unabhängigem Denken und Handeln (Selbstbestimmung) sowie der Bevorzugung eines
anregenden Lebens (Stimulation) einerseits gegenüber der Tendenz zur Unterordnung (Bewahrung
von Traditionen - Conservation) und von sozialer Stabilität (Sicherheit) andererseits.
In der 2. Dimension liegen sich Eigenorientierung und Selbsttranszendenz (Self-Enhancement und
Self-Transcendence) gegenüber. Die Dimension der Selbsttranszendenz beschreibt den möglichen
Konflikt zwischen der Akzeptanz von Anderen als Gleiche und der Besorgnis um ihr Wohlergehen
(Universalismus, Benevolenz) gegenüber der Tendenz zur Eigenorientierung, die den eigenen Erfolg,
sowie die Überlegenheit über andere zum Ziel hat (Macht, Leistung).
76
Hedonismus liegt zwischen
,,Selbstfokussierung" und ,,Offenheit für Wandel" (s. Abbildung 5).
76
Schwartz, S.H., 2003a

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 22
Abb. 5
Die zwei bipolaren Wertedimensionen von Shalom Schwartz
Abhängig von den Prioritäten, die den Werten zugemessen werden, unterscheiden sich die Werte in
ihrer motivierenden Wirkung. Über die Ursachen von individuellen Wertprioritäten schreibt Schwartz,
dass diese auf unterschiedliche Lebensumstände zurückzuführen sind.
77
Ändert sich die Lebens-
situation einer Person, so passt diese ihre Wertprioritäten an die veränderten Bedingungen an.
Ein Schwerpunkt der Schwartz´schen Untersuchungen ist, wie die Wertprioritäten Studienwahl,
Berufswahl und das Handeln der Menschen beeinflussen.
78
Es kann davon ausgegangen werden, dass
Bildung am stärksten in einem positiven Zusammenhang mit Selbstbestimmungswerten und in einem
negativen Zusammenhang mit Konformitäts-, Traditions- und Sicherheitswerten steht.
Die von Schwartz entwickelte quantitative Methode der Befragung gehört heutzutage zu den am
meisten angewandten Methoden von Sozialpsychologen und anderen, die die Unterschiede der Wert-
orientierung in unterschiedlichen Kulturen studieren.
77
Schwartz, S.H., 2005b, 12f
78
Schwartz, S.H., 1990; Schwartz, S.H., 2005b, 13

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 23
4.2 Die Kulturtheorie von Schwartz - Kulturelle Wertetypen
Im Zusammenhang mit der Globalisierung und der Erweiterung der Europäischen Union werden oft
auch Auseinandersetzungen über Werte geführt. Auf der einen Seite werden für Europa gemeinsame
Werte geltend gemacht, auf der anderen Seite wird über die Unterschiede der Werte diskutiert.
Von Anfang an waren Schwartz's Projekte auf die interkulturellen Unterschiede bei den Wertpriori-
täten gerichtet. Durch den Vergleich der Wertstrukturen verschiedener Nationalitäten konnten
Schwartz und Ros herausfinden, dass bestimmte Werte in verschiedenen Ländern unterschiedliche
Bedeutungsinhalte besitzen.
79
Ausgehend von den Wertedimensionen wurden fünf unterschiedliche
"Kulturräume" gebildet, die sich in ihren Wertmustern unterscheiden: Westeuropa, Osteuropa,
Ostasien, Englisch sprechende und islamische Nationen.
80
Die Wertestruktur betrachtet Schwartz, wie
in Kapitel 4.1 erwähnt, als universell. Allerdings ist die Wichtigkeit der Werte und die Beziehung
zwischen den Wertetypen für die jeweiligen Kulturräume charakteristisch.
81
Für die kulturver-
gleichende Motivationsforschung ist wichtig zu wissen, was z.B. in unterschiedlichen Kulturen unter
,,das Leben genießen", ,,Freiheit" oder ,,Selbstdisziplin" verstanden wird und zu welchen Handlungen
es jeweils motiviert. Schwartz setzt voraus, dass individuelle Werte mit kulturellen Werten
zusammenhängen, und man sie nicht trennen kann. Mittels seines Fragebogens haben 75.000 Befragte
aus 76 Ländern die Wichtigkeit der 46 Werte mit kulturell übergreifender Bedeutung bewertet.
82
Schwartz hat auf dieser Basis 3 bipolare Wertedimensionen mit 7 Wertetypen definiert, die kulturelle
Bedeutung haben (s. Abbildung 6). Die kulturelle Wertestruktur besteht nach Schwartz aus den drei
Dimensionen:
83
1.
Conservatism­Bewahrung / Autonomie
2.
Hierarchie / Gleichheit
3.
Herrschaft / Harmonie
Schwartz geht davon aus, dass die Wertprioritäten der Mitglieder einer Gesellschaft auf die zugrunde
liegenden kulturellen Betonungen der jeweiligen Gesellschaft hinweisen. Die kulturellen Wertorien-
tierungen helfen den Menschen, sich in ihrem Alltag in die Gesellschaft einzufügen, indem sie
bestimmen, welches menschliche Verhalten oder welche individuellen Wertprioritäten im sozialen
Kontext erwünscht sind und welche nicht.
79
Schwartz, S.H., Sagiv L., 1995
80
Schwartz, S.H., 1997, S.79
81
ZUMA-Arbeitsbericht Nr. 2005/01, S.7
82
Schwarz, S.H., 2003a
83
Schwartz, S.H., 1997, 78f

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 24
Abb. 6
Drei bipolare Wertedimensionen mit sieben kulturellen Wertetypen von Schwartz
Er geht davon aus, dass in den ehemaligen kommunistischen Ländern durch die Anpassung an das
kommunistische System die Entwicklung bestimmter Werte gefördert und die anderer gehemmt
wurde. Die Anpassung hatte eindeutigen Einfluss auf die Wertorientierung: Überwachung, strenge
Regeln, Unterdrückung von Eigeninitiative und Risiko untergraben die Autonomie-Orientierung.
Auch Herrschaft wurde abgewertet, weil sie Ehrgeiz, Selbstbehauptung und Änderung des Status
impliziert. Mit Konservatismus- und Hierarchiewerten konnte man sich eher an eine autoritäre
Umwelt anpassen. Dadurch war es den Menschen auch besser möglich Konflikte zu vermeiden und
den Alltag zu gestalten.
84
Durch eine Untersuchung bei Studenten und Lehrern ost- und westeuropäischer Länder konnte
Schwartz seine Hypothese bestätigen, dass die politische Sozialisation durch den Kommunismus die
Ausprägung von Konservatismus- und Hierarchiewerten förderte und von Gleichheit-, Autonomie-
und Herrschaft-Werten hemmte.
85
84
Schwartz, S., Bardi, A., 1997, S.391
85
SIETAR Kongres, 2004, Cultures in Transition, Berlin

4. Das Wertekonzept von Shalom Schwartz 25
Individualistische und kollektivistische Orientierung
Ein weiteres Merkmal der Theorie von Schwartz stellt die Bezogenheit der einzelnen Werte auf
kollektive bzw. individuelle Interessen dar. Der Mensch wird entweder im kollektiven oder indivi-
duellen Zusammenhang gesehen.
86
Diese zwei Dimensionen von Schwartz sind vergleichbar mit den
Dimensionen Kollektivismus / Individualismus von Hofstede. Falls Werte als Ziele betrachtet werden,
dann dienen sie individuellen oder kollektivistischen Interessen. Auf dieser Grundlage wurde von
Schwartz die Hypothese formuliert, dass Werte, die dem persönlichen Interesse dienen (Macht, Erfolg,
Selbstbestimmung) einen zusammenhängenden Bereich bilden und einem anderen zusammen-
hängenden Bereich gegenüberliegen, der aus 3 Wertetypen besteht, die primär kollektivistischen
Interessen dienen (Benevolenz, Tradition und Konformität). Universalismus und Sicherheit dienen
Interessen von beiden und liegen an den Grenzen zwischen den zwei Bereichen. Bezogen auf die
übliche Kreisdarstellung der 10 individuellen Wertetypen, findet man den kollektivistischen Bereich
in der rechten Hälfte und den individualistischen in der linken Hälfte des Kreises (s. Abbildung 7).
Abb. 7
Die drei Wertetypen mit kollektivistischen und individualistischen Werten
86
Schwartz, S.H., 1994, S.85-119

5. Kulturdimensionen und Kulturstandards 26
5 Kulturdimensionen und Kulturstandards
Der Begriff ,,Kultur" wird in der Literatur umfassend definiert. Clyde Kluckhohn und Alfred
Kroeber
87
trugen 1955 eine Liste von über 200 verschiedenen Kulturdefinitionen zusammen. Man
kann davon ausgehen, dass in den 55 Jahren seit deren Publikation einige Definitionen hinzuge-
kommen sind.
Nach Blom und Meier ist ,,die Kultur für den Menschen wie das Wasser für die Fische". Die Autoren
sehen Parallelen dahingehend, dass der Mensch die Kultur als ebenso selbstverständlich ansieht, wie
der Fisch das Wasser, solange ihn das jeweilige Element umgibt.
88
Erst außerhalb der gewohnten
Umgebung wird ihm das Selbstverständliche bewusst. Dabei muss er zumeist feststellen, dass in der
neuen Umgebung andere Denkmuster und Verhaltensweisen als selbstverständlich gelten und die
eigenen als fremd betrachtet werden.
89
Verschiedene Forscher, wie z.B. Hofstede, Schwartz, Rokeach, sowie das GLOBE-Projekt haben in
empirischen Untersuchungen kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede in verschiedenen Ländern
untersucht. Dabei haben sie verschiedene Ansätze gewählt, diese Unterschiede darzustellen und ver-
gleichbar zu machen. Neben dem werteorientierten Ansatz von Schwartz, der in Kapitel 4 vorgestellt
wurde, spielt in diesem Zusammenhang der von Hofstede eingeführte Begriff der Kulturdimension
eine wesentliche Rolle.
5.1 Hofstede's Theorie der Kulturdimensionen
Geert Hofstede ist ein niederländischer Sozialpsychologe und Wissenschaftler im Bereich der
interkulturellen Kommunikation. Er definiert Kultur als ,,kollektive Programmierung des Geistes, die
die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet"
90
(Software of the mind). Hofstede nimmt an, dass die Programmierung des Geistes teilweise genetisch
vererbt und zum Teil nach der Geburt erlernt wird. Diese Überlegung wird im Modell der Pyramide
der mentalen Programmierung dargestellt (s. Abbildung 8).
87
Culture- a Critical Review of Concepts and Definitions, 1952
88
Blom, H., Meier, H., 2002, S.35
89
Perlitz, M., 1997, S.302f
90
Hofstede, G., 1997, S.4

5. Kulturdimensionen und Kulturstandards 27
Abb. 8
Hofstedes Pyramide
Die Basis der Pyramide bildet die menschliche Natur, die allen Menschen gemeinsam ist. Diese Ebene
vergleicht Hofstede mit dem Betriebssystem eines Computers.
91
Die Fähigkeit, Gefühle wie z.B.
Trauer, Freude, Liebe empfinden zu können, ist jedem Menschen eigen. Der Ausdruck dieser Gefühle
wird aber durch die kulturelle Prägung bestimmt, die die zweite Ebene der Pyramide darstellt.
92
Der
Umgang mit Emotionen, mit Ablehnung oder Absprachen ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich.
Die Ausdrucksformen werden durch Lernprozesse erworben. Kultur wird nicht vererbt, sondern
erlernt und durch Traditionen weitergegeben. Dabei werden die Muster des Denkens, Fühlens und
Handelns nicht nur durch die nationale Kultur sondern auch durch das soziale Umfeld, wie z.B. Eltern
und Schule, beeinflusst. Die Spitze der Pyramide bildet die Persönlichkeit des Menschen, die man als
individuellen Charakter bezeichnet.
93
In seinem Buch ,,Cultures and Organisations
94
ist die Kultur in einer ,,Kulturzwiebel" dargestellt. Das
Bild der Kulturzwiebel geht von verschiedenen Schichten aus, in denen sich unterschiedliche
Symbole, Helden, Rituale, Werte aneinander reihen.
95
Die Kultur, genauso wie die Zwiebel, setzt sich
sowohl aus sichtbaren (Percepta Ebene), als auch aus unsichtbaren Elementen (Concepta Ebene)
zusammen. Die unsichtbare Ebene beschreibt die ideellen Bestandteile der Kultur, wie z.B. Werte,
Einstellungen, Normen. Die sichtbare Ebene umfasst Bestandteile wie Kleidung und Sitten.
91
Hofstede, 2005, S.14
92
Hofstede, G., 2001b, S.5
93
Hofstede, G., 2001b, S.4-5
94
Hofstede, G., 1994
95
Blom, H., Meier, H., 2002, S.35

5. Kulturdimensionen und Kulturstandards 28
Abb. 9
Kulturzwiebel nach Hofstede
96
Zur interkulturellen Forschung ist die Untersuchung beider Ebenen von großer Bedeutung, wobei die
Analyse der unsichtbaren Ebene sich als sehr schwierig darstellt.
97
Geert Hofstede führt zwischen 1967 und 1985 seine Forschungsarbeiten mit dem Ziel durch, Metho-
den zur Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen einzelnen Nationen zu ermitteln.
Er untersuchte 116.000 Fragebögen in 71 verschiedenen Ländern, die von IBM Beschäftigten in allen
Positionen, vom einfachen Arbeiter über den Facharbeiter bis hin zum Top-Manager, ausgefüllt
worden sind (Employee Attitude Survey). Auf dieser Basis kommt er zur Beschreibung grundlegender
Dimensionen, die für Kulturen als universell gültig angenommen werden und auf denen sie sich
unterscheiden können. Hofstede geht davon aus, dass alle Gesellschaften, ob modern oder traditionell,
mit den gleichen Problemen konfrontiert werden. Diese Bereiche, die Hofstede die Dimensionen der
Kultur nennt, sind:
1.
Soziales Ungleichgewicht , Bezug zur Autorität (Machtdistanz)
2.
Beziehung zwischen dem Individuum und dem Kollektiv (Individualismus/Kollektivismus)
3.
Das Verständnis der Maskulinität und Feminität (Maskulinität/Feminität)
4.
Der Umgang mit der Unsicherheit, die sich beim Ausdrücken von Emotionen und beim
Bewältigen von Aggressionen zeigt
98
(Unsicherheitsvermeidung)
96
Lufthansa Flight Training, 2007
97
Scherm, E., Süß,S., 2001, S. 20f
98
Hofstede, G., Hofstede, G.J., 2005, S.28

5. Kulturdimensionen und Kulturstandards 29
Mit dem Begriff ,,Machtdistanz" (Power Distance, PDI) meint Hofstede, ,,das Ausmaß bis zu welchem
Mitglieder einer Gesellschaft erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist.
99
Sie
repräsentiert den Umgang mit Ungleichheiten. Nach seinen empirischen Untersuchungen herrscht in
der tschechischen Kultur höhere Hierarchie, d.h. höhere Machtdistanz, als in der deutschen Kultur.
100
Der Begriff ,,Unsicherheitsvermeidung" (Uncertainty Avoidance, UAI) wird von Hofstede als ,,das
Ausmaß, bis zu welchem sich die Mitglieder einer Kultur durch unklare bzw. unbekannte Situationen
bedroht fühlen" verstanden.
101
Der Versuch Risiko und Unsicherheit auszuschließen ist verbunden mit
dem Streben nach genau geplanten Normen und Regeln, damit das Risiko minimiert oder ausge-
schlossen wird. In der tschechischen Kultur hat die Unsicherheitsvermeidung eine höhere Bedeutung,
als in der deutschen.
102
Die Begriffe Individualismus und Kollektivismus (Individualism/Collectivism, IDV) beschreiben den
Zusammenhalt in einer Kultur. Unter individualistischen Kulturen versteht Hofstede die ,,Gesell-
schaften, in denen man von jedem erwartet, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie
sorgt". Dagegen versteht er unter kollektivistischen Kulturen ,,Gesellschaften, in denen der Mensch
von Geburt an in starke, geschlossene Gruppen integriert ist". Während die asiatischen Länder wie
Korea, Japan oder China zu den kollektivistischen Kulturen gehören, ist Deutschland ein Beispiel
einer individualistischen Gesellschaft in Europa. Die Tschechische Republik befindet sich in der Mitte
zwischen individualistischer und kollektivistischer Kultur.
103
Unter der Kulturdimension Maskulinität (Masculinity/Feminity, MAS) versteht Hofstede ,,Gesell-
schaften, in denen die Rollen der Geschlechter stark voneinander abgegrenzt sind" und in denen die
Werte wie Leistung, Anerkennung, Aufstieg und Herausforderung dominieren. Feminine Gesell-
schaften zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Geschlechterrollen überschneiden, oder die femini-
nen und maskulinen Denkweisen als gleichrangig angesehen werden. In maskulinen Kulturen herrscht
eher ein selbstsicheres Verhalten vor, in femininen dagegen Bescheidenheit und Zurückhaltung.
104
Ergänzend zu diesen vier Dimensionen hat Hofstede aus einer späteren Befragung chinesischer
Studenten die Dimension ,,Langzeit- vs. Kurzzeitorientierung" ermittelt. Dabei nennt Hofstede für die
Kulturen mit ,,langfristiger Orientierung" Werte wie ,,Ausdauer", ,,Sparsamkeit", ,,langfristige Investi-
tionen". Die Zeitorientierung liegt auf der Zukunft. Für die ,,kurzfristige Orientierung" nennt Hofstede
99
Hostede, G., 1991, S.28
100
Hofstede, G., 2005, S.43; Schroll-Machl, S., Novy, I., 2007, S.24
101
Hofstede, G., 1991, S.113
102
Hofstede, G., 2005, S.132 Schroll-Machl, S., Novy, I., 2007, S.23
103
Hofstede, G., 2005, S.68
104
Hofstede, G., 2005, S.98

5. Kulturdimensionen und Kulturstandards 30
Werte wie ,,Wahrung des Gesichts", ,,Respekt vor der Tradition". In dieser Gesellschaft liegt der
Schwerpunkt in der Gegenwart und in der Vergangenheit
105
(s. Tabelle 3).
Dimension Ausprägung
Auswirkung
Niedrig
flache Hierarchien, geringer Respekt, partizipative
Entscheidungen
Machtdistanz
Hoch
klare hierarchische Struktur, großer Respekt vor höheren
sozialen Positionen, autoritäre Entscheidungsfindung
Gering
Unsicherheit ,,gehört zum Leben", wenige Gesetze und Regeln
Unsicherheitsvermeidung
Stark
viele Gesetze und Regeln, Titel spielen eine wichtige Rolle,
Unsicherheit als Bedrohung
Individualistisch Eigeninitiative, Eigenverantwortung, gleiche Normen für alle
Individualismus vs.
Kollektivismus
Kollektivistisch wenig
Initiative, kollektive Entscheidungsfindung und
Verantwortung, Normen unterscheiden sich entsprechend In-
Group und Out-Groups
starke Maskulinität
,,Leben um zu arbeiten", Entschlossenheit, materielle Werte,
Aufgabenorientierung, Geschlechterrollen unterschiedlich
Maskulinität vs.
Feminität
starke Feminität
,,Arbeiten um zu leben", Intuition, Beziehungsorientierung,
Geschlechterrollen ähnlich
Langfristig
Ausdauer, Sparsamkeit, langfristige Investitionen
Langfristige vs
Kurzfristige Orientierung
Kurzfristig
Respekt vor den Traditionen, Wahrung des Gesichts
Tab. 3.
Kooperationsrelevante Auswirkungen der Dimensionen Hofstedes
106
Tabelle 4 zeigt die Unterschiede zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik in den
Kulturdimensionen. Dabei entsprechen die Zahlenwerte dem Ranking innerhalb der 74 Länder, die
Hofstede im Rahmen seiner Befragung von IBM Mitarbeitern untersuchte.
105
Hofstede, G., 2005, S.163; Schroll-Machl, S., Novy, I., 2007, S.25
106
Stüdlein, Y., 1997, S.231

5. Kulturdimensionen und Kulturstandards 31
Deutschland
Tschechische
Republik
Machtdistanz
35 57
Unsicherheitsvermeidung
65 74
Individualismus vs. Kollektivismus
67 58
Maskulin vs. Feminin
66 65
Langfristige vs. Kurzfristige
Orientierung
31 13
Tab. 4.
Kulturdimensionen für Deutschland und die Tschechische Republik im Vergleich
107
Die fünf Kulturdimensionen von Hofstede
108
gelten bis heute als Standardmodell zur Beschreibung
kultureller Unterschiede zwischen Nationen. Zum Vergleich der kulturellen Unterschiede in den defi-
nierten Kriterien werden dabei Kulturen relativ zueinander auf einer Skala positioniert, deren Endpole
charakteristisch und mit extremen Eigenschaften erklärt sind. Hofstede´s Analyse ist eine der quanti-
tativ größten Untersuchungen in diesem Bereich. Sowohl Hofstede`s Arbeit als auch weitere Unter-
suchungen wie die GLOBE-Studie, die Studien von Alexander Thomas, Sylvia Schroll-Machl haben
die Forschung zur interkulturellen Kommunikation stark beeinflusst. Dabei wurden in verschiedenen
anderen Studien die Daten zu den 5 Dimensionen für die von Hofstede bereits untersuchten Länder
aktualisiert und für weitere Länder neu erhoben.
5.2 Empirische Untersuchung der Globe-Studie
Mit der zunehmenden Globalisierung und der dadurch wachsenden internationalen Zusammenarbeit
ist die Notwendigkeit nach einer verlässlichen Studie über kulturbedingte Unterschiede von Führungs-
stilen in Organisationen immer größer geworden. Hofstedes Ansatz der Kulturdimensionen wurde
dazu in den Jahren seit 1994 durch das GLOBE-Projekt (The Global Leadership and Organizational
Behavior Effectiveness Research Program) weiterentwickelt.
109
Das Ziel des Projektes war es, auf
breiter Basis die Unterschiede zwischen nationalen Kulturen, Führungsstilen und Organisations-
kulturen zu ermitteln.
110
Die Studie setzt dazu auf den Arbeiten von Hofstede
111
, Kluckhohn und
Strodtbeck
112
(past-present-future orientation, human orientation, 1961) und der Motivationstheorie
107
Hofstede, G., Hofstede, G.J., 2005, S.28
108
Hofstede, G., 1980
109
Reber, G., 2002, S.89-92
110
Brodbeck, F.C., Frese M., 2000, S.1-29
111
Hofstede, G., 1980
112
Kluckhohn, F.R., Strodtbeck, F.L., 1961

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836619738
Dateigröße
6.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften München – Angewandte Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
tschechien shalom schwartz kulturstandard ingenieurmangel studienwahl
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Titel: Unterschiede in der Motivation bei der Studienwahl deutscher und tschechischer Ingenieurstudenten, die sich auf persönliche und kulturelle Werte zurückführen lassen
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