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'A invenção de ser negro' - Die Untersuchung einer schwarzen Identität als ethnische Identität in Brasilien heute

©2007 Diplomarbeit 85 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Juli 2002 überraschte der US-amerikanische Präsident George W. Bush seinen damaligen brasilianischen Amtskollegen Fernando Henrique Cardoso mit der Frage Do you have blacks, too? Seine damalige Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice musste Bush daraufhin aufklären, dass in Brasilien doppelt so viele Schwarze leben wie in den USA.
Diese Anekdote ist exemplarisch. Jedoch besitzt Brasilien heute nach Nigeria die zweitgrößte schwarze Bevölkerung der Welt in absoluten Zahlen. Laut des letzten Zensus des Jahres 2000 sind von den rund 170 Millionen Einwohnern der Gesamtbevölkerung 76,5 Millionen Afrobrasilianer.
Da Brasilien nach außen oft als ein Land mit einer homogenen Bevölkerung dargestellt wird, wissen viele nicht, dass dort unterschiedliche ethnische Gruppen (siehe Kapitel 3.2) zusammenleben. Die Gründe dafür liegen darin, dass man sich auch innerhalb des Landes lange Zeit dessen nicht bewusst war oder sein wollte, dass es verschiedene ethnische Gruppen gibt. Brasilien hat sich jahrhunderte lang auf das Prinzip der Rassendemokratie (siehe Kapitel 4.3) gestützt, dem zu Grunde liegt, dass alle Brasilianer nach Abschaffung der Sklaverei 1888 unabhängig von Rasse, Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit frei, in Harmonie und mit gleichen Rechten und Pflichten nebeneinander leben sollten. Man glaubte an eine Vermischung der Rassen und es war für lange Zeit Ziel, diese Vermischung mit verschiedenen Mitteln, die innerhalb der Arbeit noch erklärt werden, durchzusetzen.
Dass es jedoch nicht in dem gewünschten Maße zu dieser Vermischung in Bezug auf die Gleichstellung aller Gruppen gekommen ist und diese heutzutage oft als ein Mythos dargestellt wird, beweist u.a. die Tatsache, dass 2003 Quotengesetze für verschiedene ethnische Gruppen in Brasilien eingeführt worden sind.
Anhand der folgenden Darstellung des IGBE (Brasilianisches Bundesamt für Statistik und Geographie) von 1996 sieht man, dass die Einkommensverteilung zwischen der weißen und der schwarzen Bevölkerung sehr unterschiedlich ist.
Dies stellt ein weiteres Indiz dafür dar, dass keine Gleichheit unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen herrscht und dass man heute schwarz und weiß trennt, wenn es um die Darstellung von solchen Statistiken geht, auch wenn sich die brasilianischen Schwarzen weder in ihrer Selbsteinschätzung als eine ethnische Minderheit (siehe Kapitel 3.3) sehen, noch von weißen Brasilianern als diese angesehen werden.
In der Verfassung wird zum […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALTSVERZEICHNIS

Kurzbeschreibung

0. Vorwort

1. Einleitung
1.1 Forschungsstand
1.2 Vorgehensweise

2. Das Problem des Bestimmens der Hautfarbe und der ethnischen Zugehörigkeit im Zuge der Quotenregelung

3. Definitorische Ansätze zu ethnischer Gruppe, Minderheit und Identität
3.1 Ethnisch
3.2 Ethnische Gruppe
3.3 Ethnische Minderheit
3.4 Ethnische Identität 20
3.4.1 Selbstbestimmung
3.4.2 Toleranz
3.4.3 Unterstützung
3.4.4 Selbstwertgefühl
3.4.5 Identitätssymbole
3.5 Zusammenfassende Definition

4. Gemeinsame Geschichte/ gemeinsamer Ursprung
4.1 Die Sklaverei
4.1.1 Quilombos
4.2 Nach Abschaffung der Sklaverei
4.2.1 Das Branqueamento -Prinzip
4.2.2 Frente Negra Brasileira
4.3 Vargas-Diktatur
4.4 1940er bis 90er Jahre – zwischen Militärdiktatur
und Redemokratisierungsprozess
4.4.1 Movimento Negro Unificado

5. Gemeinsame kulturelle Merkmale und Symbole
5.1 „Typisch schwarze“ Aktivitäten
5.1.1 Capoeira
5.1.2 Afoxé und Bloco Afro
5.1.3 Candomblé
5.1.4 Sambaschule
5.1.5 Schwarzenbewegung
5.2 Typisch afrikanisch?
5.3 Kulturelle Merkmale der afrobrasilianischen
Jugendkultur

6. Gemeinsame Identifizierung und Abgrenzung
6.1 Bei Sansone
6.1.1 Die Eigenbezeichnung negro
6.1.2 Gemeinschaftsgefühl
und „ communidade negra“
6.2 Bei Ferreira
6.2.1 Estágio de submissão
6.2.2 Estágio de impacto
6.2.3 Estágio de militância
6.2.4 Estágio de articulação

7. Zusammenfassung und Fazit

8. Literaturverzeichnis

9. Anlage

Kurzbeschreibung

Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit einer möglichen schwarzen Identität der afrobrasilianischen Bevölkerung und untersucht, ob man diese als ethnische Identität bezeichnen könnte. Anhand verschiedener Studien wurde herausgearbeitet, inwiefern die afrobrasilianische Bevölkerung eine kulturell bedingte kollektive Identität besitzt, die auf einer gemeinsamen Geschichte, einem gemeinsamen Ursprung, gemeinsamen kulturellen Merkmalen und Symbolen beruht, und ob sie sich mit ihrer staatlich definierten ethnischen Gruppe identifiziert und versucht, sich von anderen Gruppen abzugrenzen.

Es hat sich herausgestellt, dass das Kriterium in Bezug auf den gemeinsamen Ursprung und die gemeinsame Geschichte auf alle Afrobrasilianer zutrifft, auch wenn sich ein großer Teil dessen nicht bewusst ist bzw. nicht zu diesen Ursprüngen steht. Über gemeinsame kulturelle Merkmale und Symbole sowie über eine gemeinsame Identifizierung und Abgrenzung mit der Gruppe verfügt jedoch nur ein gewisser Teil der afrobrasilianischen Bevölkerung. Dazu gehören zum einen die Aktivisten und Militanten aus kulturellen und politischen Schwarzenbewegungen, die den als „typisch schwarz“, und teilweise auch „typisch afrikanisch“, bezeichneten Aktivitäten nachgehen. Zum anderen gibt es eine neue schwarze Identität in der afrobrasilianischen Jugendkultur, die traditionelle Merkmale der brasilianischen Schwarzenkultur mit neuen Formen der modernen Jugendkultur der schwarzen Jugendlichen weltweit vermischt und sich an deren Vorbildern orientiert.

Diese Arbeit beweist folglich, dass es eine ethnische Identität der Schwarzen in Brasilien gibt, jedoch nur unter einem geringen Teil, der sich selbstbewusst als negro bezeichnet.

0. Vorwort

Mit dem Thema meiner Diplomarbeit beschäftige ich mich gedanklich schon seit einigen Jahren.

Während meiner zahlreichen Brasilienaufenthalte seit 1999 habe ich die meiste Zeit in Salvador, der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia verbracht, wo der Großteil der Bevölkerung dunkelhäutig ist. Von Anfang an ist mir aufgefallen, dass die Menschen dort sehr unterschiedlich mit ihrem Schwarzsein umgehen. In den letzten Jahren habe ich v. a. bei Afrobrasilianern meiner Generation ein wachsendes Bewusstsein in Bezug auf ihr Schwarzsein beobachtet, was zunehmend mein Interesse geweckt hat.

Im Februar und März 2007 hatte ich während einer Exkursion der Humboldt-Universität nach Brasilien mit dem Thema „Afrikaforschung in Brasilien und Deutschland“ die Möglichkeit, mich intensiv auf meine Arbeit vorzubereiten.

Ich hatte die Gelegenheit, verschiedenen Mitgliedern der brasilianischen Schwarzenbewegung und afrobrasilianischer Religionszentren in Vorbereitung auf mein Thema Fragen zu stellen, an Vorträgen teilzunehmen und Orte zu besuchen, die für Afrobrasilianer eine besondere geschichtliche Bedeutung besitzen.

Außerdem nutzte ich meinen Aufenthalt, um Gespräche mit verschiedenen jungen Afrobrasilianern zu führen und ihnen Fragen zu stellen, die ich vorher anhand eines Fragebogens ausgearbeitet hatte, um selbst ein besseres Verständnis von meinem Thema zu bekommen und dies zu konkretisieren.

Deshalb möchte ich mich hiermit für die Organisation und das Engagement während der Exkursion bei Prof. Flora Veit Wild, Prof. Tiago de Oliveira Pinto und ganz besonders bei Prof. Ineke Phaf-Rheinberger für die zusätzliche Unterstützung bei der Findung meines Themas bedanken.

1.Einleitung

Im Juli 2002 überraschte der US-amerikanische Präsident George W. Bush seinen damaligen brasilianischen Amtskollegen Fernando Henrique Cardoso mit der Frage „Do you have blacks, too?“ Seine damalige Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice musste Bush daraufhin aufklären, dass in Brasilien doppelt so viele Schwarze leben wie in den USA.

Diese Anekdote ist exemplarisch. Jedoch besitzt Brasilien heute nach Nigeria die zweitgrößte schwarze Bevölkerung der Welt in absoluten Zahlen. Laut des letzten Zensus des Jahres 2000 sind von den rund 170 Millionen Einwohnern der Gesamtbevölkerung 76,5 Millionen Afrobrasilianer[1]. (Vgl. Schaeber, 2003, S. 15).

Da Brasilien nach außen oft als ein Land mit einer homogenen Bevölkerung dargestellt wird, wissen viele nicht, dass dort unterschiedliche ethnische Gruppen (siehe Kapitel 3.2) zusammenleben. Die Gründe dafür liegen darin, dass man sich auch innerhalb des Landes lange Zeit dessen nicht bewusst war oder sein wollte, dass es verschiedene ethnische Gruppen gibt. Brasilien hat sich jahrhundertelang auf das Prinzip der Rassendemokratie (siehe Kapitel 4.3) gestützt, dem zu Grunde liegt, dass alle Brasilianer nach Abschaffung der Sklaverei 1888 unabhängig von Rasse, Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit frei, in Harmonie und mit gleichen Rechten und Pflichten nebeneinander leben sollten. Man glaubte an eine „Vermischung der Rassen“ und es war für lange Zeit Ziel, diese Vermischung mit verschiedenen Mitteln, die innerhalb der Arbeit noch erklärt werden, durchzusetzen.

Dass es jedoch nicht in dem gewünschten Maße zu dieser Vermischung in Bezug auf die Gleichstellung aller Gruppen gekommen ist und diese heutzutage oft als ein Mythos dargestellt wird, beweist u.a. die Tatsache, dass 2003 Quotengesetze für verschiedene ethnische Gruppen in Brasilien eingeführt worden sind.

Anhand der folgenden Darstellung des IGBE (Brasilianisches Bundesamt für Statistik und Geographie) von 1996 sieht man, dass die Einkommensverteilung zwischen der weißen und der schwarzen Bevölkerung sehr unterschiedlich ist.

Dies stellt ein weiteres Indiz dafür dar, dass keine Gleichheit unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen herrscht und dass man heute schwarz und weiß trennt, wenn es um die Darstellung von solchen Statistiken geht, auch wenn sich die brasilianischen Schwarzen weder in ihrer Selbsteinschätzung als eine ethnische Minderheit (siehe Kapitel 3.3) sehen, noch von weißen Brasilianern als diese angesehen werden. (Vgl. Schaeber, 2003, S. 16)

Monatliches Durchschnittseinkommen in Reais (R$) nach Geschlecht und Hautfarbe:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nascimento, 2007, S. 43/ IGBE 1996

In der Verfassung wird zum ersten Mal 1988 von einem „ethnischen Pluralismus“ im Land gesprochen. Im Paragraphen VII der Verfassung wird eine plurikulturelle Gesellschaft anerkannt, deren verschiedene Volksgruppen, Indigene und Afrobrasilianer es zu schützen gilt. Außerdem wird der Ausdruck „nationale ethnische Segmente“ benutzt, der implizit eine ethnische Vielfalt anerkennt, v. a. gegenüber den Indianern, denen ein ganzes Kapitel gewidmet ist. (Vgl. d’Adesky, 2001, S. 187) Die Aufnahme dieses Artikels in die Verfassung ist zum großen Teil zurückzuführen auf die Bemühungen der indianischen und Schwarzenbewegungen Brasiliens, die u.a. für die Anerkennung ihrer Wurzeln kämpfen.

Ob dieses Denken jedoch auch innerhalb der Bevölkerung eingesetzt hat, d. h. ob speziell Afrobrasilianer sich selbst als ethnische Gruppe bezeichnen würden und sich mit dieser auch identifizieren und es eine „schwarze Identität“ gibt, wird in dieser Arbeit untersucht.

Dieses Thema ist von hoher aktueller Relevanz, weil durch die Einführung der Quotengesetze das Nachdenken über ethnische Zugehörigkeit innerhalb der Bevölkerung in Gang gesetzt wurde, was bei einigen Menschen ein neues Bewusstsein geweckt hat.

Es ist schwierig, in einer so heterogenen Gesellschaft wie Brasilien die Rasse als fundamentales Element für die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe zu sehen, so wie es in der Forschung bisher immer versucht wurde. Denn durch die Vermischungen von europäischen, indianischen und afrikanischen Genen sind so viele unterschiedliche Erscheinungstypen entstanden, dass es kaum möglich ist, diese einer bestimmten Rasse zuzuordnen. (Vgl. d’Adesky, 2001, S. 49)

Aus diesem Grund widmet sich diese Arbeit der Untersuchung nach einer ethnischen Identität, die über die Rasse hinausgeht bzw. sie nur als ein mögliches Merkmal für die Herausbildung einer kollektiven Identität ansieht.

Es wird untersucht, ob sich innerhalb der dunkelhäutigen Bevölkerung Brasiliens die Herausbildung einer ethnischen Identität festmachen lässt, die sie wiederum zu einer ethnischen Gruppe, als die sie vom Gesetz erfasst wird, werden lässt.

1.1 Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem Thema, zu dem es noch nicht sehr viel Literatur gibt, da zum Thema Ethnizität und schwarze Identität in Brasilien noch nicht sehr viel geforscht wurde. Seit rund 100 Jahren gibt es Forschungen über die afrobrasilianische Kultur und über die Rassenbeziehungen in Brasilien, mit denen sich Gerichtsmediziner, Psychologen, Anthropologen, Historiker, Soziologen, Politologen und Pädagogen unter unterschiedlichen Blickwinkeln beschäftigt haben. Diese Forschungen stehen in engem Zusammenhang mit der Entwicklung Brasiliens zu einer Nation und dem Selbstbild des Landes. Außerdem gibt es einige Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre, die sich mit der afrobrasilianischen Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Thema Rassismus in Brasilien befassen und nebenbei auch auf schwarze Identität eingehen. In deutscher Sprache gibt es bisher kaum Publikationen.

Die Recherche in Vorbereitung auf die Arbeit hat nur zwei Autoren ergeben, die sich explizit mit dem Thema „schwarze Identität“ in Brasilien beschäftigen.

Dabei handelt es sich um den Italiener Livio Sansone und sein 2004 veröffentlichtes Buch „Negritude sem etnicidade“ sowie den Brasilianer Ricardo Franklin Ferreira und sein ebenfalls 2004 veröffentlichtes Werk „Afro-descendente: Identidade em construção“.

Livio Sansone hat in Amsterdam Anthropologie studiert und in diesem Bereich promoviert. Seit geraumer Zeit lehrt er an der Universidade Federal da Bahia in Salvador Anthropologie. Er hat mehrfach über ethnische Identitäten und Rassenkonstruktionen in Großbritannien, den Niederlanden, Surinam und Brasilien publiziert. Als Anthropologe untersucht er den Menschen hauptsächlich aus biologischer, philosophischer, pädagogischer und theologischer Sicht. Dadurch, dass er kein gebürtiger Brasilianer ist und bereits in mehreren Ländern zu diesem Thema geforscht hat, besitzt er eine relativ differenzierte Außensicht auf Brasilien und ist es ihm möglich, während seiner Forschungen immer wieder internationale Vergleiche zu ziehen.

Sein Buch „ Negritude sem Etnicidade “ beruht auf einer zehnjährigen Forschungsarbeit, die er vor allem in den beiden Bundesstaaten Bahia und Rio de Janeiro durchgeführt hat. Seine Intention ist es, die Ethnisierung Brasiliens unter lokalen und globalen Aspekten zu untersuchen, besonders wie die Bildung von schwarzen Identitäten sich mit anderen schwarzen Identitäten des „Schwarzen Atlantik“ vergleichen lässt. Die Arbeit begründet sich auf qualitativen Untersuchungen in Salvador-Bahia im Vergleich zu Rio de Janeiro, Amsterdam und den USA. (Vgl. Sansone, 2004, S. 249)

Ricardo Franklin Ferreira hat 1999 im Bereich Schulpsychologie und Menschliche Entwicklung zum Thema seines Buches in São Paulo promoviert; das Buch ist also eine Veröffentlichung seiner Doktorarbeit.

In seinen Arbeiten beschäftigt sich Ferreira hauptsächlich mit den Themen Identität, Vorurteile, Afrobrasilianer, Rassendiskriminierung, Konstruktivismus, Epistemologie, Menschliche Entwicklung, Psychologie, Rassismus und Staatszugehörigkeit.

Afro-descendente: Identidade em construção “ beruht auf einer Feldforschungsstudie. Der Psychologe Ferreira untersucht die Bildung einer schwarzen Identität anhand der Lebensgeschichte des Afrobrasilianers „João“, der laut Ferreira seine Identität selbst konstruiert hat und zu einem Militanten der Schwarzenbewegung Brasiliens geworden ist.

Ferreira, der sich selbst als weiß bezeichnet, sagt von sich, dass er von der neuen „schwarzen Identität“ beeindruckt ist. (Vgl. Ferreira, 2004, S. 17) Ihm ist es wichtig, die Lebenserfahrung eines Schwarzen in einer weißen Welt zu untersuchen, „estudar […] a experiência de vida de uma pessoa negra inserida em uma cultura ‚branca’“, aber ohne dabei auf Rassenvorurteile eingehen zu wollen. (Ferreira, 2004, S. 30)

Die Feldstudie mit „João“ beruht auf einem Interview, in dem es nur eine einzige Fragestellung gab:

„Gostaria que você se apresentasse e me dissesse quem é você, contasse a sua história de vida, ressaltando fatos que você considera marcantes.” (Wären sie so nett, sich mir vorzustellen, mir zu sagen wer Sie sind, mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen bzw. mir von einschneidenden Erlebnissen in ihrem Leben zu berichten.) (Ferreira, 2004, S. 33)

1.2 Vorgehensweise

Die Arbeit ist so aufgebaut, dass zunächst noch einmal konkretisiert wird, warum die Untersuchung ausgehend von der Quotenregelung eine besondere Bedeutung besitzt. Danach werden verschiedene Definitionen zu den Begriffen des Ethnischen, der ethnischen Gruppe, der ethnischen Minderheit und der ethnischen Identität zusammengetragen, da es bisher noch keine einheitlichen Definitionen zu den genannten Begriffen gibt, die für meine Untersuchung hilfreich sein konnten.

Ausgehend davon wurden drei Hauptmerkmale ausgewählt, die sich in allen Definitionen wieder finden lassen, um anhand dieser zu untersuchen, ob sich in Brasilien eine schwarze Identität herausgebildet hat, die als ethnische Identität bezeichnet werden kann.

Diese drei Hauptmerkmale bzw. Kriterien sind:

1. eine gemeinsame Geschichte bzw. ein gemeinsamer Ursprung der ethnischen Gruppe
2. gemeinsame kulturelle Merkmale und Symbole
3. gemeinsame Identifizierung und Abgrenzung der ethnischen Gruppe

Diesen drei Punkten wurde jeweils ein großes Kapitel gewidmet.

Aus den Werken von Ferreira und Sansone stammen die grundlegenden Fakten für die Untersuchung der Kriterien. Zur begrifflichen Erklärung bestimmter Sachverhalte zum besseren Verständnis für den Leser und um ausgewählte, für die vorliegende Untersuchung wichtige Aspekte näher zu erklären, werden weitere Autoren hinzugezogen.

Kapitel drei beschäftigt sich mit wichtigen Etappen in Brasiliens Geschichte, die für die afrobrasilianische Bevölkerung eine herausragende Bedeutung eingenommen haben. Betrachtet werden besonders die Zeit während der Sklaverei, die Zeit der Vargas- und Militärdiktatur, sowie der Modernisierungsprozess. Ein extra Kapitel ist jeweils den Quilombos, der Schwarzenbewegung um Frente Negra Brasileira und Movimento Negro Unificado gewidmet sowie dem Branqueamento -Prinzip, da diese Elemente für das schwarze Selbstbild eine große Rolle gespielt haben.

Das vierte Kaptitel dient der Untersuchung der gemeinsamen kulturellen Merkmale und Symbole einer möglichen Schwarzenkultur, wobei zunächst die in der Literatur immer wieder als „typisch schwarze Aktivitäten“ bezeichneten Merkmale wie Capoeira, Afoxé und Bloco Afro, Candomblé, Sambaschule und Schwarzenbewegung näher beschrieben werden. Danach wird auf die Frage eingegangen, ob es wirklich typisch afrikanische Merkmale innerhalb der afrobrasilianischen Kultur gibt. Der letzte Teil dieses Kapitels beschreibt einige kulturelle Merkmale der heutigen afrobrasilianischen Jugendkultur, die nicht mehr nur rein an traditionellen afrikanischen Merkmalen festhält.

Im fünften Kapitel, das sich mit Identifizierung und Abgrenzung beschäftigt, werden erstmals die Ansichten von Sansone und Ferreira getrennt analysiert und ihnen wird jeweils ein Kapitelabschnitt gewidmet, da sie eine unterschiedliche Gruppe von Afrobrasilianern betrachten, deren Identifizierung mit der Gruppe auf unterschiedliche Art abläuft. Ferreira untersucht aus sehr psychologischer Sicht den Prozess zur schwarzen Identitätsfindung eines Aktivisten der Schwarzenbewegung. Er orientiert sich dabei an einem Stadienmodell zur Identitätsbildung und beschreibt die vier Stadien estágio de submissão, estágio de impacto, estágio de militância und estágio de articulação, die ich zusammenfassend erklären werde.

Sansone geht allgemein auf die Bezeichnung negro als Eigenbezeichnung für die Gruppe ein und untersucht, ob es unter der afrobrasilianischen Bevölkerung eine schwarze Gemeinschaft gibt.

Abschließend wird ein Fazit gezogen und beurteilt, ob sich aus den genannten Kriterien, die in Bezug auf Brasilien analysiert werden, eine ethnische Identität der afrobrasilianischen Bevölkerung ableiten lässt.

2. Das Problem des Bestimmens der Hautfarbe und der ethnischen Zugehörigkeit im Zuge der Quotenregelung

Offiziell gibt es die seit Anfang dieses Jahrzehnts eingeführten Quotengesetze, um eine Unterrepräsentation bestimmter ethnischer Gruppen in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens zu steuern. Von der brasilianischen Schwarzenbewegung werden die Quoten als Teil der Reparationsforderungen für die Folgen der Sklaverei gesehen, da es ihrer Ansicht nach bis heute keine speziellen Integrationsmaßnahmen für Afrobrasilianer gegeben hat.

Seit 2002 gibt es die Quotenregelung in verschiedenen Ministerien, wo 20 Prozent der Ämter mit Schwarzen besetzt werden sollen. Außerdem gibt es ein Gesetz für schwarze Künstler und Schauspieler, das für sie eine Beteiligung von 25 Prozent in Film und Fernsehen und 40 Prozent in der Werbung vorsieht. (Vgl. Schaeber, 2003, S. 313)

Die Quotenregelung richtet sich aber vor allem an die öffentlichen staatlichen Universitäten[2], an denen bis 2003 die Zahl der dunkelhäutigen Studenten laut Statistik bei nur zwei Prozent lag.

Erstmalig wurde die Quotenregelung von der Universidade Federal da Bahia in Salvador angewandt, wo eine bestimmte Quote der besten Absolventen, die einer der vorher festgelegten jeweiligen ethnischen Gruppen angehören (Vgl. Fritsche, 2004) und die Aufnahmeprüfung bestanden haben, einen Studienplatz erhalten. So sind beispielsweise in Salvador laut Bevölkerungszusammensetzung 85 Prozent dieser Quotenplätze für Afrobrasilianer reserviert. (Vgl. Zeit-online, 2006)

Die Problematik der ethnischen Zugehörigkeit wird bei der Bewerbung für solch einen Quotenstudienplatz sichtbar. Um sich für die Aufnahmeprüfung und somit auch für einen der Quotenplätze anzumelden, muss ein vierseitiger so genannter questionario sociocultural (soziokultureller Fragebogen) (siehe Anlage) ausgefüllt werden. Neben 40 teils sehr persönlichen Fragen muss auch die Frage nach Hautfarbe bzw. Rasse beantwortet werden. Dabei kann man zwischen branco (weiß), amarelo (gelb), indigéna (indigen) und preto (schwarz) wählen. In einem Land, in dem bei der letzten Volkszählung 143 verschiedene Hautfarbetypen angegeben wurden (Vgl. Zeit-online, download: 06.05.2007), von „schmutzig weiß“ (branca-suja), über „zimt“ (canela) zu „ein bisschen braun“ (pouco-morena) bis „fast schwarz“ (quase-preto), stehen viele Afrobrasilianer zum ersten Mal vor der Wahl, sich selbst als schwarz zu bezeichnen.

Laut einer Erhebung des IBGE aus dem Jahre 2005 haben sich jedoch nur rund 6,3 Prozent der Brasilianer selbst als Schwarze (preto) bezeichnet, 49,9 als Weiße (branco), 43,2 als Mischlinge (pardo) und 0,7 Prozent als Gelbe (amarelo) oder Indigene (indígena)). (Vgl. wikipedia,) Diese Angaben stehen konträr zu den vorher genannten Zahlen, nach denen mehr als 40 Prozent der Bevölkerung Afrobrasilianer sein sollen. Das zeigt, dass sich viele Afrobrasilianer selbst nicht unbedingt als Schwarze sehen, aber von außen als Schwarze bezeichnet werden.

Die Frage nach der Hautfarbe hat bei den meisten Brasilianern mit der eigenen Sicht auf sich selbst zu tun bzw. damit, wie man selbst von anderen gesehen werden möchte. Wenn man in Internetforen nachliest, in denen sich Menschen optisch selbst beschreiben, dann steht dort in den meisten Fällen moreno (braun). Sieht man sich dann das Foto der jeweiligen Person an, kann es sich dabei sowohl um einen Weißen mit sonnengebräunter Haut handeln, als auch um einen Schwarzen. Als negro würde sich nur jemand bezeichnen, der zu seinem Schwarzsein steht. Preto, was im farblichen Sinne schwarz bedeutet und in den meisten Fragebögen und Statistiken auftaucht, wird im alltäglichen Sprachgebrauch eher als abwertend verstanden. Deshalb fordern die brasilianischen Schwarzenbewegungen seit geraumer Zeit, preto durch negro zu ersetzen.

Viele Brasilianer werden aufgrund solcher Fragebögen, z.B. bei der Anmeldung zur universitären Aufnahmeprüfung, oftmals zum ersten Mal damit konfrontiert, sich entscheiden zu müssen, welche Hautfarbe sie besitzen, d.h. zu welcher der angegeben Gruppen sie sich am ehesten zugehörig fühlen würden. Die Frage ist oft deshalb meist schwer zu beantworten, weil die meisten Brasilianer mehrere phänotypische Merkmale in sich vereinen, wie z.B. indigen und schwarz. Eine „Vermischung der Rassen“ ihrer Vorfahren spiegelt sich im Aussehen ganz deutlich wieder.

Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Frage, ob es nur um das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Rasse oder einer Hautfarbe geht oder auch um Identität. Gibt es eine Identifizierung mit der jeweiligen Gruppe, die in solchen Fragebögen nur über die Rasse und Hautfarbe angegeben wird? Schwarz zu sein oder als schwarz bezeichnet zu werden, bedeutet nicht automatisch, sich auch als Schwarzer zu fühlen. Gibt es jedoch innerhalb der afrobrasilianischen Bevölkerung eine gemeinsame schwarze Identität, die als ethnische Identität bezeichnet werden kann?

Die heutige brasilianische Schwarzenbewegung geht davon aus, dass man erst erkennen kann, dass man einer ethnischen Gruppe angehört, wenn man zu seiner eigenen Hautfarbe und Identität steht und deshalb wünscht sie sich, dass jeder dunkelhäutige Brasilianer von sich selbst stolz sagen kann, dass er negro (schwarz) ist. Schwarz sein und sich als Schwarzer zu fühlen kann hierbei nicht nur Ausdruck dessen sein, dass man sich einer bestimmten Rasse zugehörig fühlt.

3. Definitorische Ansätze zu ethnischer Gruppe, Minderheit und Identität

3.1. Ethnisch

„Ethnisch“ ist abgleitet von dem griechischen Wort ethnos und bedeutet „Volk“, „Schar“, „Geschlecht“, „Volksstamm“, „Menschenklasse“. Das Adjektiv „ethnisch“ wird verwendet, um eine Volks- oder Volksgruppenzugehörigkeit von einer bloßen Staatsbürgerschaft zu unterscheiden. Das bedeutet, dass nicht alle Bürger eines Staates der gleichen Volksgruppe zugehörig sein müssen oder dass Mitglieder einer gemeinsamen Volksgruppe auch außerhalb ihrer Nationalstaaten leben können bzw. gar keinen Nationalstaat besitzen.

Ebenso wird mit dem Begriff „ethnisch“ dargestellt, dass es sich nicht um eine sprachliche Gruppenzugehörigkeit handelt, da verschiedene ethnische Gruppen trotz ihrer ethnischen Unterschiedlichkeit dieselbe Muttersprache haben können. (Vgl. Heckmann, 1992)

3.2. Ethnische Gruppe

Im deutschen verwendet man für die synonymen Begriffe „ethnische Gruppe“ und „Ethnie“ oft den Begriff „Volksgruppe“.

Unter einer ethnischen Gruppe versteht Anya Peterson Royce eine Bezugsgruppe (Vgl. Peterson Royce, 1982)

„[…] auf die sich Menschen berufen, die eine (reale oder angenommene) gemeinsame kulturelle Tradition besitzen, die auf äußerlichen Merkmalen und Werten basiert und die sich durch den Prozess der Interaktion untereinander dieser Tradition versichern und damit identifizieren.“ (Heinz, 1993, S. 142)

Klaus Zimmermann sieht die ethnische Gruppe als eine unfreiwillig entstandene Gruppe an, in die man hineingeboren und von der man sozialisiert wird. Eine Person wird also aufgrund der gemeinsamen Abstammung und Kultur zu einem Mitglied dieser Gruppe. (Vgl. Zimmermann, 1992, S. 100)

Es gibt einige Hauptmerkmale, die eine ethnische Gruppe charakterisieren, zu denen nach Zimmermann gemeinsame Religion, Sprache, Werte und Sitten gehören. Laut Jaquces d’Adesky lassen sich Rasse, Religion und Sprache als Grundpfeiler ausmachen. Die Geschichte ist für ihn das Epizentrum eines gemeinsamen kulturellen Erbes; das Zugehörigkeitsgefühl und der Wille zusammenzuleben ist Ausdruck einer kulturellen Gemeinschaft. (Vgl. d’Adesky, 2001, S. 39) Dies wird auch von Selim Abou unterstrichen, der davon ausgeht, dass es sich um eine ethnische Gruppe handelt, wenn deren Mitglieder mit eigenen Augen erkennen und vor anderen dazu stehen, dass sie gemeinsame geschichtliche Wurzeln bzw. einen gemeinsamen Ursprung besitzen. (Vgl Abou, 1985) Christian P. Scherrer stellt ebenfalls heraus, dass es sich um eine historisch gewachsene oder wiederentdeckte Gemeinschaft von Menschen handelt, die über ein kollektives Gedächtnis oder geschichtliche Erinnerung einschließlich der Mythen verfügt. Merkmale wie Rasse und Religion sind für ihn jedoch nicht als sinnvoll anzusehen. Rasse ist für ihn als Kategorie schwer belastet, da „[…] europäische Rassentheorien integraler Teil kolonialer Rechtfertigungsideologien waren.“ (Scherrer, 1997) Eine gemeinsame Religion als Hauptmerkmal anzuführen, ist für ihn fragwürdig, da z.B. während der Kolonialisierung die Annahme einer fremden Religion eine Maßnahme zur kolonialen Unterwerfung war. (Vgl. Scherrer, 1997)

Ein jedoch für alle unerlässliches Merkmal stellt das gemeinsame Territorium dar. (Vgl. d’Adesky, 2001, S. 191) Dieses Territorium muss nicht nur als geographischer Raum, in dem die Menschen zusammenleben gesehen werden, sondern auch als ein Raum, der ein kollektives Bewusstsein schafft und in dem wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Interessen eine Rolle spielen, wie z.B. in gemeinsamen Institutionen oder Vereinen. (Vgl. ebd., S. 54)

Für Scherrer ist die Solidarität unter den Mitgliedern, die ein „Wir-Gefühl“ vermittelt, ebenfalls von herausragender Bedeutung. (Vgl. Scherrer, 1997)

Von diesen zusammengetragenen Merkmalen sind jedoch nicht alle unabdingbar, d. h. auch wenn es z. B. zu religiösen Spaltungen, sprachlicher Differenz oder Wertewandel bei Teilen der Gruppe kommt, wird sie immer noch als Ethnie bezeichnet. (Vgl. Zimmermann, 1992, S. 100)

Die ethnische Gruppe ist im Gegensatz zu anderen sozialen Gruppen umfassend, d.h. sie beinhaltet alle geschlechtlichen und Altersgruppen. (Vgl. Zimmermann, 1992, S. 101)

Außerdem besitzt sie aufgrund universalistischer Tendenzen wie Globalisierung auch gemeinsame Merkmale mit anderen ethnischen Gruppen, z. B. bei der Nachahmung der Kleidung von anderen Gruppen. (Vgl. ebd., S. 102)

Zimmermann geht davon aus, dass sie auch ein Produkt menschlicher Handlungen sein können. Damit meint er, dass es ethnische Gruppen gibt, die oft gar keine offensichtlichen objektiven Unterscheidungsmerkmale hervorbringen, sondern dass das subjektive Bekenntnis, der Ethnie anzugehören, schon ausreicht, um sie als diese zu bezeichnen. Eine solche Gruppe bringt vielleicht später erst objektive Merkmale hervor. (Vgl. ebd.)

Ethnien können in die soziale Struktur eines Landes vollkommen integriert sein, aber sie können auch innerhalb eines Staates besondere Siedlungsräume haben. Sie können politisch eine kooperative Gemeinschaft bilden, d. h. als solche einen juristischen Status haben, oder aber nur als soziologisch definierte Gruppe existieren. Bei letzteren handelt es sich dann um Menschen mit einem bestimmten ethnischen Merkmal, die aber im liberalen Verständnis nur als Individuum einen juristischen Status haben.

Sie können eine eigene interne politische Struktur haben oder nach nicht-ethnischen räumlichen und administrativen Kriterien zergliedert sein. (Vgl. Zimmermann, 1992, S. 117)

Das Verhältnis zwischen ethnischen Gruppen kann aufgrund der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten entweder feindselig oder durch enge Kooperation geprägt sein. Die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder kann in einer Gesellschaft nebensächlich sein oder aber von essentieller Bedeutung für die soziale Stellung des Individuums.

Oft leben verschiedene ethnische Gruppen in einem Staatsgebiet, d. h. dass so gut wie kein Staat ethnisch homogen ist. Besonders heterogen sind Staaten, deren Existenz und Grenzziehung auf die Kolonialzeit zurückgehen. (Vgl. Heckmann, 1992)

3.3. Ethnische Minderheit

Eine ethnische Minderheit ist eine ethnische Gruppe, die als Minderheit auf einem Territorium eines Staates lebt, der mehrheitlich von einer anderen Volksgruppe gebildet wird. (Vgl. Maninger, 1998) Was eine ethnische Minderheit ausmacht und auf welchen Personenkreis diese Definition zutrifft, wird in der Regel staatlich definiert. (Vgl. Scherrer, 1997) Laut der Minderheitendefinitionen des Europäischen Rates und der UNO gelten als objektive Merkmale eine eindeutige Abgrenzung hinsichtlich ethnischer, religiöser oder sprachlicher Charakteristika und die zahlenmäßige Unterlegenheit bzw. die Nicht-Dominanz gegenüber anderen Gruppen. (Vgl. Maninger, 1998) Laut Scherrer stellen Minderheiten in einigen Staaten rein demographisch gesehen die Mehrheit der Bevölkerung dar, d. h. sie bilden nur machtverhältnismäßig gesehen eine politische Minderheit. (Vgl. Scherrer, 1997)

Ethnische Minderheiten lassen sich durch ihre Bindung und nach der Genese unterscheiden. Demnach gibt es Minderheiten ohne ein eigenes Mutterland und Minderheiten, die in einem anderen Staat die staatstragende Mehrheit bilden. Nach der Genese existieren Minderheiten, die schon immer einer gemeinsamen ethnischen Gruppe angehörten und solche ohne vorherige Gemeinsamkeiten. Außerdem gibt es ethnische Minderheiten, die ursprünglich ein gemeinsames Territorium besaßen und sich später durch Diaspora auf verschiedenen Kontinenten niederließen. Trotz der Verstreutheit bleiben die Kultur und der kulturelle Zusammenhalt der ethnischen Gruppe, deren Mitglieder in den meisten Staaten als Minderheiten leben, erhalten. (Vgl. Maninger, 1998)

Laut Scherrer erhalten nationale Minderheiten von der dominierenden Gruppe meist spezielle phänotypische und kulturelle Merkmale zugeschrieben, die von der bezeichneten Gruppe als befremdlich oder kränkend empfunden werden. (Vgl. Scherrer, 1997)

3. 4. Ethnische Identität

Im Bereich der Analyse von ethnischer Identität wird im Gegensatz zur ethnischen Gruppe der emische Aspekt in den Vordergrund gerückt. D. h. die ethnische Identität wird

„[…] als Gesamtsumme der Gefühle seitens der Gruppenmitglieder bezüglich jener Werte, Symbole und der gemeinsamen Geschichte, die sie als distinktive Gruppe identifiziert […]“ (Heinz, 1993, S. 142) angesehen.

Die meisten Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen der ethnischen Identität beschäftigen oder beschäftigt haben, sind sich bis heute nicht einig darüber, ob die ethnische Identität als besondere Ausprägung der sozialen oder der kulturellen Identität gesehen werden kann. Auch ist es ihnen bisher nicht gelungen, sich auf eine allgemein anerkannte Definition zu einigen. (Vgl. Heinz, 1993, S. 358)

Laut Heinz, der in seinem Buch versucht hat, alle unterschiedlichen Ansätze zu Ethnizität und ethnischer Identität heraus zu filtern, wird die Tendenz, ethnische Identität zu definieren, dahingehen, sie

„[…] im Spannungsverhältnis zwischen sozialen und kulturellen (einschließlich sprachlicher) Merkmale bei Menschen, die in einem irgendwie gearteten Beziehungsnetz miteinander verflochten sind, dies als historisch gewachsen betrachten und zumindest zum Teil bestrebt sind, dies beizubehalten und an die nächste Generation weiterzugeben, zu verstehen.“ (ebd.)

Für Frederick Barth[3] gibt es zwei ganz entscheidende kulturelle Merkmale, die die ethnische Identität ausmachen. (Vgl. ebd., S. 128) Diese erwirbt man laut Zimmermann durch die Sozialisation. (Vgl. Zimmermann, 1992, S. 101) Zum einen handelt es sich um die äußerlichen Signale, nach denen Menschen im Interaktionsprozess suchen und die als Identität zur Schau gestellt werden wie Kleidung und Sprache. Zum anderen sind es die grundlegenden Werteorientierungen, nach denen Individuen als Träger einer bestimmten Identität urteilen bzw. beurteilt werden. Diese kulturellen Merkmale können sich ändern und die kulturellen Inhalte können umgestaltet werden.

Außerdem ist für Barth wichtig, dass das Verhalten einzelner Mitglieder einer ethnischen Gruppe unterschiedlich sein kann, denn letztendlich zählt nur ihre Identifizierung, d.h. „Wollen sie als Mitglied einer ethnischen Gruppe verstanden werden, so sind sie es auch.“ (Heinz, 1993, S. 129)

Ausschlaggebend für Barth ist die ethnische Grenze, die die Gruppe definiert und nicht das kulturelle Material. Dabei handelt es sich um eine soziale Grenze, die mit einer territorialen deckungsgleich sein kann. (Vgl. Heinz, 1993, S. 129)

Laut Scherrer variiert die ethnische Identität eines Individuums je nach Standort bzw. Standpunkt des Beobachters. Fremdzuordnung und Eigenidentifikation können sehr verschieden sein, d.h. dass eine ethnische Gruppe sich oft selbst anders sieht als andere Gruppen sie von außen wahrnehmen. In einigen Fällen werden diese so genannten „Fremdzuweisungen“ später selbst in die eigene Identität mit aufgenommen.

Scherrer geht davon aus, dass Konfliktsituationen radikale Veränderungen für die ethnische Identität zur Folge haben können. In Bedrohungssituationen können einzelne Elemente persönlicher und kollektiver Identität überhöht werden bzw. an Einfluss verlieren. Für ihn ist die Bildung einer ethnisch-kulturellen Identität

[...]


[1] Die deutsche Bezeichnung Afrobrasilianer werde ich am häufigsten in meiner Arbeit benutzen, wenn ich mich auf die dunkelhäutige afrikanisch-stämmige Bevölkerung Brasiliens beziehe, da sie am wertfreisten ist und überwiegend in der deutschen Literatur zu finden ist. Schwarz, Schwarzsein, Schwarze(r) benutze ich einerseits sowohl als Übersetzung für den Begriffe negro, der Ausdruck eines neuen schwarzen Bewusstseins geworden ist und nicht als abwertend gilt, als auch für den Begriff preto, der in den meisten Statistiken für die Angabe der Hautfarbe schwarz benutzt wird, sowie wenn ich mich auf dunkelhäutige afrikanisch-stämmige Menschen weltweit beziehe.

[2] Um in Brasilien an einer öffentlichen Hochschule studieren zu können, muss man zuvor eine Aufnahmeprüfung (vestibular) absolvieren, in der ein Querschnitt aus dem gesamten bisher erlernten 11-jährigen Schulwissen abgefragt wird. Diejenigen, die den Test bestanden und am besten abgeschnitten haben, erhalten einen der sehr begehrten kostenlosen Studienplätze. Wer allerdings zuvor eine öffentliche Schule besucht hat, weil er sich keine private Schule leisten konnte, hat nur eine sehr geringe Chance, diesen Test zu bestehen, da die öffentliche Schulausbildung ein sehr schlechtes Niveau besitzt und meist nicht genügend Wissen vermittelt, um den Test gut zu bestehen. D.h. Schulabsolventen, die von privaten Schulen kommen, haben es in der Regel viel leichter, den Zulassungstest zu bestehen und an einer öffentlichen Universität zu studieren. Öffentliche Universitäten genießen im Gegensatz zu den öffentlichen Schulen ein höheres Ansehen als die privaten Universitäten. Da es zum größten Teil weiße Schüler sind, deren Eltern sich eine private Schulausbildung leisten können, schneiden Weiße besser bei dem Test ab und verdrängen dadurch sozialschwächere schwarze oder indigene Schüler mit weniger Vorbildung.

[3] Weiterführende Literatur: Barth (1969)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836619493
DOI
10.3239/9783836619493
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Philosophische Fakultät II, Institut für Romanistik
Erscheinungsdatum
2008 (September)
Note
2,0
Schlagworte
brasilien schwarzenbewegung afrobrasilianer identität
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Titel: 'A invenção de ser negro' - Die Untersuchung einer schwarzen Identität als ethnische Identität in Brasilien heute
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