Lade Inhalt...

Der Zusammenhang von Migration, sozialen Diensten und interkultureller Öffnung

©2008 Diplomarbeit 100 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Schweiz war schon immer ein Land, in dem sich Menschen viel bewegt haben - ob national, als Transitland oder im Sinne der Emigration oder auch Immigration. SchweizerInnen wanderten ins Ausland und Fremde kamen in die Schweiz. Diese Wanderbewegungen wurden von gesellschaftlichen Prozessen beeinflusst, denen Armut, Arbeitslosigkeit, Krieg, politische Verfolgung, Umweltkatastrophen und Bildung zugrunde lagen. Migration ist ein äusserst komplexes Phänomen, dass sich nicht auf eine Zuwanderungsgruppe oder ein Motiv von Zuwanderung beschränken lässt. Daher werden hier alle Formen von Bewegung mit dauerhafter oder temporärer Verlagerung des Lebnsmittelpunktes an einen anderen Ort als Migration verstanden. Die verschiedenen Zuwanderungsgruppen in der Schweiz bilden ethnische Minderheiten innerhalb der Aufnahmegesellschaft. Die MigrantInnen bleiben vermehrt längerfristig oder auch für immer in der Schweiz. Somit sind die MigrantInnen nicht mehr als Gast oder Gastarbeiter, sondern als Einwohner des Landes anzusehen. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit diese Menschen in die Gesellschaft integriert werden können. In diesem Zusammenhang fordert insbesondere das neue Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG), dass die schweizerische Gesellschaft diese MigrantInnen integriert. Dies bedingt eine Bereitschaft von Seiten sowohl der Einheimischen als auch der MigrantInnen. Er definierte hierbei Integration als Querschnittsaufgabe, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst, und von der öffentlichen Hand auf den Ebenen Bund, Kanton, Städte und Gemeinde vorangetrieben werden soll. Querschnittsaufgabe bedeutet, das Thema gilt für alle für alle Bereiche, für alle Ebenen, für alle Hierarchien als integrierte Strategie. Dies bedarf auch einer institutionellen Absicherung z.B. durch eine Stabsstelle.
Nach wie vor ist in der Schweiz eine zunehmende Differenzierung der Zielgruppe der MigrantInnen nach Herkunft, Einkommen, sozialen Zusammenhängen, Alter, Geschlecht, kulturellen Identifikationen, Aufenthaltsstatus, Integrationsstand und Zukunftsperspektive in den Statistiken des Bundesamtes zu verzeichnen.
Auf Grund dieser zunehmenden Differenzierung sind einerseits bei einigen Zielgruppen Integrationserfolge zu beobachten, andererseits gibt es jedoch bei vielen seit Jahren hier lebenden MigrantInnen durch die marginale sozio-ökonomische und rechtliche Stellung vielfältige Probleme der Benachteiligung. Daraus resultiert ein […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Hanim Kaya Kaplan
Der Zusammenhang von Migration, sozialen Diensten und interkultureller Öffnung
ISBN: 978-3-8366-1819-9
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten, Deutschland, Diplomarbeit, 2008
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ... 6
1.1
Hinführung zum Thema, Problemstellung und Motivation... 6
1.2
Eingrenzung des Themas und Definition der Zielgruppe ... 7
1.3
Fragestellungen und Zielsetzung der Arbeit... 8
1.4
Aufbau der Arbeit ... 8
2
Migration... 9
2.1
Begriffsdefinition Migration ... 9
2.2
Ursachen der Migration ... 9
2.3
Modelle der Migration... 9
2.3.1
Das Modell der Push-und Pull-Faktoren... 10
2.3.2
Kettenmigration ... 10
2.3.3
Zentrum Peripherie-Modell...11
2.4
Überblick über die Entwicklung der Migrationspolitik der Schweiz...11
2.4.1
Die Migrationspolitik bis zum Ersten Weltkrieg...11
2.4.2
Der Erste Weltkrieg und die Überfremdungsangst in der Zwischenkriegszeit der Schweiz... 12
2.4.3
Schweizer Migrationspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg ... 12
2.4.4
Schweizer Migrationspolitik seit 1970 ... 13
2.5
Status quo der Migration in der Schweiz... 14
2.6
Fazit... 16
3
Integration... 17
3.1
Begriffsdefinition Integration ... 17
3.2
Die vier Dimensionen der Integration ... 18
3.2.1
Systemintegration ... 19
3.2.2
Sozialintegration ... 20
3.2.2.1
Kulturation als kulturelle Integration... 20
3.2.2.2
Platzierung als strukturelle Integration ... 21
3.2.2.3
Interaktion als soziale Integration ... 22

3.2.2.4
Identifikation... 22
3.3
Zusammenhänge zwischen den Dimensionen der Integration... 23
3.4
Der Status quo der Integration in der Schweiz... 24
3.5
Die Integrationspolitik des Bundes seit Mitte der neunziger Jahre... 26
3.5.1
Überblick über die gesetzlichen Entwicklungen im Hinblick auf die Integration ... 26
3.5.2
Überblick über aktuelle Integrationsmassnahmen in der Schweiz... 27
3.6
Auswirkungen der gesetzlichen und politischen Verankerung der Integration am Beispiel
der Stadt Basel... 28
3.6.1
Das Integrationsprojekt "Integration Basel" ... 29
3.6.2
Integrationsprojekt im Sicherheitsdepartment der Stadt Basel ... 29
3.7
Integrationspolitik und die Aufgabe der Sozialen Arbeit ... 29
3.8
Fazit... 30
4
Soziale Dienste und ihre Interkulturelle Öffnung ... 31
4.1
Begriffsdefinition soziale Dienste... 31
4.1.1
Soziale Dienste als persönliche Dienstleistung... 31
4.1.2
Institutionalisierung ... 31
4.1.3
Ziel der sozialen Dienste... 31
4.2
Integration durch Öffnung bestehender Institutionen ... 32
4.3
Kultur... 33
4.4
Begriffsdefinition Interkulturell ... 34
4.5
Interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste ... 34
4.5.1
Nutzung von sozialen Diensten durch MigrantInnen... 35
4.5.2
Die Präsenz von SozialarbeiterInnen mit Migrationshintergrund in sozialen Diensten ... 36
4.5.3
Diskussion der interkulturelle Öffnung in der Wissenschaft ... 37
4.6
Anforderungen an die Träger und die Institutionen, das Team, die Mitarbeitenden und die
Ausbildungsstätte... 40
4.6.1
Anforderungen an die Träger und die Institutionen der sozialen Dienste... 40
4.6.2
Anforderungen an das Team ... 42
4.6.3
Anforderungen an die SozialarbeiterInnen ... 43
4.6.3.1
Interkulturelle Kompetenz ... 44

4.6.4
Anforderungen an die Ausbildungsstätten ... 48
4.7
Fazit... 49
5
Methoden der Datenerhebung und -Auswertung ... 50
5.1
Das ExpertInneninterview ... 50
5.2
Auswahl der ExpertInnen ... 51
5.3
Auswertung offener Fragen ... 52
6
Schlussteil ... 54
6.1
Resultate der geführten Interviews ... 54
6.2
Beantwortung der Fragestellung und Schlussfolgerungen... 62
6.3
Kritische Diskussion ... 65
6.4
Selbstreflexion ... 66
6.5
Ausblick ... 67
7
Literaturverzeichnis ... 69
8
Tabellenverzeichnis ... 74
9
Anhang... 75
Interviewleitfaden...75
Transkript A...77
Transkript B...87

Abstract
Ziel dieser Arbeit ist es, anhand der Literatur zu erforschen, welche Anforderungen eine interkulturelle
Öffnung im Sinne der Integration von MigrantInnen an die sozialen Dienste stellt und inwieweit diese
Anforderungen in Basel bis jetzt umgesetzt werden konnten.
Die Arbeit zeigt auf, welche Ursachen zu Migration führen. Darauf aufbauend wird aufgezeigt, welche
Folgen und Herausforderungen die Migrationsbewegungen für die Schweizer Bevölkerung haben und wie
die Politik mit dem Thema Migration in den letzten Jahrzehnten umgegangen ist. Der Einfluss der
Migrationspolitik auf die Integration von Migrantinnen. Die Arbeit stellt fest, dass die Migration weiter
anhalten wird und die Schweiz sich zu einem Einwanderungsland gewandelt hat. Es ist das erklärte Ziel des
Bundesrats, die MigrantInnen in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren. Im Rahmen der Arbeit wird
daher genauer dargelegt, welche Dimensionen von Integration existieren und inwieweit diese von den
schweizerischen Gesetzen und der Politik angesprochen werden. Eine Studie des Bundesamt für Migration
kommt zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung der Integration als mangelhaft zu beurteilen ist. In diesem
Kontext zeigt die Diplomarbeit, dass die Soziale Arbeit im Stande ist, die angesprochenen
Integrationsdimensionen zu unterstützen. Jedoch wird Soziale Arbeit oftmals von so genannten
Sonderdiensten durchgeführt, was statt der Integration eher
die Segregation der MigrantInnen von den
Einheimischen fördert. Viele Wissenschaftler wie Praktiker appellieren, dass die Regeldienste, welche alle
EinwohnerInnen als ihre Kunden ansehen, sich öffnen sollten und versuchen müssen, die MigrantInnen
besser zu erreichen. Noch im Jahr 1995 kam die damals wichtigste Studie von Hinz-Rommel zu dem
Ergebnis, dass eine interkulturelle Öffnung kaum stattgefunden hat.
Zusätzlich zur Literaturrecherche untersucht diese Arbeit im Rahmen von Experteninterviews, inwieweit
dieser Zustand auf den Raum Basel im Jahr 2007 zutrifft. Sie kommt zum Resultat, dass in Basel die
interkulturelle Öffnung bis jetzt nur ungenügend umgesetzt worden ist. Zwar sind hier einige gute Ansätze zu
erkennen, jedoch finden diese Bemühungen primär auf individueller oder auf institutioneller Ebene statt. Ein
Gesamtkonzept zur interkulturellen Öffnung für den Raum Basel scheint zu fehlen. Aufbauend auf dieser
Einschätzung werden diverse Handlungsempfehlungen gegeben, welche eine Förderung der Umsetzung der
interkulturellen Öffnung im Fokus haben. Die Arbeit schliesst mit dem Gedanken, dass das neue Bundesamt
für Migration, welches eine Koordinationsfunktion der kommunalen und kantonalen Institutionen innehat, in
Zukunft den Mangel beheben könnte.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 6
1
Einleitung
1.1
Hinführung zum Thema, Problemstellung und Motivation
Die Schweiz war schon immer ein Land, in dem sich Menschen viel bewegt haben ­ ob national, als
Transitland oder im Sinne der Emigration oder auch Immigration. SchweizerInnen wanderten ins Ausland
und Fremde kamen in die Schweiz. Diese Wanderbewegungen wurden von gesellschaftlichen Prozessen
beeinflusst, denen Armut, Arbeitslosigkeit, Krieg, politische Verfolgung, Umweltkatastrophen und Bildung
zugrunde lagen. Migration ist ein äusserst komplexes Phänomen, dass sich nicht auf eine Zuwanderungs-
gruppe oder ein Motiv von Zuwanderung beschränken lässt. Daher werden hier alle Formen von Bewegung
mit dauerhafter oder temporärer Verlagerung des Lebnsmittelpunktes an einen anderen Ort als Migration
verstanden. Die verschiedenen Zuwanderungsgruppen in der Schweiz bilden ethnische Minderheiten inner-
halb der Aufnahmegesellschaft. Die MigrantInnen bleiben vermehrt längerfristig oder auch für immer in der
Schweiz. Somit sind die MigrantInnen nicht mehr als Gast oder Gastarbeiter, sondern als Einwohner des
Landes anzusehen. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit diese Menschen in die Gesellschaft integriert wer-
den können. In diesem Zusammenhang fordert insbesondere das neue Bundesgesetz über die Ausländerinnen
und Ausländer (AuG), dass die schweizerische Gesellschaft diese MigrantInnen integriert. Dies bedingt eine
Bereitschaft von Seiten sowohl der Einheimischen als auch der MigrantInnen. Er definierte hierbei
Integration als Querschnittsaufgabe, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst, und von der öffentlichen
Hand auf den Ebenen Bund, Kanton, Städte und Gemeinde vorangetrieben werden soll. Querschnittsaufgabe
bedeutet, das Thema gilt für alle für alle Bereiche, für alle Ebenen, für alle Hierarchien als integrierte
Strategie. Dies bedarf auch einer institutionellen Absicherung z.B. durch eine Stabsstelle.
Nach wie vor ist in der Schweiz eine zunehmende Differenzierung der Zielgruppe der MigrantInnen nach
Herkunft, Einkommen, sozialen Zusammenhängen, Alter, Geschlecht, kulturellen Identifikationen, Aufent-
haltsstatus, Integrationsstand und Zukunftsperspektive in den Statistiken des Bundesamtes zu verzeichnen.
Auf Grund dieser zunehmenden Differenzierung sind einerseits bei einigen Zielgruppen Integrationserfolge
zu beobachten, andererseits gibt es jedoch bei vielen seit Jahren hier lebenden MigrantInnen durch die
marginale sozio-ökonomische und rechtliche Stellung vielfältige Probleme der Benachteiligung. Daraus
resultiert ein besonderer Beratungs- und Dienstleistungsbedarf (vgl. Zacharaki 2005: 173).
Einerseits verfügen die Migrationsfachdienste aufgrund ihrer zielgruppenspezifischen Ausrichtung im
Prinzip über einen guten Zugang zu den MigrantInnen. Im Zuge der ständig wachsenden Problematiken und
der Erweiterung der zu beratenden Zielgruppe stehen sie immer wieder vor neuen Anforderungen. Die
Regeldienste andererseits, welche sowohl für die SchweizerInnen als auch für die ImmigrantInnen zuständig
sind, sind oftmals mit den zielgruppenspezifischen Problemen der MigrantInnen bereits im Rahmen der
ersten Kontaktaufnahme überfordert. Sie verweisen die Betroffenen daher häufig an die Migrations-
fachdienste, womit diese zunehmend überlastet werden (vgl. Auernheimer 2006: 200).
Ziel muss es sein, die Voraussetzungen zu verbessern, so dass alle EinwohnerInnen der Schweiz, unabhängig
von ihrer ethnisch-kulturellen Prägung und Herkunft, soziale Einrichtungen in Anspruch nehmen können.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 7
In den letzten Jahren wird daher von interkultureller Öffnung der sozialen Dienste gesprochen. Im Rahmen
der interkulturellen Öffnung der sozialen Dienste wird gefordert, dass die SozialarbeiterInnen sich interkultu-
relle Kompetenz aneignen, die Ausbildungsstätten wie die sozialen Einrichtungen vermehrt MitarbeiterInnen
bzw. StudentenInnen mit Migrationshintergrund zulassen uvm. (vgl. Simon-Hohm 2004: 233).
In der Schweiz begann die Diskussion der interkulturellen Öffnung im Auftrag des Bundesamts für Zuwan-
derung, Integration und Auswanderung (Imes) und der Eidgenössischen Ausländerkommission (EKA). Eine
von PricewaterhouseCoopers durchgeführte Vorstudie wurde im Jahr 2003 unter dem Namen ,,Vorstudie
Integrationsförderung in der Verwaltung" veröffentlicht. Es ging um die Frage, ob und wie der einheitliche
und diskriminierungsfreie Zugang zu staatlichen Ressourcen und zu Leistungen von gleichmässiger Qualität
für ausländische Personen durch ein verbessertes Verwaltungsmanagement und eine interkulturelle Öffnung
der öffentlichen Verwaltung gewährleistet bzw. verbessert werden kann, um damit eine Breitenwirkung der
Integrationsförderung zu erreichen (vgl. PricewaterhouseCoopers März 2008).
Die EKA hat im Dezember 2003 das Departement Migration des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK damit
beauftragt, eine Grundlage zum Thema der Öffnung von Institutionen der Zivilgesellschaft zu erarbeiten. Der
Bericht liefert eine Diskussionsgrundlage für die Entwicklung einer Position zum Thema ,,Öffnung von
Institutionen der Zivilgesellschaft" sowie konkreter Handlungsoptionen und -empfehlungen zur gezielten
Öffnung zivilgesellschaftlicher Institutionen (vgl. Schweizerisches Rotes Kreuz März 2008)
Ich bin der Meinung, dass die interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste als Bestandteil der Integrations-
arbeit zukunftsweisend ist. Es scheint mir essentiell, dass SozialarbeiterInnen dieses Konzept kennen, verin-
nerlichen und im Arbeitsalltag umsetzen. Als Sozialarbeiterin mit Migrationshintergrund kenne ich sowohl
die Seite der sozialen Dienste als auch die Seite der MigrantInnen. Diese Gesamtperspektive stellt meine
Motivation für die Erstellung dieser Diplomarbeit dar.
1.2
Eingrenzung des Themas und Definition der Zielgruppe
Als Beispiel für Integrationsbemühungen im Kontext der interkulturellen Öffnung auf Kantons- bzw. Ge-
meindeebene wurde Basel gewählt, weil Basel im Integrationsbereich eine Pionierrolle einnimmt (vgl.
SozialAktuell 2007: 23) Dazu wurden zusätzlich zur Literaturrecherche zwei Fachkräfte der Sozialarbeit der
Stadt Basel interviewt.
Die Zielgruppe dieser Arbeit sind Personen, welche in der Schweiz wohnen und sich als MigrantInnen
bezeichnen. Zu dieser Gruppe werden auch Menschen mit Schweizer Staatsbürgerschaft gezählt, welche von
der Gesellschaft jedoch als MigrantInnen angesehen werden. Es handelt sich hierbei um MigrantInnen
sowohl der ersten als auch der zweiten Generation.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 8
1.3
Fragestellungen und Zielsetzung der Arbeit
Meine Arbeit geht folgenden Fragestellungen nach:
-
Welche Anforderungen stellt im Kontext einer verbesserten Integration der MigrantInnen die
interkulturelle Öffnung an die sozialen Dienste der Deutschschweiz?
-
Inwieweit sind die theoretischen Anforderungen der interkulturellen Öffnung an die sozialen
Dienste in Basel bereits in die Praxis umgesetzt worden?
Ziel meiner Arbeit ist es, den oben formulierten Fragestellungen durch eine Literaturrecherche und Inter-
views nachzugehen. Dabei erarbeite ich an Hand der Theorie mögliche Handlungsschritte, welche die Um-
setzung der interkulturellen Öffnung fördern und untersuche im Speziellen, inwiefern die interkulturelle
Öffnung der sozialen Dienste in Basel realisiert wurde.
1.4
Aufbau der Arbeit
Nach dem Abstract und der Einleitung führt Kapitel zwei in die Thematik Migration ein. Hier werden der
Begriff Migration definiert, drei Migrationsmodelle erläutert und die Geschichte sowie die aktuelle Situation
in der Schweiz dargestellt. Deutlich wird dabei, dass immer mehr EinwanderInnen für längere Zeit oder gar
für immer in der Schweiz verweilen.
Kapitel drei geht der Integrationstheorie von Esser nach, welche vier Integrationsdimensionen umfasst. Im
Anschluss werden der gesellschaftliche und der gesetzliche Status quo der Integration in der Schweiz er-
läutert. Dieses Kapitel zeigt die verschiedenen Probleme auf, welche im Rahmen des Integrationsprozesses
entstehen. Kapitel vier definiert die sozialen Dienste, welche im Rahmen der Integrationsbemühungen eine
entscheidende Rolle spielen, da sie versuchen, die Chancengleichheit für alle Einwohner der Schweiz,
demnach auch für die MigrantInnen, zu gewährleisten. Im Kapitel fünf werden die Methoden der Daten-
erhebung erläutert ­ wie die Auswertung der Interviews. Die Resultate und deren Verknüpfung mit den in
den vorgehenden Kapiteln dargelegten Theorien sind Gegenstand von Kapitel sechs. Kapitel sieben behan-
delt die Beantwortung der Fragestellungen und damit verbundene Schlussfolgerungen. Das letzte Kapitel
umfasst die kritische Würdigung und einen Ausblick auf die mögliche Entwicklung unter den neuen gesetz-
lichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der interkulturellen Öffnung.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 9
2
Migration
Dieses Kapitel behandelt das Thema Migration. Einführend wird der Begriff Migration definiert und genauer
erläutert. Darauf folgend werden drei Modelle der Migration beschrieben, welche die Ursachen und den Ab-
lauf von Migration darstellen. Im Anschluss wird die Geschichte der Migration speziell in der Schweiz erläu-
tert und abschliessend die aktuelle Migrationspolitik der Schweiz dargelegt.
2.1
Begriffsdefinition Migration
Der Begriff der Migration hat seinen Ursprung im lateinischen Wort ,,migrare" bzw. ,,migratio" (wandern,
wegziehen, Wanderung). In den Sozialwissenschaften werden unter dem Begriff der Migration allgemein
solche Bewegungen im Raum von Personen und Personengruppen verstanden, welche einen permanenten
Wohnortwechsel vollziehen. Laut den Vereinten Nationen ist ein Wohnortwechsel dauerhaft, wenn dieser für
länger als ein Jahr vom Herkunftsland in ein anderes Land verlegt wird (vgl. Han 2000: 7). Das Kriterium
des Wohnortwechsel ist auch für die soziologische Begriffsbestimmung der Migration wesentlich, unab-
hängig davon, ob dieser Wechsel freiwillig oder unfreiwillig erfolgt (vgl. ebd.: 7f.). Im Jahr 2007 lebten 3%
aller Menschen der Welt nicht in dem Land, in welchem sie geboren wurden (vgl. NZZ 2007: 23).
2.2
Ursachen der Migration
Laut Hamburger gibt es fünf mögliche Ursachen der Migration (vgl. Hamburger 2001: 1211ff.):
Kriege und Naturkatastrophen
Wirtschaftliche Not, Arbeitslosigkeit und materielle Verelendung
Flucht aus Gründen politischer und religiöser Verfolgung
Soziale Gründe
Individuelle und persönliche Gründe
Es wird ersichtlich, dass eine eindeutige Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration
schwer fällt. Die Auslöser von Migration sind oftmals komplexe, zusammenhängende Ursachen oder
Zwänge und subjektiv unterschiedlich begründete Entscheidungen. Sie sind in der Regel das Ergebnis eines
Zusammenspiels mehrerer Ursachen, die sowohl auf der gesellschaftlich strukturellen als auch auf der
individuellen Ebene angesiedelt werden können. Migration kann selten monokausal erklärt werden (vgl. Han
2000: 8). Deshalb wurden Modelle entwickelt, die zur Erklärung herangezogen werden können.
2.3
Modelle der Migration
Im Folgenden werden drei Modelle vorgestellt, welche die verschiedenen Einflussfaktoren der Migration
genauer beleuchten.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 10
2.3.1
Das Modell der Push-und Pull-Faktoren
Ein klassischer Erklärungsansatz der komplexen Bestimmungsfaktoren der Migration ist das Modell der
Push-und-Pull-Faktoren. Dieses Modell wurde einst von Everett S. Lee (1966) entwickelt und von
verschiedenen Wissenschaftlern weiterentwickelt. Push-und-Pull-Faktoren werden insbesondere durch wirt-
schaftliche und demographische Faktoren wie Arbeitsmarktgegebenheiten, Lohnniveau und Bevölkerungs-
entwicklung bestimmt.
Laut Han beschreiben die Push-Faktoren die Motivationen für das Verlassen des Heimatlandes, wie z.B.
politische und religiöse Verfolgungen, wirtschaftliche Krisen, zwischenstaatliche Kriege, Bürgerkriege, Um-
welt- und Naturkatastrophen. Pull-Faktoren bezeichnen die Gründe für die Attraktivität eines Ziellandes der
Migration wie z.B. politische Stabilität, demokratische Strukturen, religiöse Glaubensfreiheit, wirtschaftliche
Prosperität und bessere Bildungs- und Verdienstmöglichkeiten (vgl. Han 2000: 14). Wichtig ist laut
Hamburger, dass die Angebote im Einwanderungsland, sprich die Pull-Faktoren, als entscheidende
Migrationsauslöser von den MigrantInnen angesehen werden und ein Verlassen des Ursprungslandes loh-
nenswert erscheinen lassen. So waren etwa nach dem Zweiten Weltkrieg die Interessen der Arbeitgeber in
der Schweiz so stark, dass dieser Pull-Faktor überwog, und z.B. viele italienische Arbeitskräfte einwanderten
(vgl. Hamburger 2001: 1214ff.).
Weiss betont, dass für die Wanderungsentscheidung insbesondere die persönlichen Absichten der migrie-
renden Person den Ausschlag geben. Nur so ist nachvollziehbar, warum Menschen, welche in ähnlichen
sozio-ökonomischen Verhältnissen leben, grundsätzlich nicht alle auswandern. In den letzten Jahrzehnten
waren meist Armut und Verfolgung als Push-Faktoren verantwortlich für die Migration. Heutzutage ist laut
Weiss die Globalisierung der Hauptfaktor der Wanderungsbewegungen. Die mit der Globalisierung verbun-
denen gesunkenen Reisekosten, die Möglichkeit, Ferien im Herkunftsland zu machen, sowie der techno-
logische Fortschritt, der die Kommunikation mit den Verwandten und die Distanzbewältigung stark verein-
facht hat, haben die Hemmschwellen der potentiellen MigrantInnen deutlich reduziert. Laut Weiss greifen so-
mit die Pull-Faktoren zunehmend öfter, da die zu erbringenden Opfer und Hemmnisse, wie z.B. das Zurück-
lassen der Heimat und der Familie, durch oben erwähnte Faktoren limitiert wird. Ein weiterer wichtiger Fak-
tor für die heutige Migration sind die Internationalisierung und die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Die
Globalisierung führt somit zu einer internationalen Arbeitsteilung auf allen Ebenen, welche die Migration
verstärkt. Die meisten Arbeitssuchenden werden hierbei zwischen den jeweiligen Regionen nach Bedarf des
Kapitals hin- und her verschoben. Dieser Trend trifft auch auf die Schweiz zu, da sich die Zu- und
Abnahmeverläufe der MigrantInnen mit den konjunkturellen Wirtschaftszyklen nahezu decken (vgl. Weiss
2003: 11ff.).
2.3.2
Kettenmigration
Das zweite zu erwähnende Modell ist das Modell der Kettenmigration. Dieses Modell betrachtet die starken
(gross-)familiären und sippenbezogenen Beziehungen, welche die Entscheidungsfindung zur Migration
beeinflussen (vgl. Haug 2000: 15). Ein Mitglied einer Familie wandert in ein Land aus, um z.B. in der
zugewanderten Region eine neue Arbeitsperspektive aufbauen zu können und später dann die Mitglieder

Kaya Kaplan Hanim
Seite 11
seiner Familie durch Individualwanderung nachzuholen. (vgl. Han 2000: 12f.).
2.3.3
Zentrum Peripherie-Modell
Das dritte Modell ist das Zentrum-Peripherie-Modell. Die Beziehungen in und zwischen Gesellschaften
basieren dabei auf einem Konzept konzentrischer Kreise, welche sich um einen Mittelpunkt von wirtschaft-
licher, politischer und militärischer Macht legen. Die Länder mit geringen Einflusschancen auf das Gesche-
hen der Regionen bilden die Peripherie. Migration wird als eine Form der Beziehung zwischen Zentrum und
Peripherie definiert. Sobald das Zentrum Arbeitskräfte braucht, werden sie angeworben bzw. wird deren
Migration durch Einwanderungsregelungen gebilligt. Wenn das Zentrum keiner Arbeitskräfte mehr bedarf,
wird der Aufenthalt der MigrantInnen befristet und schliesslich beendet. Die Peripherie hat dann die poten-
tiellen MigrantInnen so lange "aufzubewahren", bis sie wieder angeworben werden (vgl. Hamburger 2001:
1216).
Die drei erläuterten Modelle widersprechen sich nicht, sondern legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche
Aspekte. Das Push-und-Pull-Modell thematisiert eher die Entscheidungsfindung von Individuen, dass
Migration in vielen Fällen nicht freiwillig geschieht, berücksichtigt der Modell. Dabei wird Migration
sowohl durch positive Faktoren in potenziellen Ziel gebieten als auch durch negative Faktoren im Her-
kunftsgebiet bzw. Wohngebiet bestimmt. Das heisst: Im Zielgebiet sind eine ganze Reihe positiver Faktoren
oder Anziehungskräfte (,,Pull-Faktoren") und im Herkunftsgebiet mögliche negative Faktoren oder Abstos-
sungskräfte (,,Push-Faktoren") wirksam, die die Wanderungswahrscheinlichkeit erhöhen. Das Modell der
Kettenmigration eher die der (Gross-)Familien und das Zentrum-Peripherie-Modell eher die wirtschaftlicher
Regionen.
2.4
Überblick über die Entwicklung der Migrationspolitik der Schweiz
Die Schweiz hat sich in den vergangenen 50 Jahren zu einem Einwanderungsland entwickelt. Laut Ein-
schätzung des Bundesamtes für Statistik sind seit 1945 zwei Millionen Menschen in die Schweiz einge-
wandert oder leben hier als Nachkommen von EinwanderInnen (vgl. Wicker et al. 2003: 7). In den letzten
Jahrzehnten sind in der Schweiz bezüglich der Ausländerpolitik unterschiedliche Etappen zu beobachten,
welche sich sowohl in der Pädagogik als auch in der Sozialen Arbeit widerspiegeln.
2.4.1
Die Migrationspolitik bis zum Ersten Weltkrieg
In der Zeit des grossen Wirtschaftsaufschwungs vor 1900 wanderten erstmals viele Menschen in die Schweiz
ein. Die Schweiz wurde zu einem attraktiven Ziel von ImmigrantInnen. Der wachsende Bedarf an Arbeits-
kräften, die liberale Ausländergesetzgebung und die im europäischen Vergleich sehr strenge Einbürgerungs-
politik hatten zur Folge, dass der Ausländeranteil in der Schweiz zwischen 1888 und 1914 von knapp 8 auf
16 Prozent anstieg. Die meisten der ausländischen Arbeitskräfte um 1900 kamen aus den unmittelbaren
Nachbarländern, insbesondere aus Norditalien. Die Mehrzahl von ihnen arbeitete in der Industrie, als
Handwerker oder im Hoch- und Tiefbau. Vor allem die ItalienerInnen, die damals von allen Immigrant-
Innengruppen am exotischsten erschienen, wurden häufig angefeindet. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie

Kaya Kaplan Hanim
Seite 12
die Löhne drückten oder dass sie Streikbrecher seien (vgl. Wicker et al. 2003: 45).
2.4.2
Der Erste Weltkrieg und die Überfremdungsangst in der Zwischenkriegszeit der
Schweiz
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurden viele in der Schweiz lebenden ImmigrantInnen aus Krieg
führenden Ländern von ihren Armeen eingezogen und mussten die Schweiz verlassen. In ganz Europa
begann eine Epoche der eingeschränkten Bewegungsfreiheit.
Nach 1918 wanderten kaum neue ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz ein. Die stagnierende Wirtschaft
und die Rationalisierungsmassnahmen in den Fabriken senkten den Bedarf an neuen Arbeitskräften. Zudem
waren Branchen wie die Textilindustrie oder der Hochbau, wo traditionell viele AusländerInnen arbeiteten,
besonders von der Krise betroffen. Die stetig zunehmenden Arbeitslosenzahlen schwächten die Anziehungs-
kraft der Schweiz für ausländische Arbeitskräfte zusätzlich. Trotz der rückläufigen Zahlen nahm die so ge-
nannte Überfremdungsangst der Schweiz in der Zwischenkriegszeit markant zu. Bis zum Zweiten Weltkrieg
bildete die Angst vor zu vielen AusländerInnen, die den SchweizerInnen unter anderem die Arbeitsplätze
streitig machen könnten, ein viel diskutiertes Politikum.
1917 schuf der Bund mit der Fremdenpolizei ein Amt, das eine immer restriktiver werdende Haltung gegen-
über AusländerInnen zeigte. Unter dem Schlagwort der ,,Überfremdung" schränkte der Bund die freie Nie-
derlassung sowie die berufliche Mobilität der ausländischen Wohnbevölkerung immer mehr ein (vgl. Wicker
2003: 50f.)
2.4.3
Schweizer Migrationspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg benötigte die Schweiz erneut ausländische Arbeitskräfte. Die Menschen insbe-
sondere aus südwesteuropäischen Regionen sahen in Anbetracht der im Herkunftsland herrschenden Arbeits-
losigkeit die Immigration in die Schweiz als attraktive Möglichkeit, eine Arbeitsstelle zu finden (vgl. Nieder-
berger 2004: 42). Verstärkt wurde dieser Einwanderungseffekt durch das aktive Anwerben von südwest-
europäischen Arbeitern durch die schweizerischen industriellen Unternehmen, überwiegend der Bauwirt-
schaft. Somit begünstigten die starken Pull-Faktoren der
Schweiz die Migration in dieses Land. Von 1950 bis
1960 stieg der Ausländeranteil von 5,8% auf 9,1% an (vgl. ebd.: 37).
Die Gastarbeiter sollten nach einer bestimmten Zeit wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren. Deshalb
wurden vielen EinwanderInnen nur befristete Aufenthaltsbewilligungen erteilt, die verhinderten, dass ihre
Familien nachziehen konnten. Obwohl das politische Gebot der Fremdenabwehr Gültigkeit hatte, wurden mit
Italien im Jahr 1964 und später mit anderen südwesteuropäischen Staaten Rekrutierungsabkommen geschlos-
sen. So wurde durch die Rekrutierung von italienischen Saisonniers, die nur neun Monate im Jahr in der
Schweiz wohnten und ihre Familie nicht nachkommen lassen durften, die Einwanderung strikt geregelt. Mit
Blick auf das erwähnte Zentrum-Peripherie-Modell stellt die Schweiz das Zentrum und die anderen Länder
die Peripherie dar. Die anderen Länder konnten eine limitierte Anzahl an Arbeitskräften in die Schweiz
entsenden, jedoch nur für einen festgelegten Zeitraum. Im Rahmen des Rekrutierungsabkommen wurden

Kaya Kaplan Hanim
Seite 13
jährlich
neue Quotensysteme ausgehandelt. Dies hat es der Schweiz ermöglicht, die Nachfrage der Wirtschaft
nach billigen Arbeitskräften zu decken. Das Quotensystem stellte somit laut Wicker das Fundament für eine
Stabilisierungspolitik dar. So konnte die Immigration ganz in den Dienst der Industrie gestellt werden. Eine
Integration der AusländerInnen wurde nicht angestrebt (vgl. Wicker et al. 2003: 103).
2.4.4
Schweizer Migrationspolitik seit 1970
1970 teilte der Bund jedem Kanton so genannte "Ausländerkontingente" zu. Das Ziel war eine
gesamtschweizerische Begrenzung der Ausländerzahlen. Damit reagierte der Bundesrat indirekt auf mehrere
Volksinitiativen, die seit 1965 wiederholt einen Stopp der "Überfremdung" der Schweiz gefordert hatten. Die
bekannteste dieser Initiativen ist die sogenannte "Schwarzenbach-Initiative", benannt nach dem Initianten
und damaligen Mitglied der fremdenfeindlichen "Nationalen Aktion", dem Zürcher Nationalrat James
Schwarzenbach (vgl. Stienen 2006: 55f.).
Die Wirtschaftskrise des Jahres 1973 zwang viele ausländische Arbeitskräfte zur Rückkehr, da arbeitslos
gewordene AusländerInnen zu jener Zeit nicht mit der Erneuerung der Aufenthaltsberechtigung rechnen
durften. Nach der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre bildet bis heute der Familiennachzug einen wichtigen
Faktor für die anhaltende Einwanderung in die Schweiz (vgl. D'Amato 2006: 23).
Erst Ende der 1970er-, Anfangs der 1980er-Jahre veränderten sich die gesellschaftlichen Bedingungen
(Produktionsbedingungen, Sozialstaat, Bildungssystem, etc.) grundlegend dahin, dass immer mehr
Zugewanderte aus dem Arbeitsmarkt bzw. aus dem Bildungssystem ausgeschlossen wurden. Es gab
Arbeitslose und Fürsorgeabhängige, die nicht zurückgeschickt werden konnten, sondern als Niedergelassene
das Recht hatten zu bleiben. Diese Menschen wurden der Institution der Sozialhilfe anvertraut. Die
Sozialhilfe war als Instanz zuständig für die Integrationsvermittlung und sollte neben der Niederlassung eine
Zweitsicherung garantieren. Jedoch verfügte sie keine Instrumente, mit denen sie die Ursachen von Aus-
grenzung, mit der Migrierende konfrontiert waren, beheben konnte. Somit wurde das politisch verursachte
Problem ignoriert, dass MigrantInnen längerfristig in der Schweiz blieben, ohne adäquate Integrations-
unterstützung zu erhalten, und die MigrantInnen mit ihren unmittelbar auftretenden Schwierigkeiten an die
Sozialhilfe verwiesen. Dieser Zustand prägt den Umgang mit der Zuwanderung bis heute entscheidend (vgl.
Sancar-Flückiger 2003: 5).
Mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union
(EU) sind EU-BürgerInnen im Rechtssinn keine AusländerInnen mehr. Die EU verfolgt die Strategie, ihre
Region ausschliesslich für hochqualifizierte Fachleute aus Drittstaaten attraktiv zu machen, ohne dabei den
Grenzverkehr der EU einzuschränken. Dies wurde durch die Abschaffung der Grenzkontrollen innerhalb der
EU bzw. durch die Einführung einer Visapflicht für Menschen aus Drittstaaten erreicht, welche die Einwan-
derung in diese Staaten fast unmöglich machte. Die Schweiz hat sich an dieser Entwicklung mit den bilate-
ralen Verträgen seit Juni 2002 beteiligt. Die bilateralen Verträge garantieren den SchweizerInnen innerhalb
des EU-Raums das Recht auf geographische und berufliche Mobilität. Mit dem Inkrafttreten des Freizügig-
keitsabkommens hat sich die Zuwanderung von BürgerInnen aus dem EU-15/EFTA-Raum in die Schweiz
verstärkt, während sich jene aus den Drittstaaten abgeflacht hat (vgl. D'Amato 2006: 23). Stellt man die

Kaya Kaplan Hanim
Seite 14
Geschichte der Migrationspolitik in Zusammenhang mit den in Kapitel 2.3.1 erwähnten Migrationsmodellen,
so ist zu erkennen, dass diese drei Modelle nach wie vor in der Schweiz ihre Gültigkeit besitzen. Das Modell
der Push-und-Pull-Faktoren trifft auf die Schweiz immer noch zu. Hierbei vollzog sich jedoch in den letzten
Jahren ein Wandel dahingehend, dass die Migrationspolitik die Pull-Faktoren insbesondere für qualifizierte
Arbeitskräfte fördert und somit versucht, weniger qualifizierte Menschen nicht anzuwerben. Die Ketten-
migration findet nach wie vor statt, wobei mittlerweile nicht mehr grösstenteils Italien oder Spanien als über-
wiegendes Auswanderungsland im Vordergrund stehen, sondern Länder aus dem Balkan oder Sri Lanka. Im
Hinblick auf den Fachkräftemangel in der Schweiz zeigt sich klar, dass das Peripherie-Modell eine Lösung
darstellt, um das Defizit an qualifizierten Arbeitskräften durch Menschen aus der Peripherie zu beheben.
2.5
Status quo der Migration in der Schweiz
Im Jahr 2006 lebten 1.52 Millionen Zugewanderte aus unterschiedlichen Ländern in der Schweiz, was 20.4%
der Gesamtbevölkerung entsprach. Tabelle 2 verdeutlicht, dass der Anteil der AusländerInnen seit dem Ende
des Zweiten Weltkrieges stetig angestiegen ist.
Tabelle
1
: Zuwanderung in die Schweiz nach Herkunftsländern
Herkunft
Prozent
EU-27 und EFTA-Staaten
61.16%
EU Kandidaten
10.85%
Übriges Europa
15.31%
Afrika
3.00%
Amerika
3.90%
Asien
5.58%
Ozeanien
0.19%
Staatenlos
0.01%
Quelle: Bundesamt für Migration, Februar (2008)

Kaya Kaplan Hanim
Seite 15
Tabelle 2: Entwicklung Ausländeranteil der Schweiz von 1900 bis 2005
11.6
14.7
10.4
8.7
5.2
6.1
10.8
17.2
14.8
18.1
20.9
21.9
0
5
10
15
20
25
1900
1910
1920
1930
1941
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2005
Quelle: Bundesamt für Statistik, Januar (2008)
Nahezu ein Viertel aller Ausländer (23,3%) ist in der Schweiz geboren und gehört somit zur zweiten oder
sogar dritten Ausländergeneration. Der bedeutendste Anteil mit 72,2% sind die Personen im erwerbsfähigen
Alter von 15-64 Jahren (vgl. Bundesamt für Statistik Januar 2006 Internetversion). Ein Grossteil der
ausländischen Arbeitskräfte verbleibt für viele Jahre in der Schweiz. Ihre Rechte und Pflichten wurden
deshalb behördlich reguliert. Dazu wurden verschiedene Arbeitsmarkt- und Aufenthaltsbewilligungsformen
eingeführt wie der Status als Saisonnier, Jahresaufenthalter oder als Grenzgänger.
Humanitäre Bewegungen und günstige Wirtschaftsaussichten führten zu einem politischen Klima, welches
den ImmigrantInnen den Familiennachzug oder die Gründung einer eigenen Familie ermöglichte. Hinzu
kam, dass die günstige Wirtschaftsentwicklung dazu führte, dass viele der EinwanderInnen eine feste
Arbeitsstelle mit einem garantierten Einkommen fanden. Diese Entwicklungen führten dazu, dass die baldige
Rückkehr ins Heimatland für viele MigrantInnen an Attraktivität verlor (vgl. Sancar-Flückiger 2003: 108).
Somit stellte sich für den Schweizer Staat die Frage, wie diese Menschen langfristig in die Gesellschaft
integriert werden könnten.
Da sich viele der MigrantInnen entschieden, längerfristig in der Schweiz zu bleiben, wollen sie auch, dass sie
und ihre Kinder vor dem Gesetz gleichgestellt und dementsprechend eingebürgert werden. Mittlerweile sind
die Einbürgerungszahlen angestiegen, wobei die MigrantInnen mehrheitlich aus nichteuropäischen Ländern
stammen. Während in Ländern wie den USA oder Kanada die Geburt auf dem Gebiet des betreffenden
Staates automatisch auch zur Verleihung der Staatsbürgerschaft führt, ist dies in der Schweiz nicht der Fall.
Das schweizerische Einbürgerungsverfahren ist langwierig, kompliziert und nicht selten auch mit erhe-
blichen Kosten verbunden.
Die Folge davon ist, dass viele Menschen, welche in die Schweiz einwandern
oder dort geboren werden, für lange Zeit Ausländer bleiben. Dies erklärt mitunter den hohen Prozentsatz von

Kaya Kaplan Hanim
Seite 16
Personen ausländischer Nationalität in der Schweiz. Für AusländerInnen gelten besondere Gesetze, auf die
sie jedoch keinen Einfluss haben, da sie über kein Stimmrecht verfügen. Diese Gesetze schränken die
AusländerInnen z.B. in der Wahl der Ausbildung, der Wahl der Arbeitsstelle, wie dem öffentlichen Dienst
ein. Dies führt dazu, dass ein wesentlicher Teil dieser Bevölkerungsgruppe Arbeiten verrichtet, welche
geringe Qualifikationen erfordern sowie begrenzte Aussichten auf Dauerhaftigkeit bieten. Gemessen an den
schweizerischen Normen sind solche Arbeiten auch relativ schlecht bezahlt (vgl. ebd.).
2.6
Fazit
Das vorliegende Kapitel zeigte auf, dass die Migration in der Schweiz seit dem 20. Jahrhundert mehrere
Wellen durchlaufen hat. Anfangs wurden MigrantInnen als Arbeitskräfte je nach Bedarf angeworben und
später ausgewiesen. Die EinwanderInnen beabsichtigten nicht, längerfristig in der Schweiz zu verweilen. Der
schweizerische Staat sah diese Menschen als kurzfristige Arbeitskräfte, die man je nach Belieben wieder
ausweisen konnte. Daher gab es auch keine gegenseitigen Erwartungen im Sinne einer Integration der
MigrantInnen. In den letzten drei Jahrzehnten jedoch festigte sich der Trend, dass die Schweiz ein
Einwanderungsland ähnlich wie die USA oder Kanada geworden ist. Die Mehrheit der MigrantInnen
beabsichtigte längerfristig oder gar für immer in der Schweiz zu bleiben und sich in der Schweiz ein neues
Leben aufzubauen. Einerseits führte dieser Umstand dazu, dass viele MigrantInnen, insbesondere der
zweiten Generation, sich vermehrt als Teil der Aufnahmegesellschaft ansahen und somit die gleichen Rechte
im alltäglichen Leben einforderten. Andererseits ging der Staat davon aus, dass die MigrantInnen, welche
längerfristig in der Schweiz bleiben, sich den neuen Gegebenheiten der Aufnahmegesellschaft anzupassen
hätten und sich somit in der Gesellschaft assimilieren. Ferner nahm man an, dass das Ziel der Integration der
MigrantInnen durch deren Einbezug in den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem und die schweizerischen
Sozialwerke ohne weitere Massnahmen erreicht werden könnte. Dies war jedoch oftmals nicht der Fall, da
sich viele MigrantInnen auf sich allein gestellt sahen und überfordert waren. Dieser Zustand führte zu
spürbaren Anpassungsschwierigkeiten bzw. daraus resultierenden Problemen zwischen Einheimischen und
MigrantInnen im Alltag. Diese Fehleinschätzung der Integrationspolitik wurde in den 1990er Jahren erkannt
und führte zu einer intensiven Debatte, welche bis heute anhält, wie eine zielgerichtete Integrationspolitik
gestaltet werden sollte (vgl. Niederberger 2004: 138ff.). Das folgende Kapitel thematisiert die Integration
von MigrantInnen im Hinblick auf Theorie und Praxis.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 17
3
Integration
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Migration dargelegt worden ist, soll in diesem Kapitel die
Integration aus sozialwissenschaftlicher Perspektive erläutert werden. Grundsätzlich ist Integration unab-
hängig von Migration ein soziales Phänomen, mit dem sich jede Gesellschaft konfrontiert sieht. Denn auch
Einheimische eines Landes können je nach Rahmenbedingungen und den Integrationsbereichen, die man
betrachtet, unterschiedlich integriert sein. Zum Beispiel sind obdachlose und arbeitslose Einheimische ge-
ringer integriert als die Einheimischen mit Wohnung und Arbeit. Jedoch hat die Integration von Migrant-
Innen eine Besonderheit: MigrantInnen haben nicht die gleichen Voraussetzungen und die gleichen Chancen
wie Einheimische, um sich in die jeweilige Gesellschaft integrieren zu können. Daher wird in diesem Kapitel
die Integration aus theoretischer Sicht mit speziellem Fokus auf die MigrantInnen behandelt. Zuerst wird der
Begriff Integration definiert. Der Begriffsdefinition folgt die Erläuterung der verschiedenen Dimensionen der
Integration mit entsprechenden Beispielen. Anschließend werden die Zusammenhänge zwischen diesen
Dimensionen dargestellt und der Status quo der Integration von MigrantInnen in der Schweiz aufgezeigt. Des
Weiteren werden die Integrationspolitik des Bundes sowie die Auswirkungen der gesetzlichen und poli-
tischen Verankerung der Integration erläutert. Schließlich wird im letzten Teil die Integrationspolitik mit der
Rolle der Sozialen Arbeit in Beziehung gesetzt.
3.1
Begriffsdefinition Integration
Laut Hillmann ist Integration die ,,Wiederherstellung eines Ganzen"; damit sind ,,Prozesse der verhaltenes-
und bewusstseinsmässigen Eingliederung in bzw. Angleichung an Wertstrukturen und Verhaltensmuster"
gemeint, die darin unterteilt werden können, wer sich an einer Integration zu wem oder was beteiligt.
Beispielsweise können sich einzelne Akteure an bestimmte Gruppen oder Organisationen oder in die für sie
relevanten Bereiche einer Gesellschaft integrieren. Des Weiteren kann es auch eine Integration zwischen den
verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft geben. Letztlich kann aber auch eine Integration zwischen ver-
schiedenen Gesellschaften zugunsten einer neuen Ordnung vorkommen (z.B. Europäische Gemeinschaft).
Wichtig ist die Integration, weil deren Vermischungsgrad die ,,Stabilität der allgemeinen und gegenseitig
anerkannten Orientierungs- und Verhaltensmuster" bestimmt, aber auch die Konsequenzen für abweichendes
Verhalten festlegt (Hillmann 1994: 377).
Esser zufolge wird unter Integration ,,allgemein der Zusammenhalt von Teilen in einem ,,systemischen"
Ganzen und die dadurch erzeugte Abgrenzung von einer unstrukturierten Umgebung verstanden, gleichgültig
zunächst, worauf dieser Zusammenhalt beruht." (Esser 2000: 261). Der Gegenbegriff zur Integration ist die
Segmentation, bei der die Teile nicht auf einander bezogene Einheiten darstellen. Die Grundlage jeder
Integration ist die Interdependenz der Teile, ihre wechselseitige Abhängigkeit untereinander und zur Umwelt
(vgl. ebd.: 262).
Obwohl Integration meistens auf Zustimmung beruht, hebt Esser hervor, dass Integration nicht immer mit
Harmonie und Zustimmung verbunden sein muss; es gebe auch Integration in Konflikt und sogar Integration
durch den Konflikt (vgl. ebd.: 266).
Betrachtet man die Integration von MigrantInnen aus der Perspektive der Gesellschaften, in die sie sich

Kaya Kaplan Hanim
Seite 18
theoretisch integrieren könnten, kann man grundsätzlich zwei Gesellschaften ausmachen: auf der einen Seite
die Herkunftsgesellschaft, und auf der anderen Seite die Aufnahmegesellschaft. Wie auch aus unterstehender
Tabelle hervorgeht, wären somit vier Formen der Integration von MigrantInnen möglich. Die hier genannte
Marginalität heisst, dass jeder sozialen Integration fehlen. Marginalität
ist weder in der einen noch in der
anderen Gesellschaft eine Art von Integration. Sie ist oft bei ArbeitsmigrantInnen der ersten Generation
anzutreffen, die die Heimat verlassen haben, ohne eine neue Heimat gefunden zu haben. Somit stellt
Marginalität die nicht vollzogene Integration dar. Die Segmentation ist bezogen auf die Aufnahme-
gesellschaft auch keine Integration. Somit bleiben die Mehrfachintegration und die Assimilation zu berück-
sichtigen. Wenn MigrantInnen in beide Gesellschaften integriert sind, handelt es sich um eine Mehrfach-
integration. Diese kommt jedoch in der Realität nur selten vor, weil sie ein großes Ausmaß an Lernaktivitäten
und Gelegenheiten erfordert, die für die meisten MigrantInnen nicht gegeben sind, insbesondere nicht für die
ArbeitsmigrantInnen. Somit bleibt als wichtigste Form der Integration von MigrantInnen in die Aufnahme-
gesellschaft die Assimilation (vgl. ebd.: 287f.).
Tabelle 3: Typen der Integration von MigrantInnen
Sozialintegration in Aufnahmegesellschaft
ja
nein
ja
Mehrfachintegration
Segmentation
Sozialintegration in
Herkunftsgesellschaft/
ethnische Gemeinde
nein
Assimilation
Marginalität
Quelle: Esser (2000: 287)
In den folgenden Ausführungen, die sich mit den vier Integrationsdimensionen nach Esser beschäftigen, wird
der Fokus auf die Integration von MigrantInnen in die Aufnahmegesellschaft gelegt, obwohl die beschrie-
benen Prozesse grundsätzlich auch für Einheimische gelten.
3.2
Die vier Dimensionen der Integration
Esser zufolge kann eine Integration über den Markt, über eine geplante Organisation bzw. über die Ausübung
von Herrschaft wie auch über gewisse Orientierungen der individuellen Akteure erfolgen (vgl. ebd.: 266).
Diese drei Integrationsformen hätten fließende Übergänge, würden sich teilweise gegenseitig bedingen,
könnten aber auch alle drei gleichzeitig vorherrschen. Beispielsweise habe die EU zuerst über einen gemein-
samen Markt eine Integration der Mitgliedstaaten geschaffen. Dann erfolgte eine Integration über die ge-
plante Organisation mit der Europäischen Kommission und Brüssel als Hauptsitz der Ausübung von Herr-
schaft. Die Entstehung einer europäischen Identität, welche über die Integration durch gewisse Orien-
tierungen erreicht werden könne, fehle noch, jedoch herrsche momentan sowohl die Integration über den
Markt als auch die über eine geplante Organisation gleichzeitig.

Kaya Kaplan Hanim
Seite 19
Die ersten beiden Integrationsformen werden auch als Systemintegration bezeichnet. Die Integration über
gewisse Orientierungen wird als Sozialintegration bezeichnet und beinhaltet noch eine detailliertere Eintei-
lung in weitere Dimensionen der Sozialintegration (siehe Tabelle 4). Die verschiedenen Dimensionen der
Integration werden im Folgenden näher erläutert.
Tabelle 4: Systemintegration und die vier Dimensionen der Sozialintegration
Systemintegration
Sozialintegration
Integration
Kulturation
Plazierung
Interaktion
Identifikation
·Markt
·Organisation
·Interpenetra-
tion/Medien
·Wissen
·Kompetenz
·Humankapital
·Rechte
·Positionen
·Gelegenheiten/
Akzeptanz
·ökonomisches/
institutionelles/
politisches
Kapital
·Netzwerk-
Positionen
·kulturelles
Kapital
·soziales
Kapital
·Werte
·Hinnahme
Systemintegration
Sozialintegration
Integration
Kulturation
Plazierung
Interaktion
Identifikation
·Markt
·Organisation
·Interpenetra-
tion/Medien
·Wissen
·Kompetenz
·Humankapital
·Rechte
·Positionen
·Gelegenheiten/
Akzeptanz
·ökonomisches/
institutionelles/
politisches
Kapital
·Netzwerk-
Positionen
·kulturelles
Kapital
·soziales
Kapital
·Werte
·Hinnahme
Quelle: Esser (2000: 279)
3.2.1
Systemintegration
Nach Esser ist die Systemintegration unabhängig von den speziellen Motiven und Beziehungen der indi-
viduellen Akteure und bezieht sich auf Teile eines Systems (vgl. ebd.: 270). Wie aus Tabelle 4 hervorgeht,
kann die Systemintegration über den Markt erfolgen, seien es die Gütermärkte oder der Arbeitsmarkt.
Bezüglich der MigrantInnen, vor allem der ersten Generation, spielt der Arbeitsmarkt eine wesentliche Rolle,
überhaupt aus dem Heimatland auszuwandern und sich über den Arbeitsmarkt in die Aufnahmegesellschaft
zu integrieren. Eine Systemintegration ist auch über geplante Organisation möglich, wobei es sich um die
geplante Organisation eines sozialen Gebildes handelt und die Ausübung von Herrschaft einschließt. Die
institutionellen Strukturen einer jeden Gesellschaft können als geplante Organisation betrachtet werden, die
mit ihren Verhaltensregeln und ihren Sanktionen bei Missachtung diese Herrschaft ausüben.
Die Integration über den Markt wird auch als horizontale Integration bezeichnet im Gegensatz zur vertikalen
Integration, die die Integration über eine Organisation meint. Der Unterschied liegt im Vorhandensein oder
Nicht-Vorhandensein von Weisungsbefugnissen der Akteure übereinander. Bei der horizontalen Integration
(Markt) haben Akteure keine Weisungsbefugnis übereinander, sie sind über ihre Interessen und über die
Kontrolle der Ressourcen miteinander verbunden. Hingegen haben bei der vertikalen Integration (Organi-
sation) die Akteure Weisungsbefugnisse übereinander; ihr Handeln ist durch eine formale Organisation
koordiniert, die Interessen der Akteure sind überlagert von normativen und sanktionierten Erwartungen.
Demnach wäre die Systemintegration über eine Organisation bezogen auf die Migrationsbevölkerung dann
gelungen, wenn die MigrantInnen Weisungsbefugnisse über die einheimische Bevölkerung hätten. Damit

Kaya Kaplan Hanim
Seite 20
wird der Zusammenhang der Systemintegration mit der Sozialintegration durch Platzierung deutlich, welches
im nächsten Abschnitt genauer erläutert wird. Zwischen der horizontalen und der vertikalen Integration gebe
es viele ,,hybride" Formen wie beispielsweise die Integration über gewisse Einstellungen und Orientierungen
der individuellen Akteure. Hier sind insbesondere die sozialen Netzwerke zu erwähnen (vgl. ebd.: 267).
3.2.2
Sozialintegration
Die Sozialintegration hängt im Gegensatz zu der Systemintegration direkt mit den Motiven, den
Orientierungen, den Absichten und den Beziehungen der Akteure zusammen. Trotz dieser Unterscheidung
muss jedoch beachtet werden, dass grundsätzlich alle Prozesse der Integration etwas mit den Akteuren zu tun
haben. Denn die Orientierungen der Akteure, die in bestimmten Situationen handlungsleitend für sie sind,
bringen als Folge bzw. Ergebnis die Integration des jeweiligen sozialen Systems hervor. Dies kann sowohl
beabsichtigt als auch unbeabsichtigt geschehen (vgl.
ebd.: 270). Die Sozialintegration erfolgt über die
Akteure und ihre Beziehungen untereinander und ihrer Beziehungen zum Gesamtsystem. Die Sozial-
integration kann Esser zufolge in vier Dimensionen unterteilt werden, die im Folgenden näher erläutert
werden.
3.2.2.1
Kulturation als kulturelle Integration
Akteure eines Systems müssen für ein sinnhaftes, verständiges und erfolgreiches Interagieren untereinander
notwendiges Wissen und bestimmte Kompetenzen besitzen. Dabei beziehen sich das Wissen und die
Kompetenzen auf die Kenntnis von gesellschaftlichen Normen, im Falle der MigrantInnen sind es die
Normen der Aufnahmegesellschaft. Das heisst, man muss wissen, wie man sich in welcher Situation norm-
gerecht verhält. Wissen und Kompetenzen sind in diesem Sinne als eine Art von Humankapital zu verstehen,
in das die Akteure investieren müssen, wenn sie sich an Interaktionen beteiligen wollen, die für sie selbst
interessant sind. Somit ist Kulturation ein Prozess des Erwerbs von gesellschaftlich relevantem Wissen und
Kompetenzen. Kulturation ist auch ein Teil der Sozialisation des Menschen in die jeweilige Gesellschaft, die
jeder Mensch durchmacht, unabhängig davon, ob es sich um MigrantInnen handelt oder nicht (vgl. ebd.:
272). Bei den MigrantInnen kommt als Erschwernis hinzu, dass es sich häufig um eine weitere Sozialisation
handelt, also die Sozialisation in eine andere und neue Gesellschaft. Betrachtet man die Kulturation aus der
Perspektive der Anforderungen an eine erfolgreiche Integration, so kann man folgern, dass die Aufnahme-
gesellschaft vor der Anforderung steht, die Möglichkeiten zu schaffen, sich dieses Wissen anzueignen bzw.
den Betroffenen den Einstieg in diesen Wissenserwerb zu bieten.
Bezüglich der Anforderungen an die MigrantInnen geht hieraus deutlich hervor, dass die MigrantInnen in
dieses Humankapital investieren müssen; sie müssen bereit sein, sich das gesellschaftsrelevante Wissen und
die gesellschaftsrelevanten Kompetenzen anzueignen. Minimale Kulturation verlangt von den MigrantInnen
die Kenntnis der in einer bestimmten Gesellschaft geteilten Sprache, der vorherrschenden Menschen- und
Gesellschaftsbilder, der säkularen und religiösen Wertvorstellungen sowie der Normen und Alltagspraktiken,
der Sitten und Gebräuche sowie der Gesetze. Nur dann sind sie in der Lage, sich situationsspezifisch zu
verhalten. Problematisch sind diese Anforderungen insbesondere für ArbeitsmigrantInnen, die wegen besse-

Kaya Kaplan Hanim
Seite 21
rer Arbeitsmöglichkeiten in ein anderes Land eingewandert sind (siehe Kapitel 2.3.1). Da sie häufig viel
arbeiten und meistens (vor allem die erste Generation der MigrantInnen) gering qualifizierte Arbeiten ver-
richten, die schlecht bezahlt sind, haben sie einerseits kaum Zeit, sich diese notwendigen Kenntnisse anzu-
eignen. Andererseits fehlt es ihnen oft auch an den nötigen finanziellen Möglichkeiten, sich beispielsweise
die Sprachkurse zu leisten. Daher brauchen sie Angebote, die ausserhalb ihrer Arbeitszeiten liegen, damit sie
diese Angebote überhaupt in Anspruch nehmen können. Beispielsweise sind hier solche Angebote nötig, die
zeitlich auf den Abend fallen. Zudem sollten diese Angebote finanziell unterstützt werden, damit die
MigrantInnen sich diese auch leisten können.
3.2.2.2
Platzierung als strukturelle Integration
Mit Platzierung ist allgemein die Besetzung einer bestimmten gesellschaftlichen Position durch einen Akteur
gemeint. Sie wird auch als Platzierungsinklusion als Spezialfall der Inklusion bezeichnet, bei der die Akteur-
Innen in ein bereits bestehendes und mit Positionen versehenes soziales System eingegliedert werden. Somit
bedeutet Platzierung den Erwerb eines Mitgliedsstatus, den Zugang zu Positionen in den Institutionen der
Aufnahmegesellschaft durch die MigrantInnen wie z.B. den Zugang zu Positionen in der Wirtschaft, auf dem
Arbeitsmarkt, in den Bildungs- und Qualifikationssystemen, sowie der Möglichkeit einer politischen
Partizipation an und in der Gemeinschaft. Neben gesellschaftlichen Positionen geht es vor allem um die
Rechte, die einem Akteur zugesprochen werden können. Rechte und Positionen hängen teilweise auch zu-
sammen. Beispielsweise kann ohne das Wahlrecht die Position eines Politikers nicht besetzt werden. Bei der
Platzierung geht es aber auch um soziale Chancen, die nur durch die Platzierung wahrgenommen werden
können. Das bedeutet, dass bestimmte soziale Gelegenheiten sich einem nur dann eröffnen, wenn man auch
eine bestimmte soziale Position innehat. Eine wesentliche Bedingung für die Platzierung ist die soziale
Akzeptanz. Platzierung kann nur dann erfolgreich verlaufen, wenn es keine Vorurteile und Diskrimi-
nierungen gibt. Die Platzierung ist wohl die wichtigste Dimension der Integration, denn sie ist auch
Voraussetzung zur Erlangung von gesellschaftlich verwendbaren Kapitalien. Hier ist insbesondere das
ökonomische, das institutionelle, soziale und das politische Kapital zu nennen. Die Platzierung ist eng
verbunden mit der Kulturation. Die Kulturation kann als ein Filter für die Platzierung angesehen werden.
Somit ist es beispielsweise wichtig, ob man in eine reiche oder arme Familie hineingeboren wird, ob man
den Kindergarten besucht hat oder nicht, und auch ob man eine gute Schulbildung erhalten hat oder nicht.
Denn nur derjenige, der über eine gute Schulbildung verfügt, kann auch eine bestimmte berufliche Position
besetzen. Bezieht man diese Erläuterungen auf die Anforderungen im Bereich der Migration, so kann
festgestellt werden, dass hierbei die Aufnahmegesellschaft gefordert ist, die notwendigen Rahmenbe-
dingungen für eine erfolgreiche Platzierung der MigrantInnen zu schaffen. Genauer gesagt, muss die Auf-
nahmegesellschaft einerseits Diskriminierungen und Vorurteile abbauen, falls sie vorhanden sind, und so zur
sozialen Akzeptanz beitragen. Seitens der MigrantInnen setzt der Erwerb des Mitgliedsstatus einen inter-
kulturellen und sozialen Lern- und Sozialisationsprozess voraus, damit sie die Mitglieds- und Partizipations-
rolle ausfüllen können (vgl.
ebd.: 272f.).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836618199
DOI
10.3239/9783836618199
Dateigröße
931 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Nordwestschweiz – Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2008 (August)
Note
1,0
Schlagworte
migrationspolitik schweiz integration soziale dienste institution
Zurück

Titel: Der Zusammenhang von Migration, sozialen Diensten und interkultureller Öffnung
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
100 Seiten
Cookie-Einstellungen