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Ganztagsschulen und Frauenerwerbstätigkeit

Eine quantitativ-empirische Pilotstudie

©2007 Examensarbeit 192 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Diese Arbeit, eine so genannte Wissenschaftliche Hausarbeit, entstand im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten.
Als Lehramtsstudent rührt mein persönliches Interesse an der vorliegenden Arbeit einerseits aus der eigenen Betroffenheit durch die Einführung von Ganztagsschulen her und liegt andererseits in meinem ausgeprägten gesellschaftspolitischen Interesse.
Die Arbeit besteht aus einem theoretischen Teil und einem Forschungsteil.
Die theoretischen Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit sind die Darstellung und eine daran anknüpfende Analyse der Ganztagsschulpolitik unter den Fragestellungen der Policy-Analyse. In einem Forschungsteil wird eine von mir durchgeführte empirische Pilotstudie und deren Ergebnisse vorgestellt.
Die Studie untersucht den Zusammenhang zwischen der Einführung von Ganztagsschulangeboten und der Erwerbstätigkeitsentwicklung von Müttern. Die zentrale Fragestellung der Arbeit bezieht sich auf die gesellschaftliche Dynamik, die durch die aktuelle Einführung von Ganztagsschulen in Deutschland ausgelöst wird. Diese Entwicklung ist neuartig in Deutschland und die empirische Evidenz über zu dem Phänomen dürftig. Schon allein dieser Zustand weist auf einen Bedarf verstärkter Beobachtung und Untersuchung durch die Wissenschaft hin.
Diese Arbeit beschäftigt sich nicht mit originär schulischen Fragestellungen und Problemen der konkreten Ausgestaltung von Ganztagsschulangeboten, mit pädagogischen Fragen oder dem Unterricht selbst. Vielmehr sollen die Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen untersucht werden, die durch die derzeit stattfindende bildungspolitische Offensive in Deutschland mit betroffen sind.
Von besonderem Interesse ist hier das Zusammenspiel eines bildungspolitischen Kraftakts, nämlich die IZBB-Politik und deren Ziel, Ganztagsschulen in Deutschland flächendeckend einzuführen, mit den Rahmenbedingungen für Frauen, Berufstätigkeit, Kinder und Familie zu vereinbaren. Aus diesem Kontext erschließt sich folglich eine altbekannte Frage mit Nachdruck, ob eine Ausweitung des Angebots von Ganztagsschulen einen Einfluss auf die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland hat.
Die in dieser Arbeit vorgestellte empirische Explorativstudie beruht auf verschiedenen Thesen, die sich mit dem Phänomen der Einführung von Ganztagsschulen und Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit beschäftigen. Dabei wird u. a. von einer spürbaren […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Simon Hass
Ganztagsschulen und Frauenerwerbstätigkeit
Eine quantitativ-empirische Pilotstudie
ISBN:
978-3-8366-1711-6
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Pädagogische Hochschule Weingarten, Weingarten, Deutschland, Staatsexamensarbeit,
2007
Coverfoto:
Johanna Goodyear/Fotolia.com
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

i
EINLEITUNG... 4
I. T E I L ... 8
1
GANZTAGSSCHULEN IN DER AKTUELLEN DISKUSSION ... 8
1.1
H
ISTORISCHE
A
SPEKTE UND
D
ISKURS DER LETZTEN
J
AHRE
...8
1.2
B
ILDUNGSPOLITISCHE
P
OSITIONEN DER POLITISCHEN
P
ARTEIEN
...11
1.2.1
FDP ... 12
1.2.2
Bündnis 90/Die Grünen ... 14
1.2.3
SPD ... 17
1.2.4
CDU... 18
1.2.5
Zusammenfassung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede... 20
1.3
IZBB ­ F
INANZHILFEPROGRAMM DES
B
UNDES ZUM
A
USBAU VON
G
ANZTAGSSCHULEN
...23
1.4
V
ERSORGUNG MIT
G
ANZTAGSSCHULEN VOR UND NACH
IZBB ...25
1.5
G
ANZTAGSSCHULPOLITIK DER BADEN
-
WÜRTTEMBERGISCHEN
L
ANDESREGIERUNG
...26
1.6
P
OLITISCHE
M
OTIVE ZUR
E
INFÜHRUNG VON
G
ANZTAGSSCHULEN
...28
1.6.1
Schulpolitische Motive ... 29
1.6.2
Andere politische Motive... 30
1.6.2.1
Familienpolitik... 31
1.6.2.2
Sozial- und Jugendpolitik... 31
1.6.2.3
Gleichstellungs- und Frauenpolitik ... 32
1.6.2.4
Wirtschaftspolitik... 32
1.7
G
ESELLSCHAFTLICHE
A
KZEPTANZ UND
N
ACHFRAGE VON
G
ANZTAGSSCHULEN
...34
1.7.1
Akzeptanz der Ganztagsschule in der Gesamtgesellschaft ... 35
1.7.2
Akzeptanz der Ganztagsschule bei Eltern... 36
1.7.3
Zusammenfassung... 39
1.7.4
Alleinerziehende und Ganztagsschulen ... 41
1.8
S
TELLUNGNAHMEN ÜBER DIE
A
USWEITUNG VON
G
ANZTAGSSCHULEN BEI ANDEREN
GESELLSCHAFTSPOLITISCHEN
A
KTEUREN
...42
1.8.1
Katholische Kirche... 42
1.8.2
Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)... 44
1.8.3
Wirtschaftsverbände ... 45
1.9
K
RITISCHE
R
EFLEXION DER
G
ANZTAGSSCHULE DURCH DIE
E
RZIEHUNGSWISSENSCHAFT
...46
1.10
K
RITISCHE
R
EFLEXION DER
G
ANZTAGSSCHULE DURCH DIE
R
ECHTSWISSENSCHAFT
...50
2
EINFÜHRUNG VON GANZTAGSSCHULEN UNTER FRAGESTELLUNGEN DER
POLICY-ANALYSE ... 51
2.1
D
EFINITIONEN UND
B
EGRIFFSERKLÄRUNGEN
...51
2.1.1
Klassifizierung von Policy-Typen... 53
2.1.1.1
Politikfelder ... 53
2.1.1.2
Wirkungsweise - distributive oder redistributive Politik? ... 54
2.1.1.3
Steuerung der Policy ... 55
2.1.1.3.1
Gebot/Verbot ... 56

ii
2.1.1.3.2
Anreiz ... 56
2.1.1.3.3
Angebot ... 57
2.1.1.3.4
Überzeugung/Aufklärung ... 57
2.1.1.3.5
Vorbild... 58
2.1.1.4
Beschaffenheit und Leistungsebenen ... 58
2.1.1.4.1
Materielle Leistungen ... 58
2.1.1.4.2
Immaterielle Leistungen ... 60
2.1.1.4.3
Regulative Policies ... 60
2.1.1.5
Merkmalsvielfalt ... 61
2.1.2
Policy-Netz und Politikarena ... 61
2.1.3
Policy Zyklus ­ der Politikverlauf ... 65
2.1.3.1
Problemdefinition ... 65
2.1.3.2
Agenda-Setting ... 66
2.1.3.3
Politikformulierung... 68
2.1.3.4
Politikimplementation... 69
2.1.3.5
Evaluation, Termination oder Reformulierung ... 70
2.2
T
YPOLOGISIERUNG DER
G
ANZTAGSSCHULPOLITIK
...72
2.3
G
RUNDLEGUNG EINER KRITISCHEN
E
VALUATION
...83
II. TEIL... 91
3
FAMILIENSOZIOLOGISCHE ENTWICKLUNGEN IN DER POSTMODERNE... 91
4
STRUKTURDATEN DER FRAUENERWERBSTÄTIGKEIT... 95
4.1
D
EUTSCHLAND
...96
4.2
E
UROPA
...99
5
GESELLSCHAFT, POLITIK, ÖKONOMIE UND FRAUENERWERBSTÄTIGKEIT . 102
5.1
G
ESELLSCHAFT UND
F
RAUENERWERBSTÄTIGKEIT
... 103
5.2
P
OLITIK UND
F
RAUENERWERBSTÄTIGKEIT
... 104
5.3
M
IKROÖKONOMISCHE
B
ETRACHTUNGEN ZUR
F
RAUENERWERBSTÄTIGKEIT
... 108
5.4
S
ZENARIEN EINER ZUKÜNFTIGEN
E
NTWICKLUNG FÜR
D
EUTSCHLAND
... 110
III. T E I L ... 116
6
DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN GANZTAGSSCHULEN UND
FRAUENERWERBSTÄTIGKEIT ­ STAND DER FORSCHUNG... 116
7
FORSCHUNGSPROJEKT ZUR ÜBERPRÜFUNG DES ZUSAMMENHANGS VON
GANZTAGSSCHULEN UND FRAUENERWERBSTÄTIGKEIT ... 119
7.1
A
NLAGE DER EMPIRISCHEN
U
NTERSUCHUNG
... 120
7.1.1
Forschungsfragen... 120
7.1.2
Hypothesenbildung ... 121
7.1.3
Variablen und Wirkmodell... 121
7.1.4
Definitionen und Explikationen ... 122
7.1.5
Indikatorenbildung... 123

iii
7.2
S
AMPLE
... 123
7.3
M
ETHODISCHE
V
ORGEHENSWEISE UND
F
ORSCHUNGSDESIGN
... 125
7.4
D
URCHFÜHRUNG DER
F
ELDFORSCHUNG
... 129
8
ERGEBNISSE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG ... 130
8.1
M
ÜTTER MIT EXISTIERENDEM
G
ANZTAGSSCHULANGEBOT
... 131
8.1.1
Alle Fälle... 131
8.1.2
In Partnerschaft lebende Mütter ... 131
8.2
K
ONTROLLGRUPPE MIT ANTIZIPIERTEM
G
ANZTAGSSCHULANGEBOT
... 132
8.2.1
Alle Fälle... 132
8.2.2
In Partnerschaft lebende Mütter ... 133
8.3
A
LLEINERZIEHENDE
M
ÜTTER
... 134
8.4
A
NDERE
K
ONSTELLATIONEN
... 135
8.4.1
Matriarchales Ernährermodell... 135
8.4.2
Doppelte Erwerbslosigkeit... 135
8.5
D
IE
S
TRATEGIEN DER
A
RBEITSSUCHE
... 136
8.5.1
Bewerbungen ... 137
8.5.2
Fortbildungsverhalten, Registrierung und Informationsbeschaffung ...
bei der Bundesagentur für Arbeit (BA)... 138
8.5.3
Zeitungsannoncen ... 141
8.5.3.1
Stellengesuche ... 141
8.5.3.2
Stellenangebote... 142
8.5.4
Bekannte ... 142
8.6
W
EITERE
N
EBENBEDINGUNGEN UND
F
AKTOREN DER
F
RAUENERWERBSBETEILIGUNGSENTWICKLUNG
... 143
8.6.1
Einschätzung der Arbeitsmarktsituation ... 143
8.6.2
Selbsteinschätzung der beruflichen Qualifikation... 143
8.6.3
Finanzielle Besserstellung... 144
8.6.4
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ... 145
8.6.5
Vereinbarkeit des Ganztagsschulangebots mit beruflichen Vorstellungen ... 146
8.6.6
Sozialversicherungspflichtigkeit ... 147
9
KRITISCHE REFLEXION DER EMPIRISCHEN BEFUNDE ... 147
9.1
D
ER
Z
USAMMENHANG ZWISCHEN
G
ANZTAGSSCHULE UND
F
RAUENERWERBSTÄTIGKEIT
... 147
9.2
A
USWIRKUNGEN AUF DEN
A
RBEITSMARKT
... 159
9.3
D
IE
E
RFOLGSAUSSICHTEN ARBEITSSUCHENDER
M
ÜTTER
... 162
9.4
D
IE
V
EREINBARKEIT VON
F
AMILIE
, G
ANZTAGSSCHULANGEBOTEN UND
B
ERUFSTÄTIGKEIT
... 167
10
ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT ... 172
11
LITERATURVERZEICHNIS... 177
12
ANHANG ... 187

4
Einleitung
Diese Arbeit, eine so genannte Wissenschaftliche Hausarbeit, entstand im
Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen an der
Pädagogischen Hochschule in Weingarten.
Als Lehramtsstudent rührt mein persönliches Interesse an der vorliegenden
Arbeit einerseits aus der eigenen Betroffenheit durch die Einführung von
Ganztagsschulen her und liegt andererseits in meinem ausgeprägten
gesellschaftspolitischen Interesse.
Die Arbeit besteht aus einem theoretischen Teil und einem Forschungsteil.
Die theoretischen Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit sind die Darstellung
und eine daran anknüpfende Analyse der Ganztagsschulpolitik unter den
Fragestellungen der Policy-Analyse. In einem Forschungsteil wird eine von mir
durchgeführte empirische Pilotstudie und deren Ergebnisse vorgestellt. Die
Studie untersucht den Zusammenhang zwischen der Einführung von Ganztags-
schulangeboten und der Erwerbstätigkeitsentwicklung von Müttern. Die zentrale
Fragestellung der Arbeit bezieht sich auf die gesellschaftliche Dynamik, die
durch die aktuelle Einführung von Ganztagsschulen in Deutschland ausgelöst
wird. Diese Entwicklung ist neuartig in Deutschland und die empirische Evidenz
über zu dem Phänomen dürftig. Schon allein dieser Zustand weist auf einen
Bedarf verstärkter Beobachtung und Untersuchung durch die Wissenschaft hin.
Diese Arbeit beschäftigt sich nicht mit originär schulischen Fragestellungen und
Problemen der konkreten Ausgestaltung von Ganztagsschulangeboten, mit
pädagogischen Fragen oder dem Unterricht selbst. Vielmehr sollen die
Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen untersucht werden, die
durch die derzeit stattfindende bildungspolitische Offensive in Deutschland mit
betroffen sind.
Von besonderem Interesse ist hier das Zusammenspiel eines bildungspoliti-
schen Kraftakts, nämlich die IZBB-Politik und deren Ziel, Ganztagsschulen in
Deutschland flächendeckend einzuführen, mit den Rahmenbedingungen für
Frauen, Berufstätigkeit, Kinder und Familie zu vereinbaren. Aus diesem Kontext
erschließt sich folglich eine altbekannte Frage mit Nachdruck, ob eine
Ausweitung des Angebots von Ganztagsschulen einen Einfluss auf die
Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland hat.

5
Die in dieser Arbeit vorgestellte empirische Explorativstudie beruht auf
verschiedenen Thesen, die sich mit dem Phänomen der Einführung von
Ganztagsschulen und Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit beschäftigen. Dabei
wird u. a. von einer spürbaren Auswirkung der Ganztagsschulen auf das
Erwerbsverhalten der Mütter ausgegangen, das zu einer zukünftigen Zunahme
der Müttererwerbtätigkeit beitragen wird.
Die aufgestellten Forschungshypothesen wurden im Rahmen eines vollständi-
gen Forschungszyklus einer quantitativen Überprüfung unterzogen. Im Rahmen
der Untersuchung wurden mit Hilfe eines standardisierten Interviews fast 900
Mütter über ihre Arbeitsmarktaktivitäten aufgrund der Einführung eines
Ganztagsschulangebots befragt. Ebenso können Ergebnisse darüber
vorgestellt werden, welche Strategien bei der Arbeitsplatzsuche angewendet
werden. Auch sind Erkenntnisse über die subjektive Wahrnehmung der
Erfolgsaussichten bei der Arbeitssuche sowie der von den Müttern wahrge-
nommene Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und der Vereinbarkeit
von Familienarbeit und Berufstätigkeit gewonnen worden.
Eine theoretische Zielsetzung der Arbeit ist es, die aktuelle Ganztagsschulpolitk
zu analysieren. Dabei wird auf die Theorie der Policy-Analyse zurückgegriffen,
die IZBB-Politik mittels dieses Ansatzes typologisiert sowie ihre Wirksamkeit
und die Implementationsstrategien diskutiert. Die Anwendung der theoretischen
Ansatzpunkte zur Analyse von Politik und politischer Programmatik ist dabei
auch Grundlage für die Überprüfung der politischen Motive sowie der jeweiligen
Wirksamkeit einer politischen Maßnahme.
So befasst sich die vorliegende Arbeit im ersten Teil mit dem aktuellen
schulpolitischen Phänomen der Ganztagsschule in Deutschland, die zukünftig
zu einem Netz von Ganztagsschulangeboten ausgebaut werden soll.
Hierbei werden die zentralen parteipolitischen Forderungen anhand einer
Analyse der Parteiprogramme herausgearbeitet; des Weiteren wird auf die
IZBB-Politik des Bundes sowie die zukünftige Ganztagsschulpolitik des Landes
Baden-Württemberg eingegangen. Darüber hinaus werden verschiedenartige
politische Motive behandelt, die die Einführung von Ganztagsschulangeboten
beeinflussen. Hinzu kommen im ersten theoretischen Teil die Darstellung

6
aktueller Ergebnisse der Akzeptanzforschung im Hinblick auf Ganztagsschul-
angebote und eine Kurzdarstellung der Positionen einiger wichtiger gesell-
schaftlicher Akteure zur Ganztagsschule. Darauf folgt in einem nächsten Schritt
eine ausführlichere Darstellung der Policy-Analyse. Dabei wird auf verschiede-
ne Klassifikationsmöglichkeiten von Politiken eingegangen, ein theoretischer
Rahmen für die Analyse der Akteure von politischen Prozessen aufgezeigt und
der so genannte Policy-Zyklus vorgestellt. In einem weiteren Schritt wird dann
versucht, eine aufschlussreiche Typologisierung der aktuellen Ganztagsschul-
politik in Deutschland zu geben.
Der zweite Teil der Arbeit gibt Einblicke in die aktuellen gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen, unter denen sich die Einführung von Ganztagsschulan-
geboten vollzogen hat und immer noch vollzieht. Hierzu sollen Aspekte der
aktuellen familiensoziologischen Entwicklungen und die derzeitigen Strukturen
der Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland und Europa aufrissartig entfaltet
werden. Daraufhin werden gesellschaftliche, politische und verschiedene
ökonomische Rahmenbedingungen erläutert, die mit der Erwerbstätigkeit von
Frauen in Verbindung stehen. Hierbei spielen kulturelle Gegebenheiten,
familien- und sozialpolitische Transferzahlungen sowie mikroökonomische
Zusammenhänge eine relevante Rolle. Abschließend sollen in Teil II Szenarien
skizziert werden, die die zukünftige Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in
Deutschland betreffen.
Diese Darstellungen bilden den theoretischen Übergang zur oben fixierten
Fragestellung und zum Forschungsprojekt selbst. Dabei wird auch auf den
aktuellen Stand der Forschung eingegangen.
Die konkrete konzeptionelle Ausgestaltung, der durch die IZBB-Politik
eingeführten und ausgebauten Ganztagsschulen, findet im Rahmen dieser
Arbeit weitgehend keine Berücksichtigung. Phasenweise werden aber auch
schulpädagogische und schulentwicklungstheoretische Aspekte in die Analyse
einfließen, besonders dann, wenn im Rahmen der Arbeit die Perspektive der
Erziehungswissenschaft auf die Ganztagsschule behandelt und im Rahmen der
Policy-Analyse die Problematik der Finanzierung von Ganztagsschulangeboten
eingegangen wird.

7
Inhaltlich wäre ein Eingehen Feinheiten der Haushaltsökonomie, die Komplexi-
tät der verschiedenen Arbeitsmarkttheorien, die Diskussion um die Bezahlung
von Hausarbeit sowie theoretische Diskussionen um den Wert und die
Entwicklung von Arbeit an sich, wie sie zum Beispiel Hanna Arendt
1
entwickelt,
sinnvoll in das bearbeitete Thema einzuordnen gewesen. Ebenso reicht der
Kontext der Arbeit an seiner Peripherie an die frauenpolitischen Bewegungen
der letzten Jahrzehnte heran.
Der Fokus der Arbeit soll allerdings auf die Ganztagsschulpolitk zentriert und
auf die Vorstellung, Ergebnispräsentation sowie die Reflexion der Ergebnisse
des angesprochenen Forschungsprojekts gerichtet sein.
1
Arendt 2002.

8
I. T e i l
1
Ganztagsschulen in der aktuellen Diskussion
1.1 Historische Aspekte und Diskurs der letzten Jahre
Im 19. Jahrhundert war die Ganztagsschule Norm. Der Unterricht wurde, wie
schon von Comenius im 17. Jahrhundert empfohlen, auf Vormittag und
Nachmittag verteilt; zu Mittagstisch und Ruhepause gingen die Schüler nach
Hause.
2
Die Arbeit von Lohmann aus dem Jahre 1965 zeigt, wie sich die
traditionelle ,,Schule mit geteiltem Unterricht" in die heutigen Formen der Regel-,
Halbtags- und Lernschule verwandelte
3
, indem durch gesellschaftliche und
politische Entwicklungen die ,,sozialen und pädagogischen Aufgaben" vermehrt
als diejenigen der Familie und Jugendhilfe betrachtet wurden. Die Tagesheim-
schule oder Ganztagsschule wurde in der Nachkriegszeit in West- und
Ostdeutschland von der Erziehungswissenschaft und der Bildungs- und
Schulpolitik als die ,,Schule der Zukunft" (wieder-)entdeckt. Im Westen wurde
diese Schule insbesondere durch die Notsituation der Nachkriegskinder als eine
,,soziale Sonderschule" eingerichtet, aber auch stark als Versuch einer
Anknüpfung an die Reformpädagogik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-
derts realisiert. Die Entwicklung der Ganztagsschule in Deutschland wurde
demnach in der Nachkriegszeit sowie in den darauf folgenden Jahrzehnten eher
in Form von Einzelprojekten und Schulversuchen weitergeführt, und die
,,anthropologisch-pädagogischen Prämissen" wurden zugunsten von funktiona-
len und gesellschaftsbezogenen Aspekten zurückgedrängt.
4
So wurde im Jahre 1968, eben in Verbindung mit den angesprochenen
,,gesellschaftspolitischen Implikationen" der damaligen Bildungsreform, vom
Deutschen Bildungsrat ein Modellversuch zur Ganztagsschule begonnen und
unter ,,sozialpolitischen Gesichtspunkten" im Jahre 1973 ein weiterer Ausbau
gefordert, der aber aufgrund mangelnder Ressourcen versickerte. Im Jahre
1981 beendigte man den Modellversuch der Bund-Länder-Kommission (BLK)
mit einem unfassenden Abschlussbericht.
2
vgl. Ludwig 2005, 34f.
3
vgl. Allemann-Ghionda 2005, 201.; Ludwig 2005, 43.
4
vgl. Ludwig 2005, 43.

9
1990/91 gab die Bundesregierung eine Studie
5
über die Ganztagsschule in
Auftrag, die die den Zustand des Ganztagsschulwesens, die elterliche
Nachfrage und die gesellschaftliche Notwendigkeit überprüfen sollte. Trotz der
Bilanz des Autorenteams, das sich für ein verstärktes Ganztagsschulangebot
aussprach, scheiterte eine damals schon hintergründig angedachte Reformpoli-
tik am tradierten Familienleitbild der Union.
6
Seit den 70er Jahren und vor der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie blieb
die Diskussion um die Ganztagsschule und die ihr zugeordneten verschiedenen
Ansätze und Modelle in den Kreisen von erziehungswissenschaftlichen
Expertisen und Expertenrunden verhaftet und gelangte nur in sehr geringen
publizistischen Dosierungen an die Öffentlichkeit. So ging aus einer Pressere-
cherche hervor, dass es seit gut einem Jahrzehnt bis ins Jahr 2001 nur ,,höchst
vereinzelte Meldungen" gab.
7
Einen dieser eher seltenen Impulse in der
Ganztagsschuldebatte vor PISA lieferte zum Beispiel die noch vor dem
Jahrtausendwechsel durchgeführte und veröffentlichte Studie des IDW
8
. Diese
Studie beschäftigte sich mit den mangelnden Kompetenzen von Schulabgän-
gern und wurde in Fachartikeln und auf diversen, noch unbekannten Plattfor-
men herangezogen, um die Einführung von Ganztagsschule argumentativ zu
untermauern: Mehr Reformen im Bildungsbereich wurden gefordert. Da
Schulreformen auf bundesdeutschem Gebiet vornehmlich Schulstrukturrefor-
men sind, rückte auch die Ganztagsschule in den Fokus der Fachdiskussion
9
,
mündete aber nicht in eine öffentliche Diskussion oder fand gar Platz auf der
politischen Agenda.
Im Rahmen einer quantitativen Betrachtung ist an dieser Stelle festzuhalten,
dass in Deutschland vor PISA und IZBB, dem von der Bundesregierung
5
vgl. Bargel&Kuthe 1991: Ganztagsschule. Untersuchungen zu Angebot und Nachfrage,
Versorgung und Bedarf. Bonn
6
vgl. Gauger 2005, 128.
7
ebd. 2005, 121.
8
vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft (IDW) 1997.
9
vgl. Hansel 2005b, 243.

10
aufgelegten Finanzhilfeprogramm, nur 4% der öffentlichen Schulen Ganztags-
schulen waren.
10
Dann folgte 2001 in Deutschland die Veröffentlichung der PISA-2000-
Ergebnisse aus dem 1. Zyklus der OECD-Studie. Dieses war das wichtigste, die
bildungspolitischen Entscheidungsträger aufrüttelnde Ereignis der jüngeren
Geschichte der deutschen Bildungspolitik. Niemals waren die Bedingungen für
Schulreformen nach dem schlechten Abschneiden bei der internationalen
Schulleistungsvergleichsstudie der OECD in Deutschland so günstig.
11
Vor
Pressemeldungen konnte man sich seit 2001 ,,nicht mehr retten"
12
und sehr
schnell entwickelte sich eine ,,intensive Diskussion um die Reform von Schule
und Unterricht"; dabei war ein die Diskussion wesentlich prägender Aspekt die
mögliche Umwandlung der Halbtagsschule in eine Ganztagsschule.
13
Anfang des Jahres 2003 wurde daraufhin von der damaligen rot-grünen
Regierungskoalition das ,,Investitionsprogramm ,Zukunft, Bildung und
Betreuung' 2003-2007" aufgelegt,
14
das die Grundlage und zugleich Antriebs-
motor für die Ganztagsschulentwicklung in Deutschland werden sollte.
Eine weitere wichtige Rolle im Verlauf der neueren deutschen Ganztagsschul-
politik spielten die beiden Ganztagsschulkongresse, die vom BMBF (Bundesmi-
nisterium für Bildung und Forschung) organisiert und durch die DKJS (Deutsche
Kinder- und Jugendstiftung) mitinitiiert wurden. Ende 2004 fand der erste
Ganztagsschulkongress statt, der zugleich die Auftaktveranstaltung für das von
der Bundesregierung und dem Europäischen Sozialfonds geförderte Begleit-
programm zur IZBB-Politik ,,Ideen für Mehr! Ganztägig Lernen!"
15
war. Im
September 2005 lud dann die GKJS zum zweiten Ganztagsschulkongress ein:
eine Veranstaltung für Experten, von der Ganztagsschulpolitik Betroffene und
10
vgl. Beblo et. al. 2005, 5.
11
vgl. Hansel 2005, 20.
12
Gauger 2005, 121.
13
Ludwig 2005, 33.
14
vgl. Fees 2005, 127.
15
Das den Implementationsprozess begleitende Programm der DKJS beinhaltet sechs
Einzelprogramme, die über 13 Serviceagenturen in den Bundesländern abgewickelt werden; sie
unterstützen den Aufbau der Ganztagsschulen mit Ratschlägen, Informationen, Networking-
Service, Material, etc.

11
Interessierte aus allen Gesellschaftsteilen. Auch hochrangige Politiker aus den
beiden großen Volksparteien sprachen sich bei dieser Gelegenheit für die
Ganztagsschule aus.
16
Wie die Darstellung der Entwicklungen zeigt, gibt es in Deutschland immer
mehr Befürworter der Ganztagsschule. Und doch gibt es auch heute, wie in den
60er und 70er Jahren zur Zeit der Modellversuche, kritische Stimmen,
Gegenargumente und spezifische Befürchtungen gegenüber der Ganztags-
schule. Im Gegensatz zu damals sind diese Wortmeldungen weniger von
ideologischen Grundpositionen, wie dem Verdacht auf die Institutionalisierung
von Erziehung, die staatliche Bevormundung oder repressive Gängelung,
eingefärbt. Heute sind sich Bildungspolitiker und die Erziehungswissenschaft
einig darüber, dass eine ,,überproportionale und obligatorische Einführung" von
Ganztagsschulen nicht das Ziel sein wird.
17
Dass es zukünftig allerdings die
Tendenz zur Einführung und Neugründung von Ganztagsschulen gibt, zeigt die
kontinuierlich ansteigende Zahl von Ganztagsschulen und ganztägig organisier-
ten Erziehungseinrichtungen in Deutschland.
18
1.2 Bildungspolitische
Positionen der politischen Parteien
Dass es schon seit Längerem eine grundsätzliche Zustimmung aller Parteien
zur Ganztagsschule gibt, ist bekannt,
19
wobei manche Parteien noch nicht vor
allzu langer Zeit der Ansicht waren, dass Ganztagsschulen in der Programmatik
für das Gewinnen von Wählerstimmen auch weniger wahlförderlich seien.
20
In den folgenden Abschnitten sollen die Grundsatzprogramme der wichtigsten
politischen Parteien Deutschlands sowie die Regierungsprogramme bzw.
Wahlprogramme der baden-württembergischen Landesparteien auf ihre
Aussagen hinsichtlich der Einführung und Funktion von Ganztagsschulen
16
Dilk 2005, 22.
17
vgl. Appel&Rutz 2003, 13.
18
ebd., 7.
19
vgl. Holtappels 2005, 139.
20
vgl. Appel&Rutz 2003, 13.

12
genauer analysiert werden.
21
Die inhaltliche Analyse der Grundsatzprogramme
hat zum Ziel, die im Rahmen der deutschen Parteienstaatlichkeit bestehenden
politischen Grundsatzpositionen zur Ganztagsschule und die Entwicklung des
Ganztagsschulgedankens auf bundesweiter Ebene nachzuvollziehen. Die
qualitative Inhaltsanalyse der parteipolitischen Landesprogramme ist für die
später in dieser Arbeit erfolgende Untersuchungen im Rahmen der Policy-
Analyse von Wichtigkeit und ebenso weil in Deutschland ein traditioneller
Bildungsföderalismus existiert und somit die Landesparteien die eigentlichen
Träger der Bildungspolitik sind. Dies bedeutet, dass die bildungspolitischen
bzw. schulpolitischen Kompetenzen im Prinzip ausschließlich zum Aufgabenbe-
reich der Bundesländer und Kommunen gehören.
22
Eine Zusammenfassung und Gegenüberstellung der einzelnen Politiken werden
am Ende des Kapitels gegeben. Des Weiteren folgen im Kapitel 1.5 Ausführun-
gen auf die zukünftige Politik der baden-württembergischen Landesregierung.
1.2.1 FDP
Dem Grundsatzprogramm der FDP
23
ist hinsichtlich der Ganztagsschulpolitik zu
entnehmen, dass sie sich für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschu-
len einsetzt. Die Argumentationsmuster lassen sich in schulpolitische bzw.
schulentwicklungstheoretische sowie familien- und frauenpolitische Politikfelder
einordnen.
Ganztagsschulen sollen vielfältige Konzeptionen und Profile aufweisen und in
allen Schulformen realisiert werden. Gefordert wird ein konkretes pädagogi-
sches Konzept, die verstärkte Förderung der Entwicklung der Kinder und
Jugendlichen, insbesondere ,,Begabungen" sollen gefördert und ,,Defizite
kompensiert" werden. Ebenso die kooperative Schulöffnung wird gefordert. Ziel
soll es sein, dass die Nachmittagsangebote gemeinsam mit allen regionalen
21
Eine Analyse des Parteiprogramms von LinkePDS wir hier nicht vorgenommen, das die
Partei weder bei der IZBB-Politik mitgewirkt haben und auch in Baden-Württemberg derzeit
nicht in der Regierungsverantwortung stehen.
22
vgl. Schubert&Klein 2006, 43.; Hansel 2005a, 31.
23
Bundesverband der FDP 2005.

13
Akteuren, Schulträgern und Eltern lokal angepasst und ,,bedarfsgerecht
erarbeitet und entwickelt" werden.
24
Ausdrücklich wird bei der FDP ebenso die familienpolitische Komponente von
Ganztagsschulen erwähnt: Die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit soll für Väter
und Mütter durch die Einführung von Ganztagsschulen erleichtert werden.
25
So heißt es weiter im Programm der baden-württembergischen Landes-FDP,
dass die Entscheidung für Familiengründung nicht an den ,,Rahmenbedingun-
gen" scheitern dürfe, die von staatlicher Seite vorgegeben seien. Der Kern der
liberalen Familienpolitik sollen die Rahmenbedingungen sein, die die Verein-
barkeit von Familie und Berufstätigkeit ermöglichen. Hier spielen die ,,Aufwer-
tung elterlicher Erziehungsarbeit" sowie der Ausbau von außerfamilialen
Betreuungsangeboten wie Ganztagsangebote an Schulen und die sog.
verlässliche Grundschule eine zentrale Rolle. Qualitative Begründungen, die für
die Einführung von Ganztagsschule herangezogen werden, sind veränderte
gesellschaftliche und familiäre Verhältnisse und die durch PISA erneut
aufgedeckte Chancenungleichheit. So müsse, laut dieser Programmatik, Schule
zum ,,Lebensraum" werden und könne sich ebenso einem ,,Betreuungs- und
Erziehungsauftrag" nicht entziehen. Infrastrukturpolitische Zielsetzung der
baden-württembergischen FDP ist die Bereitstellung eines Ganztagsschulange-
bots in der Nähe jedes Elternhauses. Im Rahmen der zukünftigen Ganztags-
schulpolitik sollen im Rahmen der Finanzierung des Schulhausbaus schwer-
punktmäßig die Hauptschulen mit ihren spezifischen Problemlagen bedacht
werden.
26
Außerdem beschreibt die baden-württembergische FDP einen ,,neuen Typ" von
Ganztagsschulen. Hier ist die Nutzung der schon ,,vorhandenen Strukturen in
den Bereichen Musik, Theater, Sport, Volkshochschule und Jugendarbeit", die
,,Schaffung spezieller Förderangebote in Wissenschaft und Technik" und die
Mithilfe von ,,Elterninitiativen" für zusätzliche Bildungs- und Betreuungsangebote
vorgesehen. Hinsichtlich der Finanzmittelausstattung ist angedacht, den
Ganztagesschulen ,,neuen Typs" ein Budget zur Selbstverwaltung zur
Verfügung zu stellen, das für die schulindividuellen Programmaufla-
24
Bundesverband der FDP 2005, 23.
25
vgl. Bundesverband der FDP 2005, 35.
26
vgl. Beschluss des 99. Ordentlichen Parteitages der FDP, 2005, 1.

14
gen/Programmatik oder für die Finanzierung von Schulsozialarbeit eingesetzt
werden soll. In Sachen Personalpolitik wird von den Liberalen in Baden-
Württemberg vorgeschlagen, die bestehenden Ganztagsschulen mit 7 bis 10
Lehrerwochenstunden pro Klasse personell zu versorgen. Hierbei soll auf die
Lehrpersonalressourcen zurückgegriffen werden, die durch den demographi-
schen Wandel freigesetzt werden.
27
1.2.2 Bündnis 90/Die Grünen
Die bildungspolitischen Forderungen von Bündnis90/Die Grünen sind für ein
,,flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen". Begründet wird dies im
Grundsatzprogramm mit einer Reihe von Argumenten, die nominell verschiede-
nen Politikfeldern, hierzu gehören sozial- und integrationspolitische sowie
frauen- bzw. familienpolitische Argumentationsmustern, zuzuordnen sind. Auch
schulpädagogische Ansätze werden benannt.
Als wichtiges Element der Sozialpolitik plädiert man für die ,,Förderung der Lern-
und Entwicklungsmöglichkeiten der jungen Menschen über den derzeitigen
Unterrichtsrahmen hinaus". Insbesondere für die ,,Kinder von Einwanderern" sei
die Ganztagesschule bedeutsam, ,,um deren Rechte auf [gesellschaftliche,
S.H.] Teilhabe abzusichern." Des Weiteren werden auch Schulen in prekären
gesellschaftlichen Stadtteilen angesprochen; demnach benötigen vor allem
Brennpunktschulen eine Vielfalt von Möglichkeiten, um auf die Bedürfnisse ihrer
Schülerinnen und Schüler angemessen zu reagieren.
28
Ebenso wird im Zusammenhang mit der Wissensgesellschaft die Ganztages-
schule als Angebot für alle Schulformen unterstützt. Argumentiert wird hier mit
den Möglichkeiten der Schulöffnung aller Schulformen und der dadurch
ermöglichten Ausweitung des Lernens auf außerschulische Lernbereiche.
Außerdem soll die Ganztagsschule einen Raum für ,,vielfältige Lernerlebnisse,
Anregungen und soziale Kontakte" bieten.
29
Neben Kindergärten kommt, nach Ansicht der Bündnisgrünen, auch der
Ganztagschule im Zusammenhang mit der Entwicklung der ,,Sprache der
27
vgl. Beschluss des 99. Ordentlichen Parteitages der FDP, 2005, 2f.
28
vgl. Grundsatzprogramm Bündnis90/Die Grünen 2002, 72f.
29
vgl. ebd., 97f.

15
Mehrheitsgesellschaft" von Migrantenkindern eine Schlüsselfunktion zu. Im
Rahmen einer Ausrichtung der Schulen zu interkulturellen Bildungskonzepten
sollen vor allem Ganztagsschulen ein wichtiger Multiplikator für Integrationsleis-
tungen werden ­ explizit werden auch in diesem Zusammenhang einheimische
Kinder als wichtige Bestandteile von Integrationspolitik miteinbezogen.
30
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vor allem unter einer genderpoliti-
schen Prämisse, ist für die bündnisgrüne Politik zentral und wird im Grundsatz-
programm mehrfach erwähnt. In die Argumentationsmuster für die Einführung
von Ganztagsschulen reiht sich auch die Zielvorstellung von Geschlechterge-
rechtigkeit ein, und ebenso sieht man in der Implementation von Ganztagsschu-
len die Voraussetzung für Eltern verbessert, die Vereinbarkeit von familialen
Aufgaben und beruflicher Verwirklichung zu realisieren.
31
Zur Umsetzung der politischen Ziele fixiert das Grundsatzprogramm folgende
Etappen vor. Auf ein im ersten Schritt zu gewährleistendes Infrastrukturmaß-
nahmenpaket, welches die Bündnisgrünen in der so genannten rot-grünen
Regierung mitgestalteten und verantworteten, soll darauf folgend sogar eine
,,Betreuungsgarantie" eingeführt werden. Dem bündnisgrünen ,,Schlüsselprojekt:
Politik auf Kindernasenhöhe" zufolge, soll eine Politik angestrebt werden, die
,,eine wirkliche Wahlfreiheit für ein Leben mit Kindern" für alle Eltern gewährleis-
ten könne. Zur Realisierung einer zukünftigen bedarfsgerechten Betreuungsga-
rantie für Kinder ab dem ersten Lebensjahr soll ein ,,Aktionsplan" für den
,,qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten und
Ganztagsschulen" sorgen. Den Eltern soll hierbei allerdings das Recht auf
Wahlfreiheit bezüglich der Inanspruchnahme und Ausgestaltung des Betreu-
ungsangebots konzediert werden.
32
Auch die Bündnisgrünen auf Landesebene wollen Ganztagsschulen im ganzen
Land flächendeckend ausbauen und pädagogisch ausgestalten. Im Regie-
rungsprogramm finden sich ausführliche und konkrete Vorstellungen in
schulpädagogischer, finanzieller und personeller Hinsicht.
30
vgl. ebd., 124.
31
vgl. ebd., 97.
32
vgl. Grundsatzprogramm Bündnis90/Die Grünen 2002, 73 u. 76.

16
Für die baden-württembergischen Landesgrünen ist ein grundlegendes
Argument für die Einführung von Ganztagsschulen mit der Reaktion auf PISA
verbunden, um die Entschärfung des Zusammenhangs zwischen den beiden
Variablen ,,soziale Schichtzugehörigkeit und Bildungschance" voranzutreiben.
33
Als weitere Gründe, die aus Sicht der Grünen für die Einführung von Ganztags-
schulen sprechen, werden außerdem angeführt: Individuelle Fähigkeiten vieler
junger Menschen werden nicht ausreichend ,,ausgeschöpft", zu viele junge
Menschen verlassen ohne einen Abschluss die Schule und das Minimalleis-
tungsniveau wird von einer zu geringen Schülerquote erreicht. Für entspre-
chende Reformen spreche ebenso die Auffälligkeit, dass einerseits Schüler mit
Migrantenhintergrund zu oft zu den Bildungsverlieren gezählt werden müssen
und andererseits die Schüler, deren Begabung und Leistungsfähigkeit
signifikant hoch ist, nicht genügend Forderung erhalten. So sollen neben der
Stärkung der Grundschulen ganz allgemein die Bedingungen des Lernens und
Lehrens verbessert werden. Dies soll neben einer Klassenverkleinerung durch
Ganztagsschulen und die so entstehende Ausweitung der ,,Bildungszeit"
geschehen. Alle Ganztagsschulen mit fundierten pädagogischen Konzeptionen
sollen zusätzliche Lehrerstundenkontingente erhalten. Hierzu sollen die durch
den demographischen Wandel bedingten vakanten Lehrerwochenstundenkon-
tingente genutzt werden und mehr Lehrer an Ganztagsschulen eingestellt
werden, um die ,,flächendeckende" Expansion des Ganztagsschulwesens
personell zu unterfüttern.
34
Auf der schulpädagogischen Ebene wird explizit das Potenzial der Ganztags-
schulen beschreiben, abwechslungsreiche Formen des Unterrichts realisieren
zu können. Auch die Überlegungen hinsichtlich der externen Kooperation von
Ganztagsschulen werden im Regierungsprogramm der Bündnisgrünen auf
Landesebene ausgiebig und strukturiert thematisiert. Die Bündnisgrünen
fordern die Konzentration des Lernens in der Schule; so wird der übermäßige
von den Eltern finanzierte Nachhilfeunterricht bzw. die elterliche Hausaufga-
benhilfe nach der Halbtagsschule als ,,Absurdität" bezeichnet.
35
33
Bündnis90/Die Grünen ­ Baden-Württemberg 2005, 4.
34
vgl. Wahlprogramm von Bündnis90/Die Grünen ­ Baden-Württemberg 2005, 19.
35
vgl. ebd., 21.

17
Deshalb schlagen die Bündnisgrünen eine höhere Finanzierung der Ganztags-
schulpolitik durch das Land im Rahmen eines "Landes-IZBB" für den Bau von
Ganztagsschulen vor. Hierfür soll eine ,,Bündelung der Landesschulbaumittel"
erfolgen und auch Finanzmittel aus den ,,Erlösen der Landesstiftung" in
Anspruch genommen werden. Aus den angesprochenen Investitionsmitteln
könnten dann auch die oben erwähnten additiven Lehrerstundenkontingente
und die Honorare von Lehrbeauftragten sowie die Aufwandsentschädigungen
für ,,ehrenamtlichen Kräfte" finanziert werden.
36
1.2.3 SPD
Im überarbeiteten Grundsatzprogramm der SPD von 1998, dem so genannten
Berliner Programm, wird die Ganztagsschule in sozial- bzw. integrationspoliti-
schen Zusammenhängen sowie im Spektrum der Frauen- und Familienpolitik
tangiert. Auch eine schulpädagogische Vorstellung wird angeschnitten.
Im Kontext mit allgemeinen Aussagen zur Gleichstellungs- und Frauenpolitik
wird konkretisiert, dass ,,Kindertagesstätten und Ganztagsschulen" zu den
Voraussetzungen gehören, ,,dass Erwerbs- und Familienarbeit für Männer und
Frauen" in Einklang gebracht werden kann.
Die sozialintegrative und schulpädagogische Dimension lautet hier: ,,Wir wollen
Ganztagsschulen anbieten, weil sie Chancengleichheit fördern, soziales Lernen
und den Wechsel von Wissensvermittlung, Gemeinschaftsarbeit und Spiel
ermöglichen." Ferner wird die Funktion der Ganztagsschule als eine Vorausset-
zung für die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit erkannt und
thematisiert.
37
Diese programmatisch eher dürftig dargestellten Sachverhalte haben sich auf
Bundesebene nach PISA und mit der IZBB-Politik verändert und werden, wie im
Regierungsprogramm der baden-württembergischen SPD zu erkennen ist, auf
Landesebene weitergeführt.
Die Ganztagsschule wird im Regierungsprogramm der baden-
württembergischen SPD einmal unter dem Gerechtigkeitsaspekt in Sachen
36
vgl. ebd., 22.
37
Grundsatzprogramm der SPD 1998, 21 u. 31.

18
Bildung thematisiert. Mit dem Verweis auf die internationale Bildungsstudie
PISA wird auch die Ganztagsschule als Problemlösungsansatz bei der
Ungerechtigkeit des Zugangs zu gleichen Bildungschancen angeführt. So heißt
es im Regierungsprogramm: Eine verbesserte ,,Bildungspolitik ist der Schlüssel
zu mehr Gerechtigkeit". Um im Bildungswesen Gerechtigkeit und Chancen-
gleichheit herzustellen, dürften Bildungschancen nicht von der sozialen
Herkunft abhängen. Im Zuge dieser Feststellung sei es notwendig, individuelle
Förderung und längere gemeinsame Lernzeiten auch durch Ganztagsschulen
zu ermöglichen. Nach Ansicht der baden-württembergischen SPD ist die
Einrichtung von Ganztagsschule in städtischen Brennpunktgebieten nicht
ausreichend und mehr qualifiziertes Personal für Ganztagsschulen notwendig.
Auch soll bei der Einführung von Ganztagsschulen die Gelegenheit genutzt
werden, eine ,,Neuausrichtung von Schule und Unterricht" zu verwirklichen.
38
Ziel ist es, das Ganztagsschulangebot so auszuweiten, dass mindestens ein
Drittel der Schüler ein Ganztagsschulangebot mit ausreichend pädagogischem
und sozialpädagogischem Personal vorfinden. Auch soll mit der Ausweitung
von Ganztagsschulangeboten darauf abgezielt werden, dass ,,ausgereifte und
stärker differenzierte Unterrichtsmodelle" realisiert werden können. Desgleichen
wird die schulindividuelle Profilbildung von Ganztagsschulen erwähnt; hierbei
soll Eltern und Schülern eine aktive Rolle zukommen. Die beiden zuletzt
genannten Punkte sind Hinweise auf die Ausgestaltung der oben genannten
,,Neuausrichtung": Profilbildung von Schulen durch Schulprogramme mit
Einbezug der Eltern und Schüler und eine moderne Unterrichtsentwicklung will
man im Zuge der Einführung von Ganztagsschulen vorantreiben. Im Zusam-
menhang mit der Implementierung von Ganztagsschulen sieht man Möglichkei-
ten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
39
1.2.4 CDU
Im Grundsatzprogramm von 1994 legt die CDU im Bezug auf die Ganztags-
schule als politische Grundlinie fest, dass ,,Ganztagsangebote auf freiwilliger
Grundlage in allen Schulformen" Eingang finden. Vor allem der sozialintegrative
38
SPD Landesverband Baden-Württemberg 2006, 13f.
39
vgl. SPD Landesverband Baden-Württemberg 2006, 25ff.

19
Aspekt hinsichtlich der Kinder mit Migrationshintergrund sei auf eine solche
Form der Schulorganisation ,,angewiesen." Die Erziehungsaufgaben, die zur
,,personalen Eigenständigkeit" und ,,Ge- meinschaftsfähigkeit" sowie einem
,,Werte- und Verantwortungsbewusstsein" führen, werden im Wesentlichen der
Familie zugesprochen. Erziehung, so wird verfassungsrechtlich stringent und
gemäß dem christdemokratischen Familienleitbild begründet, sei Elternrecht.
An dieser Stelle wird explizit auf die ,,Rechte und Pflichten" hingewiesen, die bei
einer Entscheidung für Kinder entstehen.
40
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird zwar ausführlich diskutiert,
allerdings nicht mit einem Ganztagsschulangebot in Verbindung gebracht.
Angedeutet wird die Notwendigkeit, dass Unternehmen und Gemeinden ,,mehr
und flexiblere Betreuungseinrichtungen" für Kinder verschiedenen Alters zur
Verfügung stellen müssten, um die Voraussetzungen für Familie und Erwerbs-
tätigkeit zu verbessern.
41
Das staatliche Bildungs- und Erziehungswesen wird hier nicht als Betreuungs-
agentur eingeordnet, vielmehr zielt man auf eine Anpassungsleistung des
Wirtschaftssystems ab, indem argumentiert wird: ,,Erziehungsarbeit bedeutet
nicht den endgültigen Verzicht auf Erwerbsarbeit". Vielmehr will die CDU ihren
Beitrag dazu leisten, dass sich die Arbeitswelt familiengerechter entwickelt.
42
Aus dem Regierungsprogramm der baden-württembergischen Christdemokra-
ten von 2005 ist abzulesen, dass sich die Bildungspolitik der CDU verändert
hat. Ganztagsschulen werden nicht nur als bildungspolitische und familienpoliti-
sche Option anerkannt resp. nur theoretisch-konzeptionell diskutiert, sondern
auch realisiert. Das heißt, den baden-württembergischen Christdemokraten ist
die Einrichtung von Ganztagsschulen inzwischen ein Schwerpunkt der
Bildungs- und Familienpolitik geworden. Bezüglich der Quantität der einzurich-
tenden Ganztagsschulen beschreibt das Regierungsprogramm die Zielvorstel-
lung eines ,,flächendeckenden und bedarfsgerechten" Angebots an Ganztags-
schulen. Ausgegangen wird hierbei von den Adressaten der Ganztagsschule:
Die Familien, die den Wunsch haben, eine Ganztagsschule in Anspruch zu
nehmen, sollen diese in ihrer nächsten Wohnortumgebung für jede Schulform
40
Christlich Demokratische Union 1994, 23.
41
Christlich Demokratische Union 1994, 16.
42
Christlich Demokratische Union 1994, 23.

20
finden können. Für die konkrete Ausgestaltung der Angebote von Ganztags-
schulen spielt in der christdemokratischen Politik der Einsatz von so genannten
ehrenamtlichen Jugendbegleitern eine relevante personelle Rolle. So sollen im
Rahmen der Nachmittagsbetreuung ,,Vereine, Kirchen und Verbände sowie
interessierte Einzelpersonen sich auf ehrenamtlicher Basis" an der Ganztags-
schule und deren Nachmittagsgestaltung beteiligen. Bildung sei nicht nur die
Aufgabe des Staates, sondern eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Die
Ganztagsschule wird als ein ,,Ort der Begegnung" zwischen Schule und den
verschiedenen Gliedern der Gesellschaft angesehen.
Als eine schulpädagogisch ausgerichtete Vorgabe kann der Hinweis im
Parteiprogramm gewertet werden, dass Ganztagsschulen für die baden-
württembergische CDU ,,mehr als Halbtagsschulen mit Nachmittagsbetreuung"
seien. Hier wird auf das schulindividuelle, pädagogisch fundierte Profil der
Einzelschule hingewiesen, das für als Ganztagsschulen zentrales Element
anvisiert wird. Den zusätzlichen personellen Anforderungen der Ganztagsschu-
len unter Einbeziehung der rechnerisch frei werdenden Lehrerstellen, die sich
aufgrund der allgemein rückläufigen Schülerzahlenentwicklung auftun, Genüge
leisten. Im Zusammenhang mit dem Lehrkörper der Schulen wird auch die
Lehrerausbildung angesprochen; demnach sollen ,,pädagogische Kompeten-
zen", die für die qualitative Arbeit in Ganztagsschulen notwendig ist, in der
Lehrerausbildung gestärkt werden.
43
1.2.5 Zusammenfassung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
An dieser Stelle muss noch hervorgehoben werden, dass nur geringe
Unterschiede bei der generellen Haltung gegenüber Ganztagsschulen in den
diversen Parteiprogrammen vorzufinden sind: Die Befürwortung von Ganztags-
schulen ist weitestgehend Konsens. Bei exakterem Vergleich sind jedoch
Unterschiede, differierende Zielvorstellungen und mitunter konfliktbehaftete
Realisierungs- bzw. Finanzierungsoptionen in den Parteiprogrammen
beobachtbar.
Die ausdrückliche Voraussetzung für die Umstrukturierung einer Halbtagsschu-
le in eine Schule mit Ganztagsangebot ist die Vorlage einer fundierten
43
CDU Baden-Württemberg 2006, 41ff.

21
pädagogischen Konzeption; dies wird bei allen politischen Parteien von den
Schulen verlangt.
Interessant sind die Positionen der Liberalen und Christdemokraten, die
einerseits mit der Ganztagsschule neuen Typs und andererseits mit den
Lernbegleitern bzw. der paradigmatischen Aussage, Bildung sei Aufgabe der
Gesamtgesellschaft, sehr stark und offensichtlich auf Kostenneutralität
abzielen, indem externe Akteure (geeignete Vereine, Verbände, private
Initiativen und Institutionen) intensiv in die Ganztagsschulen eingebunden
werden sollen.
Vordergründig betrachtet wird parteiübergreifend vorgeschlagen, in allen
gegebenen Schulformen (Gymnasium, Realschule, Hauptschule) Ganztags-
schulen zu formieren, wobei hier in den einzelnen Parteiprogrammen bei
genauerer Analyse doch Differenzierungen zu beobachten sind. Die baden-
württembergische Landes-SPD bewertet die Einrichtung von Ganztagsschulen
in sozialen Brennpunktgebieten als nicht ausreichend, wohingegen CDU und
FDP gleichermaßen eine gewisse Absicht hinsichtlich der gezielten Förderung
von Hauptschulen resp. Brennpunktschulen aufweisen. Die Bündnisgrünen
integrieren für die zukünftigen Entwicklungen beide Tendenzen.
Neben der Debatte um die Schulform der Ganztagsschule existiert in den
Parteiprogrammen das Begriffspaar ,,Flächendeckung" und ,,Bedarfsgerechtig-
keit." Die Begriffe sollten nicht als absolute Gegenspieler, sondern als synonym,
jedoch mit gewisser Einschränkung betrachtet werden. Die Zielvorstellung eines
flächendeckenden Angebotes sagt wenig über die greifbare Dichte von
Ganztagsschulen aus. Gleichermaßen kann Bedarfsgerechtigkeit eher ein Netz
von Ganztagsschulen aller Schulformen in den Einzugsgebieten beschreiben.
Die großen Volksparteien sowie die FDP verwenden beide Begrifflichkeiten;
ausschließlich die Bündnisgrünen verwenden den Begriff Flächendeckung
durch ihre gesamte Programmatik hindurch.
Die FDP begründet die Einführung von Ganztagsschulen nicht mit der
Möglichkeit, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund voranzutrei-
ben. Dies ist bei den Grünen mehrfach und in verschiedener Hinsicht der Fall
(z. B. in Bezug auf Sprache und interkulturelle Gemeinschaftspflege). Auch bei
der CDU spielt dieses Argument eine Rolle; bei den Sozialdemokraten wird in
dieser Richtung nicht argumentiert.

22
Bei den schulpädagogischen Erwägungen zur Entwicklung von Unterricht und
Schulklima argumentiert keine Partei so ausführlich und ganzheitlich wie die
Bündnisgrünen. Dies ist ein Indiz dafür, dass qualitativer bildungspolitischer
Sachverstand vorliegt.
Die Erhöhung der Chancengleichheit auf Bildungsmöglichkeiten wird von der
SPD allerdings eingebracht. Dies ist auch bei den Christdemokraten und den
Bündnisgrünen der Fall, wobei die Liberalen auch hier keinen möglichen
Synergieeffekt als Argument benennen.
Alle Parteien sehen in der Implementation von Ganztagsschulen die Chance,
die vielfach auch öffentlich und vielseitig diskutierte Vereinbarkeitsproblematik
zwischen Familie und Berufstätigkeit von Frauen (und Männern) um ein Stück
Brisanz zu entschärfen. Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass die Bündnisgrü-
nen in Sachen Frauenpolitik, Genderpolitik und frauenemanzipatorischen
Aspekten in ihrem Wahlprogramm die höchste Konzentration erzielen.
Bezüglich der Lehrerversorgung der bisher realisierten und zukünftig personell
auszustattenden Ganztagsschulen machen es sich die Sozialdemokraten auf
Landesebene zum Ziel, ausreichend pädagogisch und sozialpädagogisch
qualifiziertes Personal an Ganztagsschulen einzusetzen. Genaue Angaben
über die Personalbeschaffung und -finanzierung werden jedoch nicht angeführt.
Die anderen Parteiprogramme zielen bei der personellen Versorgung der
Ganztagsschulen explizit auf den Einsatz der Lehrerstellen ab, die durch den
demographisch bedingten Rückgang der Schülerzahlen entstehen. Nur die
Liberalen konkretisieren in ihrem Regierungsprogramm die Lehrerstellenkontin-
gente für Ganztagsschulen auf sieben bis zehn Lehrerwochenstunden pro
Klasse. Bei den Vorschlägen zur Finanzierung sind offensichtlich die baden-
württembergischen Bündnisgrünen am mutigsten ­ immerhin wird mit dem
Verweis auf verfügbare Gelder der Landesstiftung ein konkreter Finanzierungs-
vorschlag für die Personalproblematik der Ganztagsschulen gemacht.
Einführung von Ganztagsschulen auf der Grundlage von Kostenneutralität ist
von den Bündnisgrünen nicht vorgesehen.
Hier hingegen planen CDU und FDP eine möglichst kostenneutrale Einführung
von Ganztagsschulen: Die CDU mit dem Jugendbegleiterprogramm und der
Schulöffnung als Verwirklichung der gesamtgesellschaftlichen Angelegenheit

23
,,Bildung"; die FDP mit der Ganztagsschule ,,neuen Typus", die eher auf ein
kommunitaristisches Outsourcingprojekt hinweist.
So ist an der Politik der aktuellen Landesregierung aus CDU und FDP zu
erkennen, dass die Versprechungen des Parteiprogramms umgesetzt werden
(Erhöhung des Klassenteilers, Einsparung von Lehrerstellen durch eine
zusätzliche Unterrichtsverpflichtung für Referendare, Sperrung mehrerer
Hundert Lehrerstellen
44
). Grundsätzlich ist an dieser Stelle zu sagen, dass
diese aktuelle Politik angesichts der allgemeinen Haushaltslage finanzpolitisch
auch eine realistische Politik darstellt. Demnach machen diejenigen Parteien,
die die Politik und deren Finanzierung zurzeit verantworten müssen, kosten-
neutralere Vorschläge als die Oppositionsparteien. Die Opposition steht nicht
unter Rechtfertigungsdruck und kennt keine Haushaltszwänge. So wirft die
Opposition aus SPD und Bündnisgrünen in Baden-Württemberg der Regierung
einige Versäumnisse und Unzulänglichkeiten vor und führt teurere, aber auch
qualitativ und pädagogisch hochwertigere Programme für den Ausbau der
Ganztagsschulen ins Feld.
1.3 IZBB ­ Finanzhilfeprogramm des Bundes zum Ausbau von
Ganztagsschulen
Der Bund stellt vier Milliarden Euro zur Verfügung, die in einem ,,Schulentwick-
lungsprogramm" zum Ausbau von Ganztagsschulen und Schulen mit
ganztägiger Betreuung eingesetzt werden sollen. Nach diesem Investitionspro-
gramm der Bundesregierung ist die Erhöhung der Ganztagsschulplätze von
derzeit 4% auf zukünftig 30% das quantitative Hauptziel des Programms.
45
Durch die Mittelvergabe werden die Länder und deren bildungspolitische
Institutionen ,,gezwungen", Ganztagsschulkonzeptionen zu entwerfen und zu
realisieren, um an die Fördermittel des Bundes zu gelangen.
46
Von den
Ländern sollen die Gelder aus dem Finanzhilfeprogramm als Anlaufhilfe für den
Ausbau eines ,,bedarfsorientierten" Ganztagsschulangebots ,,in allen Regionen"
44
GEW 2006, 25.
45
vgl. Beblo 2005, 5.
46
Fees 2005, 125.

24
verwendet werden.
47
Die Bundesregierung stellt dieses Geld als eine einmalige
Finanzierungsleistung ausschließlich für Infrastrukturmaßnahmen zur
Verfügung
48
, wobei die Mittel von den Ländern als ,,Zusatzfinanzierung zu den
Eigenaufwendungen"
49
eingesetzt werden müssen. Die Finanzhilfe des Bundes
wird nur für Realinvestitionen wie Neubau, Ausbau oder Umbau von Schulge-
bäuden, Mensen, Küchen und Aufenthaltsräumen sowie für die Beschaffung
von Ausstattungsgegenständen verwendet.
50
Derartige Finanztransfers vom Bund an die Länder sind nach Art. 104a, Abs. 4
des Grundgesetzes möglich. Bei den grundgesetzlichen Festlegungen über das
Finanzwesen ist in Absatz 4 die rechtliche Grundlage für derartige Finanzhilfen
begründet: ,,Der Bund kann Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitio-
nen [...] gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts [...] oder zur Förderung wirtschaftlichen Wachstums erforderlich
sind [...]."
51
Die Verteilung der Gelder wird im Falle des IZBB-Programms über eine
Verwaltungsvereinbarung geregelt. Diese Verwaltungsvereinbarung zwischen
Bund und Ländern regelt die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei
der Verteilung der Finanzhilfe des o. g. Investitionsprogramms, die annuale
Staffelung der Bereitstellung der Finanzhilfe innerhalb des vorgesehen
Zeitraums 2003 bis 2007 und die Voraussetzungen zur Bewilligung von
Fördergeldern für Ganztagsschul-Projekte im Sinne der Zweckgebundenheit.
Ebenso wird die konkretisierte Verteilung der vier Milliarden Euro an die
einzelnen Bundesländer geregelt. Diese ist abhängig von den Schülerzahlen
der Länder an Grundschulen und den Sekundarstufen I.
52
Auch die Meldefristen
der jährlichen ,,Vorhabenplanung" an den Bund und die daran geknüpfte
Zuteilung der Mittel werden in der Verwaltungsvereinbarung formalisiert. In
47
vgl. BMBF 2003, Präambel.
48
vgl. BMBF 2003, 3.; Gauger 2005, 138.
49
Verwaltungsvorschrift, 5.
50
vgl. Gauger 2005, 138.; vgl. auch BMBF 2003, 3.
51
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, 66.
52
vgl. Fees, 2005, 126.

25
Artikel 4 der Verwaltungsvereinbarung ist die Verteilung der Gelder an die
Schulen geregelt. Sie sieht vor, dass die Schulen ihre ,,Förderanträge" an die
Länder stellen und diese dann auswählen, welche Vorhaben zur Finanzierung
zugelassen und in die Vorhabenplanung aufgenommen werden. Die Länder
haben nach Abschnitt 1 die Möglichkeit, das Verfahren zur Verteilung der
Gelder selbst zu bestimmen.
53
Im IZBB-Programm sind keine Mittel für die
Weiterfinanzierung der dann bis 2007 eingeführten Ganztagsschulangebote
enthalten. Somit steht nach der Platzierung der Anschubfinanzierung durch die
letzte Bundesregierung die Folgefinanzierung der ,,Versorgungs- und Gestal-
tungsgesichtspunkte" noch aus.
54
1.4 Versorgung mit Ganztagsschulen vor und nach IZBB
Im folgenden Abschnitt sollen die aktuellsten Zahlen über die Versorgungs- und
Angebotssituation von Ganztagsschulen in Deutschland und in Baden-
Württemberg kurz aufgezeigt werden.
Vor der Förderung durch IZBB existierten in Deutschland nach den Berechnun-
gen der Bundesländer insgesamt 478 Ganztagsschulen
55
. Legt man die Anzahl
der Ganztagsschulen auf die Anzahl der verfügbaren Plätze per Schüler um, so
ergibt die Berechnung von Beblo für Grundschulen eine Versorgung mit
Ganztagsschulplätzen von 0,55 Plätzen pro 100 Grundschüler und die
Möglichkeit einer Nachmittagsbetreuung in Horten von 5,47 Plätzen pro 100
Kinder im Alter zwischen 6,5 und 10 Jahren.
56
Seit dem Förderungsbeginn durch das IZBB-Programm verbessert sich dieses
Verhältnis signifikant. Bis zum Stichtag im Jahr 2004 war rund eine Milliarde der
Finanzhilfe an bereits angemeldete und genehmigte Vorhaben vergeben.
57
53
vgl. BMBF 2006.
54
Hansel 2005, 26.
55
BMBF 2006, 3.
56
Beblo 2005, 7.; Über die unterschiedlichen landesspezifischen Angebotssituationen von
Ganztagsschulen in Deutschland vgl. auch Beblo 2005, 6.; Holtappels 2005, 128. und Fees
2005, 128ff.
57
Gauger , 138.

26
Insgesamt existieren seit 2006 deutschlandweit insgesamt 9004 realisierte
Maßnahmen im Ganztagsschulbereich.
58
Zwischen den Jahren 2003 und 2005 wurde die Zahl der Ganztagsschulen in
Baden-Württemberg auf 150 erhöht
59
, was im Jahr 2005 80.000 Plätzen in
öffentlichen Ganztagsschulen resp. einem Angebot für 6% der Schüler
entspricht.
60
Mit der Unterstützung des IZBB-Programms konnten bis 2005
insgesamt 565 Vorhaben aufgenommen werden. Dennoch kamen 349
Anmeldungen von Schulen in Baden-Württemberg, die mit ihren ausgearbeite-
ten Konzeptionen Bundesmittel beantragten, aufgrund von Mittelknappheit nicht
zum Zuge.
61
1.5 Ganztagsschulpolitik
der
baden-württembergischen Landesre-
gierung
Für das Land Baden-Württemberg stehen für 2003 bis 2007 aus dem IZBB-
Programm 528 Mio. Euro zur Verfügung.
62
Von den Bundesländern werden die
qualitativen Voraussetzungen und Qualitätsstandards an das notwendige
pädagogische Konzept zur Einrichtung einer Ganztagsschule mitbestimmt
sowie das Verfahren zur Mittelzuweisung selbst gewählt.
63
Im Normalfall ist die
vorgegebene Rahmenbedingung für die Förderung der Schulen die Ausarbei-
tung eines pädagogischen Konzepts. Nach welchen Kriterien diese Konzepte
bearbeitet und ausgewählt werden, ist allerdings für die letztendliche Qualität
der neuen Ganztagsschulen relevant.
In Baden-Württemberg wurde das so genannte Windhundverfahren oder auch
Windhundprinzip angewendet: Dies bedeutet, dass diejenigen Schulen, die
ihren Förderantrag zuerst stellen, bei der Mittelvergabe auch dementsprechend
berücksichtigt werden.
64
58
BMBF, 3.
59
Beschluss des 99. Ordentlichen Parteitages der FDP 2006, 4.
60
SPD Landesverband Baden-Württemberg, 28.
61
Beschluss des 99. Ordentlichen Parteitages der FDP 2006, 4.
62
vgl. GEW 2006, 4.
63
vgl. hierzu auch Becker/Debold 2005.
64
vgl. Wahlprogramm von Bündnis90/Die Grünen ­ Baden-Württemberg, 12.

27
Obwohl die derzeitigen finanziellen Gegebenheiten in den öffentlichen
Haushalten schwierig sind und sich nur ,,eingeschränkte Ganztagsversionen"
umsetzen lassen,
65
haben sich CDU und FDP, die beiden in Regierungsverant-
wortung stehenden Parteien in Baden-Württemberg, auf eine für die Zukunft
ausgelegte ,,Investitionsoffensive Ganztagsschule"
66
geeinigt. Die Angaben
über die Investitionshöhe besagen, dass über einen Zehn-Jahres-Zeitraum als
Folgeprogramm des IZBB-Programms eine Milliarde Euro Schulhausbauför-
dermittel in den Ausbau von Ganztagsschulen investiert werden sollen.
67
Im baden-württembergischen bildungspolitischen Prozess wird von der
Oppositionspartei Bündnis90/Die Grünen die Verteilung der Bundesmittel des
IZBB-Programms nach dem ,,Windhundprinzip" kritisiert. So haben viele
Einrichtungen mit ,,pädagogisch sinnvollen Konzepten" keine Gelder bekom-
men. Hinzu kommt dass, die Größenordnung der Nachfrage in Kommunen bzw.
Schulen nach den zur Verfügung stehenden Mitteln so immens war, dass sich
die (Bundes-)Mittel als insuffizient erwiesen. Das neu aufgelegte Investitions-
programm der jetzigen Landesregierung sehen die Bündnisgrünen gegenüber
den Kommunen, die die höchste Finanzlast zu tragen haben, als ungerecht an.
So stehle sich die Landesregierung mit dem neuen Investitionsprogramm vom
Oktober 2005 aus ihrer Verantwortung für die Ganztagsschulen. Die finanzielle
Hauptlast des neuen Programms solle auf die Kommunen abgewälzt werden,
die 550 Mio. von einer Milliarde Euro Gesamtumfang in den nächsten neun
Jahren tragen sollen. 300 Mio. Euro wolle das Land aus dem kommunalen
Finanzausgleich entnehmen und nur 150 Mio. Euro originäre Landesmittel
beisteuern. Unterm Strich bedeute dies: Das Land will jährlich lediglich 17 Mio.
Euro zum Ausbau der Ganztagsschulen beisteuern.
68
Als Kritik an der Verteilung der Bundesmittel bleibt zu sagen, dass die
Positionen der Bündnisgrünen nachzuvollziehen ist, da sich die Qualität bei
übereilt gefertigten Schulprogrammen womöglich defizitär darstellen könnte.
65
Appel&Rutz 2003, 8.
66
Regierungsprogramm der FDP 2006-2001, 4.
67
vgl. CDU Baden-Württemberg 2006, 43.; Beschluss des 99. Ordentlichen Parteitages der
FDP 2006, 4.
68
Wahlprogramm von Bündnis90/Die Grünen ­ Baden-Württemberg, 21.

28
Die Vermutung, dass die besagten 349 nicht angenommenen Anträge im
Vergleich teilweise ein höheres qualitatives Schulentwicklungspotential gehabt
hätten, könnte berechtigt sein. Ob der zweite von den Bündnisgrünen
vorgebrachte Kritikpunkt, nämlich der heimliche Rückzug aus der Ganztags-
schulpolitik zutrifft oder nur eine fiskalpolitisch bedingte Sparmaßnahme ist,
kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.
Allerdings wird von den Freidemokraten unter dem Verweis auf das Subsidiari-
tätsprinzip eine Neuordnung für die ,,Aufgaben- und Finanzierungsverantwor-
tung" angestrebt, sodass für zukünftige Mittelaufwendungen die ,,Verantwor-
tungsbereiche" geklärt sein würden. Dies kann ein programmatischer Hinweis
auf die Lösung der derzeitigen Problematik der Finanzierung von Schulen sein,
die die FDP scheinbar über die Delegation der Kosten an niedriger stehende
Ebenen abwälzen möchte.
69
Von Seiten der SPD werden der baden-württembergischen Landesregierung
Versäumnisse dahingehend vorgeworfen, dass bei der Einrichtung von
Ganztagsschulen in städtischen Brennpunktengebieten nicht ausreichend und
dabei unzureichend qualifiziertes Personal zur Verfügung gestellt werde.
70
Nähme man die Angaben der FDP (sieben bis zehn Lehrerwochenstunden pro
Lerngruppe) als Grundlage für die Personalberechnung einer Brennpunktganz-
tagsschule am Nachmittag, so würde dies bei einem viertägigen Angebot
maximal eine durchschnittliche Nachmittagsbetreuung von 2.5 Std. bedeuten ­
im besten Fall ausreichend, um die Schulzeit von 12.30 (inkl. Mittagstisch) bis
16:00 mit Lehrerpersonal abzudecken.
1.6 Politische Motive zur Einführung von Ganztagsschulen
Die politischen Motive zur Einführung von Ganztagsschulen sind mehrfach
dimensioniert. Dies bedeutet, dass die Ganztagsschulpolitik mehrere soziale
Problembereiche und gesellschaftspolitische Interessen miteinander verknüpft,
also nicht nur das Bildungssystem betrifft, sondern auch noch andere Systeme
und Teilbereiche der Gesellschaft.
69
Regierungsprogramm der FDP 2006-2001, 4.
70
SPD Landesverband Baden-Württemberg, 13f.

29
1.6.1 Schulpolitische Motive
Es ist eine Tatsache, dass Regierungen oder Parteien mit schlechter oder
schlecht empfundener Bildungspolitik Wahlen verlieren können.
71
Im Jahre
2003 wurde von der damaligen Bundesbildungsministerin Bulmahn (SPD) im
Hinblick auf die bekannt gewordenen Erkenntnisse nach PISA zwei Zielfunktio-
nen der Ganztagsschule formuliert. Als pädagogisches Ziel nannte sie höhere
Schülerleistungen, und als gesellschaftspolitisches Ziel: Die Überwindung von
sozialen Benachteiligungen. Die Kopplung von Geldern an eine bildungspoliti-
sche Reaktion auf PISA, wie sie in der Verwaltungsvereinbarung ursprünglich
aufgeführt war, wurde in einer späteren der Verwaltungsvereinbarung wieder
zurückgezogen.
72
Zu den erwünschten höheren Schülerleistungen wurde ausgeführt - auch mit
einem orientierenden Blick nach Skandinavien, durch die zeitlichen Möglichkei-
ten der Ganztagsschule eine frühere individuelle Förderung von Kindern und
Jugendlichen zu ermöglichen.
73
Dies bedeutet, dass die Verbesserung
schulischer Arbeit auf dem Gebiet der Förderung und Forderung, mehr Anreize
zur Selbstbetätigung und Selbstbestimmung, zu individueller Betreuung,
Beratung und Beurteilung bieten sowie die Kultivierung offener Unterrichtsfor-
men, wie zum Beispiel Projektunterricht u. a. m., durch das Mehr an Zeit in der
Ganztagsschule realisiert werden sollen.
Zu den gesellschaftspolitischen Zielen wurde von der damaligen Bundesbil-
dungsministerin die weitreichend bekannte Tatsache vorgebracht, dass die
soziale Herkunft immer noch über die individuellen Bildungsbiographien in
Deutschland entscheidet. Um für eine verbesserte Chancengleichheit durch
eine Entkopplung der sozialen Herkunft vom Bildungsverlauf zu sorgen, würde
die Ganztagsschule gebraucht. Auch die Profilbildung der Einzelschule,
kombiniert mit lokal orientierter Schulöffnung, wurde als Chance im Zuge der
Einführungskampagne von Ganztagsschulen erwähnt.
74
Von einer Veränderung
des Schulsystems, als einer basalen Institution der Reproduktion von
Ressourcen für die Wissensgesellschaft und der volkswirtschaftlichen
71
vgl. Gauger 2005, 120.
72
vgl. ebd. 138.
73
vgl. ebd., 129f.
74
vgl. Gauger 2005, 129f.

30
Gesamtleistung, verspricht man sich Auswirkungen auf die verbesserte
Ausschöpfung der Bildungsbiographien von Schülern. So soll auch die IZBB-
Politik als Sicherung und Ausweitung der Rahmenbedingungen für eine hohe
Qualität der Wertschöpfung, die auf diesem Gebiet durch die pädagogische
Arbeit geleistet wird, aufgelegt werden.
1.6.2 Andere politische Motive
Die Geschichte der Ganztagsschule seit dem Krieg zeigt, dass die politischen
Motivationen für die Einführung und Errichtung von Ganztagsschulen oder
Schulen mit ganztägigem Angebot ,,primär sozial-, familien-, frauenpolitische
und arbeitsmarktpolitische Gründe" (Wohnungsnot, Unterversorgung,
Frauenerwerbstätigkeit) waren, die das Plädoyer für die Ganztagsschule
ausmachten.
75
Da in der aktuellen politischen Debatte diese Begründungen
nicht explizit thematisiert werden, soll an dieser Stelle auf die für die gesell-
schaftliche Mehrheit eher wenig offensichtlichen politischen Effekte einer
großen Schulreform kurz eingegangen werden.
Bulmahn hatte die Ganztagsschule als ,,sozialpolitisches Instrument" nicht
genannt. Doch hat zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätig-
keit eine gewichtige Rolle in der Ganztagsschuldebatte: Das Motiv des
,,Erwachsenenwohls" schwebt nicht nur im Hintergrund des Phänomens der
Ganztagsschule, sondern bildet in der öffentlichen Diskussion in diesem
Zusammenhang mit Ganztagsschule einen relevanten Faktor. Vor allem bei den
Sozialdemokraten macht Gauger eine sozialpolitische Hintergrundmotivation
aus: Die Familien- und Frauenpolitik sei bei der rot-grünen Regierung auf die
Erwerbstätigkeit von Müttern ausgerichtet, sodass die Erfüllung des Wunsches
nach Kindern durch die Übernahme von Erziehungsarbeit durch öffentliche
Institutionen erleichtert würde. Der ,,legitime Lebensentwurf der Frau" sei nach
Vorstellungen der vergangenen rot-grünen Koalition die Erfüllung von
Erwerbsarbeit, und da wäre die Ganztagsschulpolitik ein mehrfach nutzbares
Instrument.
76
75
vgl. ebd., 129 u. 137.
76
vgl. Gauger 2005, 136f.

31
1.6.2.1 Familienpolitik
Dass Ganztagesschulen eine nachhaltige familienpolitische Funktion haben ist
heute allgemein Konsens. So zeigen Büchel und Spieß in ihrer Studie, dass die
Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kleinkindern v. a. durch fehlende
Betreuungsmöglichkeiten eingeschränkt ist.
77
Auch ist ein vorhandenes
Ganztagsschulangebot eine Erleichterung bei Schritten hin zur Familiengrün-
dung. So spielt die Ganztagsschulpolitik auch als ein Instrument einer
familienpolitisch zentrierten Infrastrukturpolitik eine wesentliche Rolle.
78
Zudem
macht es die Ganztagsschule den Eltern, vor allem Alleinerziehenden,
einfacher, ein zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften, was wiederum die
Lebensqualität der gesamten Familie aufwertet und die Entwicklung der Kinder
in der Familie stärkt.
79
Auch eine für das Familienleben relevante Entlastungs-
funktion hat die Ganztagsschule, wenn diese die Hausaufgabenbetreuung
weitestgehend übernimmt und das Aufgabenpensum der Schüler zuhause
deutlich geringer ausfällt.
80
Auch eine Reduktion der Kosten für Nachhilfestun-
den würde sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einstellen, was
eine finanzielle Besserstellung der familiären wirtschaftlichen Verhältnisse
bedeuten würde.
1.6.2.2 Sozial- und Jugendpolitik
Auch bei der Prävention und Kompensation hinsichtlich sozialer und spezieller
Defizite wird von Seiten der Politik der Ganztagsschule, aufgrund eines gut
beobachtbaren Verfalls von Sozialisationsagenturen und ,,Erziehungsinstan-
zen", sozialisierende, edukative und Bildung unterstützende Funktionen
zugerechnet.
81
Der Ausfall und die Unzugänglichkeiten von ,,häuslichen
Unterstützungssystemen"
82
auf der Ebene des Prekariats, der Familien mit
Migrationshintergrund, aber auch bei Betroffenen des ,,Wohlstandsverfalls" und
77
vgl. Büchel und Spieß 2003.
78
vgl. Bertram&Rösler&Ehlert 2005, 15.
79
vgl. Gruescu&Rürup 2005, 6.
80
vgl. Holtappels 2005, 140.
81
vgl. Hansel 2005a, 31.
82
Hansel 2005, 31.

32
den damit jeweils verbundenen möglichen Entwicklungsmängeln, stellen das
Modell der Halbtagsschule vor eine ,,Zerreißprobe".
83
Des Weiteren ist ein
drastischer Rückgang von nachbarschaftlichen Kinderöffentlichkeiten im Zuge
einer Konzentration von Kindern und Familien in städtischen Gebieten ein
Anlass für die Politik, Ganztagsschulen einzuführen, auch um einer Gettoisie-
rung entgegenzuwirkenden.
1.6.2.3 Gleichstellungs- und Frauenpolitik
Ebenso für gleichstellungs- und frauenpolitische Zielvorstellungen ist die
Ganztagsschule relevant. In den Parteiprogrammen zum Beispiel wird dieser
Zusammenhang eindeutig diskutiert. Ein Zusammenhang zwischen Halbtags-
schulen und der Behinderung von Gleichstellung durch mangelhafte Vereinbar-
keit von Betreuungs-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit auf der einen Seite und
Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite wird festgestellt und zur Veränderung
aufgerufen.
Und so sieht zum Beispiel das der bundesdeutschen Gleichstellungspolitik zu
Grunde liegende Konzept des Gender-Mainstreaming die Schaffung von
Kinderbetreuungsmöglichkeiten vor, die die Vereinbarkeit von Familie und
Berufstätigkeit verbessern sollen.
84
So würde durch die Einführung von
Ganztagsschulen auch der gestiegenen ,,Erwerbsneigung" von Müttern
85
entgegengewirkt werden und ein wesentlicher frauenpolitischer Akzent gesetzt.
1.6.2.4 Wirtschaftspolitik
Dass die Ganztagsschulpolitik auch Wirtschaftspolitik ist und als eine Lösung
für ökonomische Probleme gehandhabt wird, liegt auf der Hand. Eine starke
ökonomische Gewichtung die oftmals in der sozialwissenschaftlichen
Diskussion in Verknüpfung mit der Egalisierung der Erwerbsquoten von Frauen
und Männern auftaucht, wird in der Debatte um die Ganztagsschule eher
vermieden. Einige Aspekte dieser Diskussion sollen kurz skizziert werden. Nicht
83
Beblo 2005, 5.
84
vgl. Poll 2002, 21.
85
vgl. Pfau-Effinger 1998, 177.

33
unwesentlich ist einmal vorab die Tatsache, dass eine nicht erwerbstätige Frau
eine geringe ökonomische Kaufkraft darstellt. Wenn man weiter bedenkt, dass
die Eltern, die ihre Kinder am Nachmittag zu Hause erziehen, versorgen und
bilden, durch die Nutzung einer Ganztagsschule als Arbeitskräfte auf dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und die Effizienz des Beschäftigungssys-
tems verbessern würden
86
, ist bei einem landesweiten Mangel an qualifizierten
Fachkräften ein weiteres Motiv einleuchtend geklärt. Denn unter Makroökono-
men ist der problematische Zusammenhang zwischen Demographie, dem noch
in Reserve stehenden, potentiell verfügbaren Erwerbspersonenpotential, deren
Humankapital und der zukünftigen volkswirtschaftlichen Gesamtleistungsent-
wicklung durchaus Realität. Die mittelfristige Wendung dieser Entwicklung in
eine positive und qualifizierte Angebotssituation auf dem Arbeitsmarkt wäre mit
Hilfe einer Mobilisierung der Erwerbspersonenpotentiale der Frauen zu
schaffen, die durch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Berufstätigkeit entstehen kann.
87
Aber auch das potentielle Mehr an geborenen
Kindern, verstanden als Erwerbstätige der Zukunft, ist ein positiver bewerteter
externer Faktor für die Gesellschaftsentwicklung und die wirtschaftliche
Zukunft
88
­ bei allen Zweifeln, die gegenüber der Korrelation der Ausweitung
von Kinderbetreuung und der Steigerung der Fertilitätsraten, vor allem bei den
Akademikerinnen, in der wissenschaftlichen Literatur angemeldet werden.
89
Die
Verbesserung des Familieneinkommens, das möglicherweise doch durch die
Aufnahme oder Ausweitung von Erwerbstätigkeit bei Frauen aufgrund einer
Ganztagsschule eintritt, kann, so zumindest die ökonomische Haushaltstheorie
nach Becker, die Fertilitätsentscheidung positiv beeinflussen.
90
Im Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Komponente der Ganztags-
schulpolitik sollen auch noch fiskalpolitische Gründe kurz erwähnt werden.
Verschiedene Untersuchungen belegen, dass sich Investitionen von Seiten des
Staates in ganztägige Bildungseinrichtungen bei den Steuereinahmen positiv
niederschlagen und auf der Kostenseite eine Reduktion der staatlichen
86
vgl. Bothfeld 2005, 171f.
87
vgl. Thon&Fuchs 2002, 35.
88
vgl. Bertram&Rösler&Ehlert 2005, 6.
89
vgl. Gauger 2005, 142.
90
vgl. Hülskamp&Seyda 2004, 17ff.

34
Sozialtransferzahlungen hervorrufen können. Schaeffer-Hegel spricht sogar von
nicht ,,unerheblichen Gewinnen".
91
1.7 Gesellschaftliche
Akzeptanz und Nachfrage von Ganztags-
schulen
Die Unterstützung der Öffentlichkeit gegenüber einer forcierten Einrichtung von
Ganztagsschulen nimmt in Deutschland immer weiter zu. Begründungen für
diese Entwicklung sind familienstrukturelle Veränderungen, die eine regional
differenzierte Nachfrage schon seit Ende der 80er Jahre haben ansteigen
lassen. Holtappels ermittelte damals schon die steigende Nachfrage und den
Bedarf von Eltern an ,,familienergänzenden" Betreuungsangeboten, die die
Mittagspause bis in den Nachmittag hinein überbrücken.
92
Im Jahre 1991 analysierte das Forscherteam Bargel und Kuthe
93
eine
allgemeine Standardnachfragesituation, bei der sich ungefähr 40% der
Bevölkerung für die Ganztagsschule aussprachen. Eine explizit dringliche
Nachfrage, die ein Hinweis auf den Mindestbedarf an Ganztagsschulen
darstellt, mahnten damals 20-25% der Bevölkerung an. Eine von Infratest
durchgeführte Studie aus dem Jahr 2003 ergab, dass 56% der Eltern eine
,,flächendeckende Einführung" von Ganztagsschulen forderten und ein gutes
Drittel (35%) dagegen waren.
94
Dass sich der beschriebene Trend zu einer höheren Akzeptanz von Ganztags-
schulen in der Bevölkerung fortsetzt, ergeben auch weitere Studien von
einschlägigen Forschungsinstituten. Im Folgenden sollen die Ergebnisse zweier
Untersuchungen (Forsa und Infratest Dimap) über die Akzeptanz und
Akzeptanzmotive von Ganztagsschulen präsentiert und an wesentlichen Stellen
interpretiert werden. Bei der Ergebnisanalyse
95
muss prinzipiell zwischen der
Gesamtgesellschaft und der Elternschaft Deutschlands unterschieden werden.
91
Schaeffer-Hegel 2002, 5f.; Spieß&Wrohlich 2005, 30.
92
vgl. Holtappels 2005, 139.
93
vgl. Bargel&Kuthe 1991.
94
Holtappels 2005, 138.
95
Die Aufbereitung der vorliegenden Daten erfolgt durch Vertextung
.

35
1.7.1 Akzeptanz der Ganztagsschule in der Gesamtgesellschaft
In der im Jahre 2003 von Forsa durchgeführten repräsentativen Umfrage wurde
die deutsche Gesamtgesellschaft im Alter zwischen 20 und 50 Jahren über die
Akzeptanz und die Vorteile der Ganztagsschule als Alternativmöglichkeit zur
herkömmlichen Halbtagsschulform befragt.
96
Hinsichtlich der generellen Akzeptanz einer flächendeckenden Einführung von
Ganztagsschulen parallel zu Halbtagsschulen lässt sich feststellen, dass sich
eine deutliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung (79%) dafür ausspricht. Die
Einstellung von Kinderlosen unterscheidet sich dabei kaum von der Einstellung
der befragten Eltern. Eine soziometrische Analyse der Ergebnisse zeigt an
dieser Stelle keine überraschenden Differenzen; aber die Gruppe der Frauen
befürwortet noch deutlicher die Einführung von Ganztagsschulen als Alternative
zu herkömmlichen Schulen. Diese Auffassung steht auffällig mit dem von den
Frauen verstärkt geäußerten Argument in Verbindung, dass Ganztagsschulen
ein wesentlicher Beitrag sein können, Familie und Beruf besser zu vereinba-
ren.
97
Bei einer weiteren deskriptiven Analyse lassen sich die folgenden Aussagen
über die von den Befragten wahrgenommenen Vorteile von Ganztagsschulen
treffen. 68% der Befragten teilen die Ansicht, dass individuelle Förderung der
Stärken und Schwächen von Kindern an Ganztagsschulen durch das erhöhte
Zeitbudget besser möglich sein würde als in einer halbtätgigen Schulorganisati-
on. Ebenso durch die zusätzliche Zeit an Ganztagsschulen sieht etwas mehr als
die Hälfte der Interviewten (55%) die Möglichkeit gegeben, dass sich eine
bessere Förderung der kreativen Fähigkeiten der Schüler in Ganztagsschulen
einstellt. Nahezu die Hälfte der befragten Personen (44%) prognostiziert
ebenso die Möglichkeit einer Qualitätssteigerung in der Unterrichtsentwicklung.
Die Verbesserung der Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und
Berufstätigkeit zu verwirklichen, würde nach Ansicht einer signifikanten
Mehrheit von 83%, durch die Einführung von mehr Ganztagsschulen gewähr-
leistet werden können. Bei einer weiteren gruppenspezifischen Betrachtung der
Ergebnisse wird eine interessante Differenz innerhalb des Samples erkennbar:
96
vgl. Forsa 2003, S.1f.
97
vgl. Forsa 2003, S. 3.

36
Die Forsa-Studie kommt zu der Erkenntnis, dass, variierend mit dem Bildungs-
stand, der Teil der Bevölkerung mit einem formal hohen Bildungsstand
(Hochschulzugangsberechtigung) die Ganztagsschule als solche weniger stark
befürwortet als die Befragten der bildungsferneren Sozialschichtungen.
98
1.7.2 Akzeptanz der Ganztagsschule bei Eltern
Im Jahre 2004 führte das Forschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag der
Bundesregierung eine weitere Studie durch. Ein wesentlicher Unterschied zur
oben beschriebenen Analyse liegt hierbei in der Beschaffenheit des Samples
(N=600), da alle Befragten Eltern von mindestens einem Kind bzw. zwei, drei
oder mehr Kindern zwischen vier und 16 Jahren alt sind. Es wurden also explizit
Eltern befragt und nicht die Gesamtgesellschaft, wie dies in der Forsa-Studie
der Fall war. Ebenso wurde nach wesentlich mehr Nebenbedingungen
hinsichtlich der soziodemographischen Ausgestaltung des Samples differen-
ziert.
Die Erhebung beruht auf den drei im Folgenden dargestellten zentralen
Fragestellungen an die Eltern, die die Einstellungen zu Ganztagsschulen
abtasten sollten: Erstens die Frage nach der generellen Akzeptanz von
Ganztagsschule als Alternative zu Halbtagsschulen; zweitens die individuelle
Inanspruchnahme eines vorgefundenen Ganztagsschulangebots; und drittens
zwei Vorteilsbegründungen zur Ganztagsschule, die für die elterliche Einstel-
lung im Zusammenhang mit Ganztagsschulen Relevanz haben, also die
Möglichkeiten der pädagogischen Förderung und die Vereinbarkeit von Familie
und Berufstätigkeit.
Die Befunde hinsichtlich der generellen Akzeptanz der Elternschaft liegen wie
folgt: 70% der Eltern sprechen sich für die Ganztagsschule aus, wobei auch
hier geschlechtspezifische Unterschiede zu verzeichnen sind, da 71% der
Frauen und nur 66% der Männer gegenüber Ganztagsschulen positiv
eingestellt sind.
98
vgl. Forsa 2003, 1f.; der Befund, dass Befragte mit einem formal höheren Bildungsabschluss
bei der Reflexion über die Sinnhaftigkeit von Ganztagsschule eher kritisch sind, ist aus den
Zahlen von Forsa allerdings nicht nachvollziehbar (Abitur 79%, Hauptschule/Realschule 78%).

37
Unter Einbeziehung der intervenierenden Variable des formalen Bildungsni-
veaus fällt hier bei der Betrachtung der Erkenntnisse auf, dass Frauen mit
Hochschulzugangsreife sich mit 73%
99
am stärksten für die Ganztagsschule
aussprechen. Männer mit Hauptschulabschluss lehnen mit einem Anteil von
33% am stärksten die Ganztagsschule ab; bei Männern mit Hochschulzugangs-
reife ist dies lediglich bei 23% der Fall. So kann der Zuspruch, den die
Ganztagsschule erhält, insgesamt als hoch und eine Korrelation zur ,,Bildungs-
abhängigkeit" jedoch auch als erkennbar eingestuft werden. Bezüglich des
Alters als Einflussfaktor ist zu sagen, dass sich jüngere Frauen eher Ganztags-
schulen als Alternative wünschen als ältere Frauen. Ebenso die Anzahl der
Kinder in der Familie stellen nach den vorliegenden Zahlen einen Faktor dar: Je
mehr Kinder in einem Haushalt leben, desto höher die Ablehnung gegenüber
Ganztagsschulen. Das heißt jedoch: Je weniger Kinder, desto höher erfolgt die
Zustimmung zu Ganztagsschulen. Ein ausgesprochen relevanter Faktor bei der
Akzeptanzfrage ist die Sozialstruktur der Familie. So stellt die Studie fest, dass
85% der Alleinerziehenden sich Ganztagsschulen wünschen, wobei dies nur
zwei Drittel der Eltern betrifft, die ihre Kinder gemeinsam erziehen.
Bei der Frage nach der tatsächlichen individuellen Inanspruchnahme von
Ganztagsschulen bei einem real existierenden Angebot sprechen sich 29% der
Eltern klar zustimmend aus, und 42% würden das Angebot ,,unter Umständen"
selbst nutzen.
100
Die Zahlen sind hier ähnlich ausgeprägt wie bei der Frage
nach generellem Zuspruch - mit dem Unterschied, dass knapp die Hälfte der
Eltern die Ganztagsschule nur unter bestimmten vorausgesetzten Bedingungen
nutzen würde.
Die von Infratest-Dimap genannten Gründe, die die Motivation für die Nutzung
einer Ganztagsschule beeinflussen könnten, bewerten die Eltern folgenderma-
ßen: Die Verbesserung der pädagogischen Förderungsmöglichkeiten in Form
von ,,zusätzlichen Kursen" und ,,Hausaufgabenbetreuung" werden von rund 85%
der Grundgesamtheit der Befragten als sehr wichtig oder wichtig eingestuft.
Dieser Befund gilt in vergleichbarer zahlenmäßiger Größenordnung auch für die
Betrachtung der gruppenspezifischen Angaben hinsichtlich Alter, Geschlecht
und Bildungsabschluss.
99
Mittlere Reife 71%, Hauptschulabschluss 63%.
100
Ein Viertel der Befragten spricht sich gegen die Inanspruchnahme aus.

38
Die Chancen auf verbesserte Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und
Berufstätigkeit spielt für drei Viertel der Befragten bei der möglichen Inan-
spruchnahme von Ganztagsschulen eine Rolle.
101
Signifikante Unterschiede
sind in dieser Komponente der Akzeptanzmotive zwischen den neuen und alten
Bundesländern zu erkennen: Im Osten stufen 91% der Befragten diese
Möglichkeit als wichtig, bzw. sehr wichtig ein; im Westen spielt dieses Argument
mit 73% Zustimmung eine etwas weniger deutlichere Rolle. Eltern, die jünger
als 35 Jahre sind, werten jenen Faktor im Gesamtdurchschnitt mit 80% als
,,wichtig" bzw. ,,sehr wichtig."
102
Kennzeichnend sind beim Motivationsfaktor
,,Vereinbarkeit" auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede: Fast die Hälfte
(43%) der Frauen sehen den Faktor Vereinbarkeit als ,,sehr wichtigen"
persönlichen Grund an, ein Ganztagsschulangebot zu nutzen; weitere 38%
sehen ihn zumindest als ,,wichtiges" Motiv an. Bei den Männern bewertet man
den Vereinbarkeitsfaktor hinsichtlich der potentiellen Nutzung von Ganztags-
schulen bei nur einem Viertel als ,,sehr wichtigen" und bei 39% als einen
,,wichtigen" Motivationsgrund. Im Mittel betrachtet liegt die Zustimmung zur
Variable Vereinbarkeit bei den unterschiedlichen Schulabschlüssen bei 75%.
Betrachtet man jedoch die Unterschiede nur unter der Gewichtungskategorie
,,sehr wichtig", so fällt auf, dass die Eltern mit Hochschulzugangsberechtigung
den Faktor Vereinbarkeit mit 44% fast zur Hälfte am stärksten betonen.
103
Bezüglich der Familienkonstellation ist zu bemerken, dass 80% der Einkind-
Eltern den Vereinbarkeitsfaktor ,,am wichtigsten" ansehen. Bei Eltern mit drei
oder mehr Kindern finden Ganztagsschule zur Vereinbarkeit von Familie und
Berufstätigkeit nur 28% ,,sehr wichtig." %ual gesprochen sehen doppelt so viele
Alleinerziehende (61%) im Vergleich zu Nicht-Alleinerziehenden (32%) die
Ganztagsschule als Instrument zur Verbesserung von Familie und Berufstätig-
keit als ,,sehr wichtig" an. Insgesamt bewerten 92% der Alleinerziehenden und
72% der Nicht-Alleinerziehenden den Faktor Vereinbarkeit als ,,wichtig" bzw.
,,sehr wichtig." Differenziert man die Befragungsergebnisse zum Faktor
101
Für das verbleibende knappe Viertel ist dies ,,weniger wichtig" (14%) oder ,,unwichtig" (10%).
102
Bei den über 45-jährigen Eltern ist dieser Faktor bei nur 60% der Befragten der Kategorie
wichtig/sehr wichtig. Für Eltern mittleren Alters (35 bis 44Jahre) liegt der zu diesem Faktor
zustimmende Anteil bei 77%.
103
Realschule 36%, Hauptschule 31%.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836617116
DOI
10.3239/9783836617116
Dateigröße
823 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten – Fakultät I, Studiengang Lehramt für Grund- & Hauptschulen (GHS)
Erscheinungsdatum
2008 (August)
Note
1,0
Schlagworte
ganztagsschule frauenerwerbstätigkeit quantitative sozialforschung policy-analyse arbeitsmarktsoziologie
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