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Globalisierung in der öffentlichen Debatte

Deutungsmuster zweier Diskursstränge zum G8-Gipfel 2007

©2007 Magisterarbeit 370 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‚Es geht also bei Globalisierung weder nur um technische noch nur um ökonomische Dinge. Auch handelt es sich keineswegs nur um die größte Herausforderung, vor der die Konzern- und Regierungschefs stehen. Es ist alles dies, aber es ist zugleich etwas sehr viel Wichtigeres. Es geht darum, wie du und ich unser Leben führen’.
Der Globalisierungsbegriff genießt eine große Popularität in politischen Reden und der Presselandschaft, er ist eine oft unbewusste Erfahrung im Alltag und ein beliebter Gegenstand für Forschungsprojekte. Die vorliegende Arbeit gründet auf der Beobachtung, dass sehr konträre Meinungen und Vorstellungen von Globalisierung bestehen, wie das obige Zitat von Martin Albrow ankündigt. Dies lässt sich auch am jährlichen G8-Gipfel erkennen, zu dem eine Vielzahl von Aussagen über Globalisierung in die öffentliche Debatte gelangen (können). Das Treffen der Regierungschefs der acht „wichtigsten“ Industrienationen und die öffentliche Diskussion zu diesem Ereignis bieten vielen Akteuren die Gelegenheit, sich und ihren Meinungen Gehör zu verschaffen und so „(geht es) bei den G8-Gipfeln und den Protesten der sozialen Bewegungen immer auch um die Deutung der Welt.“ Dies führt zur übergeordneten Forschungsfrage: Wie werden die Ereignisse rund um den G8-Gipfel aufgenommen und wiedergegeben?
Erinnert man sich zurück an den diesjährigen Gipfel in Heiligendamm, ist es wahrscheinlich, dass schnell die Bilder der Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstrierenden, die in Rostock stattgefunden haben, ins Gedächtnis kommen. Deshalb stellt sich die vorliegende Arbeit die Frage, welche inhaltlichen Auseinandersetzungen über Globalisierung(sprozesse) und mit ihnen verbundene politische und gesellschaftliche Verhältnisse zu diesem Ereignis in die Öffentlichkeit getragen wurden. Aufgabe der Untersuchung ist es, die symbolischen Deutungskämpfe, die abseits der scheinbar dominierenden Gewaltdebatte stattfanden bzw. sich hinter dieser verbargen, zu extrahieren.
Der Fokus wird dabei auf das World Wide Web (WWW) als institutionalisierter Ort der Bedeutungsproduktion gelegt. Ähnlich zu den Gedanken von Bertolt Brecht, Walter Benjamin und zu Netzwerktheorien der 1990er Jahre wird das WWW zum Teil heute noch als neuer Demokratiehoffnungsträger gesehen, was den Fokus so interessant macht. Um möglichst unterschiedliche Ergebnisse bei der Analyse zu erhalten, wurden für die Analyse zwei Aussageproduktionsstätten gewählt, deren […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nico Drimecker
Globalisierung in der öffentlichen Debatte
Deutungsmuster zweier Diskursstränge zum G8-Gipfel 2007
ISBN: 978-3-8366-1684-3
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Lüneburg, Lüneburg, Deutschland, Magisterarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

1.1
Themenstellung und Zielsetzung
ii
Besonderer Dank gilt ,,Bartolomeo", Iris Därmann,
Markus Lauenroth und Gershom Schwalfenberg
sowie den Korrekturlesern.

1.1
Themenstellung und Zielsetzung
iii
G
LIEDERUNG
B
AND
I
1
Einleitung ... 5
1.1
Themenstellung und Zielsetzung ... 5
1.2
Gang der Untersuchung ... 7
2
Das Untersuchungsfeld ... 9
2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte ... 9
2.1.1
Was ist Globalisierung? ... 9
2.1.1.1
Inhalte von Globalisierungsdimensionen ... 13
2.1.1.2
Interdependenzen, Chancen und Risiken ... 17
2.1.1.3
Global Governance
... 22
2.1.2
Die großen Acht ... 25
2.1.3
Globalisierungskritiker ­ G8-Gegner ... 33
2.2
Mediale Angebote im World Wide Web ... 43
2.2.1
I
NDYMEDIA
... 45
2.2.2
S
PIEGEL
O
NLINE
... 49
2.3
Zwischenresümee ... 51
3
Theoretischer Rahmen ... 53
3.1
Methodische Annäherung ... 53
3.1.1
Der Diskursbegriff ... 53
3.1.2
Begriffserläuterungen und theoretische Prämissen ... 58
3.2
Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit ... 63
3.2.1
Der Öffentlichkeitsbegriff ... 64
3.2.2
Strukturen von Öffentlichkeiten:
Forum und Arena ... 66
3.2.3
Gegenöffentlichkeit als Kampfbegriff ... 68
3.2.4
Zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Diskurs ... 71
3.3
Methodologisches Konzept ... 76
3.3.1
Korpuserstellung ... 77
3.3.2
Oberflächenanalyse ... 78
3.3.3
Rekonstruktion der diskursiven Beziehungen ... 80
4
Vergleich von I
NDYMEDIA
und S
PIEGEL
O
NLINE
... 83
4.1
Zwischenergebnis der Datenauswertung:
Phänomen- und Problemstrukturen ... 83
4.2
Ergebnis:
Deutungsmuster der Diskursstränge ... 87
4.2.1
Narrative Struktur und Deutungsmuster
des I
NDYMEDIA
-G8-Diskursstrangs ... 87
4.2.2
Narrative Struktur und Deutungsmuster
des S
PIEGEL
O
NLINE
-G8-Diskursstrangs ... 103
4.3
Resümierender Vergleich und Rückschlüsse
auf das Ideologem ,,Globalisierung" ... 118

1.1
Themenstellung und Zielsetzung
iv
5
Fazit ... 124
5.1
Theoretische und methodische Evaluation ... 124
5.2
Ausblick ... 126
6
Quellenverzeichnis ... 128
6.1
Primärquellen ... 128
6.2
Sekundärquellen ... 128
B
AND
II
Dossier ...
4
Tabellarische Übersicht des Dossiers ...
5
I
NDYMEDIA
-Texte ... ab Seite 11
S
PIEGEL
O
NLINE
-Texte ... ab Seite 114
Teiltranskript des Interviews mit Gershom Schwalfenberg ... 236

1.1
Themenstellung und Zielsetzung
5
1
Einleitung
1.1
Themenstellung und Zielsetzung
,,Es geht also bei Globalisierung weder nur um technische noch nur um ökonomische Dinge. Auch
handelt es sich keineswegs nur um die größte Herausforderung, vor der die Konzern- und Regierungs-
chefs stehen. Es ist alles dies, aber es ist zugleich etwas sehr viel Wichtigeres. Es geht darum, wie du
und ich unser Leben führen."
1
Der Globalisierungsbegriff genießt eine große Popularität in politischen Reden und der
Presselandschaft, er ist eine oft unbewusste Erfahrung im Alltag und ein beliebter
Gegenstand für Forschungsprojekte. Die vorliegende Arbeit gründet auf der Beobachtung,
dass sehr konträre Meinungen und Vorstellungen von Globalisierung bestehen, wie das
obige Zitat von Martin Albrow ankündigt. Dies lässt sich auch am jährlichen G8-Gipfel
erkennen, zu dem eine Vielzahl von Aussagen über Globalisierung in die öffentliche
Debatte gelangen (können). Das Treffen der Regierungschefs der acht ,,wichtigsten"
Industrienationen und die öffentliche Diskussion zu diesem Ereignis bieten vielen Akteuren
die Gelegenheit, sich und ihren Meinungen Gehör zu verschaffen und so ,,[geht es] bei den
G8-Gipfeln und den Protesten der sozialen Bewegungen immer auch um die Deutung der
Welt."
2
Dies führt zur übergeordneten Forschungsfrage:
Wie werden die Ereignisse rund um
den G8-Gipfel aufgenommen und wiedergegeben?
Erinnert man sich zurück an den diesjährigen Gipfel in Heiligendamm, ist es wahrschein-
lich, dass schnell die Bilder der Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstrie-
renden, die in Rostock stattgefunden haben, ins Gedächtnis kommen. Deshalb stellt sich die
vorliegende Arbeit die Frage, welche inhaltlichen Auseinandersetzungen über Globalisie-
rung(sprozesse) und mit ihnen verbundene politische und gesellschaftliche Verhältnisse zu
diesem Ereignis in die Öffentlichkeit getragen wurden. Aufgabe der Untersuchung ist es, die
symbolischen Deutungskämpfe, die abseits der scheinbar dominierenden Gewaltdebatte
stattfanden bzw. sich hinter dieser verbargen, zu extrahieren.
Der Fokus wird dabei auf das World Wide Web (WWW) als institutionalisierter Ort der
Bedeutungsproduktion gelegt. Ähnlich zu den Gedanken von Bertolt Brecht, Walter
Benjamin und zu Netzwerktheorien der 1990er Jahre wird das WWW zum Teil heute noch
als neuer Demokratiehoffnungsträger gesehen, was den Fokus so interessant macht. Um
möglichst unterschiedliche Ergebnisse bei der Analyse zu erhalten, wurden für die Analyse
1
Albrow (1998); zit. n. Beck 2007a:
173f.
2
O.A. in Libertad/VfpBAK 2007:
4.

1.1
Themenstellung und Zielsetzung
6
zwei Aussageproduktionsstätten gewählt, deren Autorschaft und Produktionsbedingungen
sehr unterschiedlich sind. S
PIEGEL
O
NLINE
3
unterliegt als ökonomischer Betrieb
marktwirtschaftlichen Bedingungen und produziert Aussagen aus einem geschlossen
Sprecherkreis, der Redaktion, heraus. I
NDYMEDIA
4
hingegen ist kein ökonomischer Betrieb
und bietet als partizipatives Format einer unbegrenzten Zahl von Menschen die Möglichkeit,
zum Sprecher zu werden. Zudem halten Neuberger et al. (2007) fest, dass ,,[u]nter den
partizipativen Formaten des Web 2.0 bisher vor allem Weblogs und die Online-
Enzyklopädie Wikipedia empirisch untersucht worden [sind]."
5
Auch um diese Lücke etwas
zu schließen, wurde I
NDYMEDIA
als zweites Untersuchungsobjekt gewählt.
Um diesen ,,Kampf der Interpretationen"
6
zu analysieren, bietet sich die diskursanalytische
Forschungsperspektive an, wofür sich diese Arbeit an Michel Foucault orientiert.
7
Unter
Diskurs wird die kollektive ,,Aussagepraxis bzw. Gesamtheit von Aussageereignissen, die im
Hinblick auf institutionell stabilisierte gemeinsame Strukturmuster, Praktiken, Regeln und
Ressourcen der Bedeutungserzeugung untersucht werden"
8
, verstanden. Ein Diskurs ist
somit nicht die physische Welt, sondern eher als Bedeutungswelt zu verstehen. Der
Diskursbegriff verweist auf eine Art ,,Sinnregion", die durch Muster von Deutungen
(mit)bestimmt wird. Die Aussagensysteme von I
NDYMEDIA
und S
PIEGEL
O
NLINE
dienen
damit der Wissensordnung
9
und tragen so zur (Re-)Produktion und (Re-)Transformation
von Meinungen und Vorstellungen von Globalisierung bei. Ziel der Arbeit ist es, die
Deutungsmuster der Diskursstränge zu (re-)konstruieren, die den Adressaten als
Interpretationsgrundlage der Wirklichkeit dienen, und schließlich aggregiert werden sollen
zu einer Position, wie Globalisierung gedeutet wird.
Das Analysematerial stammt aus dem Zeitraum 1. bis 9. Juni 2007 und beginnt damit
einen Tag vor der internationalen Großdemonstration in Rostock und endet einen Tag nach
dem offiziellen Ende des G8-Gipfels. Die Untersuchung orientiert sich am G8-Gipfel, weil
3
http://www.spiegel-online.de.
4
http://de.indymedia.org.
5
Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007:
96.
6
Schwab-Trapp 2006:
275.
7
Aufgabe dieser Arbeit ist es nicht, Foucaults Diskursbegriff zu diskutieren und einen einheitlichen
Diskursbegriff zu entwerfen oder zu gewinnen. Deshalb sollen hier nur jene Aspekte seines Diskursbegriffs,
die nützlich für diese Arbeit erscheinen, herangezogen und gegebenenfalls deren Verständnis sinnvoll und
sinngemäß ausgelegt werden. Außerdem handelt es sich hier um das Thema Diskurs und Medien, das sich
ohnehin vom ,,Grundgerüst seines Denkens" entfernt (vgl. Kleiner 2001:
13; Hervorhebung im Original), indes
Foucault selbst seine Theorie nicht als ein konsistentes Gebäude versteht, sondern als ,,Markt der
Möglichkeiten" (Kleiner 2001:
22), auf dem sich hier nach gezielter Auswahl bedient wird. Diese Freiheit
behält sich der Autor [ND] vor. Letztlich kann dies ­ sich keiner vorgedachten Idee zu verpflichten ­ nur im
Sinne Foucaults sein.
8
Vgl. Keller 2005:
229; Keller 2007:
64.
9
Diaz-Bone 2005:
543.

1.2
Gang der Untersuchung
7
er von I
NDYMEDIA
und S
PIEGEL
O
NLINE
im selben Zeitraum maßgeblicher Gegenstand
der kommunikativen Auseinandersetzungen war; weil er als politisches und mediales
Großereignis besonders herausgestellt wird und wurde und als solches ,,die Richtung und
Qualität des Diskursstrangs [und des darüber liegenden (Globalisierungs-)Diskurses; Anm.
ND] [...] mehr oder minder stark beeinfluss[t]";
10
und weil es sich für öffentliche Diskurse
anbietet, sie in massenmedialen Angeboten zu untersuchen.
11
Im Mittelpunkt dieser Arbeit
stehen folgende Forschungsfragen:
· Wie werden die Ereignisse rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm von I
NDY-
MEDIA
und S
PIEGEL
O
NLINE
verarbeitet und interpretiert?
· Welche Einstellungen zum politischen und gesellschaftlichen Status quo gehen
aus der Verarbeitung und Interpretation der Ereignisse im I
NDYMEDIA
- und
S
PIEGEL
O
NLINE
-G8-Diskursstrang hervor?
· Inwieweit beschreibt die Verarbeitung und Interpretation der gewalttätigen Aus-
einandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizisten ein grundsätzli-
ches Verhältnis zwischen Staat und Bürger?
· Wie vollzieht sich Globalisierung laut I
NDYMEDIA
- und S
PIEGEL
O
NLINE
-G8-
Diskursstrang?
1.2
Gang der Untersuchung
Zur Beantwortung der oben genannten Fragen wird im Anschluss an die Einleitung zuerst
der Globalisierungsbegriff erklärt. Dazu wird im ersten Abschnitt gezeigt, was Globalisie-
rung sein kann (2.1.1), im zweiten werden die G8-Staaten bzw. -Treffen (2.1.2) sowie die
Globalisierungskritiker (2.1.3) beschrieben. Zwar soll dieses Kapitel rein deskriptiv sein,
jedoch wird aufgrund der verwendeten Quellen bereits in den Diskurs ,,eingetaucht". Dies
soll in der späteren Analyse Früchte tragen, wenn bereits in diesem Kapitel Diskurspositio-
nen angedeutet werden, die sich möglicherweise in den zwei Diskurssträngen wieder finden
lassen. Die Beschreibung von Globalisierung, der G8-Staaten und der Globalisierungskriti-
ker beschränkt sich auf deren Grundzüge. Im zweiten Teil des Kapitels wird die
Diskursebene knapp charakterisiert, wofür die zwei Untersuchungsobjekte I
NDYMEDIA
und
S
PIEGEL
O
NLINE
beschrieben werden.
10
Vgl. Jäger 2006:
100; Keller (2006b) merkt hierzu an:
,,Die Zugehörigkeit bzw. Zuschreibbarkeit solcher
Ereignisse zu einem spezifischen, abgrenzbaren Diskurs kann zunächst nur vermutet werden ­ sonst ließe
sich kein entsprechendes Datensample zusammenstellen." (Keller 2006b:
206).
11
Vgl. Keller 2006b:
212; Keller 2007:
67.

1.2
Gang der Untersuchung
8
Den theoretischen Rahmen spannt das dritte Kapitel auf. Im ersten Teil soll die For-
schungsperspektive dargelegt werden. Dazu wird zuerst in die Theorie des Diskurses
eingeführt, wofür pragmatische Aspekte der Foucaultschen Diskurstheorie herangezogen
werden (3.1.1). Anschließend wird der Diskurs ,,geordnet", indem die zum Verständnis und
Nachvollzug der forschungspraktischen Umsetzung benötigten Arbeitsbegriffe eingeführt
werden (3.1.2). Hierbei orientiert sich die Arbeit vor allem an Keller (2005; 2007) sowie an
Jäger (1999). Mit diesem Teil (3.1) wird sich der Forschungsperspektive zunächst nur
angenähert; insofern steht hier nicht die konkrete methodische Ausformung im Mittelpunkt,
sondern die Entfaltung eines grundlegenden Verständnisses der Forschungsperspektive. Im
zweiten Teil des Kapitels wird eine theoretisch-begriffliche Fundierung gelegt, die den
Untersuchungsgegenstand kennzeichnet. Dazu wird der Öffentlichkeitsbegriff erläutert
(3.2.1; 3.2.2) und das Konzept Gegenöffentlichkeit vorgestellt (3.2.3). Schließlich sollen die
Konstrukte Öffentlichkeit und Diskurs verbunden werden, was gleichzeitig eine Synthese
der vorangegangen Abschnitte des Kapitels darstellt (3.2.4). Auf dieser Basis kann im dritten
Teil das konkrete diskursanalytische Instrumentarium für die Untersuchung entwickelt
werden (3.3).
Die Ergebnisse der forschungspraktischen Umsetzung zeigt das vierte Kapitel. Dazu
werden zuerst die Phänomen- und Problemstrukturen der Diskursstränge kurz dargestellt
(4.1), um darauf aufbauend die Deutungsmuster zu (re-)konstruieren (4.2.1; 4.2.2).
Schließlich werden alle (Zwischen-)Ergebnisse im Zusammenhang betrachtet und resümiert,
wie Globalisierung in den zwei G8-Diskurssträngen verstanden wird.
Bilanz wird im fünften Kapitel gezogen. Darin wird die theoretische und methodische
Arbeit bewertet sowie Probleme und Fragen diskutiert, die während der Untersuchung
entstanden sind.
Im Anhang finden sich die Artikel, die bis zum Schluss im Datenkorpus geblieben sind,
sowie ein Teiltranskript des Interviews mit Gershom Schwalfenberg.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
9
2
Das Untersuchungsfeld
2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
Eine kurze Literaturrecherche, der Gang in eine gut ausgestattete Bibliothek oder
Buchhandlung genügt, um zu erkennen, dass das Thema Globalisierung unerschöpflich
erscheint. Nicht zuletzt wegen seiner Ambivalenz ist der Begriff ,,Globalisierung" schwer zu
begrenzen ­ und nicht zuletzt um diese Zwiespältigkeit geht es in dieser Arbeit. Er ,,ist zu
einem Schlagwort geworden, das in politischen, publizistischen und wissenschaftlichen
Debatten seit einiger Zeit inflationär gebraucht und dabei einerseits als ,Bedrohung',
andererseits als ,Chance' betrachtet wird."
12
In Anbetracht des hier angelegten Fokus'
beschränkt sich dieses Kapitel auf Grundzüge von Globalisierung(sprozessen) und ihren
Chancen und Risiken. Um die Beschreibung nicht im Allgemeinen oder Abstrakten zu
lassen, werden Beispiele herangezogen, mit denen jedoch kein Anspruch erhoben werden
soll, diese hätten in der öffentlichen Debatte die höchste Relevanz.
2.1.1 Was ist Globalisierung?
Wie der Globalisierungsbegriff definiert wird, hängt stark von der Dimension ab, auf die
geschaut wird, weshalb es streitbar ist, was genau unter Globalisierung zu verstehen ist und
,,was sie von reiner Internationalisierung und dem generellen Bedeutungsverlust
nationalstaatlicher Grenzen unterscheidet."
13
Deshalb wird eine definitive Antwort, was
Globalisierung ist, hier nicht erfolgen (können). Ebenso erscheint eine Abgrenzung, welche
Aspekte Globalisierung zuzurechnen sind und welche nicht, kaum möglich; dies betrifft
nicht nur ,,objektiv" zu benennende Dimensionen, sondern auch und vor allem, welche
Ursachen und Folgen Globalisierung zuzuordnen sind und welche nicht. So weist Müller
(2002) darauf hin, dass keine einstimmige Meinung darüber herrscht, ob Globalisierung eher
als Folge oder Ursache von ökologischen Schäden, technologischem Fortschritt,
Ungleichheit, Demokratieverlust u.a. zu sehen ist.
14
Aus diesem Grund gilt es bei dem
Versuch einer Beschreibung oder einer Definition von Globalisierung, ,,die [angeblichen;
12
Varwick 2000:
136.
13
ebd.:
136.
14
Vgl. Müller 2002:
11f.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
10
Anm. ND] Folgen der Globalisierung nicht zu Definitionsbestandteilen zu machen."
15
Die
OECD bspw. bezeichnet Globalisierung als
,,Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander
abhängig werden ­ dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die
Bewegung von Kapital und Technologie".
16
Diese Definition geht aus der Dimension hervor, in der Globalisierung als erstes sichtbar
war bzw. auf die der Globalisierungsbegriff zuerst bezogen wurde:
die Ökonomie.
17
Obwohl Globalisierung nicht datierbar ist,
18
werden Versuche in diese Richtung
unternommen. So weisen Koopmann/Franzmeyer (2003) explizit auf die Ablösung des
Merkantilismus im 19. Jahrhundert durch den Liberalismus hin, mit welcher der Schritt zu
Arbeitsteilung und Freihandel gemacht wurde.
19
Nach Varwick (2000) stand in einer ersten
Globalisierungsphase ein ausgedehnter Absatz von Produkten im Vordergrund, während
technische Voraussetzungen mit der ,,Überwindung geographischer und sozioökonomischer
Räume"
20
die zweite Globalisierungsphase ankündigten. Jene technischen Neuerrungen-
schaften waren z.B. der planmäßige Dampfschiffverkehr zwischen Europa und Amerika im
Jahr 1838, transozeanische Telegraphenverbindungen im Jahr 1866, grenzüberschreitende
Telefonverbindungen und der erste grenzüberschreitende Linienflug 1919.
21
Im Laufe der
Zeit haben sich ,,die Erscheinungsformen und Kausalmechanismen [...] verändert",
22
stellt
Varwick fest:
,,Während bis zum 19. Jh. die Ökonomie als zentraler Ausgangspunkt für die Veränderungen in
Politik und Kultur gelten kann, haben sie sich im 20. und 21. Jh. zu einem vielschichtigen und
multikausalen Geflecht aus ökonomischen (technischen) und politischen Faktoren verschoben,
das sich zunehmend auf den kulturellen Bereich ausweitet."
23
Historisch gesehen stand also am ,,Beginn" der Globalisierung die ,,Ablösung von
Staatsräumen durch Wirtschaftsräume",
24
d.h., anfänglich war Globalisierung ein
ökonomischer Prozess bzw. wurde sie so begriffen, und breitete sich in andere Dimensio-
nen aus bzw. wurde erst später dort wahrgenommen. Zunächst zeigt sich diese Definition
relativ begrenzt, jedoch ergänzt Varwick (2000) zu Ökonomie die Dimensionen Ökologie,
15
Vgl. Varwick 2000:
137; eine Definition über die Folgen von Globalisierung zu finden, würde bedeuten, aus
einer objektiv bestimmbaren Diskursposition heraus zu sprechen, was jedoch nicht möglich ist.
16
Von Plate 2003a:
3.
17
Vgl. Nohlen 2001:
181.
18
Beck 2007a:
44.
19
Vgl. Koopmann/Franzmeyer 2003:
13.
20
Varwick 2000:
138.
21
Vgl. Varwick 2000:
138.
22
Ebd.:
139.
23
Ebd.
24
Vgl. ebd.:
140.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
11
Politik sowie Kultur und Gesellschaft; ,,Hauptdimensionen" sind dabei Ökonomie und
Politik.
25
Auch von Plate (2003a) vertritt die Sicht, dass Globalisierung in erster Linie ein
ökonomisches Phänomen sei und der Wandel in anderen Bereichen als dessen Auswirkun-
gen betrachtet werden muss.
26
Müller (2002) hebt indirekt die ,,nicht-ökonomischen"
Dimensionen hervor, wenn er sagt:
,,Jenseits politischer Stellungnahmen lässt sich Globalisierung als die raum-zeitliche Ausdehnung
sozialer Praktiken über staatliche Grenzen, die Entstehung transnationaler Institutionen und Diffusion
kultureller Muster beschreiben ­ ein Prozess, der sich durch seinen Tiefgang, seine Geschwindigkeit
und seine Reichweite von konventionellen Formen der Modernisierung unterscheidet."
27
Es darf bezweifelt werden, dass eine Aufzählung möglichst vieler Dimensionen einen
höheren Nutzwert als die obige hat. Beck (2007a) nennt etwa die kommunikationstechni-
sche (im Sinne von kommunikativer und informatorischer), die ökologische, ökonomische,
arbeitsorganisatorische, kulturelle und die zivilgesellschaftliche Dimension und merkt an,
dass es viele mehr gibt.
28
Einerseits können Grenzen, was Globalisierung umfasst, nicht
immer klar gezogen werden, (denn) andererseits gibt es so viele Dimensionen, wie Namen
dafür erdacht werden können. Schließlich ist auch das ein Grund für die Schwierigkeit, einen
gemeinsamen Begriffsnenner für Globalisierung zu finden oder zu bestimmen.
29
Beck
(2007a) hält fest, dass jedoch stets ,,eine zentrale Prämisse der Ersten Moderne umgestoßen
[wird], nämlich die Vorstellung, in geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen von
Nationalstaaten und ihnen entsprechenden Nationalgesellschaften zu leben und zu handeln
."
30
Die Komplexität von Globalisierung sollte nicht auf die wirtschaftliche Dimension
reduziert werden.
31
,,Weltgesellschaft wird so zur Weltmarktgesellschaft verkürzt und
verfälscht."
32
Sukzessiv vermehren und verdichten sich grenzüberschreitende gesellschaftli-
che Interaktionen jeglicher Art.
33
Auf ein Wort heruntergebrochen ließe sich Globalisierung
mit ,,Entgrenzung" beschreiben. Diese Feststellung steht auch im Einklang mit den oben
genannten Definitionen. Der Versuch, klar einzugrenzen, was unter Globalisierung zu
verstehen ist, ,,muss schon daran scheitern, dass sie ­ je nachdem welche Perspektive
gewählt wird ­ unterschiedlich wahrgenommen und gedeutet werden kann und werden
25
Vgl. Varwick 2000:
143ff; Kultur und Gesellschaft fasst Varwick in eine Dimension.
26
Vgl. von Plate 2003a:
4.
27
Müller 2002:
8.
28
Vgl. Beck 2007a:
39ff.
29
Vgl. ebd.:
44.
30
Ebd.; Hervorhebung im Original.
31
Vgl. ebd.:
196.
32
Ebd.:
196; Hervorhebung im Original.
33
Vgl. Nohlen 2001:
181.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
12
muss."
34
Aktuelle Gegebenheiten und parallel verlaufende Prozesse wie Armut, Umwelt-
probleme etc. werden von Globalisierungskritikern häufig als Folgen der ökonomischen
Globalisierung deklariert und von Befürwortern als etwas, das nur mit Hilfe der Prämissen
der Politik- und Wirtschaftsstrategie beseitigt werden kann. Um an späterer Stelle die
Argumentation der verschiedenen Parteien etwas entwirren zu können, soll zum Abschluss
dieses Abschnitts an Beck (2007a) anlehnend zwischen Globalismus, Globalität und
Globalisierung unterschieden werden.
Unter Globalismus versteht Beck (2007a) ,,die Auffassung, dass der Weltmarkt politisches
Handeln verdrängt oder ersetzt, d.h. die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die Ideologie
des Neoliberalismus."
35
Diese Sicht verkürze nach Beck die Vieldimensionalität von
Globalisierung, und es handle sich ,,in diesem Sinne um einen Imperialismus des
Ökonomischen".
36
Eine solche Beschränkung sei nicht sinnvoll, vielmehr dient der
Globalismusbegriff für Beck dazu ­ in Verbindung mit den zwei anderen Begriffen ­ ,,die
territoriale Orthodoxie des Politischen und Gesellschaftlichen
aufzubrechen"
37
. Globalität bezieht
Beck darauf,
,,dass die Vorstellung geschlossener Räume fiktiv wird."
38
Globalität beschreibt
eine ,,Weltgesellschaft"
39
und ist unrevidierbar.
40
Globalisierung bezieht sich für Beck auf
die transnationalen Prozesse, deren Folgen in der ökologischen, kulturellen, wirtschaftlichen,
politischen, zivilgesellschaftlichen Globalisierung zu verzeichnen sind.
41
Globalisierung
impliziert für Beck auch eine ,,Weltgesellschaft ohne Weltstaat und ohne Weltregierung. Es
breitet sich ein global desorganisierter Kapitalismus aus."
42
Außerdem zeichne Globalisierung
sich durch Denationalisierung aus, d.h. ,,die Erosion, aber auch die mögliche Transformati-
on des National- zum Transnationalstaat."
43
Diese Unterscheidung wird auch dem Verständnis des folgenden Abschnitts helfen, in
dem an ausgewählten Globalisierungsdimensionen versucht wird zu veranschaulichen, wie
Globalisierung verstanden werden kann.
34
Varwick 2000:
137.
35
Beck 2007a:
26.
36
Ebd.:
26f.
37
Ebd.:
26; Hervorhebung im Original.
38
Ebd.:
27f.
39
Ebd.:
150.
40
Vgl. ebd.:
29.
41
Vgl. ebd.:
28f.
42
Ebd.:
32; Hervorhebung im Original.
43
Ebd.:
34; ,,Denationalisierung" bedeutet also nicht die Auflösung des Nationalstaates, was der Begriff
zunächst suggerieren könnte, worauf auch Leggewie (2003) hinweist (vgl. Leggewie 2003:
20).

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
13
2.1.1.1 Inhalte von Globalisierungsdimensionen
Zuerst soll auf die ökonomische Globalisierung eingegangen werden, da sie sich, wie zu
sehen sein wird, als Ausgangspunkt für die Beleuchtung anderer Dimensionen eignet.
44
In
der Globalisierung der Ökonomie bedeutet Entgrenzung eine quantitative und qualitative
(d.h. intensivere) Zunahme von (a) Handelsverflechtungen zwischen Nationalstaaten, (b)
Investitionen von Unternehmen auf dem Weltmarkt bzw. in anderen Nationalstaaten, (c)
der Deregulierung der Finanzmärkte sowie (d) des Einflusses und Spielraums transnational
agierender Konzerne (,,global players").
45
(a) Obwohl laut Koopmann/Franzmeyer (2003) der Kern der ökonomischen Globalisie-
rung ,,die Ausweitung internationaler Arbeitsteilung" sei,
46
findet die intensive Handelsver-
flechtung vor allem innerhalb der Triade Westeuropa, Nordamerika und Asien-Pazifik
statt.
47
Während sie über 80 Prozent der weltweiten Warenexporte liefern,
48
werden
höchstens 20 Prozent der Güter und Dienstleistungen international gehandelt.
49
Laut
Varwick (2000) ,,[sind] nicht mehr als 30 Prozent der Weltbevölkerung in die Weltwirtschaft
integriert."
50
Insofern ist dieser Bereich vielmehr durch bilaterale Beziehungen gekennzeich-
net, die sich untereinander verdichten und nicht erweitern, weshalb hier von Regionalisie-
rung und Internationalisierung statt von Globalisierung gesprochen werden sollte.
51
Daraus
ergibt sich eine ,,Abhängigkeit weniger entwickelter Regionen vom interregionalen Handel
mit den Triade-Staaten".
52
Dies spiegelt sich auch an den Finanzmärkten wider, an denen
das ,,Währungsdreieck" US-Dollar-Euro-Yen herrscht.
53
(b) Die Ausdehnung ausländischer Direktinvestitionen ist ebenfalls eher durch Internatio-
nalisierung gekennzeichnet.
54
Grenzüberschreitende Direktinvestitionen werden von
multinational agierenden Unternehmen ,,in der Absicht vorgenommen, einen entscheiden-
den Einfluss auf die Führung des neu gegründeten oder erworbenen Unternehmens im
Ausland auszuüben."
55
Die bessere Durchdringung der Auslandsmärkte, welches das
44
Hier wird sich an Varwick (2000) orientiert, der die Dimensionen (1) Ökonomie, (2) Kultur und
Gesellschaft, (3) Ökologie sowie (4) Politik nennt (vgl. Varwick 2000:
140ff).
45
Vgl. Varwick 2000:
140ff.
46
Vgl. Koopmann/Franzmeyer 2003:
12.
47
Vgl. ebd.:
16; Varwick 2000:
141.
48
Vgl. ebd.:
16.
49
Vgl. Varwick 2000:
141.
50
Ebd.
51
Vgl. Beck 2007a:
199; Koopmann/Franzmeyer 2003:
16f; Nohlen 2001:
182; Varwick 2000:
141; Beck
(2007a) listet dies auf unter ,,Irrtümer des Globalismus" (Beck 2007a: 193).
52
Vgl. Koopmann/Franzmeyer 2003:
17.
53
Vgl. ebd.:
25.
54
Direktinvestitionen finden vor allem zwischen den OECD-Staaten statt; vgl. Varwick 2000:
141.
55
Koopmann/Franzmeyer 2003:
20; der direkte Einfluss ist der markante Unterschied von Direktinvestitio-
nen zu bspw. (ausländischen) Wertpapieren.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
14
Hauptmotiv der Unternehmen ist, wird mit Direktinvestitionen als Hauptinstrument
taktisch umgesetzt.
56
Diese Taktik wird angeleitet durch unterschiedliche Strategien, z.B.
Kosten zu senken (Effizienzstrategien), den Unternehmenswert ,,durch Nutzung
strategischer Ressourcen" zu steigern und Zugang zu ausländischem, oft nur lokal
zugänglichem und nicht international handelbarem Wissen zu erlangen.
57
Auswirkungen auf
die Empfängerländer können positiv und negativ sein. Auf der einen Seite können die
erweiterten Firmennetzwerke Wachstumschancen bedeuten, ,,da über solche Kanäle enorme
Wissensströme laufen und das Know-how der ausländischen Tochtergesellschaften auf die
Wirtschaft des Gastgeberlandes überspringen kann (Spillover-Effekt)."
58
Außerdem
funktionieren Direktinvestitionen in gewissem Maß als Indikator für die Attraktivität und
Qualität eines Standorts.
59
Auf der anderen Seite können sich global agierende Unternehmen
leichtere Produktionsgelegenheiten sichern und die Länder ,,ausnutzen", wenn sie z.B. von
niedrigen und damit Kosten sparenden Umweltstandards profitieren und die dortige
Verschmutzung vorantreiben, oder wenn sie die billige Arbeitskraft eines Landes
gebrauchen und die Menschen zu Niedrigstlöhnen beschäftigen.
60
(c) Globalisierung besitzt grundsätzlich eine Eigendynamik, die insbesondere auf dem
nicht kontrollierbaren Finanzmarkt zu spüren ist. Koopmann/Franzmeyer (2003) halten
dazu fest:
,,Nirgendwo hat sich die Globalisierung so deutlich beschleunigt wie in der
Finanzsphäre."
61
Dies ist an zwei Aspekten feststellbar:
Erstens kann der Welthandel
schneller als die Weltproduktion wachsen, d.h., es wird mit Waren gehandelt, die es (noch)
gar nicht gibt. ,,[S]o wächst das Volumen der Finanztransfers nochmals um ein Vielfaches
schneller als der Welthandel. Daraus folgt, dass sich die Finanzmärkte zunehmend von der
realwirtschaftlichen Entwicklung entkoppeln."
62
Es werden also zunehmend Geldforderun-
gen hin und her verschoben, ohne eine (wertmäßig) vergleichbare Menge Waren zu
verschieben, und zwar in sämtlichen Wirtschaftsbereichen, ob in der Energiewirtschaft,
Textilindustrie oder der Bauwirtschaft. Zweitens findet an Börsen ein Handel ganz und gar
ohne real existierende Waren statt; die Summen, die dort bewegt werden, ,,[sind] mehr als
doppelt so hoch wie die Währungsreserven aller Zentralbanken der Welt."
63
Ein aktuelles
Beispiel für die Unsicherheit auf den Finanzmärkten ist die Krise des Weltfinanzsystems
56
Vgl. Koopmann/Franzmeyer 2003:
20.
57
Vgl. ebd.:
19f.
58
Ebd.:
21; Hervorhebung im Original.
59
Vgl. ebd.:
20.
60
Vgl. ebd.:
21.
61
Ebd.:
25.
62
Varwick 2000:
141.
63
Ebd.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
15
Mitte dieses Jahres, die auf dem amerikanischen Immobilienmarkt mit Ausfällen von
Hypothekenkrediten begann, und teilweise als ,,größte Belastungsprobe seit Jahrzehnten"
apostrophiert wurde.
64
(d) Transnationale Konzerne, die vorwiegend aus der oben genannten Triade stammen,
,,wickeln zu Beginn des 21. Jahrhunderts rund zwei Drittel des Welthandels ab."
65
Nationalstaaten geraten in einen Konkurrenzkampf um die beste ,,Standortqualität" für
transnationale Unternehmen,
66
weshalb sie sich in eine gewisse Abhängigkeit der
Unternehmen begeben. Dieser Vorteil für transnationale Unternehmen gründet u.a. auf dem
Arbeitsplatzexport, der Aufspaltung des Betriebs bzw. betrieblicher Prozesse an
verschiedene Orte der Welt. Somit treten (transnationale) Konzerne als ,,neue Akteure auf
die Bühne der Weltpolitik."
67
So kann die Steuererhebung, bei der es sich ,,nicht um
irgendein, sondern um das Prinzip nationalstaatlicher Autorität [handelt]"
68
, teilweise nicht
mehr greifen, weil durch die freie Wahl von Produktionsstandorten Unternehmen Teile ins
Ausland verlagern und so weniger Steuern an ein anderes Land zahlen. Der Heimatstaat des
Unternehmens wird auf legale Weise um seine Steuereinnahmen ,,geprellt". Entgegenzuset-
zen haben einzelne Nationalstaaten in diesen Fällen nichts; die globalen Unternehmen
handeln bislang ohne (transnationale) Gegenmacht.
69
,,Während Gesetze an den nationalen
Grenzen enden ­ im weitest gehenden Fall an den Grenzen der Europäischen Union ­
überspringen Banken und andere Kapitalanleger nationale Grenzen in wenigen Minuten,
Produktionsunternehmen in wenigen Monaten."
70
So ist es möglich, Regierungen
verschiedener Länder quasi gegeneinander auszuspielen, weshalb nationalstaatliche Politik
ihre Souveränität verliert.
71
Global agierende Unternehmen können also einen großen
Einfluss auf die Politik nehmen. Ob und inwieweit ein Unternehmen Globalisierung
tatsächlich ,,nutzen" kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab, u.a. der Standortgebun-
denheit, dem Einsatzverhältnis der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Wissen, von
der Möglichkeit der räumlichen Zerlegung des Betriebs, den Eigenschaften der Produkte
und ,,ob der Staat als Regulierer, Eigentümer, handelspolitischer Auftrags- oder Subventi-
64
Vgl. Brost et al. 2007:
19f.
65
Varwick 2000:
142.
66
Vgl. ebd.
67
Ebd.:
137.
68
Beck 2007a:
18; Hervorhebung im Original.
69
Vgl. ebd.:
14.
70
Kessler 2003:
30.
71
Vgl. Beck 2007a:
72; Stiglitz (2006) formuliert es etwas allgemeiner und entschärfter: ,,[D]ie Globalisierung
[hat] die Fähigkeit der Regierungen, der wachsenden Unsicherheit und Ungleichheit gegenzusteuern,
eingeschränkt." (Stiglitz 2006:
99).

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
16
onsgeber ein besonderes strategisches, strukturelles oder soziales Interesse ins Spiel bringt"
und andere mehr.
72
Die zweite Globalisierungsdimension, die Varwick (2000) nennt, ist die kulturelle und
gesellschaftliche. Entgrenzung bedeutet hier ein ,,Zusammenwachsen der Welt"
73
. Kulturen,
Lebensstile, Identitäten werden aufgrund räumlicher Entgrenzung vermischt, was jedoch
nicht bedeutet, ,,dass die Welt kulturell homogener wird."
74
Für eine solche Konvergenz der
Kultur(en) kursiert das Schlagwort der ,,McDonaldisierung" der Welt. Diese Wortschöpfung
hängt damit zusammen, dass mit der Ausbreitung des westlichen Modells der freien
Marktwirtschaft auch eine westliche, d.h. vor allem amerikanische ,,Leitkultur", hier
angedeutet durch den amerikanischen Konzern McDonalds, dem Rest der Welt aufgezwun-
gen werde. Kulturelle und gesellschaftliche Entgrenzung findet jedoch nicht (nur) von
,,oben herab" statt, weil Unternehmen westliche Kulturartefakte in die restliche Welt
befördern, sondern auch ,,von unten", z.B. mit der Möglichkeit der Ein- und Auswanderung
und Arbeitsvisa. Kulturelle und gesellschaftliche Globalisierung findet parallel zur
ökonomischen statt; einen linearen Kausalzusammenhang von ökonomischer Globalisie-
rung, die eine kulturelle und gesellschaftliche unmittelbar nach sich ziehe, insbesondere einer
,,McDonaldisierung", ist nicht haltbar.
75
Ökologische Globalisierung als dritte Dimension wird vorwiegend ,,verstanden als
weltweite Vernetzung von Problembereichen"
76
. Denn besonders in der (globalen) Ökologie
tritt hervor, dass sich das Handeln der Menschen, ob als Einzelperson oder in einem
Unternehmen, global oder regional agierend, von unmittelbar und ausschließlich auf
einzelne Regionen bis indirekt und die Welt umfassend auswirken kann. Freilich nimmt
dabei der einzelne Mensch weniger Einfluss, etwa auf eine bestimmte Region in der Welt, als
ein transnationaler Chemiekonzern, der verschiedene Produktionsbereiche in verschiedene
Länder verlagert. Es kommt nicht nur darauf an, ob und dass Globalisierung, betrachtet als
dynamischer Prozess, ,,in verschiedenen Weltregionen stark asymmetrisch verläuft",
sondern ,,dass Ereignisse in einem Teil der Welt in zunehmendem Maße Gesellschaften und
Problembereiche in anderen Teilen der Welt berühren."
77
Unter anderem an diesem Punkt,
der sich allgemein auf die Betroffenheit Vieler durch das Handeln Weniger bezieht, greift
ein Schwerpunkt der Globalisierungskritik.
72
Vgl. Koopmann/Franzmeyer 2003:
21.
73
Varwick 2000:
143.
74
Beck 2007a:
62f.
75
Vgl. ebd.:
205f; vgl. Varwick 2000:
143.
76
Varwick 2000:
143.
77
Vgl. ebd.:
137.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
17
Politische Globalisierung bezieht sich auf die bereits angesprochene ,,Erosion national-
staatlicher Souveränität."
78
Varwick (2000) hält dazu fest:
,,Die Verdichtung globaler
Verflechtungen in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Ökologie aber auch Technologie,
Kommunikation, Verkehr, Migration u.a.m. haben gleichwohl zu abnehmender Steuerungs-
fähigkeit des einzelnen Staates geführt."
79
Denn die Steuerungspotentiale der Nationalstaa-
ten haben Grenzen, die sich, wie erwähnt, beinahe an territorialen ausmachen lassen.
80
Handlungsrelevante Räume jedoch sind ,,in erster Linie funktional und nicht mehr territorial
bestimmbar."
81
Aus diesem Grund wächst die Bedeutung politischer Kooperationsformen
auf internationaler Ebene, mit denen die für einzelne Staaten nicht lös- oder regelbaren
Probleme durch Zusammenarbeit bewältigt werden sollen,
82
wie es etwa in Form von
internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO), dem Internatio-
neln Währungsfond (IWF), der Weltbank u.a.m. aus politischer Sicht versucht wird zu
leisten. Allerdings treten in diesem Zusammenhang die Nationalstaaten auch in einen
(politischen) ,,Wettbewerb um ,globalisierungstaugliche' Wirtschafts-, Sozial- und
Gesellschaftssysteme."
83
Insbesondere im politischen Wettbewerb um globalisierungstaugli-
che Nationalstaaten wird Globalisierung mit einem hohen Bedrohungspotential verbunden,
weil Steuersenkungswettläufe, Lohn-, Sozial-, Subventions- und Umweltdumping befürchtet
werden.
84
Internationale Organisationen werden dagegen laut manch kritischer Position
bloß ,,zu einem Verbund integriert, der das neoliberale Projekt auf politischer Ebene"
85
decke.
2.1.1.2 Interdependenzen, Chancen und Risiken
Zwischen den vier oben vorgestellten Dimensionen und auch allen anderen Dimensionen,
die zu nennen möglich sind, besteht teils stärker, teils schwächer ein wechselseitiges
Verhältnis. Die ökonomische und die politische Dimension bilden hier eine Art Dreh- und
Angelpunkt, weil sie sich wie ein roter Faden durch die (Wahrnehmung der) anderen
Dimensionen zu ziehen scheinen. Denn ,,worauf die neue Rhetorik der Globalisierung [...]
auch immer inhaltlich verweisen mag, hervor stechen in jedem Fall die politischen Folgen,
78
Varwick 2000:
144.
79
Ebd.
80
Vgl. Kessler 2003:
30.
81
Varwick 2000:
144.
82
Vgl. ebd.
83
Ebd.
84
Vgl. ebd.:
144f.
85
Vgl. Ziai 2007:
28.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
18
welche die Inszenierung des ökonomischen Globalisierungs-Risikos in Gang setzt"
86
.
Monokausale Erklärungsversuche und geglaubte lineare Dependenzen sind jedoch, wie oben
angesprochen, nicht haltbar. Weil bei transnationalen Prozessen und Handlungen ,,erstens
eine quantitative Zunahme, zweitens eine qualitative Intensivierung und drittens eine
räumliche Ausdehnung feststellbar"
87
ist, ergeben sich für die Dimensionen nicht nur
innerstaatliche, sondern auch internationale Interdependenzen. Wechselseitige Abhängigkei-
ten von Gesellschaften, Staaten, Organisation, Individuen etc. und ,,dichte kausale
Interdependenzketten"
88
kennzeichnen Globalisierung(sprozesse). Dabei unterliegen
verschiedene Weltregionen Globalisierungsprozessen und -auswirkungen nicht alle im
gleichen Maß. Entsprechend individuell ergeben sich untereinander direkte und indirekte
Abhängigkeiten, Einwirkungsmöglichkeiten und -wahrscheinlichkeiten.
Beispielhaft sollen hier Interdependenzen und deren innewohnenden Chancen und
Risiken (aufgrund und mit Hilfe interdimensionaler Korrelationen) von Globalisierung für
die Bereiche Umwelt, Migration, Armut, Kriminalität und globale Ungleichheit skizziert werden;
dabei am Rande weitere Bereiche anzuschneiden, wird nicht ausbleiben können. Der
technologische Fortschritt ist dabei Stütze und Accelerator für mehrere Globalisierungsdi-
mensionen.
89
Schweigler (2003) hält zu Interdependenzen mit technologischen Fortschritten
fest, dass ,,Länder, die sich einer Öffnung verweigern bzw. aus wirtschaftlichen Gründen
nicht in der Lage sind, moderne Informationstechnologien zum Einsatz zu bringen,
zwangsläufig wirtschaftlich weiter zurückfallen [werden]."
90
Von der Umwelt wird im Zusammenhang mit Globalisierung oft von Problemen
gesprochen. Chancen der Globalisierung bestehen darin, große Probleme von mehreren
Staaten gemeinsam bewältigen zu können; Risiken werden in der Verschärfung von
Problemen gesehen. Dazu können lokale, regionale und globale Probleme unterschieden
werden. Lokale Umweltprobleme sind national begrenzte, bspw. die Verschmutzung eines
Flusses durch Industrie am Ort oder die Luftverschmutzung in Ballungsräumen mit
Flughäfen und hohem Verkehrsaufkommen. Regionale Umweltprobleme überschreiten
nationale Grenzen, bleiben jedoch regional, z.B. im Falle der Verschmutzung eines
gesamten Flusses, der durch mehr als ein Land fließt. Globale Umweltprobleme erfassen
schließlich die ganze Erde, wie die Verschmutzung der Weltmeere und der sog. Treibhausef-
86
Beck 2007a:
13.
87
Varwick 2000:
137.
88
Messner 2000:
90f.
89
Vgl. Schweigler 2003:
7.
90
Ebd.:
11.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
19
fekt. Nicht alle Probleme, ob lokal, regional oder global, lassen sich ohne weiteres auf
Globalisierung zurückführen. Trotzdem ließe sich vermutlich immer ein Weg finden, mit
Globalisierung als Auslöser zu argumentieren. So würde ein Fluss in Bangladesh bspw. nur
deshalb verschmutzt, weil dort der günstigste Standort ist für das an der Verschmutzung
verantwortliche (bspw. deutsche) Industrieunternehmen. Eine Dürrekatastrophe als
grenzüberschreitendes Problem sei bspw. eine Konsequenz aus der globalen Erwärmung,
die wiederum Konsequenz schädlicher Industrieemissionen sei. Demgegenüber wirke
Globalisierung als Chance, weil etwa globalen Umweltproblemen sowie lokalen und
regionalen, die globale Ausmaße erreichen könnten, effektiv nur durch internationale
Umweltpolitik entgegengewirkt werden könne. Dies bezöge sich nicht nur auf die
Umweltprobleme, sondern wiederum auf deren Effekte. So können ökologische Krisen
Armut, Migration oder sogar Kriege auslösen.
91
Den Problemen der Migration kann ebenfalls mit übernationalstaatlicher Politik begegnet
werden.
92
So werden zu starke Abwanderungen aus ärmeren Regionen und Zuwanderungen
in wohlhabende begrenzt. In den Nachrichten lässt sich dies regelmäßig beobachten, wenn
z.B. von Flüchtlingen aus Afrika berichtet wird, die von Marokko aus über das Mittelmeer
nach Europa zu gelangen versuchen. Die Hoffnung der Emigranten ist meist, am
europäischen Wohlstand teilzuhaben. Hier findet eine Abschottung Europas gegenüber
ungehinderten Menschenströmen statt, da bspw. das deutsche soziale Netz möglicherweise
,,reißen" würde, weil es keine unbegrenzte Menge Menschen auffangen kann. Mit dem
Beziehungsgeflecht der Europäischen Union werden zwischenstaatliche Einflüsse unter den
Mitgliedstaaten ,,intensiviert" bzw. ,,verschärft", und so werden die Emigranten auch im
Sinne Deutschlands bereits vor Spaniens ,,Tür" gestoppt. Demgegenüber gibt es Chancen
für erweiterte Lebensentwürfe. Durch international vergleichbare Studienabschlüsse können
sich Menschen im Ausland um einen Job bewerben. Auch kann bspw. ein in Deutschland
ansässiges Unternehmen dem (deutschen, türkischen o.a.) Angestellten anbieten, für eine
bestimmte oder unbestimmte Zeit in einer Niederlassung im Ausland tätig zu sein und dort
eine Stelle zu übernehmen. Dadurch wird diesem Menschen die Palette der möglichen
Lebensentwürfe erweitert (gesellschaftliche Dimension) und der Kulturraum, in den er
eintritt, um ein Stück fremder Kultur ergänzt (kulturelle Dimension). Umgekehrt können
91
Die Kausalkette ließe sich ebenso gut umdrehen. Ein Krieg könnte zu Flucht (,,Migration") und Armut (der
bleibenden Bevölkerung) führen. Aufgrund mangelnder finanzieller, wirtschaftlicher Möglichkeiten könnte
eventuell nur eine nicht-nachhaltige Bewirtschaftung der Felder stattfinden, weil Geräte oder Saatgut oder
personelle Ressourcen fehlen, was schließlich zu Bodenverödung führen könnte. ,,Armut kann zu
Umweltzerstörung führen, und Umweltzerstörung kann die Armut vergrößern." (Stiglitz 2004:
293f).
92
Vgl. von Plate 2003b:
41.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
20
auch Arbeitsplätze schwinden, z.B. im Zuge von Fusionsbestrebungen, die sich aus der
transnationalen Aktivität von Unternehmen ergeben können. Diesem Beispiel jedoch hält
Beck (2007a) entgegen, der Großteil der deutschen Arbeitslosigkeit sei nicht direkt auf
Globalisierung zurückzuführen.
93
Insofern muss die Frage, ,,Was ist die Ursache und was ist
die Wirkung?", an jede Beobachtung gerichtet und bei der Antwort nicht einer allzu
leichtfertigen monokausalen Erklärung verfallen werden.
An der Frage, wie Armut zu bekämpfen ist, gehen die Meinungen ebenfalls auseinander.
Auf der einen Seite biete die Liberalisierung und Deregulierung der Märkte Chancen für
ärmere Länder, von Globalisierung(sprozessen) zu profitieren, am Wohlstand, den sie
verspreche(n), teilzuhaben; auf der anderen sei ihnen vielmehr eine fortschreitende
Abhängigkeit und Armut vorgeschrieben, weil ,,mächtige", reiche Unternehmen noch
mächtiger und reicher würden.
94
Es wird versucht, das westliche Wirtschaftsmodell in den
armen Regionen zu bewerben und umzusetzen, weil ,,neben Weltmarktorientierung und
Bildung vor allem handels- und finanzpolitische Weichenstellungen [...] die jeweilige
Volkswirtschaft in angemessener Weise an den Weltmarkt [heranführten]"
95
und diese
Regionen auf den Globalisierungszug der Gewinner aufspringen könnten. Beck (2007a) hält
dies für einen Irrtum:
,,Behauptet wird, die globalisierte Wirtschaft sei am besten geeignet,
den Wohlstand weltweit zu heben und damit soziale Missstände abzubauen."
96
Ihm zufolge
ist die Ansicht, der durch den Welthandel verschärfte Wettbewerb führe ,,zu Kostensenkun-
gen, von denen letztlich alle profitieren, [...] bemerkenswert zynisch."
97
Müller (2002) sieht
zwar ,,die wohlfahrtssteigernden Wirkungen liberalisierter Märkte, den freien Fluss von
Ideen und das Schwinden unversöhnlicher Konflikte in einer immer enger zusammenrü-
ckenden Welt"
98
. Dem muss allerdings entgegengehalten werden, dass eine sofortige
Öffnung, d.h. Liberalisierung, des Marktes eines Nationalstaates verheerende Auswirkungen
für den Staat haben kann, da sich die Wirtschaft eventuell zuerst als stabil erweisen und
deshalb darauf geachtet werden muss, ,,dass eine wirksam arbeitende Zentralbank und
entsprechende, integrierte Aufsichtsorgane gebildet sowie das Haftungs- und Wettbewerbs-
93
Vgl. Beck 2007a:
43.
94
Vgl. Dieter 2003:
34; damit ist nur eine Kontroverse um die Armutsdebatte angesprochen. Die
Diskussionen reichen viel weiter, u.a. inwieweit Subventionen und Spenden helfen bzw. diese in Wirklichkeit
mehr kosten würden als wenn jede Arbeit gleichberechtigt bezahlt würde, bspw. indem der chinesische Bauer
für einen Sack Reis gleichviel Geld erhielte wie ein amerikanischer.
95
Dieter 2003:
35.
96
Beck 2007a:
198.
97
Ebd.
98
. Müller 2002:
9.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
21
recht den Bedingungen deregulierter, offener Märkte angepasst werden."
99
Diese
Interdependenz vom so genannten freien Welthandel und Wohlstand bzw. Armut scheint
sehr eng und gleichzeitig zwiespältig. Die Argumentationen zu Chancen und Risiken reichen
sich hier die Hände.
Auch die organisierte Kriminalität profitiert von der Entgrenzung und den technischen
Neuerungen, operiert wie transnationale Konzerne über nationalstaatliche Grenzen hinweg
und teilt ,,unternehmerische Prozesse" auf. Entsprechend wirkt dies auf die Globalisierung
der Politik, die sich neuen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen
gegenübersieht. Auch gegen globale Ungleichheit und für die Etablierung von Menschenrechten
setzen sich supranationale Institutionen und Organisation, z.B. die UN und ihre
Sonderorganisationen, ein. Tomuschat (2003) nennt als Beispiele für Erfolge menschen-
rechtlicher Normierungen Übereinkommen zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung
und Diskriminierung der Frau und die Ächtung von Folter.
100
Doch auch im Bereich der
Menschenrechte, ihrer Umsetzung und Förderung herrscht keine absolute Einigkeit, und
auch hier gibt es Grauzonen zwischen Chancen und Risiken. Ein ,,Risiko" bestünde bspw.
darin, dass das westlich geprägte Demokratiemodell dem Rest der Welt aufgedrängt würde.
,,Während eine Richtung Respekt vor übereinkommenden Werten und Praktiken empfiehlt,
sind insbesondere die Gremien der UN nicht bereit, auf Kritik an den Zuständen zu
verzichten, die sie als Relikte illegitimer Herrschaftsstrukturen der Vergangenheit
betrachten."
101
Moralische und ethische Werte werden also aus dem westlichen Kulturraum
bestimmt. Dies kann spätestens dann trügerisch erscheinen, wenn westliche Nationalstaaten
dieselben Werte, die sie verbreiten wollen, selbst nicht achten, wie es in der Diskussion um
das amerikanische Gefangenenlager in Guantánamo sichtbar wird.
Globalisierung und die interdimensionalen Zusammenhänge sind auf Mikro-, Meso- und
Makroebene auffindbar, Interdependenzen lassen sich endlos auf- und fortführen. Da über
Kausalitäten im Globalisierungsdiskurs keine Einigkeit herrscht,
102
müssen die oben
skizzierten Beispiele lediglich als Möglichkeiten, als Gedankenexperimente verstanden
werden. Was für Kausalitäten gilt, trifft prinzipiell auch auf die Auslegung von Chancen und
Risiken zu. Nicht immer sind sie so stark kontrastiert wie im Beispiel der freien Marktwirt-
schaft als (vermeintliches) Wohlfahrtsmodell oder sind Chancen bzw. Notwendigkeiten so
deutlich zu erkennen wie in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. So ist bspw.
99
Deutscher Bundestag 2002:
21.
100
Vgl. Tomuschat 2003:
50f.
101
Ebd.
102
Vgl. Müller 2002:
13.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
22
auch ,,von einem Werte- und Kulturimperialismus der westlichen Welt die Rede, der auf
andere Traditionen, etwa Chinas, keine Rücksicht nehme. Typisch westlich sei es
beispielsweise, den Wert des einzelnen Menschen zu betonen, anstatt wie in Teilen Asiens
den Vorrang der Gemeinschaft."
103
Diese Gegenüberstellung, Vorrang dem Individuums
versus Vorrang der Gemeinschaft, lässt die Relativität des westlichen Wertmaßstabs
erkennen. Insofern ,,[liegen] Vor- und Nachteile der Globalisierung oft dicht beieinan-
der."
104
2.1.1.3 Global Governance
Globalisierung steht auch in einem engen Zusammenhang mit der Fähigkeit zu regieren.
Das traditionelle Verständnis von Regieren ist durch das Zusammenspiel von Territorialität,
Souveränität, Legitimität und Effektivität gekennzeichnet.
105
Territorialität im traditionellen
Sinn meint, dass die Reichweite von Problemen bzw. problematischen Handlungszusam-
menhängen prinzipiell mit der Reichweite nationalstaatlicher Regelungsinstitutionen
übereinstimmt.
106
Dabei bezieht sich dieses Verständnis typischerweise auf nationalstaatliche
Territorien, d.h. Handlungszusammenhänge betrafen bisher das Gebiet innerhalb
nationalstaatlicher Grenzen. Souveränität begrenzt in diesem Verständnis die Regelungsin-
stitutionen auf eine Regierung
107
und ­ in Demokratien ­ der ihr zugehörigen Legislative,
Exekutive und Judikative. Für ein durch nationalstaatliche Grenzen abgestecktes
Territorium gibt es also nur eine rechtmäßige Regierung. Demokratische Partizipationsan-
sprüche einerseits und die Orientierung der Ziele des Regierens am Allgemeinwohl
andererseits verleihen dem Souverän Legitimität.
108
Außerdem ist für sie Transparenz ein
wichtiges Kriterium, und nicht zuletzt bemisst sie sich an der Effektivität ­ dem vierten
Element des traditionellen Verhältnisses über ,,Regieren". Effektivität meint letztlich das
Erreichen der Ziele, die durch die gesetzten ,,Verregelungen problematischer Handlungszu-
sammenhänge"
109
erreicht werden sollten. Brozus/Zürn (2003) verdeutlichen dies am
Beispiel der Straßenverkehrsordnung:
,,Der ungeregelte Handlungszusammenhang Straßenverkehr, in dem alle Individuen nach eigenem
Interesse handeln, wäre vor allem für Radfahrer und Fußgänger sehr gefährlich. Daher wird versucht,
103
Von Plate 2003a:
6.
104
Ebd.:
5.
105
Vgl. Brozus/Zürn 2003:
57.
106
Vgl. ebd.
107
Vgl. ebd.:
58.
108
Vgl. ebd.
109
Ebd.:
58f.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
23
die zwischen den Verkehrsteilnehmern bestehenden Handlungszusammenhänge zu regeln und auf
allgemein anerkannte Regelungsziele hinzusteuern."
110
Vereinfacht gesagt, soll es bei der gesetzlichen Ordnung, wie z.B. in der Straßenverkehrs-
ordnung, um eine Art Paragraphen gehen, ,,die dem Schutz der Teilnehmenden voreinander
dienen."
111
Regieren heißt (hier), einen möglichst großen Konsens auf der Basis breiter
Partizipation innerhalb bestimmter Grenzen zu etablieren, ihn zu regeln und zu sichern.
Regieren verstehen Brozus/Zürn (2003) als ,,autoritative Formulierung und Durchsetzung
allgemeinverbindlicher Regelungen".
112
Nun wird das Element Territorialität und folglich Souveränität durch Entgrenzung
untergraben,
113
wodurch neue Forderungen und Herausforderungen an globale Politik
gestellt werden. Denn Demokratie und demokratische Politik sind nicht einfach
globalisierbar. Selbst ein vergleichbar einfacher Bereich wie eine ,,globale Straßenverkehrs-
ordnung" erschiene schwer durchsetzbar. Wie sich Probleme globalisieren, müssen sich
auch Politik und politische Entscheidungsträger globalisieren, um auf diese Probleme
antworten zu können. In politischen Diskursen wird häufig Global Governance als ,,Modell des
Regierens im Weltmaßstab" genannt.
114
Auch hier soll betont werden, dass, worauf u.a.
Nohlen (2001) und Varwick (2000) hinweisen, Global Governance nicht mit Global
Governement, also einem Weltstaat oder einer Weltregierung gleichzusetzen ist.
115
Einer
solchen fehle ohnehin die demokratische Legitimation.
116
Global Governance baut auf
einem Mehr an Multilateralismus auf, gehe jedoch darüber hinaus. Die Aufgabe ist eine
engere Verflechtung und Intensivierung horizontaler und vertikaler politischer Entschei-
dungsträger und Steuerungsinstrumente. ,,Ziel von Global Governance ist daher die auf
Effektivität und demokratische Legitimation gerichtete Koordination der politischen
Steuerungsleistungen verschiedener Akteure auf unterschiedlichen politischen Ebenen ­
lokal, national, regional und global."
117
Jedoch soll Global Governance auf diesen Ebenen
nicht nur staatliche, sondern auch nicht-staatliche Akteure einschließen ­ damit gehe Global
110
Brozus/Zürn 2003:
57.
111
Ebd.
112
Ebd.; ,,Es geht beim Regieren also um Koordination und Steuerung." (Brozus/Zürn 2003:
57).
113
Vgl. ebd.:
58.
114
Vgl. ebd.:
56; alternative Begriffe für Global Governance sind z.B. Globalpolitik, Weltinnenpolitik,
Weltordnungspolitik und globale Strukturpolitik (vgl. Nohlen 2001:
180). Der Begriff findet seit 1991
Verwendung (vgl.
http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/G8Gipfel/Teilnehmer/Outreach/outreach.html).
115
Vgl. Nohlen 2001:
180; Varwick 2000:
145; auch Beck (2007a) Global Governance nicht als Weltregierung,
wie an seiner Unterscheidung von Globalismus, Globalität und Globalisierung abzulesen ist (vgl. Kapitel
2.1.1).
116
Vgl. ebd.
117
Ebd.:
61.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
24
Governance über Multilateralismus hinaus.
118
Durch dieses Hinzutreten neuer Akteure
verlangt die Idee staatlicher Souveränität nach einer Neudefinition,
119
was vor allem
bedeutet, auf Souveränitätsrechte (teilweise) zu verzichten.
120
Die Konsequenz dieser
Neuordnung erfordert und zielt auf ,,die Entwicklung eines neuen Politikstils"
121
der nicht
nur auf die Lösung globaler Probleme und dem Risikomanagement dienen soll, sondern der
versucht, ,,Antworten zu liefern, wie die Welt noch regiert werden kann."
122
Insofern zeigt
Global Governance mannigfaltige Facetten auf; so stellt es u.a. auch ein alternatives
Programm zum ,,Steuerwettbewerb nach unten" dar.
123
Auch an diesem Modell wird Kritik geäußert. So ließen sich mit Global Governance als
organisiertes ,,Interdependenz- und Kooperationsmanagement"
124
,,verschärfte Konkur-
renzsituationen, Deregulierungswettläufe und Handelskonflikte [...] nicht bändigen"
125
.
Überdies habe das Global Governance-Konzept aus demokratietheoretischer Sicht Defizite,
da potenziell Betroffene in diesem Fall kaum Mitspracherecht bei Entscheidungsfindungen
haben. Auf die Frage:
,,Wer bestimmt eigentlich, wer von welchen Problemen betroffen ist,
und (wie) wird sich der permanent wechselnde Kreis der Betroffenen auf globaler Ebene
organisieren können?"
126
scheint es (bisher) keine alle Parteien zufrieden stellende Antwort
zu geben. Nicht zuletzt mangele es der Global Governance an einer eindeutigen
methodischen Konzeption.
127
118
Vgl. Nohlen 2001:
181.
119
Vgl. Varwick 2000:
145; Varwick nennt an dieser Stelle auch die Elemente staatlicher Souveränität, die
oben vage angeklungen sind:
,,Unverletzbarkeit der Grenzen, Verbot der Einmischung in ,innere'
Angelegenheiten, Verfügungsgewalt des Staates über gesellschaftliche Verhältnisse".
120
Vgl. Nohlen 2001:
181.
121
Varwick 2000:
146.
122
Nohlen 2001:
181.
123
Vgl. Kessler 2003:
31.
124
Messner 2000:
101f.
125
Nohlen 2001:
181.
126
Brozus/Zürn 2003:
62.
127
Vgl. Dingwerth 2003:
10f.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
25
2.1.2 Die großen Acht
Der Gruppe der Acht (G8)
128
gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien,
Japan, Kanada
129
, Russland
130
und die USA an und sie ,,ist eines der wichtigsten internatio-
nalen Foren globaler Verantwortung."
131
Hervorgegangen sind die G8 aus einem Treffen im
Jahr 1975 der sechs Staats- und Regierungschefs (G6) ,,wichtiger Industrienationen
[Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und die USA; Anm. ND], um die
Entwicklungen der Weltwirtschaft zu diskutieren."
132
1976 wurde Kanada Mitglied (G7) und
1998 Russland (G8). Die Staaten werden durch ihre Regierungschefs vertreten. Weil in
einigen Bereichen der Finanzkonsultationen das G7-Format fortgeführt wird, wird teilweise
von ,,G7/G8" gesprochen.
1975 sahen sich die Staaten durch den weltweiten konjunkturellen Abschwung veranlasst,
nach Wegen aus dieser Krise zu suchen.
133
Wahl (2006) betont, dass es ökonomisch vor
allem das Endes des Systems von Bretton Woods
134
und der erste ,,Ölpreisschock" waren,
die die Staaten motivierten, die damals noch so genannten ,,Weltwirtschaftsgipfel"
einzuführen.
135
Nach Wahl (2006) habe es nahe gelegen, da schon mehrere formelle
Institutionen vorhanden waren, ,,einen eher koordinierenden und moderierenden
Mechanismus zu schaffen".
136
Damals und noch heute sind die G8-Gipfel als ,,informelles
Forum"
137
zu charakterisieren:
,,Die Gruppe ist keine internationale Organisation, sie besitzt
weder einen eigenen Verwaltungsapparat mit ständigem Sekretariat noch eine permanente
Vertretung ihrer Mitglieder."
138
Dennoch werden Entscheidungen in große supranationale
128
Aus dem Englischen ,,Great Eight" wird im Deutschen von ,,Gruppe der Acht" oder von ,,die großen
Acht" gesprochen.
129
Kanada ist seit 1976 vollwertiges Mitglied der G7/G8.
130
Russland ist seit 1998 Mitglied der G7/G8.
131
Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/hintergrund.html; Zugriff: 1.7.07.
132
Ebd.
133
Vgl. ebd.:
http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/geschichtlicherUeberblick/geschichtlicher-
ueberblick.html; Zugriff: 1.7.07.
134
Das System von Bretton Woods bedeutet, einfach gesagt, ein System der festen Wechselkurse; der Name
geht zurück auf den Ort der Gründung, einem Bezirk in Carroll im US-Bundesstaat New Hampshire (vgl.
Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/geschichtlicherUeberblick/geschichtlicher-ueberblick.html; Zugriff:
1.7.07).
135
Vgl. Wahl 2006:
10; die Ölkrise und der Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems wird auch auf den
Internetseiten der Bundesregierung erwähnt (vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/geschichtlicherUeberblick/geschichtlicher-ueberblick.html; Zugriff:
1.7.07).
136
Ebd.:
22.
137
Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/hintergrund.html;
Zugriff: 1.7.07.
138
Ebd.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
26
Institutionen hineingetragen. Diese Entscheidungen werden nicht immer nur auf den
tatsächlichen ,,Gipfeltreffen" ausgehandelt, sie sind vielmehr auf dem Weg zu den
formulierten Zielen der für die breite Bevölkerung ,,sichtbarste Teil".
139
Im weiten Vorfeld
finden Vorbereitungen und Gespräche statt, die die sog. ,,Sherpas" und ,,Sous-Sherpas"
übernehmen;
140
außerdem finden permanent Gespräche zwischen den Außenministern der
G8 bezüglich außenpolitischer Fragen statt und auch die Finanzminister finden regelmäßig
im ,,G7-Format" mit den Notenbankchefs zusammen, ,,um ihre Finanzpolitiken
aufeinander abzustimmen, das internationale Finanzsystem zu stärken und Mechanismen
gegen Finanzkrisen zu erarbeiten."
141
Dies ist nur eine Auswahl von Beispielen von
,,Arbeitsgruppen", die auf den jährlichen G8-Gipfel hinarbeiten.
Allgemein formuliertes Ziel der G8-Staaten ist es, ,,eine gemeinsame Position auf diversen
Politikgebieten abzustimmen."
142
Dabei treten die G8-Staaten auch in Dialog mit einer
Auswahl von Schwellenländern, die zu den Gipfeln eingeladen werden. Zu diesen
,,Outreach-Staaten" zählen Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika. Ein wichtiges
Ziel dieser Outreach-Initiativen sei, ,,den großen Verschiebungen in der Weltwirtschaft, die
vom Erstarken der Schwellenländer ausgehen, auch im System der global governance
Rechnung zu tragen."
143
Zusätzlich lud die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, 2007
weitere, afrikanische Staaten zum ,,Outreach Afrika" ein.
144
Mit welchen Themen sich die G8 auseinandersetzen, welchen Aufgaben gegenüber sie sich
verantwortlich sehen und welche Ziele sie verfolgen, hat sich im Laufe der Zeit gewandelt.
Zu Beginn der Geschichte der G7/G8 standen Fragen der Wirtschafts- und Währungspoli-
tik auf der Tagesordnung, während sich heute die Mitgliedstaaten ,,für alle globalen
Fragestellungen"
145
verantwortlich fühlen. Anfangs ,,[waren] die Hauptthemen zur
Überwindung des anhaltenden Abschwunges:
Währungskooperation, makro-ökonomische
Steuerung, Handel, die Ost-West-Beziehungen, Energie sowie die Nord-Süd-
139
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Prozess/prozess.html; Zugriff: 1.7.07.
140
Vgl. ebd.; ein Sherpa kann etwa als ,,persönlicher Beauftragter" des Regierungschefs bezeichnet werden
(vgl. http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Ministerium/Minister-und-Staatssekretaere/Beamtete-
Staatssekretaere/bernd-pfaffenbach.html; Zugriff 1.7.07).
141
Ebd.
142
Ebd.
143
Deutsche Bundesregierung 2007b: 1.
144
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/G8Gipfel/Teilnehmer/teilnehmer.html; Zugriff: 1.7.07; zum ,,Afrika Outreach"
gehörten Nigeria, Ägypten, Südafrika, Algerien, Senegal und Ghana.
145
Ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Herausforderungen/herausforderungen.html;
Zugriff 1.7.07.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
27
Beziehungen."
146
Bis zu den achtziger Jahren standen damit klassische Themen der
Außenwirtschaft im Mittelpunkt der Verhandlungen.
147
In den achtziger Jahren beeinfluss-
ten die Ost-West-Spannungen, inklusive der Nachrüstungsdebatte, die Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen und Terrorismus das Programm der G7, sodass sich das
Interesse auf außen- und sicherheitspolitische Themengebiete erweiterte.
148
Nach dem Ende
des Kalten Krieges, der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Zerfall des Ost-Blocks und
damit dem Ende der bipolaren Welt änderte sich die Weltordnung maßgeblich. Die G7
beeinflusste dies, indem 1991 die Eingliederung Russlands in die G7 begann.
149
Ein weiterer
Schwerpunkt war die Unterstützung wirtschaftlicher Transformationsprozesse, indem neben
bilateralen Hilfen Kredite des Internationalen Währungsfond (IWF) angestoßen wurden.
150
So wurden neue Partnerschaften mit Osteuropa und den Entwicklungsländern ausgebaut.
Diese ,,globale Wachstumsstrategie sowie verbesserte Instrumente bei der Weltbank und
dem IWF standen im Mittelpunkt der Gespräche."
151
Auch heute noch setzen sich die
G7/G8 ,,für freie, offene Märkte, ein liberales Freihandelssystem" ein und auch heute noch
haben die Weltbank und der IWF weit reichende Einflussmöglichkeiten.
152
Stiglitz (2004;
2006) bemängelt, dass der IWF sich zu weit von seiner eigentlichen Kernkompetenz, (dem
Krisenmanagement) der wirtschaftlichen Stabilität, entfernt habe und sich in ,,fremde"
Sachgebiete einmische.
153
Dies geschieht mehr oder weniger indirekt, z.B. seien Entwick-
lungsländer fast immer auf Krisenhilfe seitens des IWF angewiesen, wodurch von ihm
diktierte Auflagen durchgesetzt werden können, da sonst die Hilfe in Form von sog.
Strukturanpassungskrediten verweigert würde; ,,so wurde der IWF zu einem festen
politischen Akteur in den meisten Entwicklungsländern."
154
Allerdings ist für Stiglitz (2004)
146
Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Themenvielfalt/themenvielfalt.html; Zugriff: 1.7.07.
147
Vgl. ebd.
148
Vgl. ebd.
149
Vgl. ebd.
150
Vgl. ebd.
151
Ebd.
152
Vgl. ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Wirtschaftskraft/wirtschaftskraft.html;
Zugriff: 1.7.07; ,,Die zentrale Aufgabe des IWF ist die Stabilisierung der Weltwährungsbeziehungen und die
Überwindung akuter Zahlungsbilanzkrisen." (Deutscher Bundestag 2002:
25) ,,Die zentrale Aufgabe der
Weltbank ist die Finanzierung langfristig angelegter regionaler und sektoraler Entwicklungen." (Deutscher
Bundestag 2002:
26).
153
Vgl. Stiglitz 2004:
40; 303; so wirft Stiglitz dem IWF vor, sich in Entwicklungsfragen, also dem Fach der
Weltbank, einzumischen (vgl. Stiglitz 2006:
55).
154
Ebd.:
30; verstärkt werde der Einfluss des IWF dadurch, dass seine Aussagen über und
(Ver-)Handlungen mit Staaten als Orientierung für viele Geldgeber und Investoren dienen (vgl.
Stiglitz 2004:
65). Stiglitz hält dazu fest:
,,Die Volkswirtschaft eines Landes kann nicht wachsen, wenn
Investoren davor zurückschrecken, dort geschäftlich aktiv zu werden." (Stiglitz 2004:
111).

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
28
nicht die Politik des IWF per se, die sich in den Leitlinien des Washingtoner Consensus
155
widerspiegle, das Problem, sondern die nicht sachgerechte Reihenfolge der Maßnahmen.
156
In den späteren Neunzigern rückten die Schuldenkrise der Entwicklungsländer und die
Verschmutzung der Umwelt zunehmend in den Mittelpunkt verschiedener Debatten und so
wurden diese Themen auch von den G7/G8 intensiver behandelt. Zur Jahrtausendwende
fanden auch die ,,Digitale Spaltung" und der Klimaschutz Einzug in das Themenspektrum
der G7/G8. Die offizielle deutsche Homepage der G8
157
durch die Bundesregierung nennt
als Themen u.a. Afrika, Bildung, Entwicklung, Produktpiraterie, die Informationsgesellschaft
(Überwindung des digital devide) und den Kampf gegen Korruption.
158
Auch bilden die
Entschuldung der ärmsten Länder, der Zugang zu Grundbildung, die Bekämpfung von Aids
und, spätestens seit dem 11. September 2001, die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus herausragende Topics.
159
Jedes Jahr übernimmt ein anderes Mitglied der G8-
Staaten im vorgegebenen Turnus den Vorsitz; dieses Land ist der Gastgeber, trägt die
inhaltliche Verantwortung und kann somit die thematische Ausrichtung zu Schwerpunkt-
themen lenken.
160
Das Leitmotiv der diesjährigen deutschen G8-Präsidentschaft war
,,Wachstum und Verantwortung", was sich in den zwei Schwerpunkten ausdrückte:
-
,,Wachstum und Verantwortung in der Weltwirtschaft ­ Investitionen, Innovationen,
Nachhaltigkeit" sowie
-
,,Wachstum und Verantwortung in Afrika ­ Gute Regierungsführung, nachhaltige
Investitionen, Frieden und Sicherheit und die Bekämpfung von HIV/Aids".
161
Diese beinhalteten u.a. ,,[n]eue Impulse beim Austausch über Strategien zum Abbau der
globalen Ungleichgewichte", der ,,Austausch über Maßnahmen zur Verbesserung der
systemischen Stabilität und Transparenz der Finanz- und Kapitalmärkte", das ,,Bekenntnis
155
Der Washingtoner Consensus beschreibt ein vom IWF und von der Weltbank gefördertes Konzept, das
eine Ausrichtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen vorgibt, die wirtschaftliche Stabilität und wirtschaftliches
Wachstum sichern sollen.
156
Vgl. Stiglitz 2004:
106; ein Vorteil sei bspw., dass der IWF auch dann noch oft Kredite vergibt, wenn die
Kapitalmärkte dies nicht tun (vgl. Stiglitz 2004:
270).
157
Deutsche Bundesregierung (2007a).
158
Vgl. ebd.: http://www.g-8.de/Content/DE/StatischeSeiten/G8/zeittafel-gipfeltreffen-weitere-
themen.html#doc92024bodyText1; Zugriff: 1.7.07.
159
Zu den jeweiligen Themen vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-8.de/nn_205952/Content/DE/StatischeSeiten/G8/zeittafel-gipfelthema-entschuldung.html;
http://www.g-8.de/nn_205952/Content/DE/StatischeSeiten/G8/zeittafel-gipfelthema-bildung.html;
http://www.g-8.de/nn_205952/Content/DE/StatischeSeiten/G8/zeittafel-gipfelthema-aids.html;
http://www.g-8.de/nn_205952/Content/DE/StatischeSeiten/G8/zeittafel-gipfeltreffen-terrorismus.html;
Zugriff: 1.7.07.
160
Vgl. ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/hintergrund.htm;
http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/G8Gipfel/Agenda/agenda.html; Zugriff: 1.7.07; Deutschland trug 1978, 1985, 1992,
1999 und 2007 die Verantwortung für die Präsidentschaft.
161
Deutsche Bundesregierung 2007b:
3.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
29
der G8 zur Investitionsfreiheit in Industrie- und Schwellenländern", die ,,Thematisierung
weltweiter Investitionsbedingungen" und die ,,Behandlung der sozialen Dimension der
Globalisierung", der ,,Dialog über die zentrale Bedeutung von Innovationen in wissensba-
sierten Gesellschaften", ,,Energieeffizienz" und das Anknüpfen an den Kyoto-Prozess; bei
der Entwicklung Afrikas ginge es um die ,,wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents, die
Bekämpfung der Armut und insbesondere um den Kampf gegen HIV/Aids" und der
Ausbau der Beziehungen ,,der G8 zu Afrika als eine Reformpartnerschaft".
162
Letzteres
beinhaltet zudem ,,gute Regierungsführung, nachhaltige Investitionen, Frieden und
Sicherheit",
163
wofür z.B. auch ein 1999 beschlossener Schuldenerlass förderlich sein sollte.
Mittlerweile spannt sich um den Gipfel ein Netz abgestimmter politischer Entscheidun-
gen, aus den ,,Kamingesprächen"
164
über wirtschaftliche Probleme wurden Debatten zu
weltweiten Problemen, deren Ergebnisse ebenso weltweite Auswirkungen haben (können)
und die im Scheinwerferlicht der Medienanstalten stehen. Ihr (möglicher) Einfluss spiegelt
sich auch in den Quoten ihrer Stimmrechte wider, die die G7/G8-Staaten bspw. beim IWF
und der Weltbank haben; die Stimmverteilung findet, vereinfacht gesagt, nach Kapitaleinla-
gen der Mitglieder statt.
165
Wie im vorangegangenen Kapitel argumentiert, wird die
Wirtschaft häufig als Dreh- und Angelpunkt für Globalisierungsprozesse gesehen. Daran
setzt auch eine Art Legitimation der G7/G8-Gipfel an. Wie eingangs zitiert, wird häufig von
den sieben ,,wichtigsten", ,,größten" oder ,,führenden" Wirtschaftsnationen plus Russland
gesprochen.
166
Diese Formulierung geht auf die wirtschaftliche Kraft zurück, die an der
Höhe des Bruttoinlandsproduktes bemessen wird; die G8-Staaten erwirtschaften
zusammengenommen ca. 63 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes, am weltweiten
Güterhandel tragen sie einen Anteil von ca. 50 Prozent und sie sind, weil sich dies ebenfalls
an der Wirtschaftskraft eines Staates bemisst, zum Teil die größten Beitragszahler in
internationalen Organisationen.
167
Das Argument ist:
,,Wirtschaftliche Leistungskraft nimmt
Staaten in Verantwortung".
168
Die wirtschaftliche Durchsetzungsfähigkeit bringe ,,eine
162
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/G8Gipfel/Agenda/agenda.html; Zugriff: 1.7.07.
163
Ebd.:
http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/G8Gipfel/Teilnehmer/OutreachAfrika/outreach-afrika.html;
Zugriff: 1.7.07.
164
Ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Prozess/prozess.html; Zugriff: 1.7.07.
165
Vgl. Müller 2002:
90; vgl. Stiglitz 2006:
32.
166
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/hintergrund.html; Zugriff: 1.7.07.
167
Vgl. ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Wirtschaftskraft/wirtschaftskraft.html;
Zugriff: 1.7.07; die wichtigsten Beitragszahler sind die USA, Japan und Deutschland.
168
Ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Herausforderungen/herausforderungen.html;
Zugriff: 1.7.07; hier soll angemerkt werden, dass es bspw. Staaten gibt, die ein höheres BIP aufweisen als

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
30
Verantwortung für globale Problemstellungen mit sich", und so hätten die G7/G8-Staaten
,,de[n] Wille[n], den Wohlstand und die Sicherheit der Bevölkerung weltweit zu verbes-
sern."
169
Den Rahmen der in diesen Zusammenhängen getroffenen Beschlüsse bildeten
,,[d]ie gemeinsamen Grundwerte Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Marktwirtschaft,
Freihandel und Rechtsstaatlichkeit", die auch die Prämissen des Handelns der Staats- und
Regierungschefs seien.
170
Dies zeigt gleichzeitig die (angegebenen) Zielvorstellungen, die die
G8-Staaten verfolgen.
Die G8-Staaten bestreiten nicht, dass ,,Globalisierung zwar großräumig, und grenzüber-
schreitend, aber keineswegs uneingeschränkt universal [verläuft]." Aus deutscher Sicht zeigt
dies z.B. der Bericht der Enquete-Kommission ,,Globalisierung und Weltwirtschaft".
171
Mit
ihr wird versucht, Risiken von Globalisierung zu begegnen, indem eine wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit Globalisierung stattfindet, um theoretisch fundierte Handlungsvor-
schläge geben zu können. Die Enquete-Kommission wurde vom Bundestag eingerichtet,
um
- ,,die Gründe zu untersuchen, die zur Globalisierung der Weltwirtschaft geführt haben,
- ihre Auswirkungen in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bereichen zu beschreiben
und
- Handlungsoptionen für die nationale und internationale Gemeinschaft vorzuschlagen, wie diese
verantwortungsvoll und gestaltend auf die weitere Entwicklung einwirken können."
172
Russland. Stiglitz weist darauf hin, dass es auch andere Maßstäbe gebe, das BIP jedoch relativ einfach zu
errechnen sei und es deshalb als Maßstab genommen werde. Auch am Warenexport lässt sich diese
Argumentation nicht schlüssig fortführen, da z.B. China 2002 auf Platz fünf des Warenexports rangierte (vgl.
Koopmann/Franzmeyer 2003:
16).
169
Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Herausforderungen/herausforderungen.html; Zugriff: 1.7.07.
170
Vgl. ebd.
171
Vgl. Deutscher Bundestag (2002).
172
Ebd.:
5; die Kommission besteht bzw. bestand aus unterschiedlichen Arbeitsgruppen, die sich aus
Mitgliedern der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der ehemaligen PDS zusammensetzen
und von parteiangehörigen wissenschaftlichen Mitarbeitern und sachverständigen Mitgliedern aus Wirtschaft
und Forschung mit beraten werden (vgl. Langbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages,
S. 44ff). Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission legt der Bundesregierung im sog. Mehrheitsbericht
Handlungsempfehlungen nahe, auf die sich ihre Mitglieder mehrheitlich verständigt haben. Auch
Volkswirtschaftslehre ist kein monolithisches Gebilde und so scheint es eine logische Konsequenz, dass es
auch in der Enquete-Kommission teilweise unterschiedliche Ansichten und/oder Handlungsempfehlungen
gibt. Deshalb werden am Schluss desselben Berichts Minderheitsvota einzelner Arbeitsgruppen veröffentlicht,
sofern deren Ansichten stark vom Mehrheitsbericht abweichen. Auf die oben angesprochene Gefahr der
zunehmenden Kluft weist der Bericht hin:
,,Unregulierter Wettbewerb trägt den Keim der Spaltung in Arm
und Reich in sich" (Deutscher Bundestag 2002:
5); ,,im Prozess der Globalisierung ist der erheblich höhere
Wohlstand nicht allen Menschen gleichermaßen zugute gekommen" (Deutscher Bundestag 2002:
12). Die
G7/G8 sehen die gangbare oder gangbarste Lösung dieser Probleme in den Maßnahmen, die sie beschließen.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
31
,,Globalisierung kann und muss politisch gestaltet werden" ist das (neue) Credo.
173
Allerdings greifen nationalstaatliche Politiken ,,wegen der charakteristischen grenzüber-
schreitenden Merkmale der Globalisierung zu kurz", weshalb ,,Handlungsbedarf jenseits der
Nationalstaaten" besteht.
174
Dabei sei die Zusammenarbeit der G7/G8 innerhalb der Global
Governance ,,eine Erfolgsgeschichte"
175
. Weit oben auf der Erfolgsliste stehe die Schulden-
bzw. HIPC-Initiative (,,heavily indebted poor countries"), die ein Meilenstein des deutschen
G8-Vorsitzes sei.
176
Diese Initiative fortzusetzen und auszubauen, empfiehlt auch die
Enquete-Kommission.
177
Die Entscheidungen, die den armen und Entwicklungsländern
helfen, werden möglicherweise auch in eigenem Interesse geleistet,
178
da mit ihnen insgesamt
die internationale Finanzarchitektur gestärkt werden kann. Gerade weil ,,Globalisierung auch
zu Ungleichheit und Anpassungsschwierigkeiten führen [kann]" liefere laut Bundesregierung
nur staatliche Politik die Lösungen bestehender Probleme und nur sie ermögliche die
Realisierung von ,,Chancen auf mehr Wohlstand, Wachstum, Beschäftigung und ein
besseres Leben für die Menschen", die im Global Governance-Konzept international
verknüpft wird.
179
So könnte die Regierung auch neue Souveränität gewinnen.
180
Zunächst
klingt dies paradox und scheint der Tatsache zu widersprechen, dass, wie oben argumentiert,
Regierungen einzelner Staaten in einer Global Governance Souveränitätsrechte teilen oder
ganz abtreten müssen, damit dieses Konzept verwirklicht werden kann.
181
Das vermeintliche
Paradox könnte in der Hoffnung bestehen, über die Abtretung bzw. Teilung von
Souveränität, neue Souveränität (wieder) zu erlangen, weil die neue Politikstrategie kraft
173
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/nn_90704/Content/DE/Artikel/2007/05/2007-05-08-g8-beschaeftigungsminister-konferenz-dresden-
abschluss.html; Zugriff: 1.7.07; noch Mitte der Neunziger Jahre war unter den G7/G8 eine andere Linie zu
sehen, wie Leggewie (2003) mit dem Satz Margaret Thatchers argumentiert:
,,There is no alternative" (zit. n.
Leggewie 2003:
16).
174
Vgl. Nohlen 2001:
183; Hervorhebung ND.
175
Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Herausforderungen/herausforderungen.html; Zugriff: 1.7.07.
176
Vgl. ebd.: http://www.g-8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/RolleundPositionDeutschlands/rolle-und-
position-deutschlands.html; Zugriff: 1.7.07; Ziel der Initiative sei, ,,die Verschuldung der ärmsten, stark
verschuldeten Länder auf ein tragfähiges Niveau zu reduzieren. Die Länder, die von einer Entschuldung
profitieren, verpflichten sich, die freiwerdenden Mittel für armutsreduzierende Ausgaben und Investitionen zu
verwenden. [...] Bis Oktober 2006 haben sich bereits 29 Staaten für eine Entschuldung unter der HIPC-
Initiative qualifiziert, 20 davon haben bereits einen endgültigen Schuldenerlass erreicht. Im Rahmen der
HIPC-Initiative erlässt die Bundesregierung den zugangsberechtigten Ländern grundsätzlich 100 Prozent der
bilateralen Schulden. Dadurch wird die Bundesregierung bilaterale Forderungen in Höhe von bis zu 7
Milliarden Euro erlassen."
177
Vgl. Deutscher Bundestag 2002:
28f.
178
Vgl. von Plate 2003b:
43.
179
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007b:
3.
180
Vgl. Müller 2002:
134.
181
Die Enquete-Kommission merkt dieses Zurückgewinnen von Souveränität auch an (vgl. Langbericht der
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, S. 441).

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
32
eines anderen Konzepts mehr Wirkung zeigen und rückwirkend Souveränität sichern
könnte. Für die (neue) Souveränität spielen auch, ebenfalls oben dargelegt, Transparenz und
demokratische Partizipationsansprüche eine Rolle. So weist die Bundesregierung ferner auf
die Notwendigkeit des Engagements durch die ,,Zivilgesellschaft" hin, betont dabei jedoch,
dass die Regierungen die ,,[v]erantwortlich Handelnde[n] im internationalen Rahmen sind",
die ,,Zivilgesellschaft den Sozialstaat nicht ersetzen [kann]" und diese deshalb ,,nicht als
Synonym für den Rückzug des Staates missverstanden werden [darf]", wenn die Bundesre-
gierung an sie appelliert, ,,ihren Beitrag für eine Neubestimmung der Aufgaben von Staat
und Gesellschaft und für die Lösung komplexer gesellschaftlicher Problemlagen [zu]
leisten."
182
Dabei begrüße die Bundesregierung auch, dass zum G8-Gipfel viele Menschen
durch Proteste und andere Aktionen deutlich machten, ,,dass sie sich für das Thema
gerechte, menschliche Globalisierung interessieren."
183
Die Bundesregierung betont(e), dass
,,Globalisierung fair gestaltet werden muss" und auf diese Weise, ,,wenn faire Regeln
vereinbart und auch eingehalten werden, die Globalisierung Wohlstand für alle Menschen
bringen [wird]."
184
Dabei soll(t)e ,,ein klares Signal für eine liberale und offene Weltwirt-
schaftsordnung ausgeh[en]."
185
Die G8-Staaten können teils sehr divergierende, eventuell nicht vereinbare Interessen
vertreten. Das spiegelt sich in den Abschlussdokumenten der G8-Gipfel wider und dient
gleichzeitig der Kritik globalisierungskritischer Bewegungen, die die Beschlüsse teilweise als
zu vage und ineffektiv bezeichnen, um wirkliche Besserungen in Aussicht zu stellen. Doch
auch im kleineren, d.h. nationalen Rahmen ist es bereits schwierig, sich auf einen Konsens
einigen zu wollen, wie der Enquete-Bericht zeigt. Zwar sei ,,auffallend, dass die Mehrzahl
der von der Enquete-Kommission beschlossenen Empfehlungen einstimmig, also im
parteiübergreifenden Konsens verabschiedet wurden"
186
, allerdings zeigen die Minderheits-
vota von der CDU/CSU- und FDP-Arbeitsgruppe, dass und wie (weit) sich taktische
Umsetzungsvorschläge unterscheiden können. Auch dass für diese Kommission eine
Auswahl und unterschiedliche Gewichtung von Parteivertretern getroffen wurde,
verdeutlicht das Spannungsfeld von demokratischer Legitimation und Mandatsführung, in
dem sich letztlich auch die G8-Staaten mit den Gipfeltreffen bewegen. Hierzu liefert
182
Vgl. Deutsche Bundesregierung 2007a:
http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Zivilgesellschaft/zivilgesellschaft.html; Zugriff: 1.7.07.
183
Http://www.bundeskanzlerin.de/nn_46996/Content/DE/Podcast/2007-05-26-Video-Podcast-
Vorbereitungen-G8-Gipfel/2007-05-26-video-podcast-vorbereitungen-g8-gipfel.html; Zugriff 2.6.2007.
184
Deutsche Bundesregierung 2007b:
2.
185
Ebd.
186
Deutscher Bundestag 2002:
15.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
33
Dingwerth (2003) mit einer Analyse der demokratischen Legitimation globaler Politiknetz-
werke am Beispiel der World Commission on Dams Anhaltspunkte, ob und wie solche
Netzwerke, die unter dem Dach der Global Governance vereint sind, zu einer Demokrati-
sierung inter- bzw. transnationalen Regierens beitragen können und wie demokratisches
Regieren jenseits nationalstaatlicher Grenzen überhaupt verstanden werden kann.
Dingwerth (2003) argumentiert, dass eine ,,Gesamtkonzeption einer demokratischen Global
Governance"
187
fehle und der Begriff nicht zuletzt aufgrund der Vielfalt und Diversität
globaler Politiknetzwerke unscharf bleibe.
188
Auch aufgrund eines nicht einheitlichen
Demokratieverständnisses fehle es an der demokratischen Legitimation, da sich zuvor über
den Demokratiebegriff geeinigt werden müsse.
189
Anfangs fanden die G7/G8-Treffen fast im Stillen statt und wuchsen zum medialen und
diskursiven Ereignis heran ­ so wuchs auch der teilnehmende Personalstab enorm an. In
dieser Entwicklung, argumentiert Leggewie (2003), hätten die Gipfel sich ihre Kritiker selbst
geschaffen.
190
Während am Beginn der G7/G8-Gipfeltreffen eine kleine Zahl von strikt
wirtschaftlichen Problemen gelöst bzw. Risiken vorgebeugt werden sollte, sehen sich die
G7/G8 mittlerweile verantwortlich für verschiedene Belange, die viele Regionen der Welt
betreffen. Nicht zuletzt kommt somit ,,[d]er gemeinsamen Präsenz [auf den Gipfeltreffen;
Anm. ND] [...] eine hohe symbolische Bedeutung zu."
191
2.1.3 Globalisierungskritiker ­ G8-Gegner
Wie es schwierig, oder besser, nicht möglich ist, ,,die" Globalisierung eindeutig benennen
und begrenzen zu wollen, so verhält es sich mit ,,den" Globalisierungskritikern. Obwohl
globalisierungskritische Proteste schon Anfang der 80er Jahre stattfanden, gilt teilweise die
Demonstration zur Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) 1999 in Seattle
als Geburtsstunde der Globalisierungskritiker.
192
Leggewie (2003) deklariert die 1960er Jahre
als Beginn der Protestbewegung im Westen Amerikas, sieht die 1980er Jahre als ,,Inkubati-
onsphase" Europas und die Ereignisse in Seattle als ,,mediale[s] coming out".
193
Nicht zuletzt
187
Dingwerth 2003:
10.
188
Vgl. ebd.:
11f.
189
Vgl. ebd.:
14.
190
Vgl. Leggewie 2003:
112.
191
Deutsche Bundesregierung 2007a: http://www.g-
8.de/Webs/G8/DE/Hintergrund/Themenvielfalt/themenvielfalt.html; Zugriff: 1.7.07.
192
Vgl. Lee 2004.
193
Vgl. Leggewie 2003:
112; Hervorhebung im Original.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
34
liege deshalb in den Ursprüngen auch eine Form des Antiamerikanismus.
194
Bis zum G8-
Gipfel in Genua 2001 wurde in massenmedialen Angeboten meistens von ,,Globalisierungs-
gegnern" gesprochen, ,,ein ideologischer Begriff, der die Kritiker der Globalisierung als
rückwärtsgewandte Neinsager einsortiert."
195
Leggewie (2003) argumentiert, dass
,,Globalisierungsgegner" eine ebenso pauschale Etikettierung ist wie ,,Neoliberalismus".
196
Seit der Zeit nach dem Gipfel in Genua hat sich die Bezeichnung ,,Globalisierungskritiker"
oder ,,globalisierungskritische Bewegung" durchgesetzt.
197
Auch der Enquete-Kurzbericht
weist deutlich darauf hin:
,,Die Menschen sind nicht Gegner der Globalisierung. Aber sie
verlangen Mitsprache."
198
Globalisierungskritiker agieren als Einzelakteure, in (losen) Gruppen oder institutionali-
sierten Organisationen und Nicht-Regierungs-Organisationen (NROs), wobei sich das
Agitationsfeld bspw. im Lobbyismus und am Verhandlungstisch, auf der Straße und im
Fernsehen befinden kann. Die Zugehörigkeit zur globalisierungskritischen Bewegung macht
sich nicht (zwingend) an einer formalen Mitgliedschaft fest, sondern es genügt für die
Selbsteinschätzungen der Einzelakteure, ,,eine kritische Haltung gegenüber aktuellen
neoliberal geprägten Globalisierungsprozessen einzunehmen, um sich selbst als Globalisie-
rungskritiker zu begreifen."
199
Sie agieren einzeln, in NROs, wie Attac, WEED und das
Forum für Umwelt und Entwicklung, in kirchlichen Gruppen, wie dem evangelischen
Entwicklungsdienst, in Umweltverbänden, z.B. Greenpeace und BUND-Jugend, sowie in
Gewerkschaften und anderen Gruppen und Initiativen, bspw. Antifa und
Stadt(teil)initiativen. Wie oben argumentiert, lassen sich unzählige Dimensionen von
Globalisierung benennen, sofern sich ein Bezug des Themas zu Globalisierung(sprozessen)
herstellen lässt, was sich entsprechend auf globalisierungskritische Akteure überträgt, die
sich ,,mit nahezu jedem Thema auseinander[setzen], bei dem ein Globalisierungsbezug
hergestellt werden kann."
200
Die Gemeinsamkeit der Kritik liegt ,,im Kern gegen die inter-
bzw. transnational wirksame ökonomische Dimension derzeitiger Globalisierungsprozes-
se"
201
. Diese seien der Grund für eine Vielzahl von Problemen, von denen Leggewie (2003)
die ,,soziale Exklusivität, das Fehlen ökologischer Nachhaltigkeit, die Missachtung der
kulturellen Diversität, die Missachtung der Menschenrechte und den Mangel an demokrati-
194
Vgl. Leggewie 2003:
112ff.
195
Wahl 2006:
79.
196
Vgl. Leggewie 2003:
7.
197
Vgl. ebd.:
11; Seibert 2007:
68.
198
Deutscher Bundestag 2002:
13.
199
Bemerburg/Niederbacher 2007:
235f.
200
Ebd.:
240.
201
Ebd.:
235.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
35
scher Partizipation" hervorhebt.
202
Als kleinster gemeinsamer Nenner der Einzel- und
Kollektivakteure ließe sich der Ruf ,,Eine andere Welt ist möglich" festlegen.
203
Die G8 als
Verfechter eines (,,neo-")liberalen Wirtschaftssystems werden zum Gegenpol der
Globalisierungskritiker, die diesen Kurs ablehnen. Dabei richtet sich Globalisierungskritik
auch gegen die Politik der G8-Staaten, also gegen Global Governance als Programm für die
Durchsetzung, Stabilisierung und Fortführung einer ,,neoliberalen-imperialen Weltord-
nung"
204
, wie sie die G8-Regierungen aus der Sicht vieler Kritiker vertreten. Dieser Ansicht
nach können die G7/G8 auch nicht als Problemlöser auftreten, wenn sie selbst Teil des
Problems sind. Gegen wen oder was sich die Kritik wendet, verschlagworten Globalisie-
rungskritiker häufig unter ,,Neoliberalismus".
Kritik kann viele Facetten besitzen und so stellen Bemerburg/Niederbacher (2007) fest,
dass sich Globalisierungskritik in Deutschland aus vielen, unterschiedlichen Akteuren und
Akteursgruppen konstituiert und die Kritik ein sehr heterogenes Feld ist. ,,Offenheit und
Pluralität in Bezug auf ein noch nicht fest umrissenes Ziel gehören weitgehend zum
Selbstverständnis der globalisierungskritischen Bewegung [...]."
205
Deshalb wird auch häufig
im Plural, d.h. von globalisierungskritischen Bewegungen oder, dann wieder vereinend, von
der ,,Bewegung der Bewegungen" gesprochen, die die jetzige, einheitliche globalisierungskri-
tische Bewegung der einzelnen, heterogenen linkspolitischen Bewegungen umreißt.
206
Die
Unterschiede der ,,Angehörigen" globalisierungskritischer Bewegungen liegen nicht nur in
Alter, Geschlecht, der sozialen Herkunft und anderen demographisch ermittelbaren Werten,
sondern auch in der Organisationszugehörigkeit, der Motivation und den als legitim
betrachteten Mitteln zur Durchsetzung der ­ ebenfalls teilweise divergierenden ­ Ziele.
207
Leggewie (2003) typisiert Globalisierungskritik in fünf Formen:
(1.) ,,Involution der
ökonomischen Globalisierung", d.h. eine Art Rückbildung zu merkantilistischen,
protektionistischen Alleingängen und Blockbildungen; (2.) ,,Kritik der Straße mit Massende-
monstrationen", wobei die Protestbewegungen die Beweislast den Befürwortern aufgetragen
hätten; (3.) ,,Insider-Kritik prominenter Akteure im internationalen Finanzgeschäft und aus
den Reihen der transnationaler Regime der Weltbank", wozu bspw. Joseph Stiglitz (2004;
202
Vgl. Leggewie 2003:
59; Leggewie nennt diese Bereiche im Kapitel über die ,,Kritik der Straße", jedoch
kann dies teilweise auch auf die anderen von Leggewie genannten Kritikformen übertragen werden.
Schließlich besteht durchaus die Möglichkeit der Vermischung der Formen; z.B. kann ein ,,Linksintellektuel-
ler" ebenso Mitglied einer NRO sein und auch auf der Straße demonstrieren.
203
Vgl. Seibert 2007:
69.
204
Buko 2007:
22.
205
Ebersbach/Heigl 2005:
5.
206
Vgl. o.A. in Libertad/VfpBAK 2007:
4.
207
Vgl. Armano/Sciortino 2007:
78.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
36
2006) zu zählen ist; (4.) ,,die Renaissance einer linksintellektuellen Gegenströmung", deren
,,autonome[r] Mediennetzwerke [...] dem ,Neoliberalismus' die kulturelle Hegemonie
streitig machen wollen"; sowie (5.) ,,eine religiöse, vor allem katholische Strömung".
208
Diese
Formen können laut Leggewie (2003) weiter systematisiert werden ,,nach der Zielrichtung
(Evolution oder Devolution der Entgrenzung), nach der Art der Bezugnahme:
Ausstieg
(exit), Protest (voice), Loyalität (Hirschman 1970) und nach dem in der politischen Soziologie
seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlichen Rechts-Links-Schema."
209
Auch politikwissen-
schaftliche Theorien politischer Spektren, die etwa im Gegensatz zum Rechts-Links-Schema
stünden, wären als alternative oder zusätzliche weitere Systematisierung denkbar. Im
weiteren Verlauf dieser Arbeit wird trotz der Problematik einer politischen Links-Rechts-
Dichotomie von Globalisierungskritik(ern) aus einem wie auch immer eingrenzbaren
linkspolitischen Spektrum gesprochen.
Ein einheitliches (politisches) Programm im Sinne einer alternativen Global Governance
scheint nicht vorzuliegen. Vielmehr stellt sich in der globalisierungskritischen Bewegung als
Ganzes die Frage, wie und ,,ob alternative und politische Institutionen geschaffen werden
können, die eine Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte bewirken würden."
210
Die
Kritik fußt also auf dem Dilemma, dass die Menschen in einem System leben,
,,in dem einige wenige Institutionen ­ Weltbank, IWF, WTO ­ und einige Akteure ­ die Finanz-,
Wirtschafts- und Handelsminister, die eng mit bestimmten
Finanz- und Handelsinteressen verquickt
sind ­ das Sagen haben, während viele Menschen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind,
praktisch kein Mitspracherecht besitzen."
211
G8-Gegner ­ die hier als Unterkategorie von Globalisierungskritikern betrachtet werden
sollen
212
­ werfen den G8-Staaten vor, in Wirklichkeit keinen Wandel herbeizuführen,
teilweise gibt es Aussagen, die G8-Staaten wollten bewusst die bestehende Lage in der Welt
208
Vgl. Leggewie 2003:
52f; Hervorhebung im Original; Beck (2007a) bezeichnet die Tatsache, dass ,,die
Beweislasten nicht denjenigen zugewiesen werden, die von Risiken profitieren, sondern denjenigen, die von
ihnen betroffen werden", als ,,antiquierte ,Definitionsverhältnisse'" (vgl. Beck 2007a:
169). Streng genommen
ist es ebenso schwierig, pauschal von Globalisierungsbefürwortern zu sprechen. ,,Befürworter" kann
schließlich analog zu Wahls (2006) Argument, ,,Gegner" sortiere die bezeichneten Menschen als
rückwärtsgewandte Neinsager, als bedingungslose Jasager interpretiert werden.
209
Ebd.:
54; dies ist freilich nur ein möglicher Vorschlag, Kritik (und Politikspektren grundsätzlich) zu
ordnen. So könnte auch anders weiter systematisiert werden, bspw. nach der (Forderung welcher)
hierarchischen Struktur:
autoritär (im Sinne von regierbar), antiautoritär (nicht regierbar, eventuell
anarchistisch) egalitär (regierbar oder nicht regierbar, jedoch auf Gleichheit und Schutz gerichtet, nicht
anarchistisch); oder bspw. nach der ,,kovalenten Bindung" der Gemeinschaft usf.
210
Panitch/Gindin 2007:
31.
211
Stiglitz 2004:
39.
212
Globalisierungskritiker sind nicht zwingend auch gegen die G8-Staaten. Es gibt Kritiker, die quasi an die
G8-Staaten appellieren, wie z.B. die Musiker Rober (,,Bob") Geldof, Paul David Hewson (,,Bono") und
Herbert Grönemeyer, wenn sie (teilweise öffentlich) Forderungen an die Politiker der G8 stellen. Diese
werden aus Teilen der globalisierungskritischen Bewegung auch als ,,Gutmenschen" und ,,verblendete
Verblender" bezeichnet (vgl. Trott/Dowling 2007:
74).

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
37
und allen Staaten beibehalten; dass sie links blinken, aber nicht links abbiegen. Außerdem
seien die G8-Staaten (demokratisch) nicht legitimiert, Entscheidungen zu treffen, deren
Auswirkungen alle Menschen betreffen (können).
213
G8-Gegner und Globalisierungskritiker
generell heben dabei häufig das Gefälle hervor, dass ,,[d]er Ort der Entstehung [von
Problemen; Anm. ND] nicht mehr identisch [ist] mit dem Ort der Betroffenheit"
214
. Dies wird
dann nicht nur auf den ökologischen Sektor bezogen, wie in diesem Fall von Varwick
(2000). Globalisierung ist ein Wettbewerb, in dem es Profiteure und Benachteiligte gibt,
allerdings stehlen sich die ,,Globalisierungsgewinner" nach Ansicht mancher Kritiker aus
ihrer Verantwortung für die Demokratie.
215
Wenn die Politik nicht imstande oder nicht
gewillt ist, ,,gegen die Schuldigen tätig zu werden, weil sie selbst die Schuldigen sind oder
aber mit den Schuldigen alliiert sind, dann sind radikalere Problemlösungsforderungen
vorbereitet."
216
Es lassen sich revolutionäre und reformistische Zielvorstellungen bzw. Kämpfe innerhalb
der globalisierungskritischen Bewegung gegenüberstellen.
217
Revolutionäre Wege bedeuten
eine radikale, abrupte Veränderung eines politischen, gesellschaftlichen Systems, was im
äußersten Fall ein gänzlich neues, anderes System als Forderung beinhaltet, während
reformistische Wege einen allmählichen Wandel im bestehenden System anstreben.
218
Dabei
entfaltet sich der Bereich zwischen diesen zwei möglichen Wegen als Spannungsfeld, worin
sich globalisierungskritische Akteure bewegen und viele Widersprüche und Konflikte
ergeben können.
219
Die Heterogenität der Bewegung der Bewegungen kann als Defizit
gesehen werden, da gewisse Interessen der einzelnen Gruppierungen unvereinbar
erscheinen.
220
Allerdings kann auch die Pluralität hervorgehoben und die Heterogenität als
Stärke artikuliert werden.
221
Dennoch bleiben die Aktionsformen und Handlungsräume
teilweise sehr gegensätzlich, d.h., die einen befürworten die Zusammenarbeit und
Kooperation mit Akteuren auf politischer Ebene (Parteien oder NROs), andere nicht, die
einen agieren in öffentlichen Räumen, die anderen sitzen z.B. im Plenarsaal. Die Frage nach
der politischen Perspektive von Kampf und Widerstand bleibt aus dieser Perspektive
unbeantwortet und wird auch in globalisierungskritischen Kreisen häufig diskutiert. Die
213
Vgl. Wahl 2007:
27; Wahl 2006:
32.
214
Varwick 2000:
144.
215
Vgl. Beck 2007a:
21.
216
Vgl. Gerhards/Neidhardt 1990:
74.
217
Vgl. Bemerburg/Niederbacher 2007:
239; Seibert 2007:
69.
218
Vgl. ebd.
219
Vgl. ebd.:
244.
220
Vgl. Buko 2007:
24.
221
Vgl. Schröder 2007:
71.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
38
Aktionsformen können in weitere Stufen differenziert werden; Protestaktionen z.B. können
in Form von Musikkonzerten gegen Armut oder von unterschiedlich gestalteten
Demonstrationen, wie Sitzblockade oder Wanderdemo, kategorisiert werden. Aus Sicht
vieler Globalisierungskritiker ist ,,ziviler Ungehorsam" eine populäre Protestaktion, die ein
Signal gegen die G8(-Gipfel) und globalisierten Kapitalismus möglich mache.
222
Mit dieser Strategie sollen weitere Menschen, die (sich) nicht zu Globalisierungskritikern
zählen auf die vorhandenen Missstände in der Welt und die Verblendung, die die G8-
Staaten auf bzw. mit ihren Gipfeltreffen betreiben, aufmerksam gemacht werden. Zur
Verblendung argumentiert Wahl (2006), dass ein neues Thema, das auf der Agenda eines
G8-Gipfels steht, ohne praktische Konsequenzen ,,behandelt" werden und lediglich einen
Akzeptanzdienst in der breiten Bevölkerung leisten könne, wie er am Beispiel Afrikas
begründet, bei dem ,,die G8 sich als entwicklungsfreundliche Vorkämpfer gegen die Armut
präsentieren können."
223
Diese Verblendungsmechanismen seien in vielen Dimensionen
aufzufinden und zeigen die Themen auf, denen sich globalisierungskritische Bewegungen
widmen. In Wirklichkeit gehe es bei den G8-Treffen ,,um die Aufrechterhaltung und
Gestaltung einer globalen Ordnung, von der nur wenige profitieren. Dies ist das Interesse,
das alle daran beteiligten Regierungschefs eint."
224
Deshalb sollte im Mittelpunkt der
Proteste zum G8-Gipfel ,,die Ablehnung der G8, des Neoliberalismus, der globalen
Herrschaft des Kapitals in einer massenhaften Verweigerung und Rebellion in den Straßen
Rostocks und vor den Zäunen Heiligendamms"
225
stehen. G8-Gegner und Globalisierungs-
kritiker sind also nicht gegen eine Entgrenzung per se, sondern gegen eine Entgrenzung, die
sich nur auf die (finanz)wirtschaftliche Dimension beschränkt.
226
An einigen Beispielen soll kurz aufgezeigt werden, woran und wie sich Aspekte von
Globalisierungs- und G8-Kritik festmachen (können); Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist
häufig die Politik und die Ökonomie. Für die Insider-Kritik von Stiglitz (2004; 2006) steht
vor allem der IWF im Mittelpunkt. Zwar ist für Stiglitz eine Institution wie der IWF erstens
sinnvoll und zweitens nicht vermeidbar,
227
jedoch verfolge der IWF ein falsches Ziel,
nämlich eine Durchsetzung eines liberalisierten Finanzsystems an sich
228
und nicht die
Stabilisierung eines Marktes mit Hilfe einer angepassten, schrittweise erfolgenden
222
Vgl. Bemerburg/Niederbacher 2007:
237; Schröder 2007:
72; zum ,,zivilen Ungehorsam" vgl. Rucht
(1984).
223
Wahl 2006:
40.
224
O.A. in Libertad/VfpBAK 2007:
4.
225
Interventionistische Linke; zit. n. Schröder 2007:
71.
226
Vgl. Leggewie 2003:
11.
227
Vgl. Stiglitz 2004:
281.
228
Vgl. ebd.:
51.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
39
Liberalisierung. Deshalb seien die IWF-Empfehlungen häufig schlecht, da sie ,,fast immer
eine kontraktive Fiskalpolitik vorsehen, die Rezessionen und Schlimmeres hervorruft."
229
Selbst wenn die Konditionen mit strengen Zeitplänen gut gemeint sind, hindere dies die
Staaten häufig daran, ihre ,,dringlichsten Probleme anzupacken."
230
Die Kredite, die der
IWF gewährt, sind laut Stiglitz (2004) durch die reformistischen Auflagen, mit denen sie
verknüpft sind, zu einem wirtschaftspolitischen Instrument geworden, mit dem eigene
Interessen durchgesetzt werden können.
231
Der IWF trage folglich mit seinen durchgesetz-
ten wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen häufig eine große Mitschuld an nationalen
Krisen, weil seine Vorschläge weder auf individuelle Gegebenheiten zugeschnitten noch
zeitlich abgestimmt seien. Teilweise würden Antworten des IWF auf weniger einer Theorie,
sondern dem ideologischen, ,,simplen Glauben an die freie Marktwirtschaft"
232
entspringen.
Häufig stehen der IWF, die Weltbank und regionale Kreditbanken im Mittelpunkt der
Kritik, da sie ihre Macht missbrauchen würden, und anstatt für eine stabile Weltwirtschaft
zu sorgen und die Armut zu bekämpfen, die Verschuldung armer Länder ausnutzen, um
ihnen das neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell aufzuzwingen, was mit Hilfe
von Strukturanpassungskrediten und damit verbundenen Auflagen realisiert werde. Diese
,,Strukturanpassungslogik" sei das Credo der G7/G8, die sie mit Hilfe der Weltbank, WTO
und dem IWF umsetzen wollen.
233
Viele Entwicklungsländer setzen Empfehlungen des IWF
und der Weltbank um, die die ,,Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienstleistun-
gen, die Liberalisierung des Außenhandels und die Deregulierung der nationalen Wirtschaft"
bedeuten, jedoch hätten sie, wenn sie es nicht getan hätten, auch keine Kredite der
Weltbank bekommen.
234
Gleichzeitig schützen Industrieländer diverse eigene Märkte durch
Zölle und Handelshemmnisse vor Konkurrenz von außen, um die einheimischen nicht einer
229
Stiglitz 2004:
59; Stiglitz nennt für verfehlte Reformvorschläge seitens des IWF eine Reihe Beispiele, wie
die Forderungen:
an Äthiopien, sein Bankensystem zu öffnen (vgl. Stiglitz 2004:
51); an Botsuana und
Indonesien, die Subventionen für Nahrungsmittel und Kerosin abzuschaffen (vgl. Stiglitz 2004:
109f); an
verschiedene asiatische Länder zur vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs, weshalb der IWF eine
nennenswerte Mitschuld an der Ostasienkrise trage (vgl. Stiglitz 2004:
141ff); und die zügig eingeleitete
Liberalisierung in Russland habe einen Inflationsschub ausgelöst (vgl. Stiglitz 2004:
210).
230
Vgl. ebd.:
67.
231
Vgl. ebd.:
67.
232
Ebd.:
290.
233
Vgl. Buko 2007:
23; auch auf die Strukturanpassung wirft die Enquete-Kommission einen kritischen Blick
und gelangt zu der Ansicht, dass ,,die Finanzkrisen der 90er Jahre gezeigt [haben], dass die langjährige Politik
der Strukturanpassung in einer globalisierten Wirtschaft in eine Sackgasse geraten ist." (Deutscher Bundestag
2002:
25).
234
Vgl. Dieter 2003:
36; Wahl argumentiert zu dieser Oktroyierung:
,,Ein verschuldetes Land bekommt nur
noch dann neue Kredite, wenn es sich den Konditionen unterwirft. Formal tun sie das freiwillig, aber de facto
bleibt ihnen nichts anderes übrig, wenn ihre Wirtschaft nicht völlig zusammenbrechen soll. Strukturanpassung
bedeutet Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nach neoliberalen Konzept, d.h. Liberalisierung,
Deregulierung und Privatisierung." (Wahl 2006:
44).

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
40
zu großen Konkurrenz auszusetzen.
235
Damit werden den Entwicklungsländern erschwerte
Handelsbedingungen auferlegt, da sie gedrängt werden, Handelshemmnisse abzubauen,
während die Industrienationen ihre eigenen Handelsschranken aufrechterhalten.
236
Für viele
globalisierungskritische Akteure bilden multilaterale Institutionen wie IWF und Weltbank
also die ,,Agenturen für die Durchsetzung des kapitalistischen Entwicklungsmodells"
237
,
weshalb deren Ablehnung und G7/G8-Kritik oder -Gegnerschaft einen markanten Teil von
Globalisierungskritik in der Öffentlichkeit einnehmen.
Die Themen und der Bezugspunkt von Globalisierungskritik reichen noch weiter. Zum
Beispiel nimmt, obwohl Schwellen- und Entwicklungsländer nicht mehr mit Militär gedroht
wird, sondern durch wirtschaftspolitische Sanktionen, laut einigen Positionen der
globalisierungskritischen Bewegung die Militarisierung zu, welche mit einem aufgebauten
Bedrohungsszenario gerechtfertigt werde.
238
Zudem kriminalisiere die Migrationspolitik die
Bewegungsfreiheit der Menschen durch ein ,,rassistisches Grenzregime".
239
Die betriebene
Standortpolitik, also der Wettbewerb um Standortqualitäten in allen Bereichen führt aus
Sicht vieler Globalisierungskritiker in eine Sackgasse;
240
außerdem ist die ganze Welt zum
potentiellen Produktionsstandort geworden,
241
während die Produktionsverlagerung, also
die Möglichkeit, ,,fast jede Arbeit zu jeder Zeit und dies an fast jedem Ort der Welt
abzuleisten"
242
, ein Privileg der ,,wohlhabenden" und technologisierten Unternehmen bleibe.
Zunehmend bestimmen auch Fondsmanager, Banker und Aufsichtsräte von Unternehmen
aufgrund ihres gewachsenen Machtpotentials ,,schicksalhafte Entscheidungen für Millionen
von Menschen, und dies auch über nationale Grenzen hinweg",
243
und die G7/G8-Staaten
würden diese Aspekte befürworten und fördern. Ihre wohlwollenden Entscheidungen sind
nur scheinbar, z.B. solle mit Hilfe der Outreach-Initiativen bloß ,,dem Vorwurf mangelnder
demokratischer Legitimität begegnet werden;"
244
auch der Schuldenerlass der ärmsten
Staaten ist in Wirklichkeit nur ein ,,Sammelsurium von angekündigten Schuldenerleichterun-
gen und alten Zusagen."
245
Der ,,so genannte Kampf gegen die Produktpiraterie" fuße auf
235
Vgl. Dieter 2003:
37.
236
Vgl. Stiglitz 2004:
22; hier herrscht nach Ansicht vieler Globalisierungskritiker Doppelmoral, wenn
vermittelte ,,Werte" des Westens selbst nicht eingehalten werden.
237
Ziai 2007:
28.
238
Vgl. Klas 2007:
33.
239
Vgl. o.A. in Libertad/VfpBAK 2007:
4.
240
Vgl. Deppe 2007:
77.
241
Vgl. Kessler 2003:
27.
242
Ebd.:
29.
243
Vgl. Wahl 2006:
55.
244
Ebd.:
7.
245
Trott/Dowling 2007:
74.

2.1
Globalisierung und Akteure in der öffentlichen Debatte
41
der allgemeinen Regelung der geistigen Eigentumsrechte, richte sich jedoch vor allem gegen
China als aufstrebende Wirtschaftsmacht und Konkurrenz.
246
Dies sind nur einige Beispiele für Gegenstände von globalisierungskritischen Bewegungen.
Wie erwähnt lässt sich theoretisch überall ein Bezug zu Globalisierung herstellen, weshalb
es, nicht nur an dieser Stelle, kaum möglich ist, alle Themen, mit denen sich Globalisie-
rungskritik beschäftigt und beschäftigen kann, zu beleuchten.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass globalisierungskritische Bewegungen u.a. für die
,,Anerkennung der Menschenrechte, für ökonomische Gerechtigkeit, für weltweite
Demokratie, für die Verteidigung sozialer Sicherungssysteme, für die Gleichberechtigung
der Geschlechter, für globalen Umweltschutz, für die Beibehaltung kultureller Vielfalt, gegen
geistige Monopolrechte oder gegen die Privatisierung von öffentlichen Leistungen"
247
eintreten. Allgemein proklamiert die Kritik einen Kampf gegen ,,kapitalistische Globalisie-
rung",
gegen ,,Ausbeutung von Mensch und Natur" und gegen Politik, ,,die unter ,Freiheit'
nur die Freiheit des globalen Kapitals versteht".
248
Der Vorwurf lautet, dass auf den G8-
Gipfeln Entscheidungen getroffen werden, die erstens die aktuellen globalen Probleme
festigen und verschärfen und die zweitens aber als Maßnahmen gegen die zu ändernden
Umstände ,,verkauft" werden. Die G8 ,,waren immer Spiegel der jeweils herrschenden
Politik, zugleich Antreiber und Getriebene" und würden für die ,,Aufrechterhaltung der
neoliberalen und imperialen Globalisierung" eintreten.
249
Wie erwähnt, richtet sich
Globalisierungskritik aber nicht nur gegen die G8-Staaten und -Gipfel. Zwar gibt es
Positionen innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung, die eine Krise multilateraler
Institutionen wähnen,
250
da sich jenes herrschaftsförmige und hierarchisch strukturierte
,,Flechtwerk", das aus G8 und multilateralen Institutionen, wie IWF, Weltbank, WTO, die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und NATO besteht, auflöse;
251
trotzdem bleiben
diese Institutionen auch Ziel von Antiglobalisierungsbewegungen, da sie noch immer ,,als
Motor der Globalisierung gelten"
252
und ,,die partikulare Form einer marktgeleiteten
Globalisierung, die den neoliberalen Dogmen des ,Washingtoner Konsenses' folgt,"
246
Vgl. Klas 2007:
32.
247
Bemerburg/Niederbacher 2007:
240.
248
Vgl. o.A. Libertad/VfpBAK 2007:
4.
249
Vgl. Buko 2007:
22f.
250
Vgl. Wahl 2007:
26f.
251
Vgl. ebd.; neben diesen gibt es viele weitere Gruppen, Abkommen und Institutionen, die aufgrund ihrer
wichtigen Rolle im Wirtschaftssystem auch Ziel von Globalisierungskritik sind.
252
Von Plate 2003a:
6; Hervorhebung im Original; vermutet wird, dass Globalisierung in diesem Sinne
vielmehr Globalismus meint.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2007
ISBN (eBook)
9783836616843
DOI
10.3239/9783836616843
Dateigröße
3.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg – Angewandte Kulturwissenschaften, Sprache und Kommunikation
Erscheinungsdatum
2008 (August)
Note
1,3
Schlagworte
globalisierung g8-gipfel diskursanalyse spiegel online indymedia
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Titel: Globalisierung in der öffentlichen Debatte
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