Dialogische Führung - theoretische Fundierung und kritische Würdigung
Zusammenfassung
Führung ist eine der ältesten Beschäftigungen der Menschheit. Bereits bei den Ägyptern vor 5000 Jahren gab es Hieroglyphen für Führung, Führer und Geführter. In der Antike machte sich z. B. Platon in der Politeia Gedanken zur Thematik. Seit diesen ersten Überlegungen wurde eine Vielzahl von Führungsmodellen und theorien entwickelt.
In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden hauptsächlich Erfahrungen mit Führung durch Planung und Kontrolle gemacht. Das dazugehörige Menschenbild stellt einen egoistischen, faulen Menschen dar, der nur durch Belohnungen und Strafandrohungen zur Arbeit bewegt werden kann.
Die ersten Forschungen zum Human-Relations-Ansatz Mitte des letzten Jahrhunderts ergaben, dass die bis dahin angewendeten Methoden der Planung und Kontrolle oftmals gegen positive, menschliche Beziehungen wirken. McGregor, einer der bedeutenden Human-Relations-Forscher, schrieb 1960 das heute noch aktuelle Buch The human side of enterprise. Er stellte damals die vorherrschende Auffassung in Frage, dass Mitarbeiter nur durch Anweisungen und Zwang angemessene Arbeit verrichten. Seine Theory Y ist die Antithese zum bis dahin gültigen Menschenbild und beruht darauf, dass der Mensch nicht nur gerne arbeitet, sondern dass er von sich aus Verantwortung sucht und daher bis zu einem gewissen Grad auch auf externe Kontrollen verzichtet werden kann. Man erkannte, dass der Mensch Bedürfnisse hat, die es zu berücksichtigen gilt.
Dialogische Führung, von Dietz und Kracht gerne auch als dialogische Kultur bezeichnet, geht noch einen Schritt weiter. Sie erwartet, dass jeder Einzelne eigenverantwortlich im Sinne des Ganzen handelt. Führung im Sinne der dialogischen Kultur bedeutet Anregung zur Selbstführung.
Im Jahre 2002 veröffentlichten Dietz und Kracht das Buch Dialogische Führung. Grundlagen Praxis. Fallbeispiel: dm-drogerie markt. In diesem Buch stellen sie die Ergebnisse einer fast zehnjährigen Studie zum Thema dialogische Führung vor, die sie in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen dm-drogerie markt herausgearbeitet hatten.
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung der dialogischen Kultur sowie deren Ausprägungen. Dabei wird schwerpunktmäßig untersucht, ob die von Dietz und Kracht herausgearbeiteten Aspekte und Elemente der dialogischen Führung bereits in anderen Führungstheorien, eventuell in leicht abgewandelter Form, zum Ausdruck kommen. Zusätzlich ist die Betrachtung zweier ausgewählter Aspekte, des […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Darstellungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Definition der Basisbegriffe „dialogischer Führung“
2.2 Elemente und Prozesse „dialogischer Führung“ im Vergleich zu anderen Führungstheorien
2.2.1 Menschenbild in der dialogischen Führung
2.2.1.1 Vergleich mit dem Menschenbild in der „Theory X“ von McGregor
2.2.1.2 Vergleich mit dem Menschenbild in der „Theory Y“ von McGregor
2.2.2 Beratungsprozess mit abschließender Entscheidung
2.2.2.1 Vereinbarung
2.2.2.2 Empfehlung
2.2.2.3 Vergleich mit dem Entscheidungsmodell der Führung von Vroom (u.a.)
2.2.2.4 Vergleich mit dem Konzept des „management by integration and self-control“ von McGregor
2.2.3 Vertrauen
2.2.3.1 Vertrauen als Voraussetzung für dialogische Führung
2.2.3.2 Vertrauen als Konsequenz dialogischer Führung
3 Diskussion ausgewählter Aspekte dialogischer Führung
3.1 Die Rolle des Vertrauens
3.1.1 Vorleistung Vertrauen
3.1.2 Aufbau einer Vertrauensbeziehung
3.1.2.1 Verwundbarkeit des Vertrauenden
3.1.2.2 Faktor Transparenz
3.1.2.3 Abgabe von Macht und Verantwortung
3.1.3 Risiken für die Vertrauensbeziehung
3.1.4 Vorteile einer Vertrauensbeziehung
3.2 Selbstführung
3.2.1 Selbstführungsstrategien
3.2.1.1 Behaviour-focused strategies
3.2.1.2 Natural reward strategies
3.2.1.3 Constructive thought pattern strategies
3.2.2 Führung zur Selbstführung
3.2.3 Bedingungen für Selbstführung
3.2.4 Ziel: unternehmerisches Handeln
4 Kritische Würdigung
4.1 Vorteile dialogischer Führung
4.2 Nachteile dialogischer Führung
5 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellungsverzeichnis
Darst. 1: Grafik für die Stufenfolge der inneren Autonomie
Darst. 2: Klassifikation von Entscheidungsprozessen
(Individualprobleme)
Darst. 3: Zusammenfassung des Konzeptes „management by integration and self-control“ gemäß dem Beispiel von McGregor
Darst. 4: Abhängigkeit zwischen Vertrauen und Verwundbarkeit
Darst. 5: Einfluss des Umfeldes auf den Anteil der Selbstführung
Dialogische Führung – theoretische Fundierung und kritische Würdigung
1 Einleitung
Führung ist eine der ältesten Beschäftigungen der Menschheit. Bereits bei den Ägyptern vor 5000 Jahren gab es Hieroglyphen für Führung, Führer und Geführter.[1] In der Antike machte sich z. B. Platon in der Politeia Gedanken zur Thematik.[2] Seit diesen ersten Überlegungen wurde eine Vielzahl von Führungsmodellen und –theorien entwickelt.[3]
In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden hauptsächlich Erfahrungen mit Führung durch Planung und Kontrolle gemacht.[4] Das dazugehörige Menschenbild stellt einen egoistischen, faulen Menschen dar, der nur durch Belohnungen und Strafandrohungen zur Arbeit bewegt werden kann (vgl. Kapitel 2.2.1.1).[5]
Die ersten Forschungen zum Human-Relations-Ansatz Mitte des letzten Jahrhunderts ergaben, dass die bis dahin angewendeten Methoden der Planung und Kontrolle oftmals gegen positive, menschliche Beziehungen wirken.[6] McGregor, einer der bedeutenden Human-Relations-Forscher, schrieb 1960 das heute noch aktuelle Buch „The human side of enterprise“. Er stellte damals die vorherrschende Auffassung in Frage, dass Mitarbeiter nur durch Anweisungen und Zwang angemessene Arbeit verrichten.[7] Seine „Theory Y“ ist die Antithese zum bis dahin gültigen Menschenbild und beruht darauf, dass der Mensch nicht nur gerne arbeitet, sondern dass er von sich aus Verantwortung sucht und daher bis zu einem gewissen Grad auch auf externe Kontrollen verzichtet werden kann.[8] Man erkannte, dass der Mensch Bedürfnisse hat, die es zu berücksichtigen gilt.[9]
Dialogische Führung, von Dietz und Kracht gerne auch als dialogische Kultur bezeichnet[10], geht noch einen Schritt weiter. Sie erwartet, dass jeder Einzelne eigenverantwortlich „im Sinne des Ganzen“ handelt. Führung im Sinne der dialogischen Kultur bedeutet „Anregung zur Selbstführung“.[11]
Im Jahre 2002 veröffentlichten Dietz und Kracht das Buch „Dialogische Führung. Grundlagen – Praxis. Fallbeispiel: dm-drogerie markt“. In diesem Buch stellen sie die Ergebnisse einer fast zehnjährigen Studie zum Thema „dialogische Führung“ vor, die sie in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen dm-drogerie markt herausgearbeitet hatten.
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung der dialogischen Kultur sowie deren Ausprägungen. Dabei wird schwerpunktmäßig untersucht, ob die von Dietz und Kracht herausgearbeiteten Aspekte und Elemente der dialogischen Führung bereits in anderen Führungstheorien, eventuell in leicht abgewandelter Form, zum Ausdruck kommen. Zusätzlich ist die Betrachtung zweier ausgewählter Aspekte, des Vertrauens und der Selbstführung, ein weiterer wesentlicher Teil dieser Arbeit.
In einer kritischen Würdigung werden abschließend sowohl positive als auch negative Gesichtspunkte der dialogischen Führung herausgearbeitet. Zudem wird die Frage diskutiert, ob dialogische Führung mit einer bereits bekannten Führungstheorie zumindest teilweise übereinstimmt, eine Mischung aus bereits bekannten Führungstheorien ist oder eventuell sogar eine eigenständige neue Führungstheorie darstellt.
2 Grundlagen
In diesem Kapitel werden zum einen grundlegende Begriffe definiert und zum anderen die Elemente und Prozesse der dialogischen Führung dargestellt und anderen Führungstheorien gegenübergestellt.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich lediglich auf Führungsbeziehungen in Unternehmen. Weiterhin werden in dieser Arbeit die Bezeichnungen „dialogische Führung“ und „dialogische Kultur“ als gleichrangig angesehen und demzufolge auch beide verwendet (s. Anhang).
2.1 Definition der Basisbegriffe „dialogischer Führung“
Zum Verständnis dieser Arbeit sind zunächst die Begriffe „dialogisch“ und „Führung“ zu klären.
Dialogisch leitet sich vom Wort Dialog ab, was als Gespräch mindestens zweier Personen, die dabei alternierend zu Wort kommen, definiert wird. Im Falle zweier Personen bezeichnet man dies auch als Zwiege-spräch, sind mehrere Personen beteiligt, spricht man von einer Wechsel-rede.[12] Wichtig ist, dass mehr als eine Person am Gespräch beteiligt sind.
Führung ist ein Phänomen, welches dem Menschen in vielen Situationen auf unterschiedlichste Art und Weise begegnet. Sowohl im privaten Be-reich (z. B. die Erziehung eines Kindes durch seine Eltern) als auch in der Politik (z. B. der Regierungschef, der sein Land führt) oder in Unternehmen (z. B. die Führung des Vertriebs durch den Vertriebsleiter) wird Führung tagtäglich praktiziert.[13]
In der einschlägigen Literatur und Praxis sind unterschiedliche Definitionen von Führung zu finden. Bass schreibt im „Handbook of leadership“, dass die meisten Personen, die versucht haben, Führung zu definieren, eine neue Definition einführten.[14] Yun, Cox und Sims sind von Yukl´s Defi-nition der Führung als „a specialized role and a social influence process“ überzeugt.[15] Ihrer Meinung nach entsteht Führung dann, wenn eine Person eine andere Person beeinflusst.[16] Weibler definiert Führung noch ausführ-licher, indem er zusätzlich das von dem Führer beabsichtigte Verhalten des Geführten berücksichtigt:
„Führung heißt andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt.“[17]
Dialogische Führung bzw. dialogische Kultur ist ein Führungskonzept, welches darauf basiert, dass die Mitarbeiter eigenständig handeln. Das Ziel ist, dass sie ihre Arbeit selbst gestalten und auch verantworten. Führung in der dialogischen Kultur wird als Stimulation zur Selbstführung gesehen. Demzufolge ist das intendierte Verhalten die Selbstführung der Mitarbeiter.[18] Wie eine solche Führung aussieht, wird in Kapitel 3.2 beschrieben. Das Dialogische kommt hauptsächlich im Beratungsprozess zum Ausdruck, bei dem sowohl der Vorgesetzte als auch der Mitarbeiter sich gleichberechtigt einbringen sollen (s. Kapitel 2.2.2).
2.2 Elemente und Prozesse „dialogischer Führung“ im Vergleich zu anderen Führungstheorien
Im folgenden Kapitel werden die einzelnen Elemente und verschiedenen Prozesse der dialogischen Kultur erläutert und darüber hinaus anderen Führungstheorien gegenübergestellt.
2.2.1 Menschenbild in der dialogischen Führung
Dietz beschreibt eine „Stufenfolge der inneren Autonomie“[19] (s. Darst. 1), die das Menschenbild der dialogischen Führung veranschaulicht.
Darst. 1: Grafik für die Stufenfolge der inneren Autonomie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: In Anlehnung an Dietz (2007c), S. 94.
Auf der ersten Stufe zur Autonomie steht der interessierte Mensch, der seine Umwelt und die Voraussetzungen, die er dort vorfindet, untersucht und sich bemüht, diese zu begreifen. An zweiter Stelle steht die Erkenntnis, dass er mit Hilfe angemessener, eventuell noch anzueignender Kompetenzen, die Möglichkeit hat, seine Umwelt zu optimieren. Auf der dritten Stufe werden andere Menschen einbezogen. Dietz beschreibt, wie die Kompe-tenzen des Einzelnen durch die Integration in gemeinschaftliche Handlun-gen verwirklicht und verbessert werden können. Zum Abschluss steht die Identifikation des Einzelnen mit dem Ganzen. Durch Verantwortungsüber-nahme und Entwicklung von Initiative strebt er eine Übereinstimmung zwi-schen den Voraussetzungen und seinen eigenen Gestaltungsideen an.[20]
2.2.1.1 Vergleich mit dem Menschenbild in der „Theory X“ von McGregor
Das Menschenbild der Theorie X entspricht dem bisher gängigen Bild des Menschen in der Managementpraxis und der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur.[21] Der Homo oeconomicus ist nur auf seinen eigenen Vorteil und sein eigenes Glück bedacht.[22] Gemäß McGregor beruht diese Anschauung auf drei Annahmen:
1) Der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit und versucht sie, wann immer möglich, zu vermeiden.
2) Deswegen müssen die meisten Menschen gezwungen, kontrolliert, angewiesen und mit Bestrafung bedroht werden, damit sie bestrebt sind, Leistungen zur Erreichung der Unternehmensziele zu erbringen.
3) Der Durchschnittsmensch bevorzugt die direkte Anweisung, wünscht keine Verantwortung zu tragen, hat wenig Ambitionen und will Sicherheit.[23]
Es gibt eindeutige Unterschiede zwischen dem Menschenbild in der dialogischen Kultur und dem Menschenbild der Theorie X. Beispielsweise möchte der Mensch in der dialogischen Kultur von sich aus lernen, um seine Umgebung bearbeiten und umgestalten zu können. Gemäß der Theorie X ist der Mensch jedoch nur durch Zwang zu Arbeit zu bewegen. Weiterhin will der Durchschnittsmensch der Theorie X keine Verantwortung übernehmen. In der dialogischen Führung entwickelt der Mensch Eigeninitiative und übernimmt selbstständig Verantwortung, um die von ihm identifizierten Unstimmigkeiten zu überwinden.
2.2.1.2 Vergleich mit dem Menschenbild in der „Theory Y“ von McGregor
Betrachtet man die Annahmen der Theorie Y, so ergibt sich ein komplett anderes Bild des Menschen.[24]
McGregor vertritt die Meinung, dass der Durchschnittsmensch von Natur aus keine Abneigung gegen Arbeit hat. Es kommt jeweils auf die Arbeitsbedingungen an, ob er die Arbeit als Befriedigung oder als Strafe ansieht.[25] Der Vergleich mit der dialogischen Führung zeigt, dass wir auch hier einen interessierten Menschen vorfinden, der sich selbst darum bemüht, seine Umwelt zu verstehen und sich selbst Kompetenzen aneignen möchte, um gewisse Defizite zu überbrücken.[26] Auch in diesem Kontext wird Arbeit grundsätzlich positiv aufgefasst.
Die zweite Annahme besagt, dass die Menschen sich selbst lenken und kontrollieren und dass externe Kontrollen und Strafandrohungen nicht unbedingt nötig sind, um Leistung zu erhalten.[27] Gemäß Dietz ist dialogische Führung übereinstimmend mit Selbstführung. Das Führungsinstrument Kontrolle (externe Kontrolle) kann mit der Zeit durch Selbstkontrolle ersetzt werden.[28]
McGregor behauptet drittens, dass die persönliche Verpflichtung des Einzelnen zur Erreichung bestimmter Ziele von der damit assoziierten Belohnung abhängt. Seiner Meinung nach ist es denkbar, dass solche Belohnungen (z. B. die Befriedigung der Selbstverwirklichungsbedürfnisse) in direktem Zusammenhang mit den Bemühungen zur Erreichung der Organisationsziele stehen können.[29] In der dialogischen Kultur – im Gegensatz zur Theorie Y – verpflichtet sich ein Mitarbeiter, weil es die Sachlage erfordert, weil man das Ganze (das Projekt, die Abteilung, das Unternehmen, etc.) weiterbringen möchte.[30]
In der vierten Annahme geht es darum, dass der Durchschnittsmensch unter geeigneten Bedingungen lernt, Verantwortung einerseits zu akzeptieren und andererseits auch selbst zu suchen. Dies hängt von der Erfahrung des Einzelnen ab, und ob er bereit ist, Verantwortung zu übernehmen oder ob es ihm an Ehrgeiz mangelt. Dies sind lt. McGregor keine angeborenen typischen menschlichen Eigenschaften.[31] Auch in der Stufenfolge zur inneren Autonomie übernimmt der Mensch auf der vierten Stufe Verantwortung.[32] Gegensätzliches Verhalten (z. B.: Verantwortung ablehnen) wird nicht erwähnt, was zur Annahme führt, dass die dialogische Kultur eine geeignete Bedingung dafür ist, Verantwortung zu übernehmen.
Die fünfte These unterstellt, dass Ideenreichtum, Erfindungsgabe und Kreativität zur Problemlösungsfindung in der Bevölkerung weit verbreitet sind.[33] Gemäß Dietz vervielfacht sich die Ideenfähigkeit der Mitarbeiter durch dialogische Führung.[34] Die Berücksichtigung von McGregors These lässt vermuten, dass die genannten Fähigkeiten tatsächlich in der Bevölkerung weit verbreitet sind, jedoch erst in einer dialogischen Kultur vermehrt zum Vorschein kommen.
In seiner letzten Annahme stellt McGregor fest, dass das Leistungsvermögen des Durchschnittsmenschen unter den Bedingungen der modernen Arbeitswelt nur zum Teil in Anspruch genommen wird.[35] Diese Annahme wird auch aus Sicht der dialogischen Kultur bestätigt. Die Mitarbeiter handeln – wenn dialogische Führung gelingt – vermehrt unternehmerisch, und zusätzlich nimmt, wie oben erwähnt, die Ideenfähigkeit zu.[36]
2.2.2 Beratungsprozess mit abschließender Entscheidung
Der Beratungsprozess ist zentraler Bestandteil der dialogischen Führung. Vorgesetzter und Mitarbeiter stimmen sich gemeinsam darüber ab, wie man in einem bestimmten Fall (z. B. Probleme lösen, Ziele vereinbaren, etc.) vorgehen soll.
Um ein Gespräch erfolgreich dialogisch zu gestalten, nennt Dietz einige Voraussetzungen (Haltungen des Dialogischen)[37]. Zunächst einmal ist es wichtig, den Bezug zur Realität nicht zu verlieren. In diesem Zusammenhang spricht er den Unterschied zwischen einer Diskussion und einem Dialog an. Aus einer Diskussion geht derjenige als Sieger hervor, der seinen Standpunkt besser argumentieren kann und dem anderen rhetorisch überlegen ist. Im Dialog muss dagegen die Wirklichkeit gegenwärtig sein. Dies kann sogar soweit führen, dass man nachgibt, weil der Sachverhalt dies erfordert, obwohl man seinen Standpunkt durchsetzen könnte.[38]
Zweitens muss der Wille vorhanden sein, den anderen verstehen zu wollen. Das bedeutet, dass man herausfinden möchte, was der andere denkt, und zusätzlich auch noch wissen möchte, wieso er diese Gedanken, Motive, etc. hat.[39]
Weiterhin ist es bedeutsam, sich nicht von seinen Gefühlen und Emotionen kontrollieren zu lassen, sondern zu versuchen, sich mit deren Hilfe ein Bild von der Situation zu machen. Dass man jemanden unsympathisch findet, ist schnell entschieden. Aber die meisten wissen oftmals nicht, wieso sie jemanden nicht leiden können. Dietz schätzt es als hohe Kunst ein, wenn man einen Dialog mit jemandem zu führen vermag, der einem unsympathisch ist.[40]
Die vierte Haltung des dialogischen Gespräches hat zum Ziel, die gemeinsame Sache voranzubringen. Das Beratungsgespräch soll die Vorbereitung auf die endgültige Entscheidung sein, die allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen wird. Im Idealfall werden verschiedene Optionen ausgearbeitet und durchgesprochen, um am Ende eine Basis zu haben, auf der eine Entscheidung getroffen werden kann.[41] Wesentlich ist, dass im Gespräch die positiven Ansätze und Ideen aufgegriffen und weitergeführt werden. Unbrauchbare oder falsche Äußerungen sollten möglichst unbeachtet gelassen werden, da sie dem Vorankommen der eigentlichen Sache nur hinderlich sind.[42]
Die letzte Grundhaltung des Dialogischen ist die Aufgeschlossenheit gegenüber Ungewohntem. Es geht darum, dem eigenen Erfahrungsschatz nicht zu viel Wichtigkeit beizulegen (z. B.: „Aber wir haben das schon immer so gemacht.“), sondern auch neue Erfahrungen zuzulassen.[43]
Eine weitere Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Beratungsgespräch ist Transparenz. Sowohl der Vorgesetzte, als auch der Geführte, sollen die Zusammenhänge und verschiedenen Abläufe im Unternehmen kennen, damit sie eigene Einschätzungen vornehmen und darauf basierende Entscheidungen treffen können. Transparenz kann über verschiedene Wege vermittelt werden. In vielen Firmen verläuft inzwischen die meiste Kommunikation über Email oder dem Intranet (interne Webauftritte). Es können aber auch im eigentlichen Gespräch die benötigten Informationen übermittelt werden. Der Vorgesetzte muss jedoch beachten, dass er dem Mitarbeiter eine sinnvolle Menge von Informationen zukommen lässt. Zu viele Informationen können sich auch negativ auswirken, indem der Geführte z. B. den Überblick verliert.[44]
Zusätzlich sollte man sich im Beratungsgespräch darüber klar sein, dass man es hier mit einem menschlichen Individuum zu tun hat. Es ist sehr wichtig, den anderen Menschen zu verstehen, seine individuellen Seiten kennenzulernen und zu berücksichtigen.[45] Dietz weist darauf hin, dass es nicht nur darauf ankommt, die früheren Leistungen eines Mitarbeiters zu berücksichtigen, sondern dass gerade die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten des Mitarbeiters von Bedeutung sind. Außerdem ist es wichtig festzustellen, welche Ziele bzw. Motive ein Mitarbeiter hat. Die Klärung dieser Fragen ist oftmals wichtiger, als der eigentliche Erfolg oder Misserfolg einer Handlung: „Fehlertoleranz ist dabei selbstverständlich.“[46]
Abschließend ist noch hinzuzufügen, dass beim Beratungsgespräch keiner das Gespräch dominieren sollte (z. B. der Vorgesetzte), sondern beide Seiten die Möglichkeit haben, ihre Vorstellungen und Ideen mit einzubringen.[47]
2.2.2.1 Vereinbarung
Die Vereinbarung ist eines der „Führungsinstrumente“ der dialogischen Führung. Dietz und Kracht weisen jedoch darauf hin, dass es im Grunde genommen kein klassisches Führungsinstrument ist, da es allen beteiligten Personen die Möglichkeit bieten soll, sich aktiv zu engagieren.[48] Traditionelle Führungsinstrumente sind bestimmte Maßnahmen und Methoden (z. B. Anerkennung und Kritik, Zielvereinbarung, Anreizsysteme, etc.), die zur Beeinflussung von Mitarbeitern genutzt werden können.[49]
Wenn zwei Beteiligte im Rahmen der dialogischen Kultur etwas vereinbaren, bedeutet das, dass sie sich nach umfassender Zusammenarbeit (dem Beratungsprozess – s. Kapitel 2.2.2) auf ein gemeinsames Endergebnis einigen, mit dem sie beide einverstanden sind. Sollte sich einer der beiden Dialogspartner im Nachhinein doch für eine andere Lösung entscheiden wollen, so müsste er seine Ideen vor einer derartigen abweichenden Handlung mit der anderen Person durchsprechen.
Die Verantwortung für die beschlossene Handlung wird bei der Vereinbarung gleichberechtigt zwischen beiden Parteien geteilt. Dieses Vorgehen bietet beiden Beteiligten den Vorteil der Sicherheit. Einerseits kann sich der Vorgesetzte darauf verlassen, dass in seinem Sinne gehandelt wird, und andererseits weiß der Mitarbeiter, dass er mit seiner Handlung nicht auf dem falschen Weg ist.[50]
2.2.2.2 Empfehlung
Die Empfehlung, die ebenso wie die Vereinbarung kein klassisches Führungsinstrument ist, spielt nichtsdestotrotz in der dialogischen Führung eine wichtige Rolle. In diesem Fall gehen die beiden am Beratungsprozess Beteiligten noch einen Schritt weiter als bei der Vereinbarung und begeben sich auf unsicheres Terrain. Nach der ausführlichen Beratung, die dazu dient, dass beide den gleichen Kenntnisstand zu einer Fragestellung haben, stehen womöglich mehrere Handlungsalternativen zur Auswahl. Der Vorgesetzte kann auf dieser Basis dem Mitarbeiter eine Empfehlung geben. Diese Empfehlung soll auf keinen Fall als Anweisung missverstanden werden. Der Vorgesetzte muss seinem Mitarbeiter klar machen, dass er tatsächlich das „Instrument“ Empfehlung intendiert. Dietz und Kracht deuten darauf hin, dass die Empfehlung nicht mit einer Zielvorgabe (dem Mitarbeiter ist es freigestellt, auf welche Weise er ein festgelegtes Ziel erreicht) oder einer Anregung zu verwechseln ist.[51]
Relevant ist in diesem Fall, dass sich der Empfehlungsempfänger (Mitarbeiter) um alle nötigen Informationen bemühen muss, um die endgültige Entscheidung zu treffen. Die endgültige Entscheidung für eine Handlung liegt ausschließlich beim Empfehlungsempfänger. Zugleich übernimmt er damit auch die komplette Verantwortung. Dies ist auch der Fall, wenn er sich für die vom Empfehlungsgeber (Vorgesetzten) empfohlene Handlung entscheidet.[52]
Die Unsicherheit – wie oben schon angedeutet – besteht bei der Empfehlung darin, dass der Mitarbeiter erst im Nachhinein feststellen kann, ob sein Vorgesetzter seine Entscheidung akzeptiert. Der Empfehlungsgeber (Vorgesetzte) dagegen erfährt oft erst nach der endgültigen Entscheidung und eventuell auch erst nach der Handlungsausführung, ob seine Empfehlung angenommen wurde bzw. wie sich sein Mitarbeiter entschieden hat.[53] Für beide Beteiligten ist es oft nicht einfach, diesen Sicherheitsverlust zu ertragen. Viele Geführte möchten die zusätzliche Verantwortung nur ungern übernehmen und viele Vorgesetzte finden es sehr schwierig, die endgültige Entscheidung abzugeben, mit dem Wissen, dass der Mitarbeiter die Empfehlung nicht annehmen muss.[54]
2.2.2.3 Vergleich mit dem Entscheidungsmodell der Führung von Vroom (u.a.)
Das Vroom-Yetton-Modell ist ein Entscheidungsbaum, welcher Führungskräften helfen soll, das für eine jeweilige Situation richtige Führungsverhalten zu bestimmen. Dieses Modell beruht auf der Idee von Maier, der effizientes Führungsverhalten von zwei Faktoren abhängig macht. Einerseits von der Qualität der Entscheidung und andererseits davon, wie diese Entscheidung von den Geführten akzeptiert wird. Die Qualität einer Entscheidung wird dadurch bestimmt, wie vernünftig und sinnvoll die Entscheidung ist, um bestimmte Ziele (z. B. Senkung von Kosten) zu erreichen.[55]
Entscheidungsprozesse werden gemäß dem Modell in verschiedene Wahlmöglichkeiten eingeteilt. Einige dieser Vorgehensweisen sind speziell für Gruppenprobleme, andere für Individualprobleme gedacht.[56] In dieser Arbeit sind nur die Entscheidungsprozesse für Individualprobleme (s. Darst. 2) berücksichtigt, um den Vergleich mit dem Entscheidungsprozess der dialogischen Führung zu erleichtern.
Der Großbuchstabe macht die Art des Entscheidungsprozesses erkenntlich. A steht für autoritär, C für beratend („consultative“), G für gemeinschaftlich und D für delegiert. Die römischen Zahlen geben die Anzahl der Varianten pro Art des Entscheidungsprozesses an. Im Fall der Individualprobleme gibt es jeweils eine Variante pro Art des Entscheidungsprozesses (CI, GI und DI), mit Ausnahme der autoritären Entscheidungsprozesse (AI und AII).[57]
Darst. 2: Klassifikation von Entscheidungsprozessen (Individualprobleme)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Vroom (1981), S. 184.
Für den Vergleich mit der dialogischen Führung kommen die Varianten GI (das Problem wird gemeinschaftlich von dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter gelöst) und DI (der Vorgesetzte delegiert die Problemlösungsentscheidung und die Verantwortung an den Mitarbeiter) in Frage. Selbst in der dialogischen Kultur sind jedoch gewisse Situationen möglich, in denen die Variante AI zum Einsatz kommt.
In GI, der gemeinschaftlichen Alternative, bespricht der Vorgesetzte die Problematik mit dem Mitarbeiter. Der dabei existierende unbegrenzte Austausch von Meinungen und Ideen[58] ist analog dem Beratungsprozess in der dialogischen Führung. Ein wichtiger Bestandteil des Beratungsgesprächs, ist die Problemlösung kooperativ voranzutreiben und dabei die Entstehung und Verbesserung neuer Ideen zu begünstigen.[59] Gemeinsames Gespräch und Ideenaustausch sind demnach sowohl bei der dialogischen Führung, als auch bei der Alternative GI des Vroom-Yetton-Modells zentrale Elemente. Die Ermittlung einer für beide Seiten zufriedenstellenden Problemlösung lässt sich mit der Vereinbarung der dialogischen Führung vergleichen. Bei der Vereinbarung kann man darauf schließen, dass das Endergebnis und auch die Maßnahmen, um dieses zu erreichen, nach dem Beratungsgespräch gemeinsam bestimmt werden. Voraussetzung ist, dass die Vereinbarung nicht ausschließlich auf der Ansicht nur einer der beiden am Gespräch Beteiligten beruht. Die Bedingung ist beiderseitiges Verständnis.[60]
[...]
[1] Vgl. Bass (1990), S. 3f.; vgl. auch: Weibler/Deeg/Rapsch (2002), S. 13.
[2] Vgl. Bass (1990), S. 21.
[3] Vgl. Bass (1990), S. 37.
[4] Vgl. Villers (1954), S. 89.
[5] Vgl. Weibler/Kuhn (2002a), S. 28ff.; vgl. auch: Dietz (2007b), S. 21, zitiert nach Matthiesen
(1995), S. 109.
[6] Vgl. Villers (1954), S. 89.
[7] Vgl. Cutcher-Gershenfeld (2006), S. xxvf.
[8] Vgl. McGregor (2006), S. 65f.
[9] Vgl. Dietz (2007a), S. 108.
[10] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 14.
[11] Dietz (2007a), S. 109.
[12] Vgl. DUDEN (2007).
[13] Vgl. Weibler/Deeg/Rapsch (2002), S. 13ff.
[14] Vgl. Bass (1990), S. 11.
[15] Vgl. Yun/Cox/Sims (2006), S. 377, zitiert nach Yukl (1998), S. 5.
[16] Vgl. Yun/Cox/Sims (2006), S. 377.
[17] Vgl. Weibler/Deeg/Rapsch (2002), S. 38.
[18] Vgl. Dietz (2007b), S. 18.
[19] Dietz (2007c), S. 94.
[20] Vgl. Dietz (2007c), S. 94.
[21] Vgl. Walgenbach (2000), S. 708.
[22] Vgl. Werner (2004), S. 3.
[23] Vgl. McGregor (2006), S. 45f.
[24] Vgl. McGregor (2006), S. 65f.
[25] Vgl. McGregor (2006), S. 65.
[26] Vgl. Dietz (2007c), S. 94.
[27] Vgl. McGregor (2006), S. 65.
[28] Vgl. Dietz (2007b), S. 18f.
[29] Vgl. McGregor (2006, S. 65.
[30] Vgl. Dietz (2007d), S. 120f.
[31] Vgl. McGregor (2006), S. 65.
[32] Vgl. Dietz (2007c), S. 94.
[33] Vgl. McGregor (2006), S. 66.
[34] Vgl. Dietz (2007c), S. 90.
[35] Vgl. McGregor (2006), S. 66.
[36] Vgl. Dietz (2007c), S. 90.
[37] Vgl. Dietz (2001), S. 66ff.; vgl. auch: Dietz (2007d), S. 106ff.
[38] Vgl. Dietz (2001), S. 67f.; vgl. auch: Dietz (2007d), S. 109f.
[39] Vgl. Dietz (2001), S. 69f.
[40] Vgl. Dietz (2001), S. 70f.
[41] Vgl. Dietz (2007d), S. 102.
[42] Vgl. Dietz (2001), S. 71ff.; vgl. auch: Dietz (2007d), S. 113f.
[43] Vgl. Dietz (2001), S. 73ff.; vgl. auch Dietz (2007d), S. 114ff.
[44] Vgl. Dietz (2007d), S. 100f.
[45] Vgl. Dietz (2007d), S. 98ff.
[46] Dietz (2007d), S. 98.
[47] Vgl. Dietz (2007d), S. 101f.
[48] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 76.
[49] Vgl. Weibler et al. (2001), S. 58ff.
[50] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 77.
[51] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 78ff.
[52] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 78.
[53] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 79.
[54] Vgl. Dellbrügger (2007), S. 74f.
[55] Vgl. Vroom (1981), S. 183; vgl. auch: Weibler et al. (2001), S. 28f.
[56] Vgl. Vroom (1981), S. 184.
[57] Vgl. Vroom (1981), S. 184.
[58] Vgl. Vroom (1981), S. 184.
[59] Vgl. Dietz (2007d), S. 101.
[60] Vgl. Dietz/Kracht (2007), S. 77.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2008
- ISBN (eBook)
- 9783836616829
- DOI
- 10.3239/9783836616829
- Dateigröße
- 368 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FernUniversität Hagen – Wirtschaftswissenschaften, Studiengang Betriebswirtschaftslehre
- Erscheinungsdatum
- 2008 (August)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- dialogische führung selbstführung vertrauen vertrauensbeziehung transparenz
- Produktsicherheit
- Diplom.de