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Vom Handymenschen zum Menschhandy

Ein techniksoziologischer Ansatz zur Entwicklung des Mobilfunks und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft

©2006 Magisterarbeit 93 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Wir sind am Beginn.
Was wir bislang noch sehen, ist Stümperei und größtenteils Kitsch.
Das Begeisternde ist nicht das, was wir sehen,
sondern das, was wir hinter dem uns Sichtbaren wittern“.
In Deutschland hat die Mobilfunkdurchdringungca. 86% erreicht. Das Aufkommen von Discount-Anbietern für Handyverträge führt zu einer Deregulierung des Mobilfunksegments und wird die Diffusion weiter erhöhen. Der Mobilfunk verzeichnete in nur sieben Jahren eine Entwicklung für die das Festnetztelefon 100 Jahre brauchte. Wenn ein Medium einen solchen Werdegang hat, sind gesellschaftliche Auswirkungen vorprogrammiert.
Der Mobilfunk personalisiert und individualisiert Kommunikation, macht den Anschluss an die Gesellschaft aber gleichzeitig leichter und vermindert die Nachteile der Individualisierung. Das Handy gibt uns die Freiheit allein zu sein und zu agieren und gleichzeitig die Sicherheit, nicht allein sein zu müssen. Es ist ein antisoziales Instrument, weil es die Kommunikation aus dem öffentlichen Raum in den völlig isolierten privaten Raum legt. Es ist aber auch ein soziales Instrument, da es die Nutzer verbindet, Status anzeigen und Gruppenbildung hervorrufen kann. Der mobile Internetzugang per WAP oder WLAN ermöglicht jederzeit den Zugang zu den Informationen der Welt und lässt uns gleichzeitig hier sein und das Dort wahrnehmen. Die Gleichzeitigkeit realer und virtueller Räume ist durch den Mobilfunk erlebbar. Seit seiner Einführung in den Markt hat sich das Handy vom Spielzeug zum Alltagsgegenstand entwickelt und bereits heute den Status eines ‚must’, wenn man an das Leben angeschlossen bleiben will.
Geht man von Castells These einer Netzwerkgesellschaft aus ist der Besitz neuer Technologien inklusive des Handys die Bedingung, um an Gesellschaft teilhaben zu können. Oder wie Fortunati es ausdrückt: „(T)he mobile phone (is) a technological instrument to which people are often forced to resort in order to maintain their social relationsships“. Doch die Innovationen in der Kommunikation und die Informationsverbreitung durch den Mobilfunk bergen auch Nachteile, Ängste und Gefahren. Der Besitz eines Handys verpflichtet zu ständiger Erreichbarkeit und Rechtfertigung. Die Technik des Mobilfunks ermöglicht die Ortung des Nutzers. Der Besitz und die Nutzung des Handys befreien den Menschen also von den Fesseln des festen Telefons, binden ihn gleichzeitig aber an anderer Stelle wieder an. So ist die Überwachung des Telefonierenden […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Gliederung

0 Einleitung

1 Die Weltgesellschaft und das Verständnis von Raum
1.1 Die Weltgesellschaft der Kommunikationen
1.2 Raum in der entgrenzten Gesellschaft – Die Zusammenkunft des visuellen und virtuellen Raums

2 Technikbegriff und Technikfolgenabschätzung
2.1 Der Technikbegriff in der Diskussion
2.2 Neue Technologien und Technikfolgenabschätzung

3 Zum Mobilfunk und zur Veränderung gesellschaftlicher Aspekte
3.1 Besonderheiten des Mobilfunks – Mobilität von Information und Kommunikation
3.2 Zur Verbreitung des Mobilfunks in Deutschland
3.3 Auswirkungen des Mobilfunks
3.3.1 Mobilfunk und Mobilität
3.3.2 Mobilfunk und Mikro- und Hyperkoordination
3.3.3 Exkurs: Goffman s Vorstellungen zur Performanz im Alltag
3.3.4 Mobilfunk und die Kommunikation im öffentlichen Raum
3.3.4 Das Erreichbarkeitsdilemma – zwischen Vorteil und Fluch ständiger Erreichbarkeit

4 Entwicklung neuer Mobilfunktechnik und Dienste 55
4.1 Neue Handytechnik – Die Vereinigung von Telefon, Computer und anderer Endgeräte
4.2 Die Zukunft mobiler Dienste
4.3 Ring & Ride – Konzept einer weiteren Mobilfunkanwendung

5 Technikentwicklung – auf dem Weg zur Mensch-Maschine-Symbiose
5.1 Zur Angleichung menschlicher Prozesse an die Maschine
5.2 ubiquituous computing und ambient intelligence

6 Die Zukunft der Technik – zwischen Anthropozentrismus und Transhumanismus
6.1 Anthropozentrische Ansätze zur Zukunft der Technik
6.1.1 Der Compunicator als Interaktionspartner
6.1.2 Flusser s telematische Gesellschaft und Virilio s Eroberung des Körpers
6.2 Transhumanismus – Die Obsoleszenz des Prinzips Mensch
6.3 Technokratie und Technopol – Voraussagen zur zukünftigen Gesellschaftsform

7 Zusammenfassung

8 Literaturverzeichnis

9. Abbildungsverzeichnis

Anhang

Eidesstattliche Erklärung

0 Einleitung

„Wir sind am Beginn.

Was wir bislang noch sehen, ist Stümperei und größtenteils Kitsch.

Das Begeisternde ist nicht das, was wir sehen,

sondern das, was wir hinter dem uns Sichtbaren wittern.“ (Flusser 2002, S. 70)

In Deutschland hat die Mobilfunkdurchdringung ca. 86% erreicht. Das Aufkommen von Discount-Anbietern für Handyverträge führt zu einer Deregulierung des Mobilfunksegments und wird die Diffusion weiter erhöhen. Der Mobilfunk verzeichnete in nur sieben Jahren eine Entwicklung für die das Festnetztelefon 100 Jahre brauchte. Wenn ein Medium einen solchen Werdegang hat, sind gesellschaftliche Auswirkungen vorprogrammiert.

Der Mobilfunk personalisiert und individualisiert Kommunikation, macht den Anschluss an die Gesellschaft aber gleichzeitig leichter und vermindert die Nachteile der Individualisierung. Das Handy gibt uns die Freiheit allein zu sein und zu agieren und gleichzeitig die Sicherheit, nicht allein sein zu müssen. Es ist ein antisoziales Instrument (vgl. Fortunati 1997, S. 2), weil es die Kommunikation aus dem öffentlichen Raum in den völlig isolierten privaten Raum legt. Es ist aber auch ein soziales Instrument, da es die Nutzer verbindet, Status anzeigen und Gruppenbildung hervorrufen kann. Der mobile Internetzugang per WAP oder WLAN ermöglicht jederzeit den Zugang zu den Informationen der Welt und lässt uns gleichzeitig hier sein und das Dort wahrnehmen. Die Gleichzeitigkeit realer und virtueller Räume ist durch den Mobilfunk erlebbar. Seit seiner Einführung in den Markt hat sich das Handy vom Spielzeug zum Alltagsgegenstand entwickelt und bereits heute den Status eines ‚must’, wenn man an das Leben angeschlossen bleiben will.

Geht man von Castells These einer Netzwerkgesellschaft aus (vgl. Castells 2001) ist der Besitz neuer Technologien inklusive des Handys die Bedingung, um an Gesellschaft teilhaben zu können. Oder wie Fortunati es ausdrückt: „[T]he mobile phone [is] a technological instrument to which people are often forced to resort in order to maintain their social relationsships“ (Fortunati 1997, S. 5). Doch die Innovationen in der Kommunikation und die Informationsverbreitung durch den Mobilfunk bergen auch Nachteile, Ängste und Gefahren. Der Besitz eines Handys verpflichtet zu ständiger Erreichbarkeit und Rechtfertigung. Die Technik des Mobilfunks ermöglicht die Ortung des Nutzers. Der Besitz und die Nutzung des Handys befreien den Menschen also von den Fesseln des festen Telefons, binden ihn gleichzeitig aber an anderer Stelle wieder an. So ist die Überwachung des Telefonierenden durch andere Haushaltsmitglieder aufgehoben, gleichzeitig ist der Mobilfunknutzer aber überwacht von anderen Anwesenden und von denen, die seine Erreichbarkeit voraussetzen.

Die Vorteile des Handys liegen dennoch auf der Hand: Mobilität, Flexibilität, bessere Koordinationsmöglichkeiten, Erreichbarkeit – all diese Eigenschaften scheinen in einer Ära der flexiblen Arbeits- und Lebenszeiten in einem globalen Raum brauchbare Tugenden zu sein. Doch jede neue Technik oder Erfindung hat auch immer ihre Schattenseiten: Zwang zur Mobilität und Flexibilität, flexible Arbeits- und Lebenszeiten, ständige Erreichbarkeit. Auf Grund seiner nützlichen Eigenschaften als „ultra-mobile-tool“ (Barkhuus 2003, S.4) wird der Mobilfunk aus dem Alltag bald nicht mehr wegzudenken sein. Die Entwicklungen im Bereich neuer Technologien werden immer bessere Apparate hervorbringen, die Informations- und Kommunikationstechnologien, die in dieser Arbeit mit IuK[1] abgekürzt werden, vereinen. Da Mobilität ein Erfordernis der modernen Weltgesellschaft ist, werden die neuen Endgeräte handlich sein und mobilen Zugriff auf die Speichernetzwerke der Welt haben. Das Handy in seiner Eigenschaft als mobiles Kommunikations- und Speichermedium wird in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren. Vielmehr ist abzusehen, dass es zu einem Alltagsgegenstand wird, dessen Daseinsberechtigung nicht mehr zur Debatte steht. Das Handy als technisches Instrument unterliegt in seiner weiteren Entwicklung vorrangig Effizienzprinzipien.

Becker-Schmidt sieht das Problem des Technik-Gesellschaft-Verhältnisses im prometheischen Gefälle:

„Das ´prometheische Gefälle´, die ungeheuerliche Diskrepanz zwischen dem, was vom menschlichen Intellekt als machbar gedacht werden kann, und der Begrenztheit des menschlichen Vorstellungsvermögens, die Konsequenzen des tendenziell Machbaren zu prognostizieren und einzusehen erscheint als abgründige Kluft.“ (Becker-Schmidt 1989, S. 45).

Ziel eines moralischen Diskurses sollte sein, dieses Gefälle aufzuheben, denn jetzt, da die Möglichkeiten existieren, muss der Mensch auch den Umgang mit diesen lernen.

Die Impertinenz des Handys in Alltagssituationen macht es unmöglich diese Technik zu eskamotieren. Tendenzen technischer Innovationen zur Transplantation von Apparaten in den menschlichen Körper sind in der Medizin zu sehen und werden auch von einigen Medienphilosophen diskutiert. In der vorliegenden Arbeit soll auf technik-soziologischer Basis ein Ausblick in die Zukunft der mobilen Kommunikation und Information gewagt werden.

Ein technik-soziologischer Ansatz verlangt die Definitionen von Technik und Gesellschaft, welche als Rahmen der Diskussion fungieren sollen. Im ersten Teil dieser Arbeit wird die Gesellschaftstheorie Luhmann s vorgestellt und in Verbindung mit der Globalisierung zu einem Gesellschaftsbegriff führen. Vorstellungen zum Raum in einer Weltgesellschaft ergänzen diese einführenden Überlegungen.

Die Diskussion technischer Auswirkungen verlangt weiterhin nach einer Definition des Technikbegriffes an sich, welche im zweiten Kapitel aus verschiedenen Ansätzen extrahiert wird. Da Technikfolgenabschätzung als gängiges Prinzip des Technikdiskurses anerkannt ist, soll sie auch in dieser Arbeit umschrieben werden und als theoretischer Rahmen dienen.

Im dritten Kapitel werden nach einem Abriss über die Verbreitung des Mobilfunks in Deutschland Studien vorgestellt, die Auswirkungen dieser Technik belegen. Dabei liegt die Konzentration auf den Punkten Mobilität, Koordination und Kommunikation im öffentlichen Raum. Dieses empirische Material wurde gewählt, um darzustellen, welche beobachtbaren Folgen der Mobilfunk als Medium hat. Auf der Basis der Goffman schen Vorstellung zur Selbstdarstellung werden die Ergebnisse als Zeichen der Gegenwart eingeordnet. Dem Erreichbarkeitsdilemma als vieldiskutierter Aspekt der mobilen Kommunikation wird dabei besonders Beachtung geschenkt.

Nachdem bereits ein Einblick in die bestehenden Mobilfunkangebote und deren Einfluss als Kommunikationstechnologie gegeben wurde, werden im vierten Kapitel in der Entwicklung befindliche Mobilfunktechniken und – dienste vorgestellt. Ziel ist es dabei, einen Eindruck von zukünftigen Möglichkeiten zu erlangen und die Bedeutung des Mobilfunks für die Gesellschaft der Zukunft aufzuzeigen. Anhand des Forschungsprojektes Ring&Ride wird eine zusammenfassende Prognose der Mobilfunkentwicklung gegeben werden.

Da der Mobilfunk als Technik effizienzsteigernden Prinzipien unterliegt, kann eine Diskussion der Technikentwicklung im Bereich der Computertechnologie und Künstlichen Intelligenz in dieser Arbeit nicht fehlen. Die Leitlinien technischer Überlegungen zur Mensch-Maschine-Symbiose werden auch den Mobilfunk bzw. die Entwicklung neuer Handytypen wesentlich beeinflussen und sollen hier nicht unbeachtet bleiben.

Sobald Auswirkungen von Techniken beobachtbar sind, sind sie nicht mehr abzuwenden. Prognostizierende Ansätze müssen demnach von dem Eintritt aller Möglichkeiten ausgehen und sowohl negative als auch positive Tendenzen diskutieren. Die zu diagnostizierende Überzeichnung medienphilosophischer Betrachtungen ist ein angemessenes Instrument, um eine Diskussion überhaupt erst anzuregen. Deshalb werden im sechsten Kapitel die Theorien Flusser s und Virilio s, sowie die Theorie des Transhumanismus vorgestellt. Die Zusammenfassung wird noch einmal unter allen hier erarbeiteten Gesichtspunkten die Tendenzen der Technikentwicklung und des Mobilfunks diskutieren.

Habermas schreibt, „dass wir gut daran tun, die normative Beurteilung der aktuellen Entwicklungen an Fragen zu kontrollieren, mit denen uns theoretisch mögliche [...] Entwicklungen eines Tages doch konfrontieren könnten“ (Habermas 2002, S. 39). Ganz im Sinne Habermas ´ wird in dieser Arbeit eine Eventualität diskutiert, die in Zukunft auf uns zukommen könnte. Die Beleuchtung verschiedener Positionen soll die Diskussion um die Vor- und Nachteile eines technisierten Menschen anregen. Der Mobilfunk wird an Bedeutung zunehmen: Die Vereinigung von Informations-und Kommunikationstechnologien wird aus dem Handy von heute einen multifunktionales Endgerät machen, dessen Besitz zum gesellschaftlichen Zwang werden könnte. Durch die Individualisierung des Menschen, werden virtuelle Netzwerke gesellschaftskonstituierend sein und der Anschluss an diese Gesellschaft wird durch mobile Apparate gesichert. Das Handy wird in diesem Status zum Identifikationsmerkmal des Menschen und die Wandlung des Handymenschen zum ‚Menschhandy’ scheint unausweichlich.

1 Die Weltgesellschaft und das Verständnis von Raum

1.1 Die Weltgesellschaft der Kommunikationen

Diskutiert man über den Mobilfunk und seine Bedeutung in der modernen Gesellschaft, ist es unablässig, diese Gesellschaft zu definieren. Da der Mobilfunk ein individualisierendes Instrument ist, das Kommunikation ermöglicht, soll Luhmann s Gesellschaftsbegriff dieser Arbeit als Basis dienen.

Luhmann spricht dann von sozialen Systemen, wenn

„Handlungen mehrerer Personen sinnhaft aufeinander bezogen werden und dadurch in ihrem Zusammenhang abgrenzbar sind von einer nicht dazugehörigen Umwelt. Sobald überhaupt Kommunikation unter Menschen stattfindet, entstehen soziale Systeme; denn mit jeder Kommunikation beginnt eine Geschichte die durch aufeinander bezogene Selektionen sich ausdifferenziert, indem sie nur einige von vielen Möglichkeiten realisiert“ (Luhmann 1975, S.9).

Er trifft bei dieser Definition eine wichtige Entscheidung zwischen System und Umwelt, wobei die Umwelt stets komplexer als das System sei. Denn erst aus den potentiellen Möglichkeiten der Umwelt wird das Thema der Kommunikation des sozialen Systems selegiert. Somit besteht die Funktion von Kommunikation in der Reduzierung von Komplexität (vgl. Luhmann 1975). In Kommunikations – bzw. Interaktionssituationen beruht die Reduktion auf Erwartungen. Da sich manche dieser Erwartungen immer wieder als angemessen erwiesen haben, nennt Luhmann sie „generalisierte Erwartungen“ (Luhmann 1984, S.140). Entgegen des normativen Gesellschaftsbegriffs von Parsons, welcher den Wertekonsens als systemerhaltend betrachtet, meint Luhmann, dass auch bei Ausfall bestimmter Leistungen ein soziales System weiter bestehen kann, in dem es den Ausfall durch „funktionale Äquivalente“ ersetzt (Abels 2001, S. 210). Er glaubt, dass soziale Systeme veränderbar und gestaltbar sind, dass durch die Erzeugung neuer Strukturen Probleme gelöst werden können. Dabei bringt die Selektion einer Möglichkeit auch den Ausschluss, die Negation einer anderen Möglichkeit mit sich. Probleme werden durch Strukturbildung, das heißt, durch die Reduktion von Komplexität gelöst (ebd., S. 211), soziale Systeme sind dann die Ergebnisse der Reduktion von Komplexität.

Eine kleinere Einheit der Systeme sind bei Luhmann einfache Sozialsysteme:

„Von ‚einfachen Sozialsystemen’ wollen wir nur dann sprechen, wenn Anwesenheit und wechselseitige Wahrnehmbarkeit Strukturmerkmal des Systems bleiben, die Grenzen des Systems also mit den Grenzen des Wahrnehmungsraumes zusammenfallen.“ (Luhmann 1975, S. 23)

Luhmann versteht face-to-face- Interaktionen als einfache Sozialsysteme. Aber in Anlehnung an dieses Verständnis soll auch die Telefonkommunikation zwischen zwei Personen als ein einfaches Sozialsystem betrachtet werden. Um dies zu tun ist es nötig, der Annahme zu folgen, dass auch bei der Telefonkommunikation eine Art nonverbaler Sprache existiert, die z.B. durch Gesprächspausen verwirklicht werden kann. Die Wahrnehmung setzt bereits eine Selektion aus allen potentiell wahrnehmbaren Begebenheiten voraus. Nach Luhmann s Vorstellung ist die Wahrnehmung stets schneller als die Sprache es je sein kann, denn bereits vor dem ersten Wort schätzen sich Interaktionspartner gegenseitig ein und sind sich darüber bewusst, dass auch ihre Wahrnehmung wahrgenommen wird (vgl. ebd.). Während aber dieses Wahrnehmen nur bei der face-to-face Kommunikation möglich ist, ist die erste Abschätzung des Interaktionspartners beim Telefonieren nur auf Grund seiner Worte möglich und weitaus mehr Fehlinterpretationen als die visuelle Wahrnehmung unterworfen. Der Wert von Aussagen, die am Telefon getroffen werden, kann schwer auf Grund von nonverbalen Äußerungen geschätzt werden. Telefoniert man im öffentlichen Raum mit jemandem, ergeben sich mindestens zwei einfache Sozialsysteme: Zum einen zwischen den Telefoniepartnern und zwischen dem Telefonierenden und den Menschen in seiner physischen Umgebung. Auf diesen Punkt wird anhand der Goffman schen Vorstellung von der Aktion auf einer Vorderbühne (vgl. Goffman 2003) später noch einmal eingegangen werden.

Nach Luhmann wird zur Reduktion von Komplexität in einfachen Sozialsystemen ein Thema der Kommunikation in einer Situation festgelegt, so dass andere, zu diesem Zeitpunkt keine Rolle spielende, Fragekomplexe außen vor bleiben und Kommunikation effektiv werden kann. Die „[T]hematische Konzentration dient als Bestimmung und Reduktion systemeigener Komplexität, als Prinzip der Verknappung zugelassener Möglichkeiten, das dann als Voraussetzung dient für alle höheren Ordnungsleistungen im System. Thematische Konzentration ermöglicht Vereinfachungen dadurch, dass jeweils nur ein Thema anerkannt und in Bewegung gehalten wird, so dass sich eine serielle Ordnung der Systemereignisse ergibt und Verschiedenheiten im Nacheinander ausgedrückt werden müssen.“ (Luhmann 1975, S. 24)

Die Definition der thematischen Konzentration entspricht in etwa Goffmans Vorstellung von der „Arbeitsübereinstimmung“ (Goffman 2003, S. 13).

Zusammengefasst sind folgende Feststellungen Luhmann s festzuhalten: Soziale Systeme entstehen, um die Komplexität der Welt zu reduzieren. In Kommunikationssituationen werden Selektionen getroffen und durch die thematische Konzentration erfolgt die Rahmensetzung einer Interaktion. Ein soziales System entsteht dann, wenn die Handlungen von Personen sinnhaft aufeinander bezogen sind. So kann demzufolge ein Telefongespräch als einfaches Sozialsystem betrachtet werden, in dem kommuniziert wird. Somit werden Telefongespräche gleich der face-to-face Kommunikation verstanden, der Hinweis auf veränderte Ansichten der nonverbalen Sprache soll dabei nicht unbeachtet bleiben.

Luhmann konzipiert einen Gesellschaftsbegriff, der sich aus einfachen Sozialsystemen zusammensetzt. Grundlage dieser sind mindestens zwei Interaktionsteilnehmer, die einander wahrnehmen. Die westliche Gesellschaft des 21. Jahrhunderts unterlag einer Herauslösung aus traditionellen Bezügen (vgl. Beck 1986) und ist nun eine pluralistische, individualisierte Gesellschaft. Die Kommunikation zwischen Einzelpersonen wird häufiger als die Kommunikation in Gruppen. Das Telefon als individualisierendes Gerät trägt demnach wesentlich zur Aufrechterhaltung dieser Gesellschaftsform bei und unterstützt die globale Vernetzung einzelner Punkte.

Mit dem Anwachsen inter- und transnationaler Beziehungen der Ökonomie, der Kultur und des Sozialen, scheinen räumliche Barrieren in der Welt zu verschwinden. Kontakte, Beziehungen, Handel – alles ist global möglich, unabhängig von der physischen Anwesenheit der Teilnehmer. Entgegen der vorelektronischen Zeit ist es möglich, ohne körperliche Anstrengung, geschweige denn zeitliche Investition, Gebirge zu überwinden und Meere zu überfahren. Es scheint einzig der Geist nötig zu sein, um zu kommunizieren. Der Geist und ein Apparat, der Informationen senden kann, der die Entfernungen dieser Welt übergeht, der das Ferne heranholt. Wenn Kommunikation, wie Luhmann es beschreibt, soziale Systeme konstituiert, kann man auf Grund der globalen Kommunikationsmöglichkeiten von einem Weltsystem, einer Weltgesellschaft sprechen: Wie aber wird in dieser Weltgesellschaft Komplexität reduziert? Muss man nicht annehmen, dass Kommunikation zwischen allen zu jeder Zeit zu einer Generalisierung sämtlicher Erwartungen führt und Lokalität vollends verloren geht?

„Sofern sie kommunizieren, partizipieren alle Teilsysteme an der Gesellschaft: Sofern sie in unterschiedlicher Weise kommunizieren, unterscheiden sie sich. Geht man von Kommunikation als der elementaren Operation aus, deren Reproduktion Gesellschaft konstituiert, dann ist offensichtlich in jeder Kommunikation Weltgesellschaft impliziert, und zwar ganz unabhängig von der konkreten Thematik und der räumlichen Distanz zwischen Teilnehmern.“ (Luhmann 1998, S. 150)

Luhmann geht davon aus, dass die weltweite Gleichschaltung der Medien zu einer Weltgesellschaft führt, denn Kommunikation ist bei ihm Gesellschaft. „Weltgesellschaft ist das Sich-ereignen von Welt in der Kommunikation“ (ebd.) und da Grenzen der Kommunikation zusehends verschwinden, existiert eine Weltgesellschaft. Auch Beck hat sich mit einem neuen Verständnis von Gesellschaft auf der Basis der Globalisierung beschäftigt.

Die Soziologie geht seit ihrer Entstehung zur Zeit der Nationalstaaten immer noch von der „ Container-Theorie der Gesellschaft “ (Beck 1997, S. 49) aus. Gesellschaft ist demnach immer die nationalstaatlich begrenzte Einheit. „Das heißt: Der soziologische Blick folgt der ordnenden Autorität – Macht und Gewalt – des Nationalstaats“ (ebd.). Liegt aber die Macht heute im Besitz und in der Erstellung von Informationen und in der Kommunikation, und sind diese global zu verwirklichen, verliert der Nationalstaat an Bedeutung, seine Grenzen scheinen zu diffundieren, und es entwickelt sich die Weltgesellschaft. Weltgesellschaft, Entgrenzung und Auflösung der Nationalstaaten werden im öffentlichen Diskurs unter dem Begriff Globalisierung zusammengefasst.

„Definieren lässt sich der Begriff ‚Globalisierung’ demnach im Sinne einer Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse am einen Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt.“ (Giddens 1995, S. 33)

Die Möglichkeiten der Kommunikation und des Einflusses über alle Grenzen hinweg führen zur Verkleinerung von Distanzen, nicht im physischen Sinn aber im zeitlichen. War es im Mittelalter ein Akt von Wochen eine Nachricht per Bote von Berlin nach Amerika zu schicken, ist es heute nur ein Anruf, ein Fax, eine Mail, die in weniger als einer Minute erledigt sein können. Doch nicht nur die Übertragung von Nachrichten, sondern auch Handel und Gesetzgebungen einer neuen globalen Art des Hier beeinflussen die Gegenwart des Dort. In diesem Sinne wandelt sich das Verhältnis von Raum und Gesellschaft.

„In vormodernen Gesellschaften fallen Raum und Ort weitgehend zusammen, weil die räumlichen Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens für den größten Teil der Bevölkerung und in den meisten Hinsichten von der ‚Anwesenheit’ bestimmt werden: an einen Schauplatz gebundene Tätigkeiten sind beherrschend.“ (Ebd., S. 30)

Versammlungsöffentlichkeit wurde in ihren Anfängen auf der ‚agora’, dem Stadtplatz des antiken Athens[2], zelebriert und stellte durch die Möglichkeit der öffentlichen Debatte, mit Rede und Gegenrede, das Fundament für die Demokratie und die modernen Gesellschaften. Heute ist Öffentlichkeit durch die Massenmedien monologisch repräsentiert. Durch die Globalisierung sind die Menschen zunehmend aus den traditionellen Lebenswelten herausgelöst und auf sich selbst gestellt. Ulrich Beck hat in diese Diskussion seine vielzitierte und -kritisierte Individualisierungsthese eingebracht und beschreibt einen Prozess der „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen“ (Beck 1986, S. 206), den „ Verlust von traditionellen Sicherheiten “ (ebd.) und gleichzeitig die Einbindung in neue Kontrollprozesse (vgl. ebd.). Diese neuen Einbindungen geschehen in der weltweiten Vernetzung von Wirtschaft und Kommunikation. Die Moderne geht somit einher mit der Zerstörung kleinräumiger traditioneller Lebenswelten, befreit das Individuum gleichzeitig aber auch von der Enge dieser Lebenswelten[3] (vgl. ebd.).

Helmut Willke nimmt in seinem Buch Atopia eine neue Form der Gesellschaft an, die man ähnlich der Weltgesellschaft von Luhmann verstehen kann. Willke unterstützt seine These einer Gesellschaft ohne Grenzen mit dem dreigeteilten Kommunikationsbegriff von Luhmann, der sagt, dass Kommunikation ein Selektionsprozess ist, der aus Information, Vermittlung und Verstehen besteht (vgl. Luhmann 1984). Damit wendet sich Luhmann vom Sender-Empfänger-Modell ab und wendet sich der Vorstellung zu, dass Bedeutung erst in den Köpfen der Kommunikanten entsteht, dass Wirklichkeiten konstruiert werden (vgl. Berger/Luckmann 1984).

„Kommunikation transportiert nicht fertige Bedeutungselemente, sondern medial dekomponierte Signalsequenzen, die im mentalen System nach dessen Regeln, Kriterien und Erfahrungen zu Bedeutungen [...] aufbereitet werden.“ (Willke 2001, S. 124f.)

Kommunikation setzt demnach an der Differenz von Wissen und Nicht-Wissen an, durch Kommunikation ist es möglich, dass ego alter Dinge mitteilen kann, die alter nicht selbst erst erfahren und in einem evolutionären Prozess verstanden haben muss. Voraussetzung ist, dass beide durch das Medium Sprache kommunizieren können: Eigene Erfahrungen können durch Sprache zu externen Erfahrungswerten werden, die wieder an andere übermittelt werden.

„Zum einen expandiert die Generierung neuen relevanten Wissens aus dem Wissenschaftssystem heraus in alle denkbaren gesellschaftlichen Bereiche und vervielfältigt sich in ‚multiple centers of expertise’, die operatives Wissen produzieren und verwalten und die somit in den gesellschaftlich umfassenden Prozess der Allokation und Dislozierung von Wissen eingreifen. Wissen wird von ‚Wahrheit’ zu einer Ressource, die nicht mehr im gemächlichen Tempo des Wissenschaftssystems als Folge eines zweckfrei gedachten Erkenntnisprozesses abfällt, sondern unter Bedingungen globaler Konkurrenz auf Umsetzung von Inventionen in Innovationen zielt.“ (Ebd., S. 128f.)

Willke beschreibt also eine grenzenlose auf Wissensmanagement basierende Gesellschafts-form und definierte diese Gesellschaft wie folgt:

„Von einer Wissensgesellschaft oder einer wissensbasierten Gesellschaft lässt sich sprechen, wenn die Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhängigen Operationen durchdrungen sind, dass Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensysteme gegenüber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden.“ (Ebd., S.129)

Werden Wissen und Information zum axialen Prinzip (vgl. Löffelholz/Altmeppen 1994, S. 574) in einer Zeit der elektronischen Datenübermittlung, wird Gesellschaft global, denn diese Güter sind unabhängig von Zeit und Raum zu transportieren. Und werden Wissen und Information zu den kapitalistischen Gütern der Gesellschaft, wird Kapitalismus selbst aus nationalstaatlichen Grenzen gehoben und global.

„Nachdem allenthalben [...] das Ende des Nationalstaates ausgerufen ist, nachdem mit Globalisierung, Digitalisierung, weltweiter Vernetzung und Interdependenz, globalen Kommunikationsinfrastrukturen, weltweiter Real-Time-Berichterstattung und realer globaler Erreichbarkeit über eine Iridium-Nummer der souveräne Nationalstaat zum Erinnerungsstück eines vergangenen Jahrhunderts geworden ist, macht sich eine territorial delimitierte und denkende Soziologie nur noch lächerlich.“ (Willke 2001, S. 122)

Gesellschaft soll demnach als Weltgesellschaft der Kommunikationen verstanden sein, die keine Grenzen kennt, außer denen der elektronischen Übertragungsmöglichkeiten von Daten. In dieser Gesellschaft ohne Grenzen seien die Individuen gleich Nervenzellen in einem Gehirn, einzelne Punkte, die durch Impulse aktiviert und durch Datenübertragungssysteme miteinander vernetzt sind. Diese Anschauung entwertet die face-to-face Kommunikation und die Bedeutung des realen Raumes, auf den im nächsten Abschnitt eingegangen werden soll.

1.2 Raum in der entgrenzten Gesellschaft – Die Zusammenkunft des visuellen und virtuellen Raums

Mit der Entgrenzung bzw. Ausweitung der Lebenswelten und der Globalisierung tritt die Debatte um die Bedeutung des Raumes auf. Dieser wird in der sozialgeografischen Diskussion allerdings nicht als physischer Raum, sondern als Raum, in dem sich soziale Gebilde und Individuen konstituieren, verstanden. Raum soll demnach in dieser Arbeit als sozialer Raum verstanden werden, denn wie Simmel bereits bemerkte reicht die Definition eines geografischen Raumes nicht aus, um Gesellschaften zu beschreiben.

„Ein geografischer Umfang von so und so vielen Quadratmeilen bildet nicht ein großes Reich, sondern das tun die psychologischen Kräfte, die die Bewohner eines solchen Gebietes von einem herrschenden Mittelpunkt her politisch zusammenhalten.“ (Simmel 1983, S. 221)

Demnach ist der geografische Raum lediglich eine Form, deren Inhalte aber durch andere Prozesse als geografische bestimmt werden. Simmel nimmt als gesellschaftsbestimmend nicht den Raum an sich an, sondern die Beziehung zu Nähe und Ferne (vgl. ebd.). In einer Weltgesellschaft, in welcher Nähe zu jeder Zeit herstellbar ist, scheint der Raum als geografisches Muster keine Rolle mehr zu spielen und muss durch eine sozialtheoretische Definition beschrieben werden: Raum ist dann konstruierte Grenze der Wirklichkeit.

Anthony Giddens beschreibt die Veränderung des Raumes in der Moderne als eine Entleerung (vgl. Giddens 1995, S. 29 ff.), da soziale Beziehungen ortsunabhängig und entbettet werden (vgl. ebd.).

„Unter Entbettung verstehe ich das ‚Herausheben’ sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen und ihre unbegrenzte Raum-Zeit-Spannen übergreifende Umstrukturierung.“ (ebd., S. 33)

Werlen schreibt dazu:

„Entleerung von Raum und Zeit meint [...], dass beide für die Handlung nicht mehr sinnkonstitutiv sind. [...] Diese Loslösung von Bedeutungs-gehalten des Handelns von räumlichen und zeitlichen Komponenten ist als Ausdruck des Erkennens der Differenz von Begriff und bezeichnetem Gegenstand zu sehen; als Trennung des Symbols vom symbolisierten Gehalt.“ (Werlen 1997, S.112)

Wenn also soziale Beziehungen aus dem Raum entankert sind und eine „Entleerung von Zeit und Raum“ (Werlen 1995, S. 235) zu verzeichnen ist, soll Raum hier in einer konstruktivistischen Art als eine „gedankliche[...] Repräsentation [...] der Dinge“ (ebd.) verstanden werden.

Castells hat sich in seinen viel beachteten Büchern zur Netzwerkgesellschaft ebenfalls mit einer Theorie des Raumes beschäftigt (vgl. Castells 2001) und festgestellt, dass die neuen Kommunikationssysteme zu einer „Abkopplung räumlicher Nähe von der Durchführung alltäglicher Lebensfunktionen“ (Castells 2001, S. 449) führen. Raum wird von Castells als Ausdruck der Gesellschaft verstanden und es liegt die Überlegung nahe, dass, wenn sich Gesellschaft verändert, auch Raum transformiert wird.

„Vom Standpunkt der Sozialtheorie ist Raum die materielle Grundlage gleichzeitiger sozialer Praxisformen, die eine gemeinsame Zeit haben. [...]. Mit der zeitlichen Gemeinsamkeit der Praxisformen beziehe ich mich auf die Tatsache, dass der Raum diejenigen Praxen zusammenbringt, die zeitlich simultan sind. Es ist die materielle Verbindung dieser Gleichzeitigkeit, die dem Raum gegenüber der Gesellschaft Sinn verleiht. Traditionell wurde die Vorstellung mit Nähe in Verbindung gebracht.“ (Ebd., S. 467)

Der Autor versucht nun, diesen Raumbegriff und den Begriff der Nähe voneinander zu trennen und behauptet, dass die gemeinsamen Praxisformen in der Netzwerkgesellschaft auf Strömen begründet sind.

„Unter Strömen verstehe ich zweckgerichtete, repetetive, programmierbare Sequenzen des Austauschs und der Interaktion zwischen physisch unverbundenen Positionen, die soziale Akteure innerhalb der wirtschaftlichen, politischen und symbolischen Strukturen der Gesellschaft einnehmen.“ (Ebd.)

Wenn Castells Interaktionen als Ströme versteht, werden „Örtlichkeiten […] entkörperlicht und verlieren ihre kulturelle, historische und geografische Bedeutung [...]. Dadurch entsteht ein Raum der Ströme anstelle eines Raums der Orte“ (ebd., S. 429). Für das Verständnis von Zeit bedeutet dies, dass „in der Netzwerkgesellschaft der Raum die Zeit organisiert“ (ebd., S. 431). Der Raum ist somit „ kristallisierte Zeit “ (ebd., S. 466) und ergibt sich nur, wenn verschiedene Akteure gleichzeitig zusammentreffen.

Der Raum der Ströme wird durch drei Ebenen konstruiert: Auf der ersten Ebene findet man die Geräte, die den Raum der Ströme erst ermöglichen, das heißt, Telekommunikations-apparate, Funk, Internet, et cetera. Sie bilden die materielle Basis für den Raum durch den „ Kreislauf elektronischer Mitteilungen “ (ebd., S. 467). Der Raum an sich wird erst durch die Verbindungen definiert. Castells stellt hier den Vergleich mit benachbarten Städten an, die erst durch Verbindungen (z.B. Eisenbahn, Fernverkehrsstraßen) zur Wirtschaftsregion werden. Auf der zweiten Ebene des Raums der Ströme sind „ Knoten und Zentren “ (ebd., S. 468) zu finden, die Orte mit sozialen Funktionen. Knoten und Zentren sind mit dem gesamten Netzwerk verbunden. Dennoch gibt es auch im Raum der Ströme Orte, die nicht an das Netzwerk gekoppelt sind. Im Moment der Abkopplung unterliegen diese allerdings dem „wirtschaftlichen, sozialen und physischen Verfall“ (ebd.). Je nach Funktion eines Netzwerkes werden die bevorzugten Knoten bestimmt. Nach Castells verbinden Netzwerke die Orte unserer Gesellschaft und ermöglichen einem jeden Angeschlossenen die Teilnahme an der Kommunikation. Auf der dritten Ebene ordnet Castellsdie räumliche Organisation der herrschenden Führungseliten “ (ebd., S. 470) an und er schreibt, dass Eliten dabei kosmopolitisch und einfache Leute lokal agieren. Macht und Kapital sind global verbreitet und vernetzt, während die Lebenserfahrungen einfacher Leute lokal sind. Da die Welt aber von globalen Mechanismen regiert wird, wird die Lokalität des Ortes überlagert (vgl. ebd., S. 471). Eliten bilden eigene Netzwerke, eigene Räume und aus Mikronetzwerken wird ein Makronetzwerk, eine Weltgesellschaft.

Nichtsdestotrotz leben die Menschen nicht nur in einem virtuellen Netzwerk sondern an realen Orten.

„Weil aber Funktionen und Macht in unseren Gesellschaften im Raum der Ströme organisiert sind, verändert die strukturelle Herrschaft seiner Logik die Bedeutung und die Dynamik von Orten entscheidend.“ (Ebd., S. 484)

Castells konstatiert eine „strukturelle Schizophrenie“ (ebd.), denn die Herrschaft beruht auf dem

„vernetzte[n], a-historischen Raum [...], der darauf abzielt, seine Logik den verstreuten, segmentierten Orten aufzuzwingen, die immer weniger Bezug zueinander haben und daher auch immer weniger in der Lage sind, kulturelle Codes miteinander zu teilen“ (ebd.).

Nach Castells Ansicht leben wir alle in einem „ hyperspace “ (ebd.), der sich aus dem Zusammen des Raums der Orte und des Raums der Ströme ergibt. Wir sind demnach physisch an einen Ort gebunden, psychisch aber in einem Raum der Ströme, der keine physischen Orte benötigt. Castells Hyperspace ist gekennzeichnet durch die Möglichkeit der Überlagerung virtueller und visueller Räume, wobei visuelle Räume, diejenigen bezeichnen, in denen man seine Interaktionspartner in Fleisch und Blut sehen kann. Durch moderne Kommunikationssysteme kann man gleichzeitig mit jemandem reden und in einem virtuellen Raum chatten oder telefonieren. Der virtuelle Raum des Internets soll als Cyberspace betitelt werden, während der Raum telefonischer Interaktion, telekommunikativer Raum genannt werden soll. Beide sind durch die physische Abwesenheit der Interaktionspartner gekennzeichnet.

Zusammenfassend soll die westliche Gesellschaft des 21. Jahrhunderts als geschlossenes Weltsystem betrachtet werden, in dem die Menschen lokal und global agieren. Lokalität sei verbunden mit dem Aspekt der realen, sprich visuellen Anwesenheit, Globalität dagegen sei durch virtuelle Anwesenheit gekennzeichnet. Virtuelle Realität sei dabei verstanden als Code der Realität, wie es auch die Sprache ist. Das heißt, dass auch virtuelle Realität Wirklichkeit sei, aber durch reale-visuelle Abwesenheit der Interaktionspartner ausgezeichnet ist. Die Forderungen einer globalisierten kapitalistischen Gesellschaft bedingen den Zwang zur Erreichbarkeit. Dieser wiederum führt zu einer Entwertung des visuellen Raums gegenüber dem virtuellen Raum. Die Herausbildung einer Gesellschaft zweier Realitäten bzw. sich überschneidender Räume basiert auf der Entwicklung von Technologien, die es ermöglichen Information und Wissen unabhängig von territorialen und natürlichen Hindernissen zu transportieren. Die atopische Netzwerkgesellschaft ist demnach Folge der Entwicklung elektrotechnischer Datenübertragung. Um einen derartigen technisch-soziologischen Gesellschaftsbegriff zu vertreten ist es nötig, Technik als Gegenstand der Betrachtung zu definieren.

2 Technik und Technikfolgenabschätzung

2.1 Der Technikbegriff in der Diskussion

Als Basis der Diskussion um Technik und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft soll eine einfache Definition des Begriffes ‚Technik’ an dieser Stelle einem herkömmlichen Lexikon entnommen werden. Technik ist darin,

„die Verfügung über Methoden rationellen, insbesondere industriellen Produzierens sowie die Erweiterung des Aktionsradius des Menschen durch planmäßige Ausnutzung der durch die Naturgesetze gegebenen Möglichkeiten“ (Wissen Media 2002, S. 909).

In dieser Definition wird Technik als das Wissen um technische Artefakte verstanden.

Im Folgenden möchte ich auf historische Vorstellungen von Technik kurz eingehen, um zu verdeutlichen, in welchem Maße Technik sich als gesamtgesellschaftliches Phänomen ausgeweitet hat. Beginnend bei der antiken Betrachtung von Technik als Naturimitation, über den Technikbegriff im Mittelalter und der Renaissance, zur Technik im Zeitalter der industriellen Revolution, soll eine Basis für die Definition der Technikrolle im 21. Jahrhundert geschaffen werden.

Die antike Vorstellung von Technik betrachtet diese als eine „Form des Verstehens von Natur“ (Halfmann 1996, S. 21). Natur wird als gegeben angesehen, als statische Kosmologie, die durch Technik nicht verändert werden kann. „Die Bewegung der Natur hat ein Ziel: den Ruhezustand der perfekten Ordnung“ (ebd.). Technik folgt als Abbild der Natur diesem Ziel. Die Vorstellung im antiken Griechenland war, dass Technik jeweils das schafft, was die Natur geschaffen hätte, wäre sie dazu in der Lage gewesen (vgl. ebd., S. 22f.). Das Verständnis von Technik war also naturgebunden und deterministisch. Luhmann beschreibt Technik in der Antike als „Parallelaktion zur göttlichen Schöpfung oder als Copieren [sic!] der Archetypen, die in der göttlichen Schöpfung vorgesehen waren“ (Luhmann 1998, S. 520). Aristoteles ’ Technikverständnis der Technik als „kontrollierten Gestaltwandel“ (Halfmann 1996, S. 33) behielt bis zum 17. Jahrhundert seine Bedeutung.

Durch den Siegeszug des Christentums wurde dem Menschen eine besondere Stellung in der göttlichen Schöpfung zugeteilt. Somit stand dieser über der Natur und konnte zu ihrem Beherrscher werden. Natur ist in dem christlichen Verständnis nicht aus sich selbst erklärt, sondern bekommt ihre Funktion erst durch Gott. Der Mensch, der nun in diese Natur hineingestellt wird, muss sich mit ihr auseinandersetzen und wird zum Schöpfer seiner Umwelt. Dabei ist das Ziel nicht wie in der Antike der Ruhezustand der Natur, sondern die Arbeit an einer Weiterentwicklung, an der Perfektion der göttlichen Schöpfung (vgl. ebd., S. 34f.). Im Mittelalter schlug sich diese neue Vorstellung von Gott und der Welt in den Wissenschaften der Alchimie und Astrologie nieder. Der Weg von der antiken Vorstellung der Nachahmung der Natur zur Schöpfung einer anderen Natur durch Kunst und Technik war allerdings noch lang. Im Mittelalter war das Weltbild weitestgehend theologisch und die Idee der Schöpfung einer anderen, nicht-göttlichen Natur war blasphemisch, verwerflich, ketzerisch.

„Erste Anzeichen für den Übergang von einem naturgestaltenden, schöpferischen Gebrauch von Technik lassen sich dort finden, wo Technik mehr oder weniger systematisch in Verbindung mit Forschung – also der Erzeugung neuen Wissens und ‚neuer Natur’ - gebracht wurde.“ (Ebd., S. 28)

Die Idee einer ‚neuen Natur’ kann erst dann auftauchen, wenn man die Natur nicht perfektionieren will, sondern wenn man eine bessere Natur erzeugen möchte. Die Loslösung von der Natur und die Schaffung eines neuen Ausrichtungssystems beschreibt Halfmann einleuchtend mit der Erfindung der mechanischen Uhr und der Konzeption einer Weltzeit[4]. Denn diese hat mit natürlichen Bedingungen nur noch wenig zu tun und wird als „mechanische Zeitmessung“ (ebd., S. 58) gesehen. Die Loslösung der Wissenschaft und Technik vom Diktat der Religion und Natur machte erst die Ausbreitung der heutigen Technik möglich.

Heute wird Technik in der Kunst meist als Fertigkeit verstanden, ansonsten sei sie „die Gesamtheit technischer Hilfsmittel, Fertigkeiten und Verfahrensweisen, die [...] zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehen“ (Becker-Schmidt 1989, S. 21). Diese Definition erfasst Technik in drei Ebenen: der Gesamtheit der technischen Mittel, der Prozesse der Fertigung und des Wissen um die Fertigung und der Handhabung der Technik. Aus dieser Definition geht weiterhin hervor, dass Technik „als Teil der gesellschaftlichen Produktivkräfte und Ausdruck kultureller und zivilisatorischer Zeitverhältnisse“ (ebd.) zu sehen ist. Technik soll weiterhin als nützlicher, gewerblicher Begriff verstanden werden. Becker et al. merken an, dass in der Sichtweise der Nützlichkeit der Technik scheinbar die reflektierende Instanz fehlt, dass Technik nicht auf ihre Folgen untersucht wird, sondern stets das Machbare verwirklichen soll. „Unbeherrscht droht zu werden, was in sich selbst keine Maßstäbe für Ziele und Folgen entwickelt, sondern nur die Möglichkeiten allein als Richtschnur des Machbaren anerkennt“ (ebd., S. 18). Die Beschreibung des Begriffes ist aus der Kunst in die Ingenieurs-wissenschaften übergegangen, und Technik wurde zu dem, was angewandt, was nützlich ist[5]. „Das Verhältnis des Menschen zur Selbst-Verständlichkeit und Gegenständlichkeit wird ein verzerrtes, wenn der Nutzen zum Maßstab der Umwelt wird“ (ebd., S. 22). Becker et al. bemerken, dass Technik in der heutigen Form nicht mehr einfach nur als Werkzeug des Menschen, als dem Menschen außerhalb, gesehen werden kann, sondern auf Grund ihrer Omnipräsenz mit dem Menschen interagiert, dass Technik zum Teil der Gesellschaft wird, dass Technik Gesellschaft formt. Aus diesem Grund werden die Begriffe Technik und Technologie, die eigentlich das Wissen um Technik getrennt von den Artefakten beschreibt, äquivalent verwendet[6].

In der soziologischen Diskussion um Technik haben sich einige Theorien durch-gesetzt, die im Folgenden kurz beschrieben werden sollen. Die Position des Technikdeter-minismus besagt, dass sich die Technik auf Grund einer oder mehrerer Determinanten eigenständig entwickelt und durch den Menschen nur reaktiv beeinflusst werden kann. So gehen marxistische Ansätze davon aus, dass Technik zur Profitmaximierung entwickelt wird[7], anthropologische Ansätze bezeichnen den Menschen als Mängelwesen, dem durch die Technik geholfen wird. Ursache der Technikgenese ist in diesen Anschauungen ein bestimmter Faktor und die Technik entwickelt sich auf Grund dessen in eine Richtung. Für das Konzept einer Technikfolgenabschätzung ist die Theorie des Technikdeterminismus deprimierend, da diese nur noch verspätet einsetzen kann und Technik nicht mitentwickelt, sondern allenfalls umlenkt (vgl. Rammert 1993). Die Idee des einseitigen Determinismus muss bei der Betrachtung von Technik im 21. Jahrhundert aber durchbrochen werden, denn es ist seit der Erfindung des Buchdrucks unbestreitbar, dass Technik die Gesellschaft verändert[8] und diese wiederum Auswirkungen auf die Entwicklung von Technik hat. Demnach gibt es Wechselwirkungen zwischen Technik und Gesellschaft und Technik kann nicht als eigenständiges, gesellschaftsunabhängiges System verstanden werden.

Während sozialkonstruktivistische Techniktheorien von der Wechselwirkung Mensch-Technik ausgehen und die Steuerung der Technik durch den Menschen als machbar ansehen, verstehen systemtheoretische Ansätze Technik als autopoietisches Teilsystem, wie es Luhmann beschrieben hat. Rammert sieht Technik und Gesellschaft eng miteinander verknüpft und beschreibt Technik selbst als sozialen Prozess (vgl. ebd.). Somit geht er davon aus, dass Technik und Gesellschaft interdependent sind. Luhmann versteht Technik als eigenständiges System, welches sich als zweite, eigenständige Natur herausgebildet hat (vgl. Luhmann 1998, S. 522f.). Auf dieser Basis glaubt er nicht, dass die Technik den Menschen beherrscht, sondern dass der Mensch sich von ihr abhängig macht (vgl. ebd., S. 523). Außerdem merkt Luhmann Folgendes an:

„Technik ermöglicht keine immer bessere Anpassung der Gesellschaft an ihre Umwelt, wie sie ist. Sie dient mit der Vermehrung von Optionsmöglichkeiten der Entfaltung der Eigendynamik des Gesellschaftssystems.“ (Ebd., S. 535)

Er betrachtet Technik als ein eigenständiges System, dessen Rückwirkungen die Gesellschaft ungesteuert treffen. Aus Luhmann s Betrachtungen zur Technik soll die Annahme der Technik als eigenständiges System entnommen werden, wobei aber nicht davon ausgegangen wird, dass dieses System nicht vom Menschen zu beeinflussen ist. Will man die Frage klären, wer wen beeinflusst, die Technik den Menschen, oder der Mensch die Technik, kann man William Ogburn s Vorstellung des cultural lag heranziehen. Dieser Begriff besagt, dass die technische Entwicklung der gesellschaftlichen Einbettung immer voraus ist (vgl. Ogburn 1992). Auf Grund sich immer schneller entwickelnder Technologien kann die Anpassung gesellschaftlicher Normen immer erst verspätet erfolgen. Diese Herangehensweise zeigt auf, dass sich Gesellschaft dann der Technik anpasst, da diese zum einen das Tempo und zum anderen das Machbare vorgibt. Andererseits kann man argumentieren, dass sich Technik an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert und somit nach dem Menschen richtet.

Festzuhalten ist demnach, dass eine bereits etablierte Technik gewissermaßen nur noch nachreguliert werden kann. Demzufolge passen sich gesellschaftliche Prozesse dann der Technik an. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass eventuelle Folgen prognostiziert und gelenkt werden.

Am Ende dieser Betrachtungen soll der Technikbegriff von Werner Rammert verwendet werden, da dieser von der gegenseitigen Einflussnahme von Mensch und Technik ausgeht. Methoden der Technikfolgenabschätzung können nicht effizient sein, wenn man von vornherein an die Autopoiesis des technischen Systems glaubt. Rammert versteht Technik als die „Verfahren und Einrichtungen“ (Rammert 2000, S. 42), die Leistungen steigern und beachtet in seiner Definition sowohl die technischen Artefakte wie auch die Kenntnisse des Umgangs mit der Technik. Dabei legt er Technik nicht mehr als stoffliche Objekte fest, sondern beschreibt sie als

„ein formales Operationsschema, das die stoffliche, energetische und informationelle Transformation von gegebenen Inputs in gewünschte Outputs eindeutig regelt“ (Rammert 1993, S. 13).

Neben dieser Beschreibung von Technik als rationale Umwandlung von Eingaben in Ausgaben definiert Rammert Technik auch als sozialen Prozess:

„Aus technikgenetischer Perspektive erscheint Technik als sozialer Prozess der graduellen Technisierung von Wahrnehmungs- und Handlungsvorgängen, in dem aus der praktischen Erfahrung Schemata des Wirkens herausgebildet, diese unter funktionalen Gesichtspunkten zu komplexen technischen Gebilden kombiniert und zur Steigerung von Leistungen dauerhaft und anerkannt genutzt werden.“ (Rammert 2000, S. 42)

Technik sei demnach verstanden als evolutionäre Errungenschaft, die Komplexität reduziert, um Vielfältigkeit und Leistungssteigerung zu schaffen (vgl. Luhmann 1998, S. 505ff.). Die evolutionäre Errungenschaft wurde von Menschenhand geschaffen und ist von dieser beeinflussbar. Die Betrachtung von Technik und Gesellschaft sollte dann stets aus zwei Richtungen erfolgen: der technisch-funktionalen und der human-moralischen.

2.2 Neue Technologien und Technikfolgenabschätzung

Das Aufkommen neuer Techniken bringt immer Diskussionen um die Vor- und Nachteile mit sich. „Jede Technik ist beides, eine Bürde und ein Segen; es gibt hier kein Entweder – Oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch“ (Postman 1992, S. 12). Neue Technologien[9] sind als „Querschnittsinnovationen“ (Von Alemann/Schatz 1987, S. 24) zu verstehen, da sie nicht nur für einzelne privilegierte Bevölkerungsschichten nutzbar sind, sondern integrierend wirken. So kann der Anschluss ans Internet neue soziale Kreise eröffnen und das Telefon helfen, Kontakte auch über weite Entfernungen zu halten. Die Rasanz der Verbreitung der neuen Technologien kann auf Grund verschiedener Entwicklungstendenzen erklärt werden: Die neuen Technologien sind auf Grund ihres weiten Einsatzfeldes als universal zu betrachten. Die rasante Entwicklung der Technologie und die Unterstützung der entsprechenden Forschungsprogramme erhöhen die Verbreitungsgeschwindigkeit der neuen Technologie genauso wie deren Diffusion. Da der Mikroprozessor recht günstig herzustellen ist, sind die neuen Apparate bald für jedermann zu erwerben. Aufgrund dieser Eigenschaften - Universalität, Entwicklungs- und Verbreitungsgeschwindigkeit und Wirtschaftlichkeit - sind die neuen Technologien allerdings einem ständigen Wandel unterworfen und somit sehr anfällig für Störungen. „Die Vernetzung der Informationsgesellschaft bewegt sich auf einem dünnen Eis [...]“ (ebd., S. 25). Auch ist es auf Grund der Komplexität der Technik nur wenigen möglich, diese umfassend zu durchschauen, soziale Reglementierung wird somit schwierig. Von Alemann und Schatz merken des Weiteren an, dass, während frühere Technik den Menschen entlastete, die Informations- und Kommunikationstechnologien Fähigkeiten des Menschen erweitern und übernehmen, laut den Autoren kommt es zu einer „[m]entale[n] Transformation“ (ebd., S. 26). Wenn Technologien die kognitiven Strukturen der Menschen ändern bzw. wenn sich diese durch den Einsatz der Technik wandeln, hat dies nicht nur Einfluss auf individuelle, sondern auch auf gesellschaftliche Prozesse (vgl. ebd., S. 25f.). Von Alemann und Schatz haben diese Tatsache bereits 1987 erkannt und plädierten für die Demokratisierung der Technikentwicklung und – anwendung (vgl. ebd., S. 23), das heißt, dass die Nutzer von Techniken über deren Vor- und Nachteile aufgeklärt werden und als „partizipatorische[s] Element“ (ebd., S. 22) an der Konzeption, Entwicklung und Kontrolle von Technik teilhaben sollen. Aus diesen Vorhaben hat sich die Techniksoziologie als wissenschaftliches Fach herausgebildet, die man in Technikgenese (Untersuchung der sozialen Bedingungen von technischen Entwicklungen) und Technikfolgenabschätzung (Untersuchung sozialer Auswirkungen von Technik) unterteilt (vgl. Rammert 1993, S. 9).

Die ersten Diskussionen von Technikfolgenabschätzungskonzepten gab es in den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten. Ziel war es, die Auswirkungen der Technik zu identifizieren und zu verstehen, sowie auf Grund der Ergebnisse Aussichten für die Zukunft zu prognostizieren. Prognosen seien dabei wie folgt verstanden:

[...]


[1] Der Diskurs um Informations-und Kommunikationstechnologien wird zu einem großen Teil in englicher Sprache geführt. Die Abkürzung für information- and communicationtechnologies ist deshalb auch oft ICTs. In dieser Arbeit soll allerdings das deutsche Äquivalent benutzt werden.

[2] Zur Rolle der Öffentlichkeit äußerte sich Roman Schaffhauser in seinem Aufsatz Öffentlichkeit und soziale Bewegungen von 1997: Darin definiert und beschreibt er einen Öffentlichkeitsbegriff und attestiert der modernen Gesellschaft eine neue Art durch die Massenmedien repräsentierte Öffentlichkeit (vgl. Schaffhauser 1997).

[3] Eine genaue Betrachtung der Folgen der Moderne unternimmt Richard Münch in seinem Buch Dynamik der Kommunikationsgesellschaft. Seine These ist, dass durch den Zwang zur Kommunikation Worte an Wert verlieren, zu Schlagworten mutieren und eine Inflation der Sprache von statten geht (vgl. Münch 1995).

[4] Luhmann hat die Entwicklung der Weltzeit als die Basis der „Umrechenbarkeit aller Zeitperspektiven“ (Luhmann 1998, S. 148) verstanden. Erst dadurch ist es möglich, dass man jederzeit mit jedem kommunizieren kann (vgl. ebd.).

[5] An dieser Stelle wird von Becker-Schmidt auf die Unterscheidung von ‚reinen’ und ‚angewandten’ Wissenschaften, wobei die angewandten Wissenschaften die nützlichen sind (vgl. Becker-Schmidt 1989: 22).

[6] Diese Verwendung der Begriffe wird auch in der Alltagssprache bereits betrieben, wenn von z.B. von einer neuen Mobilfunktechnologie gesprochen wird, obwohl im eigentlichen Sinne eine neue Technik gemeint ist.

[7] Rammert betont, dass Marx` Technikansatz nicht einseitig deterministisch war, da Marx bekanntlich die Produktivkräfte und Produktivverhältnisse in ihrem Zusammenspiel betrachtete. Technik entwickelt sich nach Marx nicht von allein in eine Richtung, sondern wird durch die Organisation der Arbeitskräfte darin unterstützt (vgl. Rammert 1993, S. 14ff.).

[8] Mit der Erfindung des Buchdrucks und der massenhaften Verbreitung dieser Technik wurden die Grundsteine für das Zeitalter der Informationsgesellschaft gelegt. Da seit dieser Zeit Bildung den Menschen gesellschaftsfähig machte, wurden Schulen gegründet, es entwickelte sich, wie Neil Postman es beschrieben hat, die Idee der Kindheit, usw. (vgl. Postman 2000).

[9] Von Alemann und Schatz fassen die neuen Technologien als solche mit Mikroprozessortechnik zusammen und beschreiben den Weg dieser Technologien. Anliegen ihres Buches Mensch und Technik ist es, den Einfluss dieser Technologien auf das Arbeitsleben zu untersuchen und einen sozialverträglichen Umgang mit der Technik zu gestalten (vgl. von Alemann/Schatz 1987).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836615853
Dateigröße
999 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – Philosophie, Geschichte und Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,6
Schlagworte
techniksoziologie virtueller raum kommunikationstheorie mensch-maschine-symbiose
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Titel: Vom Handymenschen zum Menschhandy
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