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Konzept zur Existenzsicherung im Krankenversicherungsmarkt

Dargestellt am Beispiel mittelständischer Betriebskrankenkassen

©2007 Studienarbeit 72 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Diese Studienarbeit befasst sich mit Chancen und Risiken mittelständischer Betriebskrankenkassen im zukünftigen Krankenversicherungsmarkt. Die in Ihrer Anzahl von keiner anderen Kassenart übertroffen aber individuell betracht deutlich weniger mitgliederstarken Betriebskrankenkassen stehen vor ihrer bislang größten Herausforderung: Der bereits seit einigen Jahren laufende Konzentrationsprozess wird durch verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen bedingt weiter an Fahrt aufnehmen. Die Behauptung, nur große Kassen können eine ausreichende Versorgung sicherstellen und die Anzahl der Kassen liege zudem weit über dem tatsächlichen Bedarf, stellt die Existenz vieler dieser Kassen daher zukünftig mehr denn je in Frage.
Der Verfasser geht von Annahme aus, dass mittelständische Betriebskrankenkassen ohne tief greifende Veränderungsprozesse nur geringe Chancen auf eine langfristige Existenzsicherung in einem nach Schaaf zukünftig von Versorgungs- und Kundenbeziehungsmanagement dominierten Wettbewerb haben. Neben einer kritischen Prüfung der politisch angestrebten Wettbewerbsstärkung durch die aktuelle Gesetzgebung auf tatsächliche Wettbewerbskriterien hin zeigt der Verfasser Wege auf, in diesem zunehmenden Verdrängungsprozess wirtschaftlich zu überleben. Hierzu bedient sich der Verfasser auch verschiedener bereits existierender Ansätze einzelner Betriebskrankenkassen, die die Zeichen der Zeit bereits heute erkannt haben. Grundlage der wissenschaftlichen Vorgehensweise des Verfassers bilden die innerhalb der bisherigen Studienzeit vermittelten Kenntnisse rund um Kernthemen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wie "Controlling" und "Qualitätsmanagement" und "Betriebspsychologie" in Verbindung mit Gesundheitsspezifischen Themen wie "Ökonomische Grundlagen des Gesundheitssystems" oder "Gesundheits- und Sozialpolitik". Vervollständigt wird diese Vorgehensweise durch aktuelle Beispiele aus der Praxis sowie weitere Trends und Erkenntnisse.
Der Verfasser legt Wert drauf, dass aufgrund der Vielzahl an Themenfeldern eine tiefer gehende Betrachtungsweise auf wesentliche Punkte beschränkt wurde, um den quantitativen Rahmen der Studienarbeit nicht zu sprengen. So wurden weitere interessante aber derzeit für mittelständische Betriebskrankenkassen nicht unmittelbar relevante Themen wie die Diskussion um eine Änderung der Rechtsform und damit verbundene Auswirkungen auf ein neues Kassen-Insolvenzrecht komplett ausgeklammert, um den Blick […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau

2 Betriebskrankenkassen im System der gesetzlichen Krankenversicherung
2.1 Die Gesetzliche Krankenversicherung
2.1.1 Organisation
2.1.2 Finanzierung
2.1.3 Beziehung zu Leistungserbringern
2.2 Die Betriebskrankenkassen als Kassenart
2.3 Zielgruppendefinition: „Mittelständische“ Betriebskrankenkassen

3 Megatrends im Gesundheitswesen
3.1 Demographischer Wandel und technischer Fortschritt
3.2 Erosion der Finanzierungsgrundlagen des heutigen Sozialversicherungssystems
3.3 Die Europäische Dimension: Zukünftige Herausforderungen für Krankenkassen

4 Gesundheitspolitische Bewältigungsstrategien
4.1 Makroebene
4.1.1 Einführung des Gesundheitsfonds
4.1.2 Vernetzungsstrategien durch Telematik
4.2 Mesoebene
4.2.1 Auflösung der Spitzenverbandsebene
4.2.2 Neue Vergütungsstrukturen in Kollektivverträgen
4.2.3 Mehr Vertragsfreiheit durch neue Versorgungsformen
4.2.4 Einführung von Wahltarifen
4.3 Mikroebene
4.3.1 Zunahme der gesetzlichen Anforderungen
4.3.2 Steigendes Interesse an Gesundheit durch Wertewandel

5 Strategie zur Existenzsicherung für mittelständische Betriebskrankenkassen
5.1 Strukturqualität
5.1.1 Gesellschafterbeitritt zum BKK Gemeinschaftsunternehmen
5.1.2 Erreichen einer Mindestgröße
5.1.3 Förderung der Unternehmenskultur und Begleitung durch Chance Management
5.1.4 Identifikation von Potenzialen für neue Geschäftsfelder
5.2 Prozessqualität
5.2.1 Einführung betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme
5.2.2 Effizienzsteigerung durch Outsourcing & Kooperationen
5.2.3 Sorgsamer Umgang mit Wahltarifen
5.2.4 Telematischer Zusatznutzen: Elektronische Gesundheitsakten
5.3 Ergebnisqualität
5.3.1 Strukturiertes Versorgungsmanagement
5.3.2 Kundenbeziehungsmanagement & Marketing
5.3.3 Betriebliche Gesundheitsförderung & Bonierung

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Eidesstattliche Erklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Einführung und Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte

Abbildung 2: Geschichte der Integrierten Versorgung

Abbildung 3: Wahltarife im Überblick

Abbildung 4: Die vier Perspektiven des HealthCare Relationship Managements

Abbildung 5: Hauptgründe für den Kassenbeitritt

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Diese Studienarbeit befasst sich mit Chancen und Risiken mittelständischer Betriebskrankenkassen im zukünftigen Krankenversicherungsmarkt. Die in Ihrer Anzahl von keiner anderen Kassenart übertroffen aber individuell betracht deutlich weniger mitgliederstarken Betriebskrankenkassen stehen vor ihrer bislang größten Herausforderung: Der bereits seit einigen Jahren laufende Konzentrationsprozess wird durch verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen bedingt weiter an Fahrt aufnehmen. Die Behauptung, nur große Kassen können eine ausreichende Versorgung sicherstellen und die Anzahl der Kassen liege zudem weit über dem tatsächlichen Bedarf, stellt die Existenz vieler dieser Kassen daher zukünftig mehr denn je in Frage.

Der Verfasser geht von Annahme aus, dass mittelständische Betriebskrankenkassen ohne tief greifende Veränderungsprozesse nur geringe Chancen auf eine langfristige Existenzsicherung in einem nach Schaaf zukünftig von Versorgungs- und Kundenbeziehungsmanagement dominierten Wettbewerb haben.[1] Neben einer kritischen Prüfung der politisch angestrebten Wettbewerbsstärkung durch die aktuelle Gesetzgebung auf tatsächliche Wettbewerbskriterien hin zeigt der Verfasser Wege auf, in diesem zunehmenden Verdrängungsprozess wirtschaftlich zu überleben. Hierzu bedient sich der Verfasser auch verschiedener bereits existierender Ansätze einzelner Betriebskrankenkassen, die die Zeichen der Zeit bereits heute erkannt haben. Grundlage der wissenschaftlichen Vorgehensweise des Verfassers bilden die innerhalb der bisherigen Studienzeit vermittelten Kenntnisse rund um Kernthemen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wie „Controlling“ und „Qualitätsmanagement“ und „Betriebspsychologie in Verbindung mit Gesundheitsspezifischen Themen wie „Ökonomische Grundlagen des Gesundheitssystems“ oder „Gesundheits- und Sozialpolitik“. Vervollständigt wird diese Vorgehensweise durch aktuelle Beispiele aus der Praxis sowie weitere Trends und Erkenntnisse.

Der Verfasser legt Wert drauf, dass aufgrund der Vielzahl an Themenfeldern eine tiefer gehende Betrachtungsweise auf wesentliche Punkte beschränkt wurde, um den quantitativen Rahmen der Studienarbeit nicht zu sprengen. So wurden weitere interessante aber derzeit für mittelständische Betriebskrankenkassen nicht unmittelbar relevante Themen wie die Diskussion um eine Änderung der Rechtsform und damit verbundene Auswirkungen auf ein neues Kassen-Insolvenzrecht komplett ausgeklammert, um den Blick für das wesentliche Thema der Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren.

1.2 Aufbau

Die vorliegende Studienarbeit ist im Sinne eines Orientierungsrahmens an Leitthemenkomplexen ausgerichtet. Diese Vorgehensweise gibt Einsteigern die Chance zu einem umfassenden Einblick in die Thematik „Zukunft mittelständischer Betriebskrankenkassen“ bei gleichzeitiger Option für Fachleser, bereits bekannte Themenkomplexen durch direkte Einstiege in spätere Abschnitte zu überspringen. Ermöglicht wird dies durch Querverweise zu vorangegangenen Betrachtungen, sobald Inhalte in späteren Betrachtungen aufgrund von Erläuterungen in früheren Abschnitten als bekannt vorausgesetzt werden („Siehe Punkt X.X.X“).

Nach der Einleitung mit Ausführungen zu Problemstellung und Aufbau der Studienarbeit setzt sich der erste Themenkomplex in Abschnitt Zwei zunächst mit dem Status Quo der Betriebskrankenkassen im heutigen System der Gesetzlichen Krankenversicherung auseinander. Hier erfolgt auch die wichtige Definition der Zielgruppe „Mittelständischer Betriebskrankenkassen“. Daran anschließend folgt eine ausführliche Betrachtung der vom Verfasser unter dem Begriff Megatrends subsummierten zukünftigen Herausforderungen für das Gesundheitswesen und damit auch die gesetzliche Krankenversicherung.

Unter dem Titel „Gesundheitspolitische Bewältigungsstrategien“ folgt im vierten Abschnitt ein Überblick zu den bislang bekannten Maßnahmen des Gesetzgebers, um den genannten Megatrends volkswirtschaftlich wirksam entgegen zu treten. Dabei wird deutlich, dass diese Maßnahmen die Mehrzahl der mittelständischen Betriebskrankenkassen aus betriebswirtschaftlicher Sicht ohne tief greifende Veränderungen in ihrer Existenz bedrohen.

Den zentralen Themenkomplex dieser Arbeit mit konkreten Handlungsempfehlungen zur Existenzsicherung liefert schließlich Abschnitt Fünf. Eine Zusammenfassung mit Ausblick beschließt die Ausarbeitung als letzten Punkt.

2 Betriebskrankenkassen im System der gesetzlichen Krankenversicherung

2.1 Die Gesetzliche Krankenversicherung

2.1.1 Organisation

Die Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst zum 1. Oktober 2007 236 Krankenkassen.[2] Sie versichern 70,4 von insgesamt 82 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern.[3] Die derzeit noch in sieben getrennten Spitzenverbänden organisierten gesetzlichen Kassen üben Ihre ihnen vom Staat übertragenen Aufgaben in der Rechtsform von Körperschaften des öffentlichen Rechts in Selbstverwaltung aus.[4] Sie unterliegen daher der staatlichen Aufsicht durch Landes- oder Bundesbehörden. Über die der Selbstverwaltung obliegende Wahl des Verwaltungsrates haben Mitglieder und Arbeitgebervertreter (Ausnahme Ersatzkassen) alle sechs Jahre die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geschäftspolitik der einzelnen Krankenkasse einzuwirken, beispielsweise auf die Höhe der Beiträge, die von den Verwaltungsräten noch bis Ende 2008 über die Satzung die Höhe der Beiträge festsetzt werden.[5]

2.1.2 Finanzierung

Die Finanzierung der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt überwiegend durch Sozialversicherungsbeiträge der Mitglieder sowie pauschale Steuerzuschüsse. Insgesamt stehen den Gesetzlichen Krankenkassen etwa 145 Milliarden Euro zur Erfüllung ihrer sich aus dem fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebenden Leistungspflichten zur Verfügung.[6] Der Steuerzuschuss beträgt im Jahr 2007 insgesamt 2,5 Milliarden Euro.[7] Ziel ist es, diesen Betrag zur Finanzierung der beitragsfreien Kinderversicherung auf bis zu 14 Milliarden Euro auszubauen.[8]

Die Mitgliedsbeiträge werden von den Krankenkassen individuell in Höhe eines Prozentsatzes der beitragspflichtigen Einnahmen bis zu Beitragsbemessungsgrenze erhoben.[9] Ehepartner und Kinder mit einem Einkommen unterhalb von 400 Euro können beitragsfrei mitversichert werden.[10] Risikozuschläge für Krankheitsrisiken gibt es im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung nicht.[11]

Bei Beschäftigten beteiligt sich der Arbeitgeber an den Beiträgen in Form einer Übernahme der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes der vom Mitglied gewählten Krankenkasse. Seit dem 1. Juli 2005 zahlen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung zudem –ohne Beteiligung des Arbeitgebers- einen zusätzlichen bundeseinheitlichen Beitrag von 0,9 Prozent Alleine Bezieher von Arbeitslosengeld II sind von der Erhebung dieses Beitragssatzes ausgenommen.[12]

Arbeitnehmer mit einem regelmäßigen Arbeitsentgelt über der so genannten Versicherungspflichtgrenze nach § 6 Absatz 1 Nr. 1 SGB V sind nicht von der Versicherungspflicht erfasst, ebenso wie Selbständige, Beamte oder Personen mit ausschließlich sonstigen Einnahmen[13] Diese Personen haben unter bestimmten Vorrausetzungen jedoch die Möglichkeit einer freiwilligen gesetzlichen Versicherung nach § 9 SGB V.

2.1.3 Beziehung zu Leistungserbringern

Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen werden in der Regel nach § 2 Absatz 2 Satz 1 SGB V nach dem Sachleistungsprinzips durch Dritte erbracht, da Krankenkassen nicht über eigene medizinischen Einrichtungen zur Behandlung ihrer Versicherten verfügen.[14] Sie schließen daher als Kostenträger Verträge mit Leistungserbringern zur Behandlung ihrer Versicherten.[15] Wesentliche Leistungserbringer im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung sind Vertragsärzte, Vertragskrankenhäuser, Apotheken und Vertragsphysiotherapeuten.[16] Es ergibt sich so ein Dreiecksverhältnis zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten.[17] Im Bereich der herkömmlichen ambulanten vertragsärztlichen Versorgung treten zusätzlich die kassenärztlichen Vereinigungen als Vertreter der Ärzte gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen in Erscheinung, so dass hier sogar von einem Vierecksverhältnis gesprochen werden kann.[18]

Da die Mittel der Gesetzlichen Krankenversicherung endlich sind, greift der Gesetzgeber zur Mengensteuerung auf die so genannte Budgetierung zurück, die für eine bestimmte Leistungsart nur eine vorab festgelegte Geldmenge zur Verfügung stellt. Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung steht allen Ärzten so für die Abrechnung ihrer Leistungen nur eine begrenzte Geldmenge zur Verfügung, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen auf Grundlage von Punktesystemen verteilt werden (siehe auch Punkt 4.2.2).[19]

Die Übernahme von Leistungen außerhalb des Sachleistungsprinzips ist zwar durch die Regelungen der Kostenerstattung nach § 13 Absatz 1 SGB V möglich, sofern dies explizit gesetzlich vorgesehen ist. Hierzu gehören die Kostenerstattung bei häuslicher Krankenpflege, Haushaltshilfe, Fahrkosten sowie bei Leistungen im Ausland ebenso wie bei ausdrücklicher Wahl der Kostenerstattung nach § 13 Absatz 2 und 3 SGB V oder bei Behandlungen, in denen die Krankenversicherung eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte.[20] Allerdings bleiben diese Erstattungssummen in der Regel hinter den gezahlten Beträgen zurück, da für die Abwicklung der Kostenerstattung Abschläge für höhere Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgesehen sind.[21]

2.2 Die Betriebskrankenkassen als Kassenart

Die Betriebskrankenkassen bilden eine von sieben Krankenkassenarten im System der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland.[22] Als Spitzenverband der betrieblichen Krankenversicherung fungiert dabei derzeit noch der BKK Bundesverband.[23] Gab es im Jahr 1980 noch insgesamt 851 Betriebskrankenkassen, so ist diese Zahl seit Jahren rückläufig.[24] Derzeit sind noch 185 Betriebskrankenkassen im BKK Bundesverband organisiert.[25]. Er vertritt die Interessen der Kassenart gegenüber der Bundespolitik und entsendet Vertreter in die gemeinsame Selbstverwaltung auf Bundesebene wie den Gemeinsamen Bundesausschuss. Auf Ebene der Bundesländer sind die Betriebskrankenkassen derzeit zu acht BKK-Landesverbänden zusammen geschlossen.[26]. Mit einem Marktanteil von 19,6 Prozent und damit über 14 Millionen Versicherten sind die Betriebskrankenkassen als älteste Krankenkassenart derzeit die drittgrößte Kassenart der Gesetzlichen Krankenversicherung.[27] Die bislang letzte, neu gegründete Betriebskrankenkasse entstand zum 1. Januar 2007 im bayerischen Martinsried mit der firmeneigenen BKK 11880 der Telegate AG.[28]

2.3 Zielgruppendefinition: „Mittelständische“ Betriebskrankenkassen

Der Begriff des „Mittelstandes“ wird in der freien Wirtschaft grundsätzlich als Bezeichnung für kleine und mittlere Unternehmen verwendet. Da es keine allgemein gültige Definition gibt, wird die Abgrenzung gegenüber Großbetrieben vor allem über die Zahl der Beschäftigten und den Umsatz vorgenommen.[29]

Im Hinblick auf die Gesetzliche Krankenversicherung definiert der Verfasser die Zielgruppe durch die absolute Mitgliederzahl. Einen Anhaltspunkt liefert hier ein Blick auf die Mitgliederzahlen der etwa 80 von insgesamt 185 Betriebskrankenkassen umfassenden BKK Mittelstandsoffensive mit Sitz in Wiesbaden, die sich als politisches Sprachrohr von insgesamt 1,6 der insgesamt 14 Millionen BKK-Versicherten versteht. Die Gruppe vertritt die Interessen von Kassen bis zu einer individuellen Größe von aktuell knapp 73.000 Mitgliedern (BKK R&V) und setzt sich für die Entwicklung und Umsetzung kundenorientierter, wirtschaftlicher Lösungen unter Wahrung der Kassenvielfalt und Selbstverwaltung innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung ein.[30].

Weitere Anhaltspunkte lieferten die Ergebnisse einer durch den Verfasser vorgenommenen Meinungsumfrage unter allen hessischen Betriebskrankenkassen. Das Bundesland Hessen schien dem Verfasser für eine repräsentative Umfrage geeignet, da es zum Stand des Beginn dieser Arbeit im Sommer 2007 mit 21 Betriebskrankenkassen (mittlerweile sind es durch die Fusion zum 1. Oktober bedingt nur noch 20) über verhältnismäßig große Kassenanzahl verfügt und zugleich mit der Taunus BKK nur über einen Vertreter unter den 50 größten Krankenkassen mit einer Mitgliederzahl von knapp 160.000 verfügt (siehe auch Punkt 5.1.2).[31] Von insgesamt 18 angeschriebenen Vorständen – ein Kassenchef vertritt die Interessen von insgesamt drei Betriebskrankenkassen- beteiligten sich 12 innerhalb eines Antwortzeitraumes von vier Wochen an der Befragung. Die Rücklaufquote lag damit bei 67 Prozent. Auf die Angabe weiter Prozentwerte verzichtet der Verfasser im Folgenden zu Gunsten absoluter Werte bewusst, um keine Verzerrungen zu erzeugen.

Sechs der antwortenden Vorstände sehen Betriebskrankenkassen demnach bereits ab einer Größe von 1.000 Mitgliedern als mittelständisch an. Für vier weitere Vorstände beginnt eine mittelständische BKK mit 10.000 Personen, jeweils eine Antwort bekamen die Größenklassen 5.000 bzw. 25.000 Mitgliedern. Bei der oberen Eingrenzung herrschte größere Einigkeit. So klassifizierten insgesamt 9 Vorstände mittelständische Betriebskrankenkassen bis zu einer Größe von 100.000 Mitgliedern. Jeweils ein Vertreter bekannte sich zu einer Obergrenze von 25.000, 50.000 sowie mehr als 150.000 Mitgliedern.

Ziel dieser Arbeit ist daher ein Existenzsicherungskonzept für Betriebskrankenkassen mit einer Mitgliederzahl von derzeit unter 100.000. Da der Verfasser selbst für eine Betriebskrankenkasse mit deutlich unter 10.000 Mitgliedern tätig ist, liegt ein Fokus dabei auf diesen besonders kleinen mittelständischen Betriebskrankenkassen und deren Überlebenschancen.

3 Megatrends im Gesundheitswesen

3.1 Demographischer Wandel und technischer Fortschritt

Wie in vielen anderen westlichen Industrienationen zeigt sich auch in Deutschland neben einer sinkenden Gesamtbevölkerung eine zunehmende Alterung der Gesellschaft. Einer der Gründe für die Entwicklung ist die in den vergangenen 100 Jahren um 30 Jahre angestiegene allgemeine Lebenserwartung.[32] Da gleichzeitig nur noch durchschnittlich 1,4 statt früher 2,6 Kinder je Frau zur Welt kommen, stehen immer weniger jüngere immer mehr älteren Einwohnern gegenüber.[33] „Heute stehen 44 Rentner 100 Menschen im Erwerbsalter gegenüber; für das Jahr 2050 wird in den Prognosen – je nach den zu Grunde liegenden Annahmen – ein Altersquotient von 75 bis 90 erwartet.“[34] Die Einwohnerzahl Deutschlands kann nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes daher auf bis zu 68,7 Millionen im Jahr 2050 schrumpfen.[35] Unter der Annahme zunehmender Krankheitskosten im Alter könnte prognostiziert des Kieler Instituts für Gesundheits-System-Forschung von Fritz Beske allein aufgrund dieses demographischen Wandels einen Beitragssatzanstieg in der Gesetzlichen Krankenversicherung von 14,2 auf 17,5 Prozent im Jahr 2050.[36] Diese Prognose unterstützen aktuelle Zahlen, nach denen schon heute auf die etwa 17 Prozent der Bevölkerung ausmachenden 65- bis 84-jährigen bereits 37 Prozent der gesamten Krankheitskosten entfallen.[37] Nach Thelen bestehen allerdings Zweifel an der Aussagekraft solcher Prognosen, da für die Zukunft prognostizierte demographische Effekte bei den Einnahmen der Sozialkassen bereits heute durch die hohe Arbeitslosigkeit vorweggenommen worden sind und auch internationale Vergleiche keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gesundheitskosten eines Landes und dem Anteil älterer Menschen belegen können, wie Schweden und Norwegen mit heute vergleichsweise niedrigen Gesundheitsausgaben bei gleichzeitig höchstem Anteil über 64-Jähriger in der Bevölkerung zeigen. Ergänzend fügt Thelen an, dass selbst die Krankheitsanfälligkeit im Alter durch andere Studien auch sinken kann, wie eine Auswertung von Gesundheitsdaten der US-Armee belegt.

Unbestritten ist jedoch, dass neben der in der Höhe diskussionswürdigen Kostenentwicklung aufgrund der demographischen Entwicklung der technische Fortschritt zu einem Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen beitragen wird. Eine Ausgabensteigerung von einem Prozent pro Jahr unterstellt, könnte der durchschnittliche Kassenbeitrag im Jahr 2050 nach Beske unter heutigen Versicherungs-, Beitrags und Leistungsstandards auf etwa 43 Prozent steigen.[38]

3.2 Erosion der Finanzierungsgrundlagen des heutigen Sozialversicherungssystems

Das bislang überwiegend auf Beiträge abhängig Beschäftigter aufbauende deutsche Gesundheitssystem (Punkt 2.1.2) wird neben den bereits erläuterten demographischen und technischen Einflüssen (Punkt 3.1) auch durch ein zunehmendes Missverhältnis von Lohn- und Gewinnquote geschwächt. Denn Entwicklung der Einnahmen aus abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (Lohnquote) hat sich spätestens seit dem Jahr 2002 im Vergleich den Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit und sonstigen Einnahmen (Gewinnquote) deutlich verlangsamt. So stammen aus dem Volkseinkommen des Jahres 2005 in Höhe von insgesamt 1683,9 Milliarden Euro mittlerweile 555,1 Milliarden Euro - also etwa ein Drittel - aus nur bei bestimmten freiwillig versicherten Mitgliedern beitragspflichtigen Einnahmen.[39] Ein nahe liegender Systemwechsel zu anderen Einkunftsarten bringt nach Auffassung des Ersatzkassenverbandes systematische, ökonomische und politische Probleme und würde falsche Signale in Richtung Leistungserbringer setzen, bei denen Rationalisierungspotential vermutet wird. Weitere Optionen wie die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze oder die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze werden seit diskutiert.

Eine der Gründe für das Erlahmen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist in der konjunkturellen Abschwungsphase der Jahre 2001 bis 2005 und dem damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu finden.[40] Erst seit Mitte 2006 befindet sich der Arbeitsmarkt nach Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wieder einem Aufschwung, da eine gute konjunkturelle Entwicklung den Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung begünstig hat und der Arbeitsmarkt zudem durch ein rückläufiges Arbeitskräfteangebot entlastet wird, das nach neuesten Schätzungen 2007 um 73.000 Personen abnimmt.[41]

Daneben gefährdet die seit Jahren betriebene "Politik der Verschiebebahnhöfe" nach Auffassung der Krankenkassenverbände die finanzielle Stabilität des Gesundheitswesens. So hat die Politik die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, bei dem die Kassenbeiträge prozentual erhoben werden, gekürzt und zeitgleich in den meisten Fällen nicht kostendeckende Beitragspauschalen für den anschließenden Bezug von „Arbeitslosengeld II“ festgelegt. Da bereits zuvor die Bemessungsgrundlagen der Arbeitslosenhilfe immer wieder vermindert wurden, hat sich nach Berechnungen des Ersatzkassenverbandes seit 1995 ein Verschiebebahnhof von der GKV zugunsten der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von knapp fünf Milliarden Euro aufsummiert. Der BKK Bundesverband beziffert die Beitrags-Kosten-Lücke für die Empfänger von Arbeitslosengeld II für die gesamte GKV auf jährlich insgesamt 1,6 Milliarden Euro, da die Kassen monatlich im Schnitt rund 175 Euro für jeden Versicherten ausgeben würden, von den Arbeitsagenturen aber nur eine Pauschale von knapp 130 Euro gezahlt wird.[42]

3.3 Die Europäische Dimension: Zukünftige Herausforderungen für Krankenkassen

Das deutsche Gesundheitswesen und damit auch die gesetzlichen Krankenkassen unterliegen zukünftig mehr denn je dem Einfluss der Politik der Europäischen Union durch das Zusammenwachsen Europas.[43] Zwar soll die Sozial- und Gesundheitspolitik nach dem Grundsatz der Subsidiariät auch künftig in nationaler Verantwortung bleiben und kein „europäischer Superstaat“ entstehen, dennoch wird es in der Praxis immer häufiger notwendig werden, einzelstaatliche Ziele, Strategien und Aktivitäten EU-weit abzustimmen.[44] Die unterschiedlichen Systeme sozialer Sicherung werden sich daher veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen, ein erster Rechtsrahmen für Akutbehandlungen bei vorübergehendem Aufenthalt im Ausland besteht bereits seit langem durch die EWG-Verordnung Nr. 1408/71 bzw. deren Nachfolger EG-Verordnung 883/4.[45] Es handelt sich dabei um die Sicherstellung der Behandlung krankenversicherter Personen, der sich während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats medizinisch notwendige Sachleistungen benötigen, um eine vorzeitige Abreise eines Versicherten zur Gesundheitsversorgung zu vermeiden.[46] Die Behandlung erfolgt dabei gegen Vorlage der Europäischen Krankenversicherungskarte (European Health Insurance Card, EHIC).[47] Diese ist nach einer Verzögerung mittlerweile auch in Deutschland - meist auf der Rückseite der herkömmlichen Krankenversichertenkarte- flächendeckend eingeführt worden.[48]

Von schwerwiegenderer Bedeutung für die gesetzlichen Krankenkassen sind die zunehmenden Tendenzen der Europäischen Kommission, den sensiblen Wirtschaftsbereich der Gesundheitsdienste im Sinne eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs für den europäischen Binnenmarkt zu öffnen. Ein Grund für diese Entwicklung ist in der zunehmenden Zahl an Privatisierungen zu finden, wie es im Krankenhaussektor schon seit Jahren der Fall ist.[49] Auch wenn in der am 28. Dezember 2006 in Kraft getretenen Europäischen Dienstleistungsrichtlinie der Gesundheitsbereich letztlich doch ausgeklammert wurde und damit auch keine grenzüberschreitende Kostenerstattungsregelung eingeführt wurde, geht die Debatte gerade aktuell mit der Vorstellung eines neuen Entwurfes durch EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou weiter .[50] Nicht zuletzt sieht auch der Europäische Gerichtshof in den Leistungsausgrenzungen und Wahltarifangeboten gesetzlicher Krankenkassen einen zunehmenden Widersprich zum Grundsatz des Solidaritätsprinzips und vermutet daher wirtschaftliche, auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeiten bei den Kassen.[51] Aber auch ohne diese Diskussionen gibt es schon heute profane Beispiel wie das Vergaberecht, das auch für Gesetzliche Krankenkassen gilt und mit seinen europaweiten Ausschreibungspflichten bei Überschrieben bestimmter Schwellenwerte zunehmend neue Kompetenzen -unabhängig von der Größe- bei den gesetzlichen Krankenkassen erfordert. Exemplarisch seien hier die neuen Ausschreibungszwänge im Zusammenhang mit der dem Hilfsmitteleinkauf genannt. Für Ausschreibung bei Hilfsmitteln nach § 127 SGB V wurden mit dem GKV-WSG Exklusivverträge eingeführt, die in der Regel durch Ausschreibungen ermittelt werden sollen, wie genau diese Ausschreibungen aussehen sollen, wurde hier allerdings nicht gesetzlich definiert. Da sich Rechtssprechung im Hinblick auf die rechtliche Stellung von Krankenkassen uneins ist, sind diese Vorgaben aktuell problematischer den je umsetzbar, da die Einstufung als öffentlicher Auftraggeber bei einer Unterscheitung des Schwellenwertes von 211.000 Euro zumindest die Anwendung des nationalen Vergaberechtes vorsehen würde, bei Überschreiten des Schwellenwert würde darüber hinaus das noch aufwendigere EU-Vergaberecht gelten.[52] Nur ein Beispiel für den derzeitigen Stillstand zeigen die von der AOK-Gemeinschaft geplanten Arzneirabattverträge für 2008 und 2009, die aufgrund eines Antrages auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens bei verschiedenen Vergabekammern durch einzelne Pharmaunternehmen gestellt wurden, die auf die Einhaltung des Kartellvergaberechts drängen, was die AOK bislang anders sieht.[53]

4 Gesundheitspolitische Bewältigungsstrategien

4.1 Makroebene

4.1.1 Einführung des Gesundheitsfonds

Die Einführung eines Gesundheitsfonds ist zentraler Bestandteil des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG). Er soll als Kernelement einer neuen Gesundheitsversicherung zum 1. Januar 2009 starten.[54]

Hinsichtlich der Vor- und Nachteile des Gesundheitsfonds verweist der Verfasser auf seine im gleichen Studiengang erstellte Hausarbeit mit dem Titel „Der Gesundheitsfonds als Kernelement der neuen Gesundheitsversicherung in Deutschland – Ziele, Strukturen und wesentliche Aspekte der Umsetzung“, abgegeben am 7. Dezember 2006 im Prüfungssekretariat der FH Riedlingen.

Eine wichtige Voraussetzung für den Start des Gesundheitsfonds ist die im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz festgelegte kassenarteninterne Entschuldung aller Gesetzlichen Krankenkassen bis spätestens 31. Dezember 2008.[55] Der Gesundheitsfonds selbst ist zunächst als Geldumverteilungsinstrument konzipiert, da der Einzug der Gesamtsozialversicherungsbeiträge trotz eines ab 1. Januar 2009 gültigen einheitlichen Beitragssatzes zur Krankenversicherung noch bis mindestens 31. Dezember 2010 bei den einzelnen Krankenkassen verbleiben soll. Zum 1. Januar 2011 sollen Arbeitgeber ein optionales Wahlrecht erhalten und die Beiträge aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung direkt in den Gesundheitsfonds einzahlen können.[56] Am einkommensabhängigen Beitrag und der Arbeitgeberbeteiligung soll der Gesundheitsfonds nichts ändern. Die heute schon bestehende Mehrbelastung der Versicherten durch den so genannten Sonderbeitrag soll ebenso beibehalten werden, so dass der Versichertenanteil auch im Gesundheitsfonds höher als der Arbeitgeberanteil sein soll.

Zusätzliche Mittel sollen durch einen im Laufe der Jahre wachsenden Steuerzuschuss ins System gelangen.[57] Nach Abgabe ihrer Finanzhoheit sollen die gesetzlichen Krankenkassen ihre finanziellen Mittel zunächst schließlich aus dem Gesundheitsfonds als Pauschalbeträge je Versichertem inklusive risikoabhängiger Zu- und Abschläge auf 50 bis 80 noch näher zu definierende Krankheitsbilder erhalten. Der bisherige Risikostrukturausgleich anhand standardisierter Leistungsausgaben als Beitragsbedarf im Verhältnis zur individuellen Finanzkraft könnte so entfallen.[58] Der Gesundheitsfonds soll zu Beginn 100 Prozent der Ausgaben decken und auch in den Folgejahren eine Quote von 95 Prozent nicht unterschreiten.[59] Die Kassen sollen anschließend in der Lage sein, nicht benötigte Beiträge an Versicherte (nicht Arbeitgeber) zurückzuerstatten oder einen Zusatzbeitrag vom Versicherten einfordern, sofern die Zuteilungen aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichend sind. Der Zusatzbeitrag soll allerdings auf eine Belastungsobergrenze von einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens beschränkt sein aber ohne Einkommensprüfung bis zu einer Höhe von 8 Euro erhoben werden können.[60]

4.1.2 Vernetzungsstrategien durch Telematik

Wichtigster Baustein einer neuen Telematikinfrastruktur soll die Einführung einer neuen Gesundheitskarte sein. Nach § 291a SGB V sollte die Erweiterung der bisherigen Krankenversichertenkarte (KVK) zu einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) bis spätestens 1. Januar 2006 erfolgen. Zu diesem Zweck wurde im Januar 2005 die Betriebsgesellschaft Gematik GmbH gegründet. Zu den Gesellschaftern gehören die Bundesärzte- und Bundeszahnärztekammer, die Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Apothekerverband. Sie vertreten die Interessen der Leistungserbringer, die Kostenträger werden durch die Bundesverbände der gesetzlichen und privaten Krankenkassen repräsentiert. Im Dezember 2005 ist die Gematik mit den ersten Techniktests unter Laborbedingungen gestartet. Nachdem die Gesellschafter am 11. September 2006 das für die Durchführung der Testphase erforderliche Gesamtkonzept freigegeben haben, konnten schließlich die ersten Echtdatentests noch im Dezember 2006 in Flensburg (Schleswig-Holstein) und Löbau-Zittau (Sachsen) als 10.000-Teilnehmertestphasen starten. Weitere Testregionen sind Bochum-Essen, Flensburg, Heilbronn, Ingolstadt, Trier und Wolfsburg.

Mit der elektronischen Gesundheitskarte werden die verpflichtenden Bestandteile Lichtbild, Geschlecht, Zuzahlungsstatus und elektronischem Rezept eingeführt. Zusätzlich soll es einen medizinischen Teil geben, in dem auf freiwilliger Basis persönliche Gesundheitsdaten wie die elektronische Patientenakte (ePA), der elektronische Arztbrief, Arzneimitteldokumentationen und Notfalldatensätze gespeichert werden können. Die Inhaber der Karten sollen dabei selbst entscheiden, in welchem Umfang Daten über Sie gespeichert werden sollen und wem sie diese Daten zugänglich machen wollen.[61]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Einführung und Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, www.die-gesundheitskarte.de

Allen Lobenshymnen zum Trotz gestaltet sich der praktische Weg zur Einführung der elektronischen Gesundheitsakte weit weniger euphorisch. Viele Akteure im Gesundheitswesen betrachten die Diskussion um die Gesundheitskarte als an der Realität vorbeigehend, da die aktuellen Herausforderung nicht aufgegriffen und stattdessen aus politischen Gründen um jeden Preis eine Karte auf den Markt kommen soll, auch wenn sie nur unzureichend getestet wurde und so aus reinen Prestigegründen Kosten entstehen, denen kein entsprechender Mehrwert gegenüber steht. So ist Schaaf der Ansicht, dass die strategisch dringend benötigte Funktionalitäten wie die deutschlandweite elektronische Patientenakte nicht innerhalb der nächsten acht Jahre kommen werden und die eGK daher nur noch als Nebenkriegsschauplatz betracht wird. Im Fokus der Kassen stehen seiner Auffassung nach eHealth-Themen wie die Frage nach der erfolgreichen Umsetzung von Versorgungsmanagement-Programmen, welche die bisherige eGK-Diskussion bereits überholt haben.[62]

Aber auch unabhängig von der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte soll so eine Telematikinfrastruktur (eHealth) entstehen, welche die Akteure des Gesundheitswesens miteinander vernetzt und damit zur Kostenreduktion durch Vermeidung von Doppeluntersuchungen und Transparenz von Untersuchungsergebnissen beitragen wird, die gerade bei sektorenübergreifender integrierter Versorgung notwendig ist. Da aber auch die Anwendungsmöglichkeiten der Telemedizin steigen werden - insbesondere in Bereichen wie der Kardio- oder Radiologie, in denen Bilder verschickt werden und so eine enge diagnostische Zusammenarbeit über Raum und Zeit hinweg ermöglicht werden kann- könnte eine zu kurzsichtige Betrachtung der reinen Kosten durch diese neuen medizinisch sinnvollen aber auch kostenintensiven neuen technischen Möglichkeiten schnell pulverisiert werden.[63]

4.2 Mesoebene

4.2.1 Auflösung der Spitzenverbandsebene

Die Gesetzliche Krankenversicherung ist bislang in die Krankenkassenarten Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), Betriebskrankenkassen (BKK), Innungskrankenkassen (IKK), See-Krankenkasse, Landwirtschaftliche Krankenkasse, Bundesknappschaft, sowie Ersatzkassen für Arbeiter und Angestellte gegliedert.[64] Diese verfügen nach § 213 des Fünften Sozialgesetzbuches jeweils über einen Spitzenverband als kassenartintern übergreifende Instanz. Mit Inkrafttreten des „Gesetzliche Krankenversicherung Wettbewerbsstärkungsgesetzes“ (GKV-WSG) zum 1. April 2007 wurde den gesetzlichen Krankenkassen die Bildung eines gemeinsamen Spitzenverbandes Bund übertragen.[65]

Die bisherigen Spitzenverbände verlieren spätestens zum 1.1.2009 ihren Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts und werden nach § 212 Absatz 1 SGB V neuer Fassung in Gesellschaften bürgerlichen Rechts als Rechtsnachfolger umgewandelt.

Die Gründung des Spitzenverbandes Bund erfolgte bereits am 21. Mai 2007.[66] Als Errichtungsbeauftragter fungierte dabei der ehemalige SPD-Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses, Klaus Kirschner.[67] Vorsitzende des Verwaltungsrates wurden Dr. Volker Hansen, bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitgebervertreter im Verwaltungsrat des AOK-Bundesverbandes und Willi Budde, bislang Arbeitnehmervertreter im BKK-Bundesverband.[68] An die Spitze des dreiköpfigen Vorstandes wurde Doris Pfeiffer als Vorsitzende gewählt, bis dahin Vorstandsvorsitzende des der Ersatzkassenverbände VdAK/AEV, zweites Mitglied des Vorstandes wurde Johann-Magnus Freiherr von Stackelberg, bisher stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.[69] Drittes Mitglied des Vorstandes wird zunächst Klaus-Dieter Voß, bisher im Vorstand des BKK Bundesverbandes, der seinen Posten ab April 2010 an Gernot Kiefer aus dem Vorstand des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen abgeben soll.[70]

4.2.2 Neue Vergütungsstrukturen in Kollektivverträgen

Im Bereich der ambulantenvertragsärztlichen Versorgung hat die aktuelle Gesundheitsreform für Bewegung gesorgt. Denn diese sieht eine Neuordnung der Vergütung hin zu einer Euro-Gebührenordnung mit Berücksichtigung der Patientenmorbidität zum 1. Januar 2009 vor.

Bereits bis zum 31. Oktober 2007 sollen Krankenkassen und KBV Einigung über einen pauschalen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) beschließen, der 2008 als Zwischenschritt in Kraft treten soll. Mit der Euro-Gebührenordnung sollen niedergelassene Ärzte wieder mehr Kalkulationssicherheit haben, denn derzeit wird hier nicht nach festen Geldbeträgen, sondern in Punkten abgerechnet, deren Grundlage der EBM 2000plus mit einem Punktwert von 5,11 Cent bildet. Da die Krankenkassen jedoch feststehende Gesamtvergütungen nach Kopfpauschalen zahlen und die Gesamtvergütung gleichzeitig durch die Menge aller insgesamt abgerechneten Punkte geteilt wird um den Auszahlungspunktwert zu ermitteln, fällt der Punktwert oft unter diesen Betrag.[71]

Auch im Krankenhausbereich stehen Änderungen bevor. Hier müssten zwar eigentlich nur endgültige Entscheidungen über die weitere Betriebskostenfinanzierung ab 2009 nach dem Ende der seit 2003 laufenden und mehrfach verlängerten Konvergenzphase nach dem Fallpauschalensystem der Diagnosis Releated Groups (DRG) fallen, welch die krankenhausspezifische Vergütungshöhe schrittweise an ein landesweites Vergütungsniveau (einheitlicher Basisfallwert je Bundesland) anpassen sollten.[72] Mittlerweile gibt es jedoch Bestrebungen as unterschiedlichen Richtungen, diesen Zeitpunkt zur Einführung konkreter Wettbewerbselemente zu nutzen.

Der BKK Bundesverband schlägt hier beispielsweise individualvertragliche Vereinbarungen ohne gesetzliche Detailvorgaben und ohne Schiedsstellenfähigkeit vor, die als vorrangige Vertragsform für alle Krankenhausleistungen gelte soll. So könnten Vertragsinhalte von den Vertragsparteien frei von sozialrechtlichen Vorgaben im Sinne eines Effizienz fördernden Wettbewerbes geregelt werden. Vertragliche Lösungen nach gesetzlichen Vorgaben wie dem bisherigen Krankenhausgesetz oder der Bundespflegesatzverordnung sollten demnach lediglich als Rückfalloption für den Fall zum Trage kommen, in dem die vorrangige Vertragsform - aus welchen Gründen auch immer - nicht zum Tragen kommt und damit sicherstellen, dass es im Ergebnis in jedem Fall zu einem Vertragsabschluss zwischen den Vertragsparteien kommt und für die Versicherten ein ausreichendes Angebot an stationärer Leistung erhalten bleibt.[73]

Vertreter des AOK-Lagers haben demgegenüber den Vorschlag gemacht, dass Kassen und Krankenhäuser nur die Preise für Wahlleistungen frei verhandeln sollten. Für diese als „keine Notfallversorgung“ definierten Wahlleistungen sollte es keinen Kontrahierungszwang geben. Die Notfallversorgung soll bei diesem Vorschlag Angelegenheit des Staates sein, der so lediglich in diesem Bereich die entsprechende Krankenhausplanung und ihre Finanzierung weiterregelt.[74]

[...]


[1] Vgl. Schaaf, M. 2007, S. 9

[2] Vgl. Dienst für Gesellschaftspolitik 42-2007, S. 4

[3] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (10. August 2007), http://www.die-gesundheitsreform.de

[4] Vgl. Simon, M.: 2005, S. 99

[5] Vgl. Simon, M.: 2005, S. 99

[6] Vgl. Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (7. August 2007): http://www.insm.de

[7] Vgl. Krankenkassen-direkt (7. August 2007): http://www.krankenkassen-direkt.de

[8] Vgl. Netzzeitung (10. August 2007): http://www.netzeitung.de

[9] Vgl. § 223 Absatz 3 SGV V

[10] Vgl. § 10 Absatz 1 SGB V

[11] Vgl. Simon, M.: 2005, S. 111

[12] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (10. August 2007), http://www.bmg.bund.de

[13] Vgl. Simon, M.: 2005; S. 107

[14] Vgl. Fastabend, K. / Schneider, E.: 2004, S. 27

[15] Vgl. Simon, M.: 2005: S. 79

[16] Vgl. Fastabend, K. / Schneider, E.: 2004, S. 27

[17] Vgl. Simon, M.: 2005: S. 79

[18] Vgl. Fastabend, K. / Schneider, E.: 2004, S. 27

[19] Vgl. Fastabend, K. / Schneider, E.: 2004, S. 49 + 50

[20] Vgl. Fastabend, K. / Schneider, E.: 2004, S. 31 + 32

[21] Vgl. Fastabend, K. / Schneider, E.: 2004, S. 33

[22] Vgl. § 4 SGB V

[23] Vgl. BKK Bundesverband (18. August 2007), http://www.bkk.de

[24] Vgl. BKK Bundesverband (18. August 2007), http://www.bkk.de

[25] Vgl. BKK Bundesverband (18. August 2007), http://www.bkk.de

[26] Vgl. Simon, M.: 2005, S. 101 + BKK Bundesverband (18. August 2007), http://www.bkk.de

[27] Vgl. BKK Bundesverband (18. August 2007), http://www.bkk.de

[28] Vgl. BKK Bundesverband: Die BKK 10-2006

[29] Vgl. Meyers Lexikon (18. August 2007), http://lexikon.meyers.de

[30] Vgl. BKK Mittelstandsoffensive, http://www.bkk-mittelstandsoffensive.de

[31] Vgl. Beiträge zur Gesellschaftspolitik (2007): S. 2

[32] Vgl. Schröter, H.: 2006, S. 431

[33] Vgl. Berlin-Institut (28. Oktober 2006), http://www.berlin-institut.org

[34] Schröder, H.: 2006, S. 431

[35] Vgl. Beske, F.: 2005, S. 1

[36] Vgl. Beske, F.: 2005, S. 2

[37] Vgl. Statistisches Bundesamt (4. Dezember 2006), http://www.destatis.de

[38] Vgl. Thelen, P.: 2007, S. 4

[39] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (30. September 2007), http://www.die-gesundheitsreform.de

[40] Vgl. Schröder, P.: 2006, S. 1

[41] Vgl. Medica Messe Düsseldorf GmbH (3. Oktober 2007), http://www.medica.de

[42] Vgl. Blöss, T.: 2007, S. A-1709 / B-1511 / C-1451

[43] Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (3. Oktober 2007), http://www.gkv.info

[44] Vgl. Deutsche Sozialversicherung Europavertretung (3. Oktober 2007), http://www.deutsche-sozialversicherung.de + Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (3. Oktober 2007), http://www.gkv.info

[45] Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (3. Oktober 2007), http://www.gkv.info

[46] Vgl. Europäische Kommission (2. Oktober 2007), http://ec.europa.eu

[47] Vgl. Europäische Kommission (3. Oktober 2007), http://ec.europa.eu

[48] Vgl. BKK – Die Bergisch Krankenkasse (3. Oktober 2007), http://www.die-bergische-kk.de

[49] Vgl. DBB Beamtenbund und Tarifunion (3. Oktober 2007), http://www.dbb.de

[50] Vgl. Deutsches Ärzteblatt (3. Oktober 2007), http://www.aerzteblatt.de + AOK-Bundesverband (3. Oktober 2007), http://www.aok-bv.de + Financial Times Deutschland (21. Oktober 2007), http://www.ftd.de

[51] Vgl. Linkspartei (3. Oktober 2007), http://www.dielinke-europa.eu

[52] Vgl. Bundesverband Medizintechnologie (3. Oktober 2007), http://www.bvmed.de

[53] Vgl. AOK Baden-Württemberg (7. Oktober 2007), http://www.aok-bw.de

[54] Vgl. Neufassung des § 241 SGB V im GKV-WSG, S. 424

[55] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (3. Oktober 2007), http://www.die-gesundheitsreform.de

[56] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (3. Oktober 2007), http://www.die-gesundheitsreform.de

[57] Vgl. Neufassung des § 221 SGB V im GKV-WSG, S. 423 + 424

[58] Vgl. Neufassung des § 266 SGB V im GKV-WSG, S. 427

[59] Vgl. Neufassung des § 220 SGB V im GKV-WSG, S. 423

[60] Vgl. Neufassung des § 242 SGB V im GKV-WSG, S. 424 + 425

[61] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (30. September 2007), http://www.die-gesundheitsreform.de

[62] Vgl. Schaaf, M.: 2007, S.n 69 + 80

[63] Vgl. Hackenberg, F. / Bether, K.: 2005, S. 412 + 413

[64] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (10. August 2007), http://www.die-gesundheitsreform.de

[65] Vgl. § 217a SGB V

[66] Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (10. August 2007), http://www.gkv.info

[67] Vgl. Dienst für Gesellschaftspolitik 6-2007, S. 3 + 10-2007, S .3

[68] Vgl. Dienst für Gesellschaftspolitik 28-07, S. 4

[69] Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (10. August 2007), http://www.gkv.info

[70] Vgl. IKK Bundesverband (21. September 2007), http://www.ikk.de

[71] Vgl. Deutschs Ärzteblatt (5. Oktober 2007), http://www.deutsches-aerzteblatt.de

[72] Vgl. AOK Bundesverband (5. Oktober 2007), http://www.aok-bv.de

[73] Vgl. BKK Bundesverband (5. Oktober 2007), http://www.bkk.de

[74] Vgl. B. Braun Stiftung (5. Oktober 2007), http://www.bbraun-stiftung.de

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836615792
DOI
10.3239/9783836615792
Dateigröße
837 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
SRH Hochschule Riedlingen – Gesundheits-und Sozialwirtschaft
Erscheinungsdatum
2008 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
krankenversicherung gesundheitsreform gesundheitsfond krankenkasse gesundheitswesen
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Titel: Konzept zur Existenzsicherung im Krankenversicherungsmarkt
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