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Erwartete und realisierte Wirkungen des EU-Binnenmarktes

©2005 Bachelorarbeit 49 Seiten

Zusammenfassung

Im Zuge fortschreitender Globalisierung sind die Weltwirtschaftsbeziehungen der vergangenen und auch der zukünftigen Jahre geprägt von einer Vielzahl regionaler Integrationsprojekte. Auch die Europäische Union (EU) stellt eine solche Verbindung von Volkswirtschaften dar, welche mittlerweile ein umfangreiches, komplexes Gebilde mit unterschiedlich intensiven Ausprägungen des Zusammenwachsens in vielerlei Bereichen geworden ist. Wichtige Meilensteine in der Entstehung der EU waren 1967 die Zusammenfassung von EWG, EAG (beide seit 1958) und EGKS (seit 1951) zur Europäischen Gemeinschaft (EG), 1968 die Vollendung der Zollunion sowie 1993 die Vollendung des Binnenmarktes im Zuge der Gründung der EU bzw. der Umbenennung der Europäischen Gemeinschaft in Europäische Union.
Der europäische Binnenmarkt sollte auf diesem Weg einen großen Sprung hin zu einer wachstumsstarken Wirtschaftsgemeinschaft darstellen, die in Konkurrenz zu anderen großen Wirtschaftsmächten wie den USA und den aufstrebenden Teilen Asiens erfolgreich bestehen kann. Tatsächlich bietet er einerseits große Chancen durch freies marktwirtschaftliches Handeln unter Wettbewerb, er birgt aber auch Probleme und Hemmnisse durch teils überflüssige oder überflüssig gewordene Institutionen, komplizierte Verfahren, Bedenken der Bürger und die oft fehlende Bereitschaft der Regierungen und Verwaltungen, zugunsten der Gemeinschaft auf Vorteile zu verzichten und von gewohnten Mustern abzuweichen. Aufgrund solcher Hemmnisse entsprechen die erwarteten Wirkungen eines Integrationsprozesses häufig nicht den unter Realbedingungen tatsächlich realisierten.
Konkrete Fragestellungen, die bei der Analyse der erzielten Erfolge immer wieder auftauchen, sind die nach dem zentrale[n] Aspekt des europäischen Integrationsprozesses. In welchen Bereichen hat die Integration überhaupt Einfluss auf Wirtschaft und Wohlstand? Inwieweit bestand seit Vollendung der Zollunion und besteht heute überhaupt noch Potential zur weiteren Vertiefung der Verflechtungen in der EU? Welche Wirkungen sind tatsächlich bis heute eingetreten? Wurden die ausgelösten Wohlfahrts- und Handelseffekte im Vorhinein zu positiv eingeschätzt? Und können die positiven Veränderungen wirklich auf die Implementierung des EU-Binnenmarktes und die Öffnung der Märkte zurück-geführt werden?
Die Arbeit stellt Erwartungen, bestehende Problematiken und erzielte Erfolge im Integrationsprozess dar und untersucht das Ausmaß der Abweichungen zwischen Prognosen und Realität.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Diplom.de
Bachelorarbeit
Christina Berghold
Erwartete und realisierte Wirkungen
des EU-Binnenmarktes

Christina Berghold
Erwartete und realisierte Wirkungen des EU-Binnenmarktes
ISBN: 978-3-8366-1448-1
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, Deutschland, Bachelorarbeit, 2005
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

I
INHALT
Abkürzungsverzeichnis... II
1.
Einleitung...1-1
2.
Durch Integration zum Binnenmarkt ...2-2
2.1. Integration...
2-2
2.2. Der EU-Binnenmarkt ...
2-3
3.
Erwartete Wirkungen des EU-Binnenmarktes ...3-6
3.1. Traditionelle Integrationstheorie : Statische Effekte...
3-6
3.2. Moderne Integrationstheorie: Dynamische Effekte...
3-7
3.3. Theorie des Gemeinsamen Marktes ...
3-9
3.4. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse und Vorteile aus
deren Beseitigung
(erläutert anhand des Cecchini-Berichts)
...3-11
3.4.1. Handelshemmnisse und Kosten ...
3-11
3.4.2. Vorteile aus deren Beseitigung. ...
3-14
4.
Realisierte Wirkungen des EU-Binnenmarktes ...4-16
4.1. Kritik am Cecchini-Bericht ...
4-16
4.2. Tatsächlich erreichte Wirkungen ...
4-18
4.2.1. Realisierte Liberalisierungsmaßnahmen...
4-19
4.2.2. Veränderungen für Unternehmen und
Verbraucher...
4-23
4.2.3. Veränderungen für die Volkswirtschaft...
4-32
5.
Fazit...5-34
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis... 36
Literaturverzeichnis... 37
Anhang... 41

II
ABKÜRZUNGEN
CEN
- Europäisches Komitee für Normung
CENELEC - Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung
COCOM
- Coordinating Committee for Multilateral Export Controls
DI
- Direktinvestitionen / -s
DL
- Dienstleistung / -en / -s
ETSI
- Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen
EAG
- Europäische Atomgemeinschaft
EGKS
- Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EWG -
Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft

Einleitung
1-1
1. Einleitung
Im Zuge fortschreitender Globalisierung sind die Weltwirtschaftsbeziehungen der
vergangenen und auch der zukünftigen Jahre geprägt von einer Vielzahl
regionaler Integrationsprojekte
1
. Auch die Europäische Union (EU) stellt eine
solche Verbindung von Volkswirtschaften dar, welche mittlerweile ein umfang-
reiches, komplexes Gebilde mit unterschiedlich intensiven Ausprägungen des
Zusammenwachsens in vielerlei Bereichen geworden ist. Wichtige Meilensteine
in der Entstehung der EU waren 1967 die Zusammenfassung von EWG, EAG
(beide seit 1958) und EGKS (seit 1951) zur Europäischen Gemeinschaft (EG),
1968 die Vollendung der Zollunion sowie 1993 die Vollendung des
Binnenmarktes im Zuge der Gründung der EU bzw. der Umbenennung der
Europäischen Gemeinschaft in Europäische Union.
2
Der europäische Binnenmarkt sollte auf diesem Weg einen großen Sprung hin zu
einer wachstumsstarken Wirtschaftsgemeinschaft darstellen, die in Konkurrenz zu
anderen großen Wirtschaftsmächten wie den USA und den aufstrebenden Teilen
Asiens erfolgreich bestehen kann. Tatsächlich bietet er einerseits große Chancen
durch freies marktwirtschaftliches Handeln unter Wettbewerb, er birgt jedoch
auch Probleme und Hemmnisse durch teils überflüssige oder überflüssig gewor-
dene Institutionen, komplizierte Verfahren, Bedenken der Bürger und die oft
fehlende Bereitschaft der Regierungen und Verwaltungen, zugunsten der Gemein-
schaft auf Vorteile zu verzichten und von gewohnten Mustern abzuweichen.
Aufgrund solcher Hemmnisse entsprechen die erwarteten Wirkungen eines Inte-
grationsprozesses häufig nicht den unter Realbedingungen tatsächlich realisierten.
Konkrete Fragestellungen, die bei der Analyse der erzielten Erfolge immer wieder
auftauchen, sind die nach dem ,,zentrale[n] Aspekt des europäischen Integrations-
prozesses"
3
. In welchen Bereichen hat die Integration überhaupt Einfluss auf
Wirtschaft und Wohlstand? Inwieweit bestand seit Vollendung der Zollunion und
besteht heute überhaupt noch Potential zur weiteren Vertiefung der Verflech-
tungen in der EU? Welche Wirkungen sind tatsächlich bis heute eingetreten?
Wurden die ausgelösten Wohlfahrts- und Handelseffekte im Vorhinein zu positiv
eingeschätzt? Und können die positiven Veränderungen wirklich auf die
Implementierung des EU-Binnenmarktes und die Öffnung der Märkte zurück-
geführt werden?
D
ie folgende Arbeit stellt Erwartungen, noch bestehende Problematiken und
erzielte Erfolge im Integrationsprozess dar und untersucht das Ausmaß der
Abweichungen zwischen Prognosen und Realität. Es werden dazu in den Kapiteln
2 und 3 zunächst theoretische Grundlagen der Integration sowie Theorien zu
1
Zu nennen seien hier z.B. NAFTA (North American Free Trade Agreement, seit 1992) in Nordame-
rika, MERCOSUR (Mercado Común del Cono Sur, seit 1991) in Südamerika, sowie LAIA (Latin
American Integration Association, seit 1980) in Lateinamerika, ASEAN (Association of South East
Asian Nations, seit 1967) in Asien, SADC (Southern African Development Community, seit 1992)
in Südafrika, CACEU (Central African Customs and Economic Union, seit 1964) in Zentralafrika.
2
Entwicklungen bezüglich der Währungen und Wechselkurse bis hin zur Währungsunion und
Einführung des Euro 1999 liefen parallel. Dies soll hier aufgrund des abweichenden Schwerpunktes
jedoch nicht explizit betrachtet werden.
3
Ziltener (2002), S.3.

Durch Integration zum Binnenmarkt
2-2
deren Wirkungen vorgestellt. Kapitel 3.4 geht dazu speziell auf quantitative
Aussagen zu nicht-tarifären Handelshemmnissen und Erwartungen ein (Cecchini-
Bericht). In welchen Bereichen die anfangs gesetzten Ziele bis heute verwirklicht
sind und wo noch Handlungs- und Verbesserungsbedarf besteht, wird in Kapitel 4
erläutert. Den Abschluss bildet Kapitel 5 mit einem Fazit.
2. Durch Integration zum Binnenmarkt
2.1. Integration
Regionale Integration ist die ,,Verbindung bislang getrennter Volkswirtschaften zu
einem gemeinsamen Wirtschaftsraum"
4
mit dem Ziel des Abbaus von tarifären
und nicht-tarifären
5
Hemmnissen, der Liberalisierung, des freien Handels sowie
der Zentralisierung wirtschaftspolitischer Aktivitäten. Sie kann in unterschied-
licher Art und Intensität stattfinden: volkswirtschaftliche Verflechtungen der
institutionellen Integration und jene der Marktintegration.
Die institutionelle Integration erfolgt durch Zentralisierung oder Har-
monisierung institutioneller Regelungen und Politiken. Durch gemeinsames
Eingliedern unter zentrale, supranationale Institutionen
6
entsteht ein einheit-
liches System staatlicher Interventionen und ökonomischer Rahmen-
bedingungen, das oft mit einer gewissen Abschottung nach außen einhergeht.
Für die betroffenen Volkswirtschaften besteht Zwang zur Teilnahme, so dass
von unfreiwilliger Integration ,,von oben"
7
gesprochen werden kann. Zwar
kann es hierbei zu Effizienz- und Wohlfahrtsgewinnen durch den Abbau von
Reibungskosten (z.B. durch Verringerung von Transaktions- und Informa-
tionskosten sowie Kosten der Risikoabsicherung)
8
und zu einer Erleichterung
des Handels durch eine gemeinsame Währung kommen, gleichzeitig wird
jedoch der Systemwettbewerb ausgeschaltet. Ein Überbau an Gemeinschafts-
organen mit zum Teil fragwürdiger Legitimation und häufig wenig justitia-
blen, willkürlich gesetzten Rechtsregeln ist notwendig
9
, der eher Skepsis
weckt als Vertrauen und Stabilität schafft. Zudem können sektorale Politiken,
die ineffiziente Bereiche stützen (Agrarpolitik) oder bereits starke Regionen
zu lange subventionieren (Strukturpolitik, Bsp. Irland), den Strukturwandel
behindern und Verteilungskämpfe auslösen. Im Kosten-Nutzen-Vergleich sind
diese negativen Effekte oft gewichtiger als die potentiellen positiven
Auswirkungen. Auch Molle (1990) hält Regulierung (bei ihm als ´positive
integration` bezeichnet
10
) für das Zusammenwachsen Europas nicht förderlich:
,,[...] positive integration does not present a built-in stimulus for progress"
11
.
Formen der institutionellen Integration sind gemeinsame Marktordnungen
sowie Wirtschaftsunion und Währungsunion, die wegen der starken
4
Ohr/Gruber (2001), S.3.
5
Nähere Ausführungen zu nicht-tarifären Handelshemmnissen in Kapitel 3.4.
6
Vgl. Ohr/Gruber (2001), S.4.
7
Ebd.
8
Vgl. ebd., S.5.
9
Vgl. Mussler/Streit (1996), S.268.
10
Zur Unterscheidung ,,positive integration" und ,,negative integration" siehe Molle (1990), S.11f.
11
Molle (1990), S.12.

Durch Integration zum Binnenmarkt
2-3
Verflechtungen von Geld- und Makropolitik meist simultan entstehen
(WWU)
12
.
Marktintegration hingegen erfolgt durch das Wirken von Wettbewerb und
Marktmechanismen. Deregulierung und Öffnung des Marktes ermöglichen
freies Handeln der Wirtschaftssubjekte über die Grenzen hinweg. Wahlhand-
lungen der Nachfrager führen zu Anpassungsreaktionen der Anbieter
13
und
politische Macht wird durch die ´exit-option`, die Möglichkeit der Abwande-
rung aus dem Einflussbereich, beschränkt. So werden die optimalen und
wettbewerbsfähigsten Lösungen gewählt und es wird eine Entwicklung der
wirtschaftlichen und politischen Angebotsseite gemäß Nachfragepräferenzen
gefördert. Privatautonomie, Selbstkoordination beim Tausch auf Märkten und
Selbstkontrolle sind typische Systemmerkmale
14
, ebenso wie eine umfassende
Wettbewerbsordnung, um Missbräuche zu verhindern, und die Absicherung
wirtschaftlicher Freiheitsrechte durch das Verbot staatlicher und privater
Beschränkungen. So führt diese freiwillige Integration ,,von unten"
15
im
Integrationsraum zu einem Systemwettbewerb, der Innovation und Fortschritt
fördert, sowie zu verstärkter internationaler Arbeitsteilung gemäß komparati-
ver Kostenvorteile. Insgesamt wird angestrebt, eine optimale Allokation der
Produktionsfaktoren, effizienteren Handel und daraus resultierend ein höheres
ökonomisches Wohlfahrtsniveau zu erreichen. Das Primärziel der wirtschaft-
lichen Effizienz hat hierbei im besten Fall zusätzliche positive Nebeneffekte
im Bereich politischer Beziehungen. Trotz der positiv wirkenden Markt-
mechanismen treten auch bei dieser Form häufig Behinderungen der Privat-
autonomie durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse auf, die Transaktionen
erschweren und den Wettbewerb wieder einschränken.
Formen der Marktintegration
16
sind Präferenzzonen mit Handelserleichte-
rungen für einzelne Güter, Freihandelszonen mit freiem Binnenhandel in allen
Bereichen und individuellem Außenzoll, die Zollunion mit freiem Binnen-
handel in allen Bereichen und einheitlichem Außenzoll und der Gemeinsame
Markt, z.B. der europäische Binnenmarkt, als Zollunion mit freiem Austausch
von Produktionsfaktoren, Waren und Dienstleistungen (DL).
2.2. Der EU-Binnenmarkt
,,Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses wurden beide Strategien neben-
einander angewendet."
17
Dem ersten bedeutsamen marktintegrativen Schritt, der
Vollendung der Zollunion 1968, folgte zunächst eine Phase ohne große Integra-
tionserfolge: das Erreichen der gesetzten Ziele wurde behindert durch weiterhin
bestehende nicht-tarifäre Handelshemmnisse, vor allem durch die fehlende
Mobilitätsfreiheit des Faktors Arbeit und die starke Monopolstellung der Staaten
im DL-Bereich. Auch nationale Subventionen (im Agrar-, Verkehrs- und
12
Die Politische Union, bei der die Staaten durch Zusammenlegung zentraler politischer Bereiche
weitgehend auf politische Souveränität verzichten und ein neues staatliches Gebilde entsteht, wäre
schließlich die stärkste Form, sie besteht jedoch in der EU nicht.
13
Vgl. Mussler/Streit (1996), S.273.
14
Vgl. ebd., S.269.
15
Vgl. Ohr/Gruber (2001), S.4.
16
Mit zunehmendem Integrationsgrad.
17
Theurl/Meyer (2001), S.77.

Durch Integration zum Binnenmarkt
2-4
Energiesektor) sowie Protektionismus und Diskriminierung ausländischer Kon-
kurrenz
18
zum Schutz der subventionierten heimischen Anbieter waren Gründe für
die schleppende Entwicklung. Hier zeigte sich schon früh im Entstehungsprozess
der EU, dass trotz des Wegfalls der Zollschranken zwischen den Teilnehmer-
ländern wirtschaftliche Grenzen bestehen blieben, die desintegrierend wirkten. Bis
Mitte der 80er Jahre hatte das Zollunionsgebiet infolgedessen mit einer
Wachstumsschwäche und technologischem Rückstand gegenüber der Wirtschafts-
macht USA und den aufstrebenden asiatischen Tigerstaaten zu kämpfen.
19
Die
Diagnose der sog. ,,Euro-Sklerose"
20
, einer Verknöcherung und Verlangsamung
des EG-Apparates, gab den Anstoß zu intensiven Bemühungen um eine
,,`Rehabilitierung´ des gesamten Unternehmens EG"
21
. Das Binnenmarkt ´92-
Programm, initiiert von der Kommission unter deren damaligen Präsidenten
Jacques Delors
22
und basierend auf einem Maßnahmenpapier des Roundtable of
European Industrialists (ERT)
23
, führte schließlich zum Weißbuch `Vollendung
des Binnenmarktes´ mit 282 Rechtsakten zum Abbau der entwicklungs-
hemmenden Probleme. Ab dem 01.01.1993 sollten alle Grenzkontrollen des
Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten entfallen können. Ergänzend zum
Binnenmarkt ´92-Programm wurden zwei analysierende Berichte erstellt: Der
´Cecchini-Bericht: Europa ´92, Der Vorteil des Binnenmarkts` aus dem Jahr 1989
zur Erfassung der durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse entstehenden Kosten
und der Vorteile durch deren Abbau und der Padoa-Schioppa-Bericht
24
, der
sowohl das bestehende Gemeinschaftssystem als auch nachfrageseitige Elemente
und die ,,zentralen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen Wettbewerbsfähigkeit,
Stabilität, Wachstum und Verteilung"
25
berücksichtigt. Aus ersterem entstand die
´erste Agenda` mit dem Ziel der Marktintegration, aus letzterem entstand die
´zweite Agenda` mit dem ursprünglich primären Ziel des Binnenmarktprojekts:
der Weltmarktkonkurrenzfähigkeit europäischer Konzerne.
Der als Ergebnis dieser langjährigen Integrationsbemühungen bis Januar 1993 im
Rechtsrahmen der EU verankerte Binnenmarkt stellt grundsätzlich eine starke
Form der Marktintegration dar. Er basiert auf einem Systemwettbewerb, der
aufrechterhalten wird durch die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes
26
(freier
Verkehr von Waren, Personen, DL und Kapital
27
) und durch die flankierenden
Wettbewerbsregeln der EU. Die Ziele des Weißbuches gingen dabei schon über
18
Vgl. Brasche (2003), S.47f.
19
Vgl. ebd., S.48.
20
Ebd.
21
Ziltener (2002), S.6.
22
Präsident von 1985 bis 1994. Weitere wichtige Initiativen: die ,,Delors-Pakete" mit Vorschlägen zu
Reformen und einem flankierenden Finanzsystem sowie der ,,Delors-Plan" zur Verwirklichung der
WWU. Weiterführende Literatur: Ross, G. (1995), Jaques Delors and European Integration;
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften: Erklärung von Kommissionspräsidenten Jacques Delors
vor dem Europäischen Parlament und Erwiderung nach Abschluß der parlamentarischen
Aussprache, Beilage 1/85, Straßburg, 1985.
23
Vgl. Ziltener (2002), S.6.
Die sog. Roundtables bestanden aus Vertretern europäischer Großunternehmen, die bezüglich der
Entwicklung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes eine wichtige Funktion übernahmen.
24
Dieser Bericht wird aufgrund der größeren Relevanz des Cecchini-Berichts in der Öffentlichkeit
und in Anbetracht des Umfangs dieser Arbeit nicht weiter erläutert.
25
Ziltener (2002), S.9.
26
Ausführliche Informationen zu den Grundfreiheiten z.B. bei Brasche (2003), Kap.2, S.61-106.
27
Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs war bereits bis 1994 vollzogen und hat den Weg geebnet
für die Bildung von Binnenmarkt und WWU. Sie wird hier nicht explizit erläutert.

Durch Integration zum Binnenmarkt
2-5
einen Gemeinsamen Markt hinaus und verlangten Öffnung und Harmonisierung
relevanter Bereiche
28
. Folge war ein ,,Wechsel der dominanten Integrationsmetho-
de, nämlich die weit gehende Ablösung der Schaffung europäischer Standards
mittels Harmonisierung [und,...] das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
nationaler Standards"
29
. Allerdings zeigte sich, dass der Binnenmarkt immer noch
und zunehmend von interventionistischen Bestandteilen geprägt war. So wurde
vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bis 1996 kein Gebrauch gemacht.
Stattdessen ermöglichte eine gleichzeitig in den EWG-Vertrag eingebrachte
Harmonisierungsermächtigung dessen Umgehung und erhöhte den Grad der
,,Harmonisierung [wieder] über das zur Verwirklichung eines Binnenmarktes
erforderliche Maß hinaus [...]"
30
. Auch heute noch können als notwendig erachtete
Maßnahmen auf nationaler Ebene und entgegen integrationspolitischer Ziele
ergriffen werden (Art.36 EG-Vertrag, siehe Anhang, S.42). Dies entspricht einer
Generalermächtigung zu diskretionären Eingriffen für die Organe der EU, die
,,mit dem Prinzip unverfälschten Wettbewerbs nicht vereinbar sind"
31
. Weitere
Institutionen, für die die Strategie der Integration durch Intervention gilt, sind
beispielsweise die gemeinsamen sektoralen Politiken, die sich auf immer mehr
Bereiche erstrecken (z.B. Agrarwirtschaft, Verkehr, Industrie, Forschung und
Technologie, Regionalentwicklung, Bildung und Kultur, Gesundheitswesen,
Verbraucherschutz, transeuropäische Netze), die zu wirtschaftlicher und sozialer
Kohäsion eingerichteten Fonds und die seit 1999 vollendete Währungsunion.
Die Ausführungen dieses Kapitels verdeutlichen, dass eine Trennung der Integra-
tionsformen in modernen Marktwirtschaften wie der EU schwierig ist. Der Abbau
zwischenstaatlicher Handelsschranken und Mobilitätshemmnisse auf Güter- und
Faktormärkten bedarf zumeist einer Ergänzung durch Harmonisierung der
nationalen Politiken. Die Bedingungen zur Schaffung eines liberalisierten Marktes
sind dann aber oft nicht gegeben, da Politiker teilweise zwar kooperieren, ihre
Vormachtstellung und Interventionsmacht vor allem in Belangen der
Beschäftigungs- und Geldpolitik jedoch nicht aufgeben wollen. Zudem
verschaffen staatliche Regulierungen den nationalen Verwaltungseinheiten eine
gewisse Existenzbegründung und Wichtigkeit, welche von diesen selten
zugunsten der politischen Harmonisierung aufgegeben wird
32
.
V
or der Vollendung des europäischen Binnenmarktes sind, ohne das Wissen um
die sich erst noch entwickelnde Struktur und die damit einhergehenden Probleme,
eine Vielzahl von Erwartungen bezüglich seiner Wirkungen entstanden. Die
zentralen Aspekte der zugrunde liegenden Integrationstheorien
33
und speziell die
quantitativen Aussagen des Cecchini-Berichts werden im folgenden Kapitel
erläutert.
28
Vgl. Ziltener (2001), S.27.
29
Ebd.: Übergang vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot und vom Bestimmungsland-
zum Ursprungslandprinzip. Ein Vergleich von BLP und ULP sind zu finden z.B. bei Fuest (2001),
S.471-473 und Mussler/Streit (1996), S.278ff.
30
Mussler/Streit (1996), S.285.
31
Ebd., S.287.
32
Vgl. Molle (1990), S.11.
33
Obwohl die EU als Gemeinsamer Markt eine stärkere Form der wirtschaftlichen Integration ist,
wird zunächst die Theorie zur Zollunion erläutert, weil sich der Großteil der theoretischen Literatur
damit beschäftigt und die Ergebnisse auch für jede weitergehende Integrationsstufe gültig sind.

Erwartete Wirkungen des EU-Binnenmarktes
3-6
3. Erwartete Wirkungen des EU-Binnenmarktes
3.1. Traditionelle Integrationstheorie : Statische Effekte
Die traditionelle Integrationstheorie, die maßgeblich auf Jacob Viners ,,The
Customs Union Issue" (1950) zurückgeführt wird, widerspricht der damaligen
Auffassung, regionale Integration bewirke über mehr Freihandel notwendiger-
weise eine Wohlfahrtssteigerung
34
. Die Theorie basiert auf Prämissen der neo-
klassischen Außenhandelstheorie
35
und analysiert im Rahmen eines 3-Länder-2-
Güter-Modells den Einfluss der Integration auf die Allokation infolge einer Zoll-
unionsbildung. Faktorbewegungen, Größen- und Effizienzeffekte bleiben hierbei
außer Acht. Schon Viner beschäftigte sich hauptsächlich mit den komparativ-
statischen Wirkungen der Handelsschaffung (,,the trade-creating force"
36
) und der
Handelsumlenkung (,,the trade-diverting effect"
37
). Die daraus entstehenden
positiven und negativen Wohlfahrtswirkungen ,,beruhen dabei auf einmaligen und
dauerhaften Produktions- und Konsumeffekten sowie Veränderungen der terms of
trade
38
, die aus Anpassungen in der interregionalen Spezialisierung resultieren"
39
.
Handelsschaffung, auch als Aufschließungseffekt bezeichnet, beschreibt
die Förderung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten der Zollunion durch
Abbau von tarifären Handelshemmnissen (Zöllen). Positive Effekte entstehen,
wenn infolge relativer Preisverschiebungen Produktionsverlagerungen in ein
Partnerland stattfinden. Kostenungünstig hergestellte Güter werden durch
kostengünstig hergestellte Güter ersetzt, so dass Tauschpotentiale optimal
ausgeschöpft und Spezialisierungsvorteile genutzt werden können. Erfolgt die
Produktion gemäß komparativer Kostenvorteile, so können innerhalb der
Union eine effizientere Allokation und Produktionszuwächse erreicht werden.
Ein weiterer positiver Effekt besteht in der Senkung der Verbraucherpreise,
bei einheimischen Produkten aufgrund der günstigeren Produktion, bei
Importen aus Partnerländern aufgrund des wegfallenden Zolls. Es kann
allerdings auch hier zu ineffizienten Produktionsstrukturen kommen, wenn
aufgrund der Benachteiligung von Drittländern Fehlspezialisierungen statt-
finden
40
(siehe Handelsumlenkung). Zudem sinkt die Produzentenrente, da
durch die niedrigeren Preise im Inland geringere Umsätze erzielt werden
(Ausnahme: gleichzeitige Steigerung der Exportmenge an Drittländer).
Insgesamt ergibt sich der jeweilige Nettowohlfahrtseffekt aus der Erhöhung
der Konsumentenrente, dem Rückgang der Produzentenrente und dem
Wegfall der Zolleinnahmen von Partnerländern.
34
Vgl. Clapham (1993), S.26.
35
Vollbeschäftigung aller Produktionsfaktoren, vollständige Konkurrenz, ein völlig elastisches Ange-
bot, konstante Grenzkosten, eine preisunelastische Nachfrage, ein Markt homogener Güter ohne
Zutrittsbarrieren, technologischen Fortschritt und Innovationen.
36
Viner (1950), S.44.
37
Ebd.
38
Die Nichtberücksichtigung der terms of trade wie in der ursprünglichen Theorie ist nur dann
gerechtfertigt, wenn das betrachtete Land so klein ist, dass die Relativpreise in einer Zollunion
unverändert bleiben und das Integrationsgebiet im Vergleich zu Drittstaaten so klein ist, dass auch
die Weltmarktpreisrelationen durch die Integration nicht verändert werden. In modifizierten
Modellen werden Veränderungen wie hier jedoch miteinbezogen.
39
Ohr/Gruber (2001), S.6.
40
Vgl. ebd., S.7.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836614481
DOI
10.3239/9783836614481
Dateigröße
399 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Wirtschaftswissenschaften, International Economics
Erscheinungsdatum
2008 (Oktober)
Note
2,3
Schlagworte
europäische union binnenmarkt cecchini-bericht handelshemmnisse integrationstheorie
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