Die internationale Finanzkrise
Auslöser und Gefahren für die deutsche Realwirtschaft
Zusammenfassung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat die globale Wirtschaft seit dem Platzen der Investitionsblase in der IT-Branche eine starke Konjunkturphase durchlebt. Die USA, Staaten der EU und sich stetig entwickelnde Schwellenländer in Asien und Lateinamerika waren der Motor eines der stärksten Bullenmärkte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In Deutschland verbesserte sich vor allem durch das Boomjahr 2006 die gesamtwirtschaftliche Situation deutlich, was sich beispielsweise durch die geringste Arbeitslosenquote seit 1992 ausdrückt. Der Deutsche Aktienindex (DAX) erreichte folglich am 13. Juli 2007 mit 8151 Punkten ebenso seinen historischen Handelshöchststand wie der 1880 Titel aus 23 Ländern umfassende Weltindex MSCI World zwei Monate zuvor.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2007 schwand jedoch die gute Stimmung aufgrund der internationalen Finanzkrise, die genau zur Zeit der Rekordnotierungen ausbrach. Ausgelöst wurde der globale Flächenbrand durch die amerikanische Immobilienkrise, die Gier nach immer höheren Renditen und durch die in Phasen eines Wirtschaftsaufschwungs typische Sorglosigkeit einer Vielzahl von Marktteilnehmern. Trotz sorgsam installierter Sicherheitsmechanismen, wie zum Beispiel den Basel II Anforderungen für Kreditinstitute, wurde der Anlagegrundsatz missachtet, wonach eine hohe Rendite stets mit einem hohem Risiko bezahlt wird. Josef Ackermann (CEO der Deutschen Bank) sieht die Ursache in der Habgier der Finanzinvestoren begründet, die in ihrer verantwortungslosen Spekulationslust Marktgesetze ignorierten, weil im Kerngeschäft nicht genug verdient wurde.
Eindrucksvoll demonstriert die aktuelle Krise die enge Verknüpfung des globalen Finanznetzwerks. Eine Schieflage im US-Hypothekenmarkt hat in kürzester Zeit sogar einige europäische Banken an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht und insgesamt weltweit verbriefte Schuldverschreibungen im geschätzten Wert von 900 bis 1200 Mrd. US-$ infiziert. Vom Bankhaus JP Morgan geschätzte 20% bzw. 200 Mrd. US-$ gelten dabei unter den als Subprime bekannt gewordenen Kreditderivaten als akut abschreibungsgefährdet.
Wie bei vorausgegangenen Rezessionen hat auch die aktuelle Wirtschaftskrise bewiesen, dass auch kompetente Insider dramatische Fehleinschätzungen über das wahre Ausmaß der Verfehlungen treffen können. In einer nicht ungeteilten Meinung bezeichnete der Bundesbank-Chef, Axel Weber, die Einbrüche an den Aktienmärkten als gesunde Korrektur und die […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Gliederung
2 Einleitung
2.1 Zielsetzung
2.2 Vorgehensweise
2.3 Zur zeitlichen Eingrenzung
2.4 Zur Begrifflichkeit
3 Auslöser und Basis der Krise
3.1 Die US-Immobilienkrise
3.1.1 Fehlerhaftes Kreditvergabesystem
3.1.2 Sinkende Immobilienpreise
3.2 ABCP und SPVs
3.2.1 Weitergabe von Krediten
3.2.2 Forderungsbesicherte Wertpapiere (ABCP)
3.2.3 SIV und Conduits
3.3 Zusammenbruch
4 Die Finanzmarktkrise und der bisherige Verlauf
4.1 Ausbruch
4.2 Globaler Virus im Finanzsektor
4.2.1 Misstrauen in der Bankenbranche
4.2.2 Infektionsgrad der deutschen Banken
4.2.3 Liquiditäts- und Ertragskrisen
4.3 Bekanntgabe der 3. Quartalszahlen
4.3.1 Die Ergebnisse
4.3.2 Aussagekraft der Q3-Zahlen
4.3.3 Fazit
5 Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft in Deutschland
5.1 Globale Gefahrenvielfalt
5.1.1 Drohende US-Rezession
5.1.2 Inflationssorgen und steigender Ölpreis
5.1.3 Zusammenfassung
5.2 Auswirkungen auf den deutschen Aktienmarkt
5.2.1 Hohe Nervosität und volatile Märkte
5.2.2 Die drei Wellen
5.2.3 Schnelle Erholungen
5.2.4 Ausblick auf
5.3 Auswirkungen für deutsche Unternehmen
5.3.1 Drohende Kreditklemme
5.3.2 Wechselkursverluste
5.3.3 Exporteinbußen
5.4 Zwischenfazit und Ausblick
6 Interventionsbemühungen
6.1 Eingriffe der Zentralbanken
6.1.1 FED-Eingriffe
6.1.2 Reaktionen der EZB
6.2 Zusammenrücken der Bankenbranche
6.2.1 BIZ-Meeting
6.2.2 Einbezug der privaten Großbanken
6.3 Der Superfond MLEC
7 Zusammenfassung
8 Abkürzungsverzeichnis
9 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
9.1 Tabellen
9.2 Abbildungen
10 Quellenverzeichnis
10.1 Literaturverzeichnis
10.2 Internetverzeichnis
10.3 Sonstige Quellen
11 Eidesstattliche Erklärung
12 Anhang
2 Einleitung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat die globale Wirtschaft seit dem Platzen der Investitionsblase in der IT-Branche eine starke Konjunkturphase durchlebt. Die USA, Staaten der EU und sich stetig entwickelnde Schwellenländer in Asien und Lateinamerika waren der Motor eines der stärksten Bullenmärkte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In Deutschland verbesserte sich vor allem durch das Boomjahr 2006 die gesamtwirtschaftliche Situation deutlich, was sich beispielsweise durch die geringste Arbeitslosenquote seit 1992 ausdrückt.[1] Der Deutsche Aktienindex (DAX) erreichte folglich am 13. Juli 2007 mit 8151 Punkten[2] ebenso seinen historischen Handelshöchststand wie der 1880 Titel aus 23 Ländern umfassende „Weltindex“ MSCI World zwei Monate zuvor.[3]
In der zweiten Hälfte des Jahres 2007 schwand jedoch die gute Stimmung aufgrund der internationalen Finanzkrise, die genau zur Zeit der Rekordnotierungen ausbrach. Ausgelöst wurde der globale Flächenbrand durch die amerikanische Immobilienkrise, die Gier nach immer höheren Renditen und durch die in Phasen eines Wirtschaftsaufschwungs typische Sorglosigkeit einer Vielzahl von Marktteilnehmern. Trotz sorgsam installierter Sicherheitsmechanismen, wie zum Beispiel den Basel II – Anforderungen für Kreditinstitute, wurde der Anlagegrundsatz missachtet, wonach eine hohe Rendite stets mit einem hohem Risiko bezahlt wird. Josef Ackermann (CEO der Deutschen Bank) sieht die Ursache in der Habgier der Finanzinvestoren begründet, die in ihrer verantwortungslosen Spekulationslust Marktgesetze ignorierten, weil im „Kerngeschäft nicht genug verdient“ wurde.[4]
Eindrucksvoll demonstriert die aktuelle Krise die enge Verknüpfung des globalen Finanznetzwerks. Eine Schieflage im US-Hypothekenmarkt hat in kürzester Zeit sogar einige europäische Banken an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht und insgesamt weltweit verbriefte Schuldverschreibungen im geschätzten Wert von 900 bis 1200 Mrd. US-$ infiziert.[5] Vom Bankhaus JP Morgan geschätzte 20% bzw. 200 Mrd. US-$ gelten dabei unter den als „Subprime“ bekannt gewordenen Kreditderivaten als akut abschreibungsgefährdet.[6]
Wie bei vorausgegangenen Rezessionen hat auch die aktuelle Wirtschaftskrise bewiesen, dass auch kompetente Insider dramatische Fehleinschätzungen über das wahre Ausmaß der Verfehlungen treffen können. In einer nicht ungeteilten Meinung bezeichnete der Bundesbank-Chef, Axel Weber, die Einbrüche an den Aktienmärkten als „gesunde Korrektur“ und die betroffenen Geschäftsfelder als „abgeschirmt“.[7] Sogar Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) erklärte anfangs wiederholt, es gäbe „keinen Grund zur Nervosität über die Realwirtschaft“.[8] Zusätzlich wird von so genannten Experten gerne auf die nach wie vor positiven Arbeitsmarktergebnisse verwiesen, die jedoch der Konjunktur in der Regel hinterherhinken. So ist beispielsweise der Höchststand im November 2007 neben den politischen Reformen nach wie vor dem Boomjahr 2006 und der starken Entwicklung im Frühjahr 2007 zuzuordnen. Nach Bekanntgabe der 3. Quartalszahlen durch die Finanzinstitute und den immer bedrohlicher erscheinenden ökonomischen Belastungsfaktoren für die europäische und vor allem amerikanische Konjunktur, wächst nun stetig die Anzahl im Lager der Pessimisten.
2.1 Zielsetzung
Die vorliegende Bachelorarbeit thematisiert die Entstehung und die Auswirkungen der globalen Finanzkrise. Erörtert und analysiert werden die aktuell auftretenden und miteinander korrelierenden Risikopotentiale, die den signifikanten Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit solide aufgestellten Unternehmen gefährden. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die Betrachtung der Zusammenhänge und Folgen einzelner Negativeinflüsse, wie die drohende Rezession der US-Wirtschaft, eine sich ausbildende Kreditklemme, aber auch der enorme Vertrauensverlust im Bankensektor.
Die Analyse der aufgetretenen Phänomene zeigt die Komplexität heutiger Finanzinstrumente und Kapitalmärkte und soll erklären, wie das Ungleichgewicht eines spezifischen Marktes das internationale Finanzsystem bedrohen kann. Eingehend werden die Mechanismen beschrieben, die dazu führten, dass sinkende Immobilienpreise in den Vereinigten Staaten im Endeffekt deutsche Banken wie die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB in eine äußerst bedrohliche Lage bringen konnten. Als oft zitiertes „Scharnier“ zwischen Finanz- und Realwirtschaft wird dem Bankensektor eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da insbesondere die Kreditvergabe schon immer eine der primären Antriebswellen für Konsum, Investitionen und Wirtschaftswachstum war. In der Vergangenheit haben Turbulenzen in der Finanzwelt folglich stets eine Bremsspur in der Realwirtschaft verursacht, wobei die Unternehmen bilanziell selten so gut aufgestellt waren wie in der Gegenwart.
2.2 Vorgehensweise
Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit erfolgt eine Auseinandersetzung mit den betroffenen Finanzinstrumenten, sowie den Systemfehlern der amerikanischen Kreditvergabe. Die Kombination beider Elemente war Grundlage für die gravierenden Auswirkungen des Einbruchs der Häuserpreise auf die globalen Kapitalmärkte. Die als Finanzinnovationen gepriesenen Asset Backed Commercial Papers (ABCP) werden in diesem Zusammenhang hinsichtlich ihrer Funktionsweise und ihrer weltweiten Verwendung durch die von Banken finanzierten Off-Shore-Gesellschaften erörtert. Zusätzlich wird der Zusammenhang zwischen sinkenden Immobilienpreisen und dem Wert der forderungsbesicherten Wertpapiere beschrieben, der letztlich ausschlaggebend für den Ausbruch der weltweiten Finanzkrise war.
Der zweite Teil dieser Ausführungen widmet sich dem öffentlich wahrgenommenen Ausbruch und dem bisherigen Verlauf der Bankenkrise. Hierbei wird der zeitliche Rahmen zwischen dem Bekanntwerden der IKB-Schieflage und der Veröffentlichung der 3. Quartalszahlen beleuchtet. Ebenso wird gezeigt, inwieweit das große Misstrauen in der Bankenbranche bereits als globaler Virus einzelne Länder befallen hat und in welchen Volkswirtschaften Risikopotential für weitere Immobilienkrisen vorliegen könnte.
Die direkten und indirekten Auswirkungen der globalen Kreditkrise auf die deutsche Realwirtschaft sind Thema des dritten Teils der Ausarbeitung und stellen den Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Einleitend wird auf ökonomische und miteinander verbundene Risiken für die deutsche Konjunktur eingegangen. Im Zentrum der Analyse stehen die durch einen drohenden Konsumeinbruch mögliche US-Rezession, sowie steigende Ölpreise und das erhöhte Inflationsrisiko. Anschließend wird der Verlauf der Krise auf dem deutschen Aktienmarkt durchleuchtet, da dieser langfristig betrachtet die realwirtschaftliche Entwicklung widerspiegelt. Im Anschluss daran erfolgt eine ausführliche Analyse bezüglich der Auswirkungen auf den deutschen Unternehmenssektor. Die massivsten Beeinträchtigungen sind dabei aufgrund der drohenden Kreditklemme und durch die Dollarschwäche ausgelösten Export- und Wechselkursproblemen zu erwarten.
Abschließend werden die Interventionsbemühungen, allen voran durch die Zentralbanken Federal Reserve System (FED) und Europäische Zentralbank (EZB), vorgestellt. Das beschriebene Zusammenrücken der Bankenbranche und die versuchte Installation eines Superfonds durch amerikanische Bankinstitute zeigen, dass die Situation trotz vieler Dementis von den Banken als äußerst bedrohlich wahrgenommen wird.
2.3 Zur zeitlichen Eingrenzung
Die dieser Arbeit zugrunde liegende hochaktuelle Finanzkrise entwickelt sich zeitgleich der thematischen Bearbeitung äußerst dynamisch und schwer vorhersehbar. Eine Umfrage der Wirtschaftswoche unter 50 ausgewählten Volkswirten aus dem August 2007 zeigt beispielsweise, dass zu jener Zeit nur 24% eine Bedrohung der deutschen Konjunktur erwarteten und 68% der Befragten die Wahrscheinlichkeit einer Beeinflussung deutscher Unternehmen durch eine Kreditklemme als sehr gering einschätzten.[9] Der Stern titelte am 11. August 2007 sogar: „Experten sehen keine Gefahr mehr“.[10] Mittlerweile jedoch hat vor allem der unternehmerische Mittelstand bereits große Finanzierungsprobleme und befürchtet zunehmend eine aufkommende Rezession.
Eine zeitliche Eingrenzung zur präzisen Betrachtung der Problematik ist daher zwingend notwendig. Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, nennt den gewählten Zeitraum von Anfang August bis Ende Oktober das „Kapitel 2, das davon handelt, wie diese Krise auf die Realwirtschaft, auf Wachstum, Beschäftigung und Konjunktur übergreift.“[11] Als voraussichtlicher Schluss- und vorläufiger Höhepunkt wurde die mit Spannung erwartete Bekanntgabe der 3. Quartalszahlen in den USA und der EU determiniert. Synchron zu den Prognosen des Commerzbank-Chefs Klaus-Peter Müller umschließt die vorliegende Ausarbeitung somit die ersten beiden der drei erwarteten Abwärtswellen (Ende Juli, Anfang November und Frühjahr 2008) an den Aktienmärkten.[12]
2.4 Zur Begrifflichkeit
Bereits in der Einleitung wurden verschiedene Fachtermini zur Beschreibung der aktuellen Krise herangezogen. In der Literatur wird eine Vielzahl von fachlichen Umschreibungen verwendet, welche lediglich einen anderen thematischen Schwerpunkt ausdrücken. Während die Verwendung der Worte „Immobilienkrise“ oder „Hypothekenkrise“ eher auf den Krisenursprung des US-Häusermarkts anspielt, stellen „Vertrauenskrise“, „Bankenkrise“ oder „Kreditkrise“ die Bankenschieflage in den Mittelpunkt. „Subprime-Krise“, „Wirtschaftskrise“ oder die im Titel der vorliegenden Arbeit gewählte Bezeichnung als „internationale Finanzkrise“ betonen primär die globalen Auswirkungen.
3 Auslöser und Basis der Krise
Die Suche nach den Ursachen für die Entstehung der US-Hypothekenkrise gestaltet sich verhältnismäßig einfach nachvollziehbar. Kurz auf den Punkt gebracht, nahm das Verhängnis durch die laxe Kreditvergabepolitik in den USA seinen Lauf, charakterisiert durch niedrige Zinsen, provisionshungrige Kreditvermittler und die laienhafte Erwartung permanent steigender Haus- und Wohnungspreise. Die allgemeine latente Sorglosigkeit legt wie bei fast jeder vorangegangenen Wirtschaftskrise das Fundament und erinnert dabei sogar an die Tulpenkrise im 17. Jahrhundert in Holland.[13] Paaren tut sich die Überhäufung der Bevölkerung mit zunächst günstigen Krediten mit der ewigen Suche des Finanzsektors nach immer höheren Renditen. Die gierigen Spekulationen und immer undurchschaubarere Finanzinstrumente veranlassen erfahrene Anleger und Banker, Marktgesetze und Geschäftsprinzipien unverantwortlich und fahrlässig außer Acht zu lassen.
3.1 Die US-Immobilienkrise
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Basis der Missstände war die falsche Annahme ewig weiter steigender Immobilienpreise. Hinzu gesellt sich ein für die sicherheitsorientierte europäische Denkweise schwer nachzuvollziehendes Konsumverhalten der US-Bürger. Der schon als selbstverständlich erachtete Wertezuwachs des eigenen Vermögens verführt die Amerikaner zu einer immer höher ausufernden Privatverschuldung, die sich seit 2001 auf 136% des verfügbaren nominalen Jahreseinkommens gesteigert hat (13,8 Billionen US-Dollar Gesamtverschuldung der privaten Haushalte in den USA).[14] Die US-Amerikaner konsumieren somit aufgrund ihres steigenden Vermögens statt dem monatlich verfügbaren Einkommensüberschuss. Das sensible Gerüst des „Lebens auf Pump“ steht nun, bedingt durch steigende Zinsen und sinkende Häuserpreise, kurz vor dem Kollaps, vor allem unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung des privaten Konsums für das Bruttoinlandsprodukt der USA. Vor allem die kriselnde Immobilienbranche gilt als großes Risiko, da acht der letzten zehn Rezessionen in Amerika eine Krise am Häusermarkt vorausging.[15]
3.1.1 Fehlerhaftes Kreditvergabesystem
Die Kreditvergabe an Privatpersonen wird in den USA in der Regel über einen Vermittler abgewickelt, der als Schnittstelle zwischen dem Begünstigten und der Bank fungiert. Dafür erhält dieser eine Provision und ist zwangsläufig primär am Abschluss des Kreditvertrages interessiert. Auch die Hypothekenbanken, welche die Risiken durch später noch zu erläuternde Mechanismen in großem Umfang weiterreichen konnten, profitieren von jedem vergebenen Kredit. Die Folge ist ein Übergehen von Schutzmechanismen und daraus resultierend eine Kreditanhäufung bei US-Banken. Die sorglose Kreditvergabe ohne Einkommensnachweis an sogenannte „ninjas“ („no job, no income, no assets“)[16] funktioniert nur, so lange die Häuserpreise steigen und die Zinsen zumindest konstant bleiben. Die Hypothek für den Kredit bleibt der Bank als Sicherheit und im Falle eines Immobilienverkaufs kann sogar noch ein Profit aufgrund des zwischenzeitlichen Wertezuwachses verbucht werden.
Hinsichtlich der amerikanischen Immobilienkreditvergabe der vergangenen Jahre entstand zudem ein Problem, welches bei der aktuellen Bewertung der Krise zumeist außer Acht gelassen wird. Viele Darlehen wurden gerade im Jahr 2006, als der Markt nahezu gesättigt war, mit großzügigen Konditionen vergeben. Die am häufigsten realisierten Entgegenkommen der Hypothekenfinanziers waren dabei eine zweijährige Tilgungsfreiheit für den Kredit oder zweijährige vertraglich fixierte Niedrigzinsen mit anschließender variabler Anpassung. Betrachtet man das Ende dieser zweijährigen Schonzeit, so ist Mitte 2008 mit einer weiteren Welle an Zahlungsausfällen, Zwangsversteigerungen und abermals sinkenden Immobilienpreisen zu rechnen.[17] Generell haben ¾ der Kreditnehmer während der Niedrigzinszeit gegen jede ökonomische Vernunft einen variablen Zinssatz ausgehandelt, der nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angehoben und Hausbesitzer in Zahlungsschwierigkeiten bringen wird.[18] Hypothekenkredite im Wert von ca. 480 Mrd. US-$ werden dabei schätzungsweise von den Zinserhöhungen betroffen sein.[19]
3.1.2 Sinkende Immobilienpreise
Das unerwartete Sinken der Immobilienpreise hat das sensible System aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Grafik des monatlich berechneten „S&P / Case-Shiller Home Price Indices“ (siehe Abb. 2) zeigt anschaulich die Wertverluste des Immobilienmarktes in 20 US-Metropolen bis einschließlich Juni 2007 und dient der Preisbemessung des US-Häusermarktes.[20] Es ist deutlich zu erkennen, wie die US-Immobilienpreise erstmals seit 1991 den Aufwärtskanal (gestrichelte grüne Linie) verlassen und sich zurzeit unter dem Niveau von 1996 befinden. Der Index spiegelt dabei keinesfalls den realen Wertverlust wider, da seit der Jahrtausendwende immer häufiger gratis Extrazubehör, wie z.B. Einbauküchen etc., zu den Verkaufsabschlüssen gehörten und somit einen bis zu 30% höheren realen Wert im Vergleich zur früheren Verkaufspraxis erreichten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die ständig zunehmende Zahl an Zwangsversteigerungen betrifft naturgemäß einkommensschwächere Schuldner. Wird ein Haus per Zwangsauktion verkauft, erzielt es, Marktgesetzen folgend, in der Regel einen niedrigeren als den ursprünglich geforderten Preis. Kaufinteressenten für Immobilien in der gleichen Region orientieren sich nun am erzielten Preis bei der Zwangsversteigerung und ein Sinken der Immobilienwerte in der Nachbarschaft ist die Folge. Dieser Teufelskreis bewirkt einen ständigen Wertverlust des Vermögens und führt zu weiteren Zahlungsausfällen mit erhöhter Versteigerungsrate bei angrenzenden Immobilien als direkte Konsequenz. Der Wert der Hypotheken, welcher als Sicherheit für den Hausbaukredit diente, sinkt dadurch zum Nachteil der Banken. Zusätzlich verramschen viele Immobilienanbieter ihre Häuser, da sie in dieser Abwärtsspirale mit einem weiteren Preisverlust rechnen. Konsequenterweise werden die Kreditkonditionen letztendlich für neue Hauskäufer verschärft, was die Kaufkraft neuer Interessenten einschränkt und einen weiteren Rückgang der Nachfrage mit sich bringt.
Eine aktuelle Analyse der Investmentbank Goldman Sachs trägt den Titel: „Die Häuserpreise sehen stärker überbewertet aus, als wir gedacht haben“. Fazit der Untersuchung ist ein möglicher Preisabschlag von weiteren 15 bis 30%. Andere Immobilieninvestoren rechnen sogar mit einem Preisverfall von bis zu 50%, vor allem in den südlichen Regionen des Landes, wo viele arbeitlose Zuwanderer aus Lateinamerika in den letzten Jahren ihr Eigenheim über Kredite finanziert und gänzlich auf den Wertzuwachs des Hauses vertraut haben.[21]
Abschließend ist die Tendenz erkennbar, dass die Immobilienkrise gerade erst begonnen hat. So verzeichnete der Abfall der US-Häuserpreise gemäß dem Case-Shiller-Index nach eigenen Berechnungen im dritten Quartal 2007 mit 1,73% den höchsten Werteverlust seit Beginn der Aufzeichnungen 1987.[22] Der Höhepunkt wird, wie bereits begründet, erst für Mitte 2008 erwartet. Ursache und Auswirkungen der Immobilienblase werden in den folgenden, miteinander zusammenhängenden Grafen deutlich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um die entstandenen Risiken aus dem Hypothekengeschäft nicht alleine zu tragen und sich gleichermaßen refinanzieren zu können, haben US-Banken schon vor Bekanntwerden der sinkenden Immobilienpreise eine Finanzinnovation mit dem Titel „Asset Backed Commercial Papers“ auf den Markt gebracht. Diese mit „Forderungen besicherten“ („Asset Backed“) kurzfristigen Wertpapiere ermöglichen Anlegern weltweit Anteile an Portfolios aus verschiedenen zerstückelten und wieder zusammengesetzten Forderungen erwerben.
3.2 ABCP und SPVs
Asset Backed Commercial Papers und Special Purpose Vehicles (SPV) haben das direkte Übergreifen der US-Hypothekenmarktkrise auf die internationale Finanzwirtschaft möglich gemacht. Um die Auswirkungen auf den globalen Bankensektor und somit auf das Bindeglied zwischen Finanz- und Realwirtschaft nachzuvollziehen, werden die Grundlagen des Weiterreichens von Krediten betrachtet. Die weltweite Infektion zeigt dabei deutlich die Kehrseite des modernen und global agierenden Kapitalnetzwerkes. Einleitend wird das System der Weitergabe von Krediten erläutert, während anschließend auf die besagten Wertpapiere und die SPVs der Banken detailliert eingegangen wird.
3.2.1 Weitergabe von Krediten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Aufteilung und Weitergabe des Risikos von Kreditforderungen wird in der folgenden Grafik am Beispiel eines MBS (Mortgage Backed Security), also eines durch eine Hypothekenforderung gesicherten Wertpapiers, dargestellt.
Ausgangspunkt ist der an einem Immobilienkauf interessierte durchschnittliche US-Bürger. Aufgrund der bisher konstant steigenden Preise und in der Hoffnung auf eine weitere Wertsteigerung des Eigenheims ist der Käufer bereit, das Objekt mit der Aufnahme von Fremdkapital zu finanzieren. Die Kreditgewährung durch einen Hypothekenfinanzier geschieht aufgrund der in Kapitel 3.1.1 genannten Gründe ohne nennenswerte Probleme. Die Hypothekenbank beleiht die Immobilie und behält somit im Gegenzug eine vermeintlich im Wert steigende Sicherheit für den Fall eines Zahlungsausfalls.
Zur Sicherung der Liquidität für erneute Kreditvergaben, verkauft die Hypothekenbank die komplette Forderung mit einem geringen Preisaufschlag an eine Investmentbank. Diese verkauft die Forderung umgehend an die eigens für das Kreditgeschäft gegründete SPV-Zweckgesellschaft, welche in der Regel in steuergünstigen Inselstaaten wie den Kaimaninseln oder den Bahamas eingetragen ist. Die Bank steht weiterhin als Garant für das SPV, hat jedoch die Forderung aus ihren Büchern eliminiert. Die Gesellschaft poolt auf diesem Wege eine Vielzahl solcher Kreditforderungen in ihrem Portfolio, emittiert anschließend Wertpapiere (ABCP) auf Grundlage der gesammelten Kreditforderungen und gibt diese an Investoren weiter. Die Renditeforderung der Investoren wird später durch die Zins- und Tilgungsraten der Hausbauer bedient. Dadurch erhält das SPV erneute liquide Mittel für den weiteren Geschäftsverlauf und erzielt durch die geringe Zinsarbitrage seinen Profit. Die Investoren in die zu sicheren Zeiten vergleichsweise renditestarken Wertpapiere waren meist Banken oder Versicherungen aus der ganzen Welt. Daraus ableitend und wegen des enormen Volumens an durch Forderungen gesicherter Wertpapiere konnte die Immobilienkrise internationale Finanzunruhen auslösen.
3.2.2 Forderungsbesicherte Wertpapiere (ABCP)
Wie im vorangegangen Kapitel erläutert, spielen die ABCP im Finanzierungssystem eine tragende Rolle, da sie Forderungen handelbar machen. Die besicherten Schuldscheine stellen kurz laufende (bis zu 365 Tagen), nicht börsennotierte Geldmarktpapiere dar, deren Zins- und Kapitalzahlungen durch die Cash-Flows (Kredittilgung und Zinszahlungen) der als Sicherheit hinterlegten Forderungen bedient werden.
ABCP werden, je nach dahinter stehender Art der Sicherheit, in verschiedene Kategorien aufgeteilt. Asset Backed Securities (ABS) beschreiben dabei den Grundsatz der „Forderungsbesicherung“. Hinter jedem Dollar des Wertpapiers steht daher eine unverbriefte Forderung in Höhe von ebenfalls einem Dollar. Mortgage Backed Securities (MBS) werden die speziell durch Hypothekenpfandbriefe besicherten Forderungen genannt, welche den Löwenanteil der ABS-Papiere darstellen. Weitere „Assets“, die der Besicherung von Krediten dienen, sind beispielsweise Kreditkarten- oder Leasingforderungen. In den Vereinigten Staaten werden sogar Bafög-ähnliche Studentenunterstützungen handelbar gemacht. Fußballvereine wie Schalke 04 oder Musiker David Bowie besorgten sich in der Vergangenheit andererseits durch die Weitergabe eigener Forderungen liquide Mittel, um einer Kreditaufnahme bei Banken aus dem Weg zu gehen.[23] Laut einer Fox-Pitt-Studie liegt ca. ein Drittel der faulen Kreditforderungen bei Banken und Hedgefonds, 20% tauchen bei Versicherungen in den Portfolien auf.[24]
Der Begriff „Subprime“ ist bereits seit 2005 mit dem ABS-Markt eng verknüpft und bezeichnet „faule Kredite“, da sich tragischerweise eine Vielzahl der Sicherheiten als uneinbringbare Forderungen an die bereits angesprochenen „ninjas“ herausstellten. Im oben genannten Beispiel wäre das der Fall, wenn der US-Bürger die Zins- und Tilgungsraten nicht mehr zahlen kann und die Bank die Sicherheit durch eine Zwangsversteigerung der Immobilie einlösen möchte. Durch die fallenden Immobilienpreise kann jedoch kein ausreichender Verkaufspreis erzielt werden und es entsteht ein Verlust für den Inhaber des ABCP, da weder die Kredittilgung noch das Einlösen der Sicherheit den investierten Betrag decken können. Welcher Anteil des gesamten MBS-Marktes nun genau als Subprime zu bezeichnen ist, kann nur erahnt werden, wobei die gängigste Schätzung bei ca. 200 Mrd. US-$, bzw. 10% des Gesamtmarktes liegt. Hinzu gesellen sich weitere geschätzte 100 Mrd. US-$ Kreditkartenschulden, die aufgrund hoher Vermögensverluste einer Vielzahl von US-Bürgern mittlerweile gefährdet sind. Allerdings kann aufgrund der wirtschaftlichen Verknüpfung von Vermögen und Konsum eine Abwärtsspirale entstehen und zu einer höheren Ausfallquote bei Krediten führen. Auf dieses Phänomen wird im Kapitel 5.1.1 noch näher eingegangen. Der Aufbau der ABS-Papiere ist äußerst kompliziert und somit schwer zurückzuverfolgen, da konkrete Subprime-Fälle in der Masse der zerstückelten und neu gebündelten Kreditansammlungen verborgen sind. Anhand des folgenden Beispiels wird die Komplexität deutlich:
Abb. 5 : Daten über den MBS-Fond US MBS P(t) von SGAM Quelle : Eigene Zusammenstellung auf Grundlage von www.morningstarfonds.de
Der in der Abbildung 5 dargestellte „SGAM Fund Bonds US MBS“ der deutschen SG Asset Management GmbH, einer Tochter der Luxemburgischen Societe Generale Asset Management, hat ein Fondvolumen von ca. 200 Mio. US-$. Der MBS Fond verlor im Zuge der Hypothekenkrise 8,3% und ist somit ein typisches Subprime-Opfer. Die Übersicht verdeutlicht, dass sich 67 verschiedene Forderungen aus US-Hypothekenanleihen in dem Fond bündeln, welche sich wiederum aus Kreditpaketen mit nichts sagenden Bezeichnungen wie FNMA CMO oder Cwalt rekrutieren. FNMA CMO stellt beispielsweise eine des US-Hypothekenfinanzierers Fannie Mae bereitgestellte Collateralized Mortgage Obligation (CMO) dar, die als Unterart der MBS einen Pool von Hypothekendarlehen verbrieft. Welche Hypotheken genau sich jetzt wieder konkret hinter den FNMA CMO verbergen, ist kaum mehr nachzuvollziehen.[25] Dennoch erhielt der Fond von Standard & Poor’s ein wohl kategorisch vergebenes sehr gutes AA-Rating.[26]
Aufgrund der schwierigen Nachvollziehbarkeit und der Tatsache, dass Ratingagenturen häufig selbst an der Zusammensetzung der Wertpapiere mitgewirkt haben, erhielten viele Wertpapiere unverdient gute Ratings, weshalb die Basel-II-Vorgaben nicht greifen konnten. Geblendet durch die Ratings investierten viele Anleger somit in Papiere, die unter Anbetracht des tatsächlichen Risikos und des ehemals sehr liquiden Marktes im Nachhinein gesehen eine nur geringe Rendite (ungefähr 5%) aufwiesen. Problematisch ist das Vorgehen der Ratingagenturen insbesondere, da Standardwerte zur Bemessung der Einbringbarkeit von Hypotheken angesetzt wurden. Zur realistischen Bewertung hätte jede einzelne Kreditforderung unter Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens des Schuldners sowie der Region der Immobilie separat bewertet werden müssen.
3.2.3 SIV und Conduits
Der Handel mit besicherten Schuldtiteln wurde im Auftrag der Banken von den in Kapitel 3.2.1 angesprochenen Special Purpose Vehicles übernommen. Zu den SPVs gehören im aktuellen Kontext speziell die Structured Investment Vehicles (SIVs) und die Conduits, beides besondere Formen von SPVs zur Emission von forderungsbesicherten Wertpapieren. SIVs und Conduits werden von den Banken zwar außerbilanziell geführt, allerdings in der Regel mit eigenem Personal versehen. Sie kaufen der jeweiligen Bank, häufig per Dauerauftrag, die Kreditforderungen ab und emittieren gleichzeitig laufend Geldmarktpapiere zur eigenen Refinanzierung. Die Gesellschaften investieren ihr Kapital somit in langfristige Kredite, bündeln diese und verkaufen eigene Wertpapiere auf Grundlage der Forderungen. Auf diese Weise erhalten die Off-Shore-Gesellschaften frische Liquidität, ohne die eine weitere Übernahme von Kreditforderungen der Banken unmöglich wäre. Die eigens emittierten ABCP werden in der Regel institutionellen Anlegern weitergereicht. Sinn hinter der Ausgliederung ist für die Investmentbank die Einnahme liquider Mittel für ihre Forderungen. Dadurch erfolgt eine Verkürzung der eigenen Bilanz und der Fremdkapitalanteil sinkt. Folge der somit höheren EK-Quote und des extrem verbesserten Forderungsumschlags der Bank ist neben dem geringeren Risiko ein besseres Rating, was wiederum die generellen Refinanzierungskosten reduziert.
Banken stellen dabei den SPVs zur Gewährleistung des konstanten Geschäftsbetriebes eine Kreditlinie zur Liquiditätssicherung zur Verfügung und treten gleichzeitig als Bürge auf.[27] Letztendlich werden die Banken bei Zahlungsschwierigkeiten der Conduits über Umwege dennoch in Mitleidenschaft gezogen. Der IKB mit ihrem Rhineland Funding und der Sachsen LB mit dem Ormond Quay wäre dieser Umstand beinahe zum Verhängnis geworden, da aufgrund der ausgebrochenen Krise kein Käufermarkt für die ABCP mehr existierte und Anleger gleichzeitig ihre Papiere verkaufen wollten.[28]
Der US-Hypothekenmarkt versorgte die Banken in den letzten Jahren mit genügend renditestarken Krediten, weshalb vor allem US-Banken durch ihre SPVs hohe Gewinne durch die Differenz zwischen günstigen Kurzfristzinsen und höher verzinsten langfristig gehaltenen Papieren tätigen konnten. Weltweit befanden sich bei Ausbruch der Krise rund 400 Mrd. US-$ im Besitz von SIVs, davon 93 Mrd. US-$ nach Angaben der Ratingagentur Moody’s bei den Töchtern deutscher Institute. Der amerikanische Citigroup-SIV hält allein 80 Mrd. US-$ und bei einer vorsichtig geschätzten Quote von 10% uneinbringbarer Kredite wären somit 8 Mrd. US-$ der größten Bank der Welt akut abschreibungsgefährdet. Die Auswirkungen für die Citigroup und andere Finanzinstitute werden später bei der Betrachtung der 3. Quartalszahlen eingehend analysiert.[29]
3.3 Zusammenbruch
Im Juli 2007 kündigten mehrere Partnerbanken (u.a. die Deutsche Bank) dem Rhineland Funding Conduit der IKB aufgrund der Verstrickung in Kreditgeschäfte am US-Hypothekenmarkt eine Kreditlinie in Höhe von 8 Mrd. €. Innerhalb weniger Tagen kam im globalen ABS-Markt Panik auf, da Rhineland Funding plötzlich nicht mehr in der Lage war, weitere Papiere zu emittieren, beziehungsweise die Anleger zu bedienen. Es wurde öffentlich, dass Zahlungsausfälle auf Hypothekenkredite in den USA kontinuierlich zugenommen hatten und ausbleibenden Tilgungen und Zinszahlungen nun die forderungsbesicherten Wertpapiere in Mitleidenschaft zogen. Da plötzlich die Garantien hinter den Wertpapieren genauestens hinterfragt wurden, kam es zu enormen Wertverlusten bei den einzelnen Fonds und einer Hysterie am Hypothekenmarkt in den Vereinigten Staaten.
Anleger forderten in kürzester Zeit zu riesigen Stückzahlen ihre Investitionen zurück und Fonds wurden vorübergehend von den SIVs geschlossen. Der Markt für kurzfristige Refinanzierung kollabierte, da so gut wie keine Nachfrage mehr bestand und es keine Verkäufe mehr zu realen Preisen gab. Für die betroffenen SIVs entstand eine Liquiditätsfalle, weil einerseits den Anlegern das hinterlegte Geld zurückgezahlt werden musste, andererseits die Mittel jedoch langfristig in den nun gefährdeten Kreditgeschäften gebunden waren.
Letztlich waren die Großbanken als Garanten gezwungen, die Zweckgesellschaften wieder in die eigenen Bilanzen aufzunehmen und folgerichtig eigene Verluste zu verbuchen. Die unliebsame Alternative wäre der komplette Zusammenbruch einer Tochtergesellschaft gewesen, was einen enormen Reputationsverlust des Konsortiums zur Folge gehabt hätte. Die Citigroup musste beispielsweise sieben außerbilanzielle Gesellschaften wieder in die eigenen Bücher aufnehmen, da allein im November der ABCP-Markt um 48 Milliarden US-$ einbrach.[30] Die Aktiva der wieder eingegliederten Tochtergesellschaften müssen daher von den Investmentbanken deutlich abgeschrieben werden.
Aufgrund der sich daraus ergebenden verschwindend geringen Nachfrage sind die Inhaber der ABS-Papiere ebenfalls gezwungen, die fraglichen Wertpapiere zum Teil massiv abzuschreiben.
Der Zusammenhang zwischen dem sinkendem Wert der Sicherheiten und dem Wert der forderungsbesicherten Wertpapiere wird durch die in Abbildung 6 dargestellten ABX-Indizes ausgedrückt. Diese spiegeln die Wertentwicklung von ABS-Papieren wider, kategorisiert nach deren unterschiedlichen Ratings. Das folgende Schaubild zeigt zwar, dass die mit der Bestnote AAA klassifizierten Papiere bisher kaum an Wert verloren haben, es jedoch Einbrüche bei den mit A und insbesondere bei den mit BBB gerateten Papieren gab. Die November-Daten von Markit notieren die AA-Papiere bei durchschnittlich 77%, A bei 35% und BBB bei lediglich 24% des Nominalwertes.[31] Das beweist, dass die Anleger vor allem in den mit A (A: „Wirtschaftliche Gesamtlage ist zu beachten“) und BBB („Mittlere
Abb. 6 : Entwicklung der ABS-Preise Quelle : Wave, Elliott mit Hilfe von BiancoResearch
(Güte, die momentan zufrieden stellend agiert“) bewerteten Kreditderivaten einen hohen Subprime-Gehalt vermuten. Der drastische Wertverlust der nach dem Standard & Poors - Ratingsystem allesamt noch im vermeintlich sicheren Investmentbereich (AAA bis BBB-) angesiedelten Wertpapiere zeigt die grobe Fehleinschätzung der Ratingagenturen. Zwar stellt der angegebene Wert die derzeitige durch Misstrauen geprägte Situation ohne reale Nachfrage dar, jedoch lassen die Zahlen dennoch erkennen, dass eine geschätzte Quote von durchschnittlich 10%iger Abschreibungen auf die Papiere einer sehr optimistischen Wertschätzung unterliegt.
4 Die Finanzmarktkrise und der bisherige Verlauf
Im Gegensatz zur vorangegangenen Feststellung der Ursachen der Finanzmarktkrise fällt es schwer, einen konkreten Zeitpunkt für deren Beginn zu benennen. Ausgangspunkt war bereits der starke Verfall der Immobilienpreise seit Jahresmitte 2006 und die sich damit häufenden Zahlungsausfälle bei Hausbaukrediten.[32] Gegen Ende des Jahres 2006 erreichte die Immobilienkrise laut der in Kapitel 3.3 beschriebenen ABX-Indizes den Markt der auf Hypotheken basierenden Forderungen. Erste Warnungen wurden zwar ausgesprochen, eine globale Infektion allerdings nicht befürchtet. Anfang Februar 2007 verkündete die größte europäische Bank HSBC aufgrund der überraschend hohen Risikovorsorge im US-Hypothekengeschäft die erste Gewinnwarnung seit ihrer Gründung 1865 und der Zusammenhang der Märkte rückte stärker in den Fokus der Analysten. Das nächste Alarmzeichen für eine Verschärfung der US-Krise war der Insolvenzantrag des auf die Hypothekenvergabe an Hauskäufer niedriger Einkommensverhältnisse spezialisierten US-Unternehmens New Century Financial am 2. April 2007.[33] Die nun nicht mehr aufzuhaltende Ausuferung der Immobilienkrise zu einer internationalen Banken- bzw. Finanzkrise wird im folgenden Kapitel beschrieben.
Die gravierenden globalen Auswirkungen im internationalen Bankensektor sind komplex und zu umfangreich, um in dieser Arbeit umfassend analysiert zu werden. Daher werden exemplarisch primär die globalen Auswirkungen der Subprimekrise, die Hauptprobleme der Bankenbranche und der vorläufige Höhepunkt der Krise, die Bekanntgabe der 3. Quartalszahlen, thematisiert.
4.1 Ausbruch
Mit dem ersten prägnanten Kurssturz am Aktienmarkt begann die Finanzwelt den Ausbruch der internationalen Finanzkrise bewusst wahrzunehmen. Insbesondere rückte die dramatische Schieflage der IKB und der Sachsen LB aufgrund ihres starken Engagements auf dem US-Hypothekenmarkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Während die IKB als Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) durch das zügige Eingreifen der staatlichen Mutter vorerst vor der Insolvenz gerettet werden konnte, ging die Sachsen LB an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) über. Seither gestand eine Reihe namhafter Banken, anfangs noch anonym, ihr risikoreiches Engagement im durch Subprime-Kredite verseuchten Kreditmarkt.
Anfang August entwickelte sich daraufhin Panik im Bankensektor, verdeutlicht durch die sich vergrößernden Renditeunterschiede zwischen Unternehmensanleihen (á) und weiterhin als sicher geltenden Staatsanleihen (â). Dieser Trend zählt als ökonomischer Gradmesser für das Misstrauen in die vergebenen Ratings und die Bonität der freien Wirtschaft. Die Bankenkrise war damit geboren und Riesenverluste bei der US-Bank Bear Stearns sowie Liquiditätsprobleme renommierter Hedge Fonds versetzten alsbald die Finanzwelt in Angst und Schrecken. Bear Stearns kündigte 1,4 Mrd. US-$ Verluste aus zweier ihrer Fonds an, der Hedge Fund Dillon Read der Schweizer UBS verlor beispielsweise mehrere 100 Mio. €.[34]
Die allgemeine Verunsicherung über das Ausmaß der faulen Kredite ließ in der ersten der von Commerzbank-Chef Müller erwarteten Abwärtswellen die Aktienkurse deutlich einbrechen, wie in Abbildung 7 dargestellt ist.
[...]
[1] Bundesagentur für Arbeit (2007): „Arbeitslosigkeit in Deutschland“; Abruf: 18.01.08
URL: http://www.spiegel.de/flash/0,5532,12125,00.html
[2] Wintrade-Software: „Chartanalyse des DAX“; Eigene Durchführung am 16.01.2008
[3] Kozubek, Walter: „MSCI World mit Garantie“; 25.07.2007, Abruf: 18.01.2008
URL: http://www.n-tv.de/831179.html
[4] Welp, Cornelius: „Gelassen verplaudert”; WirtschaftsWoche 39/07, S. 82, 24.09.2007
[5] Hajek, Stefan: „Zweite Welle“; WirtschaftsWoche 46/07, S. 171-173; 12.11.2007
[6] Reuters: „Die Chronologie des Subprime-Schreckens“; 06.11.2008, Abruf: 18.01.2008
URL: http://www.ftd.de/unternehmen/275272.html?p=2
[7] Schuermann, Christof: „Die Luft abgelassen“; WirtschaftsWoche 34/07, S. 89-91; 20.08.2007
[8] Doll, Frank u.a.: „Milliarden im Nebel“; WirtschaftsWoche 35/07, S. 84-94, 27.08.2007
[9] Handschuch, Konrad: „Wenig Sorgen“; WirtschaftsWoche 34/07, S. 28-29; 20.08.2007
[10] Stern: „Experten sehen keine Gefahr mehr“; 11.08.2007, Abruf: 18.01.2008
URL: http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/maerkte/:Finanzkrise-Experten-Gefahr/595102.html
[11] Tichy, Roland: „Immer am Freitag“; WirtschaftsWoche 38/07, S. 3; 17.9.2007
[12] Bergermann, Melanie: „Bis ins letzte Detail“; WirtschaftsWoche 43/07, S. 74-78; 22.10.2007
[13] Mönnighoff, Patrick: „Alles schon mal da gewesen“; Handelsblatt 238, S. 36; 08.12.2006
[14] Fischer, Malte: „Finanzkrise 2.0“; WirtschaftsWoche 47/07, S. 70; 19.11.2007
[15] Sinn, Hans-Werner: „Bremsspuren“; WirtschaftsWoche 40/07, S. 198; 1.10.2007
[16] Vgl. Schuermann, Christof: „Die Luft abgelassen“
[17] Heibel-Ticker: „Bush rettet Häuslebauer“; 08.12.2007, Abruf: 18.01.2008
URL: http://www.f-tor.de/board/showthread.php?t=29221
[18] Henry, Andreas: „Wie im Wilden Westen“; WirtschaftsWoche 41/07, S. 116- 119; 8.10.2007
[19] Dittli, Mark: „US-Wirtschaft bewegt sich auf schmalem Grat“; Finanz und Wirtschaft; 27.10.2007
[20] Standard & Poor’s: „S&P/Case-Shiller Home Price Indices”; Dezember 2007, Abruf: 23.01.2008
URL: www2.standardandpoors.com/portal/site/sp/en/us/page.article/0,0,0,0,1145923002722.html
[21] Vgl. Henry, Andreas: „Wie im Wilden Westen”
[22] Eigene Berechnung auf Grundlage von: Standard & Poor’s: „S&P/Case-Shiller National Values”, Dezember 2007, Abruf: 23.01.2008, siehe Anhang
[23] Schulze, Eike: „Den Banken ein Schnippchen schlagen”; 2007, Abruf: 18.01.2008
URL: http://www.mittelstandswiki.de/Asset_Backed_Securities
[24] Vgl. Schuermann, Christof: „Die Luft abgelassen“
[25] Morningstarfonds: Anweisung: „Fondselektor“ à Gesellschaft: „SG Asset Management“ à Fond: „SGAM Fund Bonds US MBS P (t)“; Abruf: 10.01.2008
[26] SGAM: „SGAM Fund Bonds US Mortgage Backed Securities P“; 2007, Abruf: 18.01.2008
Anweisung: www.sgamdeutschland.de à “Institutionelle Anleger” à “Unsere Fonds” à “SGAM Fund Bonds US Mortgage Backed Securities P”
[27] Nuri, Midia: „Nur auf dem Papier”; WirtschaftsWoche 46/07, S. 126-130; 12.11.2007
[28] Atzler, Elisabeth: „Conduits – Berühmt fast über Nacht“; FT Deutschland, 13.09.2007
[29] Henry, Andreas: „Pi mal Daumen“; WirtschaftsWoche 43/07, S. 80-82, 22.10.2007
[30] Haidt, Egmond: „Weltgrößte Bank zieht Notbremse“; 14.12.2007, Abruf: 18.01.2008
URL: http://www.boerse-online.de/aktien/usa_asien/494267.html
[31] Markit: „Current Markit ABX Indices“; 02.01.2008, Abruf 18.01.2008
URL: http://www.markit.com/information/products/abx.html
[32] Vgl. S&P/Case-Shiller Home Price Indices „National Values”
[33] Vgl. Reuters: „Die Chronologie des Subprime-Schreckens“
[34] Nolmans, Eric: „Die Brandwächter der Finanzwelt“; WirtschaftsWoche 40/07, S. 160-167, 1.10.2007