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Internationaler Handel als Triebkraft der Lohnspreizung?

Eine empirische Überprüfung der neoklassischen Außenhandelstheorie im Spiegel aktueller Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt

©2008 Diplomarbeit 83 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Lange herrschte die Vorstellung von Deutschland als Hochlohnland mit einer gerechteren Verteilung der Löhne als in vielen anderen Industrieländern. Neuere Untersuchungen beweisen jedoch das Gegenteil: In den 1990er Jahren hat die Lohnschere radikal zugenommen. Gerade im unteren Einkommenssegment wuchs die Ungleichverteilung der Gehälter so stark, dass die Bundesrepublik in diesem Punkt gleich zog mit den bisherigen Spitzenreitern USA und Großbritannien. Gleichzeitig nahm die Arbeitslosigkeit unter gering qualifizierten Arbeitnehmern überproportional zu. Personen ohne Bildungsabschluss hatten zunehmend schlechtere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Eine Erklärung dieser Phänomene liefert die neoklassische Außenhandelstheorie. Sie führt die gestiegene Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften auf einen Strukturwandel der Wirtschaft zurück: Im Zuge der wachsenden internationalen Arbeitsteilung mit Entwicklungsländern spezialisieren sich die Industrieländer auf die Produktion von humankapitalintensiven Gütern. Steht die deutsche Lohnspreizung also in einem kausalen Zusammenhang mit dem verstärkten internationalen Handel?
Die vorliegende Arbeit geht dieser Frage nach. Auf dem theoretischen Fundament des Heckscher-Ohlin-Samuelson-Modells werden vier Hypothesen gebildet, die anhand von Strukturdaten des Verarbeitenden Gewerbes der Reihe nach empirisch überprüft werden. Die Ergebnisse sind differenziert: Zwar werden zentrale Aussagen des Modells widerlegt, ein Zusammenhang zwischen internationalem Handel und den jüngsten Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt kann jedoch nachgewiesen werden.
Kapitel 3 beinhaltet die empirische Überprüfung der aus dem HOS-Modell abgeleiteten Hypothesen und bildet daher den Kern meiner Arbeit. Dabei zeichnen sich die Abschnitte 3.1, 3.2 und 3.3 durch die Herleitung und Berechnung der notwendigen Kennzahlen sowie durch einfache statistische Verfahren aus. In diesen Teilen werden die Hypothesen I und II überprüft. Die Abschnitte 3.4 und 3.5 hingegen gehen den unterstellten Zusammenhängen mithilfe ökonometrischer Schätzmethoden auf den Grund. Sie überprüfen die Hypothesen III und IV.
Eine Einordnung und Bewertung meiner Ergebnisse im Spiegel der empirischen Literatur erfolgt in Kapitel 6. Dieser Teil soll zugleich einen Überblick über die wichtigsten methodischen Ansätze vermitteln. Eine kritische, modelltheoretische Auseinandersetzung mit den Prämissen und Schlussfolgerungen des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nils P. Saniter
Internationaler Handel als Triebkraft der Lohnspreizung?
Eine empirische Überprüfung der neoklassischen Außenhandelstheorie im Spiegel
aktueller Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt
ISBN: 978-3-8366-1376-7
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland, Diplomarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Seite
I
Inhalt
TABELLENVERZEICHNIS II
ABBILDUNGSVERZEICHNIS III
1. Einleitung
1
2. Grundlagen
2
2.1. Beobachtungen
2
2.1.1. Handelsstruktur
3
2.1.2. Lohnstruktur
6
2.1.3. Beschäftigungsstruktur
8
2.2. Theoretische Erklärungsansätze
9
2.2.1. Interindustrieller Handel (HOS-Ansatz)
10
2.2.2. Intraindustrieller Handel
19
2.2.3. Technologischer Fortschritt
22
3. Empirische Überprüfung
27
3.1. Komparative Wettbewerbsfähigkeit und Spezialisierung
28
3.2. Skill-Intensität
33
3.3. Preisanpassung
37
3.4. Lohnspreizung
41
3.5. Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit
48
4. Einordnung und Bewertung im Spiegel der Literatur
51
5. Modelltheoretische Kritik des HOS-Ansatzes
56
6. Zusammenfassung der Ergebnisse
59
ANHANG
62
LITERATURVERZEICHNIS 72

Seite
II
Tabellenverzeichnis
Im Text
Tabelle 1
Importdurchdringung und Exportquote nach Ländergruppen ...6
Tabelle 2
Typologisierung technologischer Fortschritt...23
Tabelle 3a
RCA-Werte, Länder des Nordens...30
Tabelle 3b
RCA-Werte, Länder des Südens...30
Tabelle 4a
Komparative Wettbewerbsfähigkeit im Zeitablauf, Länder des Nordens ...32
Tabelle 4b
Komparative Wettbewerbsfähigkeit im Zeitablauf, Länder des Südens ...32
Tabelle 5
Vergleich RCA-Werte aus Nord- und Südhandel ...33
Tabelle 6
Skill-Intensität nach Wirtschaftszweigen ...35
Tabelle 7
Qualifikationsstruktur im Zeitablauf ...36
Tabelle 8
Schätzergebnisse RCA-Werte und Skill-Intensität...37
Tabelle 9
Schätzergebnisse Preistrends, 1985-2000...39
Tabelle 10
Partielle Korrelation Güterpreise und Skill-Intensität ...41
Tabelle 11a
Schätzergebnisse Lohnspreizung, Länder des Nordens...47
Tabelle 11b
Schätzergebnisse Lohnspreizung, Länder des Südens ...47
Tabelle 12
Schätzergebnisse qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit ...50
Im Anhang
Tabelle A-1
Aufschlüsselung der Ländergruppen ...62
Tabelle A-2
Klassifikation der Wirtschaftszweige...63
Tabelle A-3
Schätzergebnisse relative Importpreistrends (RIMP)...65
Tabelle A-4
Schätzergebnisse relative Exportpreistrends (REXP) ...66
Tabelle A-5
Schätzergebnisse relative Erzeugerpreistrends (RERZP)...67
Tabelle A-6
Qualifikationsstruktur der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ...68
Tabelle A-7a
Schätzergebnisse Lohnspreizung, Länder des Nordens...69
Tabelle A-7b
Schätzergebnisse Lohnspreizung, Länder des Südens ...70
Tabelle A-8
Schätzergebnisse qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit ...71

Seite
III
Abbildungsverzeichnis
Im Text
Abbildung 1
Importdurchdringung und Exportorientierung ...4
Abbildung 2
Importdurchdringung und Exportorientierung nach Ländergruppen ...5
Abbildung 3
Lohnspreizung in Deutschland, 1984-2005...7
Abbildung 4
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten, 1975-2005 ...9
Abbildung 5
Faktorangebot und Produktionsmöglichkeiten...11
Abbildung 6
Handel zwischen zwei Ländern unterschiedlicher Faktorausstattung...13
Abbildung 7
Faktorpreise und Güterpreise...15
Abbildung 8
Grafischer Vergleich der Skill-Intensität und Erzeugerpreisentwicklung...41
Im Anhang
Abbildung A-1 Entwicklung der Bildungsprämien, 1990-2000...62
Abbildung A-2 Vergleich RCA-Werte und Skill-Intensität ...64

Seite
1
1. Einleitung
Wenn es um Deutschlands wirtschaftliche Rolle in der globalisierten Welt geht, erregen sich die
Gemüter. Angesichts des ökonomischen Aufstiegs und der fortschreitenden weltwirtschaftlichen
Integration einiger populationsreicher Länder Südamerikas, Osteuropas und Asiens ist die mediale
Öffentlichkeit zunehmend alarmiert: ,,Angriff aus Fernost - Weltkrieg um den Wohlstand" titelt et-
wa das Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Nr. 37, 11.09.2006). Die Botschaft ist eindeutig: Aus A-
sien drohe eine Billiglohnkonkurrenz, die schon heute die Welt mit Produkten überflutet. Auch an
wirtschaftspolitischen Antworten auf diese Herausforderung mangelt es nicht: So vertritt beispiels-
weise Hans-Werner Sinn, Leiter des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), den Stand-
punkt, dass die deutsche Produktion billiger werden muss, um international wettbewerbsfähig zu
sein. Deshalb fordert er eine allgemeine Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich
und den Verzicht auf Reallohnerhöhungen (Sinn 2004).
Entwarnung hingegen gibt Die Zeit (Nr. 44,
26.20.2006): Unter der Überschrift ,,Keine Angst vor diesem Drachen" argumentiert die Wochen-
zeitung, dass Deutschland von Chinas wirtschaftlichem Aufstieg profitieren könne.
Dass eine verstärkte wirtschaftliche Integration allen beteiligten Ländern Wohlfahrtsgewinne (zu-
mindest keine Verluste) beschert, entspricht auch der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbuchmei-
nung. Genauso klar ist jedoch ebenso, dass diese Wohlfahrtseffekte nicht gleichmäßig auf alle Ak-
teure verteilt sein müssen. So ist es durchaus möglich, dass wachsende Importkonkurrenz in einigen
Branchen zu Rationalisierungsmaßnahmen in Form von Beschäftigungsabbau oder Lohnsenkungen
führt. Dabei dominiert die Auffassung, dass es in Industrieländern insbesondere die gering qualifi-
zierten Arbeitskräfte sind, die zu den Verlierern der Globalisierung zählen. Eine ganze Reihe empi-
rischer Forschungsarbeiten, beginnend in den frühen 1990er Jahren mit Blick auf die USA, später
auch in Bezug auf andere OECD-Länder, setzte sich zum Ziel, diesem Zusammenhang zwischen
Außenhandel und qualifikationsspezifischen Arbeitsmarkttrends nachzugehen. Auslöser war die
länderübergreifende Beobachtung einer sich öffnenden Lohnschere bei gleichzeitiger Intensivierung
der internationalen Arbeitsteilung. Fast einhellig kommen die Studien jedoch zu dem Schluss, dass
der Außenhandel mit Niedriglohnländern lediglich einen sehr geringen Beitrag zur Erklärung der
schlechten Arbeitsmarktsituation von Geringqualifizierten leisten kann. Vielmehr machen sie ande-
re Faktoren, hauptsächlich den technologischen Fortschritt, für diese Umstände verantwortlich.
Meine Arbeit greift dieselbe Fragestellung auf, ihre Motivation gründet allerdings auf aktuellen Be-
funden zur Lohnspreizung für die Bundesrepublik Deutschland. Lange galt das Credo, dass
Deutschlands Löhne gleichmäßiger verteilt seien als in vielen anderen westlichen Industrieländern.
Aktuelle Datenauswertungen weisen jedoch auf das Gegenteil hin: Seit Anfang der 1990er Jahre
kennzeichnet den deutschen Arbeitsmarkt eine zunehmende Lohnspreizung von bis dato nicht be-

Seite
2
kanntem Ausmaß. Gleichzeitig ist dieses Jahrzehnt von einem überproportionalen Anstieg der Ar-
beitslosigkeit von Geringqualifizierten sowie von einer Verstärkung des internationalen Handels
geprägt. Diese Beobachtungen bilden den Ausgangspunkt meiner Arbeit. Ich stelle die alte Frage
nach dem Zusammenhang zwischen Außenhandel und Arbeitsmarkt mit neuem Fokus auf Deutsch-
land und die 1990er Jahre: Steht die deutsche Lohnspreizung in einer kausalen Verbindung zur in-
tensivierten internationalen Arbeitsteilung?
Bei der Bearbeitung dieser Fragestellung gehe ich wie folgt vor: In Kapitel 2 werden zunächst die
Grundlagen erarbeitet. Dabei stehen in Abschnitt 2.1 die angesprochenen drei Beobachtungen (In-
tensivierung des Handels, Lohnspreizung und qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit) im Mittel-
punkt der Betrachtung. Ihre zeitliche Koinzidenz erlaubt die Formulierung eines ersten Kausalver-
dachts. Dieser Verdacht wird in Abschnitt 2.2 anhand einer theoretischen Fundierung erhärtet und
in vier konkrete empirisch testbare Hypothesen überführt. Als konzeptionelle Basis und modellthe-
oretischen Referenzpunkt verwende ich hierbei das neoklassische Heckscher-Ohlin-Samuelson-
Modell (HOS-Modell), das in der einschlägigen Außenhandelsliteratur weit verbreitet ist. Theorie-
ansätze des intraindustriellen Handels und technologischen Fortschritts ergänzen den theoretischen
Grundlagenteil. Kapitel 3 beinhaltet die empirische Überprüfung der aus dem HOS-Modell abgelei-
teten Hypothesen und bildet daher den Kern meiner Arbeit. Dabei zeichnen sich die Abschnitte 3.1,
3.2 und 3.3 durch die Herleitung und Berechnung der notwendigen Kennzahlen sowie durch einfa-
che statistische Verfahren aus. In diesen Teilen werden die Hypothesen I und II überprüft. Die Ab-
schnitte 3.4 und 3.5 hingegen gehen den unterstellten Zusammenhängen mithilfe ökonometrischer
Schätzmethoden auf den Grund. Sie überprüfen die Hypothesen III und IV. Eine Einordnung und
Bewertung meiner Ergebnisse im Spiegel der empirischen Literatur erfolgt in Kapitel 6. Dieser Teil
soll zugleich einen Überblick über die wichtigsten methodischen Ansätze vermitteln. Eine kritische,
modelltheoretische Auseinandersetzung mit den Prämissen und Schlussfolgerungen des HOS-
Ansatzes erfolgt in Kapitel 7. Hier werden mögliche Gründe aufgezeigt, weshalb das HOS-Modell
im Praxistest vergleichsweise schwach abschneidet. Kapitel 8 schließt meine Arbeit mit einer Zu-
sammenfassung der Ergebnisse ab.
2. Grundlagen
2.1. Beobachtungen
Die grundlegende Annahme dieser Arbeit ist, dass Deutschlands Lohn- und Beschäftigungsstruktur
in einem Kausalzusammenhang mit dem Außenhandel stehen. Bevor diese Vermutung erhärtet und
in überprüfbare Hypothesen umgeformt wird, sollen in einem ersten Schritt die beiden Bereiche
Handel und Arbeitsmarkt genauer betrachtet und auf gemeinsame Muster untersucht werden. Da-

Seite
3
hinter steht die Absicht, stilisierte Fakten herauszuarbeiten, auf deren Grundlage die Hypothesen-
bildung und empirische Überprüfung erfolgen kann.
2.1.1. Handelsstruktur
Um einen Eindruck der Bedeutung des Außenhandels für die deutsche Volkswirtschaft zu gewin-
nen, genügt es nicht, absoluten Mengenangaben der Im- und Exporte zu betrachten. Aufgrund von
Wachstumseffekten sind diese in der Regel trendbehaftet. Stattdessen ist ein Indikator notwendig,
der die Außenhandelsdaten in einen sinnvollen Bezug zu makroökonomischen Größen setzt. Hier-
für bieten sich die Kennzahlen der Importdurchdringung (import penetration) und Exportquote (ex-
port ratio) an. Die Importdurchdringung gibt die Menge der Importe (M) als Anteil der inländi-
schen Nachfrage (D) wieder:
MPEN
=
M
D
×
100
(1)
Die inländische Nachfrage berechnet sich aus der Summe des inländischen Konsums aller privaten
Haushalte (C), der Investitionen (I) und der staatlichen Ausgaben (G), kurz:
D
=
C
+
I
+
G . Da das
Bruttoinlandsprodukt (BIP) gleichzeitig die Summe aus inländischem Konsum und Nettoexporten
ist (
NX
D
Y
+
=
), kann D auch mit der Formel
D
=
Y
-
NX
=
Y
+
M
-
X (2)
ausgedrückt werden. Einfügen von (2) in (1) ergibt für die Importdurchdringung schlussendlich:
MPEN
=
M
Y
+
M
-
X
×
100
(3)
Nimmt MPEN einen Wert von Null an, bedeutet dies, dass die inländische Güternachfrage aus-
schließlich über die eigene Produktion gedeckt wird. Ein Wert von 100 hingegen impliziert, dass
die Nachfrage ausschließlich über Importe befriedigt wird. Im letzteren Fall werden alle produzier-
ten Güter exportiert. Als Kennzahl zur Bedeutung der Exporte für die deutsche Wirtschaft wird die
so genannte Exportquote verwendet. Sie misst den Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt und
kann somit als Indikator für die Anhängigkeit der heimischen Produktion von der ausländischen
Nachfrage verstanden werden. In der Regel wird die Exportquote auch als Indikator für den Offen-
heitsgrad einer Volkswirtschaft verwendet. Sie berechnet sich gemäß der Formel
XQ
=
X
Y
×
100
.
(4)
Ein Wert von 100 zeigt an, dass alle im Inland hergestellten Produkte an das Ausland verkauft wer-
den. In solch einem Fall wird die inländische Nachfrage ausschließlich über importierte Güter und
Dienstleistungen gedeckt. Ein Wert von Null dagegen bedeutet, dass keine Güter oder Dienstleis-

Seite
4
tungen exportiert werden. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Importdurchdringung und Ex-
portquote der deutschen Wirtschaft für die Jahre 1985 bis 2006.
Abbildung 1 -- Importdurchdringung und Exportquote
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
MPEN
XQ
Quelle: OECD.Stat. Erläuterung: Alte Bundesländer und West-Berlin, ab 1991 Gesamtdeutschland.
Deutlich zu erkennen ist ein kontinuierlicher Anstieg beider Indikatoren in der zweiten Hälfte des
Untersuchungszeitraumes. Von ca. 22 % im Jahr 1993 stieg die Importdurchdringung auf knapp 42
% im Jahr 2006. Vom gleichen Ausgangspunkt stieg die Exportorientierung sogar auf rund 45 %.
Somit zeichnen sich die 1990er Jahre durch eine starke Zunahme der Außenhandelsverflechtungen
aus. Mit anderen Worten: Im- und Exporte haben für die deutsche Wirtschaft erheblich an Bedeu-
tung gewonnen.
Erkenntnisreich ist an dieser Stelle eine Differenzierung der Importdurchdringung und Exportquote
nach Handelspartnern. Die für diese Berechnung notwendigen Angaben stellt die OECD in ihren
Datenbanken
Bilateral Trade Database (BTD) und Database for Industrial Analysis für das Verar-
beitende Gewerbe bereit. Für die Jahre 1988 bis 2002 kann zwischen 36 Ländern unterschieden
werden, die ich in die beiden Gruppen ,,Norden" und ,,Süden" einteile. Beabsichtigt ist dabei weni-
ger eine geografische Zuordnung als vielmehr eine terminologische Unterscheidung in Industrie-
länder auf der einen und Entwicklungsländer/Schwellenländer/
newly-industrialized countries (NIC)
auf der anderen Seite.
1
Die Ergebnisse einer derart differenzierten Betrachtung zeigen Schaubilder
(a) und (b) in Abbildung 2.
1
Mir ist sowohl die semantische Problematik der Begriffe ,,Norden" und ,,Süden" als auch die Problematik der Einord-
nung äußerst heterogener Volkswirtschaften in nur zwei Gruppen bewusst. Beides dient jedoch rein methodischen Zwe-
cken und entbehrt jeglicher Wertung. Eine Aufschlüsselung der Länderzuordnung zeigt Anhangstabelle A-1. Im Fol-
genden werden die Begriffspaare ,,Länder des Nordens"/,,Länder des Südens" und Industrieländer/Entwicklungsländer
synonym verwendet.

Seite
5
Abbildung 2 -- Importdurchdringung und Exportquote nach Ländergruppen
(a)
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
Importdurchdringung Norden
Importdurchdringung Süden
(b)
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
Exportquote Norden
Exportquote Süden
Quelle: OECD BTD, OECD Database for Industrial Analysis; eigene Berechnungen.
Schaubild (a) verdeutlicht, dass die Werte der Importdurchdringung aus dem Nordhandel allgemein
weit über den Werten des Südhandels liegen. So erreichen die Einfuhren aus Industrieländern im
Verarbeitenden Gewerbe Anteile an der Gesamtnachfrage von ca. 20-25 %. Im Vergleich dazu ma-
chen die Importe aus Entwicklungsländern nur 4-11 % der Güternachfrage aus. Während die Antei-
le des Nordens keinem eindeutigen Trend folgen, steigt die Importdurchdringung aus dem Süden
kontinuierlich an. Bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes verdoppelt sich ihr Wert. Schaubild
(b) weist auf eine ähnliche Entwicklung bei den Exportquoten hin: Die Absatzmärkte der Industrie-
nationen spielen für die Deutsche Wirtschaft eine wesentlich größere Rolle als jene der Entwick-
lungsländer. So machen die Exporte in den Norden einen Anteil zwischen 22 und 32 % an der ge-
samten Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes aus. Seit Anfang der 1990er Jahre ist hier ein
Aufwärtstrend feststellbar. Die Exporte in den Süden hingegen machen nur ca. 6-12 % der Produk-
tion aus. Wie bei der Importdurchdringung ist hier jedoch von Anfang an ein kontinuierlicher Auf-
wärtstrend zu verzeichnen. Im Laufe des Betrachtungszeitraumes verdoppelt sich der Wert der Ex-
portquote nahezu.
In einer weitergehenden Aufschlüsselung sollen nun Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wel-
che Länder als treibende Kräfte hinter diesen Trends identifiziert werden können. Tabelle 1 veran-
schaulicht die Importdurchdringung und Exportquote differenziert nach den Ländergruppen A-F
(vgl. Anhangstabelle A-1). Aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränken sich die Angaben auf
die Jahre 1998, 1992, 1996 und 2000. Auch hier bestätigt sich, dass die Industrienationen (Gruppen
A und B) mit Abstand die größte Bedeutung für Deutschlands Außenhandel für sich beanspruchen
können. Etwa 20-25 % der inländischen Güternachfrage wird über Importe aus diesen Ländern ge-
deckt. Ein Größenvergleich der angegebenen Zahlen ist an dieser Stelle jedoch wenig zielführend,

Seite
6
da sich die Gruppen neben geografischen Besonderheiten auch hinsichtlich der Anzahl der beinhal-
teten Länder und deren Wirtschaftskraft unterscheiden. Sinnvoller ist hingegen die Betrachtung der
Werte im Zeitverlauf. So verdoppeln beispielsweise die Länder Südeuropas (Gruppe C) beinahe
ihren Anteil an der Importdurchdringung im Zeitraum von 1988 bis 2000. Ebenso legt Gruppe E
mit den großen Ländern Lateinamerikas und einigen asiatischen ,,Tigerstaaten" um knapp 100 %
zu. Mittel- und Osteuropa (Gruppe F) versechsfachen ihren Anteil sogar ­ eine Entwicklung, die
sicherlich auf die handelspolitische Öffnung dieser Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion zu-
rückzuführen ist. Im gleichen Zeitraum wächst die Importdurchdringung der nördlichen
Industrienationen (Gruppe A) um relativ geringe 23 %. Auch bei der Exportquote verzeichnen die
Länder des Südens größere anteilsmäßige Zuwächse am deutschen BIP als die Industrieländer. So
verdoppeln die NICs aus Gruppe D ihren Anteil beinahe; die Länder Mittel- und Osteuropas
vervierfachen ihn nahezu. Zwar liegt die gemeinsame Exportquote der Industrieländergruppen A
und B erwartungsgemäß weit über den Werten der übrigen Gruppen, von 1988 bis 2000 wächst sie
jedoch nur um 11 %.
Tabelle 1 -- Importdurchdringung und Exportquote nach Ländergruppen
MPEN
XQ
1988 1992 1996 2000 1988 1992 1996 2000
A 18.78 % 19.86 % 19.15 % 23.09 % 26.25 % 22.34 % 23.65 % 29.25 %
B
0
1.80 %
0
1.86 %
0
1.71 %
0
2.07 %
0
0.81 %
0
0.70 %
0
1.04 %
0
1.00 %
C
0
1.05 %
0
1.50 %
0
1.76 %
0
1.97 %
0
1.99 %
0
2.34 %
0
2.46 %
0
3.45 %
D
0
1.01 %
0
1.04 %
0
1.13 %
0
1.51 %
0
0.72 %
0
0.80 %
0
1.41 %
0
1.35 %
E
0
2.00 %
0
2.22 %
0
2.78 %
0
3.85 %
0
3.10 %
0
2.73 %
0
3.82 %
0
3.94 %
F
0
0.41 %
0
0.90 %
0
1.50 %
0
2.63 %
0
0.49 %
0
1.01 %
0
1.21 %
0
1.91 %
Quelle: OECD BTD, OECD Database for Industrial Analysis; eigene Berechnungen.
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass sich Deutschlands Außenhandel seit Anfang der
1990er Jahre merklich intensiviert hat. Dabei ist insbesondere die Bedeutung der Im- und Exporte
im Handel mit Entwicklungsländern gestiegen. Dass diese Trends in zeitlicher Koinzidenz mit einer
Aufspreizung der Lohnstruktur stehen, zeigt der nachfolgende Abschnitt.
2.1.2. Lohnstruktur
Lohnspreizung als Maß des Abstandes zwischen den Lohneinkommen verschiedener, abhängig be-
schäftigter Wirtschaftssubjekte ist eine Kennziffer der Verteilung. Spricht man von zunehmender
Lohnspreizung, ist eine allgemeine Vergrößerung der Lohnabstände gemeint: die Ungleichheit der
Verdiensthöhen nimmt zu. Spricht man von Lohnkompression, zielt man auf das Gegenteil: die Un-
gleichheit der Verdiensthöhen nimmt ab. Im allgemeinen Sprachgebrauch der Literatur zielt der
Begriff ,,gespreizte Lohnstruktur" auf eine Situation, in der die Arbeitseinkommen ungleichmäßiger
verteilt sind als es die Produktivitätsdifferenzen der Arbeitskräfte gemäß der neoklassischen Theo-
rie verlangen würden. Analog dazu ist von einer komprimierten Lohnstruktur die Rede, wenn die

Seite
7
Lohnverteilung die Produktivitätsdifferenzen nicht ausreichend widerspiegelt. Bis vor wenigen Jah-
ren galt die deutsche Lohnstruktur im internationalen Kontext als vergleichsweise komprimiert und
in diesem Zustand relativ stabil (vgl. z.B. Krugman 1994, Nickell/Bell 1995, Freeman/Katz 1995,
Katz et al. 1995, Katz/Autor 1999). Einige Arbeiten attestieren Deutschland diesen Zustand auch
noch für die 1990er Jahre (z.B. Prasad 2004, Fitzenberger/Franz 2001). Der Großteil an jüngeren
Studien weist jedoch auf das Gegenteil hin: Sie zeigen, dass schon seit mehr als einem Jahrzehnt die
Phase der komprimierten und stabilen Lohnstruktur beendet ist (Steiner/Hölzle 2000, Möller 2005,
Schettkat 2006, Kohn 2006, Dustman et al. 2007, Brenke 2007, Gernandt/Pfeiffer 2007).
Am Beispiel der Berechnungen von Gernandt/Pfeiffer (2007), die sie auf Grundlage des Sozioöko-
nomischen Panels (SOEP) anstellen, soll diese Entwicklung nachgezeichnet werden (vgl. Abbil-
dung 3).
Abbildung 3 -- Lohnspreizung in Deutschland, 1984-2005
1.8
2.0
2.2
2.4
2.6
2.8
3.0
1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004
D
ez
ilr
at
io
9
/1
Westdeutschland
Ostdeutschland
Quelle: Gernandt/Pfeiffer (2007); eigene Darstellung.
Als übliches Maß zur Beschreibung der Lohnspreizung verwenden die Autoren den 9/1-
Dezilquotienten.
2
Dieser Indikator nimmt in Westdeutschland von 1984 bis 1992 leicht ab, steigt
seitdem jedoch merklich an. Während 1992 das Einkommen eines Hochverdieners ca. 2,03 mal so
hoch ist wie das Einkommen eines Geringverdieners, steigert sich dieses Verhältnis bis 2005 auf
rund 2,51. Es ist also eine erhebliche Öffnung der Lohnschere festzustellen. In Ostdeutschland sieht
das Bild ähnlich aus. Hier erhöht sich der Quotient von 2,26 im Jahr 1994 auf 2,93 in 2005. Über
den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg liegt er damit über den Vergleichswerten aus den al-
ten Bundesländern. Während die ostdeutsche Lohnspreizung mit Ausnahme des Jahres 1997 konti-
nuierlich wächst, stagniert die Dynamik der westdeutschen Lohnspreizung in vereinzelten Jahren,
2
Das erste (neunte) Dezil gibt die Lohnhöhe an, die von 10 % (90 %) der Beschäftigten nicht überschritten wird. Der
9/1-Dezilquotient gibt den Faktor an, um den ein Hochverdiener an der 90%-Marke mehr verdient als ein Geringver-
diener an der 10%-Marke.

Seite
8
zuletzt gegen Ende des Untersuchungszeitraums von 2004 auf 2005. Ob diese jüngste Entwicklung
ein Anzeichen für eine Trendwende ist, kann jedoch erst die Zukunft beantworten. Trotz verschie-
dener Datenquellen und methodischer Differenzen gelangen auch die übrigen Studien fast unisono
zur selben Einsicht: Seit Anfang der 1990er Jahre hat die Ungleichverteilung der Löhne in Deutsch-
land erheblich zugenommen.
Betrachtet man den Lohn als Preis für den Faktor Arbeit und folgt man dem Argument der Human-
kapitaltheorie
(Becker 1993), nach der die wichtigste Determinante der Lohnhöhe die formelle Aus-
bildung ist, können die beobachteten Lohnunterschiede im Rahmen eines Angebot-Nachfrage-
Ansatzes hinsichtlich Bildungsabschlüssen erklärt werden. Die Nachfrage nach bestimmten Quali-
fikationen und das Angebot derselben bedingen im Zusammenspiel eine Knappheit und damit einen
Preis bzw. Lohnsatz. Die hieraus entstehenden interqualifikatorischen Lohnunterschiede werden
auch Bildungsprämien genannt. Sie drücken den zusätzlichen Lohn aus, der auf eine zusätzliche
Einheit Ausbildung zurückzuführen ist. Das Standardinstrument zur ökonometrischen Schätzung
solcher Prämien ist die Mincersche Lohngleichung (Mincer 1974).
Sie definiert den Lohn als ab-
hängige Variable der Investitionen in das Humankapital (operationalisiert durch die Ausbildungs-
dauer und die Dauer der Berufstätigkeit).
3
Gruppiert man die Stichprobe nach Qualifikationsklas-
sen, können Einkommensfunktionen des Mincer-Typs als Quantilregressionen geschätzt und die
Bildungsprämien berechnet werden. Mit dieser Methode zeigen beispielsweise Bellmann/Gartner
(2003), dass die gestiegene Lohnspreizung in Deutschland zu einem großen Teil auf gestiegene Bil-
dungsprämien zurückgeführt werden kann (vgl. Abbildung A-1 im Anhang). Das heißt: ein hoher
Bildungsabschluss wird im Vergleich zu einem geringen Bildungsabschluss heute besser bezahlt als
früher. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich die relative Lohnposition von Geringqualifizier-
ten im Laufe der Jahre verschlechtert hat. Mit diesem Ergebnis steht die Bundesrepublik nicht allein
da: In fast allen Industrienationen hat die Entlohnung für hohe Qualifikationen im Laufe der letzten
Jahrzehnte einen relativen Aufwärtstrend erfahren (siehe z.B. Acemoglu 2003: F123, OECD 2006:
Tabelle A9.2a).
2.1.3. Beschäftigungsstruktur
Eine andere für diese Arbeit relevante Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist die sich zu-
nehmend verschlechternde Beschäftigungssituation von Geringqualifizierten. Reinberg/Hummel
(2005, 2007) zeigen, dass die Ungleichverteilung der Arbeitsmarktchancen im langfristigen Trend
zugenommen hat und keine Trendwende in Sicht ist (vgl. auch Kupka 2005, Dustman et al. 2007).
3
Die klassische Variante der Mincerschen Lohngleichung kann vereinfacht wie folgt dargestellt werden:
u
X
c
S
c
c
)
w
ln(
3
2
1
+
+
+
=
mit den Variablen w als Lohn, S als Qualifikationsniveau und X als Berufserfahrung. Für
eine Zusammenfassung des Beitrags Jacob Mincers zur modernen Arbeitsmarktforschung siehe Chiswick (2003).

Seite
9
Abbildung 4 verdeutlicht diesen Umstand anhand von qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquo-
ten: Die großen Verlierer sind die Erwerbspersonen ohne berufliche Qualifikation, deren Arbeitslo-
senquote im Beobachtungszeitraum überproportional ansteigt und gegen Ende eine dramatische
Höhe erreicht. Im Jahr 2005 liegt die Arbeitslosigkeit von Personen ohne Berufsausbildung bei 26
%. Damit ist die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie unter Personen mit abgeschlossener Be-
rufsausbildung (9,7 %) und sogar sechsmal so hoch wie in der Gruppe der Akademiker (4,1 %).
Abbildung 4 -- Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten, 1975-2005
26.0%
11.8%
9.7%
4.1%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
197
5
1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005
Ohne Berufsabschluss
Insgesamt
Lehre/Fachschule
Hoch-/Fachhochschule
Früheres Bundesgebiet
Vereinigtes Deutschland
Quelle: Reinberg/Hummel (2007: 18), IAB-Berechnungen auf Basis des Mikrozensus und Strukturerhebungen der
Bundesagentur für Arbeit; eigene Darstellung.
Eine Ausbildung ist also nach wie vor die beste Absicherung gegen Arbeitslosigkeit. Dies gilt nach
Angaben der Autoren unabhängig davon, in welchem Teil Deutschlands die Personen leben oder ob
es sich bei der Kontrollgruppe um Frauen oder Männer handelt.
Zusammenfassend erlaubt dieses Kapitel die Formulierung von drei stilisierten Fakten:
Erstens lie-
fert das Datenmaterial eindeutige Anhaltspunkte dafür, dass sich Deutschlands Außenhandel seit
Beginn der 1990er Jahre merklich intensiviert hat. Dabei ist insbesondere auf die wachsende
Bedeutung des Gütertausches mit Entwicklungsländern hinzuweisen. In frappierender zeitlicher
Übereinstimmung zeichnet das Jahrzehnt
zweitens eine zunehmende Lohnspreizung aus, deren
Ursprung teilweise in gestiegenen Bildungsprämien zu lokalisieren ist. Und
drittens setzt sich der
Trend des überproportionalen Anstiegs der Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten auch in den
1990ern und bis heute fort.
2.2. Theoretische Erklärungsansätze
Es ist weitgehend unstrittig, dass eine verstärkte wirtschaftliche Integration mit weniger entwickel-
ten Volkswirtschaften unter bestimmten Umständen die relative Faktorentlohnung und/oder die re-

Seite
10
lative Faktorbeschäftigung beeinflussen kann. Das analytische Instrumentarium zur Erklärung hier-
für potenziell relevanter Wirkungszusammenhänge bietet die neoklassische Außenhandelstheorie,
insbesondere das so genannte Heckscher-Ohlin-Samuelson-Modell (HOS-Modell).
Der HOS-Ansatz wird in Abschnitt 2.2.1 vorgestellt. In der Modellierung des Übergangs von Au-
tarkie zu Freihandel leite ich im Rahmen der Theorie vier testbare Hypothesen über den Zusam-
menhang zwischen Handel und Lohnstruktur ab. Als alternative Erklärungsansätze stellt Abschnitt
2.2.2 verschiedene Theorien des
intraindustriellen Güteraustausches vor. In 2.2.3 geht es um die
möglichen Auswirkungen eines technologischen Fortschritts auf die Lohnsstruktur.
2.2.1. Interindustrieller Handel (HOS-Ansatz)
Die hier vorgestellte Modellierung des HOS-Modells folgt dem üblichen 2x2x2 Fall: Es gibt die
beiden Produktionsfaktoren hoch und gering qualifizierte Arbeit (a
H
und a
G
) zwei international her-
gestellte Güter bzw. Sektoren, x
1
und x
2
. Gut x
1
nutzt bei der Produktion den Faktor hoch qualifi-
zierte Arbeit relativ intensiv (humankapitalintensiver/
high-skill Sektor), Gut x
2
den Faktor gering
qualifizierte Arbeit (arbeitsintensiver/
low-skill Sektor). Ferner existieren zwei Länder, Norden (N)
und Süden (S), wobei das erste relativ reich mit hoch qualifizierter Arbeitskraft ausgestattet ist, das
zweite relativ reich mit gering qualifizierter Arbeitskraft. Die Faktorausstattung ist fix und exogen.
Jeder Sektor kann durch eine repräsentative Firma beschrieben werden, deren lineare Produktions-
funktion durch positive Grenzprodukte beider Faktoren gekennzeichnet ist. In beiden Ländern herr-
schen identische Technologien. Analog dazu ermöglicht die Annahme identischer und homotheti-
scher Präferenzen auf der Nachfrageseite die Modellierung eines repräsentativen Weltkonsumenten.
Die Nutzenfunktion zeichnet sich durch positiven und abnehmenden Grenznutzen aus. Des Weite-
ren wird unterstellt, dass die Produktionsfaktoren national vollkommen mobil, international jedoch
vollkommen immobil sind. Dies gilt auch bei Freihandel. Alle Faktor- und Gütermärkte sind kom-
petitiv und geräumt. Betrachtet sei zunächst eines der beiden Länder im Autarkiezustand: In Sektor
x
1
werden für die Herstellung einer Outputeinheit die Arbeitsmengen
a
1
H
und
a
1
G
benötigt. Die im
Sektor beschäftigte Gesamtmenge an hoch und gering qualifizierter Arbeit ergibt sich zu
L
1
G
=
a
1
G
x
1
und
L
1
H
=
a
1
H
x
1
.
(5)
Für Sektor x
2
gilt analog
L
2
G
=
a
2
G
x
2
und
L
2
H
=
a
2
H
x
2
.
(6)
Wenn das Angebot an gering und hoch qualifizierter Arbeit konstant ist und Vollbeschäftigung
herrscht, dann gilt
L
G
=
L
1
G
+
L
2
G
=
a
1
G
x
1
+
a
2
G
x
2
,
L
H
=
L
1
H
+
L
2
H
=
a
1
H
x
1
+
a
2
H
x
2
.
(7)

Seite
11
Durch Umformung nach x
1
erhält man die Produktionsrestriktionen für beide Typen von Arbeit:
x
1
=
L
G
a
1
G
-
a
2
G
a
1
G
x
2
und
x
1
=
L
H
a
1
H
-
a
2
H
a
1
H
x
2
.
(8)
Abbildung 1 gibt diesen Sachverhalt grafisch wieder.
Abbildung 5 -- Faktorangebot und Produktionsmöglichkeiten
Quelle: eigene Darstellung.
Aus Angebot und Inputkoeffizient gering qualifizierter Arbeit (
L
G
und
a
G
) ergibt sich die erste
Produktionsrestriktion GG'. Sie drückt aus, dass maximal die Menge 0G von x
2
produziert werden
kann, wenn alle verfügbaren gering qualifizierten Arbeitskräfte in diesem Sektor eingesetzt werden
(
L
G
=
L
2
G
). Werden alle Geringqualifizierten im Sektor x
1
eingesetzt (
L
G
=
L
1
G
), kann von x
1
die
maximal die Menge 0G' realisiert werden. Eine Verteilung der gering qualifizierten Arbeitskraft auf
beide Sektoren ergibt die Gütermengenkombinationen entlang der Geraden GG'. Die Produktions-
restriktion für hoch qualifizierte Arbeit wird durch die Gerade HH' repräsentiert. Ihre Herleitung
und Interpretation erfolgt analog zu GG'. Das Zusammenspiel beider Mengenrestriktionen definiert
die gesamtwirtschaftliche Transformationskurve GQH'. In Q wird unter Vollbeschäftigung beider
Faktoren produziert. Ein Produktionspunkt auf dem Teil der Transformationskurve, der mir der
Mengenrestriktion von hoch qualifizierter Arbeit übereinstimmt (z.B. Q
1
), lässt einen Teil der ge-
ring qualifizierten Arbeit unbeschäftigt. Ein Produktionspunkt auf der Mengenrestriktion gering
qualifizierter Arbeit (z.B. Q
2
) lässt einen Teil der hoch qualifizierten Arbeit unbeschäftigt. Unter
Annahme der Nullgewinnbedingung entspricht im Produktionspunkt die Grenzrate der Transforma-
tion dem Güterpreisverhältnis (
p
=
P
2
P
1
). In Q
1
und Q
2
ist das jeweilige Güterpreisverhältnis
durch die Steigungen von HH' bzw. GG' definiert. Das Preisverhältnis in Q liegt zwischen diesen
beiden Werten.
x
2
Q
H
x
1
G
H'
G'
0
Q
2
Q
1
H*
H*'
Q*

Seite
12
In Abbildung 1 ist der Steigungsparameter von GG' größer als von HH'. In der Notation von (8)
kann dieser Umstand durch die Ungleichung
a
2
G
a
1
G
>
a
2
H
a
1
H
ausgedrückt werden. Eine einfache
Umstellung ergibt die Faktoreinsatzverhältnisse (Skill-Intensitäten) der Güter x
1
und x
2
:
a
1
H
a
1
G
>
a
2
H
a
2
G
.
(9)
Aus (9) ist abzulesen, dass zur Produktion einer Einheit x
1
relativ mehr hoch qualifizierte Arbeit
eingesetzt wird als bei der Produktion von x
2
­ man sagt, dass x
1
in der Produktion
skill-intensiver
ist als x
2
. In alternativer Begrifflichkeit aber gleicher Bedeutung bezeichne ich x
1
als humankapital-
intensives/
high-skill Gut und x
2
als arbeitsintensives/
low-skill Gut. Löst man (7) simultan nach x
1
und x
2
auf, erhält man den Output unter Vollbeschäftigung,
x
1
=
a
2
G
L
H
-
a
2
H
L
G
a
2
G
a
1
H
-
a
1
G
a
2
H
und
x
2
=
a
1
H
L
G
-
a
1
G
L
H
a
2
G
a
1
H
-
a
1
G
a
2
H
.
(10)
Die Nenner der beiden Terme auf der rechten Seite sind positiv, da aus (9) bekannt ist, dass
a
2
G
a
1
H
>
a
1
G
a
2
H
. Diese Einsicht ist von großem Vorteil, da sie eindeutige Schlussfolgerungen darüber
erlaubt, wie die Produktionsmengen auf Änderungen der exogenen Faktorausstattungen reagieren.
Ein Anstieg von
L
H
erhöht demnach den Output des skill-intensiven Gutes x
1
und verringert den
Output des arbeitsintensiven Gutes x
2
. Genau umgekehrt verhält es sich bei einer Erhöhung der
Ausstattung an gering qualifizierten Arbeitskräften
L
G
. Hier wird die Produktion von x
2
auf Kosten
von x
1
ausgeweitet.
Dieser Zusammenhang gibt die Quintessenz des Rybczynski-Theorems wieder (Rybczynski 1955):
Unter Vollbeschäftigung sowie zu gegebenen Preisen und Faktoreinsatzverhältnissen bewirkt eine
exogene Zunahme eines Produktionsfaktors, dass die Produktion desjenigen Gutes, das diesen Fak-
tor intensiv nutzt, zunimmt während die Produktion des anderen Gutes abnimmt. In Abbildung 5 ist
dieser Zusammenhang exemplarisch veranschaulicht: Erhöht sich das Angebot an Hochqualifizier-
ten, verlagert sich die Produktionsrestriktion HH' nach außen auf die gestrichelte Gerade H*H*'
und formt die neue Transformationskurve GQ*H*'. Im neuen Produktionsgleichgewicht Q* wird
mehr des humankapitalintensiven Gutes x
1
und weniger des arbeitsintensiven Gutes x
2
hergestellt.
Um nun zu sehen, wie unterschiedliche Faktorausstattungen zu internationalem Handel führen, sei-
en die zwei Länder N und S betrachtet (vgl. Abb. 6). Beide zeichnen sich durch identische Techno-
logien jedoch unterschiedliche Faktorausstattungen aus. Aus diesem Grund sind die Steigungen der
Produktionsrestriktionen gleich, die Form der Transformationskurven unterscheidet sich jedoch.
Die Transformationskurve von N ist durch NQ
N
N' beschrieben, die Transformationskurve von S
durch SQ
S
S'. Die Indifferenzkurven U
i
mit i
{0,1} sind für beide Länder identisch. Es wird dort
produziert, wo die Grenzrate der Transformation gleich der Grenzrate der Substitution ist, d.h. im

Seite
13
Tangentialpunkt der höchstmöglichen Indifferenzkurve mit der Transformationskurve. So produ-
ziert S im Autarkiezustand in Punkt Q
S
und N in Punkt E. Ganz im Sinne des Rybczynski-
Theorems produziert das humankapitalintensive Land N relativ mehr des high-skill Gutes, während
das arbeitsintensive Land relativ mehr des low-skill Gutes produziert.
Da die Grenzrate der Substi-
tution gleich dem Preisverhältnis ist, steht fest, dass sich die relativen Preise in Q
N
und Q
S
unter-
scheiden ( p
N
>
p
S
).
Abbildung 6 -- Handel zwischen zwei Ländern unterschiedlicher Faktorausstattung
Quelle: eigene Darstellung.
Untersucht seien nun die Auswirkungen einer vollkommenen Handelsliberalisierung zwischen bei-
den Ländern. Herrscht Freihandel, gleichen sich die Preisverhältnisse an und konsolidieren sich auf
einem Niveau zwischen den Autarkiepreisen ( p
N
>
p*
>
p
S
). Dies ist in Abbildung 6 durch die Li-
nie Q
S
Q
N
dargestellt, die jeweils den Produktions- und Konsumptionspunkt der beiden Länder ver-
bindet. Sie formt auch das jeweilige Handelsdreieck, welches die aus dem Freihandel resultierenden
Warenströme repräsentiert. In S muss der Relativpreis steigen, in N muss er fallen. In S bleibt die
Produktion bei Q
S
, während sich der Konsumpunkt durch den internationalen Handel nach C auf
die höhere Indifferenzkurve U
1
verlagert. Der Angebotsüberschuss des arbeitsintensiven Gutes x
2
wird durch Exporte in Höhe von M
S
Q
S
ausgeglichen, die exakt den Importen von N entsprechen. In
N bewegt sich der Produktionspunkt nach Öffnung der Grenzen von E auf Q
N
, der neue Konsum-
punkt ist ebenfalls C. Der hier anfallende Angebotsüberschuss des humankapitalintensiven Gutes x
1
wird durch Exporte in Höhe von M
N
Q
N
ausgeglichen, die exakt den Importen von S entsprechen.
4
4
Es sei bemerkt, dass hier zwei mögliche Reaktionen auf die Handelsliberalisierung illustriert sind, die sich allerdings
auf den unterstellten Fall linearer Produktionsfunktionen beschränken: In S bleibt der Produktionspunkt gleich. Hier
ergeben sich die Vorteile des internationalen Handels ausschließlich aus den erweiterten Konsummöglichkeiten. In N
hingegen findet ein struktureller Wandel in Form einer Produktionsspezialisierung statt. Die sich in N einstellenden
Wohlfahrtseffekte ergeben sich neben dem Konsumvorteil auch aus einem Spezialisierungsvorteil. In der üblichen Dar-
x
2
Q
S
x
1
N
S`
N`
0
Q
N
S
C
E
U
0
U
1
M
S
M
N

Seite
14
Mit der Herleitung dieses Handelsmusters ist die Gültigkeit des Heckscher-Ohlin-Theorems belegt,
das die Handelsströme auf Basis der Faktorausstattungen erklärt (vgl. Ohlin 1933). Das Theorem
besagt, dass jedes Land dasjenige Gut exportiert, das den jeweils reichlich vorhandenen Faktor in-
tensiv nutzt. Aus dem Heckscher-Ohlin-Theorem kann die erste Arbeitshypothese abgeleitet wer-
den:
Hypothese I: Spezialisierung
Im Vergleich mit Entwicklungsländern kann davon ausgegangen werden, dass Deutschland
relativ reichlich mit hoch qualifizierter Arbeitskraft ausgestattet ist. Dem Heckscher-Ohlin-
Theorem zufolge müsste das Land komparative Kostenvorteile in der Produktion humankapi-
talintensiver Güter und komparative Nachteile in der Produktion arbeitsintensiver Güter ha-
ben. Des Weiteren müsste die verstärkte internationale Arbeitsteilung der vergangenen Jahre
einen Strukturwandel hin zur Spezialisierung auf skill-intensive Produkte ausgelöst haben.
In der zweiten Hypothese geht es um die Entwicklung der Preise. Das HOS-Modell sagt aus, dass
sich die Preisverhältnisse beim Übergang von Autarkie zu Freihandel einander anpassen. Aus Sicht
des Landes, das relativ reichlich mit Humankapital ausgestattet ist, sinkt das Preisverhältnis dabei
von p
N
auf p*. Mit anderen Worten: Der Preis des low-skill Gutes sinkt relativ zum Preis des high-
skill Gutes.
5
Hypothese II: Preisanpassung
Weiterhin unter der Annahme, dass Deutschland ein vergleichsweise humankapitalintensives
Land ist, ist im Rahmen der zunehmenden internationalen Handelsintegration mit Entwick-
lungsländern zu erwarten, dass es zu einer relativen Preissenkung von low-skill Gütern und
einem relativen Preisanstieg von high-skill Gütern gekommen ist.
Im langfristigen Gleichgewicht entsprechen die Güterpreise den Stückkosten, die sich wiederum
aus den Faktorentlohnungen ergeben. Es gilt
P
1
=
w
H
a
1
H
+
w
G
a
1
G
und
P
2
=
w
H
a
2
H
+
w
G
a
2
G
,
(11)
wobei w
H
und w
G
für den Lohn einer Einheit hoch bzw. gering qualifizierter Arbeit stehen. Die si-
multane Lösung von (11) ergibt die Lohnsätze in Abhängigkeit der Güterpreise und eingesetzten
Faktormengen:
stellung der Transformationslinie als zum Ursprung hin konkav geneigte Kurve (als Folge der Annahme positiver und
abnehmender Faktorgrenzprodukte) bewirkt jede Relativpreisänderung eine Produktionsanpassung.
5
Vor dem Hintergrund der Preisanpassung kann die Produktionsumstrukturierung aus dem Heckscher-Ohlin-Theorem
nun mit einfachem ökonomischen Sachverstand nachvollzogen werden: Steigt im Zuge der Handelsliberalisierung der
Relativpreis für das humankapitalintensive Gut in Deutschland, wird dessen Herstellung profitabler und die Produktion
weitet sich aus.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836613767
DOI
10.3239/9783836613767
Dateigröße
751 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg – Wirtschaftswisssenschaften
Erscheinungsdatum
2008 (Juni)
Note
1,3
Schlagworte
lohnspreizung interindustrieller handel heckscher-ohlin-samuelson-modell neoklassische außenwirtschaftstheorie qualifikationsspezifische arbeitslosigkeit
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Titel: Internationaler Handel als Triebkraft der Lohnspreizung?
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