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Spachliches Handeln und Transaktionsanalyse

©1987 Examensarbeit 171 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Sprache bestimmt das Denken und Handeln des Menschen. Die Dinge und Sachverhalte werden durch die Sprache in ihrer Bedeutung bestimmt oder anders ausgedrückt, die Sprache bestimmt die kulturell-geistigen sowie die moralischen Eigenschaften des Menschen, die sich in seinem Handeln zeigen.
Kommunikationspartner verhalten sich in der Regel so, als ob Kommunikation vollständig und adäquat vollzogen werde, Verständigung ohne jedes wenn und aber gelingt.
In diesem ersten Buch werden wir uns mit dem sprachlichen Handeln, dem Gebrauch der Sprache, der individuellen Sprachanwendung im Kommunikationsprozeß, befassen. Wird kommunikativ gehandelt, so treten mindestens zwei individuell verschiedene Persönlichkeiten in sprachlichen Kontakt miteinander. Nach Eric Berne wird die Grundeinheit aller sozialen Verbindungen als 'Transaktion' bezeichnet. Richtet sich jemand sprachlich an einen anderen, so wird er immer eine bestimmte Erwartungshaltung in bezug auf die Reaktion des Angesprochenen haben, das heißt der Agierende setzt voraus, daß der Angesprochene einen bestimmten Standpunkt einnimmt. Durch die Art der wie der Sprecher den anderen anredet, gibt er diesem schon zu verstehen, wie dieser reagieren soll.
Gang der Untersuchung:
Zu Beginn des ersten Kapitels werden wir uns mit der Sozialisation, der Persönlichkeitsbildung beschäftigen. Der Mensch wird durch und mit der Sprache sozialisiert, indem er und seine soziale Umwelt durch die Sprache in gegenseitigen Kontakt treten. Die in dem ersten Lebensabschnitt durch die Sprache gemachten Erfahrungen bzw. die mit dem Medium Sprache übertragenen Gefühle werden als unauslöschliche, emotionale 'Bilder von der Welt' gespeichert. Diese frühen Bilder bestimmen weitgehend die spätere Psyche des erwachsenen Individuums. Die Psyche, welche die Menschen in ihrem Wesen so verschieden sein läßt, verzerrt die Bedeutung der Worte, so daß der Mensch zu der allgemeinen oder lexikalischen Bedeutung der Worte immer auch seine individuellen Empfindungen und Erfahrungen mit hinzugibt. Nur das Wissen von der eigenen Psyche macht es einem Menschen überhaupt möglich, sein kommunikatives Verhalten nachhaltig zu ändern. Dies ist der Grund, warum wir in unserer Abhandlung immer wieder auf die Entwicklung und frühkindliche Ausbildung der individuellen Seele bzw. der Gefühlslage zu sprechen kommen.
Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels werden wir anhand der Sprechakttheorie zeigen, 'was wir tun, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Hans Harald Hansen
Spachliches Handeln und Transaktionsanalyse
ISBN: 978-3-8366-1186-2
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Paderborn, Paderborn, Deutschland, Staatsexamensarbeit, 1987
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS
Seite
0.
EINLEITUNG
5
I.
SPRACHLICHES HANDELN
7
1.1
Sprache und Handeln
9
1.1.1
Kommunikation durch Verwendung von Symbolen
9
1.1.2
Sprachliche Äußerung und Handlung 10
1.1.3
Sprache und Persönlichkeitsentwicklung 13
1.1.4
Rollen im Kommunikationsprozeß
16
1.2
Pragmatische Aspekte des sprachlichen Handelns
18
1.2.1 Grundlagen
18
1.2.2
Sprechakttheorie und Sprachproduktion
19
1.3 Interaktion
28
1.3.1 Grundlagen
28
1.3.2
Verbale und nonverbale Kommunikation
29
1.3.3
Sprechen und die vier Lebensanschauungen
37
1.3.4
Das Kontaktgespräch, oder das Problem,
jemanden richtig anzusprechen
40
1.3.4.1
Überreden versus überzeugen
43
1.3.4.2
Attitüden und Stereotypen
47
1.3.4.3
Ethik und Sprache
48
II.
TRANSAKTIONSANALYSE
51
2.1
Die Struktur der Persönlichkeit
51
2.2
Transaktion und Kommunikation
58
2.3
Sprachliches Handeln und Transaktionsanalyse
60
2.3.1
Die Formen der Transaktion
62
1.
Komplementär-Transaktionen
62
2.
Überkreuztransaktionen
69
3.
Verdeckte
Transaktionen
74
4.
Transaktionsspiele
78

4
III.
GESPRÄCH UND GESPRÄCHSFÜHRUNG
81
3.1
Psychologie der Gesprächsführung
81
3.1.1 Geltungsstreben
83
3.1.2 Reflektierendes
Sprechen
84
3.1.3
Diplomatie in der Gesprächsführung durch
Mentalreservation
84
3.1.4
Das Kindheits- und Eltern-Ich als Gefühlsmörder
86
3.2
Diskurs- und Transaktionsanalyse
87
3.2.1
Trübung des Erwachsenen-Ichs
97
3.2.2
Wenn auf der Grundlage von Lebenslügen
(sprachlich) gehandelt wird
90
3.3
Die Rede als einseitiges Kommunikationsereignis
94
3.3.1 Vorbemerkung
94
3.3.2
Rede und Transaktionsanalyse
96
IV.
RESÜMEE UND AUSBLICK
100
V. LITERATURVERZEICHNIS
104
Anhang
106
Kommunikation
106
Grundlage der Kommunikationstheorie
106
Der Entwicklungsprozeß der Kommunikation
108
Was, wenn die Soziobiologen Recht haben
117
Die merkwürdige Auflösung des Selbst
119
Pragmatik
124
Sprache in bestimmten Situationen
124
Die Theorie der Sprechakte
124
Zeichen in der Kommunikation
129
Funktionen von Zeichen
129

5
0.
EINLEITUNG
ie Sprache bestimmt das Denken und Handeln des Menschen. Die Dinge und Sach-
verhalte werden durch die Sprache in ihrer Bedeutung bestimmt oder anders ausge-
drückt, die Sprache bestimmt die kulturell-geistigen sowie die moralischen Eigenschaf-
ten des Menschen, die sich in seinem Handeln zeigen.
Kommunikationspartner verhalten sich in der Regel so, als ob Kommunikation vollständig und
adäquat vollzogen werde, Verständigung ohne jedes wenn und aber gelingt.
In diesem ersten Buch werden wir uns mit dem sprachlichen Handeln, dem Gebrauch der
Sprache, der individuellen Sprachanwendung im Kommunikationsprozeß, befassen. Wird
kommunikativ gehandelt, so treten mindestens zwei individuell verschiedene Persönlichkeiten in
sprachlichen Kontakt miteinander. Nach Eric Berne wird die Grundeinheit aller sozialen Verbin-
dungen als 'Transaktion' bezeichnet. Richtet sich jemand sprachlich an einen anderen, so wird
er immer eine bestimmte Erwartungshaltung in bezug auf die Reaktion des Angesprochenen
haben, das heißt der Agierende setzt voraus, daß der Angesprochene einen bestimmten
Standpunkt einnimmt. Durch die Art der wie der Sprecher den anderen anredet, gibt er diesem
schon zu verstehen, wie dieser reagieren soll.
Zu Beginn des ersten Kapitels werden wir uns mit der Sozialisation, der Persönlichkeitsbildung
beschäftigen. Der Mensch wird durch und mit der Sprache sozialisiert, indem er und seine so-
ziale Umwelt durch die Sprache in gegenseitigen Kontakt treten. Die in dem ersten Lebensab-
schnitt durch die Sprache gemachten Erfahrungen bzw. die mit dem Medium Sprache übertra-
genen Gefühle werden als unauslöschliche, emotionale 'Bilder von der Welt' gespeichert. Diese
frühen Bilder bestimmen weitgehend die spätere Psyche des erwachsenen Individuums. Die
Psyche, welche die Menschen in ihrem Wesen so verschieden sein läßt, verzerrt die Bedeutung
der Worte, so daß der Mensch zu der allgemeinen oder lexikalischen Bedeutung der Worte im-
mer auch seine individuellen Empfindungen und Erfahrungen mit hinzugibt. Nur das Wissen von
der eigenen Psyche macht es einem Menschen überhaupt möglich, sein kommunikatives Ver-
halten nachhaltig zu ändern. Dies ist der Grund, warum wir in unserer Abhandlung immer wie-
der auf die Entwicklung und frühkindliche Ausbildung der individuellen Seele bzw. der Gefühls-
lage zu sprechen kommen.
Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels werden wir anhand der Sprechakttheorie zeigen,
'was wir tun, wenn wir sprechen'. Diese von AUSTIN und SEARLE erarbeitete Theorie wird
durch eine psychologische Konzeption zur situationsspezifischen Sprachproduktion erweitert.
So können wir zeigen, was eigentlich einer Äußerung im Bewußtsein des Sprechers zugrunde
liegt bzw. was, tiefenpsychologisch, mit einer Äußerung wirklich gemeint wurde.
D

6
Im zweiten Kapitel werden wir uns mit der Struktur der Persönlichkeit, der Strukturanalyse,
beschäftigen. Diese Analyse wird uns zeigen, mit welcher seiner drei Persönlichkeiten ein
Menschen gerade handelt. Denn in jedem Individuum korrespondieren drei verschiedene 'Ich-
Zustände', die als ein System von Gefühlen zu verstehen sind, mit ihren dazu gehörenden Ver-
haltensmustern. Diese Komplexe von Gefühlen und Verhaltensweisen lassen sich in drei
Grundtypen ordnen: dem Eltern-Ich, dem Erwachsenen-Ich und dem Kindheits-Ich. Ein Mensch
wird mit seinem Erwachsenen-Ich ganz anders handeln, als mit seinem Kindheits- oder Eltern-
Ich.
Im Abschnitt ,,Die Transaktionsanalyse" wird anhand von Verkaufsgesprächen dargestellt,
was im Inneren zwischen zwei interagierenden Individuen vorgeht. Hier werden die verschie-
denen Transaktionsarten, wie Komplementär-, Überkreuztransaktion und die verdeckten Trans-
aktionen anhand von Gesprächsbeispielen im Alltags- und Geschäftsleben beschrieben.
Im letzten Kapitel ,,Gespräch und Gesprächsführung" werden Ergebnisse aus den beiden vo-
rangegangenen Kapiteln für das Konzept einer erfolgreichen Gesprächsführung eingesetzt.
Des weiteren werden Gespräche aus dem Alltagsleben, u.a. ein Gespräch mit einem Arbeitsu-
chenden und die Rede eines Politikers, analysiert.
Harald Hansen

7
I. SPRACHLICHES HANDELN
1.1 Sprache und Handeln
H
andeln, griech.: praxis, ,,das zweckvolle Tun und Wirken; einen Entschluß ausführen"- schon
diese Lexikoneintragungen machen deutlich, daß Handeln ein bewußtes Vorgehen, ein Tätigsein
ist, das ein Bewußtsein voraussetzt. Handeln zeichnet sich durch eine Dimension der Unabhän-
gigkeit gegenüber der Situation aus, in der die Handlung geschieht. Die Trennung von Situation
und Handlung wird durch das Medium Sprache, das als ein Instrument zur Übermittlung von Ge-
danken und Vorstellungen zu betrachten ist, ermöglicht. Denken, Sprechen, Handeln - diese drei
Tätigkeitsfelder des Menschen sind voneinander zu unterscheiden, obgleich sie sich gegenseitig
bedingen und eine ,,molekulare" Einheit bilden. Zerlegt man diese Einheiten in ihre Bestandteile,
um sie einzeln zu analysieren, so haben wir das, worüber Mephistopheles im Faust spottet: "Wer
will das Lebendige erkennen und beschreiben, sucht erst den Geist herauszutreiben, dann hat er
die Teile in seiner Hand, fehlt, leider nur das geistige Band." (Goethe, Faust I)
Denken und Sprechen ohne zu handeln ist ebenso undenk-
bar, wie Sprechen und Handeln ohne zu denken. Mit dieser
'Dreiheit' haben wir ein Problem vor uns, das sowohl von
der Philosophie wie von der Psychologie oftmals zu lösen
versucht wurde. "Sind Denken und Sprechen identisch?"
"Handelt der andere so, wie wir es dachten und ihm sag-
ten?"
Die sprachlichen und nichtsprachlichen Symbole eines
Menschen, haben immer eine Wirkung auf sein soziales
Umfeld. Diese Wirkung wird von diesem laufend, im weites-
ten Umfange automatisch bzw. unbewußt analysiert.

8
"Die Existenz von Sozialstrukturen erfordert Kommunikation. Die Sprache ist sowohl das Ve-
hikel, durch das Kultur und Handlungsregeln von Generation zu Generation vermittelt werden, als
auch ein integraler Bestandteil der Kultur und der Regeln. Der zentrale Standpunkt ist, daß die
Merkmale des menschlichen Verhaltens, die es vom Verhalten anderer Lebewesen unterschei-
den, von der Tatsache herrühren, daß der Mensch ein Symbolverwender ist, das einzige Symbo-
le gebrauchende Lebewesen und das einzige Lebewesen, dessen soziale Gruppierungen von
symbolischen Prozessen abhängig und durchdrungen sind. Infolgedessen wird die Interaktion
zwischen Menschen als symbolische Interaktion betrachtet.
In ihren deutlichsten Aspekten schließt sie die gesprochene oder geschriebene Sprache ein,
aber selbst in ihren nichtsprachlichen Formen enthält die Interaktion Bedeutungsebenen, die oh-
ne komplexe Symbole nicht existieren könnten. Die spezifischen Formen, Richtungen und Er-
gebnisse der Interaktion hängen weitgehend davon ab, wer die Interaktionspartner zu sein vor-
geben (d.h. was sie in die Interaktion einbringen). (... )
Da menschliches Handeln durch und durch symbolisch ist, haben die Menschen mehr als alle
anderen Arten von Lebewesen eine weit größere Handlungsfreiheit und stehen ihnen weit mehr
Alternativen zur Lebensführung offen. Diese Wahlfreiheit ist angesichts einer Mannigfaltigkeit
von Alternativen selbst ein gesellschaftliches Produkt; sie ist keine unbedingte Freiheit und kann,
wenn man sie in einer angemessenen Weise auffaßt, zum Gegenstand der Analyse und empiri-
schen Untersuchungen gemacht werden."
(1)
Durch die Verwendung von Symbolen z.B. der Sprache, das primäre Symbol schlechthin, ist der
Mensch nicht mehr an die augenblicklichen Situationen gebunden. Schon beim Kleinkind kann
beobachtet werden, wie es vielleicht mit einem Bauklotz spielt und dazu bellt. Dieser Klotz ist
dann in der Phantasie des Kindes ein Hund, den es irgendwann einmal gesehen hat. Spielt es
aber mit anderen Kindern zusammen, muß es seinen Kameraden mitteilen, daß dieser Klotz
einen Hund darstellt.
Symbole sind die Klasse von Zeichen, bei denen die Beziehung zwischen Zeichen und be-
zeichnetem Sachverhalt auf Konventionen beruht. Symbole sind also frei geschaffene, aber
konventionell überlieferte sprachliche und nichtsprachliche Zeichen. Die richtige Symbolver-
wendung muß erlernt werden, wenn Verständigung möglich sein soll. Beim Menschen ist, ohne
hier näher auf die gegensätzlichen Theorien von SKINNER* und CHOMSKY* einzugehen, die
Fähigkeit zum Erlernen der Sprache, die ein auf mentalen Prozessen basierendes und auf
Konventionen beruhendes Zeichensystem zum Austausch von Gedanken, Erfahrungen, Er-
kenntnissen und Vorstellungen ist, angeboren also genuin. Die komplexe neurologische Struk-
tur des menschlichen Gehirns macht den Gebrauch von vokalen Signalen, die in einem kompli-
zierten Symbolsystem kombiniert sind, zum Zwecke der Kommunikation möglich.
"Das Kind, das eine Sprache erlernt, steht vor der Aufgabe, aus dem Angebot jener Sätze, die -
aus seiner Umwelt kommend - von ihm apperzepiert
(1)
werden, mit Hilfe der aus Korrekturen
stammenden Erfahrungen ungrammatischer Bildungen die entsprechende Grammatik zu kon-
struieren. Diese erstaunliche Leistung, die von allen in menschlicher Gesellschaft aufwachsen-
den gesunden Kindern in überraschend kurzer Zeit vollbracht wird, setzt einen beträchtlichen
Abstraktionsgrad voraus, der viele Eigenschaften einer abstrakten deduktiven Theorie besitzt."
(2)
________________
1) Lindesmith, A- R.; Strauss, A. L., Düsseldorf 1974 Teil I, S. 28f.
2) Ullmann, I.M. Göttingen 1975, S. 76.
(1)
apperzepiert:
Apperzeption: bewußtes Erfassen von Erlebnis-, Wahrnehmungs- und Denkinhalten.

9
Hat der Mensch schließlich seine Sprachkompetenz erlangt, so kann er unbegrenzt viele
Sätze bilden und verstehen. Diese Kompetenz ermöglicht ihm überhaupt sprachlich und damit
sozial zu handeln. Er kann mit ihr kooperativ auf ein imaginär bestehendes Ziel hinarbeiten,
das heißt der Mensch kann sich über ein nur in seiner Gedankenwelt bestehendes Ziel mit an-
deren Menschen aus seiner Sprachgemeinschaft verständigen.
1.1.1 Kommunikation durch Verwendung von Symbolen
W
ie schon im vorherigen Abschnitt ausgeführt, ist der Mensch ein "Symbolverwender". Eine
Mitteilung mit symbolischen Mitteln kann nur verstanden werden, wenn sich beide Kommunika-
tionspartner auf die gleiche Referenz beziehen. Das Symbol griech.: Symbolon, ,,das Zusam-
mengeworfene" ist ein aus zwei Teilen bestehendes Zeichen und hat einen oder mehrere Refe-
renten in der realen Welt, auf das oder die es sich bezieht. In der Sprache, der Gestik, der Mi-
mik, der bildlichen Darstellung verbinden sich Laut bzw. bei den nonverbalen Kommunikations-
mitteln Bewegung oder Abbildung mit der jeweiligen Bedeutung zum Symbol. In der sprachli-
chen Kommunikation sind vier Hauptfaktoren als Bezugspunkte der Bedeutungsdefinition anzu-
sehen:
a)
die materielle (lautliche oder graphische) Seite des sprachlichen Ausdrucks,
b)
die psychischen Aspekte, die an der Herstellung von begrifflichen Konzepten bzw.
den Bewußtseinsinhalten beteiligt sind,
c)
die Objekte, Eigenschaften und Sachverhalte der realen Welt, auf die durch
sprachliche Ausdrücke Bezug genommen wird,
d)
der Sprecher und der je spezifische Situationskontext in dem sprachliche
Ausdrücke verwendet werden.
Anmerkung: Skinner vertritt die empirische Spracherwerbsthese, die Lernprozesse auf Erfahrungen, Imitati-
onen und Konditionen zurückführt. Chomsky sieht den Sprachererwerbsprozeß als einen mehr oder minder
angeborenen Spracherwerbsmechanismus, d.h. jedes Kind ist mit einem angebotenen Schema für zulässige
Grammatiken ausgestattet.

10
1.1.1 Sprachliche Äußerung und Handlung
N
icht der Laut oder das nonverbale Signal haben für sich allein genommen eine Bedeutung,
sondern erst die Konvention legt fest, auf was oder auf welchen Sachverhalt in der realen Welt
ein sinnlich wahrnehmbares Signal Bezug nimmt. Ein Beispiel aus der Aussagelogik soll ver-
deutlichen, was mit dieser Festlegung gemeint ist:
A v B = w Die konventionelle Festlegung, die mit sprachlichen Zeichen gemacht
wird, lautet: Die Aussage ist genau dann wahr, wenn A oder B wahr ist (einschlie-
ßendes Oder). Wir haben hier eine symbolische Aussage, die wiederum mit sym-
bolischen Sprachzeichen definiert wird. Diese sprachlichen Symbole beziehen
sich auf Erfahrung aus der realen Welt.
Eine sprachliche Äußerung, mit der eine Handlung vollzogen wird, steht immer in einem verba-
len oder nonverbalen Sinnzusammenhang. Die kürzeste sprachliche Einheit, mit deren Äuße-
rung eine vollständige sprachliche Handlung vollzogen werden kann, ist der - nicht unbedingt an
grammatikalischen Kriterien gemessene - Satz. Ein Satz wäre gemäß dieser Definition auch
der nur ein Wort umfassende Befehl. Kein Satz wäre dagegen die Äußerung, mit der keine
vollständige sprachliche Handlung
vollzogen wird,
(z.B. 'Der hat doch kein Geld.', 'Es ist kalt
hier.'). Diese Einschränkung ist notwendig, weil es längere sprachliche Einheiten als den Satz
gibt, mit denen man vollständige sprachliche Äußerungen vollziehen kann.
Solche Einheiten sind z.B. Satzfolgen bzw. Argumentationen. Mit kürzeren Einheiten als
dem
Satz
kann keine vollständige sprachliche Handlung vollzogen werden. Damit eine sprach-
liche Handlung vollzogen werden kann, müssen die oben genannten. Beispiele ergänzt
werden, z.B. in Form einer Warnung: ,,Der hat doch kein Geld, machen Sie mit dem keine Ge-
schäfte", einer Aufforderung: ,,Es ist kalt hier, würden Sie bitte das Fenster schließen." Jede
vollständige sprachliche Handlung gibt dem Gesprächspartner eine Handlungsanweisung. Die-
se Handlungsanweisung kann aber, wenn sie sprachlich nicht vollständig vollzogen wird, vom
Gesprächspartner aus dem Situationskontext erschlossen werden, so daß dann auch ellipti-
sche Äußerungen Sätze sein können. In diesem Sinne ist das hier angeführte Zitat zu verste-
hen:

11
,,Die Sprache ist doch sui generis ein - im ursprünglichen Sinne des Wortes - wirksames
Mittel, uns miteinander verständigen zu können. Und dies geschieht ja nicht mit Worten,
d.h. mit zusammenhängenden Wortgruppen oder mit einem Wort,' das aber immer in ei-
ner konkreten Situation ausgesprochen und deshalb als eine vollständige Mitteilung
sprachlicher Äußerungen (,,utterance") aufgefaßt wird."
(1)
Die Semiotik, griech.: semeiotikos, 'zum Zeichen gehörend', läßt sich nach Morris in drei Teil-
gebiete untergliedern. In die Semantik, als Relation zwischen Zeichen und Bedeutung; die Syn-
tax, als Relation zwischen den Zeichen; die Pragmatik, als Relation zwischen Zeichen und Zei-
chenbenutzer. Die syntaktischen und semantischen Aspekte sind für jede Kommunikation von
grundlegender Bedeutung, denn es ist einzusehen, daß ein Gespräch nur möglich ist, wenn die
Gedanken adäquat wiedergegeben werden, d.h. hier, daß die Wörter in einem grammatischen
Verhältnis zueinander stehen müssen. Weiterhin ist entscheidend, daß die Interaktionspartner
sich mit den geäußerten Worten auf den gleichen Sachverhalt beziehen, bzw. den Worten in
etwa die gleiche Bedeutung zuordnen. An dieser Stelle nun fließt der pragmatische Aspekt mit
ein, und es stellen sich problematische Fragen: Worauf sind die Gedanken des Sprechers ge-
richtet? Welches Ziel oder welche Ziele verfolgt der Sprecher mit seiner Äußerung? Im Ab-
schnitt 'Pragmatische Aspekte des sprachlichen Handelns' wird dieser Sachverhalt wieder auf-
gegriffen. Hier soll die Erkenntnis genügen, daß im Gespräch die Psyche und das soziale Mo-
ment (wie der Status der Gesprächspartner, die sozialen Beziehungen zwischen den Ge-
sprächsteilnehmern usw.) mit einbezogen werden. Der Sprecher hat nicht nur das Ziel, durch
seine Äußerung ein Bild der Realität so adäquat wie möglich widerzuspiegeln, sondern er ver-
folgt mit seiner Äußerung weitere Ziele, wie z.B. dem Gesprächspartner zu gefallen, auf ihn
Eindruck zu machen, von ihm Anerkennung zu bekommen, ihn zu überzeugen, zu beeinflussen
bzw. zu manipulieren
.
Hinzu kommt, daß jeder Mensch seine Intuition von der Wirklichkeit hat,
so daß in Äußerungen individuell gewonnene Erfahrungen sowie Anschauungen, die unreflek-
tiert als Wirklichkeitsdarstellung übernommen worden sind, mit einfließen.
____________
1) Nagy, Gabor, O., Paris 1973, S 13f

12
Aus dem vorab Gesagten ergibt sich folgendes Modell:
Objektive
Wirklichkeit
Sprecher
Verzerrung der Wirklichkeit durch
die Psyche und das soziale Moment
Wirklichkeitsdarstellung
wird modifiziert durch die
Handlungsziele
sprachliche Äußerung
Hörer
Aufnahme des Geäußerten
nimmt Referenz auf seine Wirklichkeits-
darstellung
Verzerrung des Geäußerten durch die Psyche
und das soziale Moment
bewußte
Wahrnehmung
Reaktion: sprachliche Äußerungen und/oder nichtsprachliche
Signale, wie schmunzeln, kräuseln der Stirn
Abbildung 1
Angesichts dieses Modells stellt sich die Frage, ob Verständigung überhaupt möglich ist. Unre-
flektiert, aus unserer alltäglichen Erfahrung mit der sprachlichen Kommunikation, würden wir
diese Frage grundsätzlich mit 'ja' beantworten. Wie wir aber aus dem Modell ersehen, lebt ei-
gentlich jeder Mensch in seiner eigenen Welt. Folglich bezieht jeder die verwendeten Symbole
auch auf seine eigene, nur in seinem Hirn existierende Welt. Also stellt sich doch hier die Fra-
ge, ob wir nur viel
miteinander reden, ohne uns wirklich
zu verstehen. Aber was würde gesche-
hen, oder wären wir überhaupt handlungsfähig, könnten wir überhaupt dynamische Verände-
rungen bewirken, wenn wir alle die gleiche Abbildung von der Welt in uns trügen und uns so
von Grund auf verstehen würden?

13
,,... die zu einem sozialen Leben notwendige Übereinstimmung sei begründet in einer
mehr oberflächlichen Verständigung, hinter der die radikale Unterschiedlichkeit der in-
dividuellen Erfahrungen und Erlebnisse verdeckt liege. Es sei sozial nicht nutzbrin-
gend, sich von Grund auf zu verstehen, um auch gemeinsam handeln zu können; im
Gegenteil.
Unter jener zarten und oberflächlichen Decke, die notwendig und ausreichend sei für
den verbalen Austausch von Nachrichten zwischen Menschen im Alltag verberge jeder
von uns ein mehr oder weniger ausgeprägtes privates emotionales Universum, wel-
ches der sogenannten Außenwelt und auch seinen Beziehungen zu anderen allein für
ihn zutreffende Bedeutungen zuweise. Aufgrund dieser 'Tiefgründigkeit' sei jeder für
sich alleine. 'So viele Gehirne' sagt Frei (in Livre des 2000 phrases, 1943), 'so viele
partikuläre linguistische Systeme."
(1)
Es kann nicht unser Ziel sein, was auch illusionär wäre, dem Gesprächspartner auf-
grund seiner Äußerung in die 'Black Box'
(ASHBY)
zu schauen, sondern unser Ziel ist, den
Kommunikationspartner richtig zu verstehen. Richtig verstehen in dem Sinne, daß wir
auf seine Äußerungen in angemessener Weise reagieren bzw. sprachlich handeln.
Hierzu brauchen wir ein Analysesystem, das die wahren Absichten im sprachlichen
Handeln schnell ersichtlich werden, so daß während des Gesprächs besser disponiert
werden kann, um so gegenüber anderen angemessen zu reagieren.(
2)
1.1.3 Sprache und Persönlichkeitsentwicklung
D
er soziologische Aspekt der sprachlichen Handlung umfaßt das wechselseitige Zusam-
menwirken von individuellen und gesellschaftlichen Zielen, Normen und Regeln von Handlun-
gen und Beziehungen - sprachliches Handeln ist immer auch ein soziales Handeln.
1) Revers, W.J., Perrez, M., (Hrsg. der dt. Ausgabe), Salzburg 1974, S. 7f.
2) Unser Analysesystem ist die Transaktionsanalyse. Im Gegensatz zu vielen anderen Systemen, wie beispielswei-
se die Neurolinguistische Programmierung (NLP), steht die Transaktionsanalyse und das auf dieser Basis beru-
hende Kom-Konzept, auf fundierten, wissenschaftlichen Erkenntnissen.

14
"Zahlreiche Untersuchungen zeigen, daß die an das Kind gerichteten sprachlichen An-
weisungen zunächst innig mit allgemeineren, unmittelbar wirksamen affektiven Formen
des Kontakts mit dem Kind verbunden sind. Nur Aufforderungen, die in einem gewissen
Ton als
Teil einer spezifischen spürbaren Gesamtsituation erteilt werden, rufen eine entspre-
chende Reaktion des Kindes hervor. Die affektiv bestimmte Situation spielt in frühen
Stadien der kindlichen Entwicklung eine entscheidende Rolle, und es bedarf einer be-
trächtlichen Zeit, bis die Sprache des Erwachsenen in größerer Unabhängigkeit von der
Situation die gewünschte Reaktion beim Kind erzielt."
(1)
Das Kind gewinnt durch die enge Verbundenheit mit seinen Beziehungspersonen Sicherheit
und Selbstvertrauen, eine verläßliche Basis zur Stiftung mitmenschlicher Beziehungen. Es er-
wirbt durch die Sprache eine beträchtliche Erweiterung seiner Erfahrungen, bekommt durch ihr
Weisungen für sein Verhalten vermittelt und erwirbt so neue Wege, um seine geistigen Aktivitä-
ten zu organisieren und zu optimieren.
Wie gesagt, der Mensch ist ein symbolverwendendes Wesen. Von Geburt an wird er von Men-
schen, mit denen er interagiert, mit einer Symbolwelt umgeben. Diese Symbolwelt ist in vieler
Hinsicht weit bedeutender als die physische Umwelt, denn Symbole geben uns die Bedeutung
der Dinge an und die Bedeutung ist immer 'sozial'. Die Symbole wird das Kind zunächst nicht
symbolisch verstehen, sondern die Worte erscheinen ihm als Zeichen, die immer den gleichen
Objekten bzw. dem gleichen Verhalten zugeordnet werden. Von dem Zeitpunkt, von dem an
das Kind beginnt, die konventionelle Sprache zu verstehen, beginnt nach der Denkschule des
symbolischen Interaktionismus die Sozialisation, und das Kind ist sozialisiert, wenn es die Fä-
higkeit erworben hat, mit der Sprache zielgerichtet zu handeln - was immer eine Wechselbezie-
hung zwischen aufeinander ansprechenden Partnern ist. Das Kind lernt, wenn es sich mit einer
sprachlichen Äußerung an jemanden wendet, sich in die Position des Angesprochenen zu ver-
setzen (Perspektivenübernahme), um so die geeignete Äußerung, die die gewünschte Wirkung
erzielt, auszuwählen. In diesem Prozeß der Interaktion beginnt das Kind sein Lebensskript und
seine Persönlichkeit zu entwickeln.
Die Bezugspersonen des Kindes verhalten sich nach ihren Anstandsvorstellungen, was heißt,
sie übertragen Normen, die sie selbst einmal gelernt und verinnerlicht haben, auf das Kind.
1) Ullmann, a.a.O., S. 426f.

15
Diese Normen werden durch Verbote, Gebote, Befehle, Direktiven übertragen. Ein typisches
Symbol der ,,Babysprache" ist 'Nein - nein', es gehört zu vielen Handlungen. Jedesmal, wenn
das Kind etwas tut, was gewisse unangenehme Folgen nach
sich zieht, sagt
seine Bezugs-
person dies. Das Kind versteht weder den Ernst von Ver- oder Geboten noch hat es eine Ah-
nung von dem willkürlichen Charakter dieser Anweisungen. Es lernt das ,,Nein, nein!" in Ver-
bindung zu seinen Handlungen. Wenn also Wörter an das Kind gerichtet werden, erwirbt es
sukzessive sowohl die Wortbedeutung als auch die Normen und Werte der Gesellschaft. Wird
das Kind älter, fängt es an, mit sich selbst zu sprechen; dabei erwirbt es für sich selbst die glei-
chen Bedeutungen und Wertvorstellungen, die ihm seine Bezugspersonen bewußt oder unbe-
wußt beigebracht haben. Das Kind lernt, wer es ist, indem es die gleichen Ausdrücke benutzt,
um sich selbst zu beschreiben, die die anderen benutzen, wenn sie mit ihm sprechen. Es nennt
sich 'Du' oder bei seinem Namen, es sieht sich sowohl als Objekt als auch als Subjekt.
Es begreift, daß es 'Du' selbst ist und gleichzeitig auch, daß es 'Du' aus der Sicht der anderen
ist.
Durch die Schriften von G.H. Mead wurde der Begriff der 'Rolle' eingeführt, um die Prozesse
des kooperativen Verhaltens und der Kommunikation zu beschreiben.
"Kinder entdecken sich selbst und passen sich an ihre eigenen und an fremde Rollen im
Sozialisationprozeß an. Die Übernahme der Rolle des anderen ist ein wichtiger Aspekt
des Rollenverhaltens. Durch diesen Prozeß wird der monoperspektivische Ausblick des
Kindes (sein Egozentrismus) multiperspektivisch oder sozialisiert. Wenn sich die Fähig-
keit des Kindes entwickelt, zu kommunizieren und die Sichtweisen von anderen zu begrei-
fen, synthetisiert es sie zu einer Konzeption des generalisierten Anderen."
(1)
Nach G.H. Mead vollzieht sich die Persönlichkeitsentwicklung in drei Phasen:
1.
(Entwicklung des Selbstbewußtseins)
Das Kind beginnt mit zirka zwei Jahren die sprachlichen Symbole zur Beeinflussung
seines eigenen Verhaltens zu benutzen. Diese Phase ist also ein Produkt des Sprach-
erwerbs und Sprachgebrauchs sowie der damit verbundenen psychischen Kontakte.
In dieser Phase lernt das Kind durch den Gebrauch der Sprache, sich selbst als Sub-
jekt wie als Objekt zu betrachten.
1)
Lindesmith, A.R., Strauss, A.L., Teil 2, Düsseldorf 1975, S. 58.

16
2. (Spielphase)
Psychologisch gesehen lernt das Kind durch seine 'Spielaktivitäten' zwei Dinge:
a) die Rollen der Erwachsenen, die es um sich herum wahrnimmt,
b)
wer es ist, indem es jemand anderes 'ist'.
Das Spiel - das hier als 'Arbeit' mit den sprachlichen Möglichkeiten des Kindes zur Er-
fassung seiner Welt anzusehen ist - hat für das Kind auch die Funktion der Gefühls-
entwicklung, da es das Kind in die Lage versetzt, Gefühl auszuarbeiten.
3. (Wettbewerbsphase)
Während das Kind in der Spielphase nur eine Rolle kennen mußte und diese beliebig
variieren konnte, muß es in dieser Phase auch die Rollen der anderen Spieler kennen.
Das heißt, um seine Rolle spielen zu können, muß das Kind sein Verhalten an die Rol-
len seiner Mitspieler angleichen.
Die drei Phasen der Persönlichkeitsentwicklung sind prägend und bestimmen weitgehend das
spätere Sozialverhalten des Individuums. Diese Phasen sind aber zu unterscheiden von den
drei Seinszuständen der Transaktionsanalyse, denn sie sind keine Rollen, sondern psychische
Realität. Durch den individuellen Verlauf der drei Phasen der Persönlichkeitsentwicklung wird
aber bestimmt, in welcher Form und Stärke sich das Eltern-, Kindheits- und Erwachsenen-Ich
beim Individuum ausprägen. Das heißt welches Ich-Bewußtsein (selbstsicher oder an sich und
seinen Fähigkeiten zweifelnd, ob kooperativ oder eigensinnig etc.), eben mit welcher Persön-
lichkeit der später erwachsene Mensch in die soziale Welt hinausgeht und darin handelt.
1.1.4 Rollen im Kommunikationsprozeß
S
oziale Rollen sind immer Kommunikationsrollen, das heißt im Bereich der mündlichen Kom-
munikation sind dies Sprechrollen. Jeder Mensch wird in den verschiedenen Bereichen seines
Wirkungskreises verschiedene Sprechrollen übernehmen. Dies macht sich dadurch bemerkbar,
daß sich in einer bestimmten Rolle des Individuums nicht nur seine Sprache ändert
(z.B. es einen bestimmten Dialekt bzw. Soziolekt spricht), sondern auch
sein Sprachstil ändert

17
sich, es je nach eingenommener Rolle in einer bestimmten Lautstärke und Intonation spricht.
Ein Verkäufer wird z.B. während einer Verkaufsverhandlung anders sprechen als zu Hause mit
seiner Familie. Wird der Verkäufer von einem Kunden in seiner Rolle als Verkäufer angegriffen,
so weiß er aber zugleich, daß diese Rolle nur ein Teilbereich seines ,,Ichs" ist, das heißt,
nicht er als Person wird angegriffen, sondern seine
eingenommene Rolle als Verkäufer. Der
Sprecher muß die Erwartungen, die an ihn von den verschiedensten Kommunikationspartnern
gestellt werden, kennen. Jede Rolle verlangt, daß der Sprecher sich sowohl sprachlich als
auch sprecherisch auf die jeweilige Rolle und den Rollenpartner einstellt, einstellen muß. Es
geht hier nicht darum, daß man sich blindlings den jeweiligen Rollenerwartungen anpaßt, son-
dern darum, Voraussetzungen für das Gelingen von sprachlichen Handlungen zu schaffen.
Jeder Mensch hat die Fähigkeit zum Rollenwechsel (Rollenflexibilität). Der Sprecher muß sein
Rollenhandeln nicht ausschließlich nach gesellschaftlichen Normenvorstellungen bestimmen,
sondern er kann in einem angemessenen, nicht gegen die Ethik verstoßenden Rahmen auch
nach seinen eigenen Vorstellungen sprachlich handeln (Rollendistanz). Von einer Rollenüber-
nahme sprechen wir, wenn in der Vorstellung die Position bzw. der Standpunkt einer anderen
Person angenommen wird. Die Übernahme der Rolle des anderen ist in allen Kommunikati-
onsprozessen auf dem symbolischen Niveau enthalten, die Fähigkeit dazu wird, wie im vorheri-
gen Abschnitt erläutert wurde, im Spracherwerbsprozeß erworben. Also, wenn wir mit jeman-
dem sprechen, so versuchen wir uns in die Gesprächsperson einzufühlen, das heißt wir verset-
zen uns in seine Lage, um überprüfen zu können, wie das sprachliche und nonverbale Verhal-
ten, das wir anwenden möchten, sich auf die Psyche des anderen und letztendlich auf sein
Verhalten auswirken werden. Dies ist die letzte Möglichkeit, das Gedachte, bevor es verbali-
siert ist, zu revidieren. Wie wir in diesem und im zweiten Teil dieses Buches genauer sehen
werden, funktioniert dieses 'Einfühlen' nur, wenn die Emotionen unter der Kontrolle des 'Er-
wachsenen-Ichs" bleiben. Diese Überprüfung geschieht im alltäglichen Kommunikationsprozeß
automatisch und wird von uns nicht oder kaum wahrgenommen. Dagegen wird uns dieses Ver-
halten bei schwierigen Verhandlungen sehr wohl bewußt, es strengt uns an.

18
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Mensch in seinem Leben verschiedene
Rollen einnimmt. Für jede Rolle gelten unterschiedliche Normen. Nehmen wir das Beispiel
eines Lehrers, der neben seiner beruflichen Tätigkeit auch Familienvater, Ehemann und Mit-
glied eines Vereins ist. In der Schule nimmt er die Rollen als Klassenlehrer, Kollege usw. ein,
im privaten Bereich die Rollen als Ehemann, Vater,
Vereinsmitglied. In jeder Rolle wird er
sich
unabhängig von seiner Persönlichkeitsstruktur anders verhalten bzw. wird er anders
sprachlich
handeln. Denn der Mensch ist, was er selbst ist, immer nur im Verhältnis zu mindestens einem
anderen, so daß sich sein Handeln immer an den Erwartungen seiner Partner orientieren wird.
1.2 Pragmatische Aspekte des sprachlichen Handelns
1.2.1 Grundlagen
M
enschliche Kommunikation vollzieht sich nicht in einzelnen Worten oder Sätzen, sondern
die Grundelemente der verbalen Kommunikation sind nach AUSTIN bestimmte Sprechhandlun-
gen, die durch ihre Äußerung vollzogen werden. Sprachliche Äußerungen machen zum einen
die Erkenntnisse der individuellen Bewußtseinsprozesse als Informationen über Sachverhalte
der Wirklichkeit auch für andere Individuen verfügbar, zum anderen machen sprachliche Äuße-
rungen, indem sie das Handeln der Individuen koordinieren, soziale Beziehungen überhaupt
erst möglich.
Sieht man von jenen sprachlichen Äußerungen ab, die Signalcharakter haben und nur die Auf-
merksamkeit des Angesprochenen wecken sollen, so legen die kommunikativpragmatischen
Kategorien Aussage (Behauptung), Aufforderung und Frage jeweils spezifische Verhaltensbe-
schreibungen fest. Im Prinzip gehören alle Äußerungen zu einer der drei genannten Katego-
rien.
-
Liegt eine Aussage vor, so will der Sprecher, daß der Hörer den dargestellten Sach-
verhalt glaubt. Dem Rezipienten dienen Aussagen als eine Grundlage für die Ablei-
tung weiteren Wissens, für die Entwicklung von Einstellungen, Bewertungen und Hand-
lungsplänen. In der Regel zielen Aussagen somit auf die Beeinflussung des Hörerver-
haltens.
Inwieweit sich der Hörer auf das ihm durch die Aussage des Sprechers Vermittelte ver-
läßt, hängt von mehreren Faktoren ab, z.B. von seinem Kenntnisstand über das ihm
Mitgeteilte, von seiner sozialen Stellung, die er dem Sprecher gegenüber einnimmt.

19
-
Eine Aufforderung ist jede sprachliche Handlung, die einen Sachverhalt einen
Plan oder als allgemeine Maxime abbildet. Mit einer Aufforderung will der Sprecher
das Verhalten der Angesprochenen lenken. Inwieweit ihm das gelingt, hängt von der
Art, in der die Aufforderung geäußert wird, von der Situation und von der sozialen Stel-
lung des Sprechers gegenüber dem Hörer ab.
-
Durch eine Frage will der Sprecher vom Hörer Auskunft über Sachverhalte oder ob
dieser seine Sachverhaltsdarstellung bestätigt, widerlegt oder
ergänzt.
Anders liegt der Sachverhalt bei den sogenannten rhetorischen Fragen. Sie sind keine
echten Fragen, sondern der Sprecher setzt hier die Zustimmung des Hörers voraus,
bzw. beantwortet selbst die Frage. Er setzt damit die Anerkennung seiner Behauptung
durch den Hörer voraus oder will die Aufmerksamkeit der Hörer auf sich ziehen. Eben-
falls keine Fragen, sondern Aufforderungen in Form von Fragesätzen sind die nicht-
interrogativen Sprechhandlungen, z.B. ,,Werden Sie wohl tun?(!).
Daß eine sprachliche Äußerung auch zu Mißverständnissen zwischen Sprecher und Hörer füh-
ren kann, liegt allein schon an der Tatsache, daß jeder Satz zur Ausführung einer Anzahl von
sprachlichen Handlungen geeignet ist. Welche Handlung gemeint ist, wird aus dem Kontext, in
dem die Äußerung verwandt wird, ersichtlich. Mißverständnisse entstehen zwangsläufig, wenn
sich Sprecher und Hörer auf verschiedene Kontexte beziehen. Soll eine Äußerung vom Hörer
im Sinne des Sprechers verstanden werden, so muß es dem Hörer möglich sein, aus der Äuße-
rung und dem Kontext die kommunikative Intention des Sprechers zu erschließen. Welche In-
tention der Sprecher verfolgt, geht auch, wie im zweiten Kapitel noch näher zu erläutern ist,
daraus hervor, mit welchem seiner drei 'Ich-Zustände' er sprachlich handelt und welchen 'Ich-
Zustand' er beim Hörer direkt und welchen er indirekt anspricht (vgl. 'Der Sonderverkauf endet
heute abend.' Intention: 'Beeilung, wenn Sie nicht leer ausgehen wollen.').
1.2.2 Sprechakttheorie und Sprachproduktion
I
n diesem Abschnitt wird dargestellt, 'was wir tun, wenn wir sprechen' und was einer Äußerung
im Bewußtsein zugrunde liegt. Die Sprechakttheorie und die Sprachproduktion wird hier an
dem Beispiel eines Verkaufsgespräches erläutert.
AUSTIN und SEARLE entwickelten eine systematische Darstellung dessen, was wir tun, wenn
wir sprechen. Jeder Sprechakt setzt sich aus mehreren simultan vollzogenen Teilakten zu-
sammen.
(vgl. dazu Schautafel auf der nächsten Seite)

20
Struktur von Sprechakten
Austin (1962)
Searle (1969)
Phonetischer Akt
(Äußerung von Sprechlauten)
Phatischer Akt
Lokution (Äußerungsakt),
(Äußerung von Worten in be-
das Äußern von Wörtern
stimmter grammatischer
durch Hervorbringen von
Struktur)
Lauten
Rhetischer Akt
Propositionater Akt
(etwas Über etwas aussagen)
Referenz (Be-
Prädikation
zugnahme
auf (Aussage
über
'Welt')
'Welt')
Illokutiver Akt
lllokutiver Akt
(Angabe der performativen
Verwendung der Proposition)
Pertokutiver Akt
Pertokutiver Akt
(Intendierte Wirkung des
Sprechakts auf den bzw. die Hörer)
"Die Klassifikation nach lokutionären, illokutionären und perlokutionären Akten folgt (... ) dem Substanz/ Akzidenzschema und trennt
zunächst den propositionalen Inhalt (Lokution) von dessen Verwendung, die sich nach Intention des Sprechers (Illokution) und
Wirkung auf den Hörer (Perlokution) reflektiert; (...)."L. Paul, Berlin 1982, S. 463
Wie aus der Aufstellung zu ersehen ist, vermittelt der rhetische Akt die Referenz und den prä-
dikativen Gehalt, die propositionale Bedeutung. Die vom Sprecher intendierte kommunikative
Funktion der Äußerung (etwa Frage, Versprechen, Befehl) wird mit dem illokutiven Akt zum
Ausdruck gebracht. Die faktischen Konsequenzen der Äußerung für den Kommunikationspro-
zeß werden schließlich durch die Wirkung der sprachlichen Handlung auf den Hörer, also im
perlokutiven Akt erreicht. Der propositionale Gehalt einer Äußerung ist prinzipiell abhängig
von der Situationsdefinition des Sprechers und der Situationsinterpretation des Hörers.

21
Wir beschränken uns hier auf den illokutiven und den perlokutiven Akt, denn einen lokutionä-
ren Akt vollziehen heißt im allgemeinen auch eo ipso einen illokutionären Akt vollziehen. Wer
einen lokutionären und damit einen illokutionären Akt vollzieht, kann in einem dritten Sinn
auch noch eine weitere Handlung vollziehen, den perlokutiven
Akt.
Wir beziehen uns hier auf
jene Handlungen im Sprechakt, die auf die Intention, die der Sprecher mit seiner Äußerung
verfolgt und auf die Wirkung, die seine Äußerung beim Hörer hervorruft, Bezug nimmt. Wir
werden also sprachliche Äußerungen, die in ihrem Gebrauch auf Redesituationen hin angelegt
und unabhängig von ihrem finalen Kontext unverständlich sind, auf ihre kommunikativen Inten-
tionen, die festlegen, wie die jeweiligen Propositionen aufzufassen sind, untersuchen. Wie be-
reits festgelegt wurde, wird eine sprachliche Handlung nur dann vollzogen, wenn dem Hörer
mit der Äußerung eine Handlungs- und Verhaltensanweisung mitgeteilt wird, also bei dem Hö-
rer durch den Vollzug des illokutiven Aktes eine Wirkung (Perlokution) ausgelöst wird.
Der Sprecher kann mit einer geäußerten Proposition je nach Sprechsituation verschiedene
illokutive Akte verbinden. Damit der Hörer die semantische Informationsmenge versteht und
die gewünschte Handlung zustande kommt, ist der Kontext bzw. der Handlungsrahmen not-
wendig.
Mit der Äußerung: 'Der hat doch kein Geld' bekommt der Hörer nur dann eine Anweisung zur
Verwendung dieser Proposition, wenn er weiß, wer sie zu wem in welcher Situation äußert.
Das heißt diese Äußerung kann je nach situationsspezifischen Umstand eine Warnung, eine
Behauptung, eine Beleidigung zum Ausdruck bringen.
Wir wollen den hier dargestellten Sachverhalt anhand zweier Verkaufsgespräche demonstrie-
ren.
I. Verkaufsgespräch
Kunde:
"Guten Tag, ich möchte mir eine preiswerte Uhr kaufen."
(Der Sprecher wünscht vom Verkäufer, daß er ihm einige preiswerte Uhren zeigt -
der Verkäufer soll diesen Satz als eine Bitte bzw. Aufforderung verstehen.)
Verk.:
"Guten Tag, was verstehen Sie unter einer preiswerten Uhr?"
(Der Hörer setzt der Aufforderung eine Frage entgegen, das heißt der Verkäufer
will vom Kunden eine Spezifikation der Referenz - welche Uhr bzw. Uhren er
meint.)
Kunde:
"Sie soll qualitativ hochwertig sein und nicht mehr kosten als 200 DM."
(
Geben der Referenz durch die Prädikation 'soll qualitativ hochwertig sein
und
nicht mehr kosten als 200 DM.' Dieser illokutive Akt soll den Hörer auffordern, ihm
solche Uhren zu zeigen.)

22
Verk.:
"Da ist die Auswahl nicht sehr groß - nun ja, ich habe hier nur ein Modell für etwa
200 DM, ein schweizer Fabrikat."
(Dieser illokutive Akt soll dem Kunden mitteilen, daß er in dieser Preisklasse keine
Auswahl hat, ihn direkt auffordern, sich für ein höherwertiges Modell zu
entschei-
den.)
Kunde:
"Würden Sie mir die Uhr einmal zeigen?"
(Der illokutive Akt ist hier eine Aufforderung, die Perlokution, ihm diese Uhr zu zei-
gen.)
Verk.:
"Natürlich, bitte."
(Die Anweisung zur Verwendung der Proposition wurde vom Hörer im Sinne des
Sprechers verstanden.)
Kunde: "Ja,
eine sehr schöne Uhr. Genau das, was ich mir vorgestellt habe."
(indirekte Aufforderung, seine Ansicht doch zu bestätigen.)
Verk.: "Ja,
eine sehr schöne Uhr für das Geld, (Der Verkäufer holt eine Schublade mit No-
beluhren hervor) und wenn Sie irgendwann einmal genügend Geld haben, kaufen
Sie sich bei mir eine solch hochwertige Uhr."
Illokution:
relativierte Bestätigung, appellieren, sich später eine solch hoch-
wertige Uhr bei ihm zu kaufen,
Perlokution:
dem Kunden das Gefühl geben, was für eine relativ
billige Uhr er sich da ausgesucht hat.
Kunde., "Soviel wollte ich nicht für eine Uhr ausgeben auch später nicht."
Illokution:
den Verkäufer informieren; Perlokution:
dem Verkäufer be-
wußt machen, daß er sich unabhängig vom zur Verfügung stehen-
den Geld eine solche Uhr nicht kaufen wird.)
Verk.:
"Da hat man sein ganzen Leben etwas davon, und sie ist ein Schmuckstück am
Handgelenk eines Mannes."
(Verkäufer geht auf die Illokution des Kunden nicht ein, in der Transaktionsanalyse
(vgl. Kapitel II) wird eine solche Reaktion als eine Überkreuztransaktion bezeich-
net.)
Kunde: "Ja,
ich überlege mir den Kauf noch einmal, aufwiedersehen."
(Illokution:
eine Absicht erklären;
Perlokution:
Abbruch des Verkaufsgesprächs)

23
Der Kunde beschließt daraufhin, sich die gewünschte Uhr nicht bei diesem Juwelier zu kaufen.
Durch die Äußerung des Verkäufers, der vielleicht nur sagen wollte: "Sehen
Sie, welch schöne Uhren ich noch habe." wurde der Kunde verstimmt, weil er die letzten bei-
den Äußerungen etwa wie folgt verstand: "sie haben kein Geld, also müssen Sie sich mit einer
Uhr begnügen, die zum unteren Niveau meines Sortiments gehört." Durch diese Interpretati-
onsmöglichkeit der Aussage wurde dem Kunden das "gute Gefühl", sich für die richtige Uhr ent-
schieden zu haben, nicht gegeben. Die kommunikative Intention des Verkäufers ist mißglückt,
denn die Wirkung bzw. Perlokution, die durch die Sprechhandlung bzw. Illokution beim Kun-
den ausgelöst wurde, keine Uhr bei ihm zu kaufen, war bestimmt nicht die vom Juwelier er-
wünschte.
Beim zweiten Verkaufsgespräch hebt der Verkäufer die Vorzüge der vom Kunden ge-
wünschten Uhr hervor, wertet sie gegenüber teureren Modellen auf, so daß schließlich die
Perlokution, der Verkauf und das Geben des 'guten Gefühls' im Sinne der Handlung, die im
Sprechen vollzogen wird, glückt.
II. Verkaufsgespräch
Kunde:
"Guten Tag, ich möchte mir die Uhr der Marke T.. Modell S... einmal ansehen."
Verk.:
"Da haben Sie eine gute Wahl getroffen, wenn Sie diese Uhr kaufen. Sie ist ein
schweizer Markenfabrikat - und schweizer Uhren haben, wie sie sicher wissen,
Weltruf."
Kunde:
"Sie meinen da sicher die schweizer Markenuhr R..."
Verk.:
"Keineswegs, es ist keine Qualitäts-, sondern eine Geld- und Geschmacksfrage,
sich für eine solche Uhr zu entscheiden, mir persönlich sagen die schlichten und
zweckmäßigen Uhren mehr zu."
Kunde: "Mir
auch, ich nehme sie
."
Die Kodierung von Denkinhalten bezeichnet die Psychologie mit Sprachproduktion. Damit
wird nicht die Sprache bzw. das Sprachsystem angesprochen, sondern die Sprachverwen-
dung, d.h. die Bezeichnung für konkrete Sprechereignisse, die auf der Basis des zugrundelie-
genden Zeichensystems gebildet werden.

24
,,Sprachproduktion - wir beziehen uns hier auf die lautsprachliche, mündliche Sprachpro-
duktion - ist (u.a.) ein mehrstufiges und unter mehreren Gesichtspunkten erfolgendes
sprachliches Verschlüsseln verbales Enkodieren) von Gedachtem, Gewußtem, Vermute-
tem, Wahrgenommenem, Geahntem, Gewolltem usf. also die Verschlüsselung von Nicht-
sprachlichem (...). Der Sprecher verfolgt in einer bestimmten Situation eine Absicht, ein
Ziel. Er ist ein Akteur. Er unterstellt, daß die Erreichung dieses Ziels die Erzeugung einer
sprachlichen Äußerung erfordert, die sich an Kommunikationspartner richtet. (...) Der
Sprecher muß dann zum Zwecke der Zielerreichung beispielsweise etwas erfragen, et-
was mitteilen, etwas erzählen, jemanden auffordern, jemanden beschimpfen usf. Damit
der Sprecher sein Ziel erreichen kann, muß etwas, was der Sprecher sprachlich ver-
schlüsselt, so verstanden werden, daß der Sprecher sein Ziel erreicht (...) ."
(1)
In der Sprechakttheorie der Sprachphilosophie wird, wie gezeigt wurde, die Bedeutung der
Proposition durch den illokutiven Akt festgelegt. Die Sprachpsychologie spricht ebenfalls von
Proposition bzw. propositionaler Basis, bezeichnet damit aber die nichtsprachliche, kognitive,
mentale Basis, das Gemeinte, von dem nur ein Teil verbalisiert wird. Von dieser propositiona-
len Basis (PB) leitet der Sprecher seine Äußerung her. Von der Psychologie der Sprachproduk-
tion wird nun versucht, von der Äußerung auf die PB zu schließen. Der Repräsentant der PB
wird semantischer Input (SI) genannt, d.h. der Sprecher wählt zur Repräsentation von PB genau
SI, weil er unterstellt, daß SI informativ und instrumentell ist.
(2)
Welchen SI zur Repräsentation von PB der Sprecher wählt und verbalisiert, hängt von seinem
Handlungsziel, das er beim Hörer erreichen will, ab. So war, um auf das erste Verkaufsge-
spräch zurückzukommen, die Äußerung des Verkäufers
"Ja, eine sehr schöne Uhr für das Geld, und wenn Sie irgendwann einmal genügend
Geld haben, kaufen Sie sich bei mir eine solch hochwertige Uhr."
für den Kunden durchaus informativ, doch hat sie ihn verstimmt, das heißt der Verkäufer hat
seinen semantischen Input (SI) in bezug auf sein Handlungsziel falsch gewählt und verbalisiert.
Wie noch zu zeigen ist, hätte der Verkäufer, von seiner propositionalen Basis (PB) ausgehend,
auch einen SI wählen können, der sowohl instrumentell, das heißt hier zweckmäßig ist im Hin-
blick auf die Zielerreichung als auch informativ ist.
Zum Beispiel hätte der Verkäufer hier sagen können:
"Ja, eine sehr schöne Uhr und zu alledem erstaunlich preiswert."
(1)
Herrmann, Theo, Berlin 1982, S.24.
(2)
Vgl. Herrmann, Theo, a.a.O., S. 28.

25
Wie der Hörer eine Äußerung interpretiert, bzw. auf die propositionale Basis (PB) des Sprechers
schließt, versucht die Sprachpsychologie wie folgt zu erklären:
"Man muß im einzelnen sagen können, welchen semantischen Input und welche propositionale
Basis man bei diesem Sprecher interpretativ unterstellt. Um dies sagen zu können, benötigt man
eine 'Sprache' (Darstellungsweise) in der solche Sachverhalte beschreibbar sind. Es liegt nahe,
für diesen Zweck eine sog. propositionale Darstellungsweise (Prädikat-Argument-Darstellung,
propositionale Schreibweise) zu verwenden."
(1)
Erklärung:
Argumente sind hier Subjekte, von denen Handlungen ausgehen oder Objekte, auf die sich
Handlungen beziehen. (AGENT-Arguments oder PATIENT-Arguments); Prädikate sind Zustän-
de, Prozesse, Handlungen, die bestimmten Argumenten zugeschrieben werden. Die Argumen-
te stehen in Klammern bzw. Listen.
PB-Ausschnitt des ersten Verkaufsgespräches
SEHR SCHÖN, BILLIG (UHR)
UND
ARM (KUNDE)
UND
WAS WOLLEN (SIE BEI MIR)
UND
VERKAUFEN (ICH) NUR HOCHWERTIG (UHR)
Diese Schreibweise der propositionalen Basis stammt aus der Erforschung der künstlichen In-
telligenz, deren Computerprogramme über Modelle des menschlichen Wissens, des Wissens-
erwerbs und der Nutzung des Wissens sich die Sprachpsychologie zunutze gemacht hat.
"Darüber, wie die PB (Propositionale Basis) dem Handlungssubjekt 'gegeben' ist oder in welchem
Kode (Repräsentationsform o.dgl.) die PB in den Köpfen von Sprechern ,,abgespeichert" ist, machen
wir keine Aussagen. Wie betont, beschreiben wir die - wie auch immer 'subjektiv repräsentierte' -
propositionale Basis PB lediglich in einer metasprachlichen Darstellungsweise, was selbstverständ-
lich nicht bedeutet, daß PB tatsächlich in einem bestimmten Speicher in Form eines bestimmten
propositionalen Kodes existiert (... ). Die beobachtbare Äußerung eines Sprechers kann und muß so
gedeutet werden, (... ) daß der Partner in der Regel seinerseits nicht nur den semantischen Input
dieser Äußerung dekodiert, sondern daß er aufgrund des Gesagten in Annäherung zu rekonstruie-
ren vermag, was der Sprecher - über das in der Äußerung Enkodierte hinaus - meint, weiß, glaubt,
will, wahrnimmt usf.
(2)
(1)
Herrmann, Theo, a.a.0. S.29
(2) Theo Herrmann a.a.O. S.35

26
Mit dem Ich seiner Eltern, dem sog. ,,Eltern-Ich" gibt ein
Vorgesetzter seiner Mitarbeiterin "freundschaftliche"
Anweisungen.
Ersichtlich wird dies durch die Gestik, Mimik, Körperhal-
tung. Hier wird die Mitarbeiterin durch die körperliche
Berührung, hier das Legen der Hand auf ihre Schulter,
,,fürsorglich" eingenommen. Er spricht zu der Kollegin,
wie Eltern zu ihren Kindern sprechen, wenn diese Prob-
leme haben - eben mit dem fürsorglichen Eltern-Ich.
Dieser Ich-Zustand ist bestimmend, d.h. hier wird kein
Widerspruch, von seiten des ,,freundschaftlich Belehr-
ten, geduldet! Die Reaktion auf einen Widerspruch,
würde augenblicklich aus dem strafenden Eltern-Ich
kommen, wie : ,,Ich wollte Ihnen doch nur helfen! Bitte
dann eben nicht, machen Sie doch Ihre Sache allein -
und bitte, fragen Sie mich in Zukunft gefälligst nicht
mehr, wenn Sie irgendwelchen Ärger mit dem Computer
haben!"
Der Sprecher aktiviert in der propositionalen Basis (PB) je nach vorliegendem Situationskontext
und nach seinem Handlungsziel Teile seiner im Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen bzw.
seines Wissens über die Welt. Dieses aktivierte und deklarative Wissen (Wissen über Bedin-
gungs- und Handlungszusammenhänge) wird verknüpft mit seinem prozeduralen Wissen (Wis-
sen, wie man etwas mitteilt, um sein Handlungsziel zu erreichen). Dieses alles in der PB ge-
speicherte wird im Semantischen Input (SI) durch eine einzige Proposition je Gedankeneinheit
transformiert. Dieser semantische Input kann stets in mehr als eine einzige Äußerung umge-
setzt werden, zudem können, je nach Handlungsziel, nur Teilbegriffe der gesamten PB in dem
SI repräsentiert werden, das heißt der Sprecher muß eine SI wählen, die sowohl informativ als
auch anwendbar bzw. instrumentell ist. Die Sprachpsychologie nennt dieses Selektieren von
propositionalen Komponenten das ,,Pars-pro-toto-Prinzip". Nehmen wir einmal an, der Verkäu-
fer aus dem ersten Verkaufsgespräch hätte die gesamte PB als SI verbalisiert, so hätte das
Ergebnis der Verbalisierung etwa so ausgesehen:
"Eine Uhr wollen Sie kaufen? Natürlich, mein billigstes Modell - sieht man ja gleich, daß
Sie kein Geld haben. Was vollen Sie eigentlich? - mir die gutsituierten Kunden vertreiben
- werden Sie erst einmal 'jemand" dann ... "
Wäre diese Äußerung gefallen, hätte der Kunde das Geschäft, je nach seinem Selbstverständis
mit lautem, leisem oder ohne Kommentar sofort verlassen. Aber auch der

27
Verkäufer im ersten Verkaufsgespräch hielt sich an kommunikative Normen. Das folgende Zitat
zeigt, warum diese Normen vom Sprecher eingehalten werden und was der Verkäufer im ersten
Beispiel nicht bzw. nicht hinreichend berücksichtigt hat.
.
"Es zeigt sich, daß die nach dem Pars-pro-toto-Prinzip ausgewählten und als semantische
Inputs der Sprachproduktion verwendeten Komponenten der PB nicht irgendwelche Aus-
gangspunkte für die Rekonstruktion der PB durch den Partner sind. Sie sind auch
zugleich Zentrierungskerne, um die herum der Partner das jeweilige Rekonstrukt von PB
strukturiert. (... ) Daß eine Gesamtverbalisation darüber hinaus in großem Maße unöko-
nomisch wäre, läßt sich leicht einsehen. Sie widerspricht zudem einer elementaren kom-
munikativen Norm (... ): Man soll nur das sagen, was in der betreffenden Situation erfor-
derlich ist. Und es ist nicht erforderlich, alles zu sagen, was man meint. Sprecher haben
gelernt, daß Partner eben zur gedanklichen Rekonstruktion fähig sind.
(1)
Entscheidende Fragen, bei je-
der Verhandlung:
Weiß ich, wie mein Gesprächs-
partner wirklich zu mir steht ?
Weiß ich, was er mir wirklich zu
sagen wünscht ?
Weiß ich, wie ich seine Bot-
schaft aufzunehmen habe
?
1) Herrmann, Theo, a.a.O., S. 43f.

28
1.3 Interaktion
"Ohne soziale Interaktion
ist das Leben des Menschen
einsam, armselig, tierisch und kurz."
Thomas Hobbes
1.3.1 Grundlagen
K
ommunikation findet zwischen zwei Individuen statt, die sich etwas mitzuteilen haben.
Kommunikation und Sprache bedingen einander. Sprache, das Organ (Werkzeug) der Kom-
munikation, entwickelte sich nicht um seiner selbst willen, sondern aus dem Bedürfnis der
Menschen, sich etwas mitzuteilen. Das Bedürfnis der Menschen ist, Eindrücke, Nachrichten,
Bedeutungen auszutauschen, um so an einer gruppenmäßigen, sozialen Existenz teilnehmen
zu können. WYGOTSKY schreibt, die
,,... Kommunikation, die auf rationaler Erkenntnis und der bewußten Wiedergabe eines
Gedanken oder von Erlebnissen beruht, erfordert immer ein System von Mitteln, dessen
Prototyp die menschliche Sprache ist, die aus dem Bedürfnis entstand, sich im Ar-
beitsprozeß zu verständigen."
(1)
Im Prozeß der Interaktion liegt auf seiten des Sprechers die Absicht vor, das Verhalten des
Kommunikationspartners ganz oder teilweise mit dem eigenen in Übereinstimmung zu bringen
bzw. es in einer bestimmten Weise zu lenken; der Hörer ist bemüht, den Sprecher zu verstehen,
um geeignete Reaktionen vorbereiten und gegebenenfalls auf ihn einwirken zu können. Das im
wechselseitigen Austausch liegende Wesen der Kommunikation bzw. Interaktion darf nicht au-
ßer acht bleiben. Das Problem ist daher, wie kommuniziert man, wie geht man auf seinen Ge-
sprächspartner ein usf. ohne den Kommunikationsprozeß zu stören, wie stellt man Kommunika-
tionskontakt her?
Die Kommunikationssituation wird von den sog. ,,W-Faktoren" (wer, mit wem; über was; wo;
wie, auf welche Weise (direkt oder medial) bestimmt. In einigen Punkten kann die Situation von
dem Gesprächsteilnehmer selbst bestimmt werden" indem er sich, je nach bestehender
Sprechsituation, auf verschiedene Art und Weise in die Kommunikation einbringt. Nehmen wir
einmal
(1) Langenmayr, Margret, München 1979, S. 61f.
1) Wygotsky, L.S., Stuttgart 1969, S. 12.

29
an, eine Konferenz ist um 10 Uhr in einem bestimmten Raum angesagt, das ist dann die Hand-
lungslage, die vom Gesprächsteilnehmer nicht veränderbar ist. Veränderbar ist aber der Teil der
Situation, der vom Teilnehmer mit konstituiert wird, eben seine Sprechhandlung. Der Ge-
sprächsteilnehmer wird sich folgende Fragen stellen:
"Wieweit will ich mich auf meine Gesprächspartner einlassen?"
"Wieweit will ich meinem Gesprächspartner vertrauen?"
"Was will ich von meinen Gefühlen äußern?"
Das, was in einer Sprechhandlung geschieht, ist funktionell abhängig von der Situation und die-
se ist wiederum davon abhängig, wie sie von den Teilnehmern konstituiert wird.
(1)
In welcher Weise der Sprecher auf das ,,Persönlichkeitsprofil" seines Partners ein-
geht bzw. eingehen muß, um die Kommunikation nicht zu gefährden und das Gespräch
zu einem akzeptablen Ergebnis zu führen, ist Thema des zweiten Kapitels.
1.3.2 Verbale und nonverbale Kommunikation
W
orte wirken nicht allein durch ihre Bedeutung, sondern auch durch ihre Klangfarbe - weiter-
hin wird die Bedeutung durch das nonverbale Verhalten konstituiert. Die Sprache ist im Spre-
chen verwoben mit dem 'Ton', in dem die Worte gesprochen werden, mit dem Mienenspiel und
der Gebärde.

30
,,Kommunikatives Handeln wird aber nicht nur durch die Äußerung von Sätzen realisiert, auch
durch Gesten, Körpersprache, Betonungen wer-
den kommunikative Informationen weitergegeben.
So ist zum Beispiel die Lautstärke der Äußerung
ein Hinweis auf bestimmte Zustände der Spre-
cherpersönlichkeit. Zu denken ist an die Absen-
kung der Lautstärke in Zuständen der Angst.
Auch wissen wir, wie sich jemand anhört, der 'ge-
reizt' oder 'aggressiv' ist.
( ) Verbales wie nonverbales Handeln spiegeln
Einstellungen, Strategien und Erwartungen ge-
genüber der Umwelt und insbesondere den
Kommunikationspartner wieder. ( Der Distanzfak-
tor macht sich beispielsweise in der Kommunika-
tion mit Freunden oder Fremden bemerkbar. So
scheinen Freunde bei der Kommunikation enger
zu stehen als Fremde. Auch haben Veränderun-
gen im Distanzverhältnis zwischen Kommunikati-
onspartnern eine signifikante Bedeutung. Nähern
sich die Partner stärker an, so kann das bedeu-
ten, daß sich das Vertrauen zwischen ihnen er-
höht hat. Möglicherweise spielen bei der
Entwicklung solcher nonverbaler Handlungsas-
pekte aber auch kulturspezifische Gesichtspunkte
eine Rolle. ( ) So spielt auch die Stellung von Ar-
men und Beinen eine Rolle bei der Interaktion.
So berichten sie (Argyle und Kendon) aus einer Untersuchung von Goffman, der festgestellt hat,
daß sich die Mitarbeiter in einem psychiatrischen Krankenhaus je nach Status unterschiedlich
verhalten. Während die Oberärzte sich ganz gelöst hinsetzen, sitzen die jüngeren Ärzte sehr
steif und wenig gelöst am Tisch."
(1)
Wie sich Menschen in bestimmten Situationen in der Interaktion verhalten, ist abhängig von
ihrer Ausdrucksfähigkeit, ihrer erfahrenen Sozialisation, von ihren verinnerlichten Normen, vom
Status, den sie in der Gruppe einnehmen, wie sie konkrete Gesprächssituationen einschätzen
und welche kommunikative Absicht sie verfolgen. Theoretisch ist eine schier unendliche
Anzahl von Kombinationen aus der Vielzahl der sprachlichen, der sprecherischen und körperli-
chen Zeichen möglich. Jedoch beherrscht ein Individuum angesichts dieser Vielzahl von
Kombinationationsmöglichkeiten nur ein kleines Repertoire und dies ist je nach erfahrener Sozia-
lisation, Bildungsstand und Kommunikationserfahrung zwar sehr unterschiedlich ausgeprägt,
doch wird ein Individuum immer, wenn es verstanden werden will, sozial bzw. intersubjektiv
1) Hartig, M., Binnick, R.I., München 1978, S. 121f.

31
handeln, das heißt die Klangfarbe wird nicht freundlich sein, wenn gleichzeitig sein artikulatori-
scher Intensitätsgrad, seine Mimik und Gestik Ärger und Wut signalisieren. Zu unterscheiden
von den unwillkürlichen kommunikativen Vorgängen wie u.a. das Erröten und Zusammenzu-
cken, welche etwas über den Gemütszustand des Menschen aussagen, sind die kommunikati-
ven, nonverbalen Formen zwischen denen der Mensch wählen kann, um neben dem eigentli-
chen Inhalt der Kommunikation zugleich Ernst oder Heiterkeit, Interesse oder Langeweile, Re-
spekt oder Verachtung, menschliche Nähe oder kühle Distanz usw. auszudrücken. Der Mensch
lernt die kommunikativen Formen im Spracherwerbsprozeß und wendet sie in konkreten Situa-
tionen mit Vertrautheit an und ebenso kann er sie bei seinem Gesprächspartner interpretieren.
,,Die in einer Kommunikation ausgetauschten Infor-
mationen lassen sich keineswegs nur auf die
refrentiellen Inhalte reduzieren. Für das alltägliche
Sprachverhalten ist die Verbindung von verschie-
denen Informationsebenen charakteristisch. Verba-
le und nonverbale Informationen sind in enger
Beziehung aufeinander zu verstehen.
Das folgende Gespräch zwischen einem Mann A
und seiner Frau B läßt sich wesentlich besser ver-
stehen, wenn wir die in Klammern notierten Anga-
ben hinzunehmen:
A (schreit mit rotem Kopf): 'Kannst du nicht endlich mal deine verfluchte Nörgelei lassen.
Ich kann heute abend nicht mit dir ins Kino gehen, wir haben eine wichtige Besprechung in
der Firma'.

32
B
(aufgebracht): 'Denkst du denn, ich warte
immer nur darauf, daß du aus deiner blö-
den Firma kommst? Mir reicht´s jetzt,
wenn du heute nicht kannst, dann gehe
ich eben allein ins Kino!'
A
(aggressiv): 'Das ist ja die Höhe, während
ich arbeite, gehst du ins Kino und amü-
sierst dich. Ich glaube, du bist verrückt,
schließlich lebst du auch von meinem
Geld!'
B
(springt von ihrem Sessel auf und verläßt
das Zimmer): 'Das ist dein einziges Ar-
gument. Du mußt dir allmählich mal was
besseres einfallen lassen! Ich gehe auf
jeden Fall!'
A
(haut mit der Faust auf den Tisch): 'Du
bleibst hier, sonst bist du die längste Zeit
meine Frau gewesen!'
Neben den kognitiven referentiellen Informationen enthält das Gespräch auch eine ganze
Reihe von sozialen Informationen, die uns das Verständnis des Dialoges erleichtern. Bei-
de Informationen machen die Haltung der Gesprächsteilnehmer ´erklärlich´." (1)
Folgende Gesprächsformen sind zu unterscheiden:
I. Phatische Kommunikation (Kontaktkommunikation):
In dieser Kommunikationsform geht es weniger um die Sache als um die Beziehung zum
Kommunikationspartner, also um Kontaktherstellung und Kontakthaltung ohne wechsel-
seitige Handlungsauslösungabsichten. Man unterscheidet hier zwischen verbindlichem und
unverbindlichem Kontakt. Im verbindlichen Kontakthalten ist das Gefühl des Miteinander,
des Sich-Verstehens bestimmend. In der unverbindlichen Kontakthaltung werden bestimmte
Höflichkeitsregeln gebraucht, zu denken ist hier an das Fragen nach der Gesundheit, nach
der Familie, Äußerungen über das Wetter usw., also um eine oberflächliche Konversation
(1)
Hartig, M.; Binnick, R.I., a.a.O., S. 88f.

33
II.
Rhetorische Kommunikation (bewußte Beeinflussung): In dieser Kommunikationsform
versuchen sich die Kommunikationspartner bewußt, meist mit Argumenten, zu beeinflus-
sen, mit dem Ziel,
-
daß der Partner mitdenkt, d.h. versteht und akzeptiert bzw. ablehnt oder
-
daß der Partner veranlaßt wird, das, was er verstanden und akzeptiert hat,
auch zu tun.
(Mit rhetorischer Kommunikation ist hier also nicht die Redekunst, sondern alle je-
ne Kommunikationsprozesse gemeint, mit denen bewußtes Handeln ausgelöst
wird.)
Formal ist ein Gespräch bestimmt durch den offenen Prozeß des Fragens und Antwortens.
Hier wird zwischen symmetrischen und asymmetrischen Formen unterschieden. Ist das Ziel
der Gesprächspartner, durch das Gespräch Möglichkeiten des gemeinsames Handelns zu klä-
ren, dann muß der Tausch von Frage und Antwort prinzipiell gegeben sein. In diesem Fall
spricht man von einer Interaktion bzw. von symmetrischer Gesprächsform. In Gesprächen, in
denen die Frage- und Antwortrolle festgelegt, nicht tauschbar sind, ist das Machtpotential zwi-
schen beiden Gesprächspartnern nicht äquivalent verteilt (Fragerecht vs. Antwortpflicht;
Rederecht vs. Zuhörpflicht). Hier wird von ,,asymmetrischer Gesprächsform" - diese Form der
Gesprächsführung ist nicht nur zwischen Richter und Beklagten anzufinden - sondern auch
sehr schön in hierarchisch geführten Organisationen zu beobachten sind.
Der Gesprächsführer möchte im Gespräch immer etwas 'verkaufen', sei es eine Ware, eine
Meinung oder eine Anschauung. Um dies tun zu können, muß er Voraussetzungen dafür
schaffen, daß sein Gesprächspartner ihm vertraut und glaubt. Die Voraussetzungen dafür sind
sowohl verbaler wie nonverbaler Natur
.
Durch das nicht zum Kommunikationsinhalt gehörende Verhalten wird auf der Seite des Spre-
chenden signalisiert, daß er beabsichtigt, die Sprechhandlung fortzuführen oder daß der Zuhö-
rer mit dem Sprechen beginnen kann. Hier ist neben der Intonation im akustischen Bereich im
nonverbalen das Blickverhalten für die Synchronisation der Interaktion entscheidend. Zum Bei-
spiel sieht ein Sprecher nach dem Abschluß eines Gedankens auf, um Rückmeldungen seiner
Zuhörer zu überprüfen, blickt er dagegen nach dem Abschluß seines Gesprächsbeitrages auf,
so deutet er dem Zuhörer an, daß dieser mit seinem Beitrag beginnen kann. Der Hörer seiner-
seits signalisiert dem Sprecher, ob er momentan zuhört, versteht, zustimmt oder ablehnt. Die
Augenbrauen werden z.B. bei Zustimmung hochgezogen und/ oder Nickbewegungen vollzogen
und/oder die gestreckte Hand in Richtung des Sprechenden gerichtet; bei Ablehnung wird die

34
Stirn in Falten gelegt und/oder die flache Hand ablehnend gegen den Sprecher gehalten
und/oder die Mundwinkel krampfhaft auseinandergezogen; will der Gesprächspartner unterbre-
chen, so öffnet er den Mund; ist der Oberkörper weit zurückgelehnt und/oder sind die Arme vor
der Brust verschränkt, ist das ein Zeichen der Ablehnung; Aufmerksamkeit wird durch häufigen
Blickkontakt signalisiert. Die hier aufgezählten Verhaltensmuster sind nicht generalisierbar, ihre
genaueren Bedeutungen werden erst in konkreten Gesprächssituationen ersichtlich. Der Ge-
sprächspartner wertet durch die nonverbalen Zeichen seines Gesprächspartners sein eigenes
Verhalten, so daß er durch diese ständigen Rückmeldungen in der Lage ist, sein Verhalten zu
korrigieren bzw. zu modifizieren. Eine entscheidende Rolle in der interpersonellen Wahrneh-
mung spielt die Annahme über Homogenität oder Variabilität des Verhaltens beim Kommunika-
tionspartner. Wird vom Sprechenden das Verhalten des Zuhörers als invariant angesehen, so
wird er außerstande sein, den Verlauf des Gesprächs durch ein entsprechendes Verhalten zu
ändern, da von ihm keine Rückmeldungen wahrgenommen werden bzw. wahrgenommen wer-
den wollen. Sieht der Sprecher das Verhalten seines Zuhörers als variabel an, so wird er die
Ursachen für ein bestimmtes Verhalten entweder in der Situation oder bei sich selbst suchen,
so daß die Interaktion situations- bzw. verhaltensspezifisch verläuft.
Die naive Annahme, daß eine ehrliche Person nichts zu verbergen hat und den anderen in die
Augen sieht, konnte auch wissenschaftlich bestätigt werden.
Doch spielen Blickkontakte auch
in der Täuschungsstrategie eine Rolle. In schwierigen Gesprächen werden sich die Ge-
sprächspartner nicht so häufig anschauen. Menschen können - je nach dem Intentionsgrad ih-
rer machiavellistischen (Machiavellismus = Machtstreben über die Moral) Einstellung - ihr Blick-
verhalten mehr oder weniger gut kontrollieren und ihn so auch manipulativ einsetzen. Ein Indi-
viduum, das die konventionellen Moralbegriffe wenig anerkennt, wird nach unethischem Verhal-
ten den Blickkontakt nicht vermeiden, sondern versuchen, durch seine Blicke über sein vorher-
gehendes Verhalten hinwegzutäuschen
Es sind zwei große Gruppen von Körper- bzw. Handbewegungen zu unterscheiden. Einmal
die sprachbegleitenden und sprachergänzenden Bewegungen, deren Wichtigkeit im Interakti-
onsprozeß vor allem dann deutlich werden, wenn sie unangemessen oder inadäquat eingesetzt
werden, und zum anderen die sprachersetzenden Bewegungen, die 'Embleme' - Bewegungen,
die einen kulturell definierten und genau abgegrenzten
Bedeutungsgehalt tragen (z.B. der
hochgestreckte Daumen des Anhalters, die Formung des Mittel- und Zeigefingers
zu einem V
für Victory, Sieg). Hier interessieren die sprachbegleitenden Bewegungen, also jenes sichtbare,
größtenteils unwillkürliche Verhalten während des Sprechens und Zuhörens. Hierzu gehören
neben der Mimik und dem Blick auch die Stellung bzw. Bewegung der Arme, der Hand, der

35
Beine und die Körperorientierung. Dabei muß berücksichtigt werden, daß Verhalten immer auf
mehreren Kanälen gleichzeitig abläuft und Verhaltensweisen auf den verschiedenen Kanälen
Interdependenzen aufweisen und so ergänzende oder substitutive Funktionen erfüllen.
Handbewegungen sind wegen ihrer differenzierten Möglichkeiten in der Lage, Signale präzi-
se zu übermitteln, so daß sie in manchen Situationen die verbalen Äußerungen weitgehend
ersetzen können. In der gesprochenen Sprache gehört die Geste genauso wie die Intonationen
zu den nicht segmentierbaren, paralinguistischen Begleitsignalen. Daß die Gestik eng mit der
Sprache verknüpft ist, wird daraus ersichtlich, daß häufig antizipatorische Bewegungen die Ver-
balisation einleiten. Körperbewegungen sind also ein Beitrag zum Symbolisierungsprozeß und
haben entwicklungsgeschichtlich mit der Sprache einen gemeinsamen Knotenpunkt. Ohne daß
man die nonverbalen Signale im einzelnen benennen kann, versteht der Gesprächsteilnehmer
ihre Bedeutung im Interaktionsprozeß. So wird dem Gesprächsteilnehmer ein nicht zum Ge-
äußerten passendes, eben mit dem sprachlich Geäußerten nicht authentisches nonverbales
Signal sofort negativ auffallen.
Das mimische Verhalten ist mit bestimmten emotionalen Zuständen oder Eindrücken, wie
Freude,' Ärger, Trauer, Abscheu, Angst, Interesse, Überraschung usf. gekoppelt. Häufig wer-
den Emotionen mimisch nicht verraten oder sie werden bewußt eingesetzt, um bestimmte, der
Situation entsprechende Gefühle zu demonstrieren. Im Sozialisationsprozeß haben wir ge-
lernt, unser Gesicht unter Kontrolle zu halten. Nach allgemeiner Auffassung läßt der mimische
Ausdruck nur spontane, durch unerwartete Ereignisse oder Reaktionen hervorgerufene Ge-
fühlserregungen verläßlich durchsickern. Zum Beispiel kann bei schwierigen Verhandlungen
das Zusammenziehen der Brauen ein Signal für ernsthafte und anstrengende Überlegungen
sein, es kann aber auch, um dem Gegenüber zu zeigen, wie ernst man es meint und welche
Mühe man aufwendet, eine bloße Täuschung sein. Viel weniger als auf unseren Ge-
sichtsausdruck haben wir gelernt, auf unsere Körperhaltung zu achten, so daß sie eine zuver-
lässige Quelle von emotionalen Informationen ist als der mimische Ausdruck.
Der unsichere Sprecher wird im sichtbaren Verhalten seiner Zuhörer Bestätigung für seine
Äußerungen suchen und besonders bei jenen Personen, die seine ängstliche oder negative
Lebenseinstellung reflektieren, versuchen, einen bestätigenden oder einen "0.K.-
Gesichtsausdruck" zu entdecken. Ein sicherer Sprecher wird dagegen seinen Partner unab-
hängig von seiner Rückmeldung ansehen. Denn eine positive Lebenseinstellung erlaubt es,
seinen Standpunkt, unabhängig vom sichtbaren Verhalten seines oder seiner Zuhörer, auszu-
drücken, über negative Rückmeldungen nicht oder wenig emotional, sondern rational zu

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reflektieren und entsprechend korrigierend auf sein Verhalten einzuwirken, ohne dabei seinen
Redefluß merklich zu unterbrechen.
Als Zeichen der Macht werden auf der einen Seite ge-
gebene auf der anderen unterlassene Blicke empfun-
den. Sprecher haben oft von jenen Gesprächsteil-
nehmern, von denen sie angesehen werden, eine hö-
here Meinung als von jenen, die den Blickkontakt ver-
meiden. Je mehr der Sprecher angesehen wird, um
so höher schätzt er selbst seine persönliche Macht,
während er Personen, die ihn nicht ansehen, als sol-
che mit mehr Autorität und Kontrolle wahrnimmt. Es
scheint generell zu sein, daß Interaktionspartner mit
gleichem Status und gleicher Teilnahme am koopera-
tiven Gespräch sich um so häufiger ansehen, je mehr
sie sich mögen. Je niedriger der Status eines Kom-
munikationspartners in der Gruppe ist, um so geringer
ist das Ausmaß der Blickkontakte, die ihm gelten.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1987
ISBN (eBook)
9783836611862
DOI
10.3239/9783836611862
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn – 3, Sprach- und Literaturwissenschaften, Linguistik
Erscheinungsdatum
2008 (April)
Note
1,1
Schlagworte
sprachpsychologie transaktionsanalyse kommunikation proporsitionale basis sprachverständnis
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