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Die Bedeutung der Gesundheitsreform 2006/2007 für den Bereich der Hilfsmittel am Beispiel der Hörhilfen

©2007 Diplomarbeit 78 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Mit dem Inkrafttreten der Gesundheitsreform greifen auf dem Gesundheitssektor, der sich mehr und mehr in einen Markt verwandelt, einschneidende Veränderungen. Bereits eine erste wichtige Gesundheitsreform, die des Jahres 2003, richtete sich partiell nach dem Kontext der Globalisierung und den Anforderungen einer Gesundheitsökonomie, die sich mehr und mehr auf das Konkurrenzprinzip und auf den Wettbewerb einstellt. Dieser entsteht nicht zuletzt nach U.S. amerikanischen Modellen, wo das Prinzip der „Medicare“ sich nach einer Marktökonomie richtet, die den Patienten Zug um Zug als Kunden betrachtet. Für die Verhältnisse der Bundesrepublik bedeutet dies, dass das sozialstaatliche Prinzip der Gesundheitsversorgung mit seiner entsprechenden Gesundheitsversorgungsverpflichtung des Staates gegenüber dem Bürger mehr und mehr zurückgedrängt wird. Schon mit der Gesundheitsreform des Jahres 2003 wurden, etwa bei Ärzten, berufsständische Grenzen außer Kraft gesetzt, so dass der Arzt sich mehr als wirtschaftlich orientierter Manager verstehen musste, der beispielsweise in medizinischen Versorgungszentren (MVZ), auch auf eigene Rechnung arbeiten konnte.
Die Gesundheitsreform des Jahres 2006/ 2007 verstärkt diese Tendenzen, zielt in fast allen Bereichen auf Konsolidierung, das heißt auf Einsparung von Kosten, ab. Dies betrifft nicht nur die praktizierenden Ärzte, die Krankenhäuser, sondern auch Versicherte und die Erbringer von Leistungen im Hilfsmittelbereich, wie beispielsweise die Hörgeräteakustiker. Zugleich deuten sich im Kontext der neuen Gesundheitsreform Einschnitte an, die überall konkurrenzbezogene Marktprinzipien bedingen, so dass auf alle Beteiligten größere Anforderungen zu mehr Service und höherer Qualität zu kommen. Dies betrifft die Veränderung von Beitragsbemessungen, die Umwandlung von Zulassungsverfahren für Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich in vertragliche Verhältnisse, die deutlich stärkere Deckelung von Arztbudgets usw.
Schwieriger werden zugleich die Verhältnisse zwischen den Krankenkassen und möglichen neuen Vertragskonstellationen, die beispielsweise Hörgeräteakustiker mit den Kassen für ihre Leistung abschließen müssen.
In der vorliegenden Diplomarbeit soll zunächst die Problematik einer Gesundheitsökonomie untersucht und dargestellt werden, die sich in einem zunehmenden konkurrenzorientierten Gesundheitsmarkt ergibt. Marktprinzipien, die die Konkurrenzökonomie bedingen, erfordern eine spezifische […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Claudia Czmok
Die Bedeutung der Gesundheitsreform 2006/2007 für den Bereich der Hilfsmittel am
Beispiel der Hörhilfen
ISBN: 978-3-8366-1166-4
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... I
Abkürzungsverzeichnis...III
1 Einleitung...1
2
Gesundheitsökonomie und Gesundheitsreform im
Zusammenhang, eine Einführung... 4
2.1
Der Begriff der Gesundheitsökonomie, Bestandteil
einer freien Marktwirtschaft... 4
2.2
Betrachtung der Gesundheitsreform mit Blick auf
Finanzierung und auftretende Kritikpunkte... 8
2.2.1 Auftretende
Schwierigkeiten in den letzten Jahren... 11
2.2.2 Erweiterung
der
Patientenrechte...12
2.2.3
Kritik am GKV- Modernisierungsgesetz, mit Blick auf die
Hilfsmittel, speziell Hörhilfen... 14
2.2.4
Weitere theoretische Kritikpunkte... 16
3
Gesetzliche Krankenversicherung und die
Gesundheitsreform 2006/ 2007 im Blickpunkt... 19
3.1
GKV im Überblick...19
3.1.1 Träger
der GKV...21
3.2 Finanzielle
Lage
der GKV... 23
3.2.1
Finanzierung der GKV... 24
3.3 Gesundheitsreform 2006/ 2007...27
3.3.1
GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz... 27

II
4
Der Hilfsmittelbereich in Deutschland mit
Hauptaugenmerk
auf die Hörhilfen... 30
4.1 Zum
Begriff
Hilfsmittel...32
4.2
Hörhilfen, Definition und Darstellung verschiedener
Arten von Hörhilfen... 33
5
Akustiker als Lieferant von Hörhilfen und
Vertragspartner
der Krankenkassen... 35
5.1
Festbetragsregelung zwischen den Akustikern und
der
GKV...
36
5.1.1
Keine Obergrenze bei Festbeträgen... 39
5.2
Veränderungen der Hörsystemversorgung durch
die
Gesundheitsreform 2006/ 2007...40
5.2.1
QM- System hält Einzug bei Akustikern...43
5.3
Hörschädigungen
in Deutschland... 45
5.3.1
Situation der Hörschädigung in Deutschland,
Akzeptanzerhöhung von Hörsystemen... 46
5.4
Versorgungswege
für Hörsysteme...49
5.5
Umsatzsituation der Akustiker in Ostdeutschland... 51
5.6
Kundenbindung und Leistungsänderungen der
Akustiker... 53
6
Zusammenfassung, Fazit und Ausblick... 57
7 Literatur... 59
Anhang...V

III
Abkürzungsverzeichnis
AOK
Allgemeine Ortskrankenkasse
BBG
Beitragsbemessungsgrenze
Biha
Bundesinnung der Hörgeräteakustiker
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BKK
Betriebskrankenkasse
BMGS Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung
DAK
Deutsche Angestellten Krankenkasse
DOZ
Deutsche Optiker Zeitung
EK
Ersatzkasse
GEK
Gmündener Ersatzkasse
GKV
Gesetzliche Krankenversicherung
GMG
Gesundheitsmodernisierungsgesetz
GRG
Gesundheitsreformgesetz
GV
Gesundheitsversicherung
HdO- Gerät
Hinter dem Ohr- Gerät
HEK
Hanseatische Krankenkasse
HNO- Arzt
Hals- Nasen- Ohren- Arzt
IKK
Innungskrankenkasse
IO- Gerät
Im Ohr- Gerät
KKH
Kaufmännische Krankenkasse
LKK
Landwirtschaftliche Krankenkasse

IV
MVZ
Medizinisches Versorgungszentrum
PKV
Private Krankenversicherung
QM- System
Qualitätsmanagement- System
See- KK
See Krankenkassa
SGB
Sozialgesetzbuch
TKK
Techniker Krankenkasse
VdAK
Verband der Angestellten und Arbeitgeber Kranken-
Kassen
VFA
Verband forschender Arzneimittelhersteller
WSG
Wettbewerbsstärkungsgesetz

- -
1
1
Einleitung
Mit dem Inkrafttreten der Gesundheitsreform greifen auf dem Gesundheits-
sektor, der sich mehr und mehr in einen Markt verwandelt, einschneidende
Veränderungen. Bereits eine erste wichtige Gesundheitsreform, die des Jahres
2003, richtete sich partiell nach dem Kontext der Globalisierung und den
Anforderungen einer Gesundheitsökonomie, die sich mehr und mehr auf das
Konkurrenzprinzip und auf den Wettbewerb einstellt. Dieser entsteht nicht
zuletzt nach U.S. amerikanischen Modellen, wo das Prinzip der ,, Medicare" sich
nach einer Marktökonomie richtet, die den Patienten Zug um Zug als Kunden
betrachtet. Für die Verhältnisse der Bundesrepublik bedeutet dies, dass das
sozialstaatliche Prinzip der Gesundheitsversorgung mit seiner entsprechenden
Gesundheitsversorgungsverpflichtung des Staates gegenüber dem Bürger
mehr und mehr zurückgedrängt wird. Schon mit der Gesundheitsreform des
Jahres 2003 wurden, etwa bei Ärzten, berufsständische Grenzen außer Kraft
gesetzt, so dass der Arzt sich mehr als wirtschaftlich orientierter Manager
verstehen musste, der beispielsweise in medizinischen Versorgungszentren
(MVZ), auch auf eigene Rechnung arbeiten konnte.
Die Gesundheitsreform des Jahres 2006/ 2007 verstärkt diese Tendenzen, zielt
in fast allen Bereichen auf Konsolidierung, das heißt auf Einsparung von
Kosten, ab. Dies betrifft nicht nur die praktizierenden Ärzte, die Krankenhäuser,
sondern auch Versicherte und die Erbringer von Leistungen im
Hilfsmittelbereich, wie beispielsweise die Hörgeräteakustiker. Zugleich deuten
sich im Kontext der neuen Gesundheitsreform Einschnitte an, die überall
konkurrenzbezogene Marktprinzipien bedingen, so dass auf alle Beteiligten
größere Anforderungen zu mehr Service und höherer Qualität zu kommen. Dies
betrifft die Veränderung von Beitragsbemessungen, die Umwandlung von
Zulassungsverfahren für Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich in vertragliche
Verhältnisse, die deutlich stärkere Deckelung von Arztbudgets usw.
1
1
Vgl. Breyer, F./ Zweifel, P./ Kiefmann, M. (2005), S. 11, 12.

- -
2
Schwieriger werden zugleich die Verhältnisse zwischen den Krankenkassen
und möglichen neuen Vertragskonstellationen, die beispielsweise
Hörgeräteakustiker mit den Kassen für ihre Leistung abschließen müssen.
2
In der vorliegenden Diplomarbeit soll zunächst die Problematik einer
Gesundheitsökonomie untersucht und dargestellt werden, die sich in einem
zunehmenden konkurrenzorientierten Gesundheitsmarkt ergibt. Marktprinzipien,
die die Konkurrenzökonomie bedingen, erfordern eine spezifische
Umorientierung, nicht nur der Ärzteschaft, sondern auch sämtlicher Zulieferer.
Die entsprechenden Anforderungen führen zu nicht geringen
Unruhepotentialen.
3
Darzustellen ist im Sinne der Umstrukturierung weiter das sich ökonomisch
ausrichtende Verhältnis zwischen Krankenkassen und ihren Vertragspartnern
auch am Akustikermarkt. Dies betrifft die Ausrichtung des Akustikermarktes auf
ein Konkurrenzprinzip, das von den Kassen nur noch unvollständig abgefedert
wird. In diesem Kontext wird das Qualitätsmanagement- System (QM- System)
darzustellen sein, welches man in Arztpraxen, Krankenhäusern und anderen
Bereichen des Gesundheitswesens findet. Mit Sicht auf den Themenbezug der
Arbeit, wird das QM- System ganz explizit für den Hörgeräteakustiker
dargestellt.
Die folgende Arbeit gliedert sich in die Darstellung des Zusammenhanges
zwischen der Gesundheitsökonomie und der Gesundheitsreform. Dabei werden
auch Kritikpunkte des GKV- Modernisierungsgesetzes (GMG) aufgezeigt. Das
Hauptaugenmerk der Arbeit liegt auf den finanziellen Auswirkungen der neuen
Gesundheitsreform mit dem GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV- WSG)
auf den Akustikermarkt. Dabei wird auf die Festbetragsregelungen zwischen
der GKV und den Akustikern und auf die Veränderung der
Hörsystemversorgung durch die Gesundheitsreform 2006/ 2007 eingegangen.
Im weiteren Verlauf werden Versorgungswege für Hörsysteme dargestellt. Mit
einer Erläuterung der Umsatzsituation der Akustiker im ostdeutschen Raum
2
Vgl. biha (06/2006).
3
Vgl. bundesweite Ärztewarnstreiks des Jahres 2006.

- -
3
sowie mit der Diskussion von Lösungsmöglichkeiten, mit denen der Bereich der
Akustiker sich positiv im Kontext neuer Marktverhältnisse positionieren kann,
wird die Thematik abgeschlossen. Anschließend werden die Ergebnisse
zusammengefasst.

- -
4
2
Gesundheitsökonomie und Gesundheitsreform im
Zusammenhang, eine Einführung
2.1 Der Begriff der Gesundheitsökonomie, Bestandteil einer freien
Marktwirtschaft
Die Gesundheitsökonomie, auch Gesundheitsökonomik genannt, befasst sich
wirtschaftswissenschaftlich mit den Problemen des gesamten
Gesundheitswesens. Dabei wird die Gesundheitsversorgung der
Bundesrepublik als ein Gesundheitsmarkt betrachtet, der nach Sachleistungs-
prinzipien funktioniert.
Der Gesundheitsmarkt arbeitet dabei weitgehend nach den Prinzipien von
Angebot und Nachfrage, wie sie in der Wirtschaftswissenschaft ökonomisch
formuliert sind, auch wenn ein nicht geringer Teil dieses Marktes über die
gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mitgesteuert wird.
Begriffe wie derjenige der Produktion von Gesundheit kommen auf diesem
Gesundheitsmarkt zur Anwendung, so dass beispielsweise das
Krankenhaussystem unter betriebswirtschaftlichen Rentabilitätskriterien
betrachtet werden kann. Außerdem kann der Patient, der
Gesundheitsleistungen in Empfang nimmt, als Kunde und ,,homo oeconomicus"
betrachtet werden.
4
Das Gesundheitswesen bzw. das Gesundheitssystem der Bundesrepublik, von
dem hier die Rede ist, ist jedoch nur begrenzt vergleichbar mit den
Funktionsweisen einer frei operierenden Marktwirtschaft, in der Angebot und
Nachfrage die Preise bestimmen. Das Gesundheitswesen Deutschlands beruht
auf einer Mischfinanzierung, so dass die Betrachtung unter rein ökonomischen
und marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erschwert wird. Zu nennen wären
private und öffentliche Arbeitgeber, private Organisationen sowie öffentliche
Haushalte als Finanzquellen.
4
Vgl. Troschke, J. v./ Mühlbacher, A. (2005), S. 112.

- -
5
An der Gesamtsumme, die den privaten Haushalt zufließt, haben die Sozialver-
sicherungen einen Anteil von 202,9 Milliarden Euro.
Hiervon sind 174,4 Milliarden Euro unmittelbare Ausgaben für
Gesundheitsleistungen. Die steuerfinanzierten Ausgaben der öffentlichen
Haushalte gelangen überwiegend in das öffentliche Gesundheitswesen sowie in
Investitionsbeiträge für staatlich unterstützte Krankenhäuser und nicht zuletzt in
das Gesundheitsaufkommen der Sozialhilfeempfänger.
5
Betrachtet man das Gesundheitssystem unter den ökonomischen Aspekten der
Kräfte von Angebot und Nachfrage, so kann die Inanspruchnahme
gesundheitlicher Güter als ,,realer Konsum" bezeichnet werden. Auch hierbei
unterscheidet sich allerdings das Gesundheitssystem von den Strukturen einer
normalen Marktwirtschaft.
So wirken sich zum Beispiel die demographischen Veränderungen der
bundesrepublikanischen Gesellschaft deutlich anders aus als in normalen
ökonomischen Nachfrageprozessen. Zusätzlich ist die Angebotsseite, die
gesundheitsbezogene Güter in den Markt bringt, nicht ausschließlich
betriebswirtschaftlich orientiert, sondern betrachtet den Patienten auch unter
humanen Gesichtspunkten, also unter den Aspekten positiver- sozialer Heilung
und Hilfestellung.
Weiterhin ist der staatliche Steuerungsbedarf in der Gesundheitsökonomie
erheblich größer als in normalen marktwirtschaftlichen
Abläufen. Auch in den
letzteren besteht nach wie vor ein Steuerungsbedarf, für den die
interventionistischen Theorien des Ökonomen J. Maynard Keynes ein Beispiel
bilden.
Ein Spannungsverhältnis in den Begrifflichkeiten der Gesundheitsökonomie
ergibt sich daraus, dass man eine ,,Ökonomik des Gesundheitswesens"
erkennen kann, die in einem gewissen Widerspruch zur ,,Ökonomik der
Gesundheit" und ihrer Ansprüche steht.
6
5
Vgl. Ebenda, S. 121.
6
Vgl. Breyer, F./ Zweifel, P./ Kiefmann, M. (2005), S. 11, 12.

- -
6
Dabei beschäftigt sich der deskriptive Anteil der Gesundheitsökonomik mit
einem rein betriebswirtschaftlichen Instrumentarium, das die Möglichkeit der
Globalsteuerung der Kosten des gesamten Gesundheitssystems untersucht.
Für das Patientenverhalten wird dabei, wie Breyer/ Zweifel/ Kiefmann
feststellen, ,,das Grundparadigma des Rationalverhaltens angewandt, d.h. das
Individuum wird als rationaler Nutzenmaximierer angesehen, in dessen
Nutzenfunktion u.a. materieller Konsum und Gesundheit eingehen. Im Rahmen
eines solchen Modells kann dann untersucht werden, wie z.B. eine Änderung
der Budgetrestriktion, d.h. des Einkommens, sich (...) auf sein
Gesundheitsverhalten auswirken."
7
Der andere Aspekt, also die Ökonomik der Gesundheit, beschreibt eher
normative Seiten des Gesundheitswesens. Breyer/ Zweifel/ Kiefmann stellen
hierzu fest: ,,Zu den wichtigsten normativen Fragen der Ökonomik der
Gesundheit dürfte die nach der Bewertung der Gesundheit in Geld, d.h. der
Abwägung zwischen Gesundheit und anderen menschlichen Zielsetzungen,
z.B. dem Konsum sonstiger Güter zählen. Diese normative Frage: ,Auf wie viel
Konsum sollte die Gesellschaft bereit sein, zu verzichten dafür, dass die
Lebenserwartung um durchschnittlich ein Jahr erhöht wird (...) ?´ stellt sich vor
allem im Zusammenhang mit öffentlichen Projekten, die aus Steuern oder
Sozialversicherungsabgaben finanziert werden und die Auswirkungen auf die
Lebenserwartung oder die Gesundheit von Bürgern haben (...) ist es eine
Aufgabe der Gesundheitsökonomik, (...) sinnvolle (...) begründete Regeln für
diese Entscheidungen in die Hand zu geben."
8
Hiermit ist bereits ein Element der Normativität in der gerechten Verteilung
angesprochen, das heißt, in der Allokation bestimmter gesundheitlicher Güter
an die Patienten in der Bundesrepublik. Das gesundheitsökonomische System
funktioniert, im Gegensatz zur Marktökonomie, nicht überwiegend auf
privatwirtschaftlicher Basis, sondern lebt von den oben erwähnten
,,Zwangsabgaben". Hieraus ergibt sich bereits ein normativer Anspruch der
7
Vgl. Ebenda, S. 12.
8
Vgl. Ebenda.

- -
7
gerechten Verteilung gesundheitlicher Leistungen und Ressourcen, denn was
alle finanziell zusammengetragen haben, muss auch entsprechend gerecht,
das heißt bedarfsgerecht verteilt werden, ohne dass die bekannte
,,Zweiklassenmedizin" entsteht.
Ein wichtiger Faktor für die Versuche der Globalsteuerung im
Gesundheitswesen ist die Frage der Kostendeckung der nachgefragten und
eingesetzten Leistungen, egal ob von Ärzten, Diensten oder Krankenhäusern.
Die Versicherungsleistungen in der Bundesrepublik werden weitgehend durch
die gesetzlichen Krankenversicherungen abgedeckt, mit 128,9 Milliarden Euro
im Jahr 2006.
9
Mit dieser Summe sind jedoch der Gesundheitsbedarf und seine Kosten auf
allen Ebenen keinesfalls gedeckt. Daher ist eine finanzielle Stützung der
Krankenversicherungen durch den Staat nötig. Hierfür gibt es unterschiedliche
Erklärungen. Eine der gängigsten ist die des ,,Marktversagens" auf dem
Gesundheitsgütermarkt, besonders im Gesundheitssystem der Bundesrepublik.
Daraus entsteht die ,,Kostenexplosion" im deutschen Gesundheitswesen, der
man seit etwa zwanzig Jahren mit verschiedenen Reformen abzuhelfen
versucht.
Zur Problematik dieser ,,Abweichungen vom marktwirtschaftlichen System"
erklären Breyer/ Zweifel/ Kiefmann: ,,(...) in westlichen Industrieländern, die sich
ansonsten marktwirtschaftlichen Prinzipien verschrieben haben, können wir bei
der Allokation von Gesundheitsgütern, d.h. insbesondere medizinischen
Leistungen, erhebliche Abweichungen von diesen Prinzipien feststellen. Anders
als etwa bei Kühlschränken, wird am Allgemeinen weder die Entscheidung, eine
medizinische Leistung (z.B. Blinddarmoperation) anzubieten, oder
nachzufragen, von souverän entscheidenden und mit vollen finanziellen
Konsequenzen konfrontierten Individuen bzw. Firmen getroffen, noch werden
die resultierenden einzelwirtschaftlichen Pläne durch den Preismechanismus
koordiniert."
10
9
Vgl. AOK Bundesverband (2003), S. 7.
10
Vgl. Breyer, F./ Zweifel, P./ Kiefmann, M. (2005), S. 173.

- -
8
Im Folgenden sollen die Ziele der Gesundheitsreform vor dem Hintergrund
einer stark zunehmenden Konkurrenz in der Gesundheitsökonomie dargestellt
werde.
2.2 Betrachtung der Gesundheitsreform mit Blick auf
Finanzierung und auftretende Kritikpunkte
Daraus, dass man mit einer ,,Globalsteuerung", die durch ,,Zwangsabgaben"
eingenommenen Finanzmittel im Gesundheitssystem an die
Leistungsempfänger gerecht verteilen muss, ergibt sich das Problem der
gerechten Zuordnung medizinischer Leistungen durch Dienste, Ärzte oder
Krankenhäuser. Hier wurden viele Versuche unternommen, normative volks-
wirtschaftliche Modelle für eine gerechte Verteilung zu konstruieren, die
teilweise äußerst kompliziert ausfallen.
11
Ein weiterer normativer Aspekt ergibt sich daraus, dass gesundheitserhaltende
oder gesundheitsfördernde Leistungen nicht einfach nach marktwirtschaftlichen
Prinzipien verteilt werden können und dass die Ansprüche auf solche
Leistungen stets mit humanen Prinzipien zu tun haben. Dies ist bereits aus den
Formulierungen abzulesen, die das Gesundheitsministerium in seinen
Verlautbarungen zur Gesundheitsreform 2006/ 2007 herausgegeben hat.
Ein Beispiel: ,,Gesundheit ist ein hohes Gut, denn Gesundheit ist die
wesentliche Voraussetzung dafür, dass Menschen Lebenschancen, Fähigkeiten
und Träume verwirklichen können. Deshalb ist Gesundheitspolitik immer Politik
für 82 Millionen Menschen. In Deutschland erhalten Bürgerinnen und Bürger die
medizinische Versorgung, die sie im Krankheitsfall benötigen, unabhängig von
ihrem Alter und ihrem Einkommen, auf der Höhe des medizinischen
Fortschritts. Das soll auch in Zukunft gelten- für alle."
12
11
Vgl. Arnold, R. (2006), S. 5.
12
Vgl. www.die-gesundheitsreform.de/(...)/gesundheitsreform-2007index.html-26k (2007), S. 1.

- -
9
Bei der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik und auch dem
Gesundheitswesen, liegt das ,,Humanitäts- und Solidaritätsprinzip" zu Grunde.
13
Dieses Prinzip ist im Rahmen der Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik eher
theoretisch zu betrachten. Um die ,,Kostenexplosion", also das Ausmaß
staatlicher Subventionierung gesundheitlicher Leistungen in der Bundesrepublik
zu dämpfen, bezieht sich die Politik zunehmend auf das Stichwort ,,wachsende
Eigenverantwortung" des Patienten bzw. des Gesundheitskunden.
Das bedeutet, dass der Einzelne für seine Gesundheit in stärkerem Maße als
zuvor, eigene Leistungen erbringen muss. Zur Finanzierung des
bundesrepublikanischen Gesundheitswesens im Kontext der
Gesundheitsökonomie stellen Krippner- Stikklas/ Stikklas fest: ,,Die
lohnbezogene Finanzierung (des Gesundheitssystems, der Verfasser) und die
wachsenden Ausgaben durch die Veränderung der Altersschichtung in der
Bevölkerung stellen heute eine gewaltige Herausforderung für die zukünftige
Gestaltung der sozialen Sicherheit dar. Eine allgemein akzeptierte Lösung
wurde bisher nicht gefunden, da jeder Lösungsvorschlag der einen oder
anderen gesellschaftlichen Gruppe zusätzliche Lasten oder zukünftige
Einschränkungen abverlangen wird."
14
Nach den offiziellen Verlautbarungen des Gesundheitsministeriums, ist die
Gesundheitsökonomie hier von Bedeutung, dass man auf diesem Markt mehr
,,Wettbewerb im Gesundheitswesen" einführen möchte.
15
Die offizielle Version
der Gesundheitsreform unter ökonomischen Gesichtspunkten geht also von der
Voraussetzung aus, dass man die Gesundheitsökonomik mehr in die
allgemeinen volkswirtschaftlichen Prinzipien des Marktgeschehens einordnen
müsse. Insofern ist die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ein Teil der
Gesundheitsreform, die auch den Hilfsmittelmarkt stark erfasst.
16
Das ,,Redaktionsbüro Gesundheit" des Bundesministeriums konzipiert diese
Annäherung des deutschen Gesundheitswesens an die normalen Prinzipien der
13
Vgl. Krippner- Stikklas, S./ Stikklas, W. (2007), S. 85.
14
Vgl. Ebenda, S. 76.
15
Vgl. www.die-gesundheitsreform.de/(...)/22.01.2007; S. 1.
16
Vgl. Beske, F./ Ratschko, K-W. (2006), S. 54.

- -
10
Marktwirtschaft im Rahmen normativer Vorgaben so, dass auch das
Konkurrenzprinzip, das nun eingeführt werden soll, dem Gesundheitsmarkt eine
normative Richtung geben kann. In diesem Sinne werden Vokabeln wie
,,optimale Behandlung", ,,kostengünstig zur Verfügung stehen" und ,,Hilfe" ins
Feld geführt.
17
Jede einzelne Sparte des Gesundheitsmarktes vom Krankenkassenmarkt über
den Versicherungsmarkt bis hin zum Vertragsarzt, wird nun unter das Prinzip
des Wettbewerbs gestellt. Dies geschieht mit dem Anspruch, die
Gesundheitsreform 2006/ 2007 normativ zu gestalten. Ein Beispiel aus den
Texten: ,,In vielen Bereichen, die einen unmittelbaren Einfluss auf die
gesundheitliche Versorgung der Versicherten haben, knüpft die anstehende
Gesundheitsreform an das GKV- Modernisierungsgesetz aus dem Jahr 2004
an. Die neue Reform setzt Wettbewerbsimpulse, die noch einmal deutlich über
die bisherigen Möglichkeiten hinausgehen und den Akteuren im
Gesundheitswesen neue Handlungsspielräume eröffnet."
18
Besonders mit dem Anspruch der Gesundheitsreform 2006/ 2007, eine
,,Krankenversicherung für alle" sein zu wollen, ist eine normative Bedeutung der
Reform verbunden.
19
Die Ausweitung der Versicherungspflicht und des Versicherungsschutzes für
alle Bundesbürger wird von der Gesundheitsreform als ,,sozialpolitischer
Meilenstein" dargestellt.
20
Damit geht die Tendenz auf eine Wertung der Reform
auf demselben Niveau wie die Sozialstaatlichkeit, um so normative Aspekte zu
verstärken. Ob dies tatsächlich eine Erweiterung der sozialstaatlichen
Gesundheitsfürsorge bildet, bleibt kontrovers.
21
17
Vgl. www.die-gesundheitsreform.de-(...)-bundesministeriumfuergesundheit; S. 1.
18
Vgl. Ebenda, S. 5.
19
Vgl. Ebenda, S. 2.
20
Vgl. Ebenda.
21
Vgl. Beske, F./ Ratschko, K-W. (2006), S. 110.

- -
11
2.2.1 Auftretende Schwierigkeiten in den letzten Jahren
In den Gesundheitsreformen der letzten 15 Jahre ergab sich ein
grundsätzliches Dilemma: Erstens versuchte man die Kosten zu dämpfen,
zweitens wurden den Patienten/ Kunden immer größere Eigenbeteiligungs-
lasten aufgebürdet und drittens hielten die angestrebten Kostendämpfungs-
resultate nicht lange vor.
Auf diese Weise wurde rasch die nächste Reform erforderlich, der nach kurzer
Zeit eine weitere folgen musste, da die Kosten des Gesundheitswesens immer
weiter stiegen. Diese Kostensteigerungen betrafen auch den Markt für
Hilfsmittel und seine Dienstleistungen, die zum Beispiel bei den
Hörgeräteakustikern anfielen. Deren Situation, im Verhältnis zu den
Krankenkassen, wurde ebenfalls von höheren Beiträgen erfasst, so dass sich
die ökonomische Situation verschlechterte.
Bereits 1977 wurde mit dem Kostendämpfungsgesetz für Arzneimittel, der erste
Reformversuch unternommen. 1982 wurde das 2. Kostendämpfungsgesetz,
das Kostendämpfungs- Ergänzungsgesetz, erlassen. Der nächste
Reformversuch erfolgte 1983. 1989 wurde das Gesundheitsreformgesetz
(GRG) mit einer Negativliste für alle Medikamente sowie mit Festbeträgen und
höheren Rezeptgebühren für Arzneimittel eingeführt. Von 1993 stammt das
Gesundheitsstrukturgesetz, das dem Patienten erhöhte Zuzahlungen für
Medikamente, Krankenhausaufenthalte, Zahnersatz und Heilmittel abforderte.
1999 wurde mit dem GKV- Solidaritätsstärkungsgesetz das Budget für
Krankenhäuser, Arzthonorare und Heilmittel eingeführt, um die Kosten zu
dämpfen. Im Jahre 2000 verschärfte die GKV- Reform das Budget für
Arzthonorare und begründete Regressforderungen bei Überschreitung der
Budgets. Im Jahr 2004 erhöhte das GKV- Modernisierungsgesetz stark die
Eigenbeteiligung für Patienten und führte eine Praxisgebühr von zehn Euro pro
Quartal ein. Seitdem beträgt die Zuzahlung bei Arznei- und Hilfsmitteln zehn
Prozent. Hiervon war auch der Akustikermarkt betroffen, weil sich der Bereich
Akustik- Hilfsmittel ebenfalls verteuerte.

- -
12
Wichtig für diese Mehrbelastungen der Patienten, im Zusammenhang mit einer
Gesundheitsökonomie und staatlicher Globalisierung ist, dass man dem
normativen Aspekt mit Begriffen wie ,,Ausweitung der Eigenverantwortung" der
Patienten Genüge zu tun versuchte.
Krippner- Stikklas/ Stikklas bemerken hierzu: ,,Die Neuorientierung der sozialen
Sicherungssysteme ist auch mit der Forderung nach einer Ausweitung der
Eigenverantwortung und nicht zuletzt bedingt durch die Finanzierungsprobleme
der Kassen nach einer höheren Eigenbeteiligung der Leistungsbezieher
verknüpft. In § 1 SGB V wird explizit auf die Eigenverantwortung der
Versicherten für die eigene Gesundheit und Gesunderhaltung als zweites
tragendes Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, neben der Solidarität
hingewiesen (...). Bereits mit dem GKV- Modernisierungsgesetz wurde ab 2004
die Eigenbeteiligung der Patienten bei der Inanspruchnahme von Leistungen
durch Einführung der Praxisgebühr und der Erhöhung der Zuzahlungen
erweitert. Die für 2007 geplante Gesundheitsreform führt diesen Ansatz weiter.
Erstmals wird die Möglichkeit von Regressforderungen für selbstverschuldete
Erkrankungen und Komplikationen (z.B. Schönheitsoperationen) in das SGB
einbezogen."
22
2.2.2 Erweiterung der Patientenrechte
Das normative Element der Reform wird durch eine Erweiterung der Rechte der
Patienten verstärkt. So entsteht ein Bild des Individuums in der
Gesundheitsökonomie, das sich von einem fremdbestimmten und leidenden,
hilfesuchenden Patienten zu einem ,,selbstbewussten Partner" wandelt, zu
einem ,,Leistungserbringer, mit abgesicherten Aufklärungs- und
Entscheidungsrechten".
23
22
Vgl. Krippner- Stikklas, S./ Stikklas, W. (2007), S. 78.
23
Vgl. Ebenda, S. 79.

Details

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Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836611664
DOI
10.3239/9783836611664
Dateigröße
617 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Betriebswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2008 (April)
Note
3,0
Schlagworte
hörhilfen gesundheitsreform gesetzliche krankenversicherung hilfsmittel gesundheitsökonomie
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