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Der Therapie Beine gemacht

Lauftherapie und ihre Einsatzmöglichkeiten in therapeutischen und sozialpädagogischen Zusammenhängen

©2007 Diplomarbeit 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Mensch verändert seinen Lebensstil innerhalb kürzester Zeit radikal. Vom Jäger und Sammler, der sich zum Zwecke der Existenzsicherung ständig ausdauernd in Bewegung befindet, hin zum körperlich inaktiven Müßiggänger, der ein Leben im Überfluss führt. Seine Gene hingegen sind nach wie vor auf ein Leben in Bewegung programmiert.
„Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft!“ Dieses Zitat des dreifachen Olympiasiegers im Langstreckenlauf, Emil Zatopek, veranschaulicht auf ebenso einfache wie prägnante Art und Weise das, was der Mensch tatsächlich ist: ein „Lauftier“. Er ist von Natur aus zum Laufen geboren, sein Körper ist in seinen ganzen Proportionen darauf hin ausgerichtet.
Somit überrascht es nicht, dass das Laufen als „herausgehobene Form des Kulturmenschen in der westlichen Kultur“ seit Jahrtausenden nachweisbar ist, als Massenbewegung etabliert es sich dort allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (ebd.). Mittlerweile geht man in Deutschland von etwa 17 Millionen Läufern aus.
Es stellt sich die Frage, was diese enorme Zahl von Menschen dazu treibt, ihre kostbare Zeit freiwillig dem Laufen zu widmen, sind doch Gründe der Existenzsicherung für sie irrelevant. Gefragt nach ihren Motiven geben Läufer/innen an, das Laufen mache sie gesund, halte sie jung, mache sie fit und frei. Es steigere das Wohlbefinden, die Ausgeglichenheit und Ruhe, zugleich gewinne man aber eben auch an Kraft und werde aktiviert. Das Laufen biete ihnen die Option, sich zu verändern, „Körper und Seele einer radikalen Metamorphose zu unterziehen“. Es ist festzuhalten, dass keiner anderen Sportart so mannigfache Einwirkungen auf Körper, Geist und Seele zugesprochen wird, wie dem Laufen.
Diese Aussagen machen deutlich, welche enormen Potentiale das Laufen in sich birgt, und es liegt nahe, sich zu fragen, inwiefern sich das Laufen unter therapeutischen Gesichtspunkten anwenden lässt, gar ein eigenständiges Therapiemodell darstellt und wie es sich unter diesen Umständen gegebenenfalls in die sozialpädagogische und therapeutische Praxis integrieren lässt.
Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen befasst sich der der Einleitung folgende Teil zunächst mit der Klärung der Begriffe „Laufen“ und „Therapie“. Über einen kurzen historischen Abriss zum Laufen kommt die Arbeit zu der Fragestellung, welche konkreten positiven Auswirkungen das Laufen auf die Psyche und den Körper des Menschen hat, und wie diese zu erklären sind. […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Begriffserklärungen
1.1 Laufen – eine Definition
1.2 Der Therapiebegriff

2. Geschichte und Entwicklungslinien des Laufens
2.1 Historische Entwicklungen
2.2 Laufen in der Moderne

3. Laufen – Sucht oder Heilmittel?
3.1 Laufen als Heilmittel
3.1.1 Physische Auswirkungen des Laufens
3.1.1.1 Positive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit
3.1.1.2 Beeinflussung körperlicher Erkrankungen und Risikofaktoren
3.1.2 Psychische Effekte des Laufens
3.1.2.1 Physiologische Erklärungsansätze
3.1.2.2 Psychologische Erklärungsansätze
3.1.2.2.1 Laufen und psychoanalytische Aspekte
3.1.2.2.2 Laufen und verhaltenstherapeutische Prinzipien
3.2 Laufsucht
3.3 Laufen als Therapie?
3.4 Zusammenfassung

4. Das Paderborner Modell der Lauftherapie
4.1 Entstehung und Entwicklung aus der Praxis
4.1.1 Grundannahmen, Fakten und Schlussfolgerungen
4.1.2 Beobachtungen aus der Praxis
4.2 Die sieben Bausteine der praktischen Lauftherapie

5. Einsatzmöglichkeiten des Laufens in therapeutischen und sozialpädagogischen Zusammenhängen
5.1 Laufen in therapeutischen Zusammenhängen - Laufen gegen Depressionen
5.2 Laufen in sozialpädagogischen Zusammenhängen

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Der Mensch verändert seinen Lebensstil innerhalb kürzester Zeit radikal. Vom Jäger und Sammler, der sich zum Zwecke der Existenzsicherung ständig ausdauernd in Bewegung befindet, hin zum körperlich inaktiven Müßiggänger, der ein Leben im Überfluss führt. Seine Gene hingegen sind nach wie vor auf ein Leben in Bewegung programmiert.

„Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft!“ Dieses Zitat des dreifachen Olympiasiegers im Langstreckenlauf, Emil Zatopek, veranschaulicht auf ebenso einfache wie prägnante Art und Weise das, was der Mensch tatsächlich ist: ein „Lauftier“ (Steffny 2006, 10). Er ist von Natur aus zum Laufen geboren, sein Körper ist in seinen ganzen Proportionen darauf hin ausgerichtet (Weber 1999, 16).

Somit überrascht es nicht, dass das Laufen als „herausgehobene Form des Kulturmenschen in der westlichen Kultur“ (Marlovits 2006, 24) seit Jahrtausenden nachweisbar ist, als Massenbewegung etabliert es sich dort allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (ebd.). Mittlerweile geht man in Deutschland von etwa 17 Millionen Läufern aus (Bartmann 2005, 15).

Es stellt sich die Frage, was diese enorme Zahl von Menschen dazu treibt, ihre kostbare Zeit freiwillig dem Laufen zu widmen, sind doch Gründe der Existenzsicherung für sie irrelevant. Gefragt nach ihren Motiven geben Läufer/innen an, das Laufen mache sie gesund, halte sie jung, mache sie fit und frei. Es steigere das Wohlbefinden, die Ausgeglichenheit und Ruhe, zugleich gewinne man aber eben auch an Kraft und werde aktiviert. Das Laufen biete ihnen die Option, sich zu verändern, „Körper und Seele einer radikalen Metamorphose zu unterziehen“ (Marlovits 2006, 115). Es ist festzuhalten, dass keiner anderen Sportart so mannigfache Einwirkungen auf Körper, Geist und Seele zugesprochen wird, wie dem Laufen.

Diese Aussagen machen deutlich, welche enormen Potentiale das Laufen in sich birgt, und es liegt nahe, sich zu fragen, inwiefern sich das Laufen unter therapeutischen Gesichtspunkten anwenden lässt, gar ein eigenständiges Therapiemodell darstellt und wie es sich unter diesen Umständen gegebenenfalls in die sozialpädagogische und therapeutische Praxis integrieren lässt.

Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen befasst sich der der Einleitung folgende Teil zunächst mit der Klärung der Begriffe „Laufen“ und „Therapie“. Über einen kurzen historischen Abriss zum Laufen kommt die Arbeit zu der Fragestellung, welche konkreten positiven Auswirkungen das Laufen auf die Psyche und den Körper des Menschen hat, und wie diese zu erklären sind. Außerdem ist untersucht, inwiefern sich das Laufen als Heilmittel eignet beziehungsweise eine eigenständige Therapie darstellt. Gleichwohl wird auf die möglichen Gefahren des Laufens eingegangen, speziell auf die Überlegung, ob so etwas wie eine Laufsucht existiert. Anschließend ist mit dem Paderborner Modell der Lauftherapie nach Weber ein konkretes Konzept des therapeutischen Laufens vorgestellt. Sowohl seine Entstehung und Entwicklung als auch die einzelnen Bausteine der praktischen Lauftherapie sind erörtert. Um einen möglichen Nutzen der Lauftherapie für die therapeutische und sozialpädagogische Praxis herauszustellen, sind nachfolgend die Einsatzmöglichkeiten der Lauftherapie in diesen Zusammenhängen aufgezeigt und näher erläutert. Über ein abschließendes Fazit und die möglichen Perspektiven der Lauftherapie schließt die Arbeit dann mit einer persönlichen Selbstreflexion des Verfassers.

Anzumerken bleibt, dass ein gendersensibler Umgang mit dem Text vorausgesetzt wird, der dort aus Gründen der Lesbarkeit nicht explizit seinen Ausdruck findet.

1. Begriffserklärungen

Um den nachfolgenden Themenkomplex eingehend zu beleuchten, sind zunächst die beiden grundlegenden Begriffe Laufen und Therapie jeweils anhand einer Definition und einer sich daran anschließenden kurzen Ausführung konkretisiert.

1.1 Laufen – eine Definition

Unter Laufen wird eine Fortbewegungsart verstanden, die sich mit schnellen Schritten und leicht springend vollzieht. Im Gegensatz zum Gehen berühren dabei nie beide Füße gleichzeitig den Boden (vgl. Prochnow 2004, 73).

Wie von Steffny (2006) dargestellt, bedient sich der Körper zweier unterschiedlicher Energiegewinnungsprozesse, um die für das Laufen benötigte Muskulatur mit ausreichend Energie zu versorgen. Je nach Belastungsintensität greift er entweder auf die aerobe oder auf die anaerobe Energiebereitstellung zurück. Das Laufen in einem Tempo, in dem die benötigte Energie unter dem Verbrauch von Sauerstoff bereitgestellt wird, wird als aerobes Laufen bezeichnet. Diese Form des Laufens, in der Literatur oftmals auch als Jogging bezeichnet (vgl. Bartmann 2005, 14), beschreibt den lockeren Dauerlauf ohne das durch zu hohes Tempo provozierte Auftreten von Atemnot. Der über die Atmung zugeführte Sauerstoff reicht in diesem Fall aus, um den Sauerstoffverbrauch des Körpers zu decken. So ist es dem Läufer möglich, von mehreren Minuten bis hin zu einigen Stunden durchgehend zu laufen. Im Gegensatz dazu steht das anaerobe Laufen. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Energiegewinnung hier weitestgehend ohne den Verbrauch von Sauerstoff abläuft. Das Tempo des Läufers ist so hoch, dass er dabei außer Atem kommt und somit dem Körper nicht mehr ausreichend Sauerstoff zur Verfügung stellen kann. Dies bewirkt, dass sich in den Muskeln des Läufers eine überdurchschnittlich hohe Konzentration des Stoffwechselabbauproduktes Laktat ansammelt. Der zur Energiegewinnung notwendige chemische Prozess wird hierdurch behindert, was dazu führt, dass es nach etwa ein bis zwei Minuten zu einem Leistungsabbruch kommt. Ein Kurzstreckensprinter, der beispielsweise einen 400-m-Lauf absolviert, läuft im anaeroben Bereich.

Soweit nicht anders vermerkt, meint der Begriff Laufen in dieser Arbeit grundsätzlich das aerobe Laufen, also den Dauerlauf in einem Tempo, in dem sich der Läufer noch problemlos unterhalten kann, ohne dabei außer Atem zu kommen.

1.2 Der Therapiebegriff

Der aus dem Griechischen stammende Begriff Therapie meint das Behandeln von Krankheiten beziehungsweise die Maßnahmen zur Heilung einer Krankheit (vgl. Pschyrembel 1998, 1562).

Je nach Krankheitsbild geschieht dies durch unterschiedliche Therapeuten und dementsprechend unterschiedliche Behandlungsformen. Liegt beispielsweise eine körperliche Erkrankung vor, so therapiert ein Chirurg diese möglicherweise durch einen operativen Eingriff (vgl. Reiche 2003, 313), während ein Psychologe beim Vorliegen einer seelischen Erkrankung gegebenenfalls versuchen wird, durch Gespräche mit dem Patienten auf diesen einzuwirken und ihn zu therapieren (vgl. Schmidtbauer 2001, 202).

Allen Therapieformen ist allerdings gemein, dass es sich dabei um Interventionen handelt, die auf das Leben von Menschen gerichtet sind und Veränderungen herbeiführen sollen (vgl. Zimbardo 1995, 657).

Mittlerweile existiert eine ungezählte Vielfalt an Therapieangeboten, wobei es einer Mehrzahl an wissenschaftlichen Belegen für ihre Wirksamkeit, sowie einer klaren Aussage darüber, für welches Leiden sie vorgesehen sind, mangelt (vgl. Bartmann 2005, 77). Um zu untersuchen, ob ein Therapieverfahren wissenschaftlichen Anforderungen standhalten kann, entwickelt Bartmann (1989) ein Prüfschema, das die wesentlichen Kriterien für eine wissenschaftliche Therapie beinhaltet. Ausführlich beschrieben findet dieses im weiteren Verlauf der Arbeit seine Verwendung, wenn untersucht wird, ob das Laufen als eine wissenschaftliche Therapie betrachtet werden kann (vgl. 3.3).

Um herauszustellen, welchen Stellenwert Laufen im Leben des Menschen und den damit einhergehenden Aspekten hat, ist es jedoch zunächst von Bedeutung, die Geschichte und die Entwicklungslinien des Laufens im folgenden Kapitel eingehend zu beleuchten.

2. Geschichte und Entwicklungslinien des Laufens

2.1 Historische Entwicklungen

Das Laufen selbst stellt kein neues Phänomen dar, es ist die ureigenste Bewegungsform des Menschen. Seine Geschichte ist so alt, wie die Menschheit selbst.

Die wohl bedeutsamste Funktion des Laufens liegt in der Notwendigkeit begründet, die eigene Existenz zu sichern. So ist der Mensch in den Jahrmillionen seiner Entwicklung beim Jagen, Sammeln, auf der Flucht oder zum Übermitteln von Informationen auf seinen Beinen unterwegs. Um beispielsweise verwilderten Tieren nachzustellen und sie dann im erschöpften Zustand einzufangen, bedarf es einer enormen Ausdauerleistung. Dies lässt sich daran ablesen, dass der tägliche Aktionsradius des Urmenschen um die vierzig Kilometer betragen haben soll (vgl. Steffny 2006, 10). Diese Ermüdungsläufe sind in vielen Kulturen nachweisbar. Noch heute zeugen zahlreiche Fels- und Höhlenbilder in Frankreich, Spanien und Südafrika davon (vgl. Marlovits 2006, 25).

Über die Funktion der Existenzsicherung hinaus, ist das Laufen auch in kultischen Handlungen integriert. So entwickelt der Indianerstamm der Tarahumaras, der in der Sierra Madre auf einer Höhe von etwa 2300 Metern lebt, ein kultisches Laufspiel, das als Fruchtbarkeitsritus zu verstehen ist. Als Bestandteil von Volksfesten tragen einzelne Dörfer dort Mannschaftswettkämpfe auf einer Rundstrecke aus (vgl. Lutz 1989, 9). Sowohl um einer Gottheit ein Opfer zu bringen, als auch um ihre Dienstbereitschaft und Dienstfähigkeit unter Beweis zu stellen, pflegen in Ägypten die Pharaonen den Langlauf (vgl. Bartmann 2005, 15). Auch die europäischen Völker üben Läufe mit kultischem Charakter aus. So führen Bauern aus dem österreichischen Kärnten Osterläufe durch, die über vier 500 Meter hohe Berge führten und 40 Kilometer lang sind. Noch heute sind auf diesen Bergen kultische Heiligtümer nachweisbar (vgl. Lutz 1989, 10).

Neben der Jagd und als Bestandteil kultureller Akte findet das Laufen auch als Möglichkeit zur Nachrichtenübermittlung Verwendung. So sind zivile und militärische Meldeläufer in griechischen, persischen und römischen Überlieferungen erwähnt und Vertreter dieses Berufsstandes finden noch bis in das 19. Jahrhundert Anstellungen in Indien und Japan (ebd.). Der wohl bekannteste Nachrichtenläufer ist Philippides, der die Botschaft vom Sieg der Griechen über die Perser mit einem längeren Lauf von Marathon nach Athen überbringt, jedoch unmittelbar nach Überbringung der glücklichen Nachricht vor Erschöpfung zusammenbricht und stirbt (vgl. Marlovits 2006, 26).

Wie Lutz (1989, 10ff) in seiner Veröffentlichung ausführt, sind Botenläufer in Mitteleuropa bis in das 14. Jahrhundert nachweisbar. So verfügen bedeutende Politiker und sonstige Mächtige über eigene Nachrichtenläufer. So entsteht das Berufsbild des Läufers, das sich im 16. Jahrhundert in Mitteleuropa fest etabliert. Allerdings werden sie aufgrund des im 17. Jahrhunderts aufkommenden Post- und Nachrichtenwesens in dieser Funktion immer weniger benötigt, so dass sie schließlich zu einem Großteil arbeitslos sind. Einige von ihnen kommen bei Adeligen unter, die sich so genannte „Vorläufer“ hielten. Ihre Aufgabe ist es, vor den Kutschen ihrer Herren zu laufen, um den Zustand der Straßen zu überprüfen oder in den Städten durch lautes Rufen für Platz zu sorgen. Zusätzlich lassen viele Adelige ihre Läufer gegeneinander in Wettkämpfen antreten, um ihrer Wettleidenschaft zu frönen. Durch die Aufklärung und die sich daran anschließenden bürgerlichen Revolutionen werden die herrschaftlichen Läufer jedoch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verboten, so dass sie sich wiederum ein neues Betätigungsfeld suchen müssen. Dieses finden sie darin, auf Jahrmärkten Kunst-, Schau- oder Schnellläufe zu bestreiten, also beispielsweise eine bestimmte Strecke in einer vorher festgelegten Zeit zurückzulegen, gegen Pferde anzutreten oder auf Stelzen zu laufen. Da das Publikum jedoch schnell an diesen Attraktionen sein Interesse verliert, verschwindet auch diese Form der Existenzsicherung bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Fortan verdienen einige wenige Läufer ihr Geld damit, gegen die Uhr zu laufen, um neue Bestleistungen und Rekorde aufzustellen. Als Gegenpol dazu bildet sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Hamburger Sportklub ein Komitee, dessen Ziel es ist, sich von den professionellen Läufern abzugrenzen und den Amateurgedanken zu formen. Vermehrt treten Laufwettbewerbe in Erscheinung, bei denen es kein Geld zu verdienen gibt, sondern lediglich die Ehre des Siegens im Vordergrund steht. Diese Entwicklung verstärkt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch und weitere ebenso vielfältige wie bedeutsame Entwicklungslinien sind erkennbar.

2.2 Laufen in der Moderne

Bisher liegt die Funktion des Laufens überwiegend in der Existenzsicherung oder in einer kultischen Handlung. Dies ändert sich in der Moderne und das Laufen erfüllt neue Funktionen im Alltag des Menschen.

Der Sportwissenschaftler Carl Diem gründet 1907 eine erste Laufgemeinschaft, ein Vorläufer des heute bekannten Lauftreff (vgl. Bartmann 2005, 14). Vierzig Jahre später bewirbt der Mediziner Ernst van Aaken als einer der Ersten in Deutschland den langsamen Dauerlauf als therapeutische und präventive Methode der Alternativmedizin (ebd.).

In den sechziger Jahren verstärkt sich die in Deutschland bereits aufkeimende Laufbewegung, was sich beispielsweise dadurch bemerkbar macht, dass Otto Hosse 1963 in Bobingen den ersten Volkslauf veranstaltet, an dem jedermann, unabhängig von einer Vereinszugehörigkeit, teilnehmen kann (vgl. Steffny 2006, 12). Das Laufen stellt somit eine neue Wettbewerbsform dar, wobei die Teilnehmer je nach Alter und Geschlecht in spezielle Altersklassen eingeteilt werden. Ziel ist es, eine Art Familienfest zu veranstalten.

Zu Beginn der siebziger Jahre startet der Deutsche Sportbund die Aktion „Trimm Dich“, die als Kampfansage gegen die allgemein vorherrschende Bewegungsarmut zu verstehen ist (vgl. Lutz 1989, 19). Ein groß angelegter Werbefeldzug animiert die Menschen, etwas für ihre Gesundheit zu tun.

Im März 1974 gründet Enzio Busche in Dortmund den ersten offiziellen Lauftreff (vgl. Steffny 2006, 12). Läufer der Umgebung versammeln sich mehrmals in der Woche, um in verschiedenen Leistungsgruppen ihrer Leidenschaft nachzugehen. Im Vordergrund stehen neben der gemeinsamen Vorbereitung auf Wettkämpfe der körperliche und geistige Ausgleich sowie das gesellschaftliche Miteinander. Im Herbst 1975 existieren in der Bundesrepublik Deutschland 500 Lauftreffs, im Jahr 1983 bereits über 1900. Mittlerweile gibt es in Deutschland 3500 Lauftreffs innerhalb des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und unzählige, nicht offiziell erfasste Lauftreffs außerhalb des DLV (vgl. Bartmann 2005, 15).

In den USA steigt die Anzahl der Läufer innerhalb von nur zehn Jahren ebenfalls rapide an. Geht man 1974 noch von zwei Millionen Läufern aus, sind es 1984 bereits über 28 Millionen Läufer (vgl. Bartmann 2005, 15). In Deutschland geht man aktuell von etwa 17 Millionen Läufern aus (ebd.).

Es stellt sich die Frage, was diese auffallend große Zahl an Menschen dazu bewegt, regelmäßig zu laufen, hat sich das Laufen doch seiner existenzsichernden Funktion weitestgehend entledigt und dient nur noch einigen wenigen professionellen Spitzensportlern zur Sicherung ihres Lebensunterhalts.

Zahlreiche Studien zu den Wirkungen des Laufens lassen unterschiedliche Laufmotive zum Vorschein kommen (vgl. Marlovits 2006, 31). Auf der körperlichen Ebene reichen diese von dem Versuch der Gewichtsabnahme bis hin zur Linderung verschiedenster körperlicher Erkrankungen. Der Abbau von Stress und die damit verbundene Ausgeglichenheit werden auf der psychischen Ebene als Hauptmotiv zum Laufen angegeben.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Befragten die gesundheitsfördernde und wohltuende Wirkung des Laufens hervorheben und sich allerlei Heilsames davon versprechen.

Welche Wirkungen das Laufen auf der körperlichen und psychischen Ebene hat, ist unter der Berücksichtigung der Gefahren, die es in sich birgt, im nachfolgenden Teil der Arbeit genauer untersucht und anschließend überprüft, ob sich das Laufen als Therapeutikum eignet oder als solches abzulehnen ist.

3. Laufen – Sucht oder Heilmittel?

Dem Laufen wird ein breites Spektrum von heilsamen Wirkungen nachgesagt. Welchen konkreten Einfluss es auf den Körper und die Seele des Menschen hat, stellen die nachfolgenden Ausführungen heraus.

Die körperlichen Auswirkungen des Laufens lassen sich anhand physiologischer und anatomischer Gegebenheiten hinreichend erklären, Erklärungen für die Auswirkungen auf die Psyche hingegen sind nicht eindeutig. Daher sind einige physiologische wie auch psychologische Erklärungsansätze vorgestellt, die Begründungsmöglichkeiten für die positiven Effekte durch das Laufen auf die Psyche des Menschen bieten.

Aber auch eventuelle negative Auswirkungen des Laufens auf Körper und Seele des Menschen bleiben nicht unberücksichtigt und sind näher untersucht.

Abschließend ist in diesem Kapitel geklärt, ob sich das Laufen unter Berücksichtigung aller zuvor herausgestellten Aspekte als eine eigenständige Therapie eignet.

Anzumerken bleibt, dass sich die jeweiligen Effekte nur durch regelmäßiges Laufen erzielen lassen. Regelmäßiges Laufen bedeutet, dass für das Laufen wöchentlich mindestens zwei Stunden aufzubringen sind. Diese zwei Stunden Laufzeit sind eine notwendige, aber auch hinreichende Bedingung für die nachhaltige Förderung der körperlichen und psychischen Gesundheit, wobei es zu beachten gilt, dass sie auf drei bis vier Tage in der Woche verteilt sind (vgl. Weber 2000, 1).

3.1 Laufen als Heilmittel

3.1.1 Physische Auswirkungen des Laufens

Um die positiven Auswirkungen des Laufens auf die körperliche Gesundheit herauszustellen, sind zunächst einige ausgewählte Organe und Systeme des menschlichen Körpers kurz in ihrer Funktionsweise erläutert. Im Anschluss daran ist beschrieben, wie sich das Laufen auf bestimmte körperliche Erkrankungen beziehungsweise auf die Risikofaktoren für körperliche Erkrankungen auswirkt.

Die nachfolgenden Beschreibungen und Erkenntnisse beziehen sich auf die Ausführungen von Froböse (2006, 29-56), der sich unter der Verwendung zahlreicher Studien und Untersuchungen ausführlich mit den körperlichen Auswirkungen des Laufens auseinander setzt.

3.1.1.1 Positive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit

Das Herz ist das zentrale Organ im Blutversorgungssystem und auch der bestdurchblutete Muskel im menschlichen Körper. Im Ruhezustand pumpt es etwa 60 bis 90mal pro Minute, wohingegen es unter Belastung in der Lage ist, über 200mal pro Minute zu schlagen.

Jeder Herzschlag pumpt Blut über zwei Kreisläufe in den Körper. Im Lungenkreislauf wird das Blut mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff angereichert und über den Körperkreislauf gelangt das sauerstoffreiche Blut zu den Organen.

Es werden zwei aufeinander folgende Phasen bei der Herztätigkeit unterschieden. Die Anspannungsphase (Systole) beschreibt die Ausstoßphase des Blutes aus dem Herzen und die Entspannungsphase (Diastole) beschreibt sowohl den Rückfluss des Blutes in das Herz als auch die Ruhephase des Herzens, bevor dann wiederum die nächste Anspannungsphase folgt.

Die Hauptaufgabe des Herzens liegt also darin, die Organe mit Blut zu versorgen, das diese wiederum mit lebenswichtigen Stoffen versorgt. Da das Herz ein Muskel ist, kann seine Kraft durch Bewegungsmangel deutlich nachlassen, was zu den verschiedensten Erkrankungen führen kann.

Durch Laufen kann dieser Entwicklung vorgebeugt werden, da es die Leistungsfähigkeit dieses Muskels trainiert. So kann der Ruhepuls beispielsweise von 80 auf 60 Schläge pro Minute absinken. Das bedeutet, dass das Herz pro Minute 20 Schläge weniger benötigt, um dieselbe Menge Blut in den Kreislauf zu pumpen. Hochgerechnet auf eine Stunde benötigt das Herz somit 1200 Herzschläge weniger, woran sich eine deutliche Steigerung der Effizienz der Herzarbeit ablesen lässt, die auch durch die kurzfristige Erhöhung der Herzfrequenz während des Laufens in der Endabrechnung nicht geschmälert wird. Das Herz wird durch das Laufen also stärker und ist somit in der Lage, pro Schlag mehr Blut durch den Körper zu pumpen. Zusammenfassend lassen sich vielfältige positive Effekte auf die Herzarbeit festhalten. So ist das Herzschlagvolumen vergrößert, die Herzschlagfrequenz reduziert, die Durchblutung des Herzens verbessert und der Herzmuskel gekräftigt.

Auch das Immunsystem ist durch das Laufen beeinflussbar. Der Körper ist Tag für Tag den verschiedensten Fremdstoffen und Krankheitserregern ausgesetzt, die von außen auf ihn eindringen. Das Immunsystem hat die Funktion, diese abzuwehren, aber auch krankhaft veränderte körpereigene Zellen zu erkennen und zu beseitigen. Ist das Immunsystem geschwächt, sind Krankheitserreger in der Lage, die verschiedensten Erkrankungen im Körper des Betroffenen auszulösen.

Das Laufen bewirkt, dass sich die Anzahl der körpereigenen Abwehrzellen erhöht und diese schneller mobilisiert und aktiviert werden. Diese Stimulation hat zur Folge, dass der Körper deutlich resistenter gegen krankhafte Entwicklungen sowie äußere Angriffe durch Bakterien und Viren ist. Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, dass das Immunsystem durch das Laufen trainiert wird und die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten schwindet.

Des Weiteren hat das Laufen positive Auswirkungen auf das Hormonsystem. Hormone sind chemische Botenstoffe, die die Aufgabe haben, im Körper alle wichtigen Funktionen und Bereiche wie Stoffwechsel, Wachstum, Psyche, Fortpflanzung etc. zu koordinieren. Sie kommunizieren in einem komplexen Netzwerk miteinander und regulieren sich gegenseitig in ihren vielschichtigen Wirkungen. Das Hormongleichgewicht kann allerdings durch zu viele störende Faktoren, wie beispielsweise Stress und ungesunde Ernährung, aus der Bahn geraten und dies hat einen Leistungsabfall zur Folge.

Durch Laufen werden bestimmte hormonelle Systeme aktiviert, die für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Körpers zuständig sind. Dieser Effekt ist sowohl während als auch nach der Belastung feststellbar und führt dazu, dass sich das Hormonsystem auf diese Belastungsreize einstellt und sich entsprechend anpasst.

Die durch das Laufen verbesserte Regulierung des Hormonhaushalts ist besonders für Frauen nach den Wechseljahren von Bedeutung. Die Knochendichte nimmt normalerweise nach dem 30. bis 40. Lebensjahr durchschnittlich um bis zu 0,5 Prozent im Jahr ab. Bei Frauen kann es jedoch durch den Wegfall des Hormons Östrogen nach den Wechseljahren zu einer wesentlich deutlicheren Störung des Knochenstoffwechsels und folglich zu einer schneller voranschreitenden Abnahme der Knochendichte kommen. Dies wiederum kann zu Brüchen am Skelettsystem führen. Ein durch regelmäßiges Laufen stabilisiertes Hormonsystem sorgt dafür, dass die Knochendichte weniger abgebaut wird und wirkt somit dem Knochenabbau entgegen.

Festzuhalten bleibt, dass das Laufen eine Ökonomisierung des Hormonsystems herbeiführt und eine gezieltere und effizienter gesteuerte Hormonausschüttung erreicht wird.

Auch die Muskulatur weist positive Veränderungen durch das Laufen auf. Der Mensch besteht aus mehr als 600 Muskeln, deren Aufgabe es ist, ein Gerüst aus mehr als 200 Knochen zu stabilisieren und zu steuern. Die Muskulatu r muss zur Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit ständig beansprucht werden, andernfalls reduzieren sich ihr Umfang und ihre Kraft. So vermindert sich die Kraft der Muskulatur bei einer einwöchigen Inaktivität bereits um etwa 30 Prozent. Ist jemand beispielsweise durch einen Gipsverband gezwungen, die entsprechende Muskulatur vier Wochen ruhen zu lassen, ist mit einem Masseverlust der Muskulatur von bis zu 50 Prozent zu rechnen.

Dementsprechend ist es notwendig, die Muskulatur ständig zu trainieren, um ihre Leistungsfähigkeit und Funktion zu erhalten. Da die Muskulatur durch biologische Alterungsprozesse abnimmt, gilt dies insbesondere für ältere Menschen.

Regelmäßiges Laufen stärkt die Muskulatur, die infolgedessen den Gelenken mehr Halt und Stabilität gibt, so dass es weniger zu Verletzungen in diesem Bereich kommt. Weitere Effekte sind die verbesserten Stoffwechselprozesse innerhalb der einzelnen Muskeln sowie die gesteigerte Fähigkeit der Muskeln, koordinativ zusammenzuarbeiten.

3.1.1.2 Beeinflussung körperlicher Erkrankungen und Risikofaktoren

Nach den Ausführungen des letzten Abschnittes (vgl. S.14-17) steht fest, dass Laufen unmittelbar positiv unterschiedliche organische und systemische Faktoren des Körpers beeinflusst. Im Folgenden sind nun die Einflussmöglichkeiten des Laufens auf einige körperliche Erkrankungen und Risikofaktoren näher untersucht.

Die Technisierung und Automatisierung der Gesellschaft führt seit den letzten 50 Jahren zu einem deutlichen Lebensstilwandel in den industrialisierten Ländern. Durch die Abnahme körperlicher Aktivität und die übermäßige Aufnahme von Nahrungsmitteln steigt das Aufkommen an Übergewicht bis hin zur Adipositas kontinuierlich. Eine Studie des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2002 besagt, dass 49,7 Prozent der deutschen Männer und Frauen im Alter von 20 bis 74 Jahren übergewichtig oder adipös sind.

Festgelegt ist die Einteilung von Übergewicht beziehungsweise Adipositas nach dem Body Mass Index (BMI). Dieser wird zur Ermittlung der Körperfülle angewandt und errechnet sich über das Körpergewicht dividiert durch das Quadrat der Körpergröße in Metern (Formel: BMI = Körpergewicht/Körpergröße²). Zur Einordnung des entsprechenden Ergebnisses nach dem jeweiligen Geschlecht dient die Klassifikation des BMI der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) (vgl. S.18).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: BMI – Klassifikation (DGE) (Quelle: Froböse 2007, 33).

Auch in den USA macht sich eine dramatische Entwicklung bemerkbar. Sind im Jahr 1980 bereits 47,4 Prozent der 20 bis 74 jährigen Männer und Frauen übergewichtig beziehungsweise adipös, so steigt ihre Zahl im Jahr 1994 auf 56 Prozent und erreicht im Jahr 2000 einen Wert von 64,5 Prozent.

Insgesamt sprechen diese Zahlen für eine deutliche Zunahme von Übergewicht und Adipositas. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, sind doch diese Personen besonders stark einem erhöhten Risiko ausgesetzt, an Zivilisationskrankheiten wie Herzversagen, hohen Cholesterinwerten oder Bluthochdruck zu erkranken oder zu sterben. Des Weiteren ist ihre körperliche Leistungsfähigkeit enorm reduziert.

Durch regelmäßiges Laufen kommt es nach und nach zum Abbau von Fettgewebe, was als Folge die Blutfettwerte positiv beeinflusst und das Körpergewicht reduziert. Dieser Effekt ist natürlich auch durch andere Bewegungsformen erreichbar, allerdings werden beim Laufen mehr Kalorien in einer Stunde verbrannt, als dies bei vergleichbaren Sportarten der Fall ist. Bezogen auf den Kalorienverbrauch eines 80 Kilogramm schweren Menschen ergeben sich bei der Ausübung verschiedener Bewegungsformen folgende Werte pro Stunde zum Vergleich:

- Langsames Gehen (3 km/h) ca. 180 kcal/h;
- Zügiges Gehen (5 km/h) ca. 300 kcal/h;
- Walking (6,5 km/h) ca. 425 kcal/h;
- Laufen (10 km/h) ca. 650 kcal/h;
- Radfahren (15 km/h) ca. 400 kcal/h;
- Radergometer (100 Watt) ca. 450 kcal/h.

Es lassen sich also beim Laufen in der gleichen Zeit mehr Kalorien verbrennen, als dies bei den anderen aufgeführten Bewegungsformen der Fall ist. Dies betont die Effizienz dieser Bewegungsform bezüglich der Abnahme von Körpergewicht.

Als wichtige Eigenschaft bleibt demnach festzuhalten, dass es durch das Laufen zu einer Reduzierung des Fettgewebes im Körper kommt, was wiederum dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit abnimmt, an einer Folgererkrankung, wie beispielsweise einem Herzinfarkt, zu erkranken oder sterben.

In Deutschland sterben jährlich etwa 150000 Menschen an Herzversagen, wobei die Funktionen des Herzens in den meisten Fällen durch Krankheiten, wie Arteriosklerose oder eine Veränderung der Herzkammern, beeinträchtigt sind.

Unter Arteriosklerose ist eine Verengung oder Blockierung der Arterien durch fetthaltige Ablagerungen zu verstehen. Diese verlangsamen den Blutfluss und setzen die Leistungsfähigkeit des Herzens herab. Ist beispielsweise eine Herzkranzarterie, also ein Gefäß, das Nährstoffe und Sauerstoff zum Herzmuskel transportiert, durch Ablagerungen verengt, kann das Herz nicht mehr ausreichend versorgt werden, was im schlimmsten Fall einen Herzinfarkt zur Folge hat.

Das Laufen hat einen positiven Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System. Sowohl die gesteigerte Durchblutung der Herzkranzgefäße als auch die Optimierung der Blutzirkulation in den Lungen und den Muskeln sorgen für eine bessere Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr. Insgesamt sinkt somit das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden oder sich eine andere Herzerkrankung zuzuziehen.

Auch Bluthochdruck ist durch das Laufen positiv beeinflussbar. Die Medizin bezeichnet ihn als Hypertonie. Diese ist nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO ) definiert als Erhöhung des Blutdrucks auf mindestens 140 mmHg systolisch und/oder 90 mmHg diastolisch, sofern er mehrfach und kontrolliert in Ruhe gemessen wird. Der systolische Wert entspricht dem Druck, der entsteht, wenn sich das Herz zusammenzieht und das Blut in die Arterien pumpt, wohingegen der diastolische Blutdruck entsteht, wenn das Herz wieder erschlafft. Abb. 2 zeigt die Einteilung der Blutdruckwerte in Klassen beziehungsweise nach Schweregraden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Klassifizierung der Blutdruckwerte nach dem Schema der WHO (Quelle: Froböse 2007, 39).

Bluthochdruck gilt als eine der Ursachen für die Entstehung von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Etwa 20 Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter einem erhöhten Blutdruck, noch einmal 20 Prozent haben sehr hohe und kritische Werte. Bemerkenswert ist dabei, dass bei nur 10 bis 20 Prozent der Betroffenen ein genetischer Zusammenhang besteht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass den restlichen 80 bis 90 Prozent die Möglichkeit offen steht, etwas gegen ihren Bluthochdruck zu unternehmen.

Laufen verhindert Bluthochdruck oder schwächt ihn zumindest ab, so dass Folgeschäden, wie Schlaganfall oder Organschädigungen, vermieden werden. Regelmäßiges Laufen senkt sowohl den systolischen als auch den diastolischen Blutdruck um etwa 20mmHg. Diese positiven Effekte sind bereits nach drei Wochen zu erwarten. Allerdings ist bei bereits vorhandenen Schädigungen durch Bluthochdruck regelmäßig eine ärztliche Untersuchung erforderlich, um die Belastbarkeit des Erkrankten zu klären.

Auch ein Diabetes mellitus erfährt durch regelmäßiges Laufen eine Besserung. Darunter ist eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse und die damit einhergehenden Störungen des Zuckerstoffwechsels zu verstehen. Betroffen sind bestimmte Zellen der Bauchspeicheldrüse, die für die Produktion von Insulin verantwortlich sind. Die Folge ist, dass entweder kein oder zu wenig Insulin gebildet wird.

Insulin ist ein Hormon, das dafür sorgt, dass die Zellen des Körpers den im Blut befindlichen Zucker aufnehmen und zur Energiebereitstellung nutzen. Besteht ein Mangel an Insulin, führt dies zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels und zu Stoffwechselstörungen in den Zellen. Als Folge davon treten kurzfristig Stoffwechselentgleisungen oder sogar komatöse Zustände auf. Langfristig treten Veränderungen an den Blutgefäßen auf, insbesondere an denen der Augen, der Nieren und der Beine. Ebenso sind Schädigungen an der Haut und an den Nerven nachgewiesen.

Neben einer angepassten Ernährung führt körperliche Aktivität in Form von Laufen zu einer Besserung des Krankheitsbildes. Die vermehrte Muskelarbeit hat einen positiven Einfluss auf die Stoffwechselsituation des Körpers, so dass der Blutzuckerspiegel sinkt. Auch wird eine erhöhte Insulinsensitivität erreicht, was zu einer effizienteren Energiestoffwechselsituation führt.

Auch auf bei der Vor- und Nachsorge von Krebserkrankungen zeigt das Laufen günstige Effekte. Wie bereits in Kapitel 3.1.1.1 (vgl. S.15) aufgeführt, dient das Immunsystem in erster Linie zur Abwehr von Krankheitserregern, die von außen auf den Körper einwirken. Aber auch krankhaft veränderte körpereigene Zellen, wie sie bei Krebserkrankungen auftreten, werden erkannt und beseitigt.

Da Laufen das Immunsystem stärkt, ist es unter anderem in der Vor- und Nachsorge von Krebserkrankungen von Bedeutung. So können Frauen durch regelmäßiges Laufen ihr Brustkrebsrisiko deutlich reduzieren. Auch der Entstehung von Darmkrebs kann entgegengewirkt werden. Bereits an Krebs erkrankte Patienten berichten von einer deutlichen Zunahme ihres Wohlbefindens und ihrer Leistungsfähigkeit. Dies wird als ein besonders angenehmer Nebeneffekt während der medikamentösen Therapie empfunden. Auch in der Rehabilitation von krebserkrankten Patienten lässt sich durch den Einsatz des Laufens eine temporär verbesserte Abwehrlage nachweisen.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass regelmäßig betriebenes Laufen ein breites Spektrum von heilsamen Wirkungen auf den Körper hat und neben anderen Maßnahmen, wie beispielsweise einer medikamentösen Therapie oder einer Ernährungsumstellung, in der Lage ist, Krankheitsverläufe positiv zu beeinflussen.

Da körperliche und psychische Prozesse in vielfältigen Wechselwirkungen stehen, hat eine Verbesserung der körperlichen Befindlichkeit in der Regel auch eine Wirkung auf die Psyche des Menschen zur Folge. Im Umkehrschluss hat auch die psychische Befindlichkeit körperliche Auswirkungen (vgl. Bartmann 2005, 17).

Nachfolgend sind die psychischen Effekte des Laufens herausgestellt und es wird untersucht, welche Erklärungsansätze es, sowohl auf der physiologischen Ebene wie auch aus der psychologischen Sichtweise, für ihre Wirkungen gibt.

3.1.2 Psychische Effekte des Laufens

In der Psychologie steht der Begriff „Psyche“ für die Gesamtheit des Bewussten und Unbewussten und ist grundsätzlich gegensätzlich zum Körper. Unter dem Begriff „psychisch“ sind alle mehr oder weniger bewussten Prozesse des Erlebens wie Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Wollen zu verstehen, aber auch die Prozesse der unbewussten Verarbeitung von Erlebtem (vgl. Häcker/Stapf 2004, 742).

Schlaf beinhaltet sowohl körperliche als auch psychische Anteile und ist somit ein psychophysiologischer Vorgang. Seine Bedeutsamkeit wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der Mensch etwa ein Drittel seines Lebens schlafend verbringt. Dies ist notwendig, um die körperlich-seelische Leistungsfähigkeit im Wachzustand zu sichern und in der Folge Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten.

Fehlt dem Menschen ein ausreichender Schlaf über einen längeren Zeitraum, sinkt sowohl die körperliche Leistungsfähigkeit als auch die Belastbarkeit psychischer Funktionen und es kommt beispielsweise zu Gereiztheit und Unkonzentriertheit (vgl. Bartmann 2005, 33).

Unterschieden werden müssen die Ursachen für ein Schlafdefizit. Entsteht ein Schlafmangel durch eine unzureichende Zeitplanung, so bedarf es einer Änderung dieses Zeitplanes, um das Problem zu beheben. Manche Menschen geben jedoch an, nicht schlafen zu können, also unter Ein- und/oder Durchschlafstörungen zu leiden, was über einen längeren Zeitraum gesehen zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führt. Problematisch ist auch der oftmals damit einhergehende Gebrauch von Schlaf- und Beruhigungsmitteln, der sich im schlimmsten Falle zu einem Missbrauch bis sogar zu einer Abhängigkeit entwickelt (ebd.).

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen belegt, dass Laufen Schlafstörungen abbaut. So führt Bartmann (ebd., 34) eine Untersuchung von Folkins, Lynch & Gardner (1972) an. Diese vergleichen in einem Zeitraum von 16 Wochen 42 Studenten, die zweimal wöchentlich laufen, mit 42 Studenten, die an einem Kurs Golfen und Bogenschießen teilnehmen. Das Laufprogramm beginnt mit einem Wechsel aus Gehen und Laufen und steigert sich bis zu einem zusammenhängenden Lauf von 30 Minuten. Die Läufer zeigen am Ende des Kurses einen deutlich verbesserten Schlaf, wohingegen in der Vergleichsgruppe keine signifikanten Verbesserungen des Schlafes nachweisbar sind. Auch Grell (1999; in: Weber 1999, 55) kommt zu dem Schluss, dass regelmäßiges Laufen zu einer Verbesserung der Schlafqualität führt und nach einiger Zeit Schlafstörungen behebt.

Trotz aller positiven Effekte, die das Laufen auf den Schlaf hat, gilt es zu beachten, dass der Körper erst lernen muss, nach einer physischen Anstrengung kurzfristig zu tieferer Ruhe zu kommen. So kommt es vor, dass jemand, der bis dato sportlich inaktiv ist und mit dem Laufen beginnt, in den ersten zwei bis drei Wochen vorübergehend unter Schlafstörungen leidet, besonders wenn er abends läuft (vgl. Bartmann 2005, 35). Auch bei einem über Jahre hinweg trainierten Läufer kommt es durch zu viel oder zu intensivem Training zu Schlafproblemen, wobei sich hier keine allgemein verbindlichen Grenzwerte festlegen lassen (vgl. Prochnow 2004, 149).

Ingesamt ist jedoch festzuhalten, dass moderates Laufen die Schlafqualität positiv beeinflusst und die Möglichkeit bietet, ohne den Gebrauch von chemischen Hilfsmitteln, wie beispielsweise Alkohol oder Medikamenten, zu einem gesunden und erholsamen Schlaf zu kommen.

Stress ist durch das Laufen ebenfalls positiv beeinflusst. Unter Stress wird eine Reaktion des Organismus aufgrund einer besonderen körperlichen oder psychischen Anspannung verstanden, bei der die Hormone Adrenalin und Noradrenalin in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden. Sie bewirken, dass das Herz schneller und kräftiger arbeitet, der Blutdruck steigt, die Luftwege erweitert sind, die Muskulatur vermehrt durchblutet ist und die Energiereserven freigesetzt werden (vgl. Bartmann 2005, 36).

Als körperliche Stress-Reize (Stressoren) sind etwa Hitze, Kälte, Hunger, Vergiftungen, Infektionen und Verletzungen zu nennen. Stressoren auf der seelischen Ebene sind beispielsweise Prüfungsangst, Arbeitslosigkeit oder der Tod eines Angehörigen (vgl. Schmidbauer 2001, 229).

Im Gegensatz zum positiven Stress (Eustress), der durchaus aktivierend wirkt und nicht schädigt, ist der negative Stress (Distress) belastend und langfristig krankmachend. Er führt zu Symptomen wie Herzstechen, Schlaflosigkeit, Schwitzen und feuchten Händen, Nervosität und Unruhe, Kopfschmerzen, Potenzstörungen, Verdauungs- und Kreislaufbeschwerden (vgl. Strunz 2006, 21).

Wie Menschen mit Stresssituationen umgehen, ist sehr unterschiedlich. So sind die körperlichen und seelischen Reserven, die sie in Stress-Situationen einsetzen, um ihr körperliches und seelisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, individuell unterschiedlich ausgeprägt (vgl. Schmidbauer 2001, 229).

Wie zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, stellt Laufen eine Möglichkeit zur Stressbewältigung dar und hat sich als gleichwertig zu so genannten Stressimpfungsprogrammen erwiesen. Darunter sind von der psychologischen Forschung entwickelte Programme zu verstehen, die den Menschen unempfindlicher gegenüber Stress machen. Bartmann (2005, 37) verweist in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung von Long (1984), der in seinem Experiment 48 Frauen und 25 Männer in drei Versuchsgruppen aufteilt. Die erste Versuchsgruppe läuft, die zweite nimmt an einem Stressimpfungsprogramm teil, während die dritte als Kontrollgruppe keinerlei Behandlung erhält. Die Ergebnisse zeigen, dass das Laufen die Stressbelastung ebenso effektiv reduziert wie ein Stressimpfungsprogramm, wohingegen die Kontrollgruppe keine Besserung in der Stressbewältigung zeigt.

Das Laufen ermöglicht eine Spannungsregulation und den Ausgleich bei akuten Stresszuständen (vgl. Höhmann 2002, 114). Die freigesetzten Energien werden körperlich abgearbeitet, wodurch sich das physiologische Gleichgewicht schnell wiederherstellt (vgl. Bartmann 2005, 37).

Allerdings muss auch beim Laufen zwischen Eustress und Distress unterschieden werden. So stellt das langsame Laufen in einem Zeitrahmen von 30 bis 60 Minuten laut Bartmann (ebd., 36) einen positiven Stress dar, wohingegen der Organismus bei einem über 42 Kilometer langen Marathonlauf oder etwa einem 100 Kilometer langen Ultralauf einem negativen Stress ausgesetzt wird, der dazu führt, dass das Immunsystem überfordert wird und demzufolge anfällig für Infektionen ist, anstatt gestärkt zu werden (vgl. S.15).

Generell lässt sich aber festhalten, dass durch Laufen die Fähigkeit verbessert wird, Stress zu verkraften und mit ihm umzugehen. Laufen stellt also eine spannungsreduzierende Bewältigungsstrategie dar, die psychischen und physischen Folgeschäden von Stress vorbeugt.

Auch das Wohlbefinden nimmt durch Laufen zu. Unter Wohlbefinden wird, über die Abwesenheit von Krankheiten oder Beschwerden hinaus, ein Gefühl körperlicher und seelischer Ausgeglichenheit verstanden (vgl. Bartmann 2005, 38).

Zahlreiche Studien belegen, dass Laufen zu einer Verbesserung des Wohlbefindens führt, wobei sich diese nicht nur während des Laufens vollzieht, sondern darüber hinaus in alle Lebensbereiche ausstrahlt. Läufer sind bei der Arbeit, unter Freunden oder während anderer Freizeitaktivitäten deutlich zufriedener (vgl. Fiegenbaum 1987, 287).

Insbesondere im Bereich der Arbeitszufriedenheit wird seit einigen Jahren intensiv rund um den Begriff des „Burn-Out-Syndroms“ geforscht. Dieses „Ausbrennen“ ist vor allem bei Berufstätigen in sozialen Arbeitsbereichen feststellbar, die in dauernden Gefühlen der Überforderung und in einem unbefriedigenden Verhältnis von Leistung und Erfolg leben (vgl. Schmidbauer 2001,48). Sie sind ihrer Arbeit überdrüssig, befinden sich also in einem Zustand der Unzufriedenheit, des vergeblichen Strebens nach Idealen und des Verlustes von Lebensfreude (vgl. Bartmann 2005, 39).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836611497
Dateigröße
675 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln – Angewandte Sozialwissenschaften, Studiengang Sozialpädagogik
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
lauftherapie sozialpädagogik paderborner modell sucht depression
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Titel: Der Therapie Beine gemacht
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