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Terror Global, Diskurs lokal

Die Darstellung von Terrorismus in deutschen und arabischen Elite-Zeitungen am Beispiel der Anschläge von London und Sharm El-Sheikh im Juli 2005

©2007 Diplomarbeit 409 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Globale Medienereignisse wie Klimakatastrophen oder terroristische Akte sollten – so könnte vermutet werden – durch die globale Betroffenheit eine weltweit agierende und sich koordinierende Zivilgesellschaft erzeugen, auch wenn sie nur zeitlich begrenzt in Erscheinung tritt. Die vorliegende Arbeit möchte dieser Frage nachgehen, indem die Berichterstattung über zwei terroristische Akte untersucht wird, die zeitlich fast synchron, aber lokal unterschiedlich stattfanden. Von einer medialen grenzüberschreitenden Öffentlichkeit soll gesprochen werden, wenn eine zeitgleiche Themenagenda vorhanden ist, ähnliche Interpretationsmuster (Priming und Framing) benutzt werden sowie der jeweils andere Diskurs und dessen Teilnehmer als legitime Sprecher wahrgenommen werden (Bezugnahme).
In einer zweiten Frage, die mit der ersten eng zusammenhängt, soll der Grad der Ähnlichkeit ermittelt werden, den deutsche und arabische Medieninhalte bei der Berichterstattung über islamistisch motivierte Anschläge aufweisen. Grundannahme ist, dass beide Mediengruppen sehr ähnliche Quellenausgangsvoraussetzungen haben. In welchem Ausmaß berichten die Medien über Terrorismus, und mit welcher Färbung? Welche Anschlussdiskurse initiieren Massenmedien? Anschließend soll auf der Kommunikatorebene ermittelt werden, welche externen Einflussfaktoren die journalistische Berichterstattung in diesem speziellen Fall determinieren. Dazu gehören sowohl lebensweltliche Einflussfaktoren auf der individuellen Ebene als auch Strukturen des Organisationssystems Redaktion.
Es soll ein Vergleich durchgeführt werden von deutschen und arabischen Elite-Zeitungen, da diese als ihre Zielgruppe u.a. die Eliten eines Landes ansehen und somit am ehesten einen inter-elitären Bezug zu anderen Räumen herstellen können und sollen. Zwar stammen die Zeitungen aus sehr unterschiedlichen Mediensystemen (deutschen Zeitungen aus einem libertären Pressemarkt, eine arabische Zeitung aus einem autoritären System, während die zweite als transnationale Zeitung einen Zwischenstand einnimmt).
Für alle Zeitungen gelten aber ähnliche Nachrichtenfaktoren, Quellen, Zugänge und Berichterstattungsroutinen. Untersucht wurden für Deutschland die ideologischen Gegenpole Frankfurter Allgemeine Zeitung und Frankfurter Rundschau, für den arabischen Raum die transnationale Al-Hayat und die auflagenstärkste arabischsprachige Zeitung Al-Ahram aus Ägypten.
In einer Inhaltsanalyse (Stichprobe N=635 […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Antje Glück
Terror Global, Diskurs lokal
Die Darstellung von Terrorismus in deutschen und arabischen Elite-Zeitungen am
Beispiel der Anschläge von London und Sharm El-Sheikh im Juli 2005
ISBN: 978-3-8366-0658-5
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Terror global, Diskurs lokal. Abstract
I
Abstract
Die vorliegende Studie verfolgt zwei Ziele. Sie testet einerseits die Berichterstattung
über islamistisch motivierte terroristische Anschläge in deutschen und arabischen
Medien auf Homogenität, andererseits fragt sie nach der potentiellen Herausbildung
einer Weltöffentlichkeit angesichts von Krisen, die den Status eines globalen
Medienereignisses annehmen. Zu diesem Zweck wurde eine empirische Untersuchung
von jeweils zwei deutschen und arabischen Elite-Zeitungen durchgeführt, die über die
Terror-Anschläge in London und Sharm El-Sheikh im Juli 2005 berichteten. Eine
Inhaltsanalyse und eine mediale Diskursanalyse ergaben zunächst eine ähnlich
umfangreiche Berichterstattung über London, jedoch beschäftigen sich arabische
Zeitungen deutlich mehr mit dem Anschlag von Sharm El-Sheikh. Hohe
Übereinstimmungen ließen sich im journalistischen Handwerk, den verwendeten
Quellen, in der Darstellung bestimmter Terrorismus-Bezüge und in der gegenseitigen
Thematisierung als der ,,Andere" finden, Unterschiede erschienen vor allem im
thematischen Bereich. Dies ergab zusammen mit der nur mäßig homogenen
Zeitverlaufsanalyse und den häufig nicht vorhandenen Bezugnahmen auf den Diskurs
der ,,anderen Seite" nur ansatzweise einen transnationalen Diskurs und eine
transnationale Medienöffentlichkeit. Von einer Weltöffentlichkeit lässt sich nicht
sprechen, die Berichterstattung präsentiert zwar ähnliche Themen, verharrt im Übrigen
aber in nationalen Interpretationsstrukturen.
This study pursues two goals. Firstly, it examines the coverage of terror attacks about
homogeneity, that are justified by Islamism in German and Arabic media. Secondly, it
questions the potential existence of a world public sphere in a crisis that acquires the
character of a global media event. For this purpose, an empirical analysis of two
German und two Arabic quality newspapers was undertaken about its coverage of the
terror attacks in London and Sharm El-Sheikh in July 2005. Content and medial
discourse analysis showed an overlap with the London coverage, but resultet in strong
divergences about the Sharm El-Sheikh incident. In addition, strong similarities were
found in journalistic standards, used sources, presentation of certain terrorism-related
issues, and mutual perception of `the Other' while differences mostly appeared in the
topic section. As a result, because of the heterogeneous thematic agenda, temporary
course analysis and the often missing references to the discourse of the `other side'
there is only a trace of a transnational discourse and media public sphere. Hence, it is
far too early to talk about a global public sphere. Although the coverage presents
similar topics, it remains yet to be interpreted by various national structures and
frames.

Terror global, Diskurs lokal. Executiv Summary
II
Executive Summary
Globale Medienereignisse wie Klimakatastrophen oder terroristische Akte sollten ­ so
könnte vermutet werden ­ durch die globale Betroffenheit eine weltweit agierende und
sich koordinierende Zivilgesellschaft erzeugen, auch wenn sie nur zeitlich begrenzt in
Erscheinung tritt. Die vorliegende Arbeit möchte dieser Frage nachgehen, indem die
Berichterstattung über zwei terroristische Akte untersucht wird, die zeitlich fast
synchron, aber lokal unterschiedlich stattfanden. Von einer medialen
grenzüberschreitenden Öffentlichkeit soll gesprochen werden, wenn eine zeitgleiche
Themenagenda vorhanden ist, ähnliche Interpretationsmuster (Priming und Framing)
benutzt werden sowie der jeweils andere Diskurs und dessen Teilnehmer als legitime
Sprecher wahrgenommen werden (Bezugnahme).
In einer zweiten Frage, die mit der ersten eng zusammenhängt, soll der Grad
der Ähnlichkeit ermittelt werden, den deutsche und arabische Medieninhalte bei der
Berichterstattung über islamistisch motivierte Anschläge aufweisen. Grundannahme
ist, dass beide Mediengruppen sehr ähnliche Quellenausgangsvoraussetzungen haben.
In welchem Ausmaß berichten die Medien über Terrorismus, und mit welcher
Färbung? Welche Anschlussdiskurse initiieren Massenmedien? Anschließend soll auf
der Kommunikatorebene ermittelt werden, welche externen Einflussfaktoren die
journalistische Berichterstattung in diesem speziellen Fall determinieren. Dazu
gehören sowohl lebensweltliche Einflussfaktoren auf der individuellen Ebene als auch
Strukturen des Organisationssystems Redaktion.
Es soll ein Vergleich durchgeführt werden von deutschen und arabischen Elite-
Zeitungen, da diese als ihre Zielgruppe u.a. die Eliten eines Landes ansehen und somit
am ehesten einen inter-elitären Bezug zu anderen Räumen herstellen können und
sollen. Zwar stammen die Zeitungen aus sehr unterschiedlichen Mediensystemen
(deutschen Zeitungen aus einem libertären Pressemarkt, eine arabische Zeitung aus
einem autoritären System, während die zweite als transnationale Zeitung einen
Zwischenstand einnimmt). Für alle Zeitungen gelten aber ähnliche
Nachrichtenfaktoren, Quellen, Zugänge und Berichterstattungsroutinen. Untersucht
wurden für Deutschland die ideologischen Gegenpole Frankfurter Allgemeine Zeitung
und Frankfurter Rundschau, für den arabischen Raum die transnationale Al-Hayat und
die auflagenstärkste arabischsprachige Zeitung Al-Ahram aus Ägypten.
In einer Inhaltsanalyse (Stichprobe N=635 Artikel) wurde eine Reihe von
Variablen codiert, die sich zu acht Dimensionen zusammenfassen lassen: Thema,
Prominenz, Zeitverlauf, journalistisches Handwerk, Informationsurheberschaft,
Terrorismusbezug und Darstellung des kulturell ,,Anderen". Die Stichprobe umfasst

Terror global, Diskurs lokal. Executiv Summary
III
jeweils die 9 Folgetage nach den beiden ,,Juli-Anschlägen" des Jahres 2005 in London
und Sharm El-Sheikh.
Hinzu kam eine mediale Diskursanalyse, die sich speziell der Ereigniskommen-
tierung widmete. Die 45 ausgewählten deutschen und arabischen Artikel wurden nach
dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring einer induktiven
Kategorienbildung auf Aussagenebene unterzogen, die sich in neun Dimensionen
gliederte: Islamistischer Terrorismus, Motiv-, Ursachen- und Konsequenzen-
Attribution, Reaktionen, das Selbst und der Andere (Muslime), das Ereignisgeschehen
von London und von Sharm El-Sheikh sowie die Einbettung des Terror-Aktes. Neben
der Spannbreite der Argumente wurde auch deren Häufigkeit erfasst.
Der Test auf Homogenität der Berichterstattung ergab für die ähnlichen Merkmale
einen Anteil von 61 % (5,5 Punkte auf einer Skala mit 9 Ausprägungen). Die
homogenen Merkmale beschränken sich dabei auf die Bereiche des journalistischen
Handwerks, der verwendeten Quellen, des Interpretationskontextes für Terrorismus
und der gegenseitigen Thematisierung als der ,,Andere". Während die Prominenz der
Terrorismus-Darstellung, ihr Zeitverlauf und die Feinanalyse des medialen Diskurses
sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede aufwiesen, wichen deutsche und arabische
Medien vor allem in der Themenagenda und den gegenseitigen Bezugnahmen
voneinander ab.
Wenn deutsche und arabische Medien über Terrorismus berichten, dann also
mit einer leicht erhöhten homogenen Tendenz, die vor allem im Bereich der Quellen
und journalistischen Formstandards zu finden ist, jedoch deutlich weniger auf
inhaltlicher Ebene.
Die Feinanalyse der Aussagen innerhalb des Kommentardiskurses ergab für
beide Mediengruppen eine große Bandbreite an Argumenten, die jedoch in
unterschiedlichen Schwerpunktbereichen eingesetzt wurden. Deutsche Zeitungen
diskutierten in den Kommentaren am häufigsten über das unmittelbare Geschehen in
London und über die Effizienz westlich initiierter Maßnahmen zur Bekämpfung des
Terrorismus in Vergangenheit und Gegenwart. Arabische Zeitungen hingegen
konzentrierten sich auf die Ursachen für Anschläge und verfolgten einen
multiperspektivischen Ansatz bei den Reaktionsmöglichkeiten darauf. Zudem wurde
die Stellung der Muslime und muslimischen Minderheiten im westlichen Ausland als
unschuldiges Opfer der Anschläge thematisiert und damit die westliche Welt indirekt
einer gewissen Islamfeindlichkeit beschuldigt.
Setzt man die Ergebnisse nun speziell in den Kontext der Frage nach einer
medialen transnationalen Öffentlichkeit, so erscheint diese nur ansatzweise. Die
durchwachsene, eher ungleiche Themenagenda, die mäßig homogene
Zeitverlaufsanalyse und die häufig nicht vorhandenen Bezugnahmen auf den Diskurs
der ,,anderen Seite" lassen nur ansatzweise einen transnationalen Diskurs und eine
transnationale Medienöffentlichkeit zu. Die Berichterstattung beschäftigt sich zwar mit

Terror global, Diskurs lokal. Executiv Summary
IV
ähnlichen Themendimensionen, verharrt im Detail aber in nationalen
Interpretationsstrukturen.
Neben den bisherigen zwei Analysemethoden wurden leitfadengestützte Interviews mit
je einem Redakteur der beiden deutschen Medien geführt. Die Interviewpartner
repräsentierten in den erhobenen Kategorien mit Ausnahme der ideologischen
Blattlinie sehr ähnliche lebensweltliche Prägungen, Einstellungen und Meinungen. Die
Organisationsebene zeigte bei FAZ und FR im vorliegenden Fall deutliche
Entsprechungen. Redakteure, die für die Berichterstattung über Terrorismus zuständig
sind, zeigen Ähnlichkeiten in Ausbildung und professionellen Kompetenzen,
Bewusstsein der Problematik, Begriffs-Semantik, Vorgaben der Institution und in den
redaktionellen Routinen. Generell erscheinen schriftlich fixierte Redaktionslinien nicht
zur Koordinierung der Terrorismus-Berichterstattung erforderlich, da die Zeitungen
Distanz zu den Terroristen wahren wollen und das Neutralitätsgebot weitgehend zu
erfüllen versuchen. Wichtig hingegen ist die Qualifizierung der Korrespondenten im
Ausland, die nötige Sprach- und Landeskompetenz sowie handwerkliche Fähigkeiten
besitzen sollten.

Terror global, Diskurs lokal. Vorbemerkungen
V
Vorbemerkungen zur Schreibweise
1. Die Darstellung arabischer Wörter
Die arabische Sprache enthält einige spezielle Phoneme, die konventionelle
lateinbasierte Umschriften nicht darzustellen vermögen, dazu sind Ergänzungen nötig.
Da diese Arbeit ihren Schwerpunkt jedoch nicht auf die Orientalistik legt, wurde in
diesem Rahmen auf eine genaue Transkription arabischer Wörter zugunsten leichterer
Lesbarkeit auch für Nicht-Arabisten und Islamwissenschaftler weitgehend verzichtet.
Da im Arabischen die Unterscheidung von kurzen und langen Vokalen
bedeutungsentscheidend sein kann, wurden zumindest in den Fällen, in denen sich
bislang keine ,,eingedeutschte" Variante eines Wortes (die auch der englischen
Umschrift entspringen kann) etablieren konnte, lange Vokale in der folgenden Weise
dargestellt: â, î, û. Die Schreibweise der untersuchten Zeitungen jedoch wurden dem
deutschen Sprachgebrauch angeglichen (Beispiel: ,,Al-Ahram" statt ,,Al-Ahrâm").
Ein Nachteil dieser Darstellungsweise ist das schriftliche Zusammenfallen des
stimmlosen Verschlusslautes Hamza mit dem stimmhaften Reibelaut °Ain, des
stimmlosen postpalatalen Verschlusslautes Kâf und seiner velaren Variante Qâf, der
empathischen und nichtempathischen Versionen der Laute s, d, t, z sowie von h als
laryngaler Hauch- und pharyngaler Reibelaut.
Die aus dem Englischen bekannte Entsprechungen wurden in folgenden Fällen
verwendet: kh anstelle von ch (z.B. ,,Sharm El-Sheikh") und th zur Kennzeichnung des
stimmlosen interdentalen Reibelautes (z.B. engl. ,,think").
In den Literaturangaben wurden allerdings vollständig die aufgeführten
englischen, französischen und deutschen Schreibweisen arabischer Namen
übernommen.
2. Zahlen
Zahlen von eins bis zwölf werden in der vorliegenden Arbeit entsprechend den üblichen
Regeln der deutschen Rechtschreibung ausgeschrieben. Alle größeren Zahlen werden in
Form von Ziffern geschrieben. Ausnahmen bilden die Verwendung des Prozentzeichens
%, Zahlwörter wie ,,Million" und ,,Milliarde" sowie Vergleiche von Zahlen (Beispiel:
,,Zeitung A enthielt 15 Artikel mit Merkmal X, Zeitung B nur 3 Beiträge.").

Terror global, Diskurs lokal. Vorbemerkungen
VI
3. T-Akte, T-Akteure, T-Ereignisse
Um die hohe Normativität des Begriffs ,,Terrorismus" zu umgehen, ist eine Entfernung
der Relativität bzw. der Bewertung vom eigenen Standpunkt aus anzustreben. Dies
kann geschehen, indem einer Idee des Philosophen Georg Meggle gefolgt wird und der
wertende ,,Terror"-Anteil von Wörtern durch den Buchstaben ,,T-" ersetzt wird:
,,Ein brauchbarer T-Begriff sollte [...] neutral sein: also weder Akteur-
relativ, noch Ziel/Motiv-relativ, noch Standpunkt-relativ" (Meggle
2005: 18).
Dementsprechend wird in dieser Arbeit in den meisten, nichtdefinitorisch veranlagten
Kontexten von ,,T-Akten", ,,T-Akteuren" oder ,,T-Gruppen" gesprochen.

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
VII
I
NHALTSVERZEICHNIS
BERSICHT
Einleitung... 1
TEIL I: THEORETISCHER RAHMEN ...4
1. Normen- und Strukturkontext: Determinierende Faktoren des
Journalismus ...5
2. Ansätze aus der Medienwissenschaft ... 18
3. Der Begriff der transnationalen Öffentlichkeit ...39
4. Begriffsverständnis: Terrorismus ... 51
5. Der Terrorismus und die Medien ...62
6. Begriffsverständnis: Islam, Gewalt und Terrorismus ... 76
7. Der ,,Andere" in den Medien ­ mediale Repräsentationen des Islams und
des Westens...87
8. Zusammenführung der Ansätze Entwicklung von Forschungsfragen ...94
Exkurs: Ereignis-Chronologie... 97
9. Kurze Chronologie der Juli-Anschläge...98
TEIL II: METHODIK... 102
10. Allgemeines Forschungsdesign ... 103
11. Die ausgewählten Forschungsmethoden... 110
Teil III: Ergebnisse ... 133
12. Ergebnisse der Inhaltsanalyse ... 134
13. Resultate der Bezugsanalyse...191
14. Die Ergebnisse der medialen Diskursanalyse... 199
15. Erstellen einer ,,Homogenitätsliste" ... 218
16. Resultate der Befragung ...220
17. Fazit... 227

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
VIII
I
NHALTSVERZEICHNIS
Vorbemerkungen zur Schreibweise...V
E
INLEITUNG
... 1
Begründung des Forschungsvorhabens und Zielstellung ... 1
Untersuchungsansatz der Arbeit...2
T
EIL
I: T
HEORETISCHER
R
AHMEN
...4
1. N
ORMEN
-
UND
S
TRUKTURKONTEXT
: D
ETERMINIERENDE
F
AKTOREN DES
J
OURNALISMUS
...5
1.1. Medien und Politik ... 5
1.1.1. Perspektive 1: Klassische Erklärungsansätze...5
1.1.2. Perspektive 2: Politik als Systemumwelt des Journalismus...6
1.1.3. Zwischenfazit ...7
1.2. Rahmenbedingungen der Mediensysteme ...7
1.2.1. Deutschland ...8
1.2.2. Die arabische Welt ...9
1.2.3. Ägypten ...12
1.2.4. Zwischenfazit...13
1.3. Ein strukturalistischer Ansatz: die Systemtheorie nach Niklas Luhmann .14
1.3.1. Zwischenfazit ... 17
1.4. Ein integraler Ansatz nach Weischenberg...17
2. A
NSÄTZE AUS DER
M
EDIENWISSENSCHAFT
... 18
2.1. Die Konstruktion von Realität ­ Erkenntnistheorien ...18
2.1.1. Realismus ...19
2.1.2. Konstruktivismus... 20
2.1.3. Der Rekonstruktions-Dekonstruktions-Ansatz nach Hafez ...22
2.2. Die Produktion von Medieninhalten... 23
2.2.1. Agenda-Setting, Priming, Framing...23
2.2.2. Die Nachricht...25
2.2.3. Globalisierte Nachrichtenströme... 29
2.3. Arten von Journalismus ... 32
2.3.1. Journalismus in Krisen und Konflikten ...32
2.3.2. Auslandsjournalismus ...35
2.3.3. Zwischenfazit ...39
3. D
ER
B
EGRIFF DER TRANSNATIONALEN
Ö
FFENTLICHKEIT
...39
3.1. Öffentlichkeit und Medienöffentlichkeit: Begriffsklärung... 39

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
IX
3.1.1. Öffentliche Meinung ... 40
3.1.2. Die mediale Öffentlichkeit nach Weßlers Öffentlichkeitsmodell und aus
systemtheoretischer Sicht ...41
3.2. Transnationale Öffentlichkeit ... 43
3.2.1. Begriffsbestimmung I: Transnational ...43
3.2.2. Begriffsbestimmung II: Transnationale Öffentlichkeit...43
3.2.3. Exkurs: Weltgesellschaft oder Partikularismus? ... 44
3.2.4. Die transnationale Medienöffentlichkeit...47
3.3. Exkurs: Regionale Öffentlichkeiten... 48
3.3.1. Regionale Öffentlichkeiten I: Europa ... 48
3.3.2. Regionale Öffentlichkeiten II: Arabisch-islamische Welt... 49
3.4. Zwischenfazit... 50
4. B
EGRIFFSVERSTÄNDNIS
: T
ERRORISMUS
... 51
4.1. Etymologie: ,,Terrorismus" und ,,Al-Irhab"...51
4.2. Zur Definition des Begriffs ,,Terrorismus" ­ Politische und institutionelle
Ansätze... 52
4.2.1. Arbeitsdefinition ...54
4.3. Typen und Strukturen von Terrorismus ... 54
4.3.1. Religiöser Terrorismus...55
4.3.2. Internationaler und transnationaler Terrorismus...57
4.3.3. Transnationaler religiöser (islamistisch motivierter) Terrorismus ... 58
4.4. Länderspezifische Erfahrungen mit T-Akten...60
4.4.1. Bundesdeutscher und europäischer Kontext... 60
4.4.2. Ägyptischer und arabischer Kontext...61
4.5. Zwischenfazit ... 62
5. D
ER
T
ERRORISMUS UND DIE
M
EDIEN
...62
5.1. Der Terrorismus als Kommunikationsstrategie?... 62
5.2. Teilnehmer am T-Kommunikationsprozess ... 64
5.2.1. Faktor Terroristen: Instrumentalisierungsstrategien...65
5.2.2. Faktor Medien: Die Symbiose-Theorie...67
5.2.3. Exkurs 1: T-Akte in der Medienforschung... 69
5.2.4. Exkurs 2: Der 11. September 2001 und der Aufstieg des Fernsehens zum Krisen-
Leitmedium ...73
5.2.5. Faktor Politik: Kontroll-Lust...74
5.2.6. Faktor Publikum: Entertainment...74
5.2.7. Der mediale Umgang mit Terrorismus: Perspektiven...75
5.3. Zwischenfazit ...75
6. B
EGRIFFSVERSTÄNDNIS
: I
SLAM
, G
EWALT UND
T
ERRORISMUS
... 76

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
X
6.1. Islam ­ Islamismus ­ Fundamentalismus ... 76
6.1.1. Der ,,Islamist"...77
6.1.2. Der ,,Fundamentalist" ... 80
6.2. Zum Gewaltverhältnis im Islam ... 82
6.2.1. Gewalt, Kampf, Krieg... 82
6.2.2. Der Dschihad-Begriff ... 82
6.3. Zwischenfazit... 86
7. D
ER
,,A
NDERE
"
IN DEN
M
EDIEN
­
MEDIALE
R
EPRÄSENTATIONEN DES
I
SLAMS UND
DES
W
ESTENS
...87
7.1. Stereotypen, Vorurteile, Feindbilder ... 87
7.2. Der Islam und die arabisch-islamische Welt aus der Sicht des Westens ...88
7.2.1. Im Bild des Anderen ... 88
7.2.2. 1001 Bild: Historische Entwicklung des Orientbildes ... 89
7.2.3. Gegenwarts-Ansichten der arabisch-islamischen Welt... 89
7.2.4. Mediale Bilder des Islams... 90
7.3. Der Westen aus der Sicht der arabisch-muslimischen Welt ...91
7.3.1. Barbaren: Historische Entwicklung des Bildes der westlichen Welt...91
7.3.2. Gegenwarts-Ansichten der westlichen Welt... 92
7.3.3. Mediale Bilder des Westens...93
7.4. Zwischenfazit ... 93
8. Z
USAMMENFÜHRUNG DER
A
NSÄTZE
E
NTWICKLUNG VON
F
ORSCHUNGSFRAGEN
.94
8.1. Forschungsfragen ... 94
8.2. Hypothesenbildung aus den Forschungsfragen ... 95
8.2.1. Umfang und Darstellungsweise ...95
8.2.2. Inhalt und journalistische Qualität ...95
8.2.3. Externe Dimensionen... 96
E
XKURS
: E
REIGNIS
-C
HRONOLOGIE
... 97
9. K
URZE
C
HRONOLOGIE DER
J
ULI
-A
NSCHLÄGE
...98
9.1. Vorgeschichte... 98
9.2. Der 7. Juli 2005: Die Anschläge in London ... 98
9.2.1. Tathergang... 98
9.2.2. Täter... 99
9.2.3. Zweifel an der offiziellen Version... 99
9.2.4. Reaktionen und Nachfolge-Ereignisse... 100
9.2.5. Exkurs: Londons Anti-Terror-Politik ­ ein Kurzüberblick ... 100
9.3. Der 23. Juli 2005: Die Anschläge in Sharm El-Sheikh ... 100
9.3.1. Tathergang... 100

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
XI
9.3.2. Täter... 101
9.3.3. Reaktion ... 101
T
EIL
II: M
ETHODIK
... 102
10. A
LLGEMEINES
F
ORSCHUNGSDESIGN
... 103
10.1. Quantitative versus qualitative Analysemethoden ­ Begründung der
Methodenwahl... 103
10.2. Empirische Operationalisierung der Schlüsselbegriffe ... 104
10.2.1. Die ,,temporäre transnationale Weltöffentlichkeit" und deren Diskurs ...104
10.2.2. Die einzelnen Bedingungen für ,,Welt-Öffentlichkeit" ...105
10.2.3. ,,Homogenität"...106
10.3. Zur Komparatistik von Medienkulturen ... 106
10.3.1. Ausgangsüberlegungen ...106
10.3.2. Mediensysteme...107
10.3.3. Die Einbettung in den Kulturraum ­ Untersuchungsansatz... 108
10.3.4. Sprachbarrieren...109
11. D
IE AUSGEWÄHLTEN
F
ORSCHUNGSMETHODEN
... 110
11.1. Die quantitative Inhaltsanalyse ...110
11.1.1. Definition und Begründung der Methodik...110
11.1.2. Grenzen der quantitativen Inhaltsanalyse...111
11.1.3. Kategorienbildung ...111
11.1.4. Untersuchungszeitraum und Item-Auswahl... 113
11.1.5. Auswahl der Medien und Medienprofile... 114
11.2. Die Argumentationsanalyse ... 119
11.2.1. Problemverständnis und Definition ... 119
11.2.2. Das Argument...120
11.2.3. Rahmen- und Geltungsbedingungen für Argumentation ... 121
11.2.4. Der Diskurs ...122
11.2.5. Diskurs-Sonderfall: Der Mediendiskurs...123
11.2.6. Ansatz zu einer medialen Diskursanalyse und Methodenwahl ...125
11.2.7. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ...127
11.2.8. Begründung der Materialauswahl der Artikel ...130
11.3. Die qualitative Befragung ... 130
11.3.1. Definition und Begründung der Methode ...130
11.3.2. Grenzen der qualitativen Befragung ... 131
11.3.3. Die ausgewählten Journalisten...132
11.3.4. Die Fragestellungen ...132
T
EIL
III: E
RGEBNISSE
... 133

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
XII
12. E
RGEBNISSE DER
I
NHALTSANALYSE
... 134
12.1. Formale Kriterien...134
12.1.1. Allgemeines: Anteil der Berichterstattung an den T-Akten...134
12.2. Zeitverlaufsanalyse ...136
12.2.1. Zeitverlaufsanalyse der gesamten Berichterstattung ...137
12.2.2. Zeitliche Publikationsnähe zum Ereignis ­ Aktualität ...138
12.2.3. Themenspezifische Zeitverlaufsanalyse...139
12.2.4. Themengleichheit in der Berichterstattung...140
12.2.5. Zwischenfazit... 141
12.3. Prominenz von Terrorismus... 141
12.3.1. Artikelumfang und Artikelfläche... 141
12.3.2. Platzierung...143
12.3.3. Ressort ...144
12.3.4. Kontext...145
12.3.5. Entwicklung eines Prominenz-Indexes...147
12.4. Informations-Urheberschaft: Artikel-Verfasser und Quellen... 148
12.4.1. Verfasser von Textbeiträgen ...148
12.4.2. Quellen in Textbeiträgen...149
12.4.3. Verfasser von Fotos und Grafiken ... 151
12.4.4 Zwischenfazit...152
12.5. Beitragsdimensionen ...152
12.5.1. Der Vordergrund: Themen ­ Akteure ­ Orte (Text)...152
12.5.2. Der Vordergrund II: Themen ­ Akteure ­ Orte (Bild)...162
12.5.3. Zwischenfazit...165
12.6. Die journalistische Qualitäts-Dimension...166
12.6.1. Der Hintergrund: die Fundierung der Texte...166
12.6.2. Positionsvielfalt und journalistische Wertungen ...168
12.6.3. Grundtenor der Beiträge ­ Wertungen der Journalisten ...170
12.6.4. Beitragscharakter...172
12.6.5. Darstellungsform ...172
12.6.6. Bildcharakter...173
12.6.7. Faktizität/Sachlichkeit ...174
12.6.8. Schwerpunkt der Darstellung: Ereignis oder Thema? ... 175
12.7. Einbettung in den T-Kontext ...176
12.7.1. Rückbezug auf frühere T-Akte ...176
12.7.2. Täter-Motive und Motivakteur...178
12.7.3. Opfer oder Täter: Rollenmodelle ausgewählter Akteure... 181
12.8. Einbettung aus kulturwissenschaftlicher Sicht...183

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
XIII
12.8.1. Der "Andere": Dividing ­ Rejecting...183
12.8.2. Stereotype und Vorurteile...185
12.8.3. Wortfeld...188
13. R
ESULTATE DER
B
EZUGSANALYSE
...191
13.1. Fragestellung ... 191
13.2.1. Quantität der Bezugnahmen... 191
13.2.2. Bezugnehmer, Bezugsakteure, Bezugsthemen ­ quantitative inhaltliche Analyse der
Bezüge ...192
13.2.3. Bezugsmedien ...194
13.2.4. Gegenseitige Wahrnehmung durch die Rubrik ,,Pressestimmen"...195
13.2.5. Qualitative Analyse der Bezüge ...196
13.3. Beantwortung der Forschungsfrage ...197
14. D
IE
E
RGEBNISSE DER MEDIALEN
D
ISKURSANALYSE
... 199
14.1.1. Zeitlicher Verlauf der Debatte ...199
14.1.2. Autorenschaft ...199
14.1.3 Vielfältigkeit der Argumente...200
14.1.4. Themendimensionen der Kommentare im deutsch-arabischen Diskurs ...200
14.1.5. Themendimensionen der Kommentare im Diskurs der einzelnen Medien...201
14.1.6. Die einzelnen Themendimensionen im deutsch-arabischen Vergleich...202
14.1.7. Argumentekonzentration und Argumentationslücken... 211
14.2. Gemeinsamkeiten und Differenzen der Diskurse ...213
14.2.1. Diskursgemeinsamkeiten...213
14.2.2. Diskursdifferenzen in deutschen und arabischen Medien...214
14.2.3. Verwendete Topoi...215
14.3. Die Kommentare: Gemeinsam gegen den Terrorismus?...216
15. E
RSTELLEN EINER
,,H
OMOGENITÄTSLISTE
"... 218
16. R
ESULTATE DER
B
EFRAGUNG
...220
16.1. Der Umgang mit T-Akten in Redaktionen: Regeln und Terminologie... 220
16.1.1. Das Modell von Paletz/Tawney zur Einordnung des Umgangs mit Terrorismus..220
16.1.2. Redaktioneller Umgang mit Terrorismus und T-Verständnis...221
16.2. Der Umgang mit Terrorismus in FAZ und FR ...221
16.2.1. Biographische Details ...221
16.2.2. Verständnis von Terrorismus... 222
16.2.3. Zum spezifischen Umgang mit Terrorismus in den Redaktionen ... 223
16.3. Fazit ... 226
17. F
AZIT
... 227
17.1. Grenzen der Analyse ... 232

Terror global, Diskurs lokal. Inhaltsverzeichnis
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das "Zwiebelmodell" nach Siegfried Weischenberg...17
Abbildung 2: Framebildung bei T-Akten...65
Abbildung 3: Komponenten des Prominenz-Index... 147
Abbildung 4: Themen mit besonders hoher Positionsvielfalt und Anteil (in Prozent) in der
arabischen Presse...169
Abbildung 5: Häufigste Ursachenattributionen über London und Sharm El-Sheikh in der
deutschen und arabischen Presse (Angaben in %)... 179
Abbildung 6: Übersicht über die Schwerpunktthemen der Mediengruppen (Angaben in
%)...201
Abbildung 7: Überblick über die Themenschwerpunkte der Medien (Angaben in %):... 202
Abbildung 8: Häufigste Argumente und Dimensionen in deutschen und arabischen
Zeitungen...212
Abbildung 9 : Elemente des Homogenitätsindexes...219

Terror global, Diskurs lokal. Einleitung
1
E
INLEITUNG
Der 7. Juli 2005 erinnerte Großbritannien wohl ein wenig an den 11. September 2001 in
den USA. Ein Terroranschlag, mitten in der Hauptstadt, am empfindlichen
infrastrukturellen Nerv - der Untergrundbahn. Für diejenigen, die den Anschlag verübt
haben, bot das Ereignis genug Breitenwirkung, um ihre Ziele mittels der Medien einer
breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Denn Medien und Terrorismus sind
unweigerlich verknüpft - Medien stehen in der Pflicht, zu berichten, und Terroristen
können dies als Plattform ausnutzen.
Berichterstattung über Terrorismus stellt hohe Anforderungen an Akteure
(Journalisten) und Medieninstitutionen. Es ist eine Form des Krisenjournalismus, bei
der die Konsequenzen des eigenen Tuns deutlich hinterfragt werden sollten. In der
Praxis jedoch weicht die Zeit für Reflexion dem Zeitdruck des Berichtens.
Begründung des Forschungsvorhabens und Zielstellung
Medienvergleiche in kulturell recht homogenen Räumen liegen inzwischen zahlreich
vor, kulturraumübergreifende Analysen scheitern jedoch schon im Ansatz, wenn nötige
grenz-überschreitende Forschungskapazitäten oder Sprachkompetenzen nicht
aufzubringen sind.
1
Die vorliegende Arbeit möchte einen solchen Vergleich wagen: den zwischen
deutschen und arabischen Zeitungen. Übergreifende Untersuchungen zum jüngeren
Terrorismus gibt es im medienwissenschaftlichen Bereich meines Wissens noch nicht.
Der Zugang zu arabischsprachiger Fachliteratur ist von Deutschland aus schwierig;
wird im (englischsprachigen) Ausland publiziert, so konzentrieren sich diese
Untersuchungen eher auf den Aufstieg des arabischsprachigen transnationalen
Satellitenfernsehens, während aktuelle Printmedienanalysen einen eher marginalen
Raum einnehmen.
Gerade ,,kulturübergreifende" Vergleiche können gegenwärtig Mechanismen im
Rahmen der Globalisierung nachweisen oder transnationale Standards im
Journalismus aufzeigen. Hinzu kommt der Blick auf den Status und die Rolle von
Medien in autoritären Staaten, die innerhalb der gegenwärtigen allgemeinen
Transformationsprozesse dynamische Züge aufweisen können.
Analysen und Theorien zur Rolle der Medien im Zeitraum terroristischer
Anschläge vor dem 11. September 2001 haben aufgrund der Änderung des Charakters
des Terrorismus hin zur Religiosität und Transnationalität an Aktualität eingebüßt.
1
Eine bemerkenswerte und umfangreiche Ausnahme stellt die zweimalig durchgeführte Foreign-News-
Studie dar, die Themen und Bezugsobjekte der internationalen Berichterstattung von 29 Ländern
untersuchte (vgl. z.B. Sreberny-Mohammadi 1985).

Terror global, Diskurs lokal. Einleitung
2
Während der 11. September 2001 selbst eine hohe Menge von Studien und Analysen
und entsprechende Medienkritik nach sich zog, ist schon für den Anschlag von Madrid
2004 deutlich weniger Forschungsinteresse zu verzeichnen, obwohl eine Dynamik der
Berichterstattung über islamistisch motivierten Terrorismus nur im längerfristigen
Untersuchungszeitraum erkennbar wird. Auch dazu möchte die Arbeit einen Teil
beitragen, indem die ,,Juli-Anschläge" des Jahres 2005 als Untersuchungsanlass
ausgewählt werden.
Als dritter Punkt kommt hinzu, dass im Rahmen der informationstechnischen
und wirtschaftlichen Globalisierung diese Entwicklung auch in anderen Bereichen
vermutet wird, z.B. bei politischen Institutionen oder einer ,,Welt-Gesellschaft" im
Sinne Luhmanns. Während positive Befunde über eine transnationale Zivilgesellschaft
in europaweiten Untersuchungen zunehmen, stellt sich die Frage nach der temporären
medial vermittelten Öffentlichkeit bei globalen Medienereignissen, zu denen neben
dem Klimawandel auch der Terrorismus gehört. Auch dieser Punkt soll in der Arbeit
untersucht werden.
Untersucht wird nachfolgend also die Darstellung von Terrorismus in deutschen
und arabischen Medien mit dem Ziel, Unterschiede und Übereinstimmungen im
Umgang mit islamistisch motiviertem Terrorismus in den beiden Kulturkreisen
herauszufinden, d.h. in Darstellung, Einordnung und Wertung der Ereignisse. Im
Vordergrund steht auch die Frage, ob Anschläge mit islamistischem Hintergrund als
globale Medienereignisse eine zumindest temporäre globale Öffentlichkeit schaffen
können, die Kulturraumgrenzen überwindet. Benutzt wird dazu ein kulturraum-
geographischer Komparatistikansatz in Bezug auf die deutsche und arabische
Elitepresse.
Die Untersuchung wäre in vielerlei Hinsicht noch zu ergänzen gewesen, z.B. auf
der inhaltlichen Ebene durch eine Frame-Analyse zum Entdecken von
(themaspezifischen) Medien-Frames nach Matthes/Kohring (2004) oder auf der
Organisationsebene durch eine ausführliche statt nur äußerst verknappte Befragung
von Redakteuren nach den redaktionellen Routinen und Zwängen bei der
Berichterstattung über Terrorismus im journalistischen Alltag. All das wurde anfangs
mit in die Wege geleitet, war allerdings im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht
abzuschließen gewesen.
Untersuchungsansatz der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich grob in zwei Teile. Im ersten Teil werden die theoretischen
Grundlagen, Ansätze und Faktoren erläutert, denen die Berichterstattung über
Terrorismus unterliegt. Ausgehend von Systemtheorie und medienwissenschaftlichen
Mesotheorien werden die medienspezifische Konstruktion von Realität, die
Rahmenbedingungen bei der Produktion von Medieninhalten, die Unterschiede

Terror global, Diskurs lokal. Einleitung
3
zwischen deutschem und arabischem Mediensystem sowie das Konzept des Konflikt-
und Krisenjournalismus erläutert. Anschließend werden die notwendigen Begriffe
(Terrorismus und Medien, transnationale Öffentlichkeit, Islam und Gewalt sowie die
Sicht auf den Anderen) expliziert.
Den zweiten, empirisch gehaltenen Teil dominieren die Resultate der
quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse, die ausgehend von zwei Zeiträumen
nach den Anschlägen in London und Sharm El-Sheikh im Juli 2005 die
Berichterstattung auf Homogenität prüfen und den medialen Diskurs analysieren.
Ergänzt wird dies durch eine sehr knapp gehaltene Befragung von Redakteuren mit
Erfahrung im ,,Ressort Terrorismus".

Teil I:
Theoretischer Rahmen

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 5
1. N
ORMEN
-
UND
S
TRUKTURKONTEXT
:
D
ETERMINIERENDE
F
AKTOREN DES
J
OURNALISMUS
1.1. Medien und Politik
Eines der Gebiete, auf die sich Massenmedien thematisch am häufigsten beziehen, ist
die Politik. Das wird allein daran schon deutlich, dass jede überregionale und regionale
Tageszeitung, jede nachrichtliche Sendung im Fernsehen den politischen Block ganz
zuvorderst aufstellt.
2
Außerdem reicht die Verbindung von Journalisten zu Politikern
bis ins 19. Jahrhundert zurück (Schuster 2004: 79). Und auch für die Politiker gehört
es zu den primären Interessen, über die Realitätskonstruktionen von Massenmedien
Bescheid zu wissen. Doch in welchem Verhältnis bewegen sich die beiden Felder
Journalismus und Politik zueinander? Welche Machtfaktoren wirken?
1.1.1. Perspektive 1: Klassische Erklärungsansätze
Die meisten Unterscheidungen des Verhältnisses von Politik und Medien gingen bisher
alle von einer Grenzverwischung bzw. ­verschiebung zwischen medialem und
politischem System aus (Kunczik/Zipfel 2005: 90). Das Gewaltenteilungsparadigma
(vgl. Sarcinelli 1994) sieht Medien als die ,,Vierte Gewalt", die im demokratischen Staat
neben Legislative, Exekutive und Judikative eine Kritik- und Kontrollfunktion
übernimmt. Dazu müssten die Medien völlig autonom vom politischen System sein.
Dies ist jedoch eine unrealistische Annahme, der Machtstatus der Medien wird zudem
überschätzt (Kunczik/Zipfel 2005: 85).
Als besonders eindimensionale Ansätze erscheinen der Instrumentalisierungs-
ansatz, der Medien eine wachsende Abhängigkeit von der Politik unterstellt
3
, und der
Dependenzansatz, der von einer Machtverschiebung zu den Medien hin ausgeht
4
.
2
Allerdings besteht gegenwärtig der Trend, den Bezug auf die Politik zu entdifferenzieren, indem
insbesondere boulevardorientierte Formate jedem Teil des politischen Systems eine Art ,,Allzuständigkeit"
zuschreiben und nach Sofortlösungen verlangen (Jarren 1996).
3
Der Instrumentalisierungsansatz sieht einen zunehmenden Autonomieverlust bei den Medien (vgl.
Schatz 1982). Medien dienen als Steuerungspotential für politische Public Relations, die immaterielle und
symbolträchtige Handlungen konzeptioniert. Instrumentalisierungsstrategien finden sich bei
kommunikations- und medienpolitischen Aktivitäten oder Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer
Inszenierung und mediengerechten Vermarktung von Ereignissen und Personen. Inszeniert wird viel ­
Boorstin (1961) sprach vom ,,human pseudo-event", Lang und Lang (1984) beschrieben die ,,television
personality". Paletz und Entman gestehen den Medien zwar einen gewissen Einfluss auf Politiker zu, aber
sehen sie insgesamt durch Depolitisierung der Bevölkerung, der Vermittlung einer Herrschaftsperspektive
der Politik und der Betonung nationaler Werte den Status Quo des Systems legitimieren (Paletz/Entman
1981, vgl. Schuster 2004: 131).
4
Der Dependenzansatz geht von einer Machtverschiebung zugunsten der Massenmedien aus. Politische
Institutionen werden abhängig von den Medien, da sie den wichtigsten Zugang zur Öffentlichkeit bieten
(vgl. Kepplinger 1983a). Medien beeinflussen dabei die Legitimität und Durchsetzbarkeit politischer
Entscheidungen und sind daher selbst zu einer politischen Macht geworden.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 6
Etwas weiter führt der Interdependenzansatz. Er betrachtet Politik und Medien als
wechselseitig abhängig (vgl. Kaase 1986), die in einem ,,gegenseitigen Problemlösungs-
freilich auch -schaffungszusammenhang" stehen (Saxer 1981: 502). Kritiker sprechen
dabei von einer ,,fragwürdigen Symbiose", bei der Publizität gegen Information
eingetauscht wird und zwischen ,,Politikgenerierung und Politikvermittlung nicht mehr
klar zu unterscheiden ist" (Saxer 1998: 64f., Sarcinelli 1987: 218, 1992: 47). Schechter
geht sogar von einer ,,mediaocracy" aus, ,,[which] sets the agenda and frames what
issues get the focus, and which do not" (Schechter 2003: xxvii).
Verschmelzen mediales und politisches System, kann schließlich auch ein
Supersystem entstehen (Plasser 1985).
1.1.2. Perspektive 2: Politik als Systemumwelt des Journalismus
Neuere systemtheoretische Modelle (z.B. Choi 1995) erweisen sich als am
leistungsfähigsten, strukturelle Gegebenheiten zwischen Politik und Journalismus zu
analysieren, indem sie zwischen den beiden Systemen von einer Interpenetration
ausgehen. Grundgedanke ist die Durchdringung und Beeinflussung des politischen
Systems durch das Mediensystem, das die Logik des politischen Systems prägt.
Ein systemtheoretischer Ansatz vermag Dependenz-, Instrumentalisierungs-
und Übermachtthese zu integrieren und zudem ,,noch den Interpretationsrahmen für
diverse Beobachtungen ,symbiotischer Kooperation' zwischen Politik und Publizistik"
liefern (Marcinkowski 1993: 17).
Autonomie und Abhängigkeit der Medien werden dabei im systemtheoretischen
Vokabular als Autopoiesis und strukturelle Kopplung verstanden, sind also keineswegs
als Gegenpole aufzufassen (Marcinkowski/Bruns 2004: 489). Die Autonomie des
Publizistiksystems zeigt sich darin, dass alle Entscheidungen über Öffentlichkeit im
publizistischen Sinn getroffen werden, denn Selektion einer Information, ihre
Mitteilung und ihr Verstehen, das Anschlussfähigkeit gewährleistet, sind alles
innersystemische Operationen. Die strukturelle Kopplung zwischen Massenmedien
und Politik liegt in den ,,Erwartungen der Politik an die Themenstruktur der Medien"
(Marcinkowski/Bruns 2004: 492), unter der die öffentliche Meinung zu verstehen ist
(Luhmann 2000: 311).
Für das System der Politik stellt Publizistik eine Art zusätzliche, systemexterne
Peripherie bereit. Zudem fungiert es als ein Beobachter zweiter Ordnung für die Politik,
indem die Konsenschancen von Themen und Personen getestet werden
(Marcinkowski/Bruns 2004: 495). Politik kann in demokratischen Gesellschaften zwar
nicht direkt auf Operationen des recht unkalkulierbaren journalistischen Systems
Einfluss nehmen (z.B. mittels Zensur), vermag aber Irritationen auszulösen mittels
Etablierung (Gründung neuer Medien), Alimentierung (Finanzbasis und
Bestandsfähigkeit journalistischer Organisationen), Regulierung (Gesetzgebung) und

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 7
Programmierung (Strukturen bei eigenen Operationen berücksichtigen, ,,Medienlogik",
Schimank 1990: 20).
Umgekehrt kann auch der Journalismus Irritationen benutzen, um Resonanz
im politischen System auszulösen. Diese Mechanismen können jedoch letztendlich die
Entfremdung der Bürger von der Politik fördern. So sind ,,Theater, Themenverschleiß
und Diskontinuität [...] längst nicht mehr nur Inszenierungen für die Medien oder
Konzessionen an ihre Vermittlungstechniken", sondern zunehmend ,,Politikrealität"
(Oberreuter 1989: 40).
Speziell beim Auslandsjournalismus gelten komplexe Interaktionsmecha-
nismen. Medien können die öffentliche Streitwürdigkeit eines Themas herabsetzen
oder einen Thematisierungsdruck erzeugen, zusätzlich zu ihrer Ressourcen- und
Innovationsfunktion (Vermittlung von Öffentlichkeit; Eigenthematisierungen),
während die Außenpolitik die Medien zum Testen politischer Optionen nutzen kann
(Hafez 2002a: 184). Regierungen profitieren von den begrenzten Ressourcen des
Journalismus: Staatliche Öffentlichkeitsarbeit erfährt ihre Verbreitung mittels dem
,,trickle down"-Effekt, der dem westlichen Nachrichtenoligopol inhärent ist, denn
mediengerecht aufbereitete Regierungsinformationen dienen den Agenturen als Input,
die damit wiederum Zeitungen beliefern. Die Rezipienten am Ende der Kette haben nur
sehr eingeschränkte Mittel, Desinformation als solche zu entlarven (Hafez 2005: 56f.).
5
Im Krisenfall jedoch folgen Journalisten oft der staatlichen Linie. Bestes
Beispiel war das "rallying around the flag" der amerikanischen Massenmedien nach
dem 11. September.
1.1.3. Zwischenfazit
Politiker können in gewissem Maße steuernd auf die Berichterstattung der
Massenmedien Einfluss nehmen. Mittels der Systemtheorie können symbiotische
Effekte zwischen Politik und Publizistik nachgewiesen werden, beide Systeme können
gegenseitig Irritationen auslösen. Eine Schwachstelle des Journalismus insbesondere
in Krisenzeiten ist die Abhängigkeit von der Politik als Quelle.
1.2. Rahmenbedingungen der Mediensysteme
Medien sind Teil eines soziopolitischen Gesamtsystems. Dieser Kontext ist bei einem
Vergleich zu berücksichtigen. Bei der Untersuchung von Medienlandschaften zeigt sich
heutzutage der Nationalstaat als Segmentierungsmerkmal nicht mehr geeignet.
Passender erscheint das Konzept der ,,geolinguistischen Region" von Sinclair, Jacka
5
Das zeigt sich beispielsweise besonders deutlich in Krisensituationen, bei denen die Macht der
Regierungen jedoch nicht unbegrenzt ist: Während die britische Regierung beim Falklandkrieg oder dem
Kosovo-Konflikt offenbar steuernd auf den Bilderfluss des britischen Fernsehens Einfluss nehmen konnte
(Horsley 200: 115f.), ist dies bei einem T-Akt durch dessen Plötzlichkeit deutlich schwieriger zu realisieren.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 8
und Cunningham (1996), die Medienlandschaften in größeren, geolinguistisch
strukturierten Zusammenhängen sehen, die kein geschlossenes Territorium ergeben
müssen. Die meist staatenübergreifenden Großregionen sind gekennzeichnet durch
gemeinsame kulturelle, historische und sprachliche Konnektivitäten. Als
Medienlandschaft sind sie erstaunlich kohärent (Hepp 2006b: 160). Beispiele für diese
Regionen sind die englischsprachige, deutsche oder arabische geolinguistische Region.
Das daran angelehnte Konzept der geokulturellen Märkte von Hesmondhalgh
(2002: 178ff.) beschreibt die Territorialisierbarkeit dieser Märkte, die aber durch
gestiegene Mobilitäten gleichzeitig von Deterritorialisierungsprozessen geprägt sind.
1.2.1. Deutschland
Saxer stuft das deutsche Pressewesen nach seiner Typologie als liberal ein.
6
Es gibt
,,praktisch keine besondere Medienkontrolle neben den allgemeinen rechtlichen
Normen" (Saxer 2002: 7) und Medien genießen Privilegien wie ,,Pressefreiheit". Das
bedeutet eine theoretisch ,,maximale Freiheit von staatlichen Zensureingriffen und
anderen unmittelbaren politischen Kontrollen" (Ebd.).
Massenmedien in Deutschland üben mehrere politische Funktionen aus:
Information, Mitwirkung an der Meinungsbildung, Kontrolle und Kritik. Sie bilden in
demokratisch-pluralistischen Staaten ein System zur Konfliktaustragung: ,,Ohne
Massenmedien bestände die Gefahr, dass unbekannt, undiskutiert und ungeregelt
bliebe, was als Streit der Interessen und Meinungen in der Demokratie öffentlich
auszutragen ist" (Meyn 2004: 23). Medien wachen über die Einhaltung
rechtsstaatlicher Prinzipien bei der Gewaltenteilung, stellen aber keine ,,Vierte Gewalt"
dar (Pürer 2003: 113). Bundesdeutsche Printmedien sind privatwirtschaftlich
organisiert
7
und fühlen sich für die Kontrolle der politischen Machtausübung zuständig
(vgl. Jarren/Meier 2002). Es gelten die Freiheit von Information, Meinung und
Berufszugang, Informationsvielfalt und Ausgewogenheit der Berichterstattung
(Tonnemacher 2003: 48). Diese Faktoren sorgen in Zusammenhang mit der
Auskunftspflicht der Behörden und dem Zeugnisverweigerungsrecht für eine
Ausbalancierung der einzelnen Machtfaktoren wie Regierung, Parlament oder
Interessengruppen.
Journalisten unterliegen der Sorgfaltspflicht und der Selbstkontrolle durch den
Deutschen Presserat. Sie finden nur wenige Begrenzungen der Meinungsfreiheit, z.B.
bei dem Verstoß gegen andere Gesetze oder der Verletzung der persönlichen Ehre.
6
Auf einer Skala, die zudem autoritäre, totalitäre und demokratisch kontrollierte
Institutionalisierungstypen umfasst (vgl. Saxer 2002)
7
Der Pressemarkt in Deutschland folgt dem wirtschaftlichen Konkurrenzmodell, d.h. private
Unternehmen stehen miteinander im Wettbewerb und werden zum einen über Anzeigen, zum anderen
über den Kaufpreis finanziert.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 9
Deutschland ist eines der medienreichsten Länder Europas. Im Jahr 2005 gab es hier
138 redaktionell selbständige Tageszeitungen (publizistische Einheiten) sowie 17
öffentlich-rechtliche und weit mehr als 100 private Fernsehprogramme (ARD-
Jahrbuch 2005). Auch wenn am häufigsten das Fernsehen genutzt wird, lesen knapp
drei Viertel der deutschen Bevölkerung über 14 Jahre (73,7 Prozent) regelmäßig eine
Tageszeitung (Pasquay 2006).
Der deutsche Zeitungsmarkt erweist sich trotz vieler Ein-Zeitungs-Kreise als
sehr vielfältig, lokale und regionale Bindungen bestimmen die Inhalte. Eine
überschaubare Zahl von überregionalen Zeitungen wie FAZ und FR haben sich
etabliert
8
, während Parteipresse keine Rolle mehr spielt.
1.2.2. Die arabische Welt
1.2.2.1. Klassifizierung und Charakterisierung
Das Mediensystem in der arabischen Welt wird trotz seiner hohen Heterogenität, die
eine "arabische Medienpolitik" verhindert (Al Jammal 1990: 14), von einigen
Wissenschaftlern als eines der weltweit geschlossensten und kontrolliertesten
eingeschätzt (Sinclair 1996:4).
9
Der aktuellste Index für Pressefreiheit in der
arabischen Welt, der Media Sustainability Index (MSI) ­ Middle East & North Africa
(MENA), spricht von starken Diskrepanzen zwischen verfassungsrechtlich
institutionalisierten Pressefreiheiten
10
und der mangelnden praktischen Umsetzung
bzw. der konträren Strafgesetzgebung, sowie allgegenwärtiger Selbstzensur aus Angst
vor dem Verlust des Jobs oder des Lebens. Allerdings konstatiert der Bericht eine
positive Entwicklung der Professionsebene, die andere Transformationsregionen nicht
aufweisen:
"Money available for media business investment has allowed outlets to
better professionalize and access new technologies, providing more
sophisticated media products and a relatively higher degree of
plurality of news sources, despite the other constraints" (International
Research & Exchanges Board 2006).
Das arabische Pressewesen entspricht dem autoritären, gemäßigt undemokratischen
Typus, bei dem Machtgruppen ihren Willen über den der Massenmedien hinwegsetzen
und politisch und kulturell bestimmen, was publiziert wird (Saxer 2000: 5). Medien
werden also zur Machtsicherung der Eliten von diesen in unterschiedlichem Maße
instrumentalisiert. Dementsprechend sind Medien meist in staatlichem Besitz, aber
8
Überregional verbreitete Qualitätszeitungen sind Die Welt (rechts-konservativ), die Frankfurter
Allgemeine Zeitung (konservativ), die Süddeutsche Zeitung (liberal), die Frankfurter Rundschau (links-
liberal); weitere Zeitungen mit geringerer Auflage sind mit linkem Profil die taz, das Neue Deutschland, die
Junge Welt und im Wirtschaftsbereich das Handelsblatt und die Financial Times Deutschland.
9
Der UNDP Human Development Index (2002) bezeichnet die arabische Welt unter sieben Weltregionen
als die unfreiste.
10
Darunter fällt Informantenschutz, korrekte Quellenauszeichnung, Plagiatsverbot, Trennung von
Nachricht und Meinung, Recht auf Gegendarstellung (Hafez 2002b: 32).

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 10
auch privatwirtschaftlich oder öffentlich organisiert. Sie sind formal unabhängig, aber
der Staat unternimmt dabei ,,repressive measures to control the press and prohibit the
spread of opinions that might prove threatening to the regime's ideologies" (Mellor
2005: 49), übt also direkt oder indirekt eine Zensur aus. Normativ haben die Medien
die gültigen moralischen und politischen Werte zu unterstützen und gelten als
,,Dienstleister des Staates" (Künzler/Hribal 2005: 188).
Zieht man jedoch als Medien-Klassifikationssystem die Vierteilung ,autoritär ­
libertär ­ sozial verantwortlich ­ totalitär'
11
hinzu, so entspricht der arabischen
Binnensicht am ehesten das sozial verantwortliche bzw. Entwicklungsmodell, bei dem
die Presse die (positive) Aufgabe hat, die nationale Entwicklung zu unterstützen,
politische Stabilität abzusichern und Bürger zu Teilnahme zu ermutigen (vgl. Hamada
1993: 172). Hier treffen also zwei verschiedene Funktionszuweisungen aufeinander.
Die arabische Medienlandschaft weist weder eine reale Pressefreiheit auf (vgl.
Amr 2005) noch kann man von einer diversifizierten Eigentümerstruktur oder
unabhängigen Medien sprechen.
12
Der Rundfunk befindet sich in Regierungshand,
Informationsministerien sorgen für direkte und indirekte Zensurmethoden, nationale
Nachrichtenagenturen werden vom Staat kontrolliert (vgl. Mellor 2005: 40)
13
und in
den meisten Staaten drohen Journalisten Gefängnisstrafen, die Staatschefs oder
,befreundete Nationen' kritisieren oder ,,falsche Informationen" verbreiten (Sakr 2004:
149f.). Journalisten in der arabischen Welt arbeiten generell unter gefährlichen
Arbeitsbedingungen. Dabei sind sie nicht nur bedroht von staatlichen Restriktionen
wie Büroschließungen, sondern auch von alltäglicher Gewalt (vgl. Blake 2005).
Das Fernsehen ist neben dem Radio inzwischen zum Leitmedium geworden
(Ennaji 1995: 97)
14
durch die lange Tradition der Oralität (Boyd 1999: 5)
und die recht
hohe Analphabetenrate.
15
Zeitungen besitzen deswegen eine kleine Leserschaft, und das
Internet bleibt wegen der gesellschaftsimmanenten Wissenskluft häufig einer westlich-
orientierten, englisch-sprechenden und kommerziell erfolgreichen urbanen Oberklasse
oder oberen Mittelklasse vorbehalten
16
(Hafez 2001: 11).
11
Diese Einteilung basiert auf Sievert (1953), vgl. auch Golding & Elliott (1979), McQuail (2002).
12
So existieren z.B. im Satellitenfernsehbereich zahlreiche Verbindungen zum saudi-arabischen
Königshaus. Private Fernsehsender im Libanon oder in Ägypten beschränken sich auf Unterhaltung. Im
Printsektor folgte die Presse lange Zeit ,,loyalistischen" Maßstäben nach der Typologie von William Rugh
(1987), da das meiste Geld aus den Golfstaaten stammt, oder besitzt einen ,,mobilisierenden" oder einen
,,diversen" Charakter. Rughs Einteilung ist jedoch teilweise überholt und genügt wissenschaftlichen
Ansprüchen kaum.
13
Deswegen wird westliches Agenturmaterial als verlässlicher und objektiver eingeschätzt. Der
binnenarabische Nachrichtenaustausch zwischen Agenturen beträgt nur 2 Prozent (Abdel Rahman 2002).
14
Das wird begünstigt durch die arabischen Sitte, (als Mann) den Abend in Cafés zu verbringen, wo häufig
ein Fernseher zum Inventar gehört. Zudem können beispielsweise in den Golfstaaten zum Teil mehr als 80
Prozent der Haushalte Satellitenfernsehen empfangen (Sakr 2004: 161).
15
Im Jahr 2000 betrug die durchschnittliche Analphabetenrate 38,7%. Vor allem Frauen sind davon
betroffen: in Ägypten kann mehr als die Hälfte nicht lesen noch schreiben, im Jemen sind es sogar mehr
als drei Viertel (Weltbank 2001: 276f.). Das UNESCO-Institut für Statistik stellte Analphabetenraten von
49-90 % für die arabischen Länder fest, wobei Frauen häufiger betroffen waren als Männer.
16
Im Jahr 2001 gab es 4,2 Millionen Internetnutzer in der arabischen Welt, das entspricht nur 1,6% der
Gesamtbevölkerung. Von 1000 Arabern nutzen vor dem Jahr 2000 lediglich zwei das Internet ­ während
es beispielsweise bei den US-Amerikanern mehr als fünfzigmal so viel sind (Ayish 2001a: 121). Nach einer
Statistik des AHDR gibt es große regionale Unterschiede: So nutzten 2001 in den VAE bereits 313 von

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 11
Zeitungen spielten schon immer eine marginale Rolle und richteten sich seit der
Gründungsphase im 19. Jahrhundert an die intellektuelle Elite
17
, um den Gedanken der
Freiheit von Land und Meinung voranzubringen. Viele Zeitungen wurden zunächst von
staatlicher Seite gegründet, später entwickelte sich die meinungsbetonte und
literarische private Presse, häufig von Libanesen, die vor den Osmanen in das
freiheitlichere Kairo mit einer größeren Leserschaft flüchteten (Mostyn 2002: 161).
18
Nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonialstaaten und der teilweisen
Nationalisierung der Medien (z.B. Ägypten, Syrien, Irak) änderte sich dies kaum ­
Zeitungen blieben ein ,,Elite-Medium".
1.2.2.2. Transformationen des arabischen Mediensystems: Panarabismus
Der Start von Al-Dschasira 1996 hat das arabische Mediensystem aus seiner Lethargie
erwachen lassen. Auch wenn der Sender inzwischen einiges an Medienkritik erfahren
musste
19
, etablierte Al-Dschasira auf der Repräsentationsebene als erster Sender
unzensierte Live-Formate mit kontroversen Positionen, egal ob von Fundamentalisten
oder israelischen Politikern. Einst marginalisierte und kaum hörbare Minderheiten
finden nun einen Zugang zur Öffentlichkeit (Rinnawi 2006: xix). Dem passten sich
nationale Medien an
20
, obwohl Journalisten beim Verstoß gegen fortbestehende
Restriktionen mit persönlichen Bestrafungen rechnen müssen (UNDP 2004: 119).
Regierungen aus arabischen und westlichen Ländern haben (erfolglos) versucht,
Einfluss auf den Sender zu nehmen (Hepp 2006b: 206).
Für andere panarabische Medien jedoch spielt Selbstzensur weiterhin eine
Rolle, wie Al-Hayat-Chef Jihad Khazen (1999) berichtet, obwohl der Redaktionssitz in
London Freiheiten garantieren sollte. Gründe dafür sind in der Finanzierung durch
Saudi-Arabien bei Al-Hayat und Al-Sharq Al-Awsat zu sehen.
Nach Al-Dschasira starteten weitere 24-Stunden-Nachrichtenkanäle. Sie richten
sich an die Bevölkerung des Nahen Ostens und Nordafrika, sowie deterritorial die
arabisch sprechende Welt.
21
Die Satellitensender ermöglichen in Bezug auf diese
geolingustische Region konnektive Repräsentationen. Artikuliert werden nicht
1000 Leuten das Internet, im Yemen hingegen nur 5 (UNDP 2004: 247). Ursachen dafür sind (Internet-
)Analphabetentum und hohe Zugangskosten (UNDP 2003: 64).
17
Die erste arabische Zeitung erschien 1816 im Irak (,,Jurnal al-Iraq"). Spätere Zeitungen wurden häufig
von Libanesen geleitet, die eine Tradition des literarischen, meinungsbetonten Journalismus pflegten (vgl.
Mellor 2005: 27ff.).
18
Darunter die Zeitungen ,,Al-Muqtataf", Jurji Zaydans ,,Al-Hilal" oder ,,Al-Ahram".
19
Hafez (2004a) kritisierte den Wandel Al-Dschasiras nach dem 11. September hin zu mehr
Antiamerikanismus und Propaganda. Er bemerkte das Fehlen einer redaktionellen Linie zugunsten der
Einstellung, der ,,arabischen Straße" das zu geben, was sie wollen.
20
Nun pflegen auch staatliche Sender statt Protokollnachrichten und Verlautbarungsjournalismus harte
Fragen an Staatsoberhäupter, Publikumsbeteiligung im Studio oder per Telefon, brisante Themen wie
Scheidung oder Homosexualität (Sakr 2001: 3).
21
Arabisch ist das verbindende Element innerhalb der geolingustischen Region. Es ist die Sprache des
Korans, der nach 14 Jahrhunderten immer noch den Standard für gutes Arabisch diktiert, aber auch des
historischen Erbes. Panarabische Medien stützen sich auf eine modernisierte Version des Klassischen
Arabisch, die in allen arabischen Ländern verstanden wird. Allerdings tendieren arabische Kommentare
wegen das Vagheit vieler arabischer Wörter dazu, der Interpretation Beliebigkeit zu verleihen.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 12
nationale Positionen, sondern ,,verschiedene, insbesondere regionale Repräsentationen
als auf differente Lebenswirklichkeiten rückbezogene Perspektiven des Arabischseins"
(Hepp 2006b: 207). Agenda-Setting-Potential besitzen arabische Medien jedoch nur
bei ausländischen Nachrichten. Interne Probleme der einzelnen arabischen Staaten
werden beiseite gelassen, die öffentliche Meinung spielt praktisch keine Rolle (Mellor
2005). Dominantestes panarabisches Thema ist der Nahost-Konflikt, bei dem die
Satellitensender das tiefsitzende politische Urteil der Mehrheit der arabischen
Zuschauer übernehmen (Ayish 2001b).
22
Mit der gegenwärtigen Transformation des arabischen Medienmarktes kann
von einer echten Liberalisierung jedoch noch keine Rede sein. Alternativen finden sich
entweder im Ausland (arabischsprachiger Auslandsrundfunk
23
oder anderssprachige
Medien), bei einigen wenigen Medien panarabischen Profils oder in Internetblogs.
1.2.3. Ägypten
Neben der Einordnung als Mediensystem mit autoritären Zügen (vgl. Saxer 2002: 5)
charakterisierte Rugh (1979, 1987, 2004) in seiner Typologie das ägyptische
Mediensystem lange Zeit als ,,mobilisierend"
24
, bei dem in der Bevölkerung eine
positive Einstellung zur Regierungslinie erzeugt werden soll mit einem begrenzten
Kritikspielraum. Mit dem Aufkommen gemischter Eigentumsverhältnisse und Pro- &
Contra-Debatten wertet Rugh das System jetzt als ,,transitional": "it is not clear which
way they are headed or indeed that they are in fact in transition to a different type of
system that will stabilize and remain for a long time" (2004: 134). Dieser Zustand wird
sich in Ägypten nur langsam ändern, da Ägypten zu den machtpolitisch verlässlichsten
und wichtigsten Klientelstaaten der USA in der Region zählt. So kann sich Mubarak in
seiner ,,Republonarchie" (,,Gumlukiya")
25
gut einrichten (Thornton 2005: 207).
Noch heute stehen die Journalisten unter dem Druck des Notstandsgesetzes von
1981. Danach hat der Präsident das Recht, Chefredakteure ein- und abzusetzen
26
,
22
So verwendeten alle Sender das Wort ,,Märtyrer" für von Israels getöteten Palästinensern.
23
Lange Zeit konnte die Lücke eines wahrhaft panarabischen Senders nur durch westlichen
Auslandsrundfunk gefüllt werden, darunter das bis heute fest etablierte Radio Monte Carlo ­ Moyen
Orient oder der arabische Dienst der BBC. Auch die Deutsche Welle etablierte ein arabisches Fenster in
ihrem Fernsehangebot. Mit Radio Sawa und Al-Hurra starteten 2002 und 2004 zwei US-Sender.
24
,,Mobilisierend" bezeichnet den politischen Journalismus in Systemen, der nicht über die Opposition
berichtet oder Systemkritik übt. Die Außenpolitik der Regierung und deren innenpolitische Leitlinien
werden nicht kritisiert, nur niedrigere Ebenen können verantwortlich für Missstände gemacht werden. Der
Regierung dient die Presse dazu, eine Unterstützung auf der Bevölkerungsebene für ihre Politik
herzustellen. Ägyptische Medien sind zwar keine ,,Vierte Macht" im Staat, aber auch keine
Regierungssprachrohre. Eine "Wachhund"-Rolle billigt Mellor (2005) immerhin der Parteipresse und den
Boulevardzeitungen zu. Sie springen da ein, wo panarabische Medien versagen: bei der Debatte lokaler
Themen, und dies sogar teilweise im Dialekt, um sich ein möglichst breites Publikum zu sichern.
Einschränkungen können sie subtil umgehen, indem Kritik in Kurzgeschichtenform verpackt wird, durch
Beiträge berühmter Persönlichkeiten oder Präsentation harter ökonomischer Fakten über die
Wirtschaftslage (Rugh 1979: 44).
25
Wortschöpfung vom pro-demokratischen und zeitweilig verhafteten ägyptischen Aktivisten Saad Eddin
Ibrahim.
26
Paragraph 36 des ägyptischen Grundgesetzes legitimiert den Präsidenten dazu, vgl. Keshk 1995: 209.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 13
Zensur auszuüben und die Publikationsfreiheit im nationalen Interesse zu behindern.
Eingriffe in die redaktionelle Freiheit setzen jedoch auch schon vorher an, z.B. beim
Herausgeber (Bachit 1998). Wer als Journalist arbeiten möchte, muss sich zentral
akkreditieren lassen und Mitglied der Journalistengewerkschaft werden. Diese steht
unter strenger Regierungskontrolle und Vorsitz von Al-Ahram-Chef Ibrahim Nafie.
Mit der Verschärfung der Pressegesetze im Juli 2006 entgegen der
Ankündigungen und unter dem stillen Zuschauen der USA (Hackensberger 2006)
27
werden Berichte über Korruption innerhalb Ägyptens oder Kritik an befreundeten
Staaten wie der USA und Israel nahezu unmöglich. Wer beispielsweise den kaum
definierten ,,öffentlichen Frieden" stört, muss mit Gefängnisstrafen und hohen
Geldbußen von mindestens 10 000 ägyptischen Pfund (etwa 1328 Euro) rechnen
(Ägyptische Organisation für Menschenrechte 2006). Offensichtliche Behinderungen
der Berichterstattung über die Parlamentswahlen 2005 erzeugten in Ägypten erstmals
eine größere interessierte, protestierende Öffentlichkeit, die in dieser Form für
arabische Länder untypisch ist.
Der Pressemarkt ist gekennzeichnet durch staatliche und parteigebundene
Presse. Die arabische Ausgabe der Al-Ahram hat die höchste Auflage im Land und
gehört mit weiteren elf Publikationen zum führenden Verlagshaus in Ägypten.
28
Weitere halbstaatliche Zeitungen sind Al-Akhbar und die qualitativ abfallende Al-
Gumhuriya. Mehrere Zeitungen werden in geringerer Auflage von den einzelnen
Parteien herausgegeben
29
, unterliegen jedoch indirektem Druck in Form von
Papierzuteilungen usw. Andere Zeitungen wiederum setzen auf Boulevard und
Sensationalismus, verbreiten Klischees und Anti-Israelismus. Eine ernstzunehmende
Lokalpresse ist nahezu nicht entwickelt.
1.2.4. Zwischenfazit
Deutsche und arabische Medien sind in völlig verschiedene Mediensysteme eingebettet
mit entsprechend unterschiedlichen Einflussfaktoren und Rollenzuweisungen.
Während deutsche Zeitungen im Rahmen der gesetzlich verankerten Pressefreiheit
27
So verurteilte Ende Juni ein Gericht Ibrahim Issa, den Chefredakteur der Zeitung Al Dustor und einen
seiner Reporter, Sahar Zaki, zu einjähriger Haft und einer Geldstrafe von 10.000 ägyptischen Pfund (1328
Euro) wegen "Beleidigung des Präsidenten und Schädigung des ägyptischen Volkes". Die Zeitung hatte
über eine Klage berichtet, die den Präsidenten Hosni Mubarak des Missbrauchs öffentlicher Gelder bei der
Privatisierung staatlicher Firmen vorwarf. Auch ausländische Journalisten werden bedroht: So wurden
während der Parlamentswahlen 2005 Reporter der BBC, Los Angeles Times und von Associated Press
bedroht und körperlich angegangen. Die Auslieferung der FAZ wurde am am 16.9. 2005 wegen eines
Artikels zur Weltherrschaft des Islams verboten. Der Bürochef von Al Jazeera in Kairo, Hussein Abdel
Ghani, wurde sogar nach seiner Berichterstattung über die Anschläge von Dahab 2005 40 Stunden in
einem Auto gefangen gehalten, bevor er auf eine Polizeistation gebracht wurde (Hackensberger 2006,
Basler Zeitung 2006).
28
Die englischsprachige und französischsprachige Ausgabe von Al-Ahram kann sich deutlich mehr Kritik
an der staatlichen Politik erlauben, da sie nur einen beschränkten (sprachlich gebildeten bzw. aus dem
Ausland stammenden) Leserkreis aufweist, der auch andere Informations-Quellen konsultiert.
29
Darunter z.B. Al-Wafd (liberale Wafd-Partei), Al-Ahrar (islamistische Liberale), Al-Ahali (linke
Tagammu).

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 14
ökonomisch von der Politik unabhängig sind und über diese eine Kontrollfunktion
ausüben können, sind arabische und ägyptische Medien von zahlreichen Restriktionen
betroffen, unterstehen häufig staatlicher Einflussnahme und unterliegen keiner
garantierten Pressefreiheit.
1.3. Ein strukturalistischer Ansatz: die Systemtheorie
nach Niklas Luhmann
Das systemische Denken wird in einer Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen
verwendet. Dabei wird davon ausgegangen, dass die reale Welt in Systemen geordnet
ist. Ein System ist dabei zusammengesetzt aus Elementen, die jedoch nie als singuläre
Phänomene untersucht werden; mit gegenseitigen Wechselwirkungen und mit einer
Begrenzung am Ort, wo die Wechselwirkungen aufhören. Dies ist das Ende des Systems
bzw. die ,,Differenz zwischen System und Umwelt" (Luhmann 1996a: 35). Unter
Umwelt ist dabei die gesamte restliche Welt bzw. alle anderen Systeme zu verstehen.
Ein System im Journalismus ist z.B. die Redaktion. Es ist abgrenzbar von anderen
Systemen wie Verlag, Technologie oder den handelnden Personen. In größerem
Maßstab gehören zur Systemumwelt auch das Publikum und der politisch-
wirtschaftliche Komplex (vgl. Rühl 1980).
Wechselwirkungen bzw. Interdependenzen sind insoweit nötig, als dass sie zur
Reproduktion des Systems beitragen. Das System besitzt also eine operative
Geschlossenheit. Zur Umwelt jedoch ist es kausal offen (Berghaus 2004: 58f.). So
bezieht das System des massenmedialen Journalismus Geld und Irritationen als Input,
und liefert nach außen Berichterstattung und Einfluss auf die Umwelt. Bei den
Grenzstellen zwischen System und Umwelt, an denen sich dauerhafte Beziehungen
bilden, spricht man von ,,struktureller Kopplung". So besitzt das System des
Journalismus beispielsweise eine Schnittmenge mit dem politischen System.
Die widersprüchlichen Anforderungen, die aus der Umwelt an das System
herangetragen werden, transformiert das System in systeminterne Komplexität, indem
es Strukturen wie Rollen, Subsysteme oder Programme entwickelt. Das Mediensystem
orientiert sich dabei primär ,,an den Erwartungen des (potentiellen) journalistischen
Publikums" (Hug 1997: 359). So kann das System Rundfunkanstalt durch verschiedene
Programme, Sparten oder Genres den unterschiedlichen Erwartungen der Hörer
gerecht werden (Rühl 1987: 51). Je komplexer dabei die redaktionelle Binnenstruktur
ist, desto vielfältiger erscheint der ,,Unterscheidungs- und Programmvorrat" (Martens
1997: 310). Generell erfüllen Medien die gesellschaftliche Funktion, eine strukturierte
Massenkommunikation zu ermöglichen (Hafez 2002a: 124).
Grundlage der systemtheoretischen Gedankenführung war für Niklas Luhmann
die Systemstruktur des menschlichen Körpers als Organismus, die er auf soziale
Systeme übertrug. Das Übersystem, das auf einfacheren Systemen aufbaut, ist mehr als
die Summe seiner Teile. Dieses ,,Emergenz" genannte Phänomen sieht auf

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 15
gesellschaftlicher Ebene den Einzelmenschen als Ensemble der gesellschaftlichen
Verhältnisse. Die Gesellschaft erlangt eine Existenzform, die es auf der Ebene des
individuellen Bewusstseins nicht erreichen kann. Indem Menschen also kollektiv
verbindliche Denk- und Verhaltensmuster zugeschrieben werden, nähert sich die
Theorie dem Funktionalismus an (Becker 2001: 30). Ein Mensch gehört jedoch nicht
streng zu einem System, vielmehr wechselt jeder zwischen verschiedenen Systemen hin
und her. Deswegen bestehen Sozialsysteme nicht aus Personen, sondern aus
Handlungen (Rühl 1987:
52). Personen nehmen soziale Rollen an, z.B. als Politik- oder
Wirtschaftsredakteur.
Eine wichtige Rolle spielt der Faktor Zeit, der als ,,Aggregatsbegriff für alle
Änderungen" fungiert (Luhmann 1996a: 70). Systeme müssen sich ständig für ihr
Fortbestehen erneuern. Unter ,,Autopoiesis" wird dabei die Fähigkeit von Systemen
verstanden, die Reproduktion in selbstbezüglichen Prozessen zu erfüllen, die
vorhandenen Elemente erzeugen neue. Führt das System Austauschprozesse mit der
Umwelt durch, werden die aufgenommenen Bestandteile sofort nach Systemregeln
bearbeitet. Die Umwelt funktioniert dabei als Reizgeber, der die nötigen Schwingungen
zur Selbstreproduktion des Systems auslöst. Massenmedien erzeugen jeden Tag neuen
Output. Dieser sichert das Fortbestehen des medialen Systems, da das Erscheinen an
einem Tag die Basis für den Kauf der Zeitung auch am nächsten Tag bildet. Luhmann
wendet weiterhin den Begriff der Evolution als langfristigen Selektions- und
Mutationsprozess auf die Systeme an (Becker 2001: 39ff.).
Systeme treten in Beziehung zu verschiedenen Umweltbereichen. Dies kann
durch Sprache als Medium erfolgen. Dafür entwickelt das System
Verhaltenserwartungen, die als Institutionen zu verstehen sind. Subsysteme innerhalb
eines Systems erfüllen bestimmte Bedürfnisse und erlangen dadurch eine gewisse
Autonomie. Der Grad der Ausdifferenzierung zu Subsystemen nimmt zu, je
differenzierter die Umwelt von Sozialsystemen ist. In Zeitungen beispielsweise erzeugt
diese Differenzierung die Ressorts, die für das Gesamtsystem Zeitung verschiedene
Leistungen (z.B. politische, wirtschaftliche) übernehmen (Rühl 1987: 57).
Systeme operieren grundsätzlich sinnvoll. Zudem besitzen sie die Möglichkeit,
ihre internen Programme anzupassen, indem sie sich selbstreflexiv beobachten.
Dennoch gibt es innerhalb des Sinnprozessierens immer Blindstellen, an denen das
System nichts sehen kann. Diese sind erst durch eine Metaebene bzw. Beobachtung
zweiter Ordnung erkennbar, sie macht das Sinnprozessieren zum Thema (Becker 2001:
68). Beispiel dafür ist im politischen System das symbolisch generierte
Kommunikationsmedium Macht, als Programm fungieren die einzelnen
Parteiprogramme und der Beobachter zweiter Ordnung ist die politische Öffentlichkeit.
In einem Rundfunksystem wäre ein Fremd-Beobachter zweiter Ordnung hingegen die
(beauftragte) Publikumsforschung und Marktanalyse, die kontrollieren, ob die
Angebote überhaupt ankommen, und bei entsprechender Resonanz Rückwirkungen in
das System auslösen können.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 16
Die Gesellschaft hat sich in Teilsysteme ausdifferenziert, die ihre Reproduktions-
aufgabe mittels Kommunikation erfüllen. Kommunikation ist dabei der Grundbaustein
sozialer Gesellschaften. Kommunikation kann dabei als Differenz von Information und
Mitteilung betrachtet werden. Information bezeichnet die Diskrepanz zwischen dem,
was theoretisch vorbringbar ist und dem, was praktisch vorgebracht wurde. Unter
Mitteilung ist der Äußerungsmodus zu verstehen. Luhmann trennt zwischen ,,Alter"
(Verfasser der Botschaft) und ,,Ego" (Empfänger der Botschaft). Der
Kommunikationsakt verläuft dabei dreistufig. Alter wählt aus einem Selektionshorizont
mit quasi unendlichen Potentialen, z.B. selektiert der Journalist Informationsmaterial
nach bestimmten Kriterien wie Nachrichtenwerten. Für die Mitteilung wählt Alter aus
den Beobachtungen den Aspekt der Beobachtung aus, dies entspricht der inhaltlichen
und formalen Festlegung der Erscheinungsweise des Artikels in der
Redaktionskonferenz. In der dritten Stufe unterscheidet Ego, dass Alter eine Mitteilung
machen möchte und welchen Inhalt sie hat. Erst dann lässt sich von Kommunikation
sprechen (vgl. Berghaus 2004: 77ff.). Hier entscheidet also Ego, dass die Zeitung nur
selektive Nachrichten bringt.
Massenmedien bilden das gemeinsame soziale Gedächtnis und
Hintergrundwissen der Gesellschaft (Berghaus 2004: 242). Niklas Luhmann legte
seiner Theorie die Annahme zu Grunde, dass die Welt letztendlich eine Konstruktion
aus Beobachtungen der Realität bzw. von Unterscheidungen sei (Berghaus 2004: 24).
Während das Mediensystem ,real' operiert, d.h. ununterbrochen sendet, ist die Realität
der Massenmedien ,,die Realität der Beobachtung zweiter Ordnung" (Luhmann 1996b:
153). Sie ist eine konstruierte Realität, ,,nämlich im Sinne dessen, was für sie oder
durch sie für andere als Realität erscheint" (Luhmann 1996b: 14). Medien überprüfen
dies durch systeminterne "Konsistenzprüfungen". Versionen verschiedener Beobachter,
konkurrierende Medien und andere gesellschaftliche Instanzen helfen beim
Abgleichen, dass nichts ,Falsches' berichtet wird (Luhmann 1996b: 19) .
Medien selektieren zunächst die Information durch Dekontextuierung einzelner
Elemente aus der Außenwelt. Der nächste Schritt im Kommunikationsprozess ist die
Selektion der Mitteilung (Berghaus 2004: 213). Dabei erzeugen die Massenmedien
,,Sinnkondensate, Themen, Objekte", die im ,,rekursiven Zusammenhang der
Systemoperationen erzeugt" werden und nicht darauf angewiesen sind, von der Umwelt
bestätigt zu werden (Luhmann 1996b: 75). Ein Beispiel dafür ist ,,der 11. September".
Die Konstruktion wird dabei bestimmt von Kondensierung, Konfirmierung,
Generalisierung und Schematisierung (Luhmann 1996: 75), die so nicht existieren.
Luhmann unterscheidet bei den Medien eine Makroebene, auf der das
Mediensystem an andere Systeme wie dem politischen gekoppelt ist, und eine
Mikroebene, die durch die psychischen Systeme der einzelnen Menschen als ,,kognitiv
interessierte Beobachter" (Luhmann 1996b: 131) bestimmt ist.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 17
1.3.1. Zwischenfazit
Als universalistischen Anspruch erhebende Supertheorie gewährleistet die System-
theorie in der Kommunikationswissenschaft die Gleichberechtigung des Systems des
Journalismus gegenüber anderen Systemen. So funktioniert eine journalistische
Krisen- und Konfliktberichterstattung auch nur, wenn ,,die Autonomie gegenüber den
Partialinteressen der anderen gesellschaftlichen Teilsysteme" gewährleistet ist (Hug
1997: 358). In der Praxis allerdings verschmelzen Mediensystem und politisch-
wirtschaftliche Subsysteme teilweise miteinander, es entstehen ,,gegenseitige Einfluss-
und Abhängigkeitsverhältnisse" (Rühl 1980: 369f.). Ein nichtautonomes Mediensystem
kann seine Funktionen jedoch nicht mehr erfüllen. So können Mediensysteme in
autoritären Staaten als Subsystem des politischen Systems gedacht werden.
1.4. Ein integraler Ansatz nach Weischenberg
Journalisten sind maßgeblich am Prozess der (journalistischen) Strukturbildung
beteiligt. Jedoch handeln sie immer im strukturellen Kontext unter Rekurs auf
organisationsspezifische Regeln und institutionalisierte Praktiken (Wyss/Pühringer
2005: 304f.). Verschiedene Ansätze versuchen, das Forschungsfeld Journalismus in
Dimensionen zu fassen.
30
So bietet Weischenberg (1992: 67) mit seinem
30
In diesem Rahmen konnte nicht auf alle Theorien eingegangen werden. Empfehlenswert sind weiterhin
im medienwissenschaftlichen Kontext Donsbach (1987) und Wyss/Pühringer (2005). Giddens (1992)
Mediensysteme
(Normenkontext)
· Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
· Historische und rechtliche Grundlagen
· Kommunikationspolitik
· Professionelle und ethische Standards
Medieninstitutionen
(Strukturkontext)
· Ökonomische Imperative
· Politische Imperative
· Organisatorische Imperative
· Technologische Imperative
Medienaussagen
(Funktionskontext)
· Informationsquellen und
Referenzgruppen
· Berichterstattungsmuster und
Darstellungsformen
· Konstruktion von Wirklichkeit
· ,,Wirkungen" und ,,Rückwirkungen"
Medienakteure
(Rollenkontext)
· Demographische Merkmale
· Soziale und politische Einstellungen
· Rollenselbstverständnis und
Publikumsimage
· Professionalisierung und Sozialisation
Quelle: Weischenberg 1992: 69
Weischenbergs ,,Zwiebelmodell"
Mediensysteme
(Normenkontext)
· Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
· Historische und rechtliche Grundlagen
· Kommunikationspolitik
· Professionelle und ethische Standards
Medieninstitutionen
(Strukturkontext)
· Ökonomische Imperative
· Politische Imperative
· Organisatorische Imperative
· Technologische Imperative
Medienaussagen
(Funktionskontext)
· Informationsquellen und
Referenzgruppen
· Berichterstattungsmuster und
Darstellungsformen
· Konstruktion von Wirklichkeit
· ,,Wirkungen" und ,,Rückwirkungen"
Medienakteure
(Rollenkontext)
· Demographische Merkmale
· Soziale und politische Einstellungen
· Rollenselbstverständnis und
Publikumsimage
· Professionalisierung und Sozialisation
Quelle: Weischenberg 1992: 69
Weischenbergs ,,Zwiebelmodell"
Abbildung 2: Das "Zwiebelmodell" nach Siegfried Weischenberg

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 1: Journalistischer Normen- und Strukturkontext 18
,,Zwiebelmodell" auf Basis der konstruktivistischen Systemtheorie eine integrative
Perspektive. Die zahlreichen Einflussfaktoren auf das journalistische Handeln
strukturiert er dabei nach vier Ebenen (,,Schalen"): Mediensysteme (Normenkontext),
Medieninstitutionen (Strukturkontext), Medienaussagen (Funktionskontext) und
Medienakteure (Rollenkontext). Journalismus liefert dann nach diesen Bedingungen
und Regeln Wirklichkeitsentwürfe.
2. A
NSÄTZE AUS DER
M
EDIENWISSENSCHAFT
2.1. Die Konstruktion von Realität ­ Erkenntnistheorien
"Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir
durch die Massenmedien", konstatierte Luhmann (1996b: 9) über die erkenntnis-
theoretischen Möglichkeiten in modernen Massengesellschaften. Die gesellschaftliche
Komplexität lässt Primärerfahrungen nur in kleinem Maßstab zu (Mathes 1999: 249).
Sogar für lokale Ereignisse wird auf Sekundärerfahrungen zurückgegriffen, die zumeist
massenmedial transportiert werden.
Dass Medien und Journalisten die Wirklichkeit niemals abbilden können, gilt
längst als evident (Burkart 1999: 66). Medien-Realität erscheint inszeniert, denn zum
einen können Medien ,,die Realität" nicht unverzerrt abbilden,
31
zum anderen besteht
seit Jahrhunderten ein journalistischer Konsens der Nachrichtenfaktoren, die aber
nicht als ereignisimmanent zu betrachten sind, denn ,,Themen gewinnen oft genug v.a.
deshalb mediale Aufmerksamkeit, weil sie die Kommunikatoren instrumentalisieren,
d.h. als Mittel zur Unterstützung bestimmter Ziele verwenden" (Burkhart 2002: 287).
32
Wirkungsmächtig sind auch ,,Stereotype und Vorurteile der Journalisten, ihre
professionellen Regeln und politischen Einstellungen, die Zwänge der Nachrichten-
produktion und die Erfordernisse medialer Darstellung" (Schulz 1989: 139).
Cohen (1990) und Schmid (1992: 111) unterscheiden drei Realitätshorizonte: die
ereignisbesetzte reale objektive Welt, die in den Medien porträtierte symbolische Welt
und die subjektive Welt, so wie sie Menschen in ihrem Verstand interpretieren,
resultierend aus direkter Erfahrung als auch medial vermittelt. Sachverhalte
unterliegen auf der Medienrealitätsebene drei sozialen Funktionen in Form von
Thematisierungs-, Strukturierungs- und Bewertungsfunktion (Mathes 1999: 249f.).
Strukturationstheorie eignet sich insbesondere für die organisatorische Ebene von Medieninstitutionen,
indem sie den Dualismus von Handlung und Struktur zu überwinden versucht.
31
Dass Medien nicht mehr als ein hochgradig fragmentiertes Abbild der ,Realität' leisten können, dass
zusätzlich ideologisch verzerrt sein kann, verdeutlichen unzählige Studien. So wiesen O'Keefe und Reid-
Nash für die Berichterstattung über Kriminalität durch einen Vergleich mit Meinungsumfragen und
statistischen Daten nach, dass die Bevölkerungswahrnahme von Kriminalität eher den Medien entspricht
als der Statistik und Medien somit ein völlig schiefes Bild von Kriminalität vermitteln.
32
Eine Überspitzung davon stellte das Pseudo-Ereignis dar. Viele Ereignisse scheinen von außermedialen
Instanzen als Realität inszeniert, über die dann berichtet werden soll (Burkhart 2002: 287). Fasst man
Terrorismus primär als Kommunikationsstrategie auf, so erscheinen terroristische Anschläge in diesem
Sinn als Pseudo-Ereignis.

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
19
Schulz (1989) sortiert die unterschiedlichen Auffassungen vom Verhältnis zwischen
Medien und Realität nach zwei Kontrapolen ­ der ptolemäischen und der
kopernikanischen Antwort. Ptolemäisch denken heißt, von einer übermäßigen Macht
der Medien auszugehen und Medien als Spiegel bzw. Abbild der Wirklichkeit und als
passive Vermittler der Realität zu verstehen. Realität ist Voraussetzung von
Kommunikation. Vehemente Medienkritik (z.B. die Klage über zuviel Gewalt im
Fernsehen) ist die Reaktion auf den Widerspruch zwischen der verzerrten
Medienrealität und dem journalistischen Objektivitätsprinzip.
Der kopernikanische Ansatz hingegen sieht Medien als ,,Weltbildapparate", die
an die soziale Wirklichkeit gekoppelt sind und aktiv am Bemühen teilnehmen, eine
Realität zu konstruieren. Realität ist das Ergebnis von Kommunikation. Die
Medienrealität speist sich aus ,,objektiv" vorfindbaren Ereignissen und im
Mediensystem angelegten Erfahrungen und Verarbeitungsregeln. Verzerrungen
können nicht als Hypothese falsifiziert werden, es ist aber möglich, verschiedene
Realitätskonstrukte miteinander zu vergleichen (z.B. Medienkonstrukte mit denen der
Sozial- und Wirtschaftsstatistik). Objektivität gilt als abstraktes Ziel und
handlungsleitende Norm, es sollte im Sinne von ,,intersubjektiv überprüfbar" begriffen
werden. Bestmögliche Annäherung an die Wirklichkeit ist die wechselseitige kritische
Auseinandersetzung verschiedener Definitionen von Wirklichkeit.
Im Folgenden werden zwei Hauptansätze vorgestellt, die schließlich in einem
dritten Ansatz zusammengeführt werden. Der Realismus mit dem Glauben an die
Vermittelbarkeit der Realität dominierte lange Zeit die Sozialwissenschaften, bis
schließlich mit dem Radikalen Konstruktivismus eine vollkommen entgegengesetzte
Strömung in den 70er/80er Jahren entstand. Gestritten wurde über Grundbegriffe wie
(öffentliche) Kommunikation, Medien, Medienwirklichkeit und Objektivität (Bentele
1993: 153). Vertreter dieser Theorie sind inzwischen aber auf Kompromisslösungen
eingeschwenkt.
2.1.1. Realismus
Der Realismus ist philosophisch den ontologischen Positionen zuzurechnen. Er
behauptet die prinzipielle Existenz einer realen Außenwelt (Weber 2003: 180f.). Diese
Wirklichkeit strömt auf die Medien ein und wird an die Rezipienten selektiv oder
,biased' weitergegeben. Der Journalist wird als Wahrheitsvermittler gesehen, und die
Medien als Abbilder der Realität wahrgenommen ­ diese bei genauer Analyse als naiv
zu bewertende Position nehmen heute noch sehr viele Medienpraktiker ein (Pörksen
2004: 335, Haller 1993: 151). Dieser Ansatz, der sich vor allem in materialistischen

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
20
Medientheorien und klassischen Nachrichtenwerttheorien
33
fand, dominierte die
Medienwissenschaft bis zu Beginn der 80er Jahre (Leschke 2003: 235).
Kepplinger (1993) vertritt eine elaboriertere Variante des realistischen
Paradigmas, die von einer unabhängigen natürlichen bzw. sozialen Realität ausgeht.
Objektive Berichterstattung wird durchaus für möglich gehalten. Als Abgleich dienen
Realitätsindikatoren (extramediale Daten), die mit den Daten der Berichterstattung
(intramediale Daten) in Beziehung gesetzt werden. Subjektive Realitätsbilder wie
Meinungsumfragen können zudem mit Daten zu den Auffassungen der Journalisten
verglichen werden. Prämisse sei, dass
,,Realität existiert, erkennbar ist und mit der Berichterstattung
verglichen werden kann, dann kann man u.a. die (Veränderung der)
Berichterstattung durch die (Veränderung der) Realität erklären, ihre
Angemessenheit gegenüber der Realität ermitteln, und die
Information über die Realität als eine Funktion der Massenmedien
betrachten" (Kepplinger 1990: 51).
Zu kritisieren ist, dass auch extramediale Daten nur soziale Konstrukte sind, die durch
Menschen geschaffen wurden. Sie sind eine ,,Selektion und Interpretation dessen, was
die jeweiligen Herausgeber als ,Realität' sehen oder ausgeben möchten" (Schulz 1976:
25). Somit vergleicht man nur ,,Berichte aus verschiedenen Quellen" miteinander
(Ebd.). ,,Ausgewogenheit" ist eine Fiktion (Ebd: 27).
34
Der realistische Ansatz ist gekennzeichnet durch den Glauben an allmächtige
Medien und deren Manipulationsversuche (Schulzes ptolemäische Position), das
Bestehen auf Falsifikationsmaßstäben für Medienrealitäten und der Rekurs auf
ontologische Gewissheiten und absolute Bezugspunkte (Weber 2003: 190). Zu
kritisieren ist die realistische Auffassung dafür, den subjektiven Anteil von Journalisten
zu unterschlagen (Bentele 1993: 160).
2.1.2. Konstruktivismus
,,Nichts ist wirksam und wirklich, was nicht in den Massenmedien konstruiert wird."
(Merten 1994: 159)
Konstruktivismus an sich ist keine Theorie, sondern ein breit gefächerter Diskurs
unterschiedlicher Erkenntnis- und Forschungsinteressen.
35
Epistemologische Ansätze,
33
Z.B. Rosengren (1970), aber auch beim Gatekeeper-Ansatz. Dabei werden Ereignissen inhärente
außermediale Nachrichtenwerte zugeschrieben, die die Nachrichtenauswahl determinieren.
34
Z.B. der Wunsch, dass alle Nationen gleich sind und gleich häufig Thema sein sollten.
35
Die konstruktivistische Theoriebildung hat sehr unterschiedliche Wurzeln und erstreckt sich nicht allein
auf die Sozialwissenschaften. So kann man unterscheiden nach empirischen Kognitionstheorien
(Maturana) als biologisch-neurowissenschaftlicher Zweig, die Kybernetik zweiter Ordnung und
philosophisch-soziologischen Ansätzen wie Glasersfelds Radikalen Konstruktivismus, Hejls
konstruktivistische Systemtheorie oder Niklas Luhmanns Systemtheorie unterscheiden (vgl. Schmidt
1994a: 4).

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
21
die konstruktivistische Züge aufwiesen, gab es schon vorher, jedoch ohne so benannt zu
sein.
36
Basistheorem ist, dass Menschen ihre Wirklichkeit subjektiv und
eigenverantwortlich konstruieren (Schenk 1999: 176), dieser Prozess aber unbewusst
und implizit abläuft (Weber 2003: 185). Dementsprechend gibt es so viele
Wirklichkeiten wie Menschen (Merten 1993: 53). Deren kognitive Systeme gelten als
geschlossen, weswegen eine objektive Realitätserschließung nicht möglich ist. Realität
wird deswegen als soziales Phänomen verstanden, das durch Kommunikation zwischen
Menschen entsteht (vgl. Krippendorf 1992), denn ,,Wirklichkeit ist in einer von
Massenmedien geprägten Gesellschaft also zunehmend das, was wir über
Mediengebrauch als Wirklichkeit konstruieren, dann daran glauben und entsprechend
handeln und kommunizieren" (Schmidt 1994: 18).
Im Mittelpunkt steht also der Erkenntnisprozess selber. Dass man Wirklichkeit
konstruiert, lässt sich freilich erst dann erkennen, wenn man beobachtet, wie man
handelt und kommuniziert. Insofern ist Konstruktivismus eine ,,Theorie der
Beobachtung zweiter Ordnung" (Burkart 1999: 57).
Wenn Journalisten Mitteilungen erstellen, so handelt es sich dabei auf der
Deutungsebene nicht um ,,Wahrheiten, sondern Versionen [...], die untrennbar mit den
agierenden Personen verbunden bleiben" (Haller 1994: 286). Schulz (1976) sah in
Nachrichten weniger inhärente Ereignismerkmale, sondern journalistische Hypothesen
über die Realität. Aktant der Wirklichkeitskonstruktion ist also der einzelne Journalist.
Objektivität steuert dabei als regulative Idee die Art der journalistischen
Konstruktion der Wirklichkeit durch gesellschaftsspezifische Vereinbarungen über
Ereigniswahrnehmung und Nachrichtenverarbeitung wie Nützlichkeit und
Glaubwürdigkeit. Die subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen geschehen nicht
willkürlich, sondern ,,werden in einem permanenten Prozess mit anderen abgestimmt"
(Burkart 1999: 60ff.).
Die Konstruktionsleistung beim Wahrheitsanspruch einer Berichterstattung
wird selten klar vermittelt. Das Fernsehen verschleiert durch ,,authentische" Bilder die
eigene Medienrealität, im Pressekodex ist die ,,Wahrheitspflicht" verankert. Diese
Konstruktionsleistung führt auch gesellschaftlich zu Irritationen, da das
Wahrheitsmonopol aufgelöst wird. ,,Weil Realität ohnehin nicht mehr konsenspflichtig
ist" (Luhmann 1996b: 168), können sich Fundamentalismen aller Art entwickeln. Jeder
hat ein Recht auf seine eigene Realitätsauffassung, obwohl gleichzeitig der Glaube an
die Realität erhalten bleibt.
Der Medienwissenschaftler Schmidt entwickelte in den 90er Jahren das Modell
der Wirklichkeitskonstruktion als autokonstituiven Kreislauf der vier Instanzen
Kognition und Kommunikation (auf der Einzelmensch-Ebene) sowie Medien und
36
So stellte beispielsweise die Nachrichtenwerttheorie fest, dass ,,nicht Abbildung, sondern Auswahl und
Interpretation [...] die elementaren Kennzeichen jedweder medialer Berichterstattung" sind (Burkart 1999:
66).

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
22
Kultur (als soziale Umwelten). Dabei geht Schmidt davon aus, dass Medien und Kultur
Kognition und Kommunikation strukturell verkoppeln (vgl. Schmidt 1995). Das Modell
gilt noch heute als Standardmodell des sozio- bzw. medienkulturellen
Konstruktivismus (Weber 2003: 188).
Die konstruktivistische empirische Medienforschung misst nicht die
Medienrealität an der ,Realität an sich', sondern verglichen werden konkurrierende,
alternative Medienwirklichkeiten in Form des intermedialen Wirklichkeitsvergleichs
(Weber 2003: 193).
Der radikal-konstruktivistische Ansatz trug zur Relativierung normativer
Objektivitätsdoktrinen des Journalismus bei (Hafez 2002a: 16). Inzwischen haben
wichtige Vertreter des Konstruktivismus die Theorie bereits relativiert, Schmidt
verfolgt nun eher eine kulturalistische Begründung des Konstruktivismus (zur Kritik
vgl. Reich/Sehnbruch 2005).
2.1.3. Der Rekonstruktions-Dekonstruktions-Ansatz nach Hafez
Diese Arbeit orientiert sich implizit an Hafez' Rekonstruktions-Dekonstruktions-
Ansatz, der einen dritten Weg zwischen Realismus und Konstruktivismus darstellt.
Medienrealität wird anstatt an einem nicht erfüllbaren Objektivitätsanspruch an der
,,intersubjektiven Überprüfbarkeit eines Realitätsentwurfs" gemessen (Hafez 2002a:
16). Untersucht werden soll, ob die eigene (journalistische) Position von anderen
Diskursteilnehmern bestätigt wird.
Benteles (1990, 1993) Rekonstruktivismus basiert auf einem hypothetischen
Realismus. Er geht davon aus, dass natürliche wie gesellschaftliche Realitäten
weitgehend unabhängig vom Subjekt (dem Journalisten) bzw. Mediensystem existent
sind und vom Subjekt mit einer gewissen Unschärfe rekonstruiert werden können, da
Teile der vermittelten Realitätsentwürfe intersubjektiv sozial bestätigt werden können.
Andererseits muss Realität wegen ihrer Komplexität selektiert, transformiert und
konstruiert werden. Berichterstattungsnormen wie Objektivität sichern diese
Rekonstruktionsfähigkeit. Bentele hält Medienkonstruktionen nicht für beliebig,
sondern sieht es als Medienleistung an, permanent nach adäquater und brauchbarer
Medienwirklichkeit zu streben (Bentele 1993: 171). Medienwirklichkeit ist dabei die
Rekonstruktion anderer Wirklichkeiten. Re-Rekonstruktion meint die zuerst
stattfindende Rekonstruktion der Realität durch die Medien, die anschließend durch
den Rezipienten während des Wahrnehmungsprozesses erneut rekonstruiert wird
(Bentele 1990: 56).
Zwar sind nach Bentele Medienrealität und außermediale Realität auf der Basis
eines intersubjektiven Realitätsverständnisses vergleichbar, jedoch expliziert Bentele
nicht, wie und von wem dies möglich ist. Hafez (2002a: 19) unterscheidet an dieser
Stelle ,,medienanalytische Qualifikationen", die in der Anwendung kommunikations-

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
23
wissenschaftlicher Verfahren bestehen, und ,,gegenstandsanalytische Qualifikationen",
die die Abweichung von medialer und außermedialer Realität durch eine auf
nichtmedialer Kenntnis basierende Anschauung beurteilen zu können. Notwendig ist
also ,,Vorwissen" und ,,direkte Information" (Bentele 1990: 64). Diesen zweiten Schritt
bezeichnet Hafez mit ,,Dekonstruktion", da hier zwar auch Realität konstruiert wird,
aber lediglich, um den gleichfalls rekonstruierten Textsinn zu überprüfen und
kritisieren. Hafez gliedert die Primärerfahrung dabei in direkte sinnliche
Wahrnehmung und Diskursdiskrepanzerfahrung (Ebd.: 19).
In der vorliegenden Arbeit wird der Ansatz von Hafez nur implizit verfolgt. Die
inhaltsanalytische und diskursanalytische Qualifikation, bei der Medienrealität auf der
Basis einer Vielzahl von Textkörpern re-rekonstruiert werden soll, findet im
empirischen zweiten Teil statt. Die gegenstandsanalytische Qualifikation
(Dekonstruktion I), bei der interdisziplinär eine alternative Rekonstruktion der
Gegenstandsrealität mit Hilfe der Politikwissenschaft und Orientalistik vorgenommen
wird, erfolgt bereits im Theorieteil. Der dritte Schritt ­ die medientheoretische
Qualifikation (Dekonstruktion II), bei der diese Diskrepanzen erklärt werden sollen,
erfolgt in gewissem Rahmen in den Interpretationsteilen der Ergebnisse.
2.2. Die Produktion von Medieninhalten
2.2.1. Agenda-Setting, Priming, Framing
2.2.1.1. Agenda-Setting
Medien haben durch den Agenda-Setting-Effekt einen großen Einfluss darauf, worüber
Menschen überhaupt nachdenken (Bonfadelli/Wirth 2005: 579). Agenda-Setting ist ein
Modell der Medienwirkungsforschung, das den Zusammenhang zwischen der Agenda
der Medien und der Agenda des Publikums beschreibt. Medien transferieren dabei
Relevanz in die Gesellschaft (McCombs 2000: 123).
Medien reduzieren in ihrer Berichterstattung durch den Einfluss von
Nachrichtenfaktoren und Gate-Keeping-Prozesse die Vielzahl der Ereignisse auf einige
wenige, setzen dementsprechend Themen bzw. die Agenda. Für die Nachrichtenthemen
bedeutet dieser Auswahlprozess einen harten Wettbewerb um den knappen
Aufmerksamkeitsraum in den Medien (Dearing/Rogers 1996: 22). Als Agenda-Setter
gelten Hauptquellen, anderen Nachrichtenmedien und journalistische Normen und
Routinen (Ebd.: 117). Medien schaffen damit eine Medienrealität. Die Rezipienten
tendieren nun dazu, diese Medienrealität als soziale Realität zu übernehmen, was
empirisch bereits in mehr als 200 Studien teilweise erfolgreich thematisiert wurde (Vgl.
Jäckel 2002: 175ff.).

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
24
Dabei kristallisierten sich jedoch beim Publikum auch andere Einfluss-Faktoren heraus
wie Orientierungsbedürfnis, individuelle Wertemuster und zwischenmenschliche
Kommunikation (Burkart 2002: 252f.). Inzwischen plädieren Forscher für eine
Integration der Agenda-Setting-Theorie in die Nachrichtenforschung (Brosius 1994).
Massenmedien spielen durch Agenda-Setting eine Schlüsselrolle bei der
Verleihung von Aufmerksamkeit und können letztendlich sogar die politische Agenda
beeinflussen (Dearing/Rogers 1996: 22). Tageszeitungen erzeugen im politischen
Bereich stärkere Agenda-Setting-Effekte als das Fernsehen im Sinne von
längerfristigen Themenstrukturierungseffekten (Bonfadelli/Wirth 2005: 582).
Leitmedien wie dpa oder der Spiegel sind für ,,Intermedia Agenda-Setting"
verantwortlich (McCombs 2004: 117).
Durch den dominanten Einfluss der Medien bei der Vermittlung von Inhalten
sind Manipulationen und Erzeugung von Fiktionen allerdings nicht ausgeschlossen
(Lippmann 1990: 17). Gerade Terrorismus scheint aufgrund seiner Wertbesetztheit
dem medialen Machtpotential ausgeliefert zu sein, denn die Ansichten der Akteure ­
der Terroristen ­ werden bewertend, verzerrt oder gar nicht wiedergegeben. Und was
von den Medien nicht aufgegriffen wird, bleibt dem Rezipienten fremd.
2.2.1.2. Priming
Bezeichnet Agenda-Setting die vermittelten Inhalte, auf die die Aufmerksamkeit des
Rezipienten gelenkt wird, so benennt Priming die Vorgabe der Relevanz der Inhalte für
den Rezipienten. Was Medien an die erste Stelle rücken, wird zum Schwerpunkt (Jäckel
2002: 193ff.). Werden bestimmte Kriterien oder Aspekte häufig wiederholt, entsteht
beim Rezipienten ein festes Schema (Pürer 2003: 382). So können Medien in gewissem
Maße bestimmen, wie die Öffentlichkeit Terrorismus wahrnehmen wird, indem zum
einen Terrorismus eine ständige Priorität auf der Medienagenda zugeschrieben wird
(Agenda-Setting, Weimann 1983) oder beispielsweise der Gewaltaspekt einer
terroristischen Tat anstatt dessen Ursache betont wird (Priming, Hewitt 1992: 196).
Der Vorgang, bestimmte Charakteristika der dargestellten Gegenstände
herauszuheben, quasi eine Attribute-Agenda zu schaffen, wird auch als Second-Level
Agenda-Setting bezeichnet (Bonfadelli/Wirth 2005: 583), wobei dieses Konzept sich
dem Framing annähert (McCombs 2004: 97).
2.2.1.3. Framing
Der interpretierte und interpretierbare Kontext, in dem Massenmedien Ereignisse
vermitteln, wird mit Framing bezeichnet. Um bestimmte Ereignisse besser im Sinne
strategischen Handelns kommunizieren zu können, wird zumeist an gesellschaftlich
anerkannte Interpretationsschemata angeknüpft (Hoffmann 1998: 433) bzw. eine
bestimmte Sicht auf einen Sachverhalt nahe gelegt. Da der Begriff seine Schärfe unter
einer Vielzahl von Auslegungen nie gefunden hat, sei hier beispielhaft die

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
25
Framebestimmung durch Entman erwähnt, die von vier grundlegenden
Framefunktionen ausgeht: ,,define problems, diagnose causes, make moral judgements,
suggest remedies" (Entman 1993, zit. nach McQuail 2003: 343).
2.2.1.4. Themendynamik
Bestimmte Inhalte können sogar eine Themenkarriere durchlaufen, sofern sie die
entsprechenden Nachrichtenfaktoren bedienen. Da ein T-Akt jedoch unvorhersehbar
eintritt, muss man davon sprechen, dass er mit dem Höhepunkt beginnt. Danach folgen
Abschwungphase und Nachproblemphase. Vor allem die Anschlussdiskussionen in der
letzten Phase nehmen bei der Darstellung von Terrorismus einen größeren Raum ein,
der T-Akt selbst ist dafür das auslösende Ereignis.
2.2.2. Die Nachricht
,,Das Ausgeblendete nimmt den größten Teil der Weltereignisse ein."
(Schiffer 2004: 241)
Eine Nachricht teilt nicht nur auf der Sachebene etwas mit, sie kommuniziert ebenfalls
auf der Beziehungsebene zwischen den Kommunikationspartnern (z.B. Art der
Kommunikation), als Selbstoffenbarung und als Appell (vgl. Nachrichtenquadrat in
Schulz von Thun 1994: 14).
2.2.2.1. Theorien der Nachrichtenselektion
Eine ,,vollständige" Berichterstattung gibt es nicht, Massenmedien reduzieren die
Komplexität des Geschehens durch Reduktion der raum-zeitlichen Kontinuität und der
Ganzheit des Weltgeschehens (Schulz 1976: 8, Burkart 2002: 275).
Welche Medienbotschaften für das Bewusstsein der Rezipienten bereitgestellt
werden können, bestimmen mediale Selektionsmechanismen. Flegel und Chaffee (1971:
649) unterscheiden intrinsische (professionelle, rein sachbezogene Gründe wie z.B.
organisatorische Zwänge) und extrinsische Selektionskriterien (individuelle Gründe
wie Ansichten von Verlegern, subjektive Einstellungen des Journalisten). Die jeweiligen
Einflussfaktoren werden zumeist mit Gatekeeper-Forschung, Nachrichtenwerttheorie
und News-Bias-Forschung zu erklären versucht, auf die nachfolgend näher
eingegangen wird.
2.2.2.2. Der Journalist als ,,Mr. Gates"
Die Gatekeeper-Forschung sieht den Journalisten als ,,Schleusenwärter", der aus dem
Fluss der Ereignisse einige zur Publikation aussortiert, um die Informationsmenge zu
begrenzen. Einige spätere Forscher sehen sogar die Nachrichtenagenturen als
Gatekeeper oder zumindest als Lieferer der Vorlage (z.B. Schulz 1976). Untersucht wird

Terror global, Diskurs lokal. Kapitel 2: Ansätze aus der Medienwissenschaft
26
die Mikro- und Meso-Ebene, um Eigenschaften des einzelnen Journalisten bzw. der
jeweiligen Medienorganisation herauszufinden, die die Nachrichtenauswahl
beeinflussen (Kuscinski/Zipfel 2005: 241).
David M. White bezeichnete in einer der ersten Studien in den 50er Jahren den
Journalisten, der die Nachrichten am Fernschreiber sortierte, als ,,Mr. Gates". Damals
schrieb die Gatekeeper-Forschung die Nachrichtenauswahl noch allein den subjektiven
Kriterien des Journalisten bzw. professionellen Kriterien zu (Pürer 2003: 128f).
Erst später erweiterten sozialpsychologische und soziologische
Erklärungsmuster das Verständnis, indem sie berücksichtigten, dass ,,Gatekeeper [...]
keine isolierten Individuen sind, sondern in bürokratisch organisierte Institutionen
integriert sind" (Bonfadelli/Wyss 1998: 25), also organisatorischen und technischen
Zwängen unterliegen und sich an Kollegen und der Redaktionslinie orientieren (Schulz
1976: 11f.).
Schließlich betrachtet der kybernetische bzw. systemtheoretische Zugang die
Makroebene und darin vorhandene Systemzwänge (z.B. Robinson 1970, Rühl 1969).
Kritisiert wird der Gatekeeper-Ansatz
37
wegen seiner anschaulichen
Eindimensionalität: Es wird nur ein Faktor bzw. eine Schnittstelle im
Medienproduktionsprozess untersucht, während beispielsweise Gewichtung und Inhalt
der Meldungen außen vor bleibt (Kuscinski/Zipfel 2005: 245).
2.2.2.3. News-Bias-Forschung
Dieser heterogene Forschungszweig gehört zur Mikroebene der Gatekeeper-Forschung
und möchte ,,Unausgewogenheiten, Einseitigkeiten und politische Tendenzen in der
Medienberichterstattung [...] messen sowie Aufschluss über deren Ursachen [...]
erlangen" (Staab 1990: 27). Untersucht wird der Zusammenhang zwischen den
persönlichen Grundhaltungen von Journalisten und ihrer Nachrichtenauswahl (Pürer
2003: 128).
In vielen Studien zeigte sich, dass sich die Berichterstattung an der
redaktionellen Linie orientierte. Journalisten akzeptierten zwar, Aspekte eines Themas
entsprechend ihrer Ansicht hochzuspielen, hingegen nicht, Informationen fallen zu
lassen. Eine einseitige Berichterstattung, die eine hohe Synchronität
(Übereinstimmung von Berichten mit Kommentarlinie) aufweist, kann auch durch
opportune Interviewpartner zustande kommen (Kuscinski/Zipfel 2005: 267ff.).
37
Eine Weiterführung ist die Theorie der redaktionellen Entscheidungsprogramme/Routinen, die von
Gaye Tuchman und Ulrich Saxer vertreten wird. Danach wird die Nachrichtenauswahl bestimmt durch
strukturelle Kriterien wie Zugänglichkeit der Informationsquellen oder Platzmangel, durch
Ressortzuordnung von Themen und durch Nachrichtenwertkriterien (vgl. Pürer 2003: 129). Den
interessanten Ansatz der ,,Theorie der instrumentellen Aktualisierung" bietet Kepplinger (1989): in
Erweiterung der klassischen Gatekeeper-Forschung unterscheidet er Selektions-, Inszenierungs- und
Aktualisierungsmodelle. Während beim Selektionsmodell der Journalist als passiver Vermittler agiert und
beim Aktualisierungsmodell geschehene Ereignisse durch Journalisten zweckgerichtet genutzt werden,
lässt sich das Instrumentalisierungsmodell vor allem bei publizistischen Konflikten beobachten.
Journalisten
spielen gemäß ihrer persönlichen Problemsicht bewusst bestimmte Ansichten hoch oder
herunter.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836606585
Dateigröße
2.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Journalistik
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
islam terrorismus zeitung anschlag sharm el-sheikh
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