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Mathematische Analyse der Eignung quantilbasierter Risikomaße zur Definition der Mindestkapitalanforderungen unter Berücksichtigung der Ziele von Solvency II

©2007 Diplomarbeit 105 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Parallel zum etwas bekannteren Regelwerk Basel II, das die Aufsicht von Banken und Kreditinstituten in rund 100 Staaten regelt, arbeitet die Europäische Kommission seit 1999 am Projekt Solvency II, durch das die Aufsicht von Versicherungsunternehmen weitläufig reformiert werden soll. Analog zu Basel II werden die Anforderungen der Aufsicht künftig in einer Drei-Säulen-Struktur gegliedert:
- Säule I Eigenmittelanforderungen.
- Säule II Aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren.
- Säule III Marktdisziplin.
Im Rahmen der Säule I werden quantitative Vorgaben bezüglich der Höhe und der Berechnungsverfahren des vorzuhaltenden Risikokapitals formuliert. Risikokapital stellt dabei das Kapital dar, das von einem Versicherungsunternehmen vorgehalten werden muss, um dessen Fortbestand mit hoher Sicherheit gewährleisten zu können.
Die Säule II beinhaltet qualitative Regelungen bezüglich dem zukünftigen Überprüfungsverfahren durch die Aufsichtsbehörde. In Säule III sollen schließlich Publikationspflichten vorgegeben werden, die die Transparenz und Vergleichbarkeit der einzelnen Versicherungsunternehmen für die Versicherungsnehmer erhöhen. Damit sind die Versicherungsunternehmen auch aufgrund des Wettbewerbs zu einem effektiven Risikomanagement gezwungen.
Problemstellung:
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einer Fragestellung der Säule I. Das Risikokapital soll in Zukunft durch Risikomaße berechnet werden. Unter Basel II ist derzeit die Verwendung des Risikomaßes Value-at-Risk zu einem Konfidenzniveau von 99% vorgeschrieben. Es stellt sich nun die Frage, welches Risikomaß am besten geeignet ist, um der Aufgabe der Risikokapitalberechnung unter Solvency II gerecht zu werden.
Es muss geklärt werden, nach welchen Kriterien ein Risikomaß als geeignet betrachtet werden kann, welche Eigenschaften es notwendigerweise erfüllen muss, ob unter diesen Vorgaben der Value-at-Risk ein geeignetes Risikomaß ist und welche Alternativen zum Value-at-Risk existieren. Der Fokus liegt dabei auf den Risikomaßen, die auf der Basis von Quantilen definiert werden.
Gang der Untersuchung:
Im ersten Kapitel werden die Grundlagen der Arbeit erarbeitet. Es werden die Begriffe Risiko, Risikokapital und Risikomaß sowie die Grundidee der Solvabilität erklärt und weitere Informationen zum Solvency II-Projekt gegeben.
In Kapitel 2 werden die Eigenschaften von Risikomaßen untersucht. Insbesondere werden Kohärenz und Konvexität, Verteilungsinvarianz […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Verena Nallin
Mathematische Analyse der Eignung quantilbasierter Risikomaße zur Definition der
Mindestkapitalanforderungen unter Berücksichtigung der Ziele von Solvency II
ISBN: 978-3-8366-0604-2
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Trier, Trier, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1
Kapitel 1 Grundlagen
3
1.1 Risiko als Zufallsvariable
4
1.2 Risikokapital
9
Kapitel 2 Eigenschaften von Risikomaßen
13
2.1 Anforderungen an Risikomaße aus praktischer Sicht 14
2.2 Kohärenz und Konvexität
16
2.3 Charakterisierung von Risikomaßen durch ihre Akzeptanzmengen 21
2.4 Robuste Darstellung kohärenter Risikomaße
26
2.5 Verteilungsinvarianz 31
Kapitel 3 Risikomaße
36
3.1 Value-at-Risk
38
- Definition und Eigenschaften
- Der Value-at-Risk und die Subadditivität
- Kritik des Value-at-Risk
3.2 Expected Exceedence Measures
55
- Definition und Eigenschaften von WCE und AVaR
- Beziehungen zwischen den Risikomaßen VaR, WCE und AVaR
- Value-at-Risk und Average Value-at-Risk im GDV-Modell
III

3.3 Spektralrisikomaße
70
- Herleitung und Definition der Klasse der Spektralrisikomaße
- Die Bedeutung der Risikoaversionsfunktion
- Weitere Eigenschaften der Spektralrisikomaße
- Der Einsatz von Spektralrisikomaßen bei der Risikokapitalberechnung
Kapitel 4 Schlussbemerkung
86
Anhang 89
Quellenverzeichnis
94
Symbol- und Abkürzungsverzeichnis 98
IV

Einleitung
Parallel zum etwas bekannteren Regelwerk Basel II, das die Aufsicht von Banken und
Kreditinstituten in rund 100 Staaten regelt, arbeitet die Europäische Kommission seit
1999 am Projekt Solvency II, durch das die Aufsicht von Versicherungsunternehmen
weitläufig reformiert werden soll. Analog zu Basel II werden die Anforderungen der
Aufsicht künftig in einer Drei-Säulen-Struktur gegliedert:
Säule I
Eigenmittelanforderungen
Säule II
Aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren
Säule III Marktdisziplin
Im Rahmen der Säule I werden quantitative Vorgaben bezüglich der Höhe und der Be-
rechnungsverfahren des vorzuhaltenden Risikokapitals formuliert. Risikokapital stellt
dabei das Kapital dar, das von einem Versicherungsunternehmen vorgehalten werden
muss, um dessen Fortbestand mit hoher Sicherheit gewährleisten zu können.
Die Säule II beinhaltet qualitative Regelungen bezüglich dem zukünftigen Überprü-
fungsverfahren durch die Aufsichtsbehörde. In Säule III sollen schließlich Publikations-
pflichten vorgegeben werden, die die Transparenz und Vergleichbarkeit der einzelnen
Versicherungsunternehmen für die Versicherungsnehmer erhöhen. Damit sind die Ver-
sicherungsunternehmen auch aufgrund des Wettbewerbs zu einem effektiven Risikoma-
nagement gezwungen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einer Fragestellung der Säule I. Das Risikokapi-
tal soll in Zukunft durch Risikomaße berechnet werden. Unter Basel II ist derzeit die
Verwendung des Risikomaßes Value-at-Risk zu einem Konfidenzniveau von 99% vor-
geschrieben. Es stellt sich nun die Frage, welches Risikomaß am besten geeignet ist, um
der Aufgabe der Risikokapitalberechnung unter Solvency II gerecht zu werden. Es muss
geklärt werden, nach welchen Kriterien ein Risikomaß als geeignet betrachtet werden
kann, welche Eigenschaften es notwendigerweise erfüllen muss, ob unter diesen Vorga-
ben der Value-at-Risk ein geeignetes Risikomaß ist und welche Alternativen zum Va-
lue-at-Risk existieren. Der Fokus liegt dabei auf den Risikomaßen, die auf der Basis von
Quantilen definiert werden.
1

Im ersten Kapitel werden die Grundlagen der Arbeit erarbeitet. Es werden die Begriffe
Risiko, Risikokapital und Risikomaß sowie die Grundidee der Solvabilität erklärt und
weitere Informationen zum Solvency II-Projekt gegeben.
In Kapitel 2 werden die Eigenschaften von Risikomaßen untersucht. Insbesondere wer-
den Kohärenz und Konvexität, Verteilungsinvarianz und Konsistenz zur stochastischen
Dominanz erster und zweiter Ordnung behandelt.
Im dritten Kapitel werden schließlich verschiedene Risikomaße untersucht. Der
Schwerpunkt liegt auf dem Value-at-Risk, dem Average Value-at-Risk und den kohären-
ten Spektralrisikomaßen.
Kapitel 4 rundet die Arbeit mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einer eige-
nen Stellungnahme ab.
2

Kapitel 1 Grundlagen
Im ersten Kapitel werden grundlegende Überlegungen angestellt, die bei der Suche nach
einem geeigneten Risikomaß für die Versicherungsbranche zu beachten sind.
Zunächst wird der Begriff Risiko aus (versicherungs-)betriebswirtschaftlicher Sicht
definiert und erklärt, welche Risiken in Versicherungsunternehmen existieren. Eine wei-
tere Frage ist, ob und inwiefern sich die Risiken des Versicherungsunternehmens von
denen einer Bank unterscheiden. Da die Unterschiede nicht unerheblich sind, können
die Regelungen von Basel II nicht auf Solvency II übertragen werden. Anschließend
wird die mathematische Definition eines Risikos formuliert. Ein finanzielles Risiko
wird dann interpretiert Zufallsvariable, deren positive Werte als Gewinn und deren ne-
gative Werte als Verlust interpretiert werden. Risiken werden gemessen durch Risiko-
maße. Diese werden ebenfalls mathematisch definiert und mögliche Anwendungen er-
läutert.
Im zweiten Abschnitt wird der Begriff des Risikokapitals behandelt. Es werden drei
wichtige Verwendungsmöglichkeiten für Risikokapital vorgestellt. Weiterhin wird der
Frage nachgegangen, welchen Zweck die Solvabilität im Versicherungsunternehmen er-
füllt und welche Anforderungen im Rahmen von Solvency II an die Solvabilität eines
Versicherungsunternehmens gestellt werden.
3

1.1 Risiko als Zufallsvariable
Bevor Risiko gemessen werden kann, muss zunächst geklärt werden, was Risiko genau
ist. In der Literatur finden sich zahlreiche Ansätze zur Erklärung von Risiko, die von
G
RÜNDL
/ W
INTER
([20]) wie folgt zusammengefasst sind: Risiko kann verstanden werden
als
·
die Gefahr einer Fehlentscheidung
·
die Unsicherheit über die Ergebnisse wirtschaftlichen Handelns
·
die Gefahr, einen Verlust zu erleiden
·
die mögliche Abweichung zwischen Plandaten und faktischen Daten
·
die auf wahrscheinlichkeitstheoretischer Basis kalkulierbare Unsicherheit zu-
künftiger Entwicklungen als Gegensatz zur Ungewissheit.
Ein Versicherungsunternehmen nimmt Prämien ein und bildet daraus Reserven (Rück-
stellungen, Rücklagen), um im Schadensfall die vertraglich vereinbarten Leistungen ge-
genüber den Versicherungsnehmern erbringen zu können. Das Versicherungsunterneh-
men unterliegt dem Risiko, dass die Einnahmen aus den Prämien (insbesondere auch die
Zinserträge der Kapitalanlage) nicht ausreichen, um die Reserven in der notwendigen
Höhe bilden zu können und noch vielmehr dem Risiko, dass die Schäden größer ausfal-
len als angenommen und die Reserven übersteigen.
Hierzu passend findet sich bei W
ENNINGER
([33], S. 13) folgende Definition:
,,Risiko ist die Gefahr der Abweichung der Vermögenswerte und Schäden von der Er-
wartung."
An Stelle des Erwartungswerts kann als Vergleichsmaßstab auch eine beliebige Vorga-
be (Planwert) gewählt werden. In der Definition kann man dann ,,Erwartung" durch
,,Vorgabe" ersetzen. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, dass somit unter Risiko
nicht nur die Möglichkeit einer negativen Abweichung von einer Vorgabe oder der Er-
wartung verstanden wird, sondern auch die Möglichkeit einer positiven Abweichung.
Die Versicherungsnehmer begeben sich mit Abschluss eines Versicherungsvertrags in
die Risikosituation, dass der Versicherer nicht dazu in der Lage sein könnte, sein Leis-
tungsversprechen vollständig zu erfüllen. Dies ist aus Sicht der Versicherten und somit
auch aus Sicht der Aufsicht zu verhindern. Das Insolvenzrisiko stellt aus Sicht der Ver-
4

sicherungsnehmer und der Aufsicht das zu regulierende Risiko dar. Ein Unternehmen ist
insolvent, wenn es zahlungsunfähig oder überschuldet ist (vgl. § 88 Abs. 2 VAG).
Wenn das Insolvenzrisiko reguliert werden soll, dann muss vor allem die Gefahr einer
negativen Abweichung der Vermögenswerte und Schäden von der Erwartung (Downsi-
de Risk) gemessen werden. Positive Abweichungen sind dennoch möglich. Dies macht
Sinn, wenn man das Gesamtrisiko eines Unternehmens auf der Basis von Einzelrisiken
berechnet, wie es im Rahmen von Solvency II vorgesehen ist. Positive Abweichungen
mindern dann das Gesamtrisiko.
A
LBRECHT
/ K
ORYCIORZ
([8]) unterteilen die Risiken eines Versicherungsunternehmens in
Performancerisiken, die die Erfolgsebene des Unternehmens betreffen, und in Liquidi-
tätsrisiken, die die Zahlungsebene des Unternehmens betreffen. Im Versicherungsunter-
nehmen sind die Performancerisiken dominant. Sie können unterteilt werden in Über-
schuldungsrisiken, die insbesondere die Gefahr des Verzehrs des vorhandenen Eigenka-
pitals betreffen und in Profitabilitätsrisiken, also der Gefahr, dass die angestrebte Min-
destkapitalrendite nicht erreicht wird. Die Performance eines Versicherungsunterneh-
mens wird in zwei Bereichen erwirtschaft: im versicherungstechnischen Bereich (Pas-
sivseite) und im Bereich der Kapitalanlage (Aktivseite). Die wichtigsten Risiken im
versicherungstechnischen Bereich liegen darin, dass die kalkulierten Prämien für das
Neugeschäft nicht ausreichen, um den daraus entstehenden Schaden zu decken, und
dass die Rückstellungen aus dem Geschäft früherer Perioden für die daraus entstehen-
den Verpflichtungen nicht ausreichen. Auf der Aktivseite besteht die Gefahr, dass
Markt- oder Buchwertverluste der Kapitalanlagen auftreten und aus den Kapitalanlagen
zu wenig Einkommen in Gestalt von Zinsen, Dividenden und realisierten Kursgewinnen
erzielt wird. In beiden Bereichen bestehen ferner Bonitätsrisken; diese betreffen zum
Beispiel das Risiko, dass die Zahlungen aus Rückversicherungsbeziehungen nicht ge-
leistet werden oder einen möglichen Kontrahentenausfall.
Auf der Passivseite unterscheiden sich die Risiken eines Versicherungsunternehmens
ganz erheblich von denen einer Bank. Der Kalkulation der Prämien und Rückstellungen
liegen insbesondere Annahmen über die Schadenwahrscheinlichkeiten und die Schaden-
höhe zugrunde, wobei Schäden etwa im Bereich der Schadenversicherung durch Natur-
katastrophen oder Unfälle entstehen oder im Bereich der Lebens- und Rentenversiche-
rung durch den sehr frühen oder sehr späten Tod eines Versicherungsnehmers. Der Kal-
kulation liegen also Ereignisse zugrunde, die den Bankensektor - wenn überhaupt ­ nur
5

indirekt betreffen. Dahingegen könnte man annehmen, dass die Risiken auf der Aktiv-
seite bei Versicherungsunternehmen und Banken gleicher Natur sind. Dies ist jedoch im
Allgemeinen nicht der Fall. Nach A
LBRECHT
ET
AL
. ([7]) liegt ein wesentlicher Unter-
schied darin, dass für ein Versicherungsunternehmen die Kapitalanlage nicht das Kern-
geschäft bildet, sondern sie betreiben die Kapitalanlage, um den eingegangen Ver-
pflichtungen gegenüber den Versicherungsnehmern Genüge leisten zu können. Der
Handel mit Kapitalanlagen tritt also in den Hintergrund, der zeitliche Rahmen ist nicht
kurz- sondern mittel- bis langfristig ausgelegt.
Die Risiken im versicherungstechnischen Bereich spielen in Versicherungsunternehmen
die entscheidende Rolle. Da sich die Risiken eines Versicherungsunternehmens stark
von denen einer Bank unterscheiden können, können auch die Regelungen unter Basel
II nicht ohne Weiteres auf die Versicherungsbranche übertragen werden.
Mathematisch gesehen versteht man unter Risiko den zukünftigen und zufälligen Wert
einer finanziellen Position (vgl. B
ÄUERLE
/ M
UNDT
([10])). Eine solche Finanzposition
kann zum Beispiel sein
- die Höhe eines aus einem Finanzinvestment resultierenden Endvermögen
- der Periodenerfolg eines Unternehmens
- die Veränderung der anfänglich gestellten Schadenreserve für einen Versicherungsbe-
stand über eine Periode (vgl. A
LBRECHT
([6])).
Wie in diesen drei Beispielen gegeben, werden auch im Folgenden nur solche Finanzpo-
sitionen betrachtet, deren positive Werte einen Gewinn und deren negative Werte einen
Verlust für das VU darstellen. Dies entspricht der Notation bei B
ÄUERLE
/ M
UNDT
([10])
und A
RTZNER
ET
AL
. ([9]).
Insgesamt ergibt sich die folgende Definition (vgl. B
ÄUERLE
/ M
UNDT
([10])).
Definition 1.1 :
Risiko
,
A ist ein Messraum. Eine reellwertige Zufallsvariable X auf , A
heißt Risiko , wenn X den zukünftigen Wert einer finanziellen Position am Ende
einer Betrachtungsperiode
0, T darstellt.
Der Raum aller interessierenden Risiken wird mit X bezeichnet . X sei ein
Vektorraum , der die konstanten Funktionen enthält. Alle X
X seien reellwertig
und beschränkt.
Im betrachteten Kontext ist die Betrachtungsperiode im Allgemeinen ein Jahr. Um das
Risiko quantifizieren zu können, werden Funktionen ­ Risikomaße ­ definiert, die ei-
6

nem Risiko eine reelle Zahl zuordnen (vgl. A
RTZNER
ET
AL
. ([9])).
Definition 1.2 :
Risikomaß
Eine Abbildung
: X heißt Risikomaß.
Die Messung des Risikos als reelle Zahl ermöglicht einen Vergleich verschiedener Fi-
nanzpositionen (Investments) hinsichtlich ihres Risiko-Werts. Die Finanzpositionen
können hinsichtlich ihres Risiko-Werts geordnet werden (vgl. S
ZEGÖ
([30])). Allerdings
gehen bei der Abbildung auf die reellen Zahlen viele Informationen verloren, insbeson-
dere können sehr unterschiedlich beschaffene Risiken den gleichen Wert zugewiesen
bekommen. Aus diesem Grund ist es notwendig, zusätzliche Eigenschaften für Risiko-
maße zu definieren (vgl. B
ÄUERLE
/
MUNDT
([10])).
Es sei noch bemerkt, dass gemäß B
ÄUERLE
/ M
UNDT
([10]) der Einfachheit halber ange-
nommen wird, dass alle Beträge bereits diskontiert sind. Die Berücksichtigung einer
Diskontierungsrate ist durch eine einfache Transformation des Risikomaßes möglich
(siehe F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17], S. 154)).
Es gibt zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für Risikomaße (vgl. B
ÄUERLE
/ M
UNDT
([10])), von denen drei im Folgenden kurz erläutert werden sollen.
Optimale Portfolio-Selektion. Risikomaße können in der Portfoliotheorie im Modell von
Markowitz anstatt der Varianz bzw. Standardabweichung eingesetzt werden. Im Modell
von Markowitz entscheiden Investoren auf der Basis des Erwartungswerts und der Stan-
dardabweichung der Renditen von verschiedenen Wertpapieren, wie ihr Portfolio zu-
sammengesetzt sein soll. Dabei gibt der Erwartungswert den Ertrag an und die Stan-
dardabweichung misst das Risiko. Das Modell von Markowitz ist also ein Risiko-Wert-
Modell. Dabei gilt die Annahme, dass ein Investor aus zwei Portfolios mit identischem
Risiko dasjenige mit dem größeren Ertrag wählt (Nutzenmaximierung) und aus zwei
Portfolios mit identischem Ertrag dasjenige mit dem geringsten Risiko wählt (Risiko-
aversion). Da die Standardabweichung jedoch einen sehr einfachen Ansatz zur Risiko-
messung darstellt und insbesondere nicht das Downside Risk misst, sondern ein Streu-
ungsmaß darstellt, kann sie durch neuere Risikomaße ersetzt werden.
Bestimmung von Risikokapital. Risikokapital gibt denjenigen Kapitalbetrag an, der an-
gelegt werden muss, um das Risiko einer Finanzposition im Rahmen von gewissen Vor-
gaben (z.B. betrachteter Zeitraum, Konfidenzniveau, angenomme Verteilung) zu elimi-
nieren. Die Anwendung von Risikomaßen zur Berechnung von Risikokapital ist das
7

Hauptthema dieser Arbeit, und der Begriff ,,Risikokapital" wird im folgenden Abschnitt
noch näher erklärt.
Verfahren der Risikokapitalallokation. Wird für ein Unternehmen der Gesamtbedarf an
Risikokapital berechnet, so stellt sich anschließend die Frage, wie dieses Gesamtkapital
auf die einzelnen Unternehmensbereiche aufzuteilen ist. Damit lässt sich feststellen,
welche Bereiche besonders risikobehaftet sind und welchen Betrag jeder Bereich erwirt-
schaften muss, um seinen Anteil am Gesamtbedarf an Risikokapital zu decken. Dazu
werden Allokationsprinzipien definiert, dies sind Funktionen
: J
K
1
, ... , K
n
.
Dabei ist
ein gegebenes kohärentes Risikomaß, X der Gesamtkapitalbedarf
des Unternehmens, J die Indexmenge der einzelnen Unternehmensbereiche und es gilt
i
=1
n
K
i
= X . Für Allokationsprinzipien existiert - ähnlich wie in Abschnitt 2.2 für
Risikomaße ­ ein Axiomensystem, das ein kohärentes Allokationsprinzip definiert und
gewährleisten soll, dass eine faire Verteilung des Gesamtkapitalbedarfs auf die einzel-
nen Bereiche stattfindet. Ein kohärentes Risikokapitalallokationsverfahren ist zum Bei-
spiel die Kovarianzbasierte Kapitalallokation.
8

1.2 Risikokapital
Risikokapital wird berechnet, um den möglichen Verlust einer risikobehafteten Finanz-
position oder (Unternehmens-)Aktivität auszugleichen. Im Wesentlichen gibt es drei Si-
tuationen für den Einsatz von Risikokapital:
1. Im Rahmen einer Budgetlimitierung können Risikokapitalbeträge als Vorgaben für
einzelne Geschäftseinheiten, die risikobehaftete Aktivitäten durchführen, angegeben
werden. Zum Beispiel kann eine Bank, die mehrere Händler beschäftigt, die für sie mit
Wertpapieren handeln, diesen Händlern die Vorgabe machen, dass die gehandelten Pa-
piere bzw. ein Portfolio nicht mehr als eine bestimmte Höhe von Risikokapital erfordern
dürfen.
2. Um an einem organisierten Exchange (z.B. Eurex, CBOT ­ Chicago Board of Trade)
Wertpapiere (insbesondere Derivate) handeln zu können, muss ein Händler dort ein
Konto eröffnen und eine Margin hinterlegen, um eventuelle Verluste absichern zu kön-
nen. Die Margin Requirements werden immer wieder angepasst und werden in Form
von Risikokapital berechnet, abhängig davon, welche Wertpapiere sich gerade im Port-
folio befinden.
3. Die Aufsichtsbehörde macht Vorschriften für ein Mindestkapital, das Banken oder
Versicherungen vorhalten müssen, um sich gegen Insolvenz zu schützen.
In dieser Arbeit interessiert insbesondere der dritte Punkt. Im Rahmen von Solvency II
soll die Berechnung der Mindestkapitalanforderungen mit einem sogenannten Risk-Ba-
sed Capital ­ Modell für Erstversicherungsunternehmen vorgeschrieben werden. Ob
und inwiefern solche Kapitalanforderungen auch für Rückversicherungsunternehmen
gelten werden, steht derzeit noch nicht fest, deshalb wird in dieser Arbeit nur auf Erst-
versicherungsunternehmen eingegangen, die sich im Wesentlichen in die drei Sparten
Lebensversicherung, Krankenversicherung und Schadenversicherung einteilen lassen.
In diesem Zusammenhang wird Risikokapital gebildet, um die Insolvenz eines Versi-
cherungsunternehmens mit großer Wahrscheinlichkeit zu verhindern. Die Begriffe ,,Ri-
sikokapital" und ,,Sicherheitskapital" sind Synonyme (vgl. K
ORYCIORZ
([26])). Das Risi-
kokapital ist jedoch nicht identisch mit dem Eigenkapital. In Bezug auf Versicherungs-
unternehmen wird häufig der Begriff ,,Solvabilität" (englisch: ,,solvency requirement",
,,solvency margin") verwendet.
Nach F
ARNY
([16], S. 778-779) beruht die ,,Grundidee der Solvabilität" auf drei Aspek-
9

ten:
- Die Gesamtrisikolage eines Versicherungsunternehmens wird auf der Basis von Grö-
ßen aus dem Jahresabschluss (soweit ausreichend) geschätzt.
- Daraus wird die erforderliche Mindestausstattung mit Solvabilitätsmitteln abgeleitet.
Es gilt die Hypothese, dass die Mindestausstattung mit Solvabilitätsmitteln eine Min-
destsicherheit des Versicherungsunternehmens bewirkt.
- Falls die vorhandenen Solvabilitätsmittel die erforderliche Mindestausstattung unter-
decken, schreitet die Aufsichtsbehörde mit Sanktionen ein.
Das allgemeine Ziel der Berechnung der Solvabilität bzw. des Risikokapitals ist also si-
cherzustellen, dass genügend Eigenmittel vorhanden sind, um Verluste decken und da-
mit die Existenz des Versicherungsunternehmens sichern zu können. Nach K
RIELE
ET
AL
.
([27]) haben regulatorische Solvabilitätsanforderungen in der Versicherungswirtschaft
die Hauptfunktionen Schutz der Versicherten und Erhalt der Versicherungsunterneh-
men. Die Insolvenz eines Versicherungsunternehmens kann wegen des typischerweise
hohen Kapitalanlagevolumens die Stabilität der Kapitalmärkte und die gesamtwirt-
schaftliche Stabilität einer Volkswirtschaft gefährden. Bei Solvency II kommt ein quali-
tativer Aspekt hinzu, da die Risikoorientierung und Risikoeinschätzung gefördert und
gestärkt werden soll.
Bisher wurde die Solvabilität mithilfe einfacher Formeln auf der Basis der technischen
Reserven (im Lebensversicherungsbereich) und Prämien oder historischen Schäden (im
Sachversicherungsbereich) berechnet (vgl. K
RIELE
ET
AL
. ([27]), G
RÄWERT
ET
AL
. ([19]);
Details zum derzeit gültigen Berechnungsverfahren finden sich bei M
ÜLLER
([28])).
Die Ziele des Solvency II-Projekts sind insbesondere:
·
die Vereinheitlichung des Versicherungsaufsichtsrechts auf EU-Ebene,
·
eine unternehmensspezifische und damit risikogerechtere Ermittlung der Eigenmit-
telanforderungen,
·
die Erfassung aller Risiken mit ihren gleichzeitigen Wirkungen auf das Gesamtunter-
nehmen,
·
die Kompatibilität des neuen Aufsichtsrechts und der neuen Eigenmittelanforderun-
gen mit den Rechnungslegungsvorschriften IAS/IFRS,
·
eine Bewertung der Aktiva und Passiva aus Marktwertsicht (im Gegensatz zur Buch-
wertsicht),
·
die Vermeidung der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens mit der besonderen
10

Motivation, die Versicherungsnehmer zu schützen.
Unter Solvency II wird künftig zwischen einem Mindestkapital (Absolute Minimum
Margin) und einem ökonomischen Kapital (Solvency Capital Requirement, SCR) unter-
schieden. Das Mindestkapital stellt dabei das Eigenkapital dar, das notwendigerweise
zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs vorhanden sein muss. Das ökonomische
Kapital stellt das ökonomisch wünschenswerte Kapital dar, das einen sinnvollen Ge-
schäftsbetrieb ermöglicht und wird daher auch Zielkapital genannt. Bei Unterschreitung
des Mindestkapitals ist der Geschäftsbetrieb einzustellen, bei Unterschreitung des öko-
nomischen Kapitals greift die Aufsicht in den Geschäftsbetrieb ein. Ein Versicherungs-
unternehmen erfüllt die Eigenmittelanforderungen der Aufsicht somit nur dann vollstän-
dig, wenn mindestens ein Eigenkapital in Höhe des SCR vorgehalten wird.
Der Nachweis, dass die Eigenmittelanforderungen erfüllt sind, soll in Zukunft auf zwei
verschiedene Arten erbracht werden können: durch Verwendung eines Standardmodells
oder durch Verwendung eines internen Risikomodells. Das Standardmodell wird von
der Aufsicht einheitlich bereitgestellt, während das interne Modell im Unternehmen in-
dividuell entwickelt wird. Ein internes Risikomanagement gilt nach vorherrschender
Meinung als beste Absicherung gegen Insolvenz, die Entwicklung eines solchen Mo-
dells ist jedoch sehr kostspielig. Deshalb wird erwartet, dass vor allem kleine und mit-
telständische Versicherungsunternehmen das Standardmodell vorziehen werden.
Gleichzeitig soll das Standardmodell durch einfache Modellbildung und konservative
Parameterschätzung Anreize zur Einführung eines internen Risikomanagements enthal-
ten. Durch ein unternehmensindividuelles Modell ist es möglich, niedrigere Eigenmit-
telanforderungen auszuweisen.
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat im Sommer
2005 einen Vorschlag für ein europaweites Standardmodell veröffentlicht, mit dem ins-
besondere das SCR berechnet werden kann. Weiterhin werden Prinzipien zur Bestim-
mung des vorhandenen Solvenzkapitals (Available Solvency Margin, ASM) im Unter-
nehmen formuliert. Der Vorschlag stellt eine Weiterentwicklung des vorherigen GDV-
Standardmodells dar und folgt insbesondere den Vorschlägen der International Actuari-
al Association (IAA). Die Eigenmittel, die ein Versicherungsunternehmen vorhalten
muss, werden so errechnet, dass das Versicherungsunternehmen mit einer Ruinwahr-
scheinlichkeit von 0,5% innerhalb des nächsten Jahres nicht insolvent wird. Ziel war die
Entwicklung eines Modells, das risikotheoretischen Erkenntnissen gerecht wird. Sol-
11

vency II verfolgt dabei insbesondere den Anspruch, dass alle Risiken, die das Versiche-
rungsunternehmen betreffen ­ sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite - mit
ihren gleichzeitigen Wirkungen (aggregiert) auf das Gesamtunternehmen erfasst wer-
den.
12

Kapitel 2 Eigenschaften von Risikomaßen
In diesem Kapitel soll untersucht werden, welche Eigenschaften ein mögliches Risiko-
maß zur Risikokapitalberechnung auszeichnen können. Zunächst stellt sich die Frage,
welche Anforderungen aus praktischer Sicht notwendig sind. Anschließend wird das
Axiomensystem von A
RTZNER
ET
AL
. ([9]) vorgestellt, das kohärente Risikomaße defi-
niert. F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17]) wählen ein etwas schwächeres Axiomensystem, mit dem
konvexe Risikomaße definiert werden. Konvexität steht jedoch nicht in Konkurrenz zur
Kohärenz, da sich Konvexität von Kohärenz nur durch das Fehlen der positiven Homo-
genität unterscheidet. Beide Eigenschaften können durch die Akzeptanzmenge eines Ri-
sikomaßes und durch die Darstellungssätze näher charakterisiert werden. Das Kapitel
schließt ab mit einem Abschnitt über die Eigenschaft der Verteilungsinvarianz, die es
ermöglicht, Risikomaße in Zusammenhang zur Erwartungsnutzentheorie zu stellen.
Im Folgenden ist ,
A ein beliebiger Messraum bzw. ,A , P ein beliebiger
Wahrscheinlichkeitsraum mit Wahrscheinlichkeitsmaß P, sofern keine zusätzlichen Be-
dingungen an
,
A oder ,A , P formuliert werden. X bezeichnet nach
Definition 1.1 den Raum der interessierenden Zufallsvariablen.
13

2.1 Anforderungen an Risikomaße aus praktischer Sicht
Um im Folgenden geeignete Güteeigenschaften formulieren zu können und geeignete
Risikomaße vorstellen zu können, muss zunächst überlegt werden, welche Anforderun-
gen ein Risikomaß aus praktischer Sicht erfüllen sollte, wenn es zur Bestimmung des
Risikokapitals eines Versicherungsunternehmens verwendet wird. G
RÜNDL
/ W
INTER
(vgl.
[20], S. 186) nennen die folgenden fünf Kriterien:
1) Alle wesentlichen Aspekte der Risikoposition eines Versicherungsunternehmens sol-
len vollständig erfasst werden.
2) Das Risiko soll in Geldeinheiten gemessen werden.
3) Es sollte eine ökonomisch verständliche Interpretation des Risikomaßes möglich
sein.
4) Das Verfahren der Risikomessung soll besonders praktikabel sein, d.h. das verwen-
dete Risikomaß sollte leicht zu ermitteln sein und keine speziellen Anforderungen an
die zugrunde liegenden Daten oder eine spezielle Verteilungsfunktion voraussetzen.
5) Die Determinanten der Risikomessung sollen objektiv bestimmbar sein, um den Ver-
gleich zwischen mehreren Versicherungsunternehmen zu ermöglichen.
Nach K
NOBLOCH
([25]) stellt die mögliche Insolvenz eines Versicherungsunternehmens
die größte Gefahr dar. Denn wenn ein Versicherer insolvent wird, bedeutet dies einen
Vermögensverlust für die versicherten Personen und einen Vertrauensverlust für die ge-
samte Branche. Zudem entstehen für das gesamte soziale System Kosten, wenn Verluste
durch einen Fonds o. ä. aufgefangen werden sollen. Deshalb sollte ein Risikomaß die
Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz kontrollieren und eine Aussage über die Höhe des
möglichen Überschadens machen. K
NOBLOCH
([25]) führt außerdem an, dass die Unter-
nehmensleitung eines Insolvenz-gefährdeten Unternehmens empfänglich sein kann für
eine ,,all-or-nothing"-Strategie, die das Risiko für die Branche und das Finanzsystem
zusätzlich erhöht. Deshalb sollte ein Risikomaß ein Indikator dafür sein, ob das Risiko-
profil eines Unternehmens einen kritischen Punkt überschreitet.
In der Diskussion um die Eignung eines Risikomaßes wird außerdem häufig geprüft, ob
es zu der Finanztheorie im traditionellen Sinne passt, also etwa ob es Diversifikationsef-
fekte abbildet und mit der Erwartungsnutzentheorie im Sinne von Neumann / Morgens-
tern bzw. dem Bernoulli-Prinzip (,,Maximiere deinen Erwartungsnutzen!") in Einklang
steht, siehe hierzu z. B. D
OWD
([14]). Auch wenn es keinen Anforderungskatalog gibt, in
14

dem dies explizit für Risikomaße zur Bestimmung eines regulatorischen Mindestkapi-
tals gefordert wird, werden im Folgenden Risikomaße auch unter diesen Aspekten un-
tersucht. Denn die Inkonsistenz mit diesen Prinzipien schafft Anreize zu einem Verhal-
ten, das Risiken zusätzlich erhöhen kann.
15

2.2 Kohärenz und Konvexitä
t
Da in dieser Arbeit Risikomaße im Hinblick auf eine Verwendung bei Solvency II be-
handelt werden sollen, werden im weiteren Verlauf vor allem Risikomaße untersucht,
deren Wert in Geldeinheiten gemessen werden und als Kapitalanforderung interpretiert
werden kann. F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17], S. 153) formulieren dazu den Begriff eines mone-
tären Risikomaßes.
Definition 2.1 :
monetäres Risikomaß
Eine Abbildung
: X heißt monetäres Risikomaß , wenn für alle X , X
1
, X
2
X
die folgenden Bedingungenerfüllt sind :
-Monotonie : Wenn X
1
X
2
ist , dann gilt
X
1
X
2
.
-Translationsequivarianz: Für m gilt X m = X -m.
Die Eigenschaft der Monotonie fordert, dass das Verlustrisiko einer Position X
2
höchstens so groß ist wie das Verlustrisiko einer Position X
1
, wenn die Auszahlung
von X
2
in jedem Zustand mindestens so groß ist wie die von X
1
.
Die Eigenschaft der Translationsequivarianz ermöglicht die Interpretation von
X
als regulatorische Kapitalanforderung.
X ist der Betrag, der zur Position X hinzu-
gefügt werden soll, um das Risiko der Position im Sinne der Aufsicht akzeptabel zu ma-
chen. Wenn der Betrag m zusätzlich zur riskanten Finanzposition X risikofrei angelegt
wird, dann reduziert sich die Kapitalanforderung gerade um den Betrag m. Aus der
Translationsequivarianz folgt
X X = X - X = 0 . Durch Hinzufü-
gen des Betrags
X zur Position X ergibt sich also eine risikoneutrale Position mit
Risikowert 0. Zu beachten ist allerdings, dass diese Position nur im mathematischen
Sinn risikoneutral ist. Mathematische Risikoneutralität und Risikoneutralität in der rea-
len Welt stimmen nicht überein, da es sich nur um ein Modell handelt.
Es wird nun gezeigt, dass monetäre Risikomaße Lipschitz-stetig sind (vgl. F
ÖLLMER
/
S
CHIED
([17], S. 154). Für X
X ist die Supremumsnorm definiert durch
X sup
{X } .
16

Lemma 2.2 :
Lipschitz-Bedingung
Ein monetäres Risikomaß
erfüllt eine Lipschitz-Bedingung bezüglich der
Supremumsnorm
:
X - Y X -Y .
Insbesondere sind monetäre Risikomaße stetig.
Beweis :
Offensichtlich gilt für X , Y
X
X
YX-Y
Mo
X YX-Y
TEqu
X Y-X-Y
Y- X X-Y
Durch Vertauschen von X und Y gilt gleichermaßen
X- Y X-Y.
Damit folgt
X-Y X-Y.
Um die Güte eines Risikomaßes beurteilen zu können, hat sich die Eigenschaft der Ko-
härenz von A
RTZNER
ET
AL
. ([9]) durchgesetzt. A
RTZNER
ET
AL
. ([9]) haben ein Axiomen-
system eingeführt für Risikomaße, die zur Feststellung einer Kapitalanforderung ver-
wendet werden. Da sich ein monetäres Risikomaß bereits durch Monotonie und Trans-
lationsequivarianz auszeichnet, fehlen zur Kohärenz nur noch zwei Eigenschaften.
A
RTZNER
ET
AL
. ([9]) definieren ein Risikomaß als kohärent, wenn es monoton, translati-
onsequivariant, positiv homogen und subadditiv ist. Der Begriff des monetären Risiko-
maßes wird vor allem von F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17]) verwendet. Die folgende Definition
entspricht also derjenigen von F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17], S. 155).
Definition 2.3 :
Kohärenz
Ein monetäres Risikomaß heißt kohärent , wenn esdie folgenden Bedingungenerfüllt :
-Subadditivität : Es ist X
1
X
2
X
1
X
2
für alle X
1
, X
2
X und
-Positive Homogenität : X = X für 0.
Ein äquivalentes Axiomensystem für Kohärenz ist gegeben, wenn man die Eigenschaft
der Monotonie durch die Eigenschaft der Positivität ersetzt.
heißt positiv, wenn für
alle X
X mit X 0 gilt, dass X 0 ist (vgl. A
CERBI
([1])). Um zu zeigen,
dass die Monotonie durch die Positivität ersetzt werden kann, werden zwei Fälle unter-
schieden. Es seien zunächst X
0 und Y 0 gegeben. Dann folgt aus der Positivi-
tät, dass
X 0 und Y 0 ist. Insgesamt ist also X
Y und X Y .
17

Im zweiten Fall seien X , Y
0 gegeben mit X Y . Dann gilt X 0 und
Y 0 . Mit der Supremumsnorm folgt aus der Positivität
X
-Y
0
0 und
Y -Y
0
0 . Mit der Translationsequivarianz von folgt insbesondere
X Y .
Bei positiver Homogenität besteht ein linearer Zusammenhang zwischen der Größe ei-
ner Finanzposition und ihrem Risikowert. Insbesondere ist ein positiv homogenes Risi-
komaß auch normiert, d.h.
0=0 , denn es gilt 0 = 0X = 0 X = 0 .
Die Notwendigkeit der positiven Homogenität ist umstritten, da insbesondere beim Auf-
treten von Liquiditätsrisiken nicht von einem linearen Zusammenhang zwischen der
Größe einer Finanzposition und ihrem Risiko ausgegangen werden kann. Wenn man
zum Beispiel eine große Menge von Aktien von einem einzigen Unternehmen besitzt,
kann man diese Aktien nicht alle auf einmal wieder verkaufen, da sonst das Angebot zu
groß wird und der Preis stark abfällt. Ab einer gewissen Menge von Aktien entsteht also
ein zusätzliches Liquiditätsrisiko, da man nicht alle Aktien jederzeit wieder verkaufen
kann (siehe hierzu auch A
CERBI
([2], Remark 1.3)). Daher verzichten F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17]) auf diese Eigenschaft und fordern statt Kohärenz die Eigenschaft der Konvexität.
Definition 2.4 :
Konvexität
Ein monetäres Risikomaß heißt konvex , wenn für X
1
, X
2
X und 01 gilt
X
1
1- X
2
X
1
1- X
2
.
Wenn ein Risikomaß positiv homogen ist, dann ist die Eigenschaft der Konvexität äqui-
valent zur Eigenschaft der Subadditivität, denn wenn
konvex ist, so gilt für =
1
2
,
dass
1
2
X
1
1
2
X
2
1
2
X
1
1
2
X
2
ist. Durch Multiplikation mit 2 ergibt sich
2
1
2
X
1
X
2
X
1
X
2
. Aufgrund der positiven Homogenität von er-
gibt sich
X
1
X
2
X
1
X
2
, und damit ist subadditiv. Deshalb kann
man auch sagen, ein monetäres Risikomaß ist kohärent, wenn es positiv homogen und
konvex ist. Konvexität unterscheidet sich von Kohärenz also nur durch das Fehlen der
positiven Homogenität. Daher kann man bei Konvexität auch von ,,schwacher Kohä-
renz" sprechen (vgl. S
ZEGÖ
([30])).
Wenn man ein Portfolio aus zwei Finanzpositionen bildet, indem man den Anteil
18

seines Vermögens in X
1
investiert und den Anteil
1- in X
2
, erhält man die
Position
X
1
1- X
2
. Aufgrund der Eigenschaft der Konvexität verringert Di-
versifikation das Risiko der Gesamtposition (vgl. F
ÖLLMER
/ S
CHIED
([17], S. 154)).
Ist ein Risikomaß subadditiv, so wird das Gesamtrisiko der zusammengefassten Positio-
nen höchstens so hoch bewertet wie die Summe der Einzelrisiken. Unter Bezugnahme
auf die in Abschnitt 1.2 genannten drei Einsatzmöglichkeiten für Risikomaße kann das
Fehlen von Subadditivität folgende Konsequenzen haben (vgl. D
OWD
([14], S. 33-34)):
1. Wenn das Risikomaß genutzt wird, um Vorgaben an einzelne Geschäftseinheiten
oder Händler zu machen, dann dient bei Subadditivität die Summe der einzelnen Vorga-
ben als konservative obere Schranke für den möglichen gesamten Verlust. Bei Nicht-
subadditivität hingegen ist aufgrund der einzelnen Vorgaben keine Aussage über das
Gesamtrisiko möglich.
2. An einem organisierten Exchange, an dem die Margins mit einem nicht-subadditiven
Risikomaß berechnet werden, werden Händler versuchen, ihre Positionen auf mehrere
Konten zu verteilen, um ihre Margin Requirements zu senken. Damit wäre die Summe
der Margins auf den einzelnen Konten nicht mehr ausreichend, um das Gesamtrisiko zu
tragen und damit ist der Exchange der Gefahr eines Verlusts ausgesetzt.
3. Wenn eine Aufsichtsbehörde ein Risikomaß verwendet, das nicht subadditiv ist, um
damit Mindestkapitalanforderungen festzulegen, dann besteht ein Anreiz, ein Unterneh-
men in mehrere rechtlich selbständige Einheiten aufzusplitten, um die Kapitalanforde-
rungen zu senken.
Ist ein Risikomaß nicht subadditiv, so entsteht durch die Addition von Risiken gewisser-
maßen ein zusätzliches Risiko, da die Summe der Risiken als riskanter bewertet wird als
die Einzelrisiken zusammen. Dies widerspricht jedoch dem allgemeinen Konsens in der
Finanzierungstheorie. Hierzu D
OWD
([14], S. 33): ,,For example, non-subadditivity is
treacherous because it suggests that diversification is a bad thing, which would suggest
the laughable conclusion that putting all your eggs into one basket might be good risk
management practice!"
Ferner spielt die Konvexität einer Funktion eine wichtige Rolle bei der Formulierung
und Lösung von Optimierungsproblemen. Ein nicht-konvexes Risikomaß besitzt kein
eindeutiges Minimum und ist damit zur praktischen Implementierung und Anwendung
nicht zu gebrauchen.
Das entscheidende Argument für die Notwendigkeit der Subadditivität oder wenigstens
19

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836606042
DOI
10.3239/9783836606042
Dateigröße
853 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Trier – IV Mathematik, Diplomstudiengang Wirtschaftsmathematik
Erscheinungsdatum
2007 (Oktober)
Note
2,0
Schlagworte
versicherungsmathematik risikokapital value-at-risk mathematik basel
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Titel: Mathematische Analyse der Eignung quantilbasierter Risikomaße zur Definition der Mindestkapitalanforderungen unter Berücksichtigung der Ziele von Solvency II
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