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Gerechtigkeit und stochastische Fairness in einem Allokationsproblem mit Schwellwerten

©2005 Diplomarbeit 100 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Begriffe der Priorisierung und der Allokationsethik. Priorisierung wird im medizinischen Bereich beschreibt die Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter Patientengruppen, Verfahren oder Indikatoren. Zumeist wird eine Rangfolge gebildet. Patienten mit dem größten Behandlungsbedarf haben dann beispielsweise die höchste Priorität.
Um das Problem der Priorisierung zu verdeutlichen, wird die Parfit-Taurek-Disput näher dargestellt. In diesem Disput geht es um eine Entscheidung über die Verteilung von Ressourcen, die zur Folge hat, dass derjenige, der die Ressource nicht erhält, stirbt. Es wird von `tragic choices` gesprochen. Betrachtet werden sechs Patienten. Fünf dieser Patienten benötigen jeweils eine Einheit eines medizinischen Gutes, die sechste Person braucht zum Überleben fünf Einheiten dieser Ressource. Allerdings stehen nur insgesamt fünf Einheiten des medizinischen Gutes zur Verfügung. Wer soll dieses Gut nun bekommen?
Durch Tun oder Unterlassen kann gesteuert werden, welche und wie viele Personen sterben. Im Beispiel des `Brettes des Karneades` kämpfen zwei Schiffbrüchige um einen Platz auf einer Planke, die nur das Gewicht einer Person aushalten kann. Gelangen beide Personen auf diese Planke, so werden die zwei Notleidenden sterben. Will jede Person der anderen Person den Vortritt gewähren, so wird keiner die Planke betreten, ebenfalls werden beide sterben. Sie müssen sich den Platz erkämpfen. Es ist eine Pareto-Verbesserung dahingehend möglich, dass bei guter Koordination der beiden Notleidenden eine Person anstatt keiner überleben könnte.
Priorisierungsmaßnahmen sind deshalb erforderlich, weil insbesondere medizinische Ressourcen wie Medikamente, die Arbeitszeiten eines Chirurgen oder die Bettenkapazität in einem Krankenhaus begrenzt sind. Wie sollen diese Güter und Leistungen auf die Patienten aufgeteilt werden? Dies soll im Laufe der Arbeit an dem Konzept des Utilitarismus, der Gerechtigkeitstheorie von Rawls und anhand eines stochastischen Losverfahrens erläutert werden.
Im Rahmen dieser Problemstellung beinhaltet die Studie eine kurze Übersicht über das Auftreten knapper Ressourcen im medizinischen Bereich. Aufbauend auf die Parfit-Taurek-Kontroverse soll die Frage beantwortet werden, wie unterschiedliche Gerechtigkeitstheorien über das Leben und Sterben von Personen mit stärkerer Ressourceninanspruchnahme entscheiden würden.
Weiterhin erfolgt eine […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jana Zimmermann
Gerechtigkeit und stochastische Fairness in einem Allokationsproblem mit
Schwellwerten
ISBN: 978-3-8366-0571-7
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle, Deutschland, Diplomarbeit, 2005
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
II
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis...IV
Tabellenverzeichnis... VII
Symbolverzeichnis ... VIII
1 Einleitung ...1
2 Das Vorkommen begrenzter Ressourcen...3
3
Die P
ARFIT
-T
AUREK
-Kontroverse ...6
4 Lösungsversuch anhand des Utilitarismus...9
4.1 Das Konzept des Utilitarismus...9
4.2 Der Sechs-Personen-Fall...13
4.3 Ausweitung des Beispiels auf n Personen ...18
5 Analyse der Problemstellung mithilfe der Theorie nach R
AWLS
...23
5.1 R
AWLS
Theorie der Gerechtigkeit...23
5.2 Untersuchung im Sechs-Personen-Fall mithilfe von Leximin...25
5.3 Erweiterung des Lösungsschemas auf Personengruppen...27
6 Entscheidungsfindung anhand eines Losverfahrens ...30
6.1 Chancengleichheit und Gerechtigkeit ...30
6.2 Chancengleichheit im Beispiel nach T
AUREK
...34
6.2.1 T
AUREKS
Lösungsvorschlag ...34
6.2.2 Entscheidung über Leben und Tod mithilfe eines Würfels...36
6.3 Erzeugung von Chancengleichheit bei beliebigen Gruppengrößen...37
6.3.1 Anwendung des T
AUREK
schen Lösungsvorschlages auf große Gruppen...37
6.3.2 Ein anderer Weg zur Entscheidungsfindung mithilfe des Münzwurfes...38
6.4 Simulation von stochastischer Fairness ...39
6.4.1 Ein sequentieller Losprozess...40
6.4.2 Simulation des Losprozesses bei gleichen Gruppengrößen...44
6.4.3 Simulation bei einer Datenkonstellation von
(
)
(
)
7000
3000
N
N
B
A
,
,
=
...49
6.4.4 Simulation bei einer Datenkonstellation von
(
)
(
)
3000
7000
N
N
B
A
,
,
=
...54
7 Zusammenfassende Worte ...59
Anhang I...61
Anhang II ...69

Inhaltsverzeichnis
III
Anhang III ...77
Literaturverzeichnis...85

Abbildungsverzeichnis
IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Allokation von fünf Medikamenteneinheiten anhand des Utilitarismus ..17
Abbildung 2: Allokation der Medikamente auf zwei Gruppen mit unterschiedlicher
Ressourcenbeanspruchung ...22
Abbildung 3: Programmablaufplan zur Darstellung eines sequentiellen Losprozesses .43
Abbildung 4: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gesamtanzahl
absolut, wenn in A und B jeweils 5000 Personen...44
Abbildung 5: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben, wenn in
A und B jeweils 5000 Personen...45
Abbildung 6: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gruppe A absolut,
wenn in A und B jeweils 5000 Personen ...46
Abbildung 7: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben aus der
Gruppe A, wenn in A und B jeweils 5000 Personen...46
Abbildung 8: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gruppe B absolut,
wenn in A und B jeweils 5000 Personen ...47
Abbildung 9: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben aus der
Gruppe B, wenn in A und B jeweils 5000 Personen...48
Abbildung 10: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gesamtanzahl
absolut, wenn in A 3000 Personen und in B 7000 Personen ...50
Abbildung 11: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben, wenn in
A 3000 Personen und in B 7000 Personen ...50
Abbildung 12: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gruppe A
absolut, wenn in A 3000 Personen und in B 7000 Personen ...51
Abbildung 13: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben aus der
Gruppe A, wenn in A 3000 Personen und in B 7000 Personen ...52
Abbildung 14: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gruppe B
absolut, wenn in A 3000 Personen und in B 7000 Personen ...53
Abbildung 15: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben aus der
Gruppe B, wenn in A 3000 Personen und in B 7000 Personen ...53
Abbildung 16: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gesamtanzahl
absolut, wenn in A 7000 Personen und in B 3000 Personen ...55

Abbildungsverzeichnis
V
Abbildung 17: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben, wenn in
A 7000 Personen und in B 3000 Personen ...55
Abbildung 18: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gruppe A
absolut, wenn in A 7000 Personen und in B 3000 Personen ...56
Abbildung 19: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben aus der
Gruppe A, wenn in A 7000 Personen und in B 3000 Personen ...57
Abbildung 20: Häufigkeitsverteilung geretteter Leben bezogen auf die Gruppe B
absolut, wenn in A 7000 Personen und in B 3000 Personen ...58
Abbildung 21: Häufigkeitsverteilung der prozentualen Anteile geretteter Leben aus der
Gruppe B, wenn in A 7000 Personen und in B 3000 Personen ...59
Abbildung A1: Simulationsprogramm für den Fall, dass sich in beiden Gruppen 5000
Personen befinden ...62
Abbildung A2: Programmierung zur Erstellung der Abbildung 4...66
Abbildung A3: Programmierung zur Erstellung der Abbildung 5...66
Abbildung A4: Programmierung des Histogramms in Abbildung 6 ...67
Abbildung A5: Programmierung für die Abbildung 7...67
Abbildung A6: Programmierung der Abbildung 8 ...68
Abbildung A7: Programmierung zu Erstellung der Abbildung 9 ...68
Abbildung A8: Programmierung des Programmablaufplanes unter der Abbildung 3,
wenn sich 3000 Personen in der Gruppe A und 7000 Personen in der Gruppe B be-
finden ...70
Abbildung A9: Erstellung der Abbildung 10 mit Hilfe des Programms ,,R" ...74
Abbildung A10: Programmierung für die Abbildung 11...74
Abbildung A11: Programmierung zur Erstellung der Abbildung 12...75
Abbildung A12: Programm zur Abbildung 13 ...75
Abbildung A13: Programm für die Abbildung 14 ...76
Abbildung A14: Programmierung für die Abbildung 15...76
Abbildung A15: Simulationsprogramm für den Fall, dass 7000 Personen der Gruppe A
angehören und 3000 Personen der Gruppe B...77
Abbildung A16: Programm zum Erstellen Abbildung 16 ...82
Abbildung A17: Programmierung für die Abbildung 17...82
Abbildung A18: Erstellung der Abbildung 18...83

Abbildungsverzeichnis
VI
Abbildung A19: Programm zum Aufbau der Abbildung 19...83
Abbildung A20: Programm zur Abbildung 20 ...84
Abbildung A21: Programm zur Häufigkeitsverteilung in der Abbildung 21 ...84

Tabellenverzeichnis
VII
Tabellenverzeichnis
Tabelle A1: Auszählung von insgesamt geretteten Personen, wenn sich in beiden Grup-
pen 5000 Mitglieder befinden ...63
Tabelle A2: Auszählung der geretteten Leben speziell für die Gruppe A, wenn beide
Gruppen aus 5000 Personen bestehen...64
Tabelle A3: Auszählung der geretteten Leben aus der Gruppe B, wenn sich in beiden
Gruppen 5000 Mitglieder befinden...65
Tabelle A4: Auszählung der geretteten Leben insgesamt, wenn die Gruppe A 3000 Mit-
glieder hat und die Gruppe B 7000 ...71
Tabelle A5: Auszählung für die Gruppe A, wenn in der Gruppe A 3000 Personen und in
Gruppe B 7000 Mitglieder ...72
Tabelle A6: Auszählung der geretteten Leben der Gruppe B bei 3000 Mitgliedern in der
Gruppe A und 7000 Mitgliedern in der Gruppe B ...73
Tabelle A7: Auszählung der insgesamt geretteten Leben aus beiden Gruppen, wenn in
der Gruppe A 7000 Personen und in der Gruppe B 3000 Mitglieder ...78
Tabelle A8: Auszählung der geretteten Leben aus der Gruppe A, wenn in der Gruppe A
7000 Personen und in der Gruppe B 3000 Mitglieder ...79
Tabelle A9: Auszählung der geretteten Leben aus der Gruppe B, wenn in der Gruppe A
7000 Personen und in der Gruppe B 3000 Personen ...80

Symbolverzeichnis
VIII
Symbolverzeichnis
A Gruppenname
ij
a
Gewichte für die Nutzen der einzelnen Personen
B Gruppenname
b
Zustand, der sich als Folge der Auswahl einer Alternative ergibt
c
Zustand, der sich als Folge der Auswahl einer Alternative ergibt
d
Ableitung
( )
N
E
Erwartungswert geretteter Leben
( )
A
N
E
Erwartungswert geretteter Leben aus der Gruppe
A
( )
B
N
E
Erwartungswert geretteter Leben aus der Gruppe
B
i
Bezeichnung für Individuen der Gesellschaft,
{
}
n
1
i
,...,
j
Bezeichnung für Individuen der Gesellschaft,
{
}
n
1
j
,...,
min
(
)
n
1
u
u ,...,
Funktion, die das Minimum des Vektors sucht
N
überlebende Personen gesamt
N
alle Personen, die an dem Allokationsproblem beteiligt sind
A
N
überlebende Personen, die der Gruppe
A angehören
A
N
alle Personen, die der Gruppe
A angehören
B
N
überlebende Personen, die der Gruppe
B angehören
B
N
alle Personen, die der Gruppe B angehören
n
unbestimmte
Anzahl
P
Bezeichnung für ein einzelnes, bestimmtes Individuum
p Wahrscheinlichkeit
Q
Bezeichnung für ein einzelnes, bestimmtes Individuum
u
Vektor mit Nutzenwerten
i
u
Nutzenindikator der Person
i
1
R
W
Rawls'sche
soziale
Wohlfahrtsfunktion im Zustand
1
1
R
W
Rawls'sche
soziale
Wohlfahrtsfunktion im Zustand
1 mit geänderter
Reihenfolge der Nutzenwerte

Symbolverzeichnis
IX
2
R
W
Rawls'sche
soziale
Wohlfahrtsfunktion im Zustand
2
2
R
W
Rawls'sche
soziale
Wohlfahrtsfunktion im Zustand
2 mit geänderter
Reihenfolge der Nutzenwerte
U
W
gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion im Fall des Utilitarismus
(
)
n
1
u
u
W
,...,
soziale
Wohlfahrtsfunktion
( )
x
W
i
soziale Wohlfahrtsfunktion der Personen
i
j
W
soziale Wohlfahrtsfunktion der Person
j
( )
x
W
j
soziale Wohlfahrtsfunktion der Person
j
w
beliebige
Alternative
w
beliebige
Alternative
x
Prozesslauflänge
i
x
Nutzenwerte der Individuen
i
y beliebige
Alternative
j
y
Nutzenwerte der Individuen
j
Z
Menge eines begrenzt verfügbaren Medikamentes
z beliebige
Alternative
> Relation,
,,größer
als"
Relation, ,,mindestens genauso gut"
~ Relation,
,,indifferent"
partielle
Ableitung
Symbol
für
,,Element"
# Symbol
für
,,Anzahl"

1 Einleitung
1
1 Einleitung
Eine klassische Definition des Wirtschaftens besagt, dass mit knappen Ressourcen ge-
handelt wird. Dabei stehen die Fragen im Zentrum, wer etwas wann und wie erhalten
soll, und wie Institutionen die Güter und die Lasten verteilen.
1
Viele Güter, die knapp
sind, und deren Angebot nicht so einfach ausdehnbar ist, werden durch wirtschaftliche
Rationierung verteilt. Eine Allokationsmöglichkeit wäre, den Weg über eine Auktion zu
gehen. Dabei bekommt der höchste Bieter den Zuschlag. Die Zahlungsbereitschaften
der Abnehmer sollten allerdings kein Kriterium bei der Verteilung einer knappen medi-
zinischen Ressource sein, die über Leben und Tod entscheiden kann.
2
Im Mittelpunkt
dieser Arbeit stehen die Begriffe der Priorisierung und der Allokationsethik. Unter Prio-
risierung wird im medizinischen Bereich die ,,ausdrückliche Feststellung einer Vorran-
gigkeit bestimmter Patientengruppen, Verfahren oder Indikatoren"
3
verstanden. Zumeist
wird eine Rangfolge gebildet, an deren oberen Ende beispielsweise Patienten mit dem
größten Behandlungsbedarf stehen. Diese haben dann die höchste Priorität.
4
Der Begriff
der Allokationsethik ist heutzutage nahezu unumgänglich, wenn es um die Verteilung
medizinischer Güter geht. Der Ausdruck der Allokation selbst wird meist dort verwen-
det, wo man sich mit ökonomischen Rationalisierungsmaßnahmen konfrontiert sieht. Es
wird stets eine effiziente, nicht verschwenderische Ressourcenallokation gefordert. Die
Allokationsethik erhält immer dann ihre Berechtigung, wenn über die Verteilung knap-
per Ressourcen, und damit auch über Leben und Tod von Personen, entschieden wird.
5
Um das Problem der Priorisierung zu verdeutlichen, wird am P
ARFIT
-T
AUREK
-Disput
festgehalten. In diesem Disput geht es um eine Entscheidung über die Verteilung von
Ressourcen, die zur Folge hat, dass derjenige, der die Ressource nicht erhält, stirbt. Es
wird von ,,tragic choices" gesprochen. Dies sind Entscheidungen, die nicht nur tragische
Konsequenzen haben, sondern immer äußerst hart und irgendwie immer falsch sind.
6
Durch Tun oder Unterlassen kann gesteuert werden, welche und wie viele Personen
sterben. Im Beispiel des ,,Brettes des Karneades" kämpfen zwei Schiffbrüchige um ei-
1
Vgl. Elster (1992), S. 1 f.
2
Vgl. Brock (1988), S. 87.
3
Vgl. Raspe (1998), S. 115.
4
Vgl. Raspe (1998), S. 115.
5
Vgl. Lübbe (2004a), S. 7 f.
6
Vgl. Feuerstein (1998), S. 199.

1 Einleitung
2
nen Platz auf einer Planke, die nur das Gewicht einer Person aushalten kann. Gelangen
beide Personen auf diese Planke, so werden die zwei Notleidenden sterben. Will jede
Person der anderen Person den Vortritt gewähren, so wird keiner die Planke betreten,
ebenfalls werden beide sterben. Sie müssen sich den Platz erkämpfen. Ein anderes Bei-
spiel wäre ein außer Kontrolle geratenes Schienenfahrzeug. Die Verantwortlichen müs-
sen sich entscheiden, ob sie das Fahrzeug von der einen Opfergruppe auf eine andere
umlenken sollen. Hier entscheiden Dritte.
7
Das Umlenken des Fahrzeuges durch die
Verantwortlichen bedeutet, dass eine zuvor nicht in Gefahr befindliche Opfergruppe
plötzlich mit dem Tod konfrontiert wird, diese Personen müssten dann sterben, obwohl
sie vorher nicht betroffen waren. Hier wird die Gefahr von der einen Gruppe auf die
andere übertragen, während im Fall der Schiffbrüchigen eine P
ARETO
-Verbesserung
dahingehend möglich wäre, dass bei guter Koordination der beiden Notleidenden eine
Person anstatt keiner überleben könnte. Wenn nicht einer aufgeopfert wird, werden bei-
de zu Tode kommen.
8
Im Fall des Schienenfahrzeuges findet eine Art Lastenverschie-
bung statt. Man tötet in diesem Fall eine Opfergruppe zum Zwecke der Rettung anderer
Personen.
9
Priorisierungsmaßnahmen sind deshalb erforderlich, weil insbesondere medizinische
Ressourcen wie Medikamente, die Arbeitszeiten eines Chirurgen oder die Bettenkapazi-
tät in einem Krankenhaus begrenzt sind. Wie sollen diese Güter und Leistungen auf die
Patienten aufgeteilt werden? Dies soll im Laufe der Arbeit an dem Konzept des Utilita-
rismus, der Gerechtigkeitstheorie von R
AWLS
und anhand eines stochastischen Losver-
fahrens erläutert werden.
Im Rahmen dieser Problemstellung ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut: Im zwei-
ten Kapitel wird eine kurze Übersicht über das Auftreten knapper Ressourcen im medi-
zinischen Bereich gegeben. Im dritten Kapitel wird der Kern der Arbeit, die P
ARFIT
-
T
AUREK
-Kontroverse, näher erläutert. Auf diesen Disput aufbauend soll die Frage be-
antwortet werden, wie unterschiedliche Gerechtigkeitstheorien über das Leben und
Sterben von Personen mit stärkerer Ressourceninanspruchnahme entscheiden würden.
7
Vgl. Lübbe (2004b), S. 104.
8
Vgl. Lübbe (2004b), S.107.
9
Vgl. Lübbe (2004b), S.117.

2 Das Vorkommen begrenzter Ressourcen
3
Deshalb folgt im vierten Kapitel eine Falluntersuchung anhand des Utilitarismus, und
im fünften Kapitel wird eine analoge Betrachtung auf der Basis der Gerechtigkeitstheo-
rie von R
AWLS
durchgeführt. Im sechsten Kapitel soll eine Chancengleichheit anhand
eines Losverfahrens simuliert werden, wobei die Kriterien von Gerechtigkeit und Effi-
zienz zugleich erfüllt werden sollen. Zunächst wird jede Analyse anhand der T
AUREK
-
Problemstellung durchgeführt. Sind diese Untersuchungen abgeschlossen, wird die
Analyse auf beliebige Gruppengrößen ausgedehnt. Die betrachteten Schwellenwerte
sind entweder eine Einheit des Medikamentes oder fünf Einheiten des Medikamentes,
das heißt, es gibt Personen, die zur Rettung ihrer Leben eine Einheit benötigen und Pa-
tienten, die jeweils eine Dosierung von fünf Einheiten des Medikamentes brauchen.
Alle Untersuchungen werden auf der Basis eines sicheren Heilungserfolges durchge-
führt. Das heißt, dass die Personen mit Sicherheit überleben werden, die das Medika-
ment in der benötigten Dosierung erhalten. Andererseits werden sie auch mit einer
Wahrscheinlichkeit von Eins sterben, falls sie die notwendige Dosierung des Medika-
mentes nicht bekommen.
2 Das Vorkommen begrenzter Ressourcen
Im Rahmen dieser Arbeit werden Knappheiten vor allem im medizinischen Bereich
betrachtet. Knappheiten sind immer dann äußerst dramatisch, wenn es um Entscheidun-
gen über Leben und Tod geht. Menschen benötigen beispielsweise verschiedene Dosie-
rungen eines bestimmten Medikamentes, um überleben zu können. Ist die Menge dieser
lebensrettenden Ressource nicht ausreichend für alle Patienten, steht die Frage im Mit-
telpunkt, an wen verteilt werden soll. Verteilt man vorrangig an die Personen, die eine
hohe Dosierung benötigen, so können weniger Personen gerettet werden. Ist man be-
strebt, möglichst viele Leben zu retten, wird das Medikament vorrangig an Patienten
vergeben, die es nur in einer kleinen Dosierung verlangen. Soll eine Art Chancengleich-
heit zwischen den Parteien hergestellt werden, so könnte nach dem ,,first come, first
served"-Prinzip allokiert werden, das heißt, die Personen werden entsprechend ihrer
Position in einer Warteschlange versorgt, unabhängig davon, welche Dosierung sie be-

2 Das Vorkommen begrenzter Ressourcen
4
nötigen. Es entsteht ein trade off zwischen Effizienz und Gerechtigkeit.
10
T
AUREK
schlägt im Rahmen einer Chancengleichheit ein Losverfahren vor.
Knappe Ressourcen treten zum Beispiel auch bei den Arbeitszeiten eines Chirurgen auf.
Manche lebensrettende Operationen sind zeitaufwendiger als andere. Sollte der Chirurg
bevorzugt kleinere, weniger aufwendige und kostenintensive Operationen durchführen,
oder sollten schwere Krankheitsfälle vorrangig behandelt werden?
Die Priorisierungsfrage stellt sich auch im Bereich der Intensivmedizin. Die Belegungs-
quote von Intensivbetten ist immer hoch. Da täglich neue lebensbedrohliche Fälle in ein
Krankenhaus eingeliefert werden, müssen diese entweder abgewiesen werden, oder es
werden die schon in Behandlung befindlichen Patienten vorzeitig auf die Normalstatio-
nen verteilt. Ein solches Vorgehen kann schwere bleibende Schäden nach sich ziehen
oder sogar den Tod eines Patienten verursachen. Außerdem treten Ineffizienzen in der
Intensivmedizin auf. Neu ankommende Patienten mit relativ guten Überlebenschancen
werden abgewiesen, da die Betten der Intensivstation mit vielen hoffnungslosen Fällen
belegt sind, von denen man weiß, dass sie nicht überleben werden. Die Behandlung sol-
cher Patienten wird häufig auch bis zum Eintritt des Todes fortgesetzt, ohne dass man
sie auf eine andere Station verlegt, um somit Platz für die Fälle mit besseren Überle-
benschancen zu schaffen.
11
Das Auswahlgeschehen in klassischen Triagesituationen, also Situationen mit einer
großen Anhäufung akut versorgungsbedürftiger Patienten, folgt einer utilitaristischen
Logik. Demnach sollen die zur Maximierung der Anzahl der Geretteten bzw. die zur
Minimierung der Verluste vorhanden Ressourcen so effizient wie möglich eingesetzt
werden. Daher wird in solchen Situationen so genannten hoffnungslosen Fällen jegliche
Hilfe versagt.
12
Weitere Knappheiten treten bei Spenderorganen auf. Angenommen, dass zwei Perso-
nen, Alice und Betty, das gleiche Alter besitzen und sich die gleiche Zeit auf einer War-
teliste befinden. Beide werden ohne das benötigte Organ nur noch eine Woche zu leben
haben. Mit dem Transplantat könnte Alice aller Voraussicht nach noch zwei Jahre le-
ben, Betty könnte wahrscheinlich noch zwanzig Jahre ihres Lebens genießen. Wenn die
Prioritäten auf die Erreichung eines bestmöglichen Outputs liegen, würde Betty vor Ali-
10
Vgl. Broome (1994), S. 37.
11
Vgl. Schmidt (2004), S. 99 f.
12
Vgl. Schmidt (2004), S. 77.

2 Das Vorkommen begrenzter Ressourcen
5
ce der Vorzug gegeben, Alice müsste sterben. Alice dagegen würde die zwei Jahre noch
als sehr wichtig erachten. Daher verlangt sie eine Lotterie, damit beide Patienten eine
gleiche Überlebenschance bekommen.
13
Da Spenderorgane äußerst knapp sind, klafft
zwischen Angebot und Nachfrage eine immer größer werdende Lücke. Nur ein Bruch-
teil der bedürftigen Patienten kann von einer Transplantation profitieren. Zur Versor-
gung der Patienten muss eine Auswahl getroffen werden. Es besteht auch hier die wich-
tige Frage, wer weiterleben darf, wenn nicht alle überleben können. Für die verfügbaren
Organe müssen nach immunologischen Verträglichkeitskriterien die am besten geeigne-
ten Empfänger gefunden werden und für diese das passende Organ. Organisationen wie
Eurotransplant übernehmen diese Auswahlen.
14
Ein beängstigendes und fürchterliches Beispiel ist folgendes: Ein Patient
P benötigt,
um wieder genesen zu können, ein Spenderherz. Eine andere Person
Q braucht eine
neue Lunge. Wenn nun ein gesunder Mensch, der ja diese Ressourcen besitzt, getötet
würde, könnten ihm diese Organe für die Rettung der zwei Personen entnommen wer-
den. Dieser Schritt wäre natürlich technisch durchführbar, aber moralisch vollkommen
verwerflich. Ärzte würden gesunde Personen nicht ,,ausplündern", um andere Patienten
zu retten. Sie würden
P und Q deshalb nicht vorsätzlich umbringen.
15
Für die Selektion ist zu beachten, dass eine Auswahl von Patienten, die nicht krank ge-
nug sind, zur Folge hat, dass eine erfolgreiche Heilung eines bedürftigeren Patienten
verhindert würde.
16
Es ist ein Optimierungsproblem zu lösen. Die Verteilung eines Gu-
tes oder einer Ressource kann nach mehreren Prinzipien geschehen. Die Allokation ei-
ner Ressource kann auf der Basis des individuellen Wohlfahrtsniveaus, gemessen am
Bedarf der Individuen, gemäß dem individuellen Zuwachs an Wohlfahrt und nach Effi-
zienzkriterien stattfinden.
17
13
Vgl. Daniels (1994), S. 27 f.
14
Vgl. Schmidt (1996), S. 11 ­ 23 f.
15
Vgl. Harris (2004), S. 203.
16
Vgl. Copeland et al. (1987), S. 2.
17
Vgl. Elster (1992), S. 84 ­ 96.

3
Die P
ARFIT
-T
AUREK
-Kontroverse
6
3
Die P
ARFIT
-T
AUREK
-Kontroverse
In diesem Disput geht es um die Rettung von Menschenleben. Sind medizinische Res-
sourcen knapp, können womöglich nicht alle Notleidenden gerettet werden. Betrachtet
wird die Verteilung eines lebensrettenden Medikamentes, welches mit fünf Einheiten
zur Verfügung steht. Sechs Personen befinden sich in einer lebensbedrohlichen Lage,
sie werden mit Sicherheit sterben, wenn sie das Medikament nicht in der ausreichenden
Dosierung bekommen. Allerdings benötigt eine der sechs Personen, im Folgenden in
Anlehnung an T
AUREK
David genannt, die gesamten fünf Einheiten, um zu überleben.
Zur Rettung der anderen fünf Patienten ist pro Person eine Einheit notwendig. Es bleibt
nun abzuwägen, ob man die fünf Personen retten möchte, oder ob die gesamte Ressour-
ce auf David verwendet werden soll.
18
Eine nachvollziehbare Ansicht ist, dass die An-
zahl der Mitglieder aus jeder Gruppe betrachtet wird. Sollen mehr Leben gerettet wer-
den, wird das Medikament an die größere Gruppe vergeben.
19
Es scheint also rein intui-
tiv richtig, aufgrund der Maximierung der Anzahl Überlebender die fünf Personen zu
retten. Plädiert man wie T
AUREK
für Chancengleichheit, kann man ein Los über die Ret-
tung der Leben entscheiden lassen. Ein weiteres Verfahren zur Herstellung der Chan-
cengleichheit wäre das ,,first come, first served"-Prinzip.
20
Bei diesem Vorgehen kann
es sein, dass weniger Leben gerettet werden können, als wenn die Patienten auf Basis
von anderen Kriterien gewählt werden würden. Die Anzahl der geretteten Leben ist ein
wichtiges, sollte aber nicht das einzige Entscheidungsmerkmal zur Auswahl der Patien-
ten sein.
21
Für T
AUREK
ist das Prinzip, dass nur die Anzahl der Überlebenden zählt, in-
akzeptabel.
22
Er lehnt die Maximierungspolitik ab.
23
Außer dem Kriterium der Gruppenzugehörigkeit abhängig von der Höhe des Ressour-
cenverzehrs der einzelnen Personen können nach T
AUREK
s Meinung die Beziehungen
der einzelnen Personen zu dem Besitzer des Medikamentes ausschlaggebend sein. An-
genommen, die fünf Personen seien fremd für den Eigentümer des Medikamentes. Für
David könnte gelten, dass er entweder selbst die vollständige Ressource besitzt oder ein
18
Vgl. Taurek (1977), S. 293 f.
19
Vgl. Kavka (1979), S 285.
20
Vgl. Lübbe (2004a), S. 14.
21
Vgl. Glover (1986), S. 206 f.
22
Vgl. Taurek (1977), S. 294.
23
Vgl. Glover (1986), S. 210.

3
Die P
ARFIT
-T
AUREK
-Kontroverse
7
Freund des Eigentümers ist, oder David ist für diesen ein Fremder. Besitzt David das
Medikament selbst, ist es für ihn durchaus legitim, selbst die gesamte Menge des Medi-
kamentes einzunehmen und sich somit zu retten. Er würde keine Person in ihrem Recht
verletzen.
24
Wäre David ein Freund des Besitzers der lebensrettenden Ressource, wäre
sein Tod für den Entscheidungsträger schlimmer, als in dem Fall, wenn er David nicht
kennen würde.
25
Die Rettung der fünf anderen Personen würde in diesem Fall für den
Besitzer des Medikamentes ein größeres Opfer bedeuten.
26
T
AUREK
s Meinung nach
handelt man nicht unmoralisch, wenn man unter diesen Umständen seine gesamte le-
bensrettende Ressource David gibt. Wurde vorher ein Vertrag über die Rettung einer
größeren Anzahl an Personen abgeschlossen, sieht sich auch T
AUREK
gezwungen, die
gesamte Menge des Medikamentes an die fünf Personen anstatt an David zu verteilen.
27
Nur in diesem Fall zählt für ihn die Anzahl.
T
AUREK
argumentiert nun folgendermaßen: Wenn es für den Freund erlaubt ist, David
zu retten, so muss es auch für einen Außenstehenden erlaubt sein, diese Person zu ret-
ten. Daraus wird geschlussfolgert, dass niemand, außer bei einem bestehenden Vertrag,
gezwungen sein kann, die fünf Leben zu retten anstatt David.
28
Es ist für jede der fünf
Personen schlimm, wenn sie stirbt, aber es ist auch für David schlecht, wenn er nicht
überlebt. Diese unglücklichen Umstände können nicht miteinander verglichen werden.
Es kann auf diese Weise nicht entschieden werden, was schlimmer für die einzelnen
Personen und die Gesellschaft ist.
29
Sind die sechs Personen alle fremd für den Ent-
scheidungsträger, kann man daraus schließen, dass er zu allen Personen die gleiche Ein-
stellung hat. Er ist zwischen den Personen indifferent. Geht man von T
AUREKS
Argu-
mentation aus, dass nicht nur die Anzahl zählt, weiß der Entscheidende nicht, wen er
selektieren soll. T
AUREK
schlägt eine Lotterie mithilfe eines Münzwurfes vor. Damit
bekommt jede Partei eine Fünfzig-Fünfzig-Überlebenschance. Diese Chancengleichheit
zwischen den Gruppen ist notwendig, weil die Leiden nicht addierbar sind, da jede Per-
son ihre Beschwerden anders empfindet.
30
Dem Münzwurf setzen die Verteidiger der
Maximierungsregel drei Argumente entgegen. Die Entscheidung durch einen Münzwurf
24
Vgl. Kavka (1979), S. 285 f.
25
Vgl. Taurek (1977), S. 295.
26
Vgl. Rakowski (2004), S. 168.
27
Vgl. Taurek (1977), S. 295 ­ 298.
28
Vgl. Parfit (1978), S. 289.
29
Vgl. Kamm (1993), S. 75 f.
30
Vgl. Taurek (1977), S. 303 ­ 309.

3
Die P
ARFIT
-T
AUREK
-Kontroverse
8
sei gerade dann noch tragbar, wenn fünf Menschenleben gegen eines stünden. Würden
aber nicht nur fünf sondern fünfhundert Menschenleben zu retten sein, während man
nur die einzelne Person sich selbst überlässt, würde man ein Losverfahren wahrschein-
lich ablehnen. Das zweite Gegenargument besteht darin, dass ein Menschenleben, die
Anzahl der Lebensjahre, die Erfüllung der Präferenzen oder ein bestimmter Bewusst-
seinszustand immer einen objektiven Wert für die Personen repräsentieren. Damit wird
eine interpersonelle Addition dieser Werte möglich. Das dritte Gegenargument bezieht
sich auf die Gleichgewichtung von Präferenzen. Im Fall des obigen Beispiels würde bei
einem Münzwurf eventuell eine Mehrheit von bedrohten Personen übergangen. Diese
Notsituation könnte mit einer Wahlentscheidung über politische Programme in Verbin-
dung gebracht werden, wo jeder einzelnen Stimme ein gleiches Gewicht zugeordnet
wird. Diesem Argument zufolge würden so viele Leben wie möglich gerettet.
31
P
ARFIT
ist im Konflikt mit T
AUREKS
Ansicht. Seiner Meinung nach ist die Argumenta-
tion falsch. Für einen Nahestehenden ist es furchtbar, einen geliebten Menschen zu ver-
lieren, aber ist man ein Fremder, sollte man die größere Anzahl retten. Warum? Die
Erlaubnis, David zu retten, ist nach P
ARFIT
immer bezogen auf die Beziehung zwischen
dem Besitzer des Medikamentes und David. T
AUREK
argumentiert, dass jeder Handeln-
de die Erlaubnis besitzt, sowohl die fünf Leben als auch David zu retten. Deshalb ver-
sucht er, jeder Gruppe eine gleiche Überlebenschance mittels einer Lotterie zu geben.
P
ARFIT
dagegen gibt jeder einzelnen Person eine gleiche Überlebenschance, indem er
jedem Leben ein gleiches Gewicht zuordnet. Da jedes einzelne Leben zählt, wird die
größere Gruppe gerettet.
32
Man sollte keine Münze werfen, weil alle Personen wertvoll
erscheinen. Allein, weil sie Menschen sind, müssen sie gerettet werden. Deshalb müsste
eine Entscheidung getroffen werden, die einen größeren Verlust vermeidet.
33
Mehr ver-
lorene Leben bedeuten einen größeren Verlust. Wird die größte Anzahl gerettet, ist der
Verlust unter der gegebenen Ressourcenbeschränkung minimal. Das Medikament sollte
so eingesetzt werden, dass die meisten Leben gerettet werden können. Wer so entschei-
det, handelt wie ein Konsequentialist. Ein Konsequentialist glaubt, dass die beste Wahl
immer die besten Konsequenzen produziert. Ceteris paribus sind mehr gerettete Leben
besser als weniger gerettete Leben. Die Rettung einer größeren Anzahl von Personen im
31
Vgl. Rakowski (2004), S. 159 ­ 162.
32
Vgl. Parfit (1978), S. 289 ­ 301.
33
Vgl. Sanders (1988), S. 8 f.

4 Lösungsversuch anhand des Utilitarismus
9
Vergleich zu einer kleineren hat demnach mehr als den Verlust der kleineren Gruppe
kompensiert.
34
Nach dieser Kontroverse kann festgehalten werden, dass die Anzahl zählt, aber dies
sollte zur Rettung von Personen nicht das einzige Merkmal sein.
35
Würde allein die An-
zahl zählen, sollte man sich die Frage stellen, ob die einzelne Person nicht einfach nur
Pech hatte, dass sie fünf Einheiten des Medikamentes zum Überleben benötigt, oder ob
analog die anderen fünf Personen nicht einfach Glück hatten, einer Gruppe von Perso-
nen anzugehören, die jeweils nur eine Einheit des Medikamentes zur Rettung ihrer Le-
ben benötigen.
36
Wenn eine Entscheidung über Leben und Tod getroffen werden muss,
ist ,,Gott spielen" unvermeidbar.
37
4 Lösungsversuch anhand des Utilitarismus
An dieser Stelle der Arbeit soll das Konzept des Utilitarismus in seinen groben Zügen
vorgestellt werden. Darauf aufbauend wird die erwähnte Problemstellung von T
AUREK
anhand dieser Theorie untersucht. Der Schwerpunkt der Analyse liegt darin, wie viel
Personen ein Utilitarist in einem Problem mit Schwellenwerten retten würde, und wie
die Kriterien der Effizienz und der Gerechtigkeit darin berücksichtigt werden.
4.1 Das Konzept des Utilitarismus
Wenn die Empfänger der Leistung gleiche Nutzenfunktionen bezüglich der zu vertei-
lenden Ressource haben, wird der gesamte Nutzen dadurch maximiert, indem die Güter
unter allen Individuen gleich aufgeteilt werden. Wenn ein Gut aber unteilbar ist, kann es
nicht gleichmäßig verteilt werden, ohne dass es dadurch seinen Wert für die Individuen
verliert. Das Prinzip der absoluten Gleichheit verlangt dann, dass niemand das Gut er-
halten soll. Dieser Fall tritt auch bei der Allokation von lebensrettenden Ressourcen
34
Vgl. Wasserman und Strudler (2003), S. 72.
35
Vgl. Woodward (1981), S. 539.
36
Vgl. Kumar (2001), S. 169.
37
Vgl. Kilner (1990), S. XI.

4 Lösungsversuch anhand des Utilitarismus
10
auf.
38
Dies widerspricht dem Prinzip der Effizienz, die Ressource wäre zwar vorhanden,
sie nützt aber niemandem etwas.
Deshalb wird an dieser Stelle das Konzept des Utilitarismus zur Aufteilung der lebens-
rettenden Ressource untersucht. Ein Medikament ist zwar unendlich teilbar, würde aber
durch eine anteilsmäßige Aufteilung den Wert für die Individuen verlieren. Utilitaristen
untersuchen, was rational handelnde Personen bevorzugen würden, wenn sie nichts über
ihren Wohlstand, ihre Fähigkeiten und ihre Präferenzen wüssten. Es würde die Distribu-
tion gewählt werden, die im Durchschnitt das höchste Wohlfahrtsniveau liefert.
39
Die Begründer des Utilitarismus waren die Philosophen J
EREMY
B
ENTHAM
(1748 ­
1832) und J
OHN
S
TUART
M
ILL
(1806 ­ 1873).
40
Nach B
ENTHAM
ist das höchste Gut das
größte Glück der größten Zahl.
41
Man verhält sich gegenüber anderen Personen so, wie
man es wünscht, dass sich diese Personen einem selbst gegenüber verhalten. Das Nütz-
lichkeitsprinzip, welches den Utilitarismus ausmacht, fordert, dass Gesetze und gesell-
schaftliche Verhältnisse so gestaltet werden sollen, dass das Glück und die Interessen
jedes einzelnen Individuums so weit wie möglich mit den Interessen der Gesellschaft
übereinstimmen.
42
Der Utilitarismus verfährt nach der Mehrheitsregel, da die Präferenz
einer jeden Person einmal zählt.
43
Nach diesem Prinzip geht auch P
ARFIT
vor.
Der Ausgangspunkt des Utilitarismus ist die Nutzentheorie, wobei der Nutzen ein Maß
für Glück und Zufriedenheit und damit ein Wohlfahrtsindikator ist. Die Utilitaristen
sind der Meinung, dass die Summe der Nutzen aller Gesellschaftsmitglieder zu maxi-
mieren ist.
44
Nach H
ARSANYI
verhält sich ein rational handelndes Individuum bei Risiko
oder Unsicherheit derart, dass es seinen erwarteten Nutzen maximiert. Da hier von einer
Situation unter Sicherheit ausgegangen wird, entspricht der erwartete Nutzen dem tat-
sächlichen Nutzen des Individuums. H
ARSANYI
fordert für die Individuen vier Rationa-
litätspostulate:
Postulat 1: Die Präferenzen des Individuums
i mit
{
}
n
1
i
,...,
sind durch eine vollstän-
dige Präferenzordnung charakterisiert. Es existiert eine eindeutige Meinung hinsichtlich
der Alternativen:
38
Vgl. Elster (1992), S. 70 f.
39
Vgl. Elster (1992), S. 207 f.
40
Vgl. Mankiw (1999), S. 463.
41
Vgl. Varian (2003), S. 593.
42
Vgl. Mill (1985), S. 30.
43
Vgl. Nagel (1992), S. 112.
44
Vgl. Mankiw (1999), S. 463.

4 Lösungsversuch anhand des Utilitarismus
11
w
y oder y w oder
y
w
~ . (1)
Postulat 2: Zieht das Individuum
i die Alternative w der Alternative
y vor, und zieht
es die Alternative
y wiederum der Alternative z vor, dann existiert eine Wahrschein-
lichkeitsmischung von w und
z derart, dass das Individuum
i zwischen dieser Lotterie
und der sicheren Alternative y indifferent ist:
(
)
y
z
p
1
pw
~
-
+
. (2)
Postulat 3: Es gibt mindestens vier Alternativen, die aus der Sicht von Individuum
i
nicht äquivalent sind.
Postulat 4: Ist das Individuum
i indifferent zwischen zwei Alternativen w und w , gilt
unter Hinzufügung einer beliebigen weiteren Alternative
y , dass das Individuum
i in-
different zwischen einer Wahrscheinlichkeitsmischung von w und
y und einer mit
gleichen Wahrscheinlichkeiten ausgestatteten Lotterie von w und
y ist:
(
)
(
)
y
p
1
w
p
y
p
1
pw
-
+
-
+
~
. (3)
Werden diese vier Axiome vom Verhalten eines Individuums erfüllt, dann lässt sich
sein Verhalten als Maximierung des Nutzens interpretieren. H
ARSANYI
unterscheidet
weiterhin zwischen persönlichen und moralischen Präferenzen eines Individuums. Die
persönlichen Präferenzen eines Individuums
i werden durch deren Nutzenfunktion
( )
x
u
i
wiedergegeben.
45
Sie vereint die Wertungen eines Individuums
i über die be-
trachteten Allokationen.
46
Die moralischen Präferenzen spiegeln sich in der sozialen
Wohlfahrtsfunktion
( )
x
W
i
wider.
47
Die soziale Wohlfahrtsfunktion ist die aggregierte
Funktion aller einzelnen Nutzenfunktionen der Individuen der Gesellschaft.
48
H
ARSANYI
45
Vgl. Gaertner (1984), S. 8 ­ 10.
46
Vgl. Varian (2003), S. 593.
47
Vgl. Gaertner (1984), S. 10
48
Vgl. Varian (2003), S. 593.

4 Lösungsversuch anhand des Utilitarismus
12
analysiert diese moralischen Präferenzen einer Person
j . Dabei fordert er die folgenden
vier Axiome:
Axiom a) beschreibt die individuelle Rationalität eines Individuums
i : Die persönlichen
Präferenzen aller n Mitglieder der Gesellschaft erfüllen die vier B
AYES
ianischen Ratio-
nalitätspostulate.
Axiom b) beschreibt die Rationalität der moralischen Präferenzen, das heißt, die morali-
schen Präferenzen der Person
j erfüllen die vier Rationalitätspostulate.
Das Axiom c) bezieht sich auf die P
ARETO
-Optimalität: Wenn wenigstens eines der In-
dividuen persönlich den sozialen Zustand b dem Zustand c vorzieht, und kein weiteres
Individuum hat eine andersartige Präferenz, dann zieht das Individuum
j aufgrund sei-
ner moralischen Präferenzen den Zustand b dem Zustand c vor. Sind die Axiome a) ­
c) erfüllt, ist die soziale Wohlfahrtsfunktion eines rational handelnden Individuums eine
positive, lineare Kombination aller individuellen Nutzenfunktionen
i
u ,
{
}
n
1
i
,...,
. Die
soziale Wohlfahrtsfunktion
j
W
des Individuums
j hat somit folgende Form:
( )
( )
x
u
a
x
W
i
n
1
i
ij
j
=
=
. (4)
x
ist ein Element aus der Menge aller sozialen Zustände.
49
Die
0
a
ij
> für alle
{
}
n
1
i
,...,
sind Gewichte des Nutzens der Individuen in der sozialen Wohlfahrtsfunkti-
on.
50
Gibt es die Möglichkeit einer interpersonellen Nutzenvergleichbarkeit, lassen sich
die drei oben genannten Axiome um ein viertes ergänzen:
Axiom d) beschreibt die Gleichbehandlung aller Individuen. Die soziale Wohlfahrts-
funktion
j
W
des Individuums
j ordnet den individuellen Nutzenfunktionen
n
1
u
u ,...,
gleiche Gewichte zu. Für die Koeffizienten
ij
a
gilt damit
a
a
a
nj
j
1
=
,...,
. Die soziale
Wohlfahrtsfunktion
j
W
lässt sich nun wie folgt schreiben:
49
Vgl. Gaertner (1984), S. 10 f.
50
Vgl. Varian (2003), S. 594.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783956362934
ISBN (Paperback)
9783836605717
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Volswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2007 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
effizienz allokation medizinische ressourcen priorisierung stochastik
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Titel: Gerechtigkeit und stochastische Fairness in einem Allokationsproblem mit Schwellwerten
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