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Die Bedeutung der Salutogenese für Gesundheitsförderung und Prävention

©2006 Diplomarbeit 121 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Gesundheitsvorsorge und Prävention sind in unserer modernen Gesellschaft allgegenwärtig. Der gesunde, motivierte, junge und junggebliebene, tatkräftige, spritzige Mensch ist erklärtes Ziel. Krankenkassen locken mit Bonusangeboten bei entsprechend präventiven Maßnahmen. Auch von staatlicher Seite werden Anstrengungen unternommen Gesundheitsvorsorge und Prävention voranzutreiben, obgleich der Entwurf des Präventionsgesetzes vorerst scheiterte. Die Kostenexplosion der vergangenen Jahre im Gesundheitswesen ist nicht mehr finanzierbar. Ein Grund dafür ist die stetige Zunahme an chronisch erkrankten Patienten.
Daher ist es dringend angezeigt, das bisher fast ausschließlich kurative ausgerichtete Gesundheitssystem, in ein präventives Gesundheitssystem umzuwandeln. Die Verantwortung für die eigene Gesundheit soll, Schritt für Schritt, ins Bewusstsein der Bevölkerung dringen. Aktiv soll jeder Mensch an seinem gesundheitlichen Wohlbefinden arbeiten. Auch im Bereich tertiärer Prävention, in der ich als Ergotherapeutin tätig bin, soll das Verantwortungsbewusstsein der Patienten für die eigene Gesundheit und ihre aktive Mitarbeit am Gesundungsprozess, auch über die Rehabilitationsmaßnahme hinaus, gefördert werden.
Die zentralen Fragen, die sich der Gesellschaft, dem Gesundheitswesen und letztlich auch mir stellen, lauten:
Wie kann Gesundheit gefördert werden?
Was erhält den Menschen gesund?
Der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky beschäftigte sich explizit mit diesen Fragen. Er entwickelte das Modell der Salutogenese. (saluto – griech. = Gesundheit ; genese – griech. = Entstehung) Salutogenese befasst sich in erster Linie mit Faktoren, die Gesundheit bedingen, fördern und schützen können. Sein Konstrukt rückte in den letzten Jahren immer mehr in das Blickfeld von Soziologen und Medizinern. Ich möchte mich in meiner Arbeit mit Antonovskys Modell auseinandersetzen, um Antworten auf die Fragen nach Entstehung und Förderung von Gesundheit zu finden. Folgendes ist für mich von Interesse: Was sagt das Modell der Salutogenese aus? Inwieweit sind die Aussagen des Konzeptes wissenschaftlich fundiert? Unterstützen meine eigenen empirischen Forschungen die Aussagen des Konzeptes? Welche Bedeutung hat Salutogenese für Gesundheitsförderung und Prävention?
Salutogenese ist das einzige mir bekannte Konzept, welches seine ganze Aufmerksamkeit der Gesundheit widmet. Schon allein diese Tatsache spricht für einen, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Claudia Becher
Die Bedeutung der Salutogenese für Gesundheitsförderung und Prävention
ISBN: 978-3-8366-0449-9
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Fachhochschule Nordhessen der DIPLOMA, Leipzig, Deutschland, Diplomarbeit,
2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Einleitung 5-7
1. Hintergründe zur Entstehung des Salutogenetischen Modells 8-13
1.1 Kritik am bestehenden Gesundheitssystem 8
1.2 Auseinandersetzung mit dem Gesundheit ­bzw. Krankheitsbegriff 9
1.3. Entwicklung vom biomedizinischen Krankheitsmodell
zum 10-12
biopsychosozialen
Krankheitsmodell
1.3.1 Das biomedizinische Krankheitsmodell 10
1.3.2 Das biopsychosoziale Krankheitsmodell
11-12
1.4 Gesundheitsförderung und Prävention 12
1.5 Biographie
Antonovskys 12-13
2.
Das
Konzept
der
Salutogenese
13-33
2.1.
Salutogenetische
Blickrichtung 13-15
2.2. Grundaussagen der salutogenetischen Orientierung 16-21
2.2.1. Gesundheits ­ Krankheitskontinuum 16-17
2.2.2.
Lebensgeschichte 17
2.2.3. Individualität des Menschen 18
2.2.4. Stressoren / generalisierte Widerstandsdefizite
18-19
2.2.4.1. Stressorenbewertung / Spannungsauflösung / Stressbewältigung 20
2.2.5. Generalisierte Widerstandsressourcen / salutogene
Faktoren 20-21
2.3.
Das
Kohärenzgefühl 21-25
2.3.1. Sense of comprehensibility 22-23
2.3.2. Sense of manageability 23
2.3.3.
Sense
of
meaningfulness
23-24
2.3.4. Beziehungen zwischen den Komponenten
24-25
2.4.
Die
Entstehung
des
SOC
26-31
2.4.1. Säuglings ­ und Kindesalter 27-29
2.4.2. Adoleszenz 29-30
1

2.4.3.
Erwachsenenalter 30-31
2.5. Einfluß des Kohärenzgefühls auf die Gesundheit
31-32
2.6. Zusammenspiel der Elemente des Salutogenesemodells 32-33
3.
Stand
der
Forschung
34-55
3.1. Existenz des SOC 34-41
3.1.1. Das Modell der Widerstandsfähigkeit 35
3.1.1.1 Engagement
35
3.1.1.2 Kontrolle 36
3.1.1.3 Herausforderung
36-37
3.1.1.4 Wirkungsweise der drei Komponenten
37
3.1.2 Selbstwirksamkeitserwartung 37-38
3.1.3 Dispositioneller Optimismus 38-39
3.1.4 Direkter Vergleich der Konzepte 40-41
3.2 Empirische
Forschung 41-55
3.2.1 Messinstrument Fragebogen 41-42
3.2.2 Wissenschaftliche Untersuchungen
zum
Kohärenzgefühl 43-50
3.2.2.1 Direkter Einfluss des SOC auf die
Gesundheit
43-45
3.2.2.1.2 Direkter
Einfluss des SOC auf die körperliche Gesundheit 43-44
3.2.2.1.3 Direkter Einfluss des SOC auf die
psychische
Gesundheit
44-45
3.2.2.2 Verbindung von SOC
und
Stressverarbeitung 45
3.2.2.3 Verbindung von SOC und Gesundheitsverhalten
46
3.2.2.4 Verbindung von SOC und Geschlecht
47
3.2.2.5 Verbindung zwischen
SOC
und
Alter 47-48
3.2.2.6 Verbindung zwischen
SOC
und
Bildungsstand
48
3.2.2.7 Verbindung zwischen
SOC
und
sozialem
Umfeld
48-49
3.2.2.8 Verbindung von SOC
und
Kulturkreis 49-50
3.2.3 Eigene empirische Forschung 50-55
4. Bedeutung der Salutogenese für Gesundheitsförderung und Prävention 55-74
4.1 Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen 56-60
4.1.1 Präventionsmaßnahme: ,,Kinder stark
machen"
59-60
4.2 Prävention und Gesundheitsförderung beim
Erwachsenen 61-74
4.2.1 Betriebliche Gesundheitsförderung 61-62
2

4.2.2 Mentales Gehtraining - ein Salutogenetisches Behandlungskonzept 63-74
4.2.2.1 Allgemeine salutogene Handlungsrichtlinien 63-64
4.2.2.2 Spezielle salutogene Handlungsrichtlinien 64-68
4.2.2.2.1 Die Wirklichkeit des Patienten respektieren 64-65
4.2.2.2.2 Kommunikation als
therapeutisches
Mittel
einsetzen 65
4.2.2.2.3 Gemeinsame Therapieziele erarbeiten 65-66
4.2.2.2.4 Der Patient in Lebenszeit und
Lebensraum 66-67
4.2.2.3 Bewegung systemisch verstehen 68
4.2.2.4 Einleitung der Therapie
68
4.2.2.5 Bewegungsbeschreibung 69
4.2.2.6
Bewegungsanweisung 69-71
4.2.2.6.1 externe Bewegungsanweisung 69-70
4.2.2.6.2 Individuelle Bewegungsanweisungen 70-71
4.2.2.7 Mentale Bewegungsrepräsentation 71
4.2.2.8 Motorisches
Training
71-72
4.2.2.8.1 Motorisches Training unter Modifikation der Wahrnehmung 71
4.2.2.8.2 Motorisches Training unter Modifikation
der
Bewegung 72
4.2.2.8.3 Motorisches Training unter Modifikation
der
Umwelt 72
4.2.2.9 Mentales
Training 72-73
4.2.2.9.1 Sprachliches mentales
Training
73
4.2.2.9.2 Mentales Training
aus
der
Beobachterperspektive 73
4.2.2.9.3 Mentales Training
aus
der
Innenperspektive 73
4.2.2.10 Realisierung 74
4.2.2.11 Analyse 74
5. Zusammenfassung 75-79
6.
Literaturverzeichnis 80-81
7.
Anhang 82-100
7.1. Studien zum Kohärenzgefühl 82-100
3

7.2. Fragebogen und Auswertungsschemata
101-108
7.2.1.
Fragebogen
101-106
7.2.2.
Auswertungsschemata 107-108
7.3. Formelsammlung 109
7.4. Berechnungen des Korrelationskoeffizienten und Cronbachs Alpha 109
der eigenen Auswertung
7.5. Erfassung und Auswertung der Fragebögen
110
7.6. Auswertung der Fragen 30-33 in Bezug
zum
SOC 111-114
8. Abbildungsverzeichnis 115
9. Tabellenverzeichnis 116-117
10. Abkürzungsverzeichnis 118
4

Einleitung
Gesundheitsvorsorge und Prävention sind in unserer modernen Gesellschaft
allgegenwärtig.
Der gesunde, motivierte, junge und junggebliebene, tatkräftige, spritzige
Mensch ist erklärtes Ziel.
Krankenkassen locken mit Bonusangeboten bei entsprechend präventiven
Maßnahmen. Auch von staatlicher Seite werden Anstrengungen unternommen
Gesundheitsvorsorge und Prävention voranzutreiben, obgleich der Entwurf des
Präventionsgesetzes vorerst scheiterte.
Die Kostenexplosion der vergangenen Jahre im Gesundheitswesen ist nicht
mehr finanzierbar. Ein Grund dafür ist die stetige Zunahme an chronisch
erkrankten Patienten.
Daher ist es dringend angezeigt, das bisher fast ausschließlich kurative
ausgerichtete Gesundheitssystem, in ein präventives Gesundheitssystem
umzuwandeln.
Die Verantwortung für die eigene Gesundheit soll, Schritt für Schritt, ins
Bewusstsein der Bevölkerung dringen.
Aktiv soll jeder Mensch an seinem gesundheitlichen Wohlbefinden arbeiten.
Auch im Bereich tertiärer Prävention, in der ich als Ergotherapeutin tätig bin,
soll das Verantwortungsbewusstsein der Patienten für die eigene Gesundheit
und ihre aktive Mitarbeit am Gesundungsprozess, auch über die
Rehabilitationsmaßnahme hinaus, gefördert werden.
Die zentralen Fragen, die sich der Gesellschaft, dem Gesundheitswesen und
letztlich auch mir stellen, lauten:
Wie kann Gesundheit gefördert werden ?
Was erhält den Menschen gesund ?
Der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky beschäftigte
sich explizit mit diesen Fragen. Er entwickelte das Modell der Salutogenese.
(saluto ­ griech. = Gesundheit ; genese ­ griech. = Entstehung)
5

Salutogenese befasst sich in erster Linie mit Faktoren, die Gesundheit
bedingen, fördern und schützen können. Sein Konstrukt rückte in den letzten
Jahren immer mehr in das Blickfeld von Soziologen und Medizinern.
Ich möchte mich in meiner Arbeit mit Antonovskys Modell auseinandersetzen,
um Antworten auf die Fragen nach Entstehung und Förderung von Gesundheit
zu finden.
Folgendes ist für mich von Interesse: Was sagt das Modell der Salutogenese
aus?
Inwieweit sind die Aussagen des Konzeptes wissenschaftlich fundiert?
Unterstützen meine eigenen empirischen Forschungen die Aussagen des
Konzeptes?
Welche Bedeutung hat Salutogenese für Gesundheitsförderung und
Prävention?
Salutogenese ist das einzige mir bekannte Konzept, welches seine ganze
Aufmerksamkeit der Gesundheit widmet. Schon allein diese Tatsache spricht
für einen, meiner Meinung nach, bedeutsamen Stellenwert im Bereich der
Gesundheitsförderung und Prävention. Durch ihre Ausrichtung auf
gesundheitsfördernde und gesundheitsschützende Faktoren stellt Salutogenese
eine wertvolle Bereicherung zur vorherrschenden pathogenen Sichtweise dar.
Empirische Forschungen zur Salutogenese wurden bisher nur sehr zögerlich
aufgenommen. Die Ergebnislage zeigt sich nicht immer eindeutig.
Durch meine eigenen Forschungen will ich zur wissenschaftlichen Überprüfung
des salutogenetischen Modells beitragen.
Meine Arbeit gliedert sich wie folgt:
Die Hintergründe des Modells sollen in Kapitel 1 dargestellt werden, um die
Aussagen Antonovskys im geschichtlichen Kontext zu sehen.
Im Kapitel 2 stelle ich das Konzept der Salutogenese ausführlich dar, um die
Grundlage für weiterführende Betrachtungen zu schaffen.
Kapitel 3 macht Aussagen zum aktuellen Stand der Forschung und gibt meine
eigenen Forschungsergebnisse wieder.
6

Die Integration des salutogenetischen Modells in die Praxis von
Gesundheitsförderung und Prävention ist Thema im 4. Kapitel.
Abschließend bewerte ich das Modell der Salutogenese im 5. Kapitel und stelle
dessen Bedeutung für Gesundheitsförderung und Prävention heraus
Im Anhang befinden sich der Fragebogen, Auswertungschemata, Tabellen und
Formeln zur näheren Erläuterung des 3. Kapitels.
7

1. Hintergründe der Entstehung des Salutogenetischen Modells
Folgend soll auf wissenschaftliche Diskussionen und Entwicklungen zum
Thema Gesundheit, Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge zur Zeit
der Entwicklung des Modells Antonovskys eingegangen werden. In diesem
Zusammenhang sei angemerkt, dass die Diskussionen und
Auseinandersetzungen zu diesem Thema bis zum heutigen Zeitpunkt noch
nicht vollständig abgeschlossen sind. Der wissenschaftliche Kontext und die
sich anschließende Biographie Antonovskys sollen Hilfe zum besseren
Verständnis der salutogenen Orientierung geben.
1.1. Kritik am bestehenden Gesundheitssystem
Die Grundausrichtung des Gesundheitssystems ist bestimmt durch eine
pathogenetische Sichtweise. Das bedeutet, im Mittelpunkt aller
Behandlungen und Zuwendungen stehen Beschwerden, Symptome und
Schmerzen der Patienten. Gestellte Aufgabe bzw. gestelltes Ziel ist die
Diagnosestellung und die anschließende schnelle Beseitigung der
Krankheitssymptome. Das wiederum lässt eine hohe Erwartungshaltung
des Patienten an die Möglichkeiten der modernen Medizin zu. Er selbst
verhält sich eher passiv und baut eine ,,bequeme" Haltung zur
Behandlung auf. Häufig wird diese Einstellung zur Therapie als
,,Werkstatt ­ Denken" bezeichnet. Die pathogenetisch orientierte Medizin
besticht mit herausragenden Erfolgen im besonderen im Bereich
Akutmedizin, dennoch mehrt sich die Kritik an zunehmender
Apparatemedizin und ausschließlicher Fixierung auf die Krankheit.
Eine Vernachlässigung der Ganzheitlichkeit des Patienten wird angeprangert
Die fortschreitende Technisierung der Medizin führt zu enormen
Kostensteigerungen, die im Hinblick auf die steigende Zahl chronisch
Kranker beachtliche finanzielle Probleme aufwirft .Ein Paradigmenwechsel wird
gefordert.
8

Die Medizin soll wieder ,,menschlicher" werden. Dem Arzt ­
Patientengespräch wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Neben den
physischen sollen auch verstärkt psychosoziale Aspekte Beachtung
finden. Auch die gesunden Anteile des Patienten sollen wahrgenommen
und gefördert werden. In Verbindung mit einer Neugestaltung des
Gesundheitssystems wird auch eine Neubetrachtung von Gesundheit
und Krankheit angeregt.
1.2. Auseinandersetzung mit Gesundheit ­bzw. Krankheitsbegriff
Definitionen von Gesundheit sind im pathogenetisch orientierten System
in der Regel Negativbestimmungen. Gesundheit wird definiert als
Abwesenheit bzw. Freisein von Krankheit. Zeigen sich bestimmte
Symptome und Beschwerden bei einer Person, so wird diese als krank
bezeichnet. Wichtige subjektive Dimensionen des Befindens wie:
Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden, Genuss- und Leistungsfähigkeit
werden vernachlässigt. Das subjektive Krankheits- bzw. Gesundheitserleben
stimmt nicht in jedem Fall mit der objektiven Krankheitsbetrachtung überein.
Gesundheit ist demzufolge kein eindeutig definierbares Konstrukt und
zwingend mehrdimensional zu betrachten.
,,Neben körperlichem Wohlbefinden (z.B. positives Körpergefühl, Fehlen
von Beschwerden und Krankheitszeichen) und psychischem
Wohlbefinden (z.B. Freude, Glück, Lebenszufriedenheit) gehören auch
Leistungsfähigkeit, Selbstverwirklichung und Sinnfindung dazu.
Gesundheit hängt ab vom Vorhandensein, von der Wahrnehmung und
dem Umgang mit Belastungen, von Risiken und Gefährdung durch die
soziale und ökologische Umwelt sowie vom Vorhandensein, von der
Wahrnehmung, Erschließung und Inanspruchnahme von Ressourcen."
1
1
Bengel, J., Strittmacher, R. & Willmann H. (2001). Was erhält Menschen gesund?
Antonovskys Modell der Salutogenese ­ Diskussionsstand und Stellenwert.
(erweiterte Neuauflage). Köln: BzgA, S.16
9

1.3. Entwicklung vom biomedizinischen Krankheitsmodell zum
biopsychosozialen Krankheitsmodell
1.3.1 Das biomedizinische Krankheitsmodell
Das biomedizinische Krankheitsmodell entwickelte sich Anfang des
19. Jahrhunderts. Es ist fester Bestandteil des pathogenetisch orientierten
Gesundheitssystems.
Der Mensch, der im Mittelpunkt jeden medizinischen Denkens stehen sollte,
ist das komplexeste Objekt, das es zu erforschen gilt. Diese Komplexität
erschwert es, allgemeingültige Aussagen, Erklärungen oder Vorhersagen
über verschiedene Personen zu treffen.
Die medizinische Forschung versucht dieses Problem zu lösen, indem sie
das System Mensch auf ein überschaubares, verstehbares Modell reduziert.
Grundlage dessen, ist die philosophische Weltanschauung Descartes. (Mitte
des 17. Jahrhunderts)
Descartes propagierte einen ,,Leib ­ Seele ­ Dualismus", also eine
systematische Trennung von körperlichen und seelischen Erscheinungen.
Das veranlasst Mediziner vieler Bereiche, ihr Augenmerk verstärkt auf die
Behandlung des Körpers zu richten.
Eine biomedizinische Orientierung geht davon aus, "dass der menschliche
Körper mit einer Maschine vergleichbar ist, deren Funktionen und
Funktionsstörungen verstanden werden können, indem die Organsysteme
und Strukturen, sowie die physiologischen Prozesse möglichst genau
analysiert werden."
1
Behandlungen, die biomedizinisch ausgerichtet sind, stellen die Krankheit
als Funktionsstörung der ,,Maschine Mensch" ins Zentrum des Interesses.
Ob ein Mensch als Krank bezeichnet wird, hängt entscheidend von
anatomischen oder physiologischen nachweisbaren Veränderungen ab.
1
Bengel, J., Strittmacher, R. & Willmann H. (2001). Was erhält Menschen gesund?
Antonovskys Modell der Salutogenese ­ Diskussionsstand und Stellenwert.
(erweiterte Neuauflage). Köln: BzgA, S.16
10

,,Der Mensch wird zum Objekt einer Behandlung, nicht selten auf seinen
Befund reduziert, nummeriert und katalogisiert."
1
Psychische und soziale Anteile des Individuums werden vollkommen
vernachlässigt.
Bereits früh wurde Kritik an dieser objektiv ­ materialistischen Sichtweise
geübt. Ein erweitertes biopsychosoziales Krankheitsmodell wurde
vorgeschlagen.
1.3.2 Das biopsychosoziale Krankheitsmodell
Grundlage dieses Modells ist eine systemische Denkweise.
Erkenntnisse aus den Bereichen der Sozialwissenschaft, der
Psychosomatik und der Psychologie bestätigen, dass auch psychische und
soziale Anteile des Menschen an der Entstehung, dem Verlauf, der
Diagnosestellung und der Wahrnehmung der Symptome, entscheidend
beteiligt sind. Das biologische, das psychische und das soziale System, sind
untrennbar miteinander verbunden.
Nach Simon ,,können psychische Ereignisse bestätigend oder störend auf
organische und/oder soziale Prozesse wirken. Organische Ereignisse können
bestätigend oder störend auf soziale und/oder psychische Prozesse wirken.
Soziale Ereignisse können bestätigend oder störend auf psychische und/oder
auf organische Prozesse wirken."
2
Bewältigungs- und Stressforschung suchen auf dieser Grundlage verstärkt nach
Protektionsmechanismen und Ressourcen aus allen drei Bereichen des
Systems Mensch, die hilfreich bei der Krankheitsbewältigung und Belastungs-
reduktion sein können.
1
Mayer, J., Görlich, P. & Eberspächer, H. (2003). Mentales Gehtraining ­ ein
salutogenes Therapieverfahren für die Rehabilitation. Berlin/Heidelberg:
Springer-Verlag, S.5
2
ebd., S.13
11

Der Mensch, als Ganzes, steht im Mittelpunkt des biopsychosozialen
Krankheitsmodells.
Trotz Einführung und der offensichtlichen Berechtigung des biopsychosozialen
Modells wird eine fortwährende Orientierung am pathogenetischen
Defizitmodells sichtbar. Das betrifft auch die Prävention und die Gesund-
heitsvorsorge.
1.4 Gesundheitsförderung und Prävention
Grundlage für präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen ist nach wie
vor das Risikofaktorenmodell.
Ziel und Aufgabe der Patienten soll es sein, Risikofaktoren zu vermeiden, die
statistisch mit bestimmten Erkrankungen in Verbindung gebracht werden.
Negative Auswirkungen solcher Faktoren auf das einzelne Individuum sind
jedoch nicht in jedem Fall zwingend.
Eine Erweiterung des klassischen Risikofaktorenmodells um psychosoziale
Faktoren, Umweltfaktoren, verhältnisbezogene und protektive Faktoren fordert
die WHO im Jahr 1986 in der Ottawa ­ Charta.
1.5 Biographie Antonovskys
Aaron Antonovsky wurde 1923 in Brooklyn geboren. Er besucht das Brooklyn-
College. Anschließend studierte er Geschichte und Wirtschaft an der Yale-
Universität. Aufgrund des Kriegseinsatzes im Dienste der US-Armee gegen
Nazi-Deutschland war Antonovsky gezwungen sein Studium zu unterbrechen.
1952 erwarb er in der Abteilung Soziologie der Yale- Universität seinen M.A..
1955 folgte der Titel eines Ph.D. 1955-1959 unterrichtete er am Brooklyn-
College. 1956 wurde er zum Leiter der Forschungsabteilung des Anti-
Diskriminierungsausschusses des Staates New York ernannt. 1959-1960 war er
Fulbright Professor für Soziologie an der Universität in Teheran.
12

1960 emigrierte er mit seiner Frau nach Israel. In Jerusalem erhielt er eine
Stellung am Institut für angewandte Sozialforschung. Dort dozierte er im
Bereich Medizinsoziologie. In dieser Zeit widmete er sich Forschungsprojekten
aus dem Bereich der Stressforschung. Er untersuchte Stressoren und ihre
Wirkung auf Gesundheit und Krankheit. Er stütze sich dabei auf das
Stresskonzept von Lazarus.
Antonovskys Forschungsinteresse lag nun im Bereich individueller
Verarbeitungsmuster von Stress.
1979 stellte er erstmals das Konzept der Salutogenese in seinem Werk
,,Health, Stress and Coping" der Öffentlichkeit vor und brachte sich damit in die
bestehende Gesundheitsdiskussion ein.
Antonovsky baute ab 1972 neben seine Forschungstätigkeit eine
gemeindeorientierte medizinische Fakultät der Ben-Gurion-Universität auf.
1977 und 1983 erhielt er jeweils einjährige Professuren an der Abteilung Public
Health der Universität Berkeley. Die Auswirkungen der Pensionierung auf die
Gesundheit war Gegenstand seiner letzten Forschungen.
Antonovsky starb 1994 in Beer Sheba.
2. Das Konzept der Salutogenese
2.1. Salutogenetische Blickrichtung
Zunächst möchte ich Grundgedanken des Salutogenesemodells vorstellen.
Ausgangspunkt für die Entwicklung des Konzepts der Salutogenese war eine
Untersuchungsreihe an Frauen verschiedener ethnischer Gruppen zu
Auswirkungen der Wechseljahre auf ihre Gesundheit. Unter den Frauen
befanden sich ehemalige Häftlinge aus Konzentrationslagern. Wie zu erwarten,
waren sie signifikant stärker gesundheitlich belastet als die nicht Inhaftierten.
Dennoch gaben 29% der internierten Frauen einen relativ guten Gesundheits-
zustand an.
13

Das ließ Antonovsky die grundsätzliche Frage stellen: Warum bleiben
Menschen trotz widrigster Umstände gesund und erkranken nicht?
Aus dieser Art der Fragestellung leitet sich Salutogenese ab.
Salutogenese stellt einen gewollten wörtlichen und grundsätzlichen Unterschied
zur Pathogenese dar. Deren Prämisse liegt eher auf der Erforschung und
Behandlung von krankmachenden Faktoren wie (z.B. Viren und Bakterien).
Salutogenetisches Denken hingegen richtet seine Aufmerksamkeit auf all jene
Faktoren, die helfen können, einen Menschen gesund zu erhalten bzw.
gesunden zu lassen.
Salutogenetische Orientierung soll nach Antonovsky komplementär zur
pathogenen Orientierung betrachtet werden.
Mit Hilfe einer Metapher, der sogenannten ,,Flussabwärts-Perspektive", stellt
Antonovsky anschaulich die Unterschiede zwischen Pathogenese und
Salutogenese dar.
,,Die pathogenetische Herangehensweise möchte Menschen mit hohem
Aufwand aus einem reißenden Fluß retten, ohne sich darüber Gedanken zu
machen, wie sie da hineingeraten sind und warum sie nicht besser schwimmen
können. Aus der Sicht der Gesundheitserziehung hingegen springen Menschen
aus eigenem Willen in den Fluß und weigern sich gleichzeitig, das Schwimmen
zu lernen."
1
Antonovskys fundamentale Annahme hingegen ist, "dass der Fluss der Strom
des Lebens ist. Niemand geht sicher am Ufer entlang. Darüber hinaus ist für
mich klar, dass ein Großteil des Flusses sowohl im wörtlichen wie auch im
übertragenen Sinn verschmutzt ist. Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu
leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen.
Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: `Wie
wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von
historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt
wird, ein guter Schwimmer?`"
2
1
Bengel, J., Strittmacher, R. & Willmann H. (2001). Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell
der Salutogenese ­ Diskussionsstand und Stellenwert. (erweiterte Neuauflage). Köln: BzgA, S. 24 f.
2
Antonovsky, A. (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Dt. erweiterte Herausgabe von A.
Franke). Tübingen: dgvt, S.92
14

Die Metapher verdeutlicht Antonovskys Überzeugung, dass im Leben immer
potentielle Gefahren für Gesundheit und Wohlergehen drohen.
Das Konzept der Salutogenese versucht zu klären, wie Menschen mit
Gefahrensituationen optimal umgehen können, wie sie pathogen einwirkenden
Faktoren gesundheitsfördernde ( salutogene) Faktoren entgegensetzen
können, um Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten bzw. zu fördern. Die
nachfolgende Abbildung veranschaulicht den Weg und das Ziel salutogener
Bemühungen.
Abb.1: Salutogenese-Modell
Die Kraft, die salutogene Faktoren aktiviert, ist das Kohärenzgefühl.
Kohärenzgefühl kann übersetzt werden mit Gefühl der Stimmigkeit oder Gefühl
des Zusammenhangs. Weitere Synonyme dafür sind Kohärenzsinn oder sense
of coherence (SOC). Es ist Kern des salutogenetischen Konzepts
Antonovskys.
1
1
siehe dazu Kapitel 2.3., S. 19 ff.
15

2.2. Grundaussagen der salutogenetischen Orientierung
2.2.1. Gesundheits ­ Krankheitskontinuum
Die salutogene Vorstellung über Gesundheit und Entstehung von Gesundheit
gründet sich auf systemtheoretischen Überlegungen. Für Antonovsky ist Ge-
sundheit kein Normzustand des Organismus, sondern sie muss täglich neu
erarbeitet werden. Homöostase, die gelegentlich von pathogenetischen Fak-
toren entreguliert wird, hält er für unwahrscheinlich.
Antonovsky postuliert eine Heterostase des Systems, ausgehend vom zweiten
Satz der Thermodynamik.
Dieser besagt, dass jedes System, jedes Elementarteilchen tendenziell zu mehr
Entropie strebt, zu einem Zustand immer größerer Unordnung.
Antonovsky sieht ,,[Heterostase, Unordnung und ständigen Druck in Richtung
auf zunehmende Entropie als prototypisches Charakteristikum des lebenden
Organismus]" an.
1
Der Verlust der Ordnung, bzw. der Gesundheit, ist also ein natürlicher allgegen-
wärtiger Prozess.
Diese Erkenntnis führt zu einer notwendigen Neudefinierung von Gesundheit
und Krankheit. Eine dichotome Trennung in gesund und krank lehnt Antonovsky
ab. Er schlägt ein Gesundheit ­ Krankheitskontinuum vor.
Für ihn existiert weder völlige Gesundheit, noch völlige Krankheit.
Jeder Mensch bewegt sich ein Leben lang auf diesem Kontinuum zwischen
Gesundheits - und Krankheitspol.
Solange die Selbstorganisation des Systems aufrechterhalten werden kann, der
Mensch also lebendig ist, sind Teile seines Körpers gesund, auch wenn andere
von Krankheit gezeichnet sind. Andererseits hat jeder Mensch kranke Anteile,
auch wenn er sich als gesund erlebt.
1
Antonovsky, A. (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Dt. erweiterte Herausgabe von A. Franke).
Tübingen: dgvt, S.22
16

Antonovsky sieht es als salutogenetischen Ansatz, ,,jede Person auf diesem
Kontinuum zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu untersuchen."
1
Es geht somit nicht um eine Klassifizierung in gesund und krank, sondern um
die Frage, wie weit eine Person vom Krankheits ­ bzw. Gesundheitspol entfernt
ist. Die momentane Position eines Menschen wird zu einem gewissen Anteil
von seiner Lebensgeschichte bestimmt.
2.2.2. Lebensgeschichte
Wie schon in der Metapher ,,Die Flussabwärtsperspektive" angedeutet, sind für
die Diagnostik und Intervention ausreichend Kenntnisse über die individuelle
Biographie, einschließlich der Krankengeschichte und das Lebensumfeld des
Einzelnen, notwendig.
Nur so können gegebenenfalls Krankheitszeichen mit Lebensereignissen in
Verbindung gebracht werden, was ein ausschließliches Interesse an
pathogenen Faktoren verhindert und salutogene Faktoren identifizieren und
fördern kann.
Das versetzt Arzt und Therapeut in die Lage, nicht ausschließlich Experte für
Krankheit zu sein, sondern ebenfalls Spezialist für Gesundheit.
So verschieden wie die Lebensgeschichte eines Menschen ist, so unter-
schiedlich sind Menschen als Einzelperson und bedürfen einer individuellen
Betrachtung durch den Arzt bzw. den Therapeuten.
1
Antonovsky, A. (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Dt. erweiterte Herausgabe von A.
Franke). Tübingen: dgvt, S.23
17

2.2.3. Individualität des Menschen
Salutogenetische Orientierung betrachtet den Einzelfall.
Der ausschließlich automatische Vergleich des Menschen mit Durchschnitts-
werten (z.B. Blutdruck) einer homogenen Kontrollgruppe ist zu vermeiden.
Grund dieser Betrachtungsweise ist die Systemtheorie. Sie besagt, Systeme
(u.a. Mensch) gleichen sich bezüglich ihrer Organisation, ihre Strukturen
hingegen können verschieden sein. Das bedeutet, Bluthochdruck muss nicht in
jedem Fall Konsequenzen für das Herz ­ Kreislaufsystem haben. Eine weitere
Aussage betrifft Interventionen von außen. Jedes System verändert sich nach
seiner individuellen Struktur und nach seiner systemeigenen Logik. Jeder
Mensch (System) ist somit gesondert zu betrachten. Gesundheit kann nicht von
außen verordnet oder erzwungen werden. Eine Reorganisation des Systems ist
notwendig. Sie geschieht aber nur, wenn Interventionen der systemeigenen
Logik entsprechen.
Im Gegensatz zur pathogenen Sichtweise interessiert der abweichende Fall aus
herkömmlichen Studien. Zum Beispiel: Welche Patienten mit hohen
Blutdruckwerten haben keine Herz ­ Kreislaufbeschwerden?
2.2.4. Stressoren / generalisierte Widerstandsdefizite
Eine allgemeingültige Definition für Stressor zu finden, erweist sich als
problematisch, da erst die Wirkung eines eintreffenden Reizes erkennen lässt,
ob es sich um einen Stressor handelt oder nicht.
Für Antonovsky löst eine von außen oder innen kommende Anforderung (Reiz)
,,an den Organismus, die sein Gleichgewicht stört und die zur Wiederherstellung
des Gleichgewichts eine nicht-automatische und nicht unmittelbar verfügbare,
energieverbrauchende Handlung erfordert"
1
, zunächst einmal nur einen
1
Antonovsky, A. (1979). Health, stress, and Coping: New perspectives on mental an physical well- being.
San Fransisco: Jossey- Bass,S. 72
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Spannungszustand aus. Solche Anforderungen, die physikalischer, biochemi-
scher oder psychosozialer Natur sein können, sind natürlich und allgegenwärtig.
Sie bringen Entropie ins System (Organismus). Der Mensch ist vor die Aufgabe
gestellt, besagte Spannung mit Hilfe geeigneter Bewältigungsstrategien
aufzulösen. Gelingt Spannungsbewältigung, wird Gesundheit gefördert bzw.
erhalten. Stress kann eine Belastung, eine Belastungsfolge oder eine
Belastungssituation darstellen.
Wie Erkenntnisse aus der Stressforschung zeigen, ist er nicht grundsätzlich
gesundheitsschädigend.
Es wird unterschieden in positiven Stress (Eustress), negativen Stress
(Distress) und Stress, der als neutral bezeichnet werden kann.
Erst in Verbindung mit Krankheitserregern, schädlichen Stoffen, körperlichen
und seelischen Schwachstellen, kann Stress die Gesundheit beeinflussen.
Auch die Abwesenheit generalisierter Widerstandsressourcen
1
kann zu Stress
führen. Physikalische und biochemische Stressoren können so akut
gesundheitszerstörend sein, dass eine schnelle Beseitigung angeraten ist. Eine
pathogenetische Sichtweise ist in diesem Fall angemessen.
Psychosoziale Stressoren, die immer bedeutender in der westlichen Industrie-
gesellschaft werden, erfordern hingegen eine biopsychosoziale
Betrachtungsweise. Im systemisch orientierten Konstrukt des Kohärenzgefühls
2
sieht Antonovsky die Grundlage zur Stressorenbewertung, Spannungsauflö-
sung und Stressverarbeitung.
1
siehe dazu Kapitel 2.2.5., S. f.
2
siehe dazu Kapitel 2.3., S. ff.
19

2.2.4.1. Stressorenbewertung / Spannungsauflösung / Stressbewältigung
Der Vorgang der Stressorenbewertung, der Spannungsauflösung und der
Stressbewältigung erfolgt in drei Schritten.
Primäre Bewertung 1: Menschen mit einem starken Kohärenzgefühl bewerten
bestimmte Reize neutral, die für Personen mit niedrigem Kohärenzempfinden
spannungserzeugend sind.
Primäre Bewertung 2: Wird ein Reiz zum Stressor, kann eine Person mit
starkem Kohärenzgefühl entscheiden, ob es sich um einen positiven, neutralen
oder negativen Stressor handelt.
Bei positivem oder neutralem Stress wird ein Spannungsaufbau registriert. Es
wird aber angenommen, dass die Spannung auch ohne Einsatz von
Ressourcen aufgelöst werden kann. Der Stressor wird zum Nicht ­ Stressor
umgewertet.
Primäre Bewertung 3: Wird ein Reiz als Distressor bewertet, so nehmen
Menschen mit einem hohen SOC dennoch an, dass sie über ausreichende
Ressourcen und Copingstrategien verfügen, um das Problem zu lösen und
fühlen sich dadurch weniger bedroht. Ihre Gefühle sind zielgerichtet.
Menschen mit niedrigeren Werten tendieren zu diffusen Gefühlen (Wut) unter
dem Eindruck der Überforderung. Sie sehen keine Handlungsmöglichkeit, da
sie bezweifeln, über ausreichende Ressourcen zu verfügen, um das Problem
lösen zu können.
2.2.5. Generalisierte Widerstandsressourcen / salutogene Faktoren
Die salutogenetische Orientierung sucht nicht nach einer ,,Wunderwaffe" (z.B.
Medikament), die einwirkende Stressoren bekämpft, sondern sucht nach allen
positiven Faktoren, die erfolgreiche Spannungsbewältigung erleichtern und
somit die Gesundheit des Systems erhalten bzw. fördern.
Solche Variablen bezeichnet Antonovsky als generalisierte Widerstands-
ressourcen. Generalisiert bedeutet Wirksamkeit in allen Situationen und
20

Widerstand drückt aus, dass diese Ressourcen die Widerstandsfähigkeit gegen
Stressoren erhöhen. Salutogene Faktoren lassen sich splitten in individuelle
Faktoren (körperliche Faktoren, Copingstrategien, Intelligenz), soziale Faktoren
(soziale Unterstützung, finanzielle Möglichkeiten) und kulturelle Faktoren
(kulturelle Konstanz). Neben erfolgreicher Spannungsreduktion und Stress-
bewältigung ermöglichen Widerstandsressourcen dem System (Mensch),
kontinuierlich bedeutsame und kohärente Lebenserfahrungen zu machen, die
wiederum die Überzeugung des Menschen stärken, dass Probleme lösbar sind.
Das Kohärenzgefühl wird gestärkt. Salutogene Faktoren bringen negative
Entropie ins System Mensch. Auch hier kann ein Kontinuum konstruiert werden.
Generalisierte Widerstandsressourcen (negative Entropie) bilden einen Pol des
Kontinuums und generalisierte Widerstandsdefizite den anderen.
Das Kohärenzgefühl ist die Kraft, die ,,dieses Schlachtfeld von Kräften dirigiert
und Ordnung oder Unordnung fördert."
1
2.3. Das Kohärenzgefühl
Wie bereits angedeutet, betrachtet Antonovsky das Konstrukt Sens of
coherence als Kernstück des Modells der Salutogenese und als Antwort auf
seine eingangs gestellte Frage ,,Was hält den Menschen gesund?
Antwort: Ein ausgeprägter Kohärenzsinn."
2
Kohärenzsinn ist zu übersetzen mit Zusammenhang oder Stimmigkeit.
Antonovsky nimmt an, dass der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand eines
Menschen im Wesentlichen Faktoren, wie Krieg, Hunger oder fatale hygie-
nische Bedingungen ausgeschlossen, durch eine individuelle psychologische
Einflussgröße bestimmt wird, die Grundhaltung des Menschen zur Welt und
zum eigenen Leben.
1
Antonovsky, A. (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Dt. erweiterte Herausgabe von A. Franke).
Tübingen: dgvt, S. 150
2
Mayer, J., Görlich, P. & Eberspächer, H. (2003). Mentales Gehtraining ­ ein salutogenes
Therapieverfahren für die Rehabilitation. Berlin/Heidelberg: Springer-Verlag, S.20
21

Sind äußere Bedingungen vergleichbar (ob positiv oder negativ), entscheidet
die Ausprägung des SOC mit seinem individuellen, kognitiven und affektiv-
emotionalen Anteil über die Möglichkeiten, vorhandene Ressourcen zum Erhalt,
bzw. zur Förderung des Gesundheitszustandes, in die Waagschale zu werfen.
Je stärker das Kohärenzgefühl eines Menschen ist, desto gesünder sollte die
Person sein, bzw. desto schneller sollte sie gesunden.
Antonovsky definiert den SOC als ,,eine globale Orientierung, die ausdrückt, in
welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch
dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, das erstens die Stimuli, die sich im
Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, struktu-
riert, vorhersehbar und erklärbar sind. Zweitens, immer die Ressourcen zur
Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begeg-
nen. Drittens, diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengun-
gen und Engagement lohnen".
1
Antonovsky untergliedert das Kohärenzgefühl in drei Komponenten, das Gefühl
von Verstehbarkeit (Sense of Comprehensibility), das Gefühl von
Handhabbarkeit (Sense of managebility ) und das Gefühl von Bedeutsamkeit
(Sense of meaningfulness). Folgend werden die drei Elemente erläutert.
2.3.1. Sense of comprehensibility
Verstehbarkeit ist ein kognitives Verarbeitungsmuster. Sie umfasst die
Fähigkeit, systeminterne und systemexterne, bekannte oder unbekannte Stimuli
schlüssig, konsistent und geordnet aufzunehmen und zu verarbeiten.
1
Antonovsky, A. (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Dt. erweiterte Herausgabe von A. Franke).
Tübingen: dgvt, S. 36
22

,,Dieser Vorgang wird ,,Information" genannt, weil es sich um ein ,,In-Form-
Bringen" der Beziehung zwischen dem Organismus und einer zunächst offenen,
umstrukturierten Umgebung handelt".
1
2.3.2. Sense of manageability
Handhabbarkeit stellt ein kognitiv - emotionales Verarbeitungsmuster dar.
Sie ist die Überzeugung eines Individuums, Probleme mit Hilfe geeigneter
verfügbarer Ressourcen lösen zu können. Diese salutogenen Faktoren können
eigene Kompetenzen, aber auch der Glaube an die Hilfestellung durch andere
Personen, oder einer höheren Macht, sein.
Der Mensch bewertet den einwirkenden Stressor und wählt geeignete
Ressourcen zur Regulierung des Spannungszustandes aus.
Er ist somit in der Lage, nach systemeigener Logik konstruktiv mit internen oder
externen Stimuli umzugehen.
2.3.3. Sense of meaningfulness
Bedeutsamkeit ist die motivationale Komponente des SOC.
Sie ist das ,,Ausmaß, indem man das Leben als emotional sinnvoll empfindet,
dass wenigstens einige, der vom Leben gestellten Probleme und Anforde-
rungen, es wert sind, dass man Energie in sie investiert, dass man sich für sie
einsetzt und sich ihnen verpflichtet, dass sie eher willkommene Herausforde-
rungen sind, als Lasten, die man gerne los wäre".
2
1
Mayer, J., Görlich, P. & Eberspächer, H. (2003). Mentales Gehtraining ­ ein salutogenes
Therapieverfahren für die Rehabilitation. Berlin/Heidelberg: Springer-Verlag, S.20
2
Antonovsky, A. (1979). Health, stress, and Coping: New perspectives on mental an physical well- being.
San Fransisco: Jossey- Bass, S. 36
23

Ohne das Gefühl von Sinnhaftigkeit wird das Leben zur Last und jede zusätz-
liche Anforderung wirkt als Verstärker dieser Empfindung. Bedeutsamkeit ist die
Basis, um aktiv zu werden. Eine Person mit einem hohen Maß an
Bedeutsamkeit, die eine unglückliche Erfahrung macht ,,nimmt die
Herausforderung bereitwillig an, wird ihr eine Bedeutung beimessen können
und ihr Möglichstes tun, sie mit Würde zu überwinden".
1
2.3.4. Beziehungen zwischen den Komponenten
Alle drei Elemente des SOC zeigen in der statistischen Auswertung
Antonovskys hohe Interkorrelationswerte. Da die Interkorrelation aber nicht
perfekt ist, kann davon ausgegangen werden, dass es zu Situationen kommen
kann, in welchen nicht alle drei Elemente auf gleichem Niveau liegen. Mögliche
Kombinationen und voraussichtliche Auswirkungen auf das gesamte Kohärenz-
gefühl sollen in folgender Tabelle dargestellt werden.
Typus
Verstehbarkeit
Handhabbarkeit
Bedeutsamkeit
Vorhersage
1
hoch
hoch
hoch
stabil
2 niedrig
hoch hoch selten
3
hoch
niedrig
hoch
Veränderung
nach oben
4 niedrig
niedrig
hoch
Veränderung
nach oben
5 hoch hoch niedrig Veränderung
nach unten
6 hoch niedrig niedrig Veränderung
nach unten
7 niedrig
hoch niedrig selten
8 niedrig
niedrig niedrig stabil
Tab.1: Dynamischer wechselseitiger Zusammenhang der SOC-Komponenten
1
Antonovsky, A. (1997). Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Dt. erweiterte Herausgabe von A. Franke).
Tübingen: dgvt, S. 36
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956362644
ISBN (Paperback)
9783836604499
Dateigröße
6.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
DIPLOMA Fachhochschule Nordhessen; Abt. Leipzig – Diplom Ergotherapeut/in
Erscheinungsdatum
2007 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
gesundheitsbegriff coping stressverarbeitung kohärenz aaron antonovsky
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Titel: Die Bedeutung der Salutogenese für Gesundheitsförderung und Prävention
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