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'Weblog is watching you'

Auf der Suche nach neuen Formen öffentlicher Medienkritik und ihrer Einbindung in den Journalismus

©2007 Diplomarbeit 154 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Journalismus ist für die Gesellschaft viel zu wichtig, als dass man ihn den Journalisten allein überlassen dürfte.
Diese Worte schreibt der Kommunikationswissenschaftler Hans Wagner in der Einführung seines Buches Journalismus mit beschränkter Haftung? Gesammelte Beiträge zur Journalismus- und Medienkritik. Aus einer gleichsam wissenschaftlich-kritischen Position heraus erfolgt dort eine Art Bestandsaufnahme, in welchen Formen und Formaten sich der Journalismus in Zeitung, Hörfunk und Fernsehen mit sich selbst auseinandersetzt. Vergleichsweise schnell wird in dieser Streitschrift deutlich, dass der Autor im positiven Sinn für eine transparentere Auseinandersetzung über den Journalismus wirbt, sowohl wissenschaftlich als auch berufspraktisch.
Wird die eingangs erwähnte Feststellung von Hans Wagner aus einer Perspektive des Internets gelesen, dann bleiben die professionellen Journalisten tatsächlich nicht sich selbst überlassen. Ambitioniert werden dort ihre Produkte kommentiert und das Mediengeschehen dokumentiert. Insbesondere die Publikationsform Weblog kokettiert mit den Optionen, die professionelle journalistische Berichterstattung zu beschreiben, zu beobachten, zu bewerten und mitunter auch zu korrigieren. Vor allem aber wird sie dort, auf welche der genannten Arten auch immer, zur Diskussion gestellt. Vergleichsweise schnell haben sich hinsichtlich dieser neuen Art von Unterstützung des Journalismus sowohl bei den Berufpraktikern als auch bei Beobachtern aus den verschiedenen Medienwissenschaften Positionen herausgebildet. Diese reichen je nach Kontext von eher allgemeinen Einschätzungen, wie beispielsweise, dass durch das Phänomen Weblog die „Infrastruktur der Medienkritik“ ergänzt werde, bis hin zu prägnanteren Aussagen:
‚Ja, da entsteht etwas (…) das langfristig deutliche Auswirkungen auf die Qualität journalistischer Produkte hat (…). Da werden sich künftig viele mehr Mühe geben, wenn die Gefahr besteht, dass ein kritisches Publikum sich öffentlich über sie lustig macht’.
Und auch am Rande, ganz weit hinten und zwischen unzähligen privat publizierter Meinungen in einem Weblog, erfolgt ein Hauch von Zustimmung. Dort meldet sich eine bekannte Redakteurin in leitender Position selbstkritisch der eigenen Branche gegenüber zu Wort:
‚Wir haben alle keinen festen Grund unter den Füßen. In den alten Medien nicht mehr, den neuen noch nicht. Da klammert sich jeder an das, was ihm am nächsten ist und neigt dazu sich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Stefanie Trümper
'Weblog is watching you'
Auf der Suche nach neuen Formen öffentlicher Medienkritik und ihrer Einbindung in den
Journalismus
ISBN: 978-3-8366-0736-0
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Hochschule Bremen (FH), Bremen, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
I
NHALT
Vorwort ... i
Abstrakt ... ii
Abstract
(English)
...
ii
I
E
INLEITUNG
1 Einleitung...
1
1.1 Thesen
...
3
1.2
Aufbau der Arbeit ...
4
II J
OURNALISMUS
­E
INE AKTUELLE
B
ESCHREIBUNG
2
Journalismus im Wandel: Zwischen Trends, Thesen und Theorie ... 5
2.1
Die neue Internetnutzbarkeit ... 6
2.2
Der Medienhype um das Mitmach-Web ... 7
2.3
Traditionelle Funktionen im neuen Outfit ... 8
2.3.1
,,Nachrichten machen" - Neue Form einer traditionellen Funktion ... 8
2.4
Journalismus und Publikum: Integration oder Distanz? ... 10
III T
HEORETISCHER
B
EZUGSRAHMEN
3
Der Diskurs über den Journalismus ... 12
3.1
Offene Theorien für einen Journalismus im Wandel ... 12
3.1.1
Handlungstheoretische Sichtweisen und der Sinn des Journalismus ... 13
3.2
Journalismus im Kommunikationsnetz der Öffentlichkeit ... 14
3.3
Kommunikationsaustausch in der Öffentlichkeit... 15
3.3.1
Öffentlichkeit als Kommunikationsraum ... 17
3.3.2
Analogien zum Kommunikationsraum Internet I ... 18
3.4 Öffentliche
Kommunikation:
Artikulation und Verständigung ... 20
3.4.1
Der Bruch mit der Glaubwürdigkeit ... 21
3.5 Öffentliche
Kommunikation
als
Leistung des Journalismus ... 22
3.5.1
Konzentrations- und Strukturierungsleitstung des Journalismus ... 22
3.5.2
Analogien zum Internet II ... 23
3.6
Vermittlungsleistung als ,,öffentliche Aufgabe" ... 24
3.7
Eine Frage des Vertrauens ... 26
3.8 Zwischenfazit
...
28

Inhaltsverzeichnis
IV M
EDIENKRITIK UND
J
OURNALISMUS
4
Kritik am Journalismus auf hohem Niveau ... 29
4.1
Exkurs: Kritik und Kritiker ... 30
4.2 (Medien)kritik
im und am Journalismus ­ Ein historischer Abriss ... 33
4.3
Journalismus - Kritische Instanz der Gesellschaft ... 34
4.3.1
Medienjournalismus ­ Gesellschafts- oder Medienkritik? ... 35
4.3.2 Vom
Unsichtbarwerden der Kritik ... 35
4.4
Probleme und Dimensionen der journalistischen Selbstbeobachtung ... 36
4.4.1
Fallen und Grenzen des Medienjournalismus ... 37
4.5
Kritische Impulse von ,,Gegenüber" ... 38
4.5.1
Gegenöffentlichkeit in Sorgen um die Demokratie ... 39
4.5.2
Authentische Kommunikation als Kritik der Massendemokratie ...
39
4.5.3 Rückkanal-
und
Interaktivitätstheoreme ... 39
4.6
Analogien zum Internet III ... 40
4.7 Zwischenfazit
...
42
V B
EOBACHTUNGSTEIL
5
Weblogs- Eine Szene entdeckt die Medienkritik ... 43
5.1
Hinweise zur Methode und Vorgehensweise ... 43
5.2
Weblogs- Eine Einführung ... 44
5.2.1
Verweise, Vernetzung und Kommunikation ... 44
5.2.2
,,Some of them have to be good" ... 46
5.2.3
Blitzlichter,Dokumentationen und Wissenschaft: Ein
Gemeinschaftsprojekt? ...
48
5.2.4
Verortung der Publikationsform Weblog im Kommunikationsnetz der
Öffentlichkeit ...
49
5.3
Weblogs und Journalismus: Eine Reizvolle Debatte ... 50
5.3.1
Verhältnismäßige Projektionen: Weblogs-Medienkritik-Journalismus ... 52
5.3.2
Dimensionierung der Abhängigkeiten ... 52
5.3.2.1
Weblogs im Journalismus ... 52
5.3.2.2
Journalismus in Weblogs ...
53
5.4
State of Medienblogs? - Probleme und Hilfen bei der Suche ...
54

Inhaltsverzeichnis
5.4.1
Exkurs: Listen, Rankings und Bewertungen: Überblick oder
Ausschlusskriterium? ...
56
5.5
Die Suche beginnt: Der ,,öffentliche Diskurs" über Medien und
Journalismus in Weblogs ...
57
5.5.1 Funktionale
Eingrenzung
...
57
5.5.2
Beobachtungsgrundlage ... ................................. 59
5.6
Merkmale medienkritischer Weblogs ... ................................ 61
M 1 Professionalisierungsgrad durch Kompetenz ... 61
M 2 Kontinuität medienkritischer Themen ... 62
M 3 Grad der Authentizität ... 62
M 3.1 Authentische Inhalte ... 63
M 3.2 Authentizität durch Transparenz ... 63
M 4 Diskursivität eines Weblogs ... 63
M 5 Qualität der Debatte ... 63
M 6 Öffentlichkeitswirksamkeit und Bekanntheitsfaktoren ... 64
Exkurs:
Bildblog.de - Öffentliche Aufmerksamkeit außerhalb des Internet
65
5.7
Erscheinungsformen und Beziehungsmuster I ... 68
Typ 1 Subjektive Interessentenkritik ...
68
Exkurs: Medienkritik in Sorgen um die Demokratie ...
68
5.8
Erscheinungsformen und Beziehungsmuster II ... 70
Typ 2 Externe Medienkritik ...
70
Typ 3 Öffentliche Selbstkritik,-reflexion und Transparenz ... 71
Exkurs I: Ein Weblog ,,Hinter den Nachrichten" ... 71
Exkurs II: Ein Weblog ,,Im Newsroom" ... 74
Typ 4 Öffentliche Kollegenkritik: Satire oder Störfaktoren? ... 75
Exkurs:
Ein
(medien)kritisches Weblog zwischen Abhängigkeit und
Kommentarfreiheit ...
76
Typ 5 Interne Kritik als Selbstreflexion ... 79
Exkurs: Internes Weblog einer Rundfunkanstalt ... 80
5.9 Zwischenfazit
...
82

Inhaltsverzeichnis
VI
D
ISKURSBEISPIEL
6 Medienkritik-Journalismus-Weblogs: Beispiel eines intermedialen
Streitgespräches ...
83
6.1
Das Medienquartett ... 83
6.2
Das Thema ... 84
6.3
Kritik der Medienkritik: ,,Ich hätte davon niemals erfahren, wenn es keine
Blogs gebe" ...
85
6.4 Einordnung
...
86
VII F
AZIT
7
Fazit und Einschätzung ... 88
7.1
Letzte Worte ... 91
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Gesellschaftliche Öffentlichkeit nach Weßler (2002) ... 24
Abbildung 2: Bildblog.de und der Werbespot... 65
Abbildung 3: Screenshot Das Farliblog ... 68
Abbildung 4: Bildblog, Spiegelkritik, Stefan Niggemeier, Watchblog ... 70
Abbildung 5: Screenshot Blog.tagesschau.de... 71
Abbildung 6: Kopie Im Newsroom ... 74
Abbildung 7
Screenshot Indiskretion Ehrensache ... 75
Abbildung 8
Collage Apocalypso ... 76
Abbildung 9
Internes Weblog einer Rundfunkanstalt ... 80
T
ABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1:
Wachstum der Blogosphäre ... 47
Tabelle 2:
Beobachtete Weblogs ... 60
Tabelle 3
Vorankündigung des Bildblog Werbespots ... 66
L
ITERATURVERZEICHNIS
A
NHANG

Vorwort
V
ORWORT
Schreiben gegen die Zeit. Nicht, weil der Zeitplan fehlt, sondern, weil sich das
Beobachtungsobjekt namens Weblog dieser Arbeit ständig verändert. Eben noch da und schon
wieder weg. Kein Problem, ich hab das Internet ja ausgedruckt. Gleichzeitig machen sich
meine Beobachtungsobjekte über Leute lustig, die sich das Internet ausdrucken lassen. Ach,
ich nehme diese ,,Kritik" einfach sportlich und beobachte weiter. Außerdem gibt es ja noch
die gedruckten Worte in den Werken und Wälzern über Journalismus, Öffentlichkeit und
Medienkritik. Die schreiben nicht zurück. Auf die ist Verlass. Oder etwa nicht? Was stand da
doch gleich in dem einen Buch? Journalismuskritik findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit
statt? Es fehlt seit jeher an öffentlichen Auseinandersetzungen über die Medienmacher dieser
und vergangener Tage? Aber da und dort auf diesen Weblogs wird er doch auf das Heftigste
kritisiert, der Journalismus. Und die Kritiker kommen mehr als oft aus der Branche selbst.
Ist das etwa nicht öffentlich? Gleicht meine Suche nach Medienkritik einer Auslese von
kritischen Kleinigkeiten, Einzelmeinungen und User-Kommentaren? Hab ich mich mitreißen
lassen von einem Hype?
Ungefähr so lassen sich das Tempo und die Denkrichtungen meiner Diplomarbeitsphase
beschreiben. Zwischen Begeisterung, Genervtheit, Idealismus und stellenweise Humor. Als
mir eine Professorin dann erzählte, sie müsse einen Vortrag über Weblogs halten und am
Rande erwähnte, es sei vielleicht besser, diesen erst kurz vorher zu verfassen, weil sich doch
alles so schnell verändert, fühlte ich mich irgendwie...besser? Na ja, sie ist Professorin und
wenn es selbst einer erfahrenen Wissenschaftlerin so geht, dann macht das Mut. Genau wie
mir manch anderes Wort von ihr Mut gemacht hat. Dafür möchte ich mich bedanken.
Danksagen möchte ich an dieser Stelle sehr vielen Menschen und dabei geht es mir so ähnlich
wie mit den Weblogs: Da wäre noch der eine, dort noch die andere zu nennen. Daher danke
ich einfach allen Menschen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben.
Ein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern und Anni, die sich vor und während meiner
Diplomarbeit um meine Selbstzweifel gekümmert haben. Und natürlich gilt dieser Dank
ebenso meinen Großeltern, die nun auch wissen, was Weblogs sind. Weiter danken möchte
ich Matthias, der mich in vielerlei Hinsicht unterstützt und gerettet hat, ganz besonders aus
der ,,Offline Welt", als zwei Tage vor Fristbeginn dieser Arbeit mein Internetanschluss kaputt
ging und für die Reparatur zwei Monate anberaumt wurden. Danke an Karsten, den Graf der
Grafiken und Megabytes, der mich konsequent mit guter Musik versorgt hat. Ein großes
Dankeschön geht auch an Helmut Strümpler, den Meister der Orthografie.
Und nun wünsche ich jedem Leser dieser Arbeit sowohl Spaß als auch stellenweise Geduld.
i

Abstrakt/Abstract
A
BSTRAKT
Die Diplomarbeit beschäftigt sich mit der Frage inwieweit die Publikationsform Weblog im
Internet einen Beitrag leisten kann, damit Medienkritik im Journalismus wieder an Bedeutung
gewinnt.
Ausgehend von einer theoretischen Basis, welche die diskursiven Elemente im Journalismus
herausstellt, wird Medienkritik als Kommunikationsmittel zwischen Journalisten und
Rezipienten aufgefasst. Anhand von Beobachtungen der Publikationsform Weblog werden, in
Anlehnung an die existierenden Fallen und Grenzen der Medienkritik im Journalismus,
Merkmale und Typen medienkritischer Weblogs zusammengestellt. Ausgewählte
Fallbeispiele skizzieren die Chancen und Grenzen des Einsatzes dieser Publikationsform im
Journalismus. Durch die Arbeit zieht sich der Argumentationsstrang, dass Medienkritik,
unabhängig auf welchem Niveau sie stattfindet, nur interaktiv wirksam werden kann.
Es ist festzustellen, dass sich trotz dieser neuen Publikations- und Kommunikationsform
bereits bekannte Probleme des Medienjournalismus fortsetzen, aber im Wesentlichen wird
auch erkennbar, dass die Kritikbereitschaft im Journalismus zunimmt und somit die Chance
auf einen authentischeren Journalismus steigt.
Die angestellten Beobachtungen weisen keine Repräsentativität auf, liefern jedoch eine
mögliche Basis für weitere, vor allem qualitative Analysen dieser Publikationsform in der
genannten Funktion.
A
BSTRACT
(E
NGLISH
)
This thesis discusses the question to what extent media criticism and journalism critics in the
Internet and especially through Weblogs might become more important for the professional
journalism.
The thesis is based on the theoretical assumption that media criticism enhances
communication between journalists and audience. According to the problems and sanctions of
media criticism in traditional journalism, several Weblogs watching media and journalism, are
observed in this paper. They have been carefully selected in order to classify them and to
outline in how far journalism can adopt this new format. Throughout the whole paper it is
argued that media criticism, irrespective of its level, can only be effective if it takes place
interactively and not just descriptively.
Despite the fact that well-known problems of media criticism in journalism are continuing,
this new mode of publication and communication determines the willingness to criticize
among journalists and enhances chances for a more authentic journalism.
The observations that have been done in this paper are not representative but they could
provide an informative basis for further studies, especially content analysis of Weblogs
fulfilling the function of media criticism.
ii

Einleitung
I E
INLEITUNG
1
Einleitung
,,Der Journalismus ist für die Gesellschaft viel zu wichtig, als dass man ihn den Journa-
listen allein überlassen dürfte."
Diese Worte schreibt der Kommunikationswissenschaftler Hans Wagner in der Einfüh-
rung seines Buches Journalismus mit beschränkter Haftung? Gesammelte Beiträge zur
Journalismus- und Medienkritik. Aus einer gleichsam wissenschaftlich-kritischen Posi-
tion heraus erfolgt dort eine Art Bestandsaufnahme, in welchen Formen und Formaten
sich der Journalismus in Zeitung, Hörfunk und Fernsehen mit sich selbst auseinander-
setzt. Vergleichsweise schnell wird in dieser Streitschrift deutlich, dass der Autor im
positiven Sinn für eine transparentere Auseinandersetzung über den Journalismus wirbt,
sowohl wissenschaftlich als auch berufspraktisch.
Wird die eingangs erwähnte Feststellung von Hans Wagner aus einer Perspektive des
Internet gelesen, dann bleiben die professionellen Journalisten tatsächlich nicht sich
selbst überlassen. Ambitioniert werden dort ihre Produkte kommentiert und das Me-
diengeschehen dokumentiert. Insbesondere die Publikationsform Weblog kokettiert mit
den Optionen, die professionelle journalistische Berichterstattung zu beschreiben, zu
beobachten, zu bewerten und mitunter auch zu korrigieren. Vor allem aber wird sie dort,
auf welche der genannten Arten auch immer, zur Diskussion gestellt. Vergleichsweise
schnell haben sich hinsichtlich dieser neuen Art von Unterstützung des Journalismus
sowohl bei den Berufpraktikern als auch bei Beobachtern aus den verschiedenen Me-
dienwissenschaften Positionen herausgebildet. Diese reichen je nach Kontext von eher
allgemeinen Einschätzungen, wie beispielsweise, dass durch das Phänomen Weblog die
,,Infrastruktur der Medienkritik" ergänzt werde,
1
bis hin zu prägnanteren Aussagen:
,,Ja, da entsteht etwas [...] das langfristig deutliche Auswirkungen auf die Qualität journa-
listischer Produkte hat [...]. Da werden sich künftig viele mehr Mühe geben, wenn die Ge-
fahr besteht, dass ein kritisches Publikum sich öffentlich über sie lustig macht"
2
Und auch am Rande, ganz weit hinten und zwischen unzähligen privat publizierter Mei-
nungen in einem Weblog, erfolgt ein Hauch von Zustimmung. Dort meldet sich eine
1
Fengler (2007): 23
2
Lorenz-Meyer zitiert nach Mrazek (2006): 44
1

Einleitung
bekannte Redakteurin in leitender Position selbstkritisch der eigenen Branche gegen-
über zu Wort:
,,Wir haben alle keinen festen Grund unter den Füßen. In den alten Medien nicht mehr, den
neuen noch nicht. Da klammert sich jeder an das, was ihm am nächsten ist und neigt dazu
sich abzuschotten. [...] In meiner Berufswelt kritisiere ich, dass wir Journalisten dazu nei-
gen, Öffentlichkeit als exklusives Dauergespräch zwischen Medien und Politik zu betrei-
ben."
3
Diese und ähnliche Aussagen tauchen meistens vor dem Hintergrund der Annahme auf,
dass Medienkritik im Allgemeinen und Medienjournalismus im Besonderen in vielerlei
Hinsicht defizitär sind. Auf Forderungen, die eigene Arbeit vor der Öffentlichkeit zur
Disposition zu stellen, reagieren die Praktiker seit jeher mit einer gewissen Ablehnung.
Auch gegenüber den neuen Kritikern, diesen durch Weblogs ,,plötzlich aufgetauchten
Hobbypublizisten"
4
, um die niemand gebeten hat, ist diese distanzierte Haltung beob-
achtbar.
Aber lässt sich aus Beobachtung und vor allem mit Blick auf diese einzelne Publikati-
onsform Weblog auf die Grundsätzlichkeit des Kritikproblems im Journalismus, das
umfangreich in der Literatur thematisiert worden ist, schließen? Ist der Austausch zwi-
schen Journalisten und Rezipienten im Internet ausreichend beobachtbar, um von einer
öffentlichen Medienkritik zu sprechen? Welche Möglichkeiten entstehen durch
Weblogs, kritische Diskussionen über den Journalismus voranzutreiben? Über diese und
andere Fragen wird in der vorliegenden Arbeit nachgedacht.
Wie im Titel angekündigt, soll sich auf die Suche nach neuen Formen öffentlicher Me-
dienkritik im und am Journalismus gemacht werden. Gibt es sie wirklich, oder handelt
es sich dabei eher um eine Retrospektive alter Probleme?
3
Bruns, Tissy (2007)
4
Sixtus (2005)
2

Thesen und Aufbau
1.1 Thesen
Das eingangs angedeutete Phänomen beziehungsweise die Publikationsform Weblog
soll im Kontext zum Journalismus auf ihre medien- und journalismuskritische Funktion
hin beschrieben und typologisiert werden. Der Beobachtungsteil erfolgt auf Basis einer
theoretischen Auseinandersetzung mit den Komplexen Journalismus und Medienkritik.
Unter diesen Voraussetzungen lassen sich die folgenden Thesen aufstellen:
·
Unter den Einflüssen der Publikationsform Weblog konstituiert sich eine neue
Form öffentlicher Medienkritik.
·
Die Einflüsse wirken sich auf den Journalismus dahingehend aus, dass er seine
Handlungen und Entscheidungen für das Publikum transparenter und authenti-
scher macht.
Folgende Fragestellungen dienen sowohl als Unterstützung der Thesen als auch dazu,
die Arbeit, insbesondere den Beobachtungsteil, argumentativ zu gestalten.
·
Vor welchem theoretischen Hintergrund und mit welcher Sichtweise auf den
Journalismus ist die Forderung nach einer öffentlichen Auseinandersetzung über
ihn und seine Produkte überhaupt zu stellen?
·
Warum thematisieren Journalisten ihre Arbeit kaum öffentlich, und sei es nur
um darzustellen, was Journalismus eigentlich bedeutet und welche Probleme -
außer den ökonomischen - dieses Berufsfeld mit sich bringt?
·
Mit Hilfe welcher Kriterien lassen sich erste Beobachtungen anstellen, inwieweit
Weblogs als medienkritisches Format in Erscheinung treten und im professionel-
len Journalismus zum Ziel und Zweck einer Selbstthematisierung eingesetzt
werden?
3

Thesen und Aufbau
1.2
Aufbau der Arbeit
Aus den Thesen sowie den Fragestellungen ergibt sich die Herangehensweise an die
drei Themenkomplexe Journalismus, Medienkritik und Weblogs.
Im Kapitel II dieser Arbeit wird versucht, eine Art Einblick in den ,,Ist Zustand" des
Journalismus zu geben. Zum einen geht es um die vielen durch das Internet hervorge-
brachten Veränderungen, vor allem aber die sich daraus abzeichnende Teilnahme des
Publikums an den journalistischen Arbeitsweisen. Thematisiert wird die Frage, inwie-
weit es sich dabei um eine Annäherung von Journalismus und Publikum handelt und
wie diese einzuschätzen ist.
In Kapitel III soll vor dem Hintergrund dieser Veränderungen mit Hilfe von Theorie-
modellen der öffentlichen Kommunikation eine Einordnung des Journalismus erfolgen.
Dabei wird der Frage nachgegangen, inwieweit vom Journalismus gefordert werden
kann, dass er öffentliche Kommunikation als Verständigung zwischen sich und dem
Publikum nutzt.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der funktionalen Eingrenzung des Journalismus
und der Frage nach den Leistungen, die er für die Gesellschaft erbringt. Diese Herange-
hensweise dient dem Ziel, herauszuarbeiten, warum der Journalismus im Prinzip seine
Arbeitsweisen öffentlich thematisieren muss.
Die realen Grenzen dieses Prinzips werden in Kapitel IV über den Komplex Medienkri-
tik im Verhältnis zum Journalismus erörtert. Dabei geht es um Perspektiven aus der
Wissenschaft, die gleichsam theoretische Forderungen an den Journalismus stellen. Die
Entwicklungslinie des Medienjournalismus zeigt punktuell die realen Probleme einer
öffentlichen Kommunikation über den Journalismus.
Im Beobachtungsteil dieser Arbeit (Kapitel V) werden traditionelle Sichtweisen mit
neuen verbunden. Die Publikationsform Weblog wird dort zunächst beschrieben und
mit dem Journalismus in einen Kontext gesetzt. Darüber hinaus werden anhand inhaltli-
cher und formaler Kriterien ausgewählte Weblogs auf ihre journalismus- und medien-
kritische Funktion hin typisiert. Anhand von Fallbeispielen sollen die Chancen und
Grenzen der Einsetzbarkeit von Weblogs als medienkritisches Format im und für den
Journalismus herausgearbeitet werden.
4

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
II J
OURNALISMUS
­E
INE AKTUELLE
B
ESCHREIBUNG
2
Journalismus und Wandel: Zwischen Trends, Thesen und Theo-
rie
Was Journalismus ist, was seine Aufträge in und für die Gesellschaft anbelangt, darüber
gibt es viele Antworten, aber sie sind weder eindeutig noch allgemeingültig begrifflich
fixiert. Die Frage What are Journalists for? hat augenscheinlich genug Potenzial, um
sogar als Buchtitel zu fungieren.
5
Als Grund dafür, warum es zunächst gar nicht möglich ist, den Journalismusbegriff wis-
senschaftlich allumfassend zu fixieren, soll in dieser Arbeit angenommen werden, was
vielleicht auf den ersten Blick als einfallslos oder gar trivial bewertet werden kann: ,,daß
und wozu der Journalismus gebraucht wird, der mit der Modernisierung entstanden ist,
muß sich aus der Beschaffenheit, den Strukturmerkmalen der modernen Gesellschaft
herleiten lassen."
6
Diese Sichtweise verdeutlicht eines der wohl wichtigsten Kennzei-
chen des Journalismus. Er ist kein statisches Konstrukt, sondern geprägt von und durch
Veränderungsprozessen und kann sich diesen nicht entziehen.
"
7
Gleichermaßen ist aber
auch anzunehmen, dass es sich bei allen Betrachtungsweisen, die sich mit Veränderun-
gen im Journalismus befassen, nicht um das Wesen des Journalismus selbst handelt,
sondern darum, dass der gleiche Journalismus sein Outfit wechselt. ,,Ein neuer Journa-
lismus jedoch stieg im Lauf der Jahrhunderte so wenig empor, wie er heute auftaucht."
8
Trotz der langen Geschichte, die der Journalismus schreibt, hat
,,sich weder bei den Journalisten selbst noch in der sie umgebenden Gesellschaft ein klares
Bewußtsein [sic!] davon herausgebildet hat, warum und wofür dieser Beruf eigentlich ge-
braucht wird, welche Aufgabe er für die Gesellschaft, aber auch für das Individuum zu er-
füllen hat."
9
Mit Blick auf das Medium Internet hat sich diese Einschätzung verfestigt. Wo es an-
fänglich um die Fixierung und Beschreibung dessen ging, was Online-Journalismus in
Analogie zum traditionellen Journalismus ist, dazu sind mittlerweile etliche sogenannter
Journalismen hinzugekommen. Eine mögliche Begründung für die variantenreiche Be-
schreibung des Journalismus ist, dass die Begrifflichkeiten Form und Funktion so stark
5
Rosen (1999)
6
Pöttker (2001): 21
7
Wagner (2003): 11
8
Ebd.: 22
9
Pöttker (2001): 20
5

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
miteinander verwoben sind. Online Redakteure, Content Manager, Mediatoren und Mo-
deratoren sind nur ein paar der Labels, um den professionellen Journalismus über seine
,,neuen" Tätigkeiten begrifflich zu fassen. Gleichsam präsent ist aber auch die Feststel-
lung, dass sich die Beschreibungen nicht per se mit den traditionellen, journalistischen
Tätigkeiten zusammenbringen lassen.
10
Das Internet selbst hat aber mittlerweile auch eine Reihe von Entwicklungsstufen durch-
laufen und seine Nutzbarkeit hat sich sowohl für das Berufsfeld des Journalismus als
auch für die Gesellschaft erweitert. Diese Entwicklung hat demgemäß zu Fragen ge-
führt, inwieweit Journalismus gegenüber neuen Formen aufgeschlossen oder in Teilen
mit ihnen konvergent ist.
11
2.1
Die neue Internetnutzbarkeit
Eine Weiterentwicklung des Internet lässt sich dahingehend ausmachen, als dass Tech-
nologien hinzugekommen und ausgestaltet worden sind, die es im Vergleich zu seinen
Anfangsphasen interaktiver erscheinen lassen. Ein Merkmal dieser Veränderung ist der
Gedanke, dass sich durch eine gemeinschaftliche Nutzung ein Mehrwert in der Gestal-
tung der Inhalte ergibt. Bekannte Anwendungen, bei denen es um aktive Beteiligung der
Nutzer geht, sind genannte Social-Networking-Sites. Dazu zählen Videocommunities
(z.B. You-Tube, My Video, Clipfish), Foto-Communities (z.B. Flickr, Photobucket) und
Plattformen für private und berufliche Kontaktpflege (z.B. Studi-VZ, XING). Die in Ka-
pitel V dieser Arbeit zu untersuchende Online-Publikation Weblog vereint und bündelt
eine Reihe von Online-Kommunikationstechniken. Jedes Weblog kann demgemäß auch
als organisierte Kommunikationsplattform bezeichnet werden, die für bestimmte Ab-
sichten, Ziele und Zwecke betrieben und eingesetzt wird.
12
Durch die genannten Anwendungen und deren technische Basis wird das Internet zu
einer Kommunikationsplattform und zu einem Raum der Datenverwaltung. Zurückda-
tieren lässt sich zumindest die öffentliche Thematisierung dieser Entwicklung in das
Jahr 2005, als der Begriff Web 2.0 aufgetaucht ist. Der Begriff selbst ist vergleichsweise
schnell zu einem Trendwort avanciert, wenn sich auch dahinter gerade aus software-
technischer und kommunikationssoziologischer Hinsicht eine ganze Menge mehr ver-
birgt.
13
10
Quandt (2003): 269 sowie Neuberger (2004a): 103
11
Vgl. Loosen (2007): 63 f; Neuberger (2004a): 99
12
Vgl. Zerfaß/Boelter (2005): 22: Anmerkung d. A: Eine ausführliche Beschreibung der Online-
Publikation Weblog, deren Techniken und Bedeutung findet sich auf den Seiten 46-52.
13
Vgl. O`Reilly (2005)
6

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
Im Zusammenhang mit dem Thema Journalismus hat sich jedoch eine Formel und
Sichtweise durchgesetzt: Im ,,Mitmach-Web" oder gar in der ,,Zukunft 2.0" werden The
people formerly known as the audience aktiv.
14
Sei es, indem sie selber Inhalte produ-
zieren oder scheinbar aktiv aus dem großen Angebot auswählen, was mit dem Terminus
,,user generated content" umschrieben wird.
2.2
Der Medienhype um das Mitmach-Web
Dass ,,Laien nicht mehr nur Rezipienten, sondern in wachsender Zahl auch Kommuni-
katoren"
15
werden, hat medial für Furore gesorgt. Als die Bildzeitung im Juli 2006 die
bekannte 1414 Initiative startetet und damit den Begriff Leser-Reporter auf die Agenda
setzt, wird über dieses Phänomen kritisch und zum Teil auch polemisch berichtet.
Schließlich verschmilzt die anfängliche Diskussion über Handyfotos und Voyeurismus
zu einem Hype um das komplexe Web 2.0-Geflecht: ,,Handy-zückende ,Leser-
Reporter'"
16
heißt es bei Telepolis. ,,Der Konsument als Produzent - Einflüsse der neuen
Medientechniken auf den Journalismus"
17
titelt die Neue Zürcher Zeitung. ,,Jeder Bür-
ger ein Reporter"
18
resümiert Die Welt.
Im Juni 2006 startet die Netzzeitung die Readers Edition, die eine ,,völlig neue Art von
Journalismus möglich macht."
19
Das Projekt zielt darauf ab, Bürgern die Möglichkeit zu
geben, eigene Geschichten zu veröffentlichen. Die Texte und Bilder werden von den
Mitarbeitern der Netzzeitung überprüft und in letzter Instanz entscheiden diese dann
über die Veröffentlichung. Dabei gelten hinsichtlich der Veröffentlichung journalisti-
sche Grundsätze, wie sie beispielsweise im Pressekodex stehen. Darüber hinaus gibt es
auch ein Reporterhandbuch für Bürgerjournalisten, das unter anderem Anleitungen über
das journalistische Verfassen von Texten und die Verwendung und Bearbeitung von
Fotos beinhaltet. Das Handbuch funktioniert wie ein Wiki
20
und hat darüber hinaus
auch eine gewisse Organisations- und Netzwerkfunktion (z.B. Einladungen zu Stammti-
schen).
Auf die Einführung der Readers Edition sowie andere Projekte ertönt ein Echo in den
Online Ausgaben der Qualitätspresse. Die Frankfurter Rundschau fordert ,,Bürger, wer-
14
Rosen (2006)
15
Neuberger et al. (2007b): 96
16
Bieber (2006)
17
Hitz (2006)
18
Prinzing (2006)
19
http://www.readers-edition.de/das-projekt/
<08.07.07>
20
Anmerkung d. A.: Als Wiki kann eine Seite beziehungsweise eine Ansammlung von Seiten bezeichnet
werden, deren Inhalte von den Benutzern sowohl gelesen als auch geändert werden können.
7

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
det Journalisten!"
21
,,Werden wir jetzt alle Paparazzi?"
22
rätselt die Frankfurter Allge-
meine Zeitung, und die Süddeutsche Zeitung hinterfragt schließlich die Weblog-Szene
und bezeichnet sie als ,,Ritter der Schwafelrunde"
23
. Auch in den ausländischen Online
Ausgaben, beispielsweise bei Guardian, wird das journalistische Potenzial der Bürger
diskutiert. Dort finden sich Überschriften wie ,,BBC pays viewers` for pictures"
24
,,Reuters to evolve with citizen journalists`"
25
oder ,,AP to embrace citizen
journalism."
26
Schließlich taucht bei Spiegel Online innerhalb kürzester Zeit hinsicht-
lich der Web 2.0-Potenziale Verwirrung auf. Dem Artikel ,,Web 2.0: Alle gucken zu,
kaum einer macht mit"
27
zufolge scheint der Hype um das Mitmach-Internet abzuebben.
Doch bereits zwei Wochen später bezieht sich das Online-Magazin auf eine neue Studie
und titelt: ,,Web 2.0: Immer mehr machen mit."
28
Wenn auch die Tendenzen des Medienhypes hier sehr verkürzt und überspitzt darge-
stellt sind, so lassen sich damit die Dynamik und der Diskussionsbedarf hinsichtlich der
erwähnten Nutzerbeteiligung zeigen.
2.3
Traditionelle Funktionen im neuen Outfit
Aus dem bis hier dargestellten Abriss über den ,,Ist-Zustand" des Journalismus lässt sich
feststellen, dass die Frage nach Grenzen und Öffnungen des Journalismus sogartig mit
dem Erscheinen einiger dieser Formate einhergeht. Festzuhalten ist, dass die Einbin-
dung der Publikumsaktivität und die traditionelle Vorstellung des Journalismus nicht so
recht zusammenpassen. Dennoch wird im Journalismus, wie er im Internet auftritt, hin-
sichtlich der Verwendungsmöglichkeiten vieles ausprobiert, um die Publikumsaktivität
zu kompensieren.
2.3.1 ,,Nachrichten machen" - Neue Form einer traditionellen Funktion
Ein Beispiel ist in diesem Kontext die Integration so genannter kollaborativer Nachrich-
tenprojekte. Hinsichtlich der Beschreibung, wie Nachrichten journalistisch produziert
werden, haben sich in der Journalismusforschung vor allem Maßstäbe wie Aktualität,
Relevanz und Glaubwürdigkeit durchgesetzt. Die Qualitätsforschung widmet sich der
21
Siehe: Porrmann (2007)
22
Siehe: Sunderrmeyer (2006)
23
Siehe: Rühle (2006):
24
Siehe: Conlan (2006)
25
Siehe: Brook (2006)
26
Siehe: Kiss (2007)
27
Siehe: Kremp/Reuters (2007a)
28
Siehe: Kremp (2007b)
8

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
Frage wie, mit Blick auf das Publikum, durch die Rezeption der Nachrichteninformation
Wissen generiert werden kann. Dadurch sind Faktoren wie Originalität, Nutzwert, Per-
spektivenvielfalt und Anschaulichkeit hinzugekommen.
29
Auf der Ebene der kollabora-
tiven Nachrichtenproduktion wiederum zeigen sich nun noch andere Bewertungsoptio-
nen. Dort geht vieles nach dem Prinzip des direkten Feedbacks, der Prominenz des Au-
tors, die sich über das jeweilige Nutzerprofil ermitteln lässt, sowie der Vergabe von
Punkten, die direkt unter oder über dem Text stehen und diesen als ,,lesenswert" dekla-
rieren.
Wie der Journalismus dieses Phänomen einbindet, lässt sich an der
News-Community
tausendreporter.de (ehemals: shortnews.de) der Online Ausgabe des Magazins Stern
nachvollziehen. Dort kann ,,jeder Internetsurfer zum Nachrichtenredakteur"
30
werden.
Ebenso motivieren auch andere Online-Ausgaben traditioneller Zeitungen und Magazi-
ne ihre Leser zum ,,Mitmachen". Bei focus.de wird dieses wie folgt dargestellt:
,,Zu unseren Beiträgen verfassen Sie mithilfe unserer neuen Kommentarfunktion täglich
Tausende Beiträge ­ ein beständiger Ansporn für unsere Redaktion und ein deutliches Zei-
chen dafür, dass all das Aufhebens ums neue ,Mitmach-Web' oder ,Web 2.0' kein leeres
Gerede ist."
31
Allerdings ist die Diskussion darüber, ob gerade solche in das Angebot etablierter Onli-
ne-Medien integrierte Communities eine Gefahr für den Journalismus, insbesondere den
Nachrichten- oder Fotojournalismus darstellen, nicht wirklich diskutabel. Vergessen
wird in diesem Zusammenhang oftmals, dass der Journalismus gerade bei solchen An-
geboten durch seine professionellen Maßstäbe eine Art Regulativ darstellt. Sei es auch
nur, indem durch die Redaktion festgelegt wird, auf welche Weise Fotos oder Texte
eingereicht werden sollen. Bei tausendreporter.de beispielsweise wird den Nutzern für
das Verfassen eines Nachrichtentextes der Hinweis auf die Beantwortung so genannter
W-Fragen gegeben: Worum geht es? (Inhalt). Was ist das Besondere? (Neuigkeitswert).
Weshalb lohnt es sich für andere User, die Nachricht zu lesen? (Nutzwert).
Bei genauerem Hinsehen, beispielsweise bei dieser von Stern.de initiierten und integ-
rierten News-Community fällt auf, dass es letztendlich primär um das Sammeln und
Zusammentragen von Nachrichten geht, die die Nutzer im Internet finden. An der Hie-
rarchie der Schritte, wie in dieser Community Nachrichten eingereicht werden können,
wird deutlich, dass die Eigenleistung der Nutzer, also die suggerierte Reportertätigkeit,
29
Vgl. Hagen (1995) 17 ff.
30
Stern Nr.27 am 28.06.2007, S. 66
31
Wegner (2007)
9

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
sehr gering ist. Die Nachricht mit 150 Zeichen in eigenen Worten zu formulieren, ist
,,kein Pflichtfeld". Vielmehr sollen die Teilnehmer die Internetadresse kopieren (Ver-
linken) und systematisieren (Verschlagworten). Was also als aktive Teilnahme darge-
stellt wird, dient, das wird zumindest angenommen, ,,als Mittel der Kostenreduzie-
rung"
32
bei Arbeiten, ,,für die die professionellen Journalisten immer weniger Zeit ha-
ben"
33
und sich deswegen ,,Hobbyschreiber zum Nulltarif"
34
als Unterstützung heran-
ziehen.
Ob es sich dabei tatsächlich um eine Leistungserschleichung der Journalisten handelt,
oder ob sie versuchen, ihre professionellen Standards zu vermitteln, bleibt an dieser
Stelle eine offene Frage.
2.4
Journalismus und Publikum: Integration oder Distanz?
Vor allem der geschilderte Aspekt einer steigenden Publikumsaktivität, die im Kontext
eines journalistischen Online-Angebots auftritt, eröffnet die Frage danach, welche Vor-
stellungen eben dieses Medienpublikum vom Journalismus eigentlich hat.
Auf theoretischer Basis wurde diesbezüglich ein ,,Media Ecosystem" modelliert, das
eine Art symbiotische Beziehung zwischen den Arbeitsweisen des traditionellen Journa-
lismus und den bereits erwähnten Techniken privat publizierender Internetnutzer ver-
muten lässt.
35
Aber auch bei dieser positiv anmutenden Idee wird hinsichtlich ihrer Um-
setzung das größte Hindernis bei den Journalisten, die bei dieser Idee der Dreh- und
Angelpunkt sind, vermutet.
,,With great trepidation and reluctance, mainstream media are beginning to learn how to
evolve their business from an authoritarian ,top down' approach to integrate and report on
user-generated news, as well as establish ways to collaborate meaningfully with their
audience. However, they still have trouble letting go of control."
36
Die Frage, wie das Publikum den Journalismus sieht und einschätzt, hat bisher in der
Journalistik nicht sehr große Beachtung gefunden.
37
In den meisten Fällen wird darauf
hingewiesen, dass die Beantwortung solcher Fragen in den Bereich der Medienwir-
kungsforschung fällt.
38
Demgemäß wird traditionell das Publikumsbild aus Sicht der
Journalisten erfasst. In einer Studie über das Berufsfeld der Journalisten in Deutschland
32
Neuberger (2007c): 42
33
Ebd.: 42
34
Sittinger (2005): 113
35
Siehe Anhang: A1
36
Bowman/Willis (2005): 7
37
Vgl. Neuberger (2004 a): 16
38
Vgl. Weischenberg et al. (2006 a): 100
10

Journalismus - Eine aktuelle Beschreibung
aus dem Jahr 2005 ziehen die Autoren mit Rückblick auf eine Studie aus dem Jahr 1993
folgenden Schluss: ,,Obwohl die Journalisten in Deutschland insgesamt recht intensiv
über ihr Publikum informiert zu sein scheinen, weisen sie ihm nur selten Einfluss auf
ihre Arbeit zu."
39
Aus verschiedenen Gründen,
,,scheint die Distanz der Journalisten gegenüber ihrem Publikum in den vergangenen zwölf
Jahren größer geworden zu sein [...] obwohl sie zumeist aus verschiedenen Quellen über
ihre Rezipienten informiert sind und auch viele von ihnen Feedback erhalten auf das was
sie schreiben oder produzieren."
40
Die eingangs beschriebnen Potenziale des Internet hinsichtlich der Nutzeraktivität und
Laienkommunikation, die Züge journalistischer Arbeitsweisen in sich tragen, sind in
dieser Studie nicht abgefragt worden. Die Ergebnisse wurden jedoch durch einen Be-
richt ergänzt. Dort findet sich auf der letzten Seite die Aussage, dass sich der Journalis-
mus in Zukunft und in der modernen Demokratie nur dann gesellschaftlich legitimieren
kann, wenn ,,die Beziehung zwischen den Medien und ihrem Publikum nicht nur als
geschäftlicher Deal betrachtet wird, sondern auch als öffentlich geführter Diskurs."
41
39
Weischenberg et al. (2006 a): 164
40
Ebd.: 164 f.
41
Ebd.: 205
11

Theoretischer Bezugsrahmen
III Theoretischer
Bezugsrahmen
3
Der Diskurs über den Journalismus
Bei dem rasanten Tempo, in dem neue Publikationstechniken und ­formen im Internet
auftauchen, erscheint es daher sinnvoll, sich zunächst einer Analyse des Journalismus
zuzuwenden und ihn theoretisch in einer Form und Funktion zu erfassen, die diese Ein-
flüsse tatsächlich als Wechselspiel auffasst. Wie muss der Journalismus beschrieben
werden, damit sich eine solche lebhafte Diskurskultur mit seiner hierarchisch segmen-
tierten Arbeitsweise zusammenbringen lässt?
Die in dieser Arbeit zu diskutierenden Thesen basieren auf der Vermutung, dass es in
erster Linie ein Problem bisher nicht ausgeschöpfter Potenziale eines öffentlichen Dis-
kurses über den Journalismus, seiner Produkte und seiner Arbeitsweise ist. Dass aber
ein solcher Diskurs theoretisch möglich ist, soll im folgenden Teil mit Hilfe dieser Fra-
gestellungen erörtert werden:
Welche Elemente des klassischen Journalismus sind für die Gesellschaft substantiell
und unveränderbar beziehungsweise -wandelbar?
Welche Leistungen des Journalismus lassen sich trotz der Mannigfaltigkeit an theoreti-
schen und wissenschaftlichen Perspektiven, trotz Kommerzialisierung und Technisie-
rung, trotz der Erweiterung des Arbeitsumfeldes im Online-Bereich als gemeinsamer
Nenner für alle Formen und Ausprägungen des Journalismus finden?
Wo zeigen sich hinsichtlich einer öffentlichen Auseinandersetzung über den Journalis-
mus Grenzen?
3.1
Offene Theorien für einen Journalismus im Wandel
Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass es gerade unter dem Aspekt
des Wandels ein schwieriges Unterfangen ist, ein passendes theoretisches Konzept zu
(er)finden. Ein Konzept, das den Journalismus identifizierbar macht und trotz der sich
abzeichnenden Veränderungen seines Erscheindungsbildes nicht ihn an sich, sondern
allenfalls Teile seines Handelns in Frage stellt.
12

Theoretischer Bezugsrahmen
Mit Blick auf die in Kapitel IV thematisierte Journalismus- und Medienkritik soll im
Folgenden der Journalismus zunächst mit Hilfe eines vereinfachten ,,Modells" der öf-
fentlichen Kommunikation
42
verortet werden.
Dabei werden Öffentlichkeit zum Referenzkriterium für den Journalismus und öffentli-
che Kommunikation als Produkt seiner Leistung betrachtet. Diese Auswahl wurde be-
wusst getroffen, wenn sie auch vor dem Hintergrund der Brisanz und Aktualität des
Themas dieser Arbeit zunächst etwas schwerfällig erscheinen mag. Vor dem Hinter-
grund der in Kapitel II beschrieben Dynamik im Journalismus halten es andere Autoren
beispielsweise für sinnvoller, ihn vor dem Hintergrund einer Theorie der Evolution öf-
fentlicher Kommunikation zu analysieren. In der Kommunikationswissenschaft werden
diesbezüglich erste Versuche der Theoriebildung angestellt.
43
Es wird aber auch darauf
hingewiesen, dass für die Beobachtung eines neuen Phänomens nicht umstandslos eine
neue Theorie entwickelt werden müsse.
44
3.1.1 Handlungstheoretische
Sichtweisen und der Sinn des Journalismus
Die Überlegungen von Gerhards/Neidhardt und Imhof sowie Konzepte, die Journalis-
mus ,,als kommunikatives Handeln"
45
oder ,,diskursives Unternehmen"
46
beschreiben,
bieten ein breites Spektrum an Möglichkeiten, Journalismus auf mehreren Ebenen (z.B.
Handlung, Strukturen, Normenkontext) zu betrachten. Ebenso verhält es sich mit dem
Konzept des ,,Public Journalism"
47
, also einem ,,bürgerorientierten Journalismus", so-
wie die dazu sehr ähnliche Vorstellung eines ,,partizipatorischen Journalismus"
48
.
Auf diese Weise lässt sich eine theoretische Basis finden, die den Journalismus über
seine Leistungen beschreibt, gleichzeitig aber auch sichtbar macht, welche Leistung er
nicht oder nur sehr sporadisch erbringt. Ebenso lassen sich damit auch Rückschlüsse auf
sein Handeln ziehen.
In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Handlungssituationen nicht rein
empirisch nach dem Prinzip ,,hier Selbstverständnis ­ dort das entsprechenden Tun"
49
betrachtet und interpretiert werden können. Handlungen finden in einem sozialen Kon-
text (z.B. Redaktion) aber auch und im Besonderen vor einem Sinnhorizont statt.
42
Vgl. Gerhards /Neidhardt 1991; Weßler (2002): 32
43
Vgl. Löffelholz/Schlüter (2003); Schmidt (2003); Bucher (2004): 263 ff.
44
Vgl. Quandt (2003): 273
45
Vgl. Bucher (2004): 263-285
46
Vgl. Burkart (1998): 171
47
Vgl. Lambeth/Meyer/Thorson (1998); Rosen (1999);
48
Vgl. Fabris (2004): 393 ff., Forster (2006): 175 ff.;
49
Teichert (1997): 72
13

Theoretischer Bezugsrahmen
Wie dieser Sinnhorizont zu verstehen ist, hängt wiederum von der theoretischen Be-
trachtungsweise des Journalismus ab. Gibt es einen spezifischen Sinn für den Journa-
lismus? Wer oder was schreibt ihm einen Sinn zu? Lässt sich dieser Sinn entschlüsseln?
Systemtheoretisch dient der Sinnhorizont des Journalismus als Unterscheidungsprinzip
und als Abgrenzungsmerkmal. An dieser Stelle sei darauf verweisen, dass sich gerade
die Dimension des Sinns für den Journalismus aber nicht eindeutig festlegen lässt.
50
Dafür muss der Journalismus zwar als eigenständiges System, aber innerhalb eines an-
deren (z.B. Gesellschaft oder Öffentlichkeit) verortet werden. Mit einer solchen Hilfs-
konstruktion lässt sich danach fragen, welchen Sinn Journalismus für die Gesellschaft
macht.
51
Im Kontext dieser Arbeit ist eine Bestimmung der Sinndimensionen des Journalismus
primär deswegen wichtig, weil er auf diese Weise zum einen funktional eingegrenzt
werden kann. Gelingt dieses, dann kann danach gefragt werden, welche Ansprüche an
ihn geltend gemacht werden können. Journalismus wird somit nicht ausschließlich als
ein an Medienunternehmen gebundenes, ökonomisch operierendes System betrachtet,
das sich mit seinen Produkten an ein Massenpublikum richtet, dessen Mitglieder sich
nur ausnahmsweise öffentlich zu Wort melden."
52
Vielmehr muss er umgekehrt als ein
Unternehmen modelliert werden, das sich mit eben diesen Wortmeldungen aufgrund
seiner gesellschaftlichen Position (Rolle) auseinandersetzt. Auf diese Weise lässt sich
der Einfluss eines neuen Phänomens wie beispielsweise Weblogs auf den traditionellen
Journalismus beobachten.
3.2 Journalismus im Kommunikationsnetz der Öffentlichkeit
In einem ersten Schritt soll benannt werden, wo sich Journalismus als Bestandteil der
Gesellschaft positionieren lässt. Anschließend wird aufgrund dessen, dass sich die Ge-
sellschaft und sämtliche Beziehungen sinnbildlich als ein Kommunikationsnetz be-
schreiben lassen, nach den journalistischen Leistungen gefragt.
Drittens wird versucht, die Interaktionen oder kommunikativen Wechselbeziehungen
zwischen Journalisten und Publikum und im übertragenen Sinne Journalisten und Web-
loggern zu ermitteln. Diese kommunikativen Wechselbeziehungen sind im Internet am
ehesten in Form von Nutzer-Kommentaren
beobachtbar.
50
Vgl. Kohring (2004): 191
51
Vgl. Gerhards/ Neidhardt (1991): 47 ff.
52
Neuberger (2003): 132
14

Theoretischer Bezugsrahmen
Eben diese Wechselbeziehungen, das wird im Verlauf dieser Arbeit zu sehen sein, bil-
den die Basis aller journalismus- und medienkritischen Äußerungen. ,,Medienkritik er-
fordert Reflexivität zwischen Beobachtern und Beobachteten, und das heißt, sie ist nur
interaktiv und nicht rein deskriptiv möglich."
53
Im Folgenden gilt es zunächst die Begriffe Öffentlichkeit und öffentliche Kommunikati-
on festzulegen.
3.3 Kommunikationsaustausch in der Öffentlichkeit
Wenn Öffentlichkeit als Referenzkriterium für den Journalismus angenommen wird und
öffentliche Kommunikation als sein Tätigkeitsfeld, so ist eine zu detaillierte Herleitung
des Begriffs Öffentlichkeit für das Thema dieser Arbeit nicht zwingend notwendig und
würde darüber hinaus auch den Rahmen sprengen.
Es kann festgehalten werden, dass die wohl einschlägigsten Beobachtungen hinsichtlich
der Frage, was Öffentlichkeit ist, wie sie sich entwickelt hat und vor allem, welche Rol-
le Medien und Journalismus darin spielen, von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann
angestellt worden sind.
Beide zum Teil als gegensätzlich zu betrachteten Positionen liefern wertvolle Denkan-
stöße für Sichtweisen auf den Journalismus und welche Rolle er in Bezug auf Öffent-
lichkeit spielt. Wenn auch die folgende Überlegungen sehr verkürzt und vielleicht auch
oberflächlich sein mögen, so müssen sich nach Habermas' Vorstellungen von Öffent-
lichkeit die darin mit- oder gegeneinander kommunizierenden Akteure (z.B. Politiker,
Journalisten, Bürger etc.) verständigen können. Dazu sei es notwendig, dass sie zum
einen das Bestreben haben, miteinander in einen Diskurs zu treten. Zum anderen muss
dieser Diskurs als gemeinsame Basis oder gemeinsamer Sinn eine ,,implizit immer
schon geteilte immanente Vernünftigkeit"
54
haben und auf veständigungsorientiertes
Handeln angelegt sein.
55
An den Vorstellungen einer funktionierenden Öffentlichkeit
hält der Autor auch aktuell fest. In einem Essay in der Süddeutschen Zeitung kritisiert er
im Jahr 2007 die zu starke ökonomische Ausrichtung der Medien. Habermas bemängelt,
dass es offensichtlich keine Instanz außer der Ökonomie gibt, die als Maßstab für quali-
tativ hochwertigen und informativen Journalismus steht. Dem Staat kann aus histori-
scher Sicht die Aufgabe der Qualitätskontrolle des Journalismus nicht zugeschrieben
werden, weil sich daraus die Problematik der Zensur als Gefährdung der Pressefreiheit
53
Schmidt (2005): 23
54
Habermas (1981a): 188
55
Ebd.: 188
15

Theoretischer Bezugsrahmen
ergibt. Im Prinzip muss der Journalismus selbst im Stande sein, die Qualität seiner Ar-
beit zu reflektieren.
Ein weiteres Korrektiv des Journalismus vermutet er ein Jahr zuvor im Internet, gleich-
sam neben der Warnung vor einer weiteren Fragmentierung oder Zersplitterung der Öf-
fentlichkeit in Teilöffentlichkeiten. In einer Fußnote seines Vortrags notiert er, dass das
Publikum und die Publikationsform Weblog die kritische Auseinandersetzung unter
anderem über den Journalismus vorantreiben können.
,,The Internet has certainly reactivated the grass-roots of an egalitarian public of writers and
readers. [...]. A nice indicator for the critical function [...] of online communication is the
bill for 2088.00 which the anchor of Bildblog.de [Herv.i.O] recently sent to the director of
Bild.T-Online [Herv.i.O] for `services': the bloggers claimed they improved the work of the
editorial staff of the Bildzeitung with useful criticisms and corrections."
56
Habermas' Vorstellungen von Öffentlichkeit als mögliche Kontrollgröße der Medien
werden andernorts explizit als eine rein ideelle Bezugsgröße bezeichnet.
57
Im Vergleich dazu sind Luhmans Gedanken zum Thema Öffentlichkeit eher pragma-
tisch. Er sieht beispielsweise die Funktion von Öffentlichkeit dahingehend, dass sich die
Gesellschaft darin selbst beobachtet wie in einem Spiegel. Allerdings, weil es sich ja
sinnbildlich gesprochen um einen Spiegel handelt, ist ,,kein Durchblick auf das, was
dahintersteckt, möglich [...]."
58
Luhmanns Konzept folgend, ist das auch nicht zwin-
gend notwendig, weil die einzelnen Systeme in der Gesellschaft (z.B. Wirtschaft, Wis-
senschaft etc.) aufgrund der Gewohnheit, der Erfahrung und des Vorwissen im Stande
sind, sich selbst und auch andere zu kontrollieren. Bezug nehmend auf das Verhältnis
zwischen Politik und Bürgern wisse man,
,,[...] auf beiden Seiten des für beide Seiten Undurchsichtigen Spiegels, daß es sich um In-
szenierung handelt. Die Unsicherheit wird gewissermaßen dadurch kompensiert, daß man
sie einrechnet."
59
Ähnliches, wenn auch Luhmann in diesem Zusammenhag von Massenmedien spricht,
kann auch auf den Journalismus übertragen werden. Er geht davon aus, ,,wenn man Zei-
tung liest, weiß man, dass man Zeitung liest, und man weiß auch, dass für die Zeitung
geschrieben und redigiert wird."
60
Aber weiß das Publikum wirklich, ,,dass viele Me-
56
Habermas (2006): 9, Fußnote 14
Anmerkung d. A.: Das in Habermas' Manuskript erwähnte Rechnungsschreiben von Bildblog liegt dieser
Arbeit bei. Siehe Anhang: A2
57
Gerhards (1997): 8
58
Luhmann (1992): 81
59
Ebd.: 85
60
Luhmann (1992): 85
16

Theoretischer Bezugsrahmen
dienangebote heute Inszenierungscharakter besitzen"
61
, oder, dass es sich dabei um
,,Konstruktionen, die mehr mit den Gesetzen der eigenen Produktion korrespondieren
als mit den dargestellten Ereignissen"
62
handelt?
Beide Sichtweise von Öffentlichkeit und welche Aufgabe Medien und Journalismus
darin haben, eröffnen spannende Diskussionen. Jedoch wird mit einer systemtheoreti-
schen Betrachtungsweise von Öffentlichkeit, wie Luhmann sie vertritt, eine ganz ent-
scheidende Komponente nicht ermittelbar. Es kann nicht danach gefragt werden, wie
sich in der Öffentlichkeit ein kommunikativer Austausch über den Journalismus voll-
zieht. Somit lässt sich mit diesem Theoriekonzept auch nicht die Frage danach stellen,
inwieweit der Journalismus auf Interaktion mit anderen Akteuren in der Öffentlichkeit
angelegt ist. Dagegen ist dieser kommunikative Austausch, also der Diskurs, in dem
deliberativen Vorstellungen von Öffentlichkeit, wie Habermas sie vertritt, die Basis
einer intakten Öffentlichkeit. Jedoch bleibt auch bei Habermas das, wie sich diese Inter-
aktion vollzieht, aufgrund der normativen Anforderungen idealisiert.
3.3.1
Öffentlichkeit als Kommunikationsraum
Der Journalismus agiert traditionell eher vor der anonymen Bezugsgröße Massenpubli-
kum. Daher bedarf es zur Bearbeitung der Fragen, wie diskursiv der Journalismus über-
haupt angelegt sein kann, einer weniger ,,vorbelasteten" Beschreibung von Öffentlich-
keit. Für die Verortung und funktionale Eingrenzung des Journalismus wird davon aus-
gegangen, dass Öffentlichkeit ein Kommunikationssystem ist,
[...] das prinzipiell für alle Mitglieder einer Gesellschaft offen und auf Laienorientierung
festgelegt ist. Diese Merkmale von Öffentlichkeit haben Effekte auf die Informationsbear-
beitungsprozesse des Systems. Daß es sich um ein offenes Laiensystem handelt, daß also
das Material von Öffentlichkeit allgemein verständliche Kommunikation ist, sichert die
Publikumsnähe des Systems. Jeder kann potentiell teilnehmen und möglicherweise alles
verstehen. Die Offenheit des Systems stellt besondere Ansprüche an die Informationsverar-
beitung innerhalb des Systems und die Informationsverwendung.
63
In diesem Sinn bedeutet Öffentlichkeit zunächst nicht mehr als das Fehlen von Zu-
gangsbeschränkungen für die gesellschaftliche Kommunikation.
64
Doch so reizvoll die-
se prinzipielle Offenheit auch ist, mit ihr geht eine entscheidende Problematik einher,
die sich anschaulich mit dem folgenden Zitat erschließt:
61
Weischenberg et al. (2006a): 25
62
Ebd.: 25
63
Gerhards /Neidhardt (1991): 47
64
Vgl. Pöttker (2001): 25 ff.
17

Theoretischer Bezugsrahmen
,,Wenn nur eine Lebensfrage der Gesellschaft dadurch geklärt werden sollte, dass von
60 Millionen Menschen jeder [...] zu allen anderen sprechen dürfte, nur eine Minute
lang, und wenn dies Tag und Nacht andauerte, dann nimmt dies [...] 41 667 Tage
gleich etwas über 114 Jahre in Anspruch."
65
Wenn Öffentlichkeit, wie oben erwähnt, primär als ein leeres Feld, dessen Infrastruktur
Kommunikation ist, gilt es zu strukturieren, wo Kommunikation stattfindet, wer kom-
muniziert und welche Art von Kommunikation einen gemeinsamen Nenner für die ge-
samte Gesellschaft darstellt. Diese Notwendigkeit zeigt sich vor allem mit Blick auf das
Wachstum an Informationsmengen und den daraus entstehenden Themen und Meinun-
gen. Bliebe die Informationsmenge ,,unbearbeitet", würden ihre keine Grenzen gesetzt,
dann müsste angenommen werden, dass sich Öffentlichkeit selbst paralysiert.
66
Hin-
sichtlich des Internets und der Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten, wie sich die Öffent-
lichkeit und die Kommunikationsstrukturen dort ausgestalten, finden sich Analogien zu
der hier verwendeten Beschreibung von Öffentlichkeit.
3.3.2
Analogien zum Internet I
Die prinzipielle Offenheit des Internets ist gekennzeichnet durch die niedrige Zugangs-
barriere sowie die vereinfachten kommunikativen Zugänge.
67
Als Beispiel können dies-
bezüglich Online-Anwendungen wie Webmail, die kostenlose Registrierungen in Chats
und Foren sowie Online-Auktionshäusern genannt werden. Darüber hinaus trägt auch
das Phänomen der freien Software tendenziell zu der Offenheit des Internet bei. Das
kostenlose Zurverfügungstellen von Programmen zählt zu einem der wichtigsten Ele-
mente seiner Organisationskultur. Die schwindende Sorge um ökonomisch disziplinie-
rende Faktoren schafft Platz für Kreativprozesse und Ideen für Experimente. Das
Enga-
gement von Einzelpersonen, kostenlose Informationsangebote zur Verfügung zu stellen,
erweckt den Anschein, dass dabei das Prinzip der Solidarität eine Rolle spielt. Dennoch
ist diese Art von Freiheit auch nicht uneingeschränkt:
,,Die Welt der Freien Software ist geprägt von Dualismen. Freie Software ist sowohl kom-
merziell als auch nicht kommerziell, privat als auch öffentlich.[...] sie ändert sich nicht oh-
ne äußere Einflüsse [...].Software lebt nur durch die kontinuierliche Benutzung, Weiter-
entwicklung, Weitergabe und Pflege.
68
65
Starkulla jr., hier zitiert nach Schönhagen (2004): 202
66
Vgl. Gerhards/Neidhardt (1991): 65 f.
67
Vgl. Neuberger (2004 b): 7 f.
68
Greve (2001): 13 f.
18

Theoretischer Bezugsrahmen
Ebenso zeigen auch die Auseinandersetzungen mit der Thematik ,,Digitale Spaltung"
ganz klar die Grenzen der prinzipiellen Offenheit des Internet auf.
69
Zu den Aspekten Publikumsnähe und Laienorientierung lassen sich im übertragenen
Sinne vor allem einfache Nutzeroberflächen und Designvorlagen zählen, die nach dem
Prinzip der Content Management Systeme funktionieren. Nutzer können auf diese Wei-
se Texte, Bilder oder ihre Daten wie in eine Art Maske oder Formular einfügen und
benötigen für die internetfähige Darstellung der Inhalte in der Regel keine Kenntnisse in
Programmiersprachen oder Webdesign.
Auch die Internetöffentlichkeit stellt besondere Ansprüche an die Informationsverarbei-
tung und -verwendung. Dazu zählt, ähnlich wie in der bereits erwähnten Vorstellung
von Öffentlichkeit, die steigende Menge an publizierten Inhalten.
70
.
Objektiv betrachtet ist diese als Anstieg von Datenmengen zu werten. Subjektiv hinge-
gen werden das Zurechtfinden in dem Angebotsdschungel und die Frage nach der Ver-
lässlichkeit und Glaubwürdigkeit vieler Inhalte immer schwieriger. Es besteht ein Be-
darf an Instanzen, die es verstehen, Nutzer durch dieses ,,Chaos" zu lenken. Suchma-
schinen leisten dazu einen entscheidenden Beitrag. Der Frage, ob der Journalismus wie
ein Navigator ,,metakommunikativ auf relevante Ressourcen im Internet verweist, sie
kommentiert und so Orientierung schafft"
71
, lässt sich derzeit nur spekulativ beantwor-
ten. Immerhin stünden so zumindest neben den anonymen Suchmaschinen, deren Funk-
tionskriterien stellenweise intransparent sind, auch Personen, die Inhalte thematisch
strukturieren. Dafür wäre aber zum einen zu klären, inwieweit und ob der Journalismus
dafür Kapazitäten hat und zum anderen, ob er dabei durch seine Professionalität und
Etabliertheit einen höheren Glaubwürdigkeits- und Vertrauensbonus bei den Nutzern
hat als beispielsweise Suchmaschinen.
69
Anmerkung d.A.: Digital Divide beruht u.a. auf der sogen. Wissensklufthypothese (1970 von Tiche-
nor/Donohue/Olien aufgestellt). Es wird angenommen, dass die Nutzung und Aneignung moderner digita-
ler Informations- und Kommunikationstechnologie (speziell des Internet) stark von Faktoren abhängig ist,
wie etwa der sozialen Schicht und des Bildungsniveaus, Medienkompetenz sowie der geographischen
Lage. Ausführlich dazu schreibt beispielsweise Nicole Zillien in: Digitale Ungleichheit. Neue Technolo-
gien und alte Ungleichheiten in der Informations- und Wissensgesellschaft. Wiesbaden 2006: VS Verlag
Für Sozialwissenschaften.
70
Vgl. Neuberger (2003): 6 f.
71
Ebd.: 4
19

Theoretischer Bezugsrahmen
3.4 Öffentliche Kommunikation: Artikulation und Verständigung
Nach der Herleitung, dass Öffentlichkeit als Raum für Kommunikation zu verstehen ist,
gilt es nun zu klären, was unter öffentlicher Kommunikation zu verstehen ist. Der For-
schungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) an der Universität Zürich, dessen
Interesse es ist, soziale Wandlungsprozesse anhand von Kommunikationsereignissen zu
analysieren, geht davon aus,
,,dass die öffentliche Kommunikation das wesentlichste Medium der Regulation von Ge-
sellschaft ist. Nur in der Arena Öffentlichkeit können wir die Gesellschaft beobachten.
Aufmerksamkeit ist dabei die Kernenergie dieser sozialen Welt."
72
Diese Beschreibung dient im Folgenden der Eingrenzung des Begriffs und, in Anleh-
nung an Kurt Imhof, wird öffentliche Kommunikation als ,,Medium"
73
definiert, in dem
die Gesellschaftsmitglieder das Abstraktum ,,Gesellschaft"
74
wahrnehmen. Öffentliche
Kommunikation hat sowohl Rezeptionscharakter und ist gleichzeitig auch eine Art In-
strument zur Artikulation. Imhof erklärt soziale Wandlungsprozesse immer mit Blick
auf das, was öffentlich kommuniziert wird und wie sich diese Kommunikation interpre-
tieren lässt. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass öffentliche Kommuni-
kation notwendig ist für Transparenz und Bescheidwissen darüber, was in der Gesell-
schaft oder, systemtheoretisch ausgedrückt, in ihren Teilsystemen passiert und aus wel-
chen Gründen.
Auf diese Art von Solidarität im Umgang mit Informationen, basierend auf der Not-
wendigkeit einer ,,durch Kommunikation hergestellten Verbindung zwischen den Funk-
tionsparzellen der modernen Gesellschaft"
75
, hat bereits Emile Durkheim hingewiesen.
Unsicherheit und Missverständnisse ­ er nennt dieses Anomiezustände ­ sind
,,überall dort unmöglich ist, wo solidarische Organe in genügendem und genügend langem
Kontakt stehen. Da sie sich berühren, unterrichten sie sich in jeder Lage leicht über das Be-
dürfnis, das sie untereinander haben; sie haben folglich ein lebhaftes und beständiges Ge-
fühl ihrer gegenseitigen Abhängigkeit."
76
Vor allem mit Blick auf sich immer weiter ausdifferenzierende Gesellschaften, in denen
sich beispielsweise kaum noch direkte Kontaktmöglichkeiten zwischen den einzelnen
72
fög (2007)
73
Vgl.: Imhof (2006): 3
74
Ebd.: 3
75
Pöttker (2001): 24
76
Durkheim (1977): 153 (Übersetzt aus dem Original von 1893)
20

Theoretischer Bezugsrahmen
Gesellschaftsbereichen ergeben, dient die Vorstellung von öffentlicher Kommunikation
unter der Prämisse der Interessen-Solidarität als Hilfsmittel.
3.4.1
Der Bruch mit der Glaubwürdigkeit
Imhof ermittelt eine Art Bruch mit der erwähnten Vorstellung. Öffentliche Kommunika-
tion ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie sich der Logik des modernen Me-
diensystem anpasst (Medialisierung).
77
In Hinblick auf politische Ereignisse fällt diese
Strategie grob unter das Stichwort ,,symbolische Politik".
78
Weitere Beispiele aus der Wirtschaft zeigen, dass diese ,,zum Zwecke der Erweckung
positiver Aufmerksamkeit die Moral"
79
entdeckt hat.
,,Immer mehr Unternehmen verbinden ihre persuasive Kommunikation an das Publikum in
seiner Konsumentenrolle mit moralischen Bekenntnissen und sie implementieren zuhauf
Unternehmensethiken, die auch in der Außenkommunikation verwendet werden."
80
Diese Vorgehensweise trifft auch für kommerzielle Events zu, wenn sie ,,mit dem mora-
lisch-ethischen Einstehen für eine tolerante Welt"
81
verbunden werden. Wird bedacht,
dass solche Events wiederum medial begleitet und verbreitet werden, lassen sich Strate-
gien der ,,moralischen Aufladung" auch auf Medien(unternehmen) selbst anwenden,
sodenn sie nicht thematisiert werden.
Wenn also davon auszugehen ist, dass sich öffentliche Kommunikation in modernen
Gesellschaften zu einem großen Teil in Form von medial vermittelter Kommunikation
vollzieht und Journalisten als Experten des Öffentlichkeitssystems, die auf eine be-
stimmte Art von Kommunikation spezialisiert sind, bezeichnet werden können,
dann
ergibt sich die Frage, wie zielgerichtet Journalismus seine eigenen Interessen öffentlich
kommuniziert.
82
Das unter 2.3.1 genannte Beispiel über die Initiativen von Focus und
inwieweit die Ideen des Web 2.0 dort proklamiert werden, lässt zumindest vermuten,
dass dort Transparenz und Offenheit suggeriert, obgleich damit andere Ziele verfolgt
werden. Trifft diese Schlussfolgerung zu, dann muss der Journalismus aus einer me-
77
Vgl. Imhof (2006): 21 ff.
78
Anmerkung d. A.: Ausführlich zu diesen Thema in Edelman, Murray (2006): Politik als Ritual. Die
symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns. 3. erweiterte Auflage. Frankfurt
am Main/ New York: Campus.
79
Imhof (2006): 23 f.
80
Ebd.: 23 f.
81
Ebd.: 24
82
Vgl. Gerhards/Neidhardt (1991): 46
21

Theoretischer Bezugsrahmen
dienökonomischen Perspektive betrachtet werden, womit sich sein Handeln darauf ver-
kürzt, ein Informationslieferant nach dem Prinzip ,,Angebot und Nachfrage" zu sein.
83
,,Hier stellt sich für den Journalismus das theoretisch unlösbare Problem, wie sich die Er-
wartungen der Kommunikationspartner an journalistische Aussagenproduktionen von den
marktökonomischen Imperativen trennen oder mit diesen in Einklang bringen lassen."
84
Vor diesem Hintergrund kann die hier angestrebte Verortung des Journalismus und sei-
nen möglichen diskursiven Elementen nicht stattfinden.
3.5 Öffentliche Kommunikation als Leistung des Journalismus
Wenn öffentliche Kommunikation in der Quintessenz als ein Mittel zur Problemlösung
in Form öffentlicher Diskurse verstanden wird, dann gilt es, danach zu fragen, wie sich
die Leistungen des Journalismus vor diesem Hintergrund ermitteln lassen. Dazu sollen
zunächst einige Formalia erwähnt werden, wie sich öffentliche Kommunikation gestal-
tet, welche Grundbedingungen für das Gelingen dieser Kommunikation erforderlich
sind und wo es den Journalismus zu positionieren gilt. Aus den vorangegangen Herlei-
tungen von Öffentlichkeit und öffentlicher Kommunikation sind drei Aspekte deutlich
geworden:
1.
Die prinzipielle Offenheit des Öffentlichkeitssystems, die zu einer Komplexi-
tätssteigerung führt
2.
Öffentliche Kommunikation als Möglichkeit, Öffentlichkeit zu erfassen
3.
In der öffentlichen Kommunikation entsteht die Problematik einer immanenten
,,Nichtauthentizität"
3.5.1 Konzentrations- und Strukturierungsleitstung des Journalismus
Formal kann das Öffentlichkeitssystem moderner Gesellschaften als ein Nebeneinander
verschiedener Ebenen betrachtet werden, denen folgender Kommunikationsprozess im-
manent ist:
Informationssammlung (Input), -verarbeitung (Throughput) und -verwendung (Output).
Bei den niedrigeren Ebenen von Öffentlichkeit ist es möglich, dass Akteure direkt mit-
einander kommunizieren. Hingegen fordert der Austausch von Informationen auf den
anderen Ebenen viel mehr Voraussetzungen, dass die Kommunikation gelingt. Die
83
Vgl. Haller (2000): 111
84
Ebd.: 111
22

Theoretischer Bezugsrahmen
Wichtigkeit eines funktionierenden Informationsflusses in modernen Gesellschaften
liegt darin begründet, dass trotz der hohen Komplexität, trotz funktionaler Parzellierung
(z.B. Rollen, Arbeit, Privatleben etc.) etwas Gemeinsames, etwas Verbindendes exis-
tiert.
85
Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass öffentliche Kommunikation in
modernen Gesellschaften durch Massenmedien entsteht. Diese ,,und mit ihnen der Jour-
nalismus sind im Laufe des vergangenen Jahrhunderts von der Peripherie der Gesell-
schaft in ihr Zentrum gerückt."
86
Diese Art von Kommunikation zu strukturieren hat
sich vor allem der Journalismus zur Aufgabe gemacht. Er operiert zwar partiell auf allen
Ebenen, jedoch ist er primär fester Bestandteil der Medienkommunikation. Von dort aus
transferiert er die Kommunikation aus den anderen Ebenen in ein für die Gesellschaft
verständliches Format. Als Beispiel für eine Übersetzung der einfachen Interaktion steht
das Interview.
87
Die Kommunikation der Versammlungsebene wird in Form von Pres-
sekonferenzen, denen dann in vielen Fällen eine nachrichtliche Darstellungsform folgt,
sichtbar. Theoretisch kommt dem Journalismus somit eine wesentliche Funktion zu.
,,Die besonderen Leistungen und die besonderen Wirkungen des Journalismus, durch die
sich sein Handeln von anderen, an der Öffentlichkeit orientierten Sozialsystemen unter-
scheidet, bestehen in der Ausrichtung auf die Herstellung und Bereitstellung von Themen
zur öffentlichen Kommunikation"
88
Demnach kann an dieser Stelle angenommen werden, dass Journalismus zunächst es-
senziell für die Strukturierung der öffentlichen Kommunikation ist. Mit dieser Leistung,
die der Journalismus erbringt, kann allerdings noch nicht von seiner gesellschaftlichen
Legitimation gesprochen werden, haben sich doch auch andere Akteure (z.B. aus Politik
und Wirtschaft) darauf spezialisiert, ihre Belange so zu artikulieren, dass sie allgemein
anerkannt also öffentlichkeitswirksam werden. Auch sie verleihen im übertragenen Sin-
ne der öffentlichen Kommunikation eine Struktur. Darüber hinaus scheint es selbstver-
ständlich geworden zu sein, dass jeden Tag und rund um die Uhr Journalisten in Zei-
tung, Rundfunk und im Internet das Weltgeschehen zusammenfassen.
3.5.2 Analogien zum Internet II
Das Besondere an den Kommunikationsstrukturen des Internets ist, dass zum einen die
erwähnte Ebenearchitektur ins Schwanken gerät. Zum anderen wird deutlich, dass nach
dem Prinzip der Interaktivität alle Kommunikationsweisen die Chance haben, auf die
85
Vgl. Pöttker (2001): 21 ff.
86
Kepplinger (2004): 103
87
Vgl. Langbucher (1997): 32 f.
88
Rühl (1980): 322 f. ähnlich bei Weischenberg (1994): 429
23

Theoretischer Bezugsrahmen
Ebene der Medienkommunikation zu rücken. Mediale Vermittlung zum Beispiel von
Themen kann nach dieser Vorstellung als mediale Verständigung bezeichnet werden.
89
Für den Journalismus stellt dieses Prinzip hohe Anforderungen, weil nicht mehr so deut-
lich unterscheidbar ist, welche Kommunikationsweisen, neben der Medienkommunika-
tion, für den Journalismus noch zutreffen und vor allem, welche sich zu der medien-
vermittelten Kommunikation im Sinne eines journalistischen Formates zählen lassen.
Dieser Sachverhalt weist auf die Frage nach den Leistungen des Journalismus hin, die er
für die Gestaltung der öffentlichen Kommunikation erbringt.
3.6
Vermittlungsleistung als ,,öffentliche Aufgabe"
Hartmut Weßler hat die gesellschaftliche Öffentlichkeit und die darin handelnden Ak-
teure sowie die Kommunikationsflüsse in einem vereinfachten Modell öffentlicher
Kommunikation visualisiert.
90
Aus diesem Schema wird deutlich, dass dem Journalis-
mus noch eine weitere Leistung zukommt.
Abb. 1
Das Schema dient hauptsächlich dazu, Analyseperspektiven für den Journalismus dar-
zustellen. Die Wechselseitigkeiten der Kommunikationsflüsse, die hier pfeilartig visua-
lisiert sind, zeigen, dass der Journalismus nicht nur Informationen zur Verfügung stellt,
sondern auch Rückmeldungen bekommen kann. Diesem Modell zufolge kann es somit
nicht ausschließlich die vorher erwähnte Reduzierung des 24-stündigen, komplexen
89
Vgl. Greis (2001): 173 ; Neuberger (2007a): 43
90
Vgl. Weßler (2002): 32
24

Theoretischer Bezugsrahmen
Weltgeschehens auf 120 Zeilen, auf 20 Minuten oder auf einer Internetseite sein, die
den Journalismus für uns erleb- und erfahrbar macht.
,,Journalismus soll nach dieser Vorstellung zumindest offen sein für Argumente aller Art
und nicht nur für die Verlautbarungen besonders [...] mächtiger Akteure und er soll die
Auseinandersetzungen in der Gesellschaft rational und argumentativ gestalten. Er soll we-
niger Palaver als Diskurs ermöglichen."
91
Dieser Anspruch wird im übertragenen Sinne auch verfassungsrechtlich an ihn gestellt,
und zwar über das Grundgesetz (Artikel 5), die Landespressegesetze (§3) und vor allem
in den Rechtssprechungen des Bundesverfassungsgerichts.
92
Die rechtlich ausformulierten Normen legen die öffentliche Aufgabe des Journalismus
fest. Diese erschließt sich daraus, dass die Medien Zeitung, Radio, Fernsehen und auch
das Internet an der politischen Meinungs- und Willensbildung der Bürger mitwirken.
93
Die öffentliche Aufgabe des Journalismus besteht in der Verbreitung von umfassenden
Informationen und der Weiterleitung von Meinungen und Stellungnahmen sowie einer
ausgewogenen Berichterstattung.
94
Auf diese Weise, so die Auslegung des BVerfGs, können die Rezipienten, weil sie die
journalistische Darstellung eines Sachverhaltes mit ihrer eigenen Auffassung verglei-
chen können, darüber diskutieren sowie ,,politische Entscheidungen treffen und ihre
Meinung beispielsweise in Wahlen öffentlich bekunden."
95
Über die Beschreibung, welche Funktion Massenmedien in einer Gesellschaft haben,
ergibt sich für den Journalismus ein Leitbild. Trotzdem kann Journalismus nicht mit
Massenmedien oder Medien gleichgesetzt werden, weil er durch sein Handeln, welches
in Form von Publikationen Gestalt annimmt, im Prinzip nur einen Teil dessen ausmacht,
was durch Medien verbreitet wird. Als Beispiel wäre in diesem Zusammenhang das
Angebot der Medien zu nennen, welches sich aus Anzeigen und Kreuzworträtseln in
Zeitungen, Musik im Radio, Spielfilme im Fernsehen sowie Pop-up-Elementen im In-
ternet zusammensetzt.
Zwischen all diesen Segmenten formieren sich journalistische Produkte und bilden die
Schnittstelle zwischen Journalisten und dem Publikum. Somit kann das Publikum den
Journalismus nur über seine Produkte identifizieren und nicht darüber, wie und warum
sie entstehen. ,,Als Laien wissen sie in der Regel wenig über das Zustandekommen
91
Weßler (2003): 35
92
Insbesondere das Spiegel Urteil von 1966, BVerfGE 20, 162
93
Vgl. Riesmeyer (2007); Pürer (2000); Chill/Meyn (1998); Hagen (1995): 43 f.
94
BVerfG 20, 162
95
Ebd.
25

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836607360
DOI
10.3239/9783836607360
Dateigröße
4.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Bremen – Allgemeinwissenschaftliche Grundlagenfächer, Internationaler Studiengang Fachjournalistik
Erscheinungsdatum
2007 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
onlinejournalismus public relations medienkritik weblog journalismus
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