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Der Kaschmirkonflikt in der internationalen Politik

Unter besonderer Berücksichtigung der USA, Russlands (UdSSR) und Chinas

©2005 Diplomarbeit 154 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„[D]er gefährlichste [regionale Streit unserer Zeit] besteht zwischen den beiden Nuklearmächten Pakistan und Indien um Kaschmir.“
Der Kaschmirkonflikt entzündete sich an der Frage, zu welchem Land der ehemalige Fürstenstaat „Jammu und Kaschmir“ rechtmäßig gehört - diese ist bis heute nicht geklärt. Von offizieller Seite wird das gesamte Gebiet sowohl von Indien als auch von Pakistan beansprucht. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien wurden bereits drei Kriege geführt. In zwei von diesen drei Kriegen (1948 und 1965) ging es direkt um Kaschmir, im dritten (1971) fanden in Kaschmir nur peripher Kriegshandlungen statt.
Seit den indischen und pakistanischen Atombombentests im Jahr 1998 gewann der Kaschmirkonflikt an neuer weltpolitischer Relevanz und ist seitdem im Bewusstsein der auf der Weltbühne agierenden Politiker ständig präsent. US-Präsident Clinton bezeichnete im Vorfeld seiner Südasienreise im März 2000 die Region als „gefährlichsten Ort der Welt“.
Im Gegensatz zu einigen politikwissenschaftlichen Arbeiten, die sich bereits mit dem Konflikt zwischen Indien und Pakistan beschäftigt haben, wird hier der Fokus auf die Akteure USA, die ehemalige Sowjetunion und China gerichtet. Zu einem klaren Verständnis des Konfliktverlaufs ist eine genaue Analyse der historisch und weltpolitisch relevanten Rahmenbedingungen notwendig. In dieser Diplomarbeit wird der Frage nachgegangen, welche Interessen und Machtpotentiale diese drei Staaten besaßen und durchsetzen konnten, welche Kooperationen und Konflikte sich mit Indien oder Pakistan daraus ergeben haben und welche direkten oder indirekten Einflussmöglichkeiten sie auf den Kaschmirkonflikt hatten.
Gang der Untersuchung:
Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil sieht eine abgewandelte Konstellationsanalyse nach Kindermann vor, die in einigen Teilanalysen nicht nur Indien und Pakistan, sondern auch die anderen relevanten Staaten betrachtet. Während die Entstehung des Konflikts ein rein bilateraler Disput gewesen ist, soll mit Hilfe der Konstellationsanalyse untersucht werden, inwiefern überregionale Akteure – namentlich die USA, die frühere Sowjetunion und China - die Verhandlungen um Kaschmir bis 1972 maßgeblich beeinflussten. Die Rolle dieser Staaten wird in der Interessen-, Macht- und Perzeptionsanalyse gesondert betrachtet.
Als Brücke und zum Verständnis der heutigen Situation werden im Anschluss an den ersten Teil der Diplomarbeit die für […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jasmine Begg
Der Kaschmirkonflikt in der internationalen Politik
Unter besonderer Berücksichtigung der USA, Russlands (UdSSR) und Chinas
ISBN: 978-3-8366-0710-0
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Passau, Passau, Deutschland, Diplomarbeit, 2005
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

2
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung _____________________________________________________ 7
Bemerkungen zur verwendeten Literatur ___________________________ 8
ERSTER TEIL: Internationale Konstellationsanalyse _________________ 9
1. Die Konstellationsanalyse nach Kindermann______________________ 9
1.1 Entstehung und Untersuchungsgegenstand ___________________ 9
1.2 Methodik _________________________________________________ 9
1.2.1 Die Systemanalyse _____________________________________ 10
1.2.2 Die Interessenanalyse___________________________________ 10
1.2.3 Die Perzeptionsanalyse__________________________________ 11
1.2.4 Die Verhaltensanalyse __________________________________ 12
1.2.5 Die Normenanalyse_____________________________________ 12
1.2.6 Die Synopsis __________________________________________ 12
1.3 Abwandlung der Theorie für die vorliegende Diplomarbeit_______ 13
2. Prämissen _________________________________________________ 14
2.1 Zeitliche Eingrenzung _____________________________________ 14
2.2 Räumliche Eingrenzung ___________________________________ 14
2.2.1 Das Kaschmirtal _______________________________________ 16
2.2.2 Die Provinz Jammu _____________________________________ 16
2.2.3 Ladakh_______________________________________________ 16
2.2.4 Die Nordgebiete _______________________________________ 17
2.2.5 Azad Kaschmir ________________________________________ 17
2.2.6 Aksai Chin ____________________________________________ 17
2.2.7 Karakorum-Pass _______________________________________ 17
2.3 Historischer Hintergrund / Entstehung des Konflikts ___________ 18
2.3.1 Die Teilung von Britisch-Indien ____________________________ 18
2.3.2 Der Sonderstatus der Fürstentümer ________________________ 18
2.3.3 Der Beitritt Kaschmirs zu Indien ___________________________ 20
2.3.5 Zentrale Problemstruktur und weltpolitische Einordnung ________ 21

3
3. Indien und Pakistan__________________________________________ 22
3.1 Systemanalyse ___________________________________________ 22
3.1.1 Indien________________________________________________ 22
3.1.1.1 Die Legislative _____________________________________ 22
3.1.1.2 Die Exekutive ______________________________________ 22
3.1.1.3 Außenpolitische Entscheidungsträger ___________________ 23
3.1.1.4 Das indische Militär__________________________________ 23
3.1.2 Pakistan______________________________________________ 24
3.1.2.1 Außenpolitische Entscheidungsträger ___________________ 24
3.1.2.2 Das pakistanische Militär _____________________________ 25
3.1.2.3 Innergesellschaftliche Einflüsse: Islamistische Extremisten ___ 25
3.2 Interessenanalyse Indien und Pakistan_______________________ 26
3.2.1 The Muslim Question: Zweinationentheorie vs. Säkularismus ____ 26
3.2.2 Indiens Angst vor einer Balkanisierung ______________________ 31
3.2.3 Strategische Interessen__________________________________ 32
3.3 Machtanalyse ____________________________________________ 32
3.3.1 Kriege zwischen Indien und Pakistan _______________________ 33
3.3.1.1 Der Krieg von 1965__________________________________ 33
3.3.1.2 Der Krieg von 1971__________________________________ 33
3.3.1.3 De Facto Teilung Kaschmirs___________________________ 34
3.3.1.4 Der Weg zu den indischen und pakistanischen Atomwaffen __ 34
3.4 Perzeptionen ____________________________________________ 35
3.4.1 Die Erinnerung an die blutigen Unruhen von 1947 _____________ 36
3.4.2 Die Medien ___________________________________________ 37
3.5 Normenanalyse __________________________________________ 39
3.5.1 Vermittlung durch die UN ________________________________ 39
3.5.2 Die Resolutionen _______________________________________ 39
3.5.3 Der Krieg von 1965 _____________________________________ 40
3.5.4 Das versprochene Plebiszit_______________________________ 41
4. Internationale Interessen, bilaterale Beziehungen und Perzeptionen _ 42
4.1 USA, Indien und Pakistan __________________________________ 45
4.1.1 US-Interesse an Kaschmir _______________________________ 46

4
4.1.2 Die Beziehungen zwischen Indien, Pakistan und den USA ______ 47
4.1.2.1 Bündnispartner Pakistan______________________________ 47
4.1.2.2 Blockfreies Indien ___________________________________ 48
4.1.2.3 Entwicklungshilfe an Indien ___________________________ 48
4.1.2.4 China entzweit USA und Pakistan ______________________ 49
4.1.3 Perzeptionen __________________________________________ 49
4.1.3.1 Amerikanische Perzeption Indiens ______________________ 50
4.1.3.1.1 Enttäuschung über blockfreie Haltung Indiens__________ 50
4.1.3.1.2 Präferenz des blockfreien Indiens vor China ___________ 51
4.1.3.1.3 Indien im feindlichen Lager ________________________ 52
4.1.3.1.4 Weitere Einflussfaktoren __________________________ 53
4.1.3.2 Wie wurde Pakistan von den USA wahrgenommen? ________ 54
4.1.3.3 Indische Perzeption von den USA ______________________ 54
4.1.3.3.1 Die USA als unerwünschte intervenierende Macht ______ 55
4.1.3.3.2 Plebiszit nur ohne Einfluss der USA möglich ___________ 55
4.1.3.3.3 Fehleinschätzung der US-Interessen_________________ 56
4.1.3.3.4 Empörung über Bedingungen der Entwicklungshilfe _____ 56
4.1.3.3.5 Fazit: Indien nimmt die USA als unzuverlässig wahr _____ 57
4.1.3.4 Pakistanische Perzeption von den USA __________________ 57
4.1.3.4.1 Die USA als Bündnispartner gegen Indien_____________ 57
4.1.3.4.2 Enttäuschung über die US-Unterstützung an Indien _____ 58
4.1.4 Konflikte und Kooperationen ______________________________ 60
4.2 Sowjetunion, Indien und Pakistan ___________________________ 60
4.2.1 Das Interesse der Sowjetunion ____________________________ 60
4.2.2 Beziehungen zwischen der Sowjetunion, Indien und Pakistan ____ 61
4.2.2.1 Kritische, jedoch neutrale Haltung unter Stalin_____________ 61
4.2.2.2 Unterstützung Indiens und Kritik an Pakistan ______________ 62
4.2.2.3 Höhepunkt der Beziehungen zu Indien unter Chruschtschow _ 63
4.2.2.4 Veto der Resolutionen im UN-Sicherheitsrat ______________ 64
4.2.2.5 Kaschmir unter Breschnew____________________________ 66
4.2.2.6 Die Verhandlungen von Taschkent______________________ 67
4.2.2.7 Sowjetisch-pakistanische Militärkooperation nach Taschkent _ 68
4.2.3 Perzeptionen __________________________________________ 70
4.2.3.1 Von Stalin bis Malenkov ______________________________ 70

5
4.2.3.2 Freundschaft mit Indien unter Chruschtschow und Breschnews 72
4.2.4 Konflikt und Kooperationen _______________________________ 72
4.3 China ­ Schlüsselfigur im Kaschmirkonflikt?__________________ 73
4.3.1 Interesse Chinas _______________________________________ 73
4.3.2 Beziehungen zu Indien und Pakistan _______________________ 74
4.3.2.1 Die chinesisch-indischen Beziehungen unter Nehru ________ 74
4.3.2.1.1 Die Grenzfrage__________________________________ 75
4.3.2.1.2 Die Tibet-Frage _________________________________ 76
4.3.2.1.3 Panchsheela ___________________________________ 76
4.3.2.1.4 Der Grenzkrieg von 1962 __________________________ 77
4.3.2.2 China und Pakistan__________________________________ 78
4.3.2.2.1 Das Grenzabkommen ____________________________ 80
4.3.2.2.2 China an Pakistans Seite __________________________ 81
4.3.3 Perzeptionen __________________________________________ 82
4.3.3.1 Chinas Perzeption von Indien__________________________ 82
4.3.3.1.1 Angst vor einer amerikanischen Einkreisungsstrategie ___ 83
4.3.3.1.2 Einkreisung auch durch die Sowjetunion ______________ 83
4.3.3.2 Indiens Perzeption von China__________________________ 84
4.3.3.2.1 Wachsende Unsicherheit seit 1962 __________________ 84
4.3.3.2.2 Konkurrenz auf der internationalen Bühne_____________ 85
4.3.4 Konflikte und Kooperationen ______________________________ 85
5. Synoptische Betrachtung der Rolle der USA, der UdSSR und Chinas 86
6. Entwicklungen nach 1972_____________________________________ 90
6.1 Unruhen in Kaschmir seit Ende der 1980er____________________ 91
6.1.1 Fälschung der Wahlen in Jammu und Kaschmir_______________ 91
6.1.2 Diskriminierende Beschäftigungspraxis _____________________ 93
6.1.3 Ausbruch der Unruhen in Kaschmir ________________________ 94
6.1.4 Verletzungen der Menschenrechte _________________________ 95
6.1.5 Pakistanische Unterstützung für kaschmirische Kämpfer ________ 96
6.2 Der Kaschmirkonflikt in der internationalen Politik nach 1972 ____ 97
6.2.1 Passive Kaschmirpolitik der USA __________________________ 97
6.2.2 Der Zusammenbruch der Sowjetunion _____________________ 100
6.2.3 Annäherung zwischen Indien und China____________________ 101

6
6.3 Annäherung zwischen Indien und Pakistan in der Kaschmirfrage 103
6.3.1 Von der Kargilkrise bis zum Anschlag auf das indische Parlament 103
6.3.2 Diplomatische Friedensbemühungen ______________________ 105
ZWEITER TEIL: Lösungsszenarien des konflikts___________________ 108
7. Gescheiterte Lösungsversuche _______________________________ 108
7.1 Die indisch-pakistanischen Kriege _________________________ 108
7.2 Vermittlungsversuche der Vereinten Nationen scheitern _______ 109
7.3 Bilaterale Gespräche - oder doch internationale Vermittlung?___ 112
8. Aktuelle Lösungsszenarien __________________________________ 117
9. Schlussbetrachtung und Bewertung der Möglichkeiten ___________ 120
Anhang _____________________________________________________ 125
Anhang I: Karte von Kaschmir ________________________________ 126
Anhang II: Simla Agreement July 2, 1972 _______________________ 127
Anhang III: Resolution vom 20. Januar 1948_____________________ 130
Anhang IV: UNCIP Resolution vom 13. August 1948 ______________ 132
Anhang V: UNCIP- Resolution vom 5. Januar 1949 _______________ 134
Anhang VI: Sheikh-Indira Accord 1975, Agreed Conclusions_______ 137
Literaturverzeichnis __________________________________________ 139

7
EINLEITUNG
"[D]er gefährlichste [regionale Streit unserer Zeit] besteht zwischen den beiden
Nuklearmächten Pakistan und Indien um Kaschmir."
1
Der Kaschmirkonflikt entzündete sich an der Frage, zu welchem Land der
ehemalige Fürstenstaat ,,Jammu und Kaschmir" rechtmäßig gehört - diese ist
bis heute nicht geklärt. Von offizieller Seite wird das gesamte Gebiet sowohl
von Indien als auch von Pakistan beansprucht.
2
Seit der Unabhängigkeit von
Großbritannien wurden bereits drei Kriege geführt. In zwei von diesen drei
Kriegen (1948 und 1965) ging es direkt um Kaschmir, im dritten (1971) fanden
in Kaschmir nur peripher Kriegshandlungen statt.
Seit den indischen und pakistanischen Atombombentests im Jahr 1998 gewann
der Kaschmirkonflikt an neuer weltpolitischer Relevanz und ist seitdem im
Bewusstsein der auf der Weltbühne agierenden Politiker ständig präsent. US-
Präsident Clinton bezeichnete im Vorfeld seiner Südasienreise im März 2000
die Region als ,,gefährlichsten Ort der Welt".
3
Im Gegensatz zu einigen politikwissenschaftlichen Arbeiten, die sich bereits mit
dem Konflikt zwischen Indien und Pakistan beschäftigt haben, wird hier der
Fokus auf die Akteure USA, die ehemalige Sowjetunion und China gerichtet. Zu
einem klaren Verständnis des Konfliktverlaufs ist eine genaue Analyse der
historisch und weltpolitisch relevanten Rahmenbedingungen notwendig. In
dieser Diplomarbeit wird der Frage nachgegangen, welche Interessen und
Machtpotentiale diese drei Staaten besaßen und durchsetzen konnten, welche
Kooperationen und Konflikte sich mit Indien oder Pakistan daraus ergeben
haben und welche direkten oder indirekten Einflussmöglichkeiten sie auf den
Kaschmirkonflikt hatten.
Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil sieht eine
abgewandelte Konstellationsanalyse nach Kindermann vor, die in einigen
Teilanalysen nicht nur Indien und Pakistan, sondern auch die anderen
relevanten Staaten betrachtet. Während die Entstehung des Konflikts ein rein
1
Vgl. Fischer, Joschka (2003), in:
http://www.gruene-fraktion.de/cms/bundestagsreden/dok/10/10050.htm
2
Der jeweils vom Kontrahenten kontrollierte Teil Kaschmirs wurde als POK (Pakistan occupied
Kashmir) bzw. IOK (Indian occupied Kashmir) bezeichnet.
3
Vgl. Wagner (2000), S.239

8
bilateraler Disput gewesen ist, soll mit Hilfe der Konstellationsanalyse
untersucht werden, inwiefern überregionale Akteure ­ namentlich die USA, die
frühere Sowjetunion und China - die Verhandlungen um Kaschmir bis 1972
maßgeblich beeinflussten. Die Rolle dieser Staaten wird in der Interessen-,
Macht- und Perzeptionsanalyse gesondert betrachtet.
Als Brücke und zum Verständnis der heutigen Situation werden im Anschluss
an den ersten Teil der Diplomarbeit die für Kaschmir relevanten politischen
Ereignisse zwischen 1972 und 2005 zusammengefasst. Diese bilden die
Grundlage für den zweiten Teil der Arbeit, der sich mit den
Lösungsmöglichkeiten beschäftigt.
Abschließend werden diese Lösungsszenarien anhand der aus der Synopsis
der Konstellationsanalyse gewonnenen Erkenntnisse und aus einer
persönlichen Perspektive heraus bewertet.
BEMERKUNGEN ZUR VERWENDETEN LITERATUR
,,In any case, it is doubtful whether there can be pure `academic objectivity´ even among
academics when dealing with an ongoing, burning crisis in international politics such as
the one in Kashmir."
4
Raju G. C. Thomas
Zahlreiche Autoren, deren Werke ich für diese Arbeit herangezogen habe,
präsentieren eine sehr stark subjektiv gefärbte Sicht des Konflikts. Da der
Konflikt weiterhin aktuell ist, verwundert dies bei indischen, pakistanischen,
hinduistischen oder muslimischen Autoren nicht allzu sehr ­ die Herkunft und
religiöse Gesinnung fast aller Autoren lässt sich anhand der von ihnen
ausgesuchten Ereignisse zur Stützung ihrer These und ihrer Bewertung
erkennen. Doch leider geben auch britische, sowjetische oder amerikanische
Autoren keine unumstrittene Darstellung der historischen Ereignisse wieder.
Besonders hilfreich war in diesem Zusammenhang das Buch ,,Der
Kaschmirkonflikt und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung" von Patrick
Hönig, das eine sehr nüchterne, völkerrechtliche Abhandlung des Konflikts
darstellt. Der Herausgeber des Buches ,,Perspectives on Kashmir", Raju G.C.
Thomas, selektiert hingegen eine Vielzahl von Autoren, die einen direkten
Bezug zum indischen Subkontinent haben und jeweils in ihren Beiträgen ihre
4
Vgl. Thomas (1992), S. ix

9
eigenen Sichtweisen zum Kaschmirkonflikt wiedergeben. Diese Sammlung
unterschiedlicher Perspektiven und divergierender Interessen ermöglicht einen
Vergleich zwischen der Sichtweise eines muslimischen Inders und eines
muslimischen Pakistaners, zwischen Autoren aus Kaschmir und Autoren aus
Jammu, zwischen Hindus aus Indien und Hindus aus Kaschmir, zwischen
Briten, Amerikanern und ausgewanderten Indern und Pakistanern.
ERSTER TEIL: INTERNATIONALE KONSTELLATIONSANALYSE
1. DIE KONSTELLATIONSANALYSE NACH KINDERMANN
1.1 Entstehung und Untersuchungsgegenstand
Der auf Hans J. Morgenthau zurückgreifende ,,neorealistische
Forschungsansatz" gehört zu den umfassenderen Theorien im Bereich der
Internationalen Politik. In Deutschland findet dieser Forschungsansatz seine
Ausprägung durch die ,,Münchner Schule", der Gottfried-Karl Kindermann
voransteht.
Die internationale Konstellationsanalyse wurde von der ,,Münchner Schule" im
Fach Internationale Politik entwickelt und dient der Untersuchung des
internationalen Systems und der dort entstehenden Konflikte. Im Kontrast zu
anderen Neorealismus-Varianten gilt die internationale Konstellationsanalyse
als ,,Synoptischer Neorealismus", bei der systemische und subsystemische
Faktoren synoptisch, d.h. zusammenschauend, betrachtet werden.
Als Konstellation wird ein Beziehungsgefüge zwischen Aktionseinheiten
5
in
einer bestimmten Zeitspanne verstanden, die einen Einfluss auf die
Interaktionsprozesse innerhalb des internationalen Systems haben können.
6
1.2 Methodik
Im Vorfeld einer Konstellationsanalyse werden historische Kenntnisse über die
Vorgeschichte des Konflikts benötigt. Außerdem muss der zu untersuchende
Konflikt räumlich und zeitlich eingrenzbar sein. Zudem werden eine Definition
5
Aktionseinheiten sind meist Staaten, Bündnisse sowie transnationale und subnationale
Akteure
6
Vgl. Meier- Walser (2004), in: http://www.hss.de/downloads/aa35.pdf

10
zentraler Problemstrukturen und die Eruierung weltpolitischer Rahmenbezüge
benötigt.
7
Um eine Konstellation zu analysieren, müssen die vorhandenen Fakten in fünf
interdependenten Fragebereichen untersucht und strukturiert werden.
1. System und Entscheidung
2. Interesse und Macht
3. Wahrnehmung und Wirklichkeit
4. Konflikt und Kooperation
5. Norm und Nutzen
Basierend auf diesen Begriffspaaren werden die eigentlichen Analysen
durchgeführt.
1.2.1 Die Systemanalyse
In der Systemanalyse sollen die an der Konstellation beteiligten Akteure
untersucht werden. Es wird nach der Struktur der beteiligten Staaten und
Bündnisse und nach ihrer Funktionsweise gefragt. Im Fokus stehen alle
relevanten Faktoren, die das außenpolitische Verhalten vom innerstaatlichen
her beeinflussen können: Es werden nicht nur die Träger der außenpolitischen
Entscheidungen und ihre Möglichkeiten, die Konstellationen zu gestalten,
betrachtet, sondern auch diejenigen Akteure, die in der Lage sind, die
Außenpolitik zu beeinflussen.
8
1.2.2 Die Interessenanalyse
Der Interessenanalyse liegt ein subjektiver Interessensbegriff zugrunde: Es
handelt sich um das Interesse, das tatsächlich von Menschen definiert und
angestrebt wird: eine ,,zielbezogene Willensgerichtetheit". Relevant sind hier vor
allem die subjektiven Interessen der Führungszentren, die diese für die
jeweiligen Staaten definieren und tatsächlich zu verwirklichen suchen.
7
Vgl. Hüls (1993), in: http://www.ahuels.de/powi/prosip.pdf
8
Als Beispiel seien an dieser Stelle Parteien, innenpolitische Opposition, Militär,
Interessengruppen, Medien, religiöse Institutionen und Meinungsführer genannt.

11
Wenn die Interessen der jeweiligen Akteure deutlich sind, dann lassen sich
auch Kooperationen (als Folge von gemeinsamen Interessen) und Konflikte (als
Folge von entgegengesetzten Interessen) erklären.
Im Grundinteresse von Staaten liegen die jeweils eigene Souveränität,
Sicherheit, Macht, wirtschaftlicher Wohlstand, Prestige und ihre
Glaubwürdigkeit.
Eine weitere Unterscheidung ist zwischen tatsächlich offenen Interessen und
geheim gehaltenen Interessen vorzunehmen. Im Gegensatz zu diesen
bestehenden Interessen gibt man bei Scheininteressen aus opportunistischen
Gründen ein Interesse vor, dessen Realisierung nicht beabsichtigt wird.
Potentielle Interessen, die eine bestimmte Prämisse erfordern, sind latent
gegeben, werden allerdings nicht unmittelbar verfolgt.
In der Analyse ist es wichtig herauszufinden, welche Prioritätenfolge der
Interessen bei der Staatsführung zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist.
Die gegebene Priorität ist allerdings dynamisch und damit wandelbar.
Ergänzend zur Interessenanalyse wird eine Machtanalyse durchgeführt, in der
untersucht wird, welcher Akteur sich durchsetzen kann, wenn verschiedene
Akteure divergierende Interessen besitzen. Die Macht des einen Akteurs, sei
sie ideologischer, wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Natur, ist
innerhalb einer Konstellation immer relativ zur Macht des anderen Akteurs.
Relevant ist nicht nur die potentiell vorhandene Macht eines Staates, sondern
auch wie viel Macht eingesetzt werden kann - und tatsächlich eingesetzt wird -
um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
1.2.3 Die Perzeptionsanalyse
9
Die subjektiven Wahrnehmungen tatsächlicher Ereignisse werden in der
Perzeptionsanalyse untersucht. Von den Beteiligten wird die objektive
Wirklichkeit einer Konstellation nicht identisch, sondern unterschiedlich
wahrgenommen und beurteilt. Die unterschiedlichen Perzeptionen können
durch unterschiedliche historische Erfahrungen, durch die grundsätzlich
9
In dieser Arbeit wird der Begriff ,,Perzeption" nach Kindermann im Sinne von Wahrnehmung
benutzt.

12
anderen Interessen und durch voneinander abweichende Weltverständnisse
erklärt werden.
,,... [D]er Analytiker [muss] im Bereich der zwischenstaatlichen Politik die
Fähigkeit erlangen, die Fremdperspektiven außenpolitischer
Entscheidungsträger zu erarbeiten, zu beurteilen und im Kontext einer
umfangreichen Konstellation zu berücksichtigen."
10
Diese Vorgehensweise ist
vor allem deswegen von Bedeutung, da die verschiedenartigen
Wahrnehmungen verhaltensprägend sind und eine Erwartungshaltung
nachfolgender Handlungsweisen ermöglicht wird.
1.2.4 Die Verhaltensanalyse
In der Verhaltensstrategie werden anschließend aufgrund der festgestellten
Machtverhältnisse, der Interessenlagen und der unterschiedlichen Perzeptionen
der beteiligten Akteure Anhaltspunkte für Kooperations- respektive
Konfliktstrategien ermittelt.
1.2.5 Die Normenanalyse
Das Spannungsverhältnis zwischen den Forderungen des moralisch, ethisch
und rechtlich Erstrebenswerten einerseits und den Erwägungen des
machtpolitischen und ökonomischen Nutzens andererseits wird im Rahmen der
Rechts- und Normenanalyse untersucht. Unter Norm wird hier die Gesamtheit
aller Sollvorschriften verstanden, die als Kodeterminanten des außenpolitischen
Handelns gewertet werden können.
11
Häufig existiert ein Gegensatz zwischen
normativen Verpflichtungen und der Motivation des unmittelbaren Eigennutzes.
1.2.6 Die Synopsis
Als abschließender Arbeitsschritt wird die Synopsis durchgeführt. Alle in den
vorangegangenen Analysen gewonnenen Erkenntnisse werden Schritt für
Schritt zusammengeführt und als ein kausal erklärbarer
Wirkungszusammenhang interpretiert. Während in den Teilbereichen jeweils die
Konstellation aus der Eigenperspektive der beteiligten Akteure betrachtet
10
Vgl. Meier-Walser (2004), in: http://www.hss.de/downloads/aa35.pdf
11
Hierunter fallen z.B. ideologische, ethische, völker- und staatsrechtliche Normen.

13
wurde, wird nun in der Synopsis die eigene Sicht des Analytikers eingehen, der
zugleich die Konstellationen bewertet.
In den Worten Kindermanns:
,,Beruhend auf multimethodisch und multiperspektivisch erarbeiteten Analysen
systemischer, funktionaler und psychologischer Teilelemente (Kodeterminanten) der
Konstellation strebt die Synopsis nach einer das Ganze des Interaktionsgefüges
umfassenden und integrierenden Erkenntnis vom funktionalen Zusammenhang jener
Ursachen und Wirkungen, die die mehrschichtige und multipolare Struktur der
Gesamtkonstellation ebenso erklärbar machen wie die das Ganze mitprägende und
verändernde Beziehungsdynamik zwischen seinen Teilen."
12
1.3 Abwandlung der Theorie für die vorliegende Diplomarbeit
Die Konstellationsanalyse betrachtet einen Konflikt aus der ex-post-
Perspektive. Dies ist beim Kaschmirkonflikt schwer möglich, da er noch nicht
gelöst ist. Dies ist einer der Gründe, warum eine Abwandlung der
Konstellationsanalyse in diesem Fall nötig ist.
Die Systemanalyse wird zum einen nur auf Indien und Pakistan beschränkt,
zum anderen werden selbst bei diesen beiden Ländern nur Faktoren analysiert,
die für den Konflikt oder das Verständnis der vorliegenden Arbeit von
Bedeutung sind.
Der Fokus dieser Arbeit richtet sich auf die Komponenten ,,Interesse" und
,,Wahrnehmung". Diese Unterkapitel werden bei allen fünf relevanten Akteuren
bis 1972 betrachtet. Es wird deutlich, wie sich die Kaschmirpolitik der Staaten
jeweils mit der Veränderung der Interessen und den unterschiedlichen
Perzeptionen der Politiker wandelte.
13
Im Mittelpunkt der Perzeptionsanalyse
stehen die Wahrnehmungen, die zu Konflikten führten. In dieser Arbeit wird
davon abgesehen, den Akteuren potentielle, geheim geplante oder
Scheininteressen zu unterstellen. Oftmals lassen einige Werke zwar darauf
schließen, aber da diese Art von Interessen nicht belegt werden können,
bleiben sie in dieser Arbeit unerwähnt.
Im Rahmen der Länderanalysen der USA, der Sowjetunion und Chinas wird
daraufhin gezeigt, welche Konflikt- und Kooperationskonstellationen sich aus
den genannten Interessen ergaben. In der Normanalyse wird der Frage nach
12
Vgl. Kindermann (1991), S.142
13
Als Beispiel könnte man die divergierende sowjetische Politik Stalins und Chruschtschows
vergleichen und auch in der amerikanischen Kaschmirpolitik zeigen sich gravierende
Unterschiede unter Präsident Kennedy und Präsident Nixon.

14
einem Plebiszit nachgegangen, welches die endgültige Zugehörigkeit
Kaschmirs hätte klären können.
2. PRÄMISSEN
2.1 Zeitliche Eingrenzung
Laut Konstellationsanalyse ist eine zeitliche und räumliche Begrenzung der zu
untersuchenden Konstellation notwendig. Da der Disput um Kaschmir bis in die
Gegenwart andauert, wird der Konflikt in der internationalen Politik bis 1972
untersucht.
14
Retrospektiv lässt sich festhalten, dass sich die USA, Russland
(UdSSR) und China auf den 1972 geschlossenen Vertrag von Simla beriefen,
um ihren Rückzug aus der aktiven Kaschmirpolitik zu begründen.
2.2 Räumliche Eingrenzung
Räumlich wird der Konflikt eingegrenzt auf den ehemaligen Fürstenstaat
Jammu und Kaschmir,
15
dessen geographische Lage und einige
demographische Merkmale hier genannt werden sollen.
16
Jammu und Kaschmir liegt im geographischen Dreieck zwischen China, Indien
und Pakistan. Es wird begrenzt im Osten durch die chinesische Provinz
Xianjiang und Tibet, im Süden durch die indischen Bundesstaaten Himachal
Pradesh und Punjab, im Westen durch die pakistanische Provinz Punjab und
die Nordwest-Grenzprovinz und im Norden durch Afghanistan.
17
Das Gebiet Jammu und Kaschmirs umfasst ca. 222.236 Quadratkilometer, ist
somit von der Größe her vergleichbar mit Großbritannien, beherbergt aber
lediglich ca. 13 Millionen Einwohner.
18
14
Alternativ hätte auch eine Zäsur 1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der
Öffnung der indischen Wirtschaft, oder 1998, nach den Atombombentests, vorgenommen
werden können. Während alle drei Jahreszahlen Wendepunkte in der Chronik der
internationalen Bemühungen und Interessen im Kaschmirkonflikt darstellen, wurde in dieser
Arbeit 1972 zur zeitlichen Eingrenzung gewählt.
15
Der Begriff ,,Kaschmir" in der Literatur bezieht sich meist auf die umstrittenen Regionen des
ehemaligen Fürstenstaates ,,Jammu und Kaschmir", manchmal aber auch nur auf das
Kaschmirtal
16
Karte s. Anhang I
17
Vgl. Patrick Hönig (2000), S.99-100
18
Allerdings sind aktuelle Zahlen schwer zu erhalten. Nachdem 1991 im Bundesstaat Jammu
und Kaschmir wegen den politischen Unruhen keine Volkszählung durchgeführt werden konnte,
wurden im Jahre 2001 knapp über 10,1 Millionen Einwohner im Bundesstaat Jammu und
Kaschmir gezählt. Vgl. Census of India, in: http://www.censusindia.net/. Ca. 2,8 Millionen

15
Im südlichen und östlichen Teil des ehemaligen Fürstenstaates, der zu Indien
gehört, wohnt die Mehrheit der Bevölkerung und dieses Gebiet verkörpert auch
den flächenmäßig größeren Teil (101.387 Quadratkilometer), zu dem Jammu,
Kaschmir und Ladakh gehören.
Pakistan hingegen kontrolliert das nordwestliche Drittel mit Mirpur,
Muzaffarabad und den Nordgebieten
19
(zusammen ca. 84.100
Quadratkilometer). Der Karakorum- Pass im Norden und Aksai Chin
(zusammen ca. 36.819 Quadratkilometer) im Süden gehören zu China.
20
Der ehemalige Fürstenstaat stellte weder geographisch noch demographisch
oder wirtschaftlich eine Einheit dar, wie Sir Owen Dixon
21
bereits 1950
feststellte. Diese Heterogenität lässt sich durch die besondere geographische
Lage Jammu und Kaschmirs begründen, da sich dort der Schnittpunkt der indo-
arischen, zentral-asiatischen, chinesischen und arabisch-persischen
Kulturkreise bildete.
22
Die immanente Heterogenität des ehemaligen
Fürstenstaates wird oftmals sogar mit einem ,,Mikrokosmos Kaschmir"
23
verglichen, in dem sich die Vielfalt der Religionen, Sprachen und Völker Indiens
widerspiegelt.
Im Folgenden soll ein Blick auf die demographische Distribution
24
in den
einzelnen Teilen Kaschmirs geworfen werden. Zum einen werden dadurch die
diversen Identitäten in der Bevölkerung Kaschmirs deutlich. Zum anderen
erfolgt gerade aus diesen Identitäten meist eine Identifikation mit den von
Indien, Pakistan oder den Verfechtern eines unabhängigen Kaschmirs
vertretenen Interessen und Zielen.
Einwohner leben im pakistanischen Teil von Kaschmir, vgl. Microsoft Encarta Online
Encyclopedia (o. Jahr), in:
http://uk.encarta.msn.com/encyclopedia_761552307/Jammu_and_Kashmir.html steht.
19
Pakistan und Azad Kaschmir einigten sich im Abkommen von Karachi 1949 darauf, dass die
Nordgebiete vorübergehend durch Pakistan verwaltet werden. Die Nordgebiete, ehemals Gilgit
und Baltistan, sorgten später für Unstimmigkeiten zwischen den Vertragsparteien, da Azad
Kaschmir sie als Teil Kaschmirs für sich beansprucht, während Pakistan sie bereits als
integralen Teil des eigenen Staates ansieht.
20
Vgl. Microsoft Encarta Online Encyclopedia (o. Jahr), in:
http://uk.encarta.msn.com/encyclopedia_761552307/Jammu_and_Kashmir.html
21
Sir Owen Dixon war der erste UN-Beauftragte für Indien und Pakistan. ,,The State of Jammu
and Kashmir is not really a unit geographically, demographically or economically. It is an
agglomeration of territories brought under the political power of one Maharajah.", vgl. Cloughley,
Brian (1998), in: http://www.iias.nl/iiasn/17/regions/17CBXA14.html
22
Vgl. Jha (2003), S.118
23
Vgl. Rizvi (1992), S. 49
24
Der Schwerpunkt liegt auf den identitätsstiftenden Merkmalen der Religion und der Sprache.

16
2.2.1 Das Kaschmirtal
Die Bewohner des Kaschmirtals sind zu 95% sunnitische Muslime, lediglich 4%
sind Hindus.
25
Über die Jahrhunderte hinweg entstand ein friedliches
Zusammenleben zwischen Hindus, Muslimen und Buddhisten und daraus ist
ein gemeinsames Gedankengut entstanden, welches Bestandteil der
kaschmirischen Identität, dem Kashmiriyat, wurde.
Über 90% der Bewohner des Kaschmirtals sprechen Kaschmiri, andere
Sprachen und Dialekte, wie z.B. Gojri und Pahari, wurden vom indischen
Zensus unter ,,Hindi" zusammengefasst, so dass eine Unterscheidung und
Zuordnung kaum mehr möglich ist.
26
2.2.2 Die Provinz Jammu
In Jammu leben mehrheitlich Dogra Hindus (66%), außerdem noch
muslimische Paharis und Gujars (fast 30%). Die Muslime leben im Grenzgebiet
zum Kaschmirtal, so dass die Stadt Poonch einen Anteil von 89,06% Muslimen
aufweist, in Rajouri sind 58,28 % der Bevölkerung Muslime und in Doda noch
57,29%. In südlichen Distrikten von der Provinz Jammu hingegen stellen
Muslime eindeutig eine Minderheit dar: Udhampurs Bewohner sind zu 26,22%
muslimisch, in Kathua verringert sich der Anteil drastisch auf 6,96% und in
Jammu verbleiben lediglich 4,27% Muslime.
27
Die Sprache Dogri wird von 53% der Bevölkerung gesprochen, die übrigen
Sprachen werden auch hier zur Sprache Hindi hinzugerechnet.
2.2.3 Ladakh
Im sehr dünn besiedelten Ladakh, in dem Einwohner mongolischer und arischer
Abstammung leben, wird vor allem Tibetisch gesprochen (90%). In dieser
Provinz leben 135.000 Einwohner, davon sind 51% Buddhisten und 46%
Muslime; während Leh überwiegend von Buddhisten bewohnt wird, bilden
schiitische Muslime in Kargil die Mehrheit.
25
Die prozentualen Angaben für alle indischen Regionen beziehen sich auf das Jahr 1981. Vgl.
Kashmir Study Group (2000b), in:
http://www.kaschmirstudygroup.net/awayforward/mapsexplan/religions.html
26
Vgl. Kashmir study Group (2000a), in:
http://www.kashmirstudygroup.net/awayforward/mapsexplan/languages.html
27
Vgl. Hönig (2000), S.102

17
2.2.4 Die Nordgebiete
In den Nordgebieten leben mehr als 99,5% Muslime, doch auch hier kann man
nicht von einer homogenen Einheit sprechen: 50% sind Schiiten, 25% Sunniten
und weitere 25% ismaelitische Anhänger des Aga Khan. Der schiitische Teil
strebt einen Anschluss an Pakistan an, der sunnitische Teil wünscht den
Anschluss an Azad Kaschmir.
28
Es wird Shina (in den Distrikten Gilgit und Diamit) und Balti (in Baltistan)
gesprochen, genaue Prozentangaben sind nicht möglich, da sie vom Zensus
unter ,,andere Sprachen" summiert wurden.
29
2.2.5 Azad Kaschmir
In Azad Kaschmir leben schätzungsweise 3,1 Millionen Einwohner. Mehr als
99,5% der Bevölkerung gehören dem Islam an und 85% der Bevölkerung
sprechen Punjabi. Daneben wird auch Hindko und Potwari gesprochen.
30
Azad
Kaschmir wurde 1974 in Pakistan integriert, nachdem Bhutto die de-facto
Teilung Kaschmirs nach dem Vertrag von Simla akzeptieren musste. Der Status
von Azad Kaschmir bleibt undefiniert ­ es ist weder ein souveräner Staat noch
eine pakistanische Provinz.
31
2.2.6 Aksai Chin
Aksai Chin wird oft auch weiße Wüste genannt, da diese Gegend fast
vollkommen verlassen ist. Der Ort Tianshuihai ist die einzige Siedlung im Aksai
Chin und beherbergt circa 1.600 Menschen.
2.2.7 Karakorum-Pass
Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus den Völkern der Balti und der
Hunza. Allerdings ist die Gegend so spärlich besiedelt, dass keine prozentualen
Angaben über die demographische Zusammensetzung vorliegen.
28
Vgl. Hönig (2000), S.103. Vgl. auch Fußnote 17 hierzu
29
Vgl. Kashmir study Group (2000a), in:
http://www.kashmirstudygroup.net/awayforward/mapsexplan/languages.html
30
Vgl. Wikipedia (2005), in: http://en.wikipedia.org/wiki/Azad_Kashmir, last updated: 19. August
2005
31
Zur Situation in Azad Kaschmir: Vgl. Rose (1992)

18
2.3 Historischer Hintergrund / Entstehung des Konflikts
In diesem Kapitel sollen die Ereignisse des Jahres 1947 in Indien und Pakistan
betrachtet werden, die zum Disput über Kaschmir geführt haben. Eine zentrale
Bedeutung kommt dem überhasteten Abzug der britischen Kolonialherren und
der umstrittenen Art und Weise der Teilung des indischen Subkontinents zu.
2.3.1 Die Teilung von Britisch-Indien
1947 endete das Raj
32
: Britisch-Indien wurde auf der Grundlage des Indian
Independence Act vom 8. Juli 1947 geteilt. Die Regionen mit überwiegend
muslimischer Mehrheit bildeten Pakistan, Indien umfasste die Regionen mit
Hindu- Mehrheiten.
33
Ein letzter Versuch ein geeintes Indien zu behalten, hatte der Cabinet Mission
Plan von 1946 dargestellt, doch dieser scheiterte. Der Plan hatte eine
konföderale Gliederung des indischen Subkontinents in drei Teile vorgesehen:
Pakistan (dazu sollten noch das heute zu Indien gehörende Haryana und der
indische Teil von Punjab gehören), Bangladesh (inklusive Assam und
Westbengalen) und Indien. Der Cabinet Mission Plan wurde zwar sowohl von
Gandhi
34
als auch von Jinnah
35
akzeptiert, allerdings lehnte Nehru
36
diesen
Plan ab,
37
so dass Jinnah unerbittlich für ein unabhängiges Pakistan kämpfte.
2.3.2 Der Sonderstatus der Fürstentümer
Die Verträge der britischen Krone mit den 565 indischen Fürstentümern
erloschen am Tag der Unabhängigkeit.
38
Somit blieben ihnen drei Optionen:
Der Beitritt zu Indien (falls sie eine Hindu-Mehrheit in der Bevölkerung
besaßen), zu Pakistan (bei muslimischer Mehrheit und Angrenzung an Ost-
oder Westpakistan) oder die Unabhängigkeit. Während diese Möglichkeiten
32
,,Raj" bedeutet Herrschaft. In historischem Kontext wird es oftmals als Bezeichnung der
Epoche der britischen Kolonialzeit in Indien verwendet.
33
Pakistan wurde am 14. August unabhängig, Indien am 15. August 1947.
34
Mohandas Karamchand Gandhi, auch Mahatma (,,Grosse Seele") genannt, war der geistige
Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung.
35
Muhammad Ali Jinnah war 1947-1948 Generalgouverneur von Pakistan und Staatsgründer.
36
Jawaharlal Nehru war der erste indische Premierminister.
37
Nehru hatte bis zuletzt auf ein geeintes Indien gehofft und akzeptierte daher diesen Plan
nicht.
38
"The suzerainty of His Majesty over the Indian States lapses, and with it, all treaties and
agreements in force at the date of the passing of this Act between his Majesty and the rulers of
Indian States [...]".
Vgl. Ständige Vertretung Indiens bei den Vereinten Nationen (o. Jahr), in:
http://www.un.int/india/ind29.pdf.

19
formal bestanden, riet Lord Mountbatten den Fürstenstaaten, keinen Gebrauch
von der dritten Option zu machen.
39
Die Fürstentümer folgten dem Rat und traten ­ je nach religiöser Mehrheit ­
Indien oder Pakistan bei; zu Unstimmigkeiten kam es nur im Falle von
Junagadh, Hyderabad und Kaschmir.
Junagadh und Hyderabad hatten eine hinduistische Bevölkerungsmehrheit,
wurden aber von einem muslimischen Fürsten regiert. Während Hyderabad sich
im Süden Indiens befand, lag Junagadh zwar in der Nähe von Westpakistan,
grenzte aber nicht direkt an Pakistan. Kaschmir hingegen hatte eine
muslimische Bevölkerungsmehrheit, wurde von einem Hindu-Fürsten regiert
und grenzte sowohl an Pakistan als auch an Indien.
40
Der Nizam
41
von Hyderabad wollte unabhängig werden, wurde durch das
indische Militär allerdings daran gehindert. Der Nawab
42
von Junagadh trat
formal Pakistan bei, das von Jinnah akzeptiert wurde, aber Indien ließ ein
Plebiszit durchführen, welches als Ergebnis den Beitritt zu Indien vorsah. Der
Hindu Maharaja von Kaschmir, Hari Singh, blieb unentschlossen. Während
Junagadh und Hyderabad von Indien annektiert wurden und heute unumstritten
Teile der Republik Indiens darstellen, bleibt die Zugehörigkeit Kaschmirs bis in
die Gegenwart umkämpft.
,,Taking the larger view of developments to date, Kashmir, Hyderabad and Junagadh
are essentially one situation and react on each other."
43
Die historischen Ereignisse in Junagadh und Hyderabad stellten Präzedenzfälle
dar und beeinflussten daher die Frage nach der Legalität des Beitritts von
Kaschmir zu Indien.
39
Eintrag vom 23.Juni 1947: ,,Mountbatten ... urged [the Maharaja of Kashmir] and his Prime
Minister, Pandit Kak, not to make any declaration of independence, but to find out in one way or
another the will of the people of Kashmir as soon as possible [and to accede to India or
Pakistan by the 14th August]", vgl. Campbell-Johnson (1977), S.120
40
Der Bezirk Gurdaspur im Punjab, der die einzige Landverbindung zwischen Indien und
Kaschmir darstellt, war bei der Teilung Indien zugesprochen worden; ansonsten hätte Kaschmir
nur eine Grenze mit Pakistan gehabt
41
Nizam ist ein muslimischer Herrschertitel auf dem indischen Subkontinent.
42
Nawab ist ein muslimischer Herrschertitel auf dem indischen Subkontinent.
43
Dieser Tagebucheintrag wurde datiert mit dem 10. November 1947 und gibt eine
Pressemitteilung wieder, die Campbell- Johnson vorbereitet hatte. Vgl. Campbell- Johnson
(1977), S.249.

20
2.3.3 Der Beitritt Kaschmirs zu Indien
Maharaja Hari Singh hatte versucht Indien und Pakistan gegeneinander
auszuspielen und Jammu und Kaschmir in die Unabhängigkeit zu führen.
44
"As Your Excellency is aware, the State of Jammu and Kashmir has not acceded to
either the Dominion of India or Pakistan. Geographically my State is contiguous with
both of them. Besides, my State has a common boundary with the Union of Soviet
Socialist Republics and with China. In their external relations the Dominion of India and
Pakistan cannot ignore this fact. I wanted to take time to decide to which Dominion I
should accede or whether it is not in the best interests of both the Dominions and of my
State to stand independent, of course with friendly and cordial relations with both."
45
Die benötigte Bedenkzeit wurde abrupt durch pakistanische
Stammesangehörige abgebrochen, die einen Aufstand gegen den Maharaja
führten und sich Srinagar bedrohlich näherten. Der Maharaja schrieb
diesbezüglich an Lord Mountbatten:
,,... soldiers in plain clothes, and desperadoes with modern weapons have been allowed
to infiltrate into the State... The result has been that the limited number of troops at the
disposal of the State had to be dispersed and thus had to face the enemy at several
points simultaneously, so that it has become difficult to stop the wanton destruction of
life [and] property and the looting of the Mahura power house, which supplies electric
current to the whole of Srinagar and which has been burnt. The number of women who
have been kidn[a]pped and raped makes my heart bleed... The mass infiltration of
tribesman drawn from distant areas of the North-West Frontier Province, coming
regularly in motortrucks, using the Manwehra-Mazaffarabad road and fully armed with
up-to-date weapons, cannot possibly be done without the knowledge of the Provincial
Government of the North-West Frontier Province and the Government of Pakistan. "
46
Die Rolle der pakistanischen Regierung bleibt in der Literatur umstritten. Der
Maharaja von Jammu und Kaschmir geriet unter Druck und rief das indische
Militär um Hilfe. Lord Mountbatten riet Nehru, ihm diese Hilfe nur zu gewähren,
wenn Maharaja Hari Singh zuvor der Indischen Union beitreten würde.
Daraufhin unterzeichnete der Maharaja das Instrument of Accession
47
am 26.
Oktober 1947, welches von Lord Mountbatten am folgenden Tag akzeptiert
wurde. Lord Mountbatten fügte in seinem Brief hinzu:
"In consistence with their policy that in the case of any State where the issue of
accession has been the subject of dispute, the question of accession should be decided
44
Vgl. Hönig (2000), S.29
45
Vgl. Kashmir Information Network (2001b), in:
http://www.kashmir-information.com/LegalDocs/Maharaja_letter.html
46
ebd.
47
Die Authentizität dieses Dokuments wird nicht nur von pakistanischer Seite bezweifelt.
Namhafte Wissenschaftler, wie z.B. Alastair Lamb, zweifeln die rechtmäßige Unterschrift
Maharaja Hari Singhs an. Das Originaldokument sei nicht in den Staatsarchiven von Jammu
und Kaschmir zu finden und von indischer Seite wird dieses auch nicht präsentiert, um den
Vorwurf zu entkräften. Vgl. Hönig (2000), S.33/34

21
in accordance with the wishes of the people of the State, it is my Government's wish
that, as soon as law and order have been restored in Kashmir and its soil cleared of the
invader, the question of the State's accession should be settled by a reference to the
people."
48
Indische Truppen wurden nach Srinagar geschickt und kämpften dort gegen die
Rebellen. Nehru versuchte den pakistanischen Premierminister Liaqat Ali Khan
zu beruhigen und schrieb ihm ein Telegramm am 31. Oktober 1947:
" ... our assurance that we shall withdraw our troops from Kashmir as soon as peace
and order are restored and leave the decision about the future of the State to the people
of the State is not merely a pledge to your government but also to the people of Kashmir
and to the world."
Das Versprechen von Nehru ein Plebiszit in Kaschmir abhalten zu wollen,
sobald Recht und Ordnung in Kaschmir eingekehrt seien, wurde von ihm
mehrmals öffentlich wiederholt.
Zum einen bleibt festzuhalten, dass völkerrechtlich gesehen der gesamte
Fürstenstaat durch das Instrument of Accession der Indischen Union beitrat und
somit integraler Bestandteil Indiens wurde.
49
Zum anderen wurde Nehrus
Versprechen, den Willen des Volkes zu konsultieren, rechtlich bindend.
50
2.3.5 Zentrale Problemstruktur und weltpolitische Einordnung
Der hier zu untersuchende Konflikt dreht sich um die Frage nach der
Zugehörigkeit Kaschmirs. Während Neu Delhi auf den Beitritt des Maharajas
Hari Singh zu Indien verweist, akzeptiert Pakistan diesen Beitritt nicht. Er sei
durch ,,Betrug und Gewalt"
51
herbeigeführt worden und da die Bevölkerung
Kaschmirs eine muslimische Mehrheit darstellt, hätte Kaschmir Pakistan
beitreten müssen. Der Kaschmirkonflikt dauert nun fast sechs Jahrzehnte an
48
Vgl. Kashmir Information Network (2001c), in:
http://www.kashmir-information.com/LegalDocs/115.html
49
Nähere Ausführungen hierzu bei Hönig (2000), S.32 ­ 44. Hönig legt hier auch ausführlich
dar, dass der Beitritt des Fürstentums Jammu und Kaschmir zu Indien trotz möglicherweise
entgegenstehenden Willens der Bevölkerung rechtswirksam wurde, da dies vor der
Verankerung des Selbstbestimmungsrechtes als Rechtsprinzip stattfand.
50
Vgl. Hönig (2000), S. 44-49
51
Der indische UN-Botschafter Menon faßte die pakistanischen Anschuldingungen gegenüber
Indien zusammen: "That
India
obtained the accession to the State of Jammu and
Kashmir
by
fraud and violence
, and that large-scale massacre, looting and atrocities on the Muslims of
Jammu and
Kashmir
State have been perpetrated by the armed forces of the Maharajah of
Jammu and
Kashmir
and the Indian Union and by the non-Muslim subjects of the Maharajah and
of the Indian Union." Vgl. Ständige Vertretung Indiens bei den Vereinten Nationen (o. Jahr), in:
http://www.un.int/india/ind29.pdf.

22
und verkörpert den zentralen Zankapfel zwischen Indien und Pakistan, der eine
Einigung auf anderen Problemfeldern verhindert.
Dieser bilaterale Streit fand durch den Zusammenprall vor allem ideologischer
Interessen der USA und der Sowjetunion den Weg in die internationale Politik.
Die Rolle Chinas ist auch zu beachten, da dieses Land seit Anfang der 1960er
Jahre aktiv die Entwicklung des Kaschmirkonflikts mitbestimmt hatte.
3. INDIEN UND PAKISTAN
3.1 Systemanalyse
Die Systemanalyse untersucht grundsätzlich alle Akteure (hier: Staaten) einer
Konstellation und solche, die Einfluss auf die Außenpolitik eines Staates haben.
Auf eine umfassende Systemanalyse der Staaten Indien und Pakistan wird hier
verzichtet. Es werden nur solche Faktoren untersucht, die im direkten Bezug zu
Kaschmir oder im Rahmen der internationalen Konfliktkonstellation relevant
sind. Auf eine Systemanalyse der USA, der Sowjetunion und Chinas wird
gänzlich verzichtet.
52
3.1.1 Indien
3.1.1.1 Die Legislative
Die Verfassung gibt für alle Bundesstaaten eine Art Standardverfassung vor ­
eine Ausnahme bildet hierbei Kaschmir nach Artikel 370 der indischen
Verfassung. Die Legislative in den Staaten liegt bei den Legislative Assemblies,
die für jeweils fünf Jahre gewählt werden. In fünf Unionsstaaten, darunter
Jammu und Kaschmir, existiert neben dieser Institution auch noch ein
Legislative Council, der ähnlich dem Rajya Sabha
53
eine ständige Einrichtung
ist.
3.1.1.2 Die Exekutive
Der Präsident ernennt auf Vorschlag des nationalen Ministerrates Gouverneure
als Chefs der einzelnen Unionsstaaten, die ähnlich dem Präsidenten der Union
52
Eine Systemanalyse dieser Staaten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
53
Rajya Sabha ist das Oberhaus des indischen Parlamentes, in dem die Bundesstaaten
vertreten sind.

23
eine eher repräsentative Rolle einnehmen. Die Regierungsgeschäfte werden in
ihren Namen von den Ministerräten der Unionsstaaten geführt, deren Vorsitz
die Chief Ministers führen. Es besteht die Möglichkeit, dass die
Landesregierungen durch den sogenannten President´s Rule von der
Unionsregierung abgesetzt und der direkten Kontrolle Neu Delhis unterstellt
werden. Falls dies eintritt, übernimmt der Gouverneur die Verwaltung.
3.1.1.3 Außenpolitische Entscheidungsträger
Bereits vor dem Abzug der Briten kristallisierten sich die Eckpfeiler der
indischen Außenpolitik heraus: ,,Antikolonialismus, Pazifismus und die
Ablehnung von vertraglichen Bindungen an fremde Mächte"
54
prägten die
indische Außenpolitik in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit.
Auch die Überzeugung, dass ein freies Indien von seinen Nachbarn nichts zu
befürchten hätte, hatte sich schon Ende der 1920er Jahre gebildet und hielt sich
bis 1962, als China Indien überraschend angriff.
Während seiner gesamten Amtszeit verband Nehru das Amt des
Außenministers mit dem des Premierministers: Sogar sein Büro befand sich im
Außenministerium.
55
Auch einige seiner Nachfolger, darunter Lal Bahadur
Shastri, Indira Gandhi, Rajiv Gandhi und Atal B. Vajpayee, verbanden oftmals
beide Ämter in Personalunion.
56
Viele der zentralen außenpolitischen
Entscheidungen, wie z.B. der Einmarsch in Goa 1961 und der indisch-
sowjetische Freundschaftsvertrag 1971, wurden von dem jeweiligen
Premierminister und seinen Beratern gefällt, während das Außenministerium
und das Kabinett kaum Mitspracherechte hatten.
57
3.1.1.4 Das indische Militär
Das indische Militär stellt heute mit 1,3 Millionen Soldaten die viertgrößte
Streitkraft der Welt dar: 170.000 sind bei der Luftwaffe, 55.000 bei der Marine
und 1.100.000 bei der Armee beschäftigt. Der indische Präsident ist der
militärische Oberbefehlshaber, für die Planung der Verteidigung ist das Kabinett
verantwortlich, für die Umsetzung der Beschlüsse trägt wiederum der
54
Vgl. Rothermund (1994), S.119
55
Vgl. Rothermund (1994), S.118
56
Vgl. Indian Ministry of External Affairs (o. Jahr), in:
http://mealib.nic.in/html/forgmin/formins.htm
57
Vgl. Wagner (2001), in: http://www.swp-berlin.org/common/get_document.php?id=231

24
Verteidigungsminister die Verantwortung. Die höheren Posten im
Verteidigungsministerium sind fast durchgängig mit zivilen Beamten besetzt und
bis heute hat sich die Autorität der Politik gegenüber dem Militär erhalten.
Die indische Armee hat seit 1947 vier Kriege ­ drei gegen Pakistan und einen
gegen China ­ geführt und ist in diversen UN-Peace-Keeping-Missionen tätig.
In der Vergangenheit wurde sie allerdings auch für die Einigung des heutigen
Unionsterritoriums eingesetzt ­ so z.B. 1947 beim gewaltsamen Anschluss des
Fürstentums Hyderabad und 1961 bei der portugiesischen Kolonie Goa. Durch
ihren Einsatz in Sri Lanka 1987 und auf den Malediven 1988 sollte sie den
regionalen Führungsanspruch Indiens unterstreichen.
In Indien herrscht, trotz einiger Kritik, ein breiter Konsens über den
Verteidigungshaushalt (2,2% des BIP im Jahr 1998)
58
und über die Rolle des
Militärs, das der Regierung gegenüber stets loyal geblieben ist.
3.1.2 Pakistan
Pakistan wurde am 14. August 1947 unabhängig und erhielt 1956 seine erste
Verfassung, der noch zwei weitere ­ 1973 und 1985 ­ folgen sollten. Durch
zahlreiche Militärherrschaften blieb es jedoch ein unbeständiges
demokratisches System.
Pakistan ist in der 1985er Verfassung als souveräne, republikanische,
islamische Republik bezeichnet, die als Bundesstaat in vier Provinzen -
namentlich Baluchistan, Sindh, Punjab und die Nordwestliche Grenzprovinz -
dem Bundesterritorium der Hauptstadt Islamabad und den Stammesgebieten
gegliedert ist. Außerdem kontrolliert Pakistan den westlichen Teil von Kaschmir,
genannt Azad Kaschmir.
3.1.2.1 Außenpolitische Entscheidungsträger
In Pakistan hat neben dem Präsidenten und dem Außenminister das Militär
einen herausragenden Einfluss auf die pakistanische Außenpolitik. Die
Mitbestimmung des Militärs wird ­ in Zeiten demokratischer Regierungen - vor
allem durch den Nationalen Sicherheitsrat ausgeübt.
58
Vgl. Reddy (o. Jahr), in:
http://www.southasianmedia.net/Magazine/Journal/indopak_defence.htm

25
Einen Großteil der jüngeren Geschichte wurde Pakistan vom Militär regiert:
zuerst von General M. Ayub Khan ab 1958, dem 1969 General Ayub Khan
folgte. Nach einem Militärputsch gegen Zulfikar Ali Bhutto 1977 regierte dann
General Zia Ul-Haq bis 1988 ­ bis 1985 sogar unter Kriegsrecht. Seit Oktober
1999 leitet nun General Pervez Musharraf die Regierungsgeschäfte. Wenn man
die Regierungszeiten summiert, wird deutlich, dass der Staat Pakistan während
der Hälfte seiner Geschichte vom Militär regiert wurde. In der anderen Hälfte
agierte das Militär aus dem Hintergrund mit.
3.1.2.2 Das pakistanische Militär
Der Einfluss des Militärs ist nicht auf die Politik beschränkt: Es besitzt das
größte Warentransportsystem, die größte wirtschaftliche Investmentgruppe und
den größten Zusammenschluss im Gesundheitssektor. Das Militär ist selbst der
größte Arbeitgeber und die meisten Eliteschulen stehen unter Leitung der
pakistanischen Armee.
59
Im pakistanischen Militär arbeiten 45.000 Soldaten für die Luftwaffe, 25.000 für
die Marine und 550.000 in der Armee, während weitere 513.000 sich in der
Reserve befinden.
3.1.2.3 Innergesellschaftliche Einflüsse: Islamistische Extremisten
Neben den zwei großen Parteien ­ der Pakistan Muslim League (PML), der
Ayub Khan und Nawaz Sharif angehörten, und der Pakistan People´s Party
(PPP), die von Zulfikar Ali Bhutto und seiner Tochter Benazir geführt wurden,
haben in Pakistan islamistische Parteien und Extremisten einen hohen Einfluss
auf die Bevölkerung, die Innen- sowie die Kaschmirpolitik.
Die einflussreichste religiöse Partei ist die Jamaat-i-Islami (JI), die 1941
gegründet und zu einer lautstarken Opposition gegen den säkularen Staat
aufgebaut wurde. Diese Partei fordert für die Gesellschaft einen reinen Islam,
der alle Lebensbereiche umfasst und keine Spuren einer südasiatischen Kultur
vorweist. Obwohl sie keine starke Präsenz im Parlament vorweist, konnte sie
viele Verfassungszusätze in ihrem Sinne beeinflussen und die Verfolgung der
Ahmadiyya
60
durchsetzen. JI unterstützt ­ v.a. durch ihre Studentenorganisation
59
Vgl. Bhatt / Futehally (2004), S.34/35
60
Ahmadiyyas gehören der islamischen Religionsgemeinschaft an. Sie glauben, dass der am
Ende des 19. Jahrhundert in Erscheinung getretene Hazrat Mirza Ghulam Ahmad der Messias
war und die Vereinigung aller Religionen unter dem Banner des Islams einleitete.

26
Jamiat-i-Talaba (IJT) ­ militante Gruppen in Kaschmir, darunter die Hizbul
Mujahideen. Von der ebenfalls religiösen Partei Jamiat-e-Ulema Islami (JUI(F)
und JUI(S)) wird Harkat Ul Mujahideen unterstützt.
Zu den religiösen Rechten gehört außerdem noch die Jamiat-e-Ulama-e-Islam
(JUI), der ein gewisser Einfluss auf die afghanischen Taliban nachgesagt
wurde. Die Sipah-e-Sahaba-e-Pakistan (SSP), die Sipah-e-Mohammad und die
Mizam-e-Mustapha gehören zu den gewaltbereiten radikal-sunnitischen
Gruppierungen.
3.2 Interessenanalyse Indien und Pakistan
Indien und Pakistan haben in Kaschmir eine Vielzahl von Interessen, die sich in
den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gefestigt haben. In diesem Kapitel sollen
die ideologischen und strategischen Interessen der beiden Nachbarstaaten
beleuchtet werden. Ein Kerninteressenpunkt Indiens ist die Angst vor einer
weiteren Balkanisierung des Unionsstaates, die von einer Unabhängigkeit
Kaschmirs ausgelöst werden könnte.
3.2.1 The Muslim Question: Zweinationentheorie vs. Säkularismus
,,India doesn´t want Moslem Kashmir to go to Pakistan just for the sake of being Moslem
because that will... damage their secular set-up. And Pakistan doesn´t want Moslem
majority Kashmir to go to India because that is going to destroy their two-nation theory."
Amanullah
Khan
61
Ideologisch wird Kaschmir von beiden Ländern benötigt, um das eigene
Selbstverständnis zu unterstreichen und ihm Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Pakistan hat sich seit seiner Entstehung als alleiniger Vertreter aller Muslime
Südasiens verstanden. Als Fundament hierzu diente die Zweinationentheorie,
die bereits 1930 aufkam. Damals wurden die Forderungen nach einer Teilung
Indiens laut. Als einer der ersten hatte Muhammad Iqbal, der Präsident der
Muslimliga, den Vorschlag eines autonomen Muslimstaates formuliert. Rahmat
Ali, Jurastudent in Cambridge, nahm diesen Vorschlag auf und schuf das
Akronym Pakistan, das sich aus den Anfangsbuchstaben der Provinzen Punjab,
Afghanistan,
62
Kaschmir und Sind und der Endung der Provinz Belutschistan
61
Vgl. Hönig (2000), S. 235; Amanullah Khan war Chef der JKLF
62
Dies bezieht sich nur auf das Gebiet der Pathanen in der damaligen North Western Frontier
Province.

27
bildete. Diese Provinzen sollten Pakistan bilden - allerdings wurden somit die
Muslimen in Bengalen vergessen und Rahmat Ali erfand den Namen
Bangistan,
63
der sich allerdings nicht halten konnte und so wurde der Ostteil
Bengalens, der eine muslimische Mehrheit besaß, zu Ostpakistan.
Mohammad Ali Jinnah, der zum Staatsgründer Pakistans werden sollte, war
anfangs noch wenig überzeugt von Rahmat Alis Ideen gewesen, übernahm
diese dann allerdings 1940. Jinnah hatte Angst, dass in einem geeinten Indien
die Muslime Muslime und die Hindus Hindus wählen würden und aufgrund der
Mehrheitsverhältnisse die Hindus fortan über die Muslime herrschen würden.
Das ,,British Raj" wäre somit durch das ,,Hindu Raj" abgelöst worden, ohne dass
sich die Situation der Muslime verbessert hätte.
"The Hindus and Muslims belong to two different religious philosophies, social customs,
literatures. They neither intermarry nor interdine, and indeed they belong to two different
civilisations which are based on conflicting ideas and conceptions. [...] To yoke together
such nations under a single state, one as a numerical minority, and the other as a
majority, must lead to growing discontent and final destruction of any fabric that may be
so built up for the government of such a state."
64
Mohammad
Ali
Jinnah
Jinnah forderte fortan eine Teilung Britisch Indiens mit der Begründung, dass
Muslime und Hindus zwei verschiedene Nationen seien. Die
,,Zweinationentheorie" wurde zur Existenzbegründung Pakistans und formte das
fundamentale Selbstverständnis des Landes. Von dieser Theorie abzulassen
war gleichbedeutend mit dem Geständnis, dass die Gründung Pakistans nicht
notwendig gewesen sei. Die Theorie bezog sich nur auf die Muslime Südasiens,
da diese durch die gemeinsame Kultur und die historische Erfahrung während
des Kolonialismus geeint waren. Zudem bestand auch seitens der arabischen
Staaten kein Interesse an einem islamischen Bündnis, das sich gegen Indien
gerichtet hätte. Die Gültigkeit der Zweinationentheorie erlitt herbe Schäden, als
sich die Kaschmiris 1947 weigerten, von Pakistan ,,befreit" zu werden. Auch die
Unabhängigkeitsbewegung des ebenfalls muslimischen Ostpakistans stellte
diese Theorie in Frage. Diese mündete schließlich 1971 in die Gründung des
unabhängigen Staates Bangladesch.
Von Indien wurde diese Theorie und somit die Notwendigkeit eines eigenen
Staates für die Muslime bis heute nicht akzeptiert. Indien verstand sich als
63
Vgl. Rothermund (2004)
64
Vgl. Zingel (1998), S.114

28
säkularer, multireligiöser und multilingualer Vielvölkerstaat. Zudem hätten - bei
einer strikten Anerkennung der Theorie - alle Muslime, die in Indien verblieben
waren, nach Pakistan umsiedeln müssen. Dies wären jedoch 40 Millionen
Menschen gewesen, die wahrscheinlich einen Zusammenbruch Pakistans
verursacht hätten. Die rechten Hardliner in Indien fordern bis heute Pakistan
auf, dass sie, wenn sie Kaschmir haben wollen, sich auch gleichzeitig auf die
Aufnahme der übrigen Muslime, also inzwischen fast 140 Millionen Menschen,
vorbereiten sollen. Einige wenige Extremisten sprechen in diesem
Zusammenhang sogar von einer zu vollziehenden systematischen Vertreibung
aller Muslime. Dieses Argument wurde auch als Druckmittel gegenüber den
indischen Muslimen eingesetzt, die in der Kaschmirfrage eindeutig für Indien
und gegen Pakistan Position beziehen sollten. In diesem Kontext ist auch das
Muslim Memorandum von 1951 zu verstehen, in dem führende indische
Muslime, darunter der spätere indische Präsident Dr. Zakir Hussain, in einem
Brief an Dr. Frank Graham das pakistanische Handeln in Kaschmir streng
verurteilten und betonten, dass sie es nicht nur Nehru und Gandhi, sondern
auch der Tradition der Toleranz und der indischen Verfassung zu verdanken
haben, dass die Muslime in Indien in Ehre und Frieden leben konnten.
65
Dieses
Memorandum folgte einer Aufforderung des damaligen indischen
Innenministers Sardar Patel, der die indischen Muslime gedrängt hatte, ihre
Loyalität gegenüber Indien zu bezeugen. Bis heute werden häufig indische
Muslime aufgefordert, dass sie sich von Pakistan distanzieren, die
pakistanischen Positionen verurteilen und selbst im Sport gegen Pakistan Partei
beziehen sollen. Somit wird allerdings unabsichtlich die Zweinationentheorie
bestätigt, da die muslimischen Inder stärker in ihrer muslimischen Identität als in
ihrer indischen Identität wahrgenommen werden und von ihnen ein besonderes
Bekenntnis zu Indien abverlangt wird, das von den übrigen
Religionsgemeinschaften nicht gefordert wird.
Nehru hingegen sah die Muslime als integralen Bestandteil der indischen
Bevölkerung und betonte, dass die Menschen mehr durch ihre Kultur und
Sprache miteinander verbunden wären als durch ihre Religion.
65
Vgl. Omar Khalidi (1992), S. 279

29
,,If a number of Hindu and Moslem Bengali happen to meet anywhere, in India or
elsewher, the will imediately congregate together and feel at home with eachother.
Punjabis, whether Muslim or Hindu or Sikh, will do likewise.
66
Genauso spricht man in Kaschmir von einer gemeinsamen Identität aller
Kaschmiris, dem Kaschmiriyat, das sie von den übrigen Südasiaten
unterscheidet.
Nehru sah die Möglichkeit, die Relevanz der religiösen Differenzen durch eine
gemeinsame, alles überbrückende historische und kulturelle Erfahrung und
durch die gemeinsame Sprache, Rasse und Kultur zu minimieren. Doch an der
Frage der Rechte der Minderheiten spaltete sich die politische Elite und diese
Frage bleibt bis heute ungelöst. Die Fraktion, die für ein gemeinsames und
gleichberechtigtes Zusammenleben eintrat, wurde in der Vergangenheit von
namhaften Persönlichkeiten geführt wie Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru,
Indira, Rajiv und Sonia Gandhi, Lal Bahadur Shastri, V.P. Singh und
Chandrasekhar, während die Gegenseite, darunter Vallabhai Patel vom INC,
Shyama Prasad Mookherji vom Hindu Mahasabha, Bal Thakeray von Shiv
Sena und L.K. Advani von der BJP, eine privilegierte Stellung der Hindus
forderte und sich oftmals anti-islamisch äußerte.
67
Ihnen gingen die
Forderungen der gemäßigten politischen Führung nach Gleichberechtigung
entschieden zu weit. Mahatma Gandhi, der die Teilung Indiens im Herzen nie
akzeptieren wollte und sein Lebenswerk dadurch als gescheitert ansah, wollte
sich mit seinem letzten Hungerstreik für ein faires Verhalten gegenüber den
Muslimen in Indien und den Muslimen in Pakistan während dem ersten indisch-
pakistanischen Krieg einsetzen. Als er schließlich noch die vereinbarte Teilung
des britisch-indischen Militärbudgets forderte, ging das einigen Hardlinern
entschieden zu weit und Gandhi wurde im Januar 1948 erschossen.
Nach Gandhis Tod, zwei weiteren Kriegen gegen Pakistan und ständigen
Scharmützeln an der LoC
68
, bleibt die Muslim Question ungelöst. Viel wird
darüber debattiert, wohin die Muslime des indischen Subkontinents gehören.
Kaschmir ist stets ein integraler Bestandteil dieser Frage geblieben. Fast
sechzig Jahre nach der Teilung ist es für die indischen Muslime nicht
vorstellbar, nach Pakistan oder Bangladesch auszuwandern. Doch falls
66
Vgl. Nehru (1960), S.249
67
Vgl. Thomas (1992), S. 13
68
"Line of Control", die Waffenstillstandslinie zwischen Indien und Pakistan

30
Kaschmir unabhängig werden würde, hätte das eine sofortige Auswirkung auf
die in Indien verbleibenden Muslime. Die Sezession Kaschmirs würde die
Argumentation der hinduistischen Nationalisten unterstreichen, die den
Muslimen fehlende Loyalität vorwerfen.
,,Sowohl Indien als auch Pakistan sind durch ihre Staatsidee dazu verpflichtet, in
Kashmir nicht nachzugeben."
69
Dietmar
Rothermund
Bei beiden ideologischen Interessen, die bis heute von Indien und Pakistan
noch vertreten werden, stellt sich die Frage, wie realitätsnah sie waren und
heute noch sind. Ein pakistanischer Alleinvertretungsanspruch für alle Muslime
Südasiens wurde spätestens durch die Gründung Bangladeschs negiert. Doch
auch der indische Säkularismus büßte erheblich durch die zahlreichen
rechtsnationalen, teilweise extremistischen Strömungen und die sich häufenden
religiösen Ausschreitungen an Überzeugungskraft ein. Zudem wirkt es absurd,
dass Jammu und Kaschmir, als einziger Bundesstaat mit einer muslimischen
Bevölkerungsmehrheit, dazu gezwungen werden muss, als alleiniger Garant für
den indischen Säkularismus Teil der Indischen Union zu bleiben. Ein schwer zu
einzuschätzender Punkt ist zudem, wie sehr die Bevölkerung Indiens ein
friedliches, säkulares Prinzip verinnerlicht hat und ob eine Sezession Kaschmirs
zu verstärkter minderheitenfeindlicher Propaganda und zu blutigen
Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen führen würde. Diese würden
womöglich grausamer sein als diejenigen im Jahre 1947.
70
Abschließend sei auf Omar Khalidi verwiesen, der feststellt, dass die reale
Situation der Bengalen und der Mohajirs
71
in Pakistan einerseits und die
Situation der Muslime in Indien andererseits beiden ideologischen Konzepten
widersprechen, da die genannten Gruppen im eigenen Lande diskriminiert
werden.
72
69
Vgl. Rothermund (1997), in: http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/03_jb97_19.pdf
70
Vgl. Kapitel 3.4.1
71
urdusprachige Bevölkerung, die nach der Teilung aus Indien nach Pakistan ausgewandert ist.
Vgl. Zur Lage der Mohajirs auch: Khan (2004)
72
Vgl. Omar Khalidi (1992), S. 283

31
3.2.2 Indiens Angst vor einer Balkanisierung
Von außen gesehen bleibt die Bevölkerung Südasiens bis heute noch wenig
unterscheidbar: Raju Thomas nennt dies den ,,Curry ­ Sari" bzw. ,,Salwar
Kameez ­ Cricket" ­ Mix, der die Bevölkerung homogen erscheinen lässt. Dass
dies keinesfalls der Fall ist, ist in Südasien deutlich. Doch umstritten bleibt die
Frage, ob das Dach der Gemeinsamkeiten, z.B. die prägenden Erfahrungen der
Kolonialgeschichte und die sie vereinenden kulturellen Elemente, ausreicht, um
eine solch vielfältige Nation zusammenzuhalten oder ob schließlich doch
einzelne Faktoren wie die Religion oder die Sprache alleine identitätsstiftend
sind und somit eigene Nationen darstellen könnten. Falls letzteres der Fall
wäre, so müsste ­ laut Forderung der Separatisten - jeder religiösen
Gemeinschaft in Indien ein eigener Staat zugestanden werden: Kaschmir den
Muslimen, Punjab den Sikhs, Kerala den Christen und womöglich eine kleine
Region um Dharamsala den Buddhisten. Eine Gliederung nach
Sprachgemeinschaften (,,Tamil Nadu den Tamilen") wäre auch denkbar. Solch
eine Balkanisierung des Landes war das schlimmste Szenario, das sich Neu
Delhi vorstellen konnte, und dies galt es seit jeher zu verhindern. In diesem
Sinne riet bereits im August 1947 Lord Mountbatten den Fürsten von der formal
gewährten Wahlmöglichkeit der Unabhängigkeit ab, die eine Zersplitterung des
Subkontinents zur Folge gehabt hätte. Doch mit der Teilung des Landes 1947
war die Gefahr keinesfalls gebannt - in Tamil Nadu, im Punjab und in Assam
flammten in der Vergangenheit wiederholt Unruhen auf, die das Ziel der
Unabhängigkeit ihrer jeweiligen Region verfolgten. Einige Studentengruppen
der Sikhs, wie z.B. die AISSF
73
, unterstützten daher die kaschmirische
Unabhängigkeitsbewegung, da sie sich von dem Erfolg dieser Operation eine
bessere Ausgangsbasis für ihre eigenen Forderungen erhofft hatten.
74
Pakistan
wurde beschuldigt, gezielt eine Balkanisierung Indiens zu verfolgen und
verschiedene separatistische Gruppen zu unterstützen,
75
um den überlegenen
Nachbarn zu schwächen, doch dies wurde von Pakistan negiert.
73
All India Sikh Students Federation
74 Vgl. Mushahid Hussain (1992), S. 345, Endnote 1
75 Vgl. New Kerala (2004), in:
http://news.newkerala.com/india-news/?action=fullnews&id=41745

32
3.2.3 Strategische Interessen
Neben den offiziell propagierten Interessen in Kaschmir ist die geostrategische
und sicherheitspolitische Dimension nicht zu vernachlässigen. Von den fünf
geographischen Toren zu Indien ist Chitral in Kaschmir das am niedrigsten
gelegene und somit auch das, zu dem man am leichtesten Zugang hat.
76
Andererseits genügt ein Blick auf die Landkarte, um die Ängste Pakistans zu
verdeutlichen: Falls indische Truppen an der westlichen Grenze von Kaschmir
stationiert werden würden, würde dies eine ständige Gefahr für die Sicherheit
Pakistan dar stellen und es würde sich in seiner Unabhängigkeit bedroht sehen.
Außerdem geht es in Kaschmir um die Kontrolle über einen bedeutenden Teil
der Wasserressourcen Südasiens und um wichtige Zugänge nach Zentralasien.
Offiziell wird diese Dimension des Kaschmir-Konfliktes von pakistanischer Seite
nicht genannt, da sie mit dem Bild des selbstlosen Kampfes für das
Selbstbestimmungsrecht der Kaschmiris schwer vereinbar ist. Doch im
indischen Teil Kaschmirs entspringen die Flüsse Chenab, Indus, Jhelum, Ravi
und Sutlej, von denen die pakistanische Landwirtschaft abhängig ist. 1960
wurde ein Irrigationsabkommen namens Indus Water Treaty geschlossen, dass
die Brisanz in den Streitigkeiten zwischen den beiden Ländern minderte.
Während des Kalten Krieges beanspruchte Pakistan zudem die Nordgebiete,
da sie sicherheitspolitisch als überlebenswichtig angesehen wurden.
3.3 Machtanalyse
In einer Machtanalyse soll grundsätzlich gezeigt werden, wer sich im Konflikt
durchsetzen konnte. Da der Kaschmirkonflikt allerdings kein gelöster und somit
abgeschlossener Konflikt ist, lässt sich primär festhalten, dass sich weder
Indien noch Pakistan durchsetzen konnten ­ auch nicht mit Hilfe ihrer jeweiligen
Bündnispartner USA, UdSSR und China, auf die später eingegangen wird.
Obwohl Indien militärisch (im Hinblick auf die Ressourcen) und wirtschaftlich
seit der Teilung überlegen gewesen ist, konnte es in drei Kriegen den Konflikt
nicht für sich entscheiden.
,,Das Verhältnis zwischen Pakistan und Indien ist nicht das zwischen zwei realen
Mächten, sondern das zwischen einer realen Macht und einer solchen, die immer von
76 Vgl. Rajesh Kadian (1993), S. 12

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836607100
Dateigröße
868 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Passau – Politikwissenschaften, Studiengang Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
kaschmir pakistan indien kalter krieg atommacht
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Titel: Der Kaschmirkonflikt in der internationalen Politik
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