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Der Traum von der Metropole

Ein Vergleich der Prozesse der Metropolisierung von Chicago nach 1871 und Berlin nach 1989 in Diskurs und Realität

©2003 Fachbuch 172 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Chicago und Berlin wurden, anders als es so heute noch möglich wäre, in ihrer Geschichte oft verglichen. Berlin wurde einst als Spree-Chikago tituliert, was neben der Industrie auch seiner Modernität geschuldet war.
Es war auch die stürmische, parvenühafte historische Entwicklung beider Städte, welche, eingebettet in einer jeweils flachen Landschaft, sich anschickten, Großstädte der Moderne zu werden. Sie wurden aufgrund dieser Jugend oft von arrivierteren Metropolen (Paris, London, Rom – New York, Boston) ihrer Kontinente belächelt, zuweilen aber auch bewundert. Deshalb ist ein erneuter Vergleich beider Städte, der diesmal das Berlin nach 1989 einbezieht, sinnvoll.
Thematischer Ausgangspunkt der Arbeit ist das zeitlose Thema Metropole. Jede Stadt ab einer gewissen Größe strebt danach, eine „Mutterstadt“, eine Metropole zu werden. Da eine Metropole mehr noch als eine bevölkerungsreiche Stadt, ein Ort der Macht ist, folgt dem Streben, eine zu werden, einem quasi menschlichen Impetus. Metropole bildet die Klammer der Arbeit.
Zeitliche Ausgangspunkte des Vergleichs sind dabei zwei für die behandelten Städte einschneidende Ereignisse. Die Jahre oder Jahrzehnte nach zwei für die jeweilige Stadt äußerst wichtigen Ereignissen bilden den Untersuchungszeitraum.
Im Falle Chicagos ist es der Brand des Oktober 1871, der die noch junge Stadt völlig dem Erdboden gleichmachte. Trotz der zunächst desaströsen kurzfristigen Folgen stellte sich die Katastrophe in den Jahrzehnten danach als Segen für die Stadt heraus, da die dann folgende Modernität Chicagos nur durch diese Leere und Traditionslosigkeit möglich gewesen war.
Im Fall der Stadt Berlin war die Öffnung der Berliner Mauer und die darauf folgende Wiedervereinigung beider Stadthälften ein tiefer Einschnitt, der eine Chance zum Neubeginn, und Hoffnung auf eine Rückkehr zu alter Stärke gab.
Gang der Untersuchung:
Drei Bereiche eines Metropolisierungsprozesses bilden die Trias der beide Städte nach den Ereignissen vergleichenden Arbeit:
1. Die Lage, also die Geostrategie, die in nicht geringem Maße die Chancen einer Stadt bestimmen: Chicago und Berlin als Drehkreuze der Mitte. Der Mittlere Westen und Mitteleuropa als zentrale Räume ihrer Kontinente, ohne welche beide Städte nicht denkbar wären.
2. Der literarische und journalistische Diskurs und Metropolenrausch als Vorwegnahme der Zukunft. Ein Metropolenrausch der Worte. Boosterism und Stadtmarketing als zweckoptimistisches […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Metropole

3 Metropolen der Geostrategie
3.1 Chicago - Entwicklung von der Peripherie als frontier-town zur zentralen 11 Metropole des Mittleren Westens
3.2 Berlin - Entwicklung von einer historischen Randlage zu einer mitteleuropäischen Metropole in einem neuen gesamteuropäischen Kontext

4 Das psychologische Moment der Metropole - Metropolenrausch als diskursive Vorwegnahme der Zukunft
4.1 Chicago
4.1.1 Boosterism als Ausdruck des Städtewettbewerbs des 19 amerikanischen Westens in der Frühphase Chicagos
4.1.2 Die Vollendung der Chicagoer Metropolenbestimmung zwischen dem 23 dem Feuer 1871 und der Weltausstellung
4.2 Berlin nach dem 9.11.1989
4.2.1 Der Diskurs des Metropolenrausches als virtuelle neue Gründerzeit
4.2.2 Metropole als Hauptstadt

5 Der architektonische Aspekt der Metropolenwerdung
5.1 Chicago School of Architecture - Chicagos Weg in die architektonische 31 Moderne
5.1.1 Die innerstädtische Leere Chicagos als Ergebnis einer 31 Katastrophe und als Vorbedingung für eine architektonische Metropolisierung
5.1.2 Profitorientierte Nüchternheit als Ausdruck einer neuen Zeit
5.1.3 Eine neue Form der architektonischen Qualität und Ästhetik 36
5.1.4 Die Chicago School of Architecture als amerikanische Architektur- 37 architektonische Emanzipation von Europa und der Ostküste
5.1.5 Der Drang in die Höhe
5.2 Berlin nach 1989 43
5.2.1 Die innerstädtische Leere Berlins als Ergebnis historischer und 43 ideologischer Entwicklungen
5.2.2 Die Suche nach einer neuen städtebaulichen 46 und architektonischen Identität
5.2.2.1 Das Scheitern progressiver urbanistischer Visionen in Berlin
5.2.2.2 Architektonischer und städtebaulicher Konservatismus als 49 Mittel zur Restauration einer Europäischen Stadt
5.2.2.2.1 Kritische Rekonstruktion/Planwerk Innenstadt
5.2.2.2.2 Die Neue Berlinische Architektur

6 Fazit

7- Abbildungen

8 - Leitideen
Louis Sullivan
John W. Root
Vittorio Magnago Lampugnani
Hans Kollhoff

9 Bibliographie
Literatur
Zeitungen/Zeitschriften
Internetquellen

Fußnoten

1 Einleitung

Eine Metropole zu sein ist für städtische Gemeinwesen hinreichender Größe ein Idealzustand, genauso wie es für Städte mit ausreichendem Potential ein erstrebenswertes Ziel ist, eine Metropole zu werden. Die Möglichkeit einer Stadt, eine Metropole zu werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab, von denen drei Hauptfaktoren am Beispiel zweier sich in wichtigen Komponenten ähnlichen Städten untersucht werden.

Chicago und Berlin sind zwei Städte, die in ihrer relativ kurzen gemeinsamen Existenz oft verglichen wurden. Beide gehören nicht zu den alten Metropolen ihrer Kontinente oder Staaten. Ein Großteil der Geschichte ihrer Kulturkreise und Kontinente ist ohne ihr Mitwirken vonstatten gegangen. Ausgehend von einer Randexistenz gelangten beide Städte nicht zuletzt durch ihre Lage zu metropolitaner Bedeutung. Chicago als Produkt der Westverschiebung der amerikanischen Gesellschaft etablierte sich als zentrale Metropole des Mittleren Westens, Berlin als Metropole kann nicht ohne den Kontext Mitteleuropas gesehen werden. Beide sind also Metropolen zentraler Räume ihrer Kontinente und nehmen eine Verbindungsfunktion in ökonomischer, kultureller und im Falle Berlins auch politischer Hinsicht ein. Sie vermitteln als mittelwestliche oder mitteleuropäische Drehkreuze zwischen zwei wirtschaftlich, soziokulturell und demographisch unterschiedlich ausgerichteten Räumen in ihrem Osten und Westen.

Chicago ist erst etwa 200 Jahre später als die ältesten urbanen Zentren im Osten der späteren USA in die Geschichte seines Kontinents eingetreten. 1830 gegründet, wurde Chicago 1837 eine Stadt.[1] Deutlicher als Berlin, bei dem der Charakter einer Kolonistenstadt[2] nicht eindeutig ist[3], ist Chicago anfangs eine frontier-town, eine Handels- und Durchgangsstadt an der Schnittstelle zwischen europäisch besiedeltem Gebiet und dem für die Europäer noch weitgehend unbekannten Nordamerika im Westen. Chicago war stärker als Berlin eine merkantilistische Stadt, die sich, nachdem seine geostrategischen Vorteile durch eine einzigartige Verkehrs- und Handelsinfrastruktur (Kanäle, Eisenbahnlinien) nutzbar gemacht worden waren, auch für die Verhältnisse des amerikanischen Westens außerordentlich schnell entwickeln konnte. Chicagos kulturell weniger entwickelter, pragmatischer und rastloser Aufstreber-Charakter hat in Amerika nicht die gleichen Vorbehalte ausgelöst wie die gleichen Eigenschaften in Deutschland gegenüber Berlin.

Obwohl Chicago nicht gänzlich ohne Herablassung aus dem konsolidierten und kultivierteren Osten leben konnte, verkörperte es dennoch in gewisser Weise die amerikanische Stadt schlechthin, weil es mit frontier, manifest destiny und from rags to riches als urbaner Inbegriff mehrerer amerikanischer Paradigmen gelesen werden konnte. Es war das städtische Ebenbild der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schnell entwickelnden USA und genoss damit auch Bewunderung und Sympathie.

Die Stadt Berlin ist eine Gründung, die im Zuge der deutschen Ostexpansion 1244[4] auf von Slawen besiedeltem Territorium gegründet wurde und in seiner Geschichte die meiste Zeit machtpolitisch, wirtschaftlich oder kulturell rückständig war.

In den Zeitspannen seiner Geschichte, in denen Berlin günstige Voraussetzungen vorfand, nutzte die Stadt ihre Energie um Entwicklungsvorsprünge von weiter entwickelten urbanen Zentren aufzuholen. Dabei half Berlin zu einem nicht unbeträchtlichen Teil die verbindende Lage als Drehkreuz zwischen Ost und West, in die Berlin, ausgehend von einer peripheren Lage, hineinwachsen konnte.

So ergibt sich auch Berlins Besonderheit aus dem einerseits verbindenden geostrategischen Charakter zwischen Ost und West und dem „Verspätetsein“ als Stadt und Metropole. Beide Charakteristika wurden in Europa seltener positiv gesehen, sondern machten es Berlin oft schwer, Anerkennung oder Sympathie bei den Deutschen außerhalb Preußens oder im westlichen Europa zu finden.[5]

Berlin ist die Stadt Deutschlands, die sich am kompromisslosesten industrialisiert hat. Besonders ab 1871, nach dem Sieg im deutsch-französischen Krieg als das Deutsche Reich gegründet wurde mit Berlin als Hauptstadt, war es eine sich dynamisch entwickelnde Industriemetropole, die die wichtigsten deutschen Industriebetriebe beheimatete und Zentrum eines mitteleuropäischen Eisenbahn- und Kanalnetzes war. In dieser Ära wurden die wirtschaftlichen, infrastrukturellen und kulturellen Grundlagen gelegt, die Berlin dann in der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933) zu einer der größten Städte der Welt (mit der Schaffung Groß-Berlins 1920) machten. In jener Zeit entwickelte sich die wenige Jahrzehnte davor noch mittelgroße preußische Residenzstadt dynamisch in die gesellschaftliche und ökonomische Moderne.

Damit begannen die Vergleiche Berlins mit Amerika. Die USA waren das Land, in dem aufgrund seiner vergleichsweise kurzen Geschichte[6] und seiner egalitären Bevölkerungszusammensetzung die Moderne am konsequentesten alle Lebensbereiche erfasst hat. Chicago war wiederum aufgrund seiner Geschichtslosigkeit unter den amerikanischen Städten notgedrungen dazu prädestiniert, besonders modern zu sein. Nicht zuletzt deshalb wurde Chicago als „amerikanischste“ der großen Städte der USA angesehen. Aus diesem Grund diente Chicago und nicht das ältere New York City als häufigster Vergleich Berlins wenn es um die Beschreibung seiner Modernität, seiner industriellen Kapazität und seines Entwicklungstempos ging. Vergleiche wie „Amerikanisches Berlin“ und „Spree-Chikago“ gewannen an Popularität.[7]

Die Gründerzeit genannte Epoche ab 1871 dient als Archetypus des Berliner Metropolenrausches. Sie ließ bei Vielen einen ähnlichen Entwicklungsschub Berlins nach 1989 erhoffen, nachdem Berlin durch negative geschichtliche Entwicklungen seinen Metropolenstatus weitestgehend verloren hatte, da alle nach der Weimarer Republik kommenden Ereignisse, angefangen vom Dritten Reich (kultureller Substanzverlust), hin zum Zweiten Weltkrieg (Ruin des Stadtbildes) und schließlich die Teilung Berlins (ökonomischer und politischer Bedeutungsverlust zumindest für den Westteil Berlins) sich als ungünstig für Berlin erwiesen. Die verschiedenen Entwicklungen in Berlins Geschichte vor 1989 werden im Folgenden nicht weiter erläutert, sie sind nur relevant als Vorbedingung für das Thema der Arbeit.[8]

Die Arbeit gründet ihre Legitimation auf der Existenz von zwei für die jeweilige Stadt einschneidenden Daten und daraus folgenden Entwicklungen.

Der 8. Oktober 1871 ist für Chicago ein Datum, das die Stadt in vieler Hinsicht genauso geprägt hat wie der 9. November 1989 Berlin. Beide Zäsuren sind in ihrem Charakter nicht zu vergleichen, doch sie hatten ähnliche Konsequenzen. Auch wenn das annähernd das gesamte Gebiet der aufstrebenden, zukunftsgläubigen Industriemetropole Chicago zerstörende Feuer einen anderen Einfluss auf die Stadt hatte als die Maueröffnung und die darauf folgende Wiedervereinigung Berlins, so bleibt als verbindendes Element das Paradigma des Neubeginns.

Die Art des Neubeginns war für beide Städte unterschiedlich. Chicago war zwar physisch ruiniert, doch geostrategisch hatte sich für die Stadt nichts geändert. Auch gesellschaftlich wurde die Stadt durch die Katastrophe eher gestärkt, da sie sozial verbindenden und ökonomische Kräfte für den Wiederaufbau freisetzenden Charakter hatte.[9] Als damals erst einige Jahrzehnte alter Ort war Neubeginn eine noch erinnerbare Erfahrung für Chicago. Die Stadt sah in diesem Brand nicht nur die Katastrophe, sondern auch eine Möglichkeit, sich mit diesem Feuer neu zu beweisen und sich aus der Rückständigkeit einer bei allem bisherigen Wachstum noch immer provinziellen frontier-town -Existenz zu befreien. Die fast völlig verbrannte Stadt schuf sich einen Mythos einer unzerstörbaren, zukunftsgläubigen und euphorischen Stadt, der von der Geschichte eine second chance gegeben wurde. Chicago schien sich für solch eine legendenhafte Überformung aufgrund seiner Geschichtslosigkeit besser zu eignen als andere Städte.[10]

Die Auferstehungsphantasien als noch bedeutendere Stadt der Zukunft manifestierten sich literarisch und medial. Dieser Metropolendiskurs gibt Aufschluss über die Erwartungen, die an Chicago gestellt wurden oder die es sich selbst stellte. Sie sind daher Dokumente der imaginativen und tatsächlichen Metropolenwerdung Chicagos.

Für Berlin war die Situation nach dem 9.11.1989[11] eine andere. Während Chicagos Entwicklung zweidimensional ist, das heißt eine Geschichte vor und nach dem Feuer, und sonst seine Historie ohne gesellschaftliche Brüche in eine Richtung verlief, war die Wiedervereinigung Berlins die letzte einer Reihe von geschichtlichen und ideologischen Paradigmenwechseln. Im Unterschied zu Chicago, das immer nur eine Industrie-und Handelsmetropole im Mittleren Westen der USA war, hat Berlin, je nach Perspektive, mehrere historische Dimensionen. Ausgehend von den Anfängen als Handelsstadt, hin zur kurfürstlichen, dann königlich-preußischen und schließlich kaiserlichen Residenz und Reichshauptstadt wurde es dann Hauptstadt der Weimarer Republik und des Dritten Reiches. Anschließend wurde Berlin eine geteilte Stadt, bei der jede Hälfte Teil eines unterschiedlichen Gesellschaftssystems und politischen Blocks war.

Der 9.11.1989 markiert den letzten Einschnitt in der Berliner Geschichte, der sich diesmal nicht in einem Bedeutungsverlust, sondern in einer Möglichkeit zu einem Entwicklungsschub und Bedeutungsgewinn ausdrückt. Anders als Chicago 1871, das bei einer zwar multikulturellen und auch schon sozial deutlich geschichteten Bevölkerung[12] noch relativ homogen war, mussten im Falle Berlins zwei Stadthälften mit einer unterschiedlichen Sozialisation ihrer Bevölkerung und einer disparaten Entwicklung der gesamten Stadt zusammenfinden. Trotzdem konnten diese Unterschiede als auch die relative Rückständigkeit beider Stadthälften[13] nicht die Chancen verdecken, die in der Vereinigung als auch in der Auflösung des Ostblocks für Berlin steckten. Genauso wie für Chicago äußerte sich die Veränderung in einer Euphorie, die ihre Entsprechung auch in den Medien sowie in der Literatur hatte.

Diese dort angesiedelten Diskurse, die in den Jahren nach den jeweiligen Ereignissen veröffentlicht wurden, müssen die Erwartungen der Bewohner der Stadt wiedergeben, so daß ein Vergleich beider Städte in Bezug auf das gesellschaftliche Klima beider Städte möglich ist.

Zukunftseuphorie äußert sich nicht nur in Diskursen, sondern auch in der baulichen Physiognomie. Beide Daten oder Ereignisse hinterließen eine Leere in der Stadt. Sie hatten einen unterschiedlichen Charakter und eine unterschiedliche Ursache, denn das Feuer in Chicago leerte die gesamte Stadt von ihrer Architektur innerhalb eines Tages, wohingegen die innerstädtische Brachfläche Berlins nach 1989 eine direkte oder indirekte Ursache des Zweiten Weltkriegs (Kriegsschäden, Abriss, Mauerstreifen) und somit eine „verschleppte Katastrophe“ darstellt.

Diese innerstädtischen Leerflächen mussten bebaut werden. Dies geschah in beiden Städten mit einem dynamischen Bauboom, der eine spezielle Architektur hervorgebracht hat. Auch wenn in beiden Fällen nicht ausschließlich in einem neuen Typ des im Folgenden thematisierten Geschäftshauses gebaut wurde, so prägten sie doch mit ihrer Neuartigkeit das Stadtbild und begründeten den Stadtcharakter nach der allmählichen Schließung der Leere. Denn dort, wo unter Profitabilitätszwängen oder Baurichtlinien massenhaft schnell gebaut wurde, musste sich fast gesetzmäßig eine relativ homogene, für die Stadt typische Architektur entwickeln.

Chicago und Berlin können für die Art der Architektur, die im Folgenden untersucht wird, keine völlige Exklusivität beanspruchen. Ähnliche Architektur wurde damals in anderen mittelwestlichen Städten gebaut[14] sowie heute Neubauten in anderen Städten nicht unähnlich der Berliner Nachwendearchitekur sind. Trotzdem waren beide Städte Metropolen genug um einem Stil der Architektur, der ähnlich auch in anderen Städten gebaut wurde, ihren Namensstempel aufzudrücken. Die Chicago School of Architecture und die Neue Berlinische Architektur, so wie sie jeweils genannt werden, nahmen aufgrund der Anzahl der gebauten Gebäude in Chicago und Berlin, der Wichtigkeit und Größe der beiden Städte und des Kontextes der symbolhaften Metropolisierung beider Städte diese lokale Termini an und drängten somit andere Städte mit ähnlicher Architektur an den Rand.

Beide Architekturschulen entwickelten sich nicht grundlos in die Richtung, die sie gingen.

In der Arbeit werden die sozioökonomischen, stadtplanerischen, architektonischen Zwänge und Rahmen verglichen, die in beiden Städten wirkten und die diese metropolitane Architektur beeinflussten. Architektur war in beiden Städten nicht losgelöst, sondern wichtiger Bestandteil der Euphorie und des Zukunftsrausches, da sie in Form der besten oder spektakulärsten Bauten die erwartete bedeutendere Zukunft auf eine materielle Weise symbolisierten.

Die Arbeit gliedert sich, nach einem einführenden Kapitel Metropole, somit in drei Hauptteile, in denen beide Städte in drei ihren metropolitanen Charakter konstituierenden Paradigmen verglichen werden.

Ihre zentrale Lage innerhalb ihrer Kontinente markiert die erste, geostrategische Gemeinsamkeit. Die Vermutung müsste lauten, dass die Städte und ihre metropolitane Bedeutung in beiden Fällen nicht unbeträchtlich durch ihre Lage definiert wurden bzw., im Falle Berlins, es in Zukunft wieder werden. In Räumen liegend, die das Wort Mitte in ihrem Namen tragen, müssten Gemeinsamkeiten zwischen den Städten erkennbar sein, was ihre Funktion als Drehkreuze und Städte des Übergangs zwischen unterschiedlich ausgerichteten Räumen anbetrifft. Die Lage in der Mitte ihrer Kontinente müsste zu einem nicht unwesentlichen Teil zu den hohen Metropolenerwartungen beigetragen haben.

Nicht losgelöst davon kann der zweite Teil gesehen werden, in dem nicht der geostrategische, sondern der menschliche Faktor der Metropolenwerdung beider Städte untersucht wird. Die humane Komponente äußert sich in beiden Städten in einem Diskurs, der die Erwartungshaltung an die Zukunft wiedergibt, und der begleitet wird von einer tatsächlichen Aufbauleistung, nicht zuletzt in der Architektur.

Die Vermutung liegt nahe, daß der negative Einschnitt des Brandes in Chicago trotz seiner Tragik genauso als neue Chance angesehen wurde wie das positive Ereignis der Wiedervereinigung Berlins. Hier müsste sich die größere Fortschrittsgläubigkeit der Neuen Welt und erst recht des sich besiedelnden Westens auswirken. Als Stadt, der eine zweite Chance gegeben wurde, müsste der Glauben an eine größere Zukunft Chicagos mindestens genauso ausgeprägt sein wie im europäischen Berlin.

Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem gebauten, physisch sichtbaren Element der Metropolenwerdung nach zwei einschneidenden Daten in der jeweiligen Stadtentwicklung, die für beide Städte in Form von großen innerstädtischen Leerflächen die Möglichkeiten zur Entwicklung von Architekturschulen gaben.

Die Frage ist, ob der Metropolenrausch dieser sich in vielen nicht unwesentlichen Komponenten ähnelnden Städte einen Geschäftshaustypus hervorbringen musste, der trotz sich widersprechenden Eigenschaften über ein ähnliches Äußeres verfügt. Die Monotonie und Ähnlichkeit beider innerstädtischen Neubebauungen verraten eine Rastlosigkeit und ein Tempo, wie es vor allem in jungen, ambitionierten und in einem Aufholprozess befindlichen Städten zu beobachten ist, die einen Ehrgeiz zeigen, Metropole zu werden.

Welchen Gesetzmäßigkeiten unterlag die amerikanische und welchen die europäische Neubebauung? Die These bezüglich des neuen Architekturtypus müsste lauten, dass Berlin aufgrund seiner ehemaligen Residenzfunktion und metropolitanen Vergangenheit anders als Chicago grundsätzlich konservativer und vergangenheitsbezogener an die Bebauung der Innenstadt herangehen müsste als die 1871 erst wenige Jahrzehnte alte und völlig kommerziell ausgerichtete Stadt Chicago. Das Wissen um eine lokale architektonische Tradition müsste sich, nachdem die Stadt nach der Wiedervereinigung wieder eine gewöhnliche Stadt wurde, auch auf die Architektur niederschlagen. Anders als Chicago müsste Berlin nicht die Richtung eines fast bedingungslosen Utilitarismus einschlagen. Inwieweit dies zutrifft, wird im dritten Teil untersucht werden.

Die die drei Teile verbindende Linie ist der Traum von der Metropole, der sich in beiden Städten in einem Metropolendiskurs ausdrückte und der sich nicht zuletzt auf die Geostrategie stützte und in der neuen Architektur ausdrückte.

Da die Städte sich in Lage und den Bedingungen nach den jeweiligen einschneidenden Daten ähneln, ist es legitim, zu untersuchen, wie eine amerikanische Stadt des Mittleren Westens im ausgehenden 19. Jahrhunderts und eine mitteleuropäische Stadt des ausgehenden 20. Jahrhunderts, denen beiden eine neue Entwicklungschance gegeben wurde, die Möglichkeit nutzten. Haben sie die Prozesse verbal und architektonisch vergleichbar vollzogen oder sind dabei Unterschiede ersichtlich, die möglicherweise eine amerikanische und eine europäische Dimension in der Herangehensweise offenbaren?

Die Arbeit lässt bewusst die in der zwischen den untersuchten Phasen, also etwa 120 Jahre, vonstatten gegangenen Entwicklungen in Architektur, Technologie und Stadtformen unberücksichtigt, da sie den Rahmen der Arbeit sprengen würde und das Hauptaugenmerk auf dem zeitlosen und universalen Thema Metropole liegt.

Ebenso geht sie nicht auf die beiden Städten gemeinsame Erfahrung der Stagnation, Ernüchterung und Verfehlung der in der Euphorie erwarteten Ziele ein, da die Arbeit ihren Fokus auf tatsächliches oder erwartetes Metropolen wachstum oder Metropolen ehrgeiz in allen seinen Facetten (geostrategisch, medial-literarisch und architektonisch) legt und im Falle Berlins die zukünftige Bedeutung der Stadt noch nicht abzusehen ist.

2 Metropole

Das aus dem Griechischen stammende Wort

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[15] Metropole, (Mutterstadt) bezeichnete in der Antike die wichtigere Stammstadt in Abgrenzung von ihren weniger bedeutenden Ablegerstädten in den von ihr abhängigen Gebieten. Das Wort hat somit eine imperiale und koloniale Konnotation. Eine Metropole hat etwas mit Willen, Macht und Zwang zu tun:

Sie ist Ort der Konzentration besonderer Willensmacht. Dies gilt im Hinblick auf ihre innere Dynamik - das ist der ’Ehrgeiz einer Menge Menschen’. ... Dies gilt aber auch für ihr Verhältnis zur Umwelt: Die Metropole muß sich im Verhältnis zu der Gesellschaft, der sie Metropole ist, als Metropole wollen, um Metropole sein zu können, und dieser Wille muß die Kraft haben, Anerkennung, zumindest Duldung zu erzwingen.[16]

Eine Metropole muss, mehr als sie viele Einwohner haben muss, über das Handeln und Denken möglichst vieler Menschen bestimmen. Sie grenzt sich von Nicht-Metropolen dadurch ab, dass sie Vorbild auf möglichst vielen gesellschaftlichen Gebieten für eine möglichst große Menschenmenge in einem möglichst großen Einflussbereich ist. Metropolen haben heute einen globalen Wirkungsbereich.

Metropole hat nicht vorrangig eine demographische Dimension, wenngleich eine ausreichend große Einwohnerzahl die Konzentration von funktionaler Stärke befördern kann oder umgekehrt eine Konzentration von Funktionen ein demographisches Wachstum zur Folge haben kann. Es gibt einwohnerstarke Städte, denen es trotzdem an vielem mangelt, um Metropole genannt zu werden. Dagegen gibt es relativ kleine Städte, denen es gelungen ist, Funktionen in ihrer Stadt zu binden, die es ihnen ermöglichen, Einfluss auch auf teilweise größere Städte auszuüben.[17]

„Die Metropole wollen“[18] bedeutet für eine Stadt hinreichender Größe und Einwohnerzahl einen Prozess, in deren Verlauf man in jenen Städten einen Ehrgeiz entwickelt, seine Stadt so bedeutend und einflussreich wie möglich zu machen. Die Triebkräfte, die eine Stadt dazu bewegen, Metropole werden zu wollen und nicht auf ihrem Status Quo zu verharren, können zunächst als die gleichen angesehen werden, die auch auf der Ebene des Individuums wirken. Ein Stadtbewohner erhofft sich einen größeren Status, wenn er einer Metropole angehört. Der Wunsch, als Bewohner einer Stadt anzugehören, die möglichst einflussreich ist, kann zumindest teilweise einen kollektiven Ehrgeiz erklären, aus einer Stadt eine Metropole zu machen: „Ganz abgesehen von ihren tatsächlichen Funktionen und Aufgaben als politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Mittelpunkt eines Landes ... verkörperte sie die Sehnsucht nach Ansehen und Reichtum, persönlicher Freiheit und Selbstverwirklichung.“[19]

Da Städte Ambitionen haben, metropolitanen Status zu erlangen, die für einen solchen Status erforderlichen Leitfunktionen und Einwohner aber limitiert sind, muss um metropolitane Funktionen ein Wettbewerb ausgefochten werden, sofern es sich nicht um relativ festgefügte Funktionen wie den Hauptstadt- oder Residenzstadtstatus handelt.[20]

Metropolitaner Status ist etwas, dessen sich immer wieder neu versichert werden muss. Dabei haben die Metropolen selbst oftmals keinen Einfluss auf Entwicklungen auf höherer Ebene. Viele Metropolen erlitten einen Bedeutungsverlust aufgrund des machtpolitischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Niedergangs ihres Staates, von dem sie das Zentrum waren. Andere verloren ihren Metropolenstatus, nach einer kulturellen oder ökonomischen Blüte, aufgrund eines generellen kulturellen oder ökonomischen Paradigmenwechsels, auf den sie nicht vorbereitet waren. Zur ersten Kategorie gehören neben heute noch existierenden, aber ihre frühere funktionale Stärke nicht mehr innehabenden Städten wie Aachen, Florenz oder Venedig auch schon untergegangene Metropolen wie Babylon, Sparta oder Karthago. Zur zweiten Kategorie der nicht mehr wie früher wirtschaftlich einflussreichen Städte können Hansemetropolen wie Lübeck, Umschlagplätze für Sklaven wie Charleston, Manaus als Kautschukmetropole oder heute nicht mehr dem postfordistischen Wirtschaftsleben angepasste Industriestädte wie Detroit gezählt werden.

Auch Städte, die heute noch bedeutend erscheinen, können schon einen relativen Bedeutungsverlust erfahren haben. Hierzu sind die europäischen Metropolen Athen, Rom und auch Berlin zu zählen.

Wenn es um die Wichtigkeit einer Stadt geht, gibt es keine exakte, alle Elemente der Stadt einbeziehende Bezeichnung. Das Diffuse drückt sich auch dadurch aus, „ ... daß Metropole kein faktographischer Begriff ist. Das heißt, das Wort umschreibt kein in sich fest umrissenes Gebilde von bestimmter Größe an einem bestimmten Ort.“[21]

Das Wort Metropole ist nicht das einzige Wort für die Kennzeichnung der Wichtigkeit einer Stadt.

Die Bedeutung einer Stadt kann neben diesem Wort noch durch zahlreiche andere gekennzeichnet werden. Ihnen fehlt meist eine semantische Allgemeingültigkeit, da sie nur ein Segment der Bedeutung der Stadt bezeichnen. Hauptstadt, was oftmals fälschlicherweise mit Metropole gleichgesetzt wird,[22] hat eine politische Konnotation.

Megalopole betont die demographische Komponente einer Stadt. Mehr noch als Metropole bezeichnet dieses Wort sehr große Städte, die teilweise zu Stadtregionen zusammengewachsen sind. In dieselbe Kategorie fällt (Mega-) agglomeration oder Megastadt. Diese Wörter haben keine vorrangig qualitative Komponente, da sie zwar sehr große Städte bezeichnen, allein aber noch wenig über die funktionale Stärke der Stadt aussagen. Weltstadt ist ein deutscher Begriff, der unübersetzt auch in englischsprachige Fachliteratur Eingang gehalten hat. Er ist semantisch sehr diffus und bezeichnet eine Stadt, die neben der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung in einem globalen Wirkungskreis noch eine weltweite Bekanntheit haben muss. In diesen Begriff spielen schwer messbare Eigenschaften wie Image und kultureller Ruf auf globaler Ebene herein.

Der Begriff der global city hat eine dezidiert ökonomische Konnotation, hier in Verbindung mit der globalen Wirkung, die diese Städte in Gestalt ihrer weltweit agierenden und vernetzten Finanzdienstleister, Börsen, Flughäfen, multinationalen Konzerne etc. haben. Global city ist ein Begriff der post-industriellen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft.

Aufgrund der Diffusität der Begriffe und ihrer semantischen Unschärfe sind die Begriffe auch kombinierbar. Städte können auch Hauptstadtmetropole oder Weltmetropole genannt werden.

Unter den in den Wettbewerb der Metropolen befindlichen Städten sind auch solche, die nicht zu den etablierten Metropolen gehören. Stattdessen zeichnen sie sich durch Ambitionen aus, eine Metropole zu werden. Sie sehen ihre Hoffnung auf eine in allen Bereichen bedeutendere Existenz als Metropole erst in der Zukunft verwirklicht. Die Meinungsführer dieser Städte greifen in den öffentlichen Diskursen in oftmals pathetischen Worten der Zukunft vorweg, indem sie ihrer Stadt eine bedeutungsvollere Zukunft prophezeien.

Jene Städte werden oft von den älteren, schon voll ausgebildeten Metropolen als städtische Emporkömmlinge diskreditiert und ihnen die Berechtigung als Metropole aufgrund fehlender historischer Tiefe, wachsender, aber noch zu geringer Wirtschaftskraft oder noch vorhandener gesellschaftlicher Provinzialität abgesprochen.

Die fehlende Selbstverständlichkeit im Umgang mit städtischer Bedeutung und ein zu schneller Aufholprozess bergen Risiken für das städtische Gemeinwohl, wie der Architekt Bruno Taut, das Berlin der 1920er Jahre meinend, feststellte: „ ... Hieraus ergibt sich, daß der Blick zu den anderen Weltstädten hin nicht bloß etwas Anfeuerndes und Vorwärtstreibendes, sondern auch etwas Trübendes und Gefährliches haben kann.“[23] Er spricht von einer kollektiven Ruhmsucht, die ein Verhängnis für ambitionierte Städte darstellen kann: „Leichter als die Ruhmsucht eines Einzelnen muss die Ruhmsucht einer Stadt straucheln.“[24]

Chicago nach 1871 und Berlin nach 1989, sind oder waren Städte, die in vielen Belangen jeweils einen Parvenü- Charakter oder eine Provinzialität zugesprochen bekamen, da sie noch keine für ältere Metropolen typische Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrer Bedeutung oder Gelassenheit, was ihre Zukunft betrifft, entwickelt hatten.

3 Metropolen der Geostrategie

3.1 Chicago - Entwicklung von der Peripherie als frontier-town zur zentralen Metropole des Mittleren Westens

Wenn man frontier aus der Perspektive der europäischen Siedler als Grenze zwischen euro-amerikanischer „Zivilisation“ und „Kultur“ auf der einen Seite und der „Primitivität“ und „Wildnis“ der nordamerikanischen Ureinwohner auf der anderen Seite definiert, dann mussten selbst die östlichsten Hafenstädte am Atlantischen Ozean eine gewisse Zeitspanne in ihrer Geschichte die Existenz eines Außenpostens der europäischen Zivilisation geführt haben.

Eine Erfahrung der Peripherie gehört demnach zu den Konstanten aller Städte in Nordamerika. Das 1624 als Nieuw Amsterdam gegründete New York City und andere Städte waren für das Zentrum ihrer anfangs kolonialen Existenz, Europa, zunächst genauso peripher wie später Chicago für den bis dahin konsolidierten atlantischen Osten.

Trotzdem unterschieden sich später Städte wie Chicago im Landesinneren nach ihrer frontier- Phase als Außenposten von den atlantischen Städten nicht nur aufgrund ihrer späteren Gründung. Oftmals wurden aus diesen nicht mehr als Durchgangsstationen für Handel, Verkehr und westwärts ziehende Siedler. Das bedeutet, dass sie zunächst mehr schnell gewachsenen, urbanen Verkehrsknotenpunkten und Versorgungsstationen gleichkamen als historisch gewachsenen Städten.

Der Terminus Gateway City bezeichnet solche Durchgangsstädte, deren Entwicklung nicht zu trennen ist von der Besiedlung des Westens meist entlang der Flüsse und Kanäle und später der Eisenbahnlinien. Dort, wo eine Unterbrechung des Warenverkehrs entlang einer Transportlinie (Wasser, Eisenbahn, Straße) vorhanden war, dorthin tendierten Bevölkerung und Finanzströme.

„ ... if ... this interruption causes a change in the ownership of the transported goods, we have a commercial break. Where [this] occurs arises a commercial [gateway] city.“[25]

Ein Zitat von Lewis Mumford charakterisiert Chicago als ein Minimum an städtischen und infrastrukturellen Funktionen, die keine kulturell hochstehende Stadt im eigentlich Sinn ist, sondern nur ein urbaner Knotenpunkt zur Sicherstellung wirtschaftlicher Bedürfnisse, wenn er schreibt Chicago sei „a brutal network of urban necessities.“[26] Verschiedene andere Zitate betonen den Verkehrsaspekt Chicagos in Verbindung mit der peripheren „Inselhaftigkeit“ der Stadt aus östlicher Perspektive. Wenn konstatiert wird, daß Chicago erscheint wie „a provincial city on the old China silk route ... a beneficiary of a more sophisticated world brought daily to its doors.“[27], dann erinnert die Stadt an eine Oase in der noch unterentwickelten Peripherie.

Die Abbildungen 1-8 machen allerdings deutlich, wie dynamisch sich die Besiedlung der Vereinigten Staaten gestaltete und wie das Gebiet, in dem sich Chicago entwickelte, demographisch eine immer zentralere Lage innerhalb der USA einnahm.

Das Westering, also die Westverschiebung der amerikanischen Gesellschaft in politischer, demographischer und ökonomischer Hinsicht, stärkte die Drehkreuz-Städte wie Chicago.

Die Westverschiebung der USA wurde ermöglicht durch die Verdrängung und Befriedung der nordamerikanischen Ureinwohner sowie die Zurückdrängung der britischen, französischen, spanischen oder mexikanischen Expansionsbestrebungen. Diese schufen die Voraussetzungen für die amerikanische Besiedlung immer westlicherer Gebiete.

Darüberhinaus entwickelte das sich immer dynamischer mit meist europäischen Siedlern füllende Ostküstenamerika einen Abwanderungsdruck, der sich in der Bereitschaft immer zahlreicherer Siedler ausdrückte, nach Westen zu migrieren. Im Westen war aufgrund seines größeren Agrarflächenangebots eine günstigere Produktion agrarischer Güter möglich, die im sich immer mehr füllenden Land gebraucht wurden.

Die demographische und ökonomische Verschiebung spielte dabei eng mit der administrativ-politischen Ebene zusammen. Gemäß der Northwest Ordinance von 1787 war das Bevölkerungsminimum für einen neuen Bundesstaat für die Aufnahme in die USA bei 60000 Einwohnern angesetzt. Die Reihenfolge der Aufnahme der einzelnen Staaten in die Union verdeutlicht das Westering auf administrativer Ebene.[28]

Unter anderem Indiana (1816), Missouri (1821) und Chicagos Bundesstaat Illinois (1818) machen die politische Westverschiebung der USA deutlich.[29]

Chicago ist eine Metropole geworden weil der sich dynamisch entwickelnde Raum im Inneren des Landes eines zentralen Ort des Handels, der Industrie und Finanzen brauchte: „Chicago began as an exchange center dealing in goods not produced or processed there - or even destined for buyers in the city. Here its strategic location was of crucial importance.“[30]

Obwohl Chicagos Wachstum nicht ausschließlich topographisch-strategische Ursachen hatte, konnte sich ohne diese Vorteile keine bedeutende Stadt ohne jegliche Hauptstadtfunktion[31] entwickeln. Die Stadt ist ideal für den kontinentalen Binnenschiffsverkehr positioniert. Auf der Grenze zwischen zwei Flußsystemen liegend, wurde es über die Großen Seen und den 1825 fertiggestellten Erie-Kanal mit dem Atlantik im Osten, und über den Illinois-Michigan-Kanal, den Illinois und das Mississippi-Missouri- Flußsystem nach Süden verbunden.[32] Damit war Chicagos Entwicklung zum Zentrum des größten Binnenschiffahrtssystem der Welt möglich gemacht worden.[33] Im Jahr des Brandes 1871 kamen in Chicago mehr Schiffe an als in New York City, Philadelphia, Baltimore, Charleston, San Francisco und Mobile zusammen.[34] Seine überragende Bedeutung wird durch Abbildung 13 gestützt.

Chicago formierte sich ebenfalls zum Knotenpunkt des später allmählich den Schiffsverkehr als wichtigstes Transportmittel ablösenden Schienenverkehrs. Da es eine Notwendigkeit zu einem regionalen und dann kontinentalen Schienenzentrum innerhalb der nach Westen verschobenen USA gab, und Chicago sich aufgrund seiner strategisch günstigen Lage und der Flachheit des umgebenden Territoriums anbot, wurde Chicago zum Zentrum des amerikanischen Schienennetzes. Das Zitat, „the map with a picture of iron roads from all over the Middle West centering in a dark blotch in the corner“[35] unterstreicht seine verkehrsinfrastrukturelle Bedeutung und wird ebenfalls gestützt durch Abbildung 13, die Chicago nicht nur als regionales, sondern nationales Verkehrszentrum ausweist.[36] Chicago wurde je nach Perspektive Ziel und Ausgangspunkt des Verkehrs. Es war nicht nur Zentrum, sondern auch Durchgangsstation, Gateway City, was erklärt wird durch die Tatsache, dass „western roads were built from and eastern roads to Chicago.“[37]

Durch das Westering, das von den beschriebenen infrastrukturellen Maßnahmen begleitet wurde, geriet Chicago schlussendlich von einer peripheren in eine zentrale Lage. Chicago wurde die Metropole eines Raumes, der vermittelnden Charakter zwischen zwei unterschiedlich ausgerichteten Räumen, dem konsolidierten und dichter besiedelten Osten und dem noch jungen und mehr Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung bietenden Westen, aufwies.

Chicago bezog seine Stärke aus der Zugehörigkeit zu keinem dieser Räume:

Chicago is the war of Eastern business carried into the Africa of the West. Montreal, Boston, New York, Philadelphia- and now very soon Baltimore-all have their outpost in Chicago. Through her, those cities have spun their webs about St.Louis; they [die Chicagoer Planer] have tapped her Pacific railroad; they have seduced Kansas City and St.Joseph; they have annexed to their commercial kingdom all Iowa, Nebraska, and North Missouri, and the southeast section of the State; they have preoccupied Texas against New Orleans; and all the Rocky Mountain region, British America, and the mouth of the Oregon, against the world; and Chicago is their instrument. Chicago is not Eastern; Chicago is not Western. Chicago is altogether sui generis.[38]

Die fehlende Zugehörigkeit zum Osten oder Westen, zu dem es schließlich nicht mehr gezählt werden konnte, machte es mit Hilfe der Verkehrsinfrastruktur zu einem perfekten Vermittler zwischen Ost und West.

Diese Drehkreuzfunktion ist nicht auszuführen ohne eine zentrale Position innerhalb eines Raumes. Chicago wurde wichtigste Metropole eines Gebietes, das später als Mittlerer Westen[39] bekannt wurde. Dieser Kultur- und Wirtschaftsraum erlangte die Konnotation eines „Rückgrates“, „Herzlandes“, oder „Körpers“ der USA. Schon Abraham Lincoln, der selbst aus dem Mittleren Westen (Springfield in Illinois) stammte, sagte 1862 die zukünftige Wichtigkeit dieses zentralen Raumes voraus:

The great interior region, bounded east by the Alleghenies, north by the British dominions, west by the Rocky Mountains, and south by the line along which the culture of corn and cotton meets ... already has above ten millions of people, and will have fifty millions within fifty years, if not prevented by any political folly or mistake. ... A glance at the map shows that, territorially speaking, it is the great body of the republic.[40]

Die Rolle als Vermittler, die dem Mittleren Westen zugesprochen wurde, betraf nicht nur den Verkehr oder die Ökonomie. Der Mittlere Westen hätte ebenfalls eine gesellschaftlich vermittelnde Rolle zu übernehmen. Als Zentrum wäre der Mittlere Westen dazu prädestiniert, die Ideale sowohl des Ostens als auch des Westens zusammenzuführen:

The Old Northwest [in etwa synonym mit Mittlerer Westen] holds the balance of power, and is the battlefield on which the issues of American development are to be settled. It has more in common with all parts of the nation than has any other region. It understands the East, as the East does not understand the West. In the long run the “Center of the Republic“ may be trusted to strike a wise balance between the contending ideals. But she does not deceive herself ; she knows that the problem of the West means nothing less than the problem of working out original social ideals and social adjustments for the American nation.[41]

Die sich aus der Lage erklärende Metropole Chicago kann abschließend durch eine Entwicklungslinie erklärt werden. Von einer frontier-town wurde Chicago durch das Westering eine Gateway City und schließlich Metropole des zentralen Raumes Mittlerer Westen.

3.2 Berlin - Entwicklung von einer historischen Randlage zu einer mitteleuropäischen Metropole in einem neuen gesamteuropäischen Kontext

Analog zur geostrategischen Entwicklung Chicagos gibt es im Falle Berlins Aspekte, die Vergleiche zulassen. Obwohl die geostrategische Entwicklung Berlins nicht in gleichem Maße schnell und bruchlos vonstatten gegangen ist wie die Chicagos, ist Berlin immer eine Stadt im Spannungsbogen aus Peripherie und Zentrum gewesen. Das exterritoriale Element der Entstehung Berlins ließ Vergleiche mit den Städten der klassischen Einwanderstaaten zu und schwört frontier -Assoziationen herauf: „Berlin ist buchstäblich geworden wie eine Kolonialstadt, wie im neunzehnten Jahrhundert die amerikanischen und australischen Städte tief im Busch entstanden sind.“[42]

Berlins Lage enthält Aspekte, die auch Chicagos Lage auszeichnen. Berlins Lage lässt verschiedene Analogien zu der Lage von Chicago zu. Sowohl die Kreuzungspunktlage als auch der städtische Charakter machten Vergleiche möglich:

Tatsächlich, wie Chicago war auch Berlin ein von der Natur bestimmter Handelsplatz, wie in Chicago kreuzen sich hier die Wege von Nord und Süd und Ost und West. Wie Chicago von seinem eigenen River ist Berlin von der Spree durchflossen; der Kranz der großen Seen, die Berlin umschließen, erinnert an den Michigansee, das ineinander von Asphalt, Parks, Flüssen, Wohnhäusern und Fabriken.[43]

Wenn man die Lage Berlins in seiner Entstehungszeit als Kriterium sieht, kann die natürliche Handelslage dennoch vorerst nicht günstig gewesen sein, wenn man bedenkt dass jede Ortsgründung bestrebt ist, sich den günstigsten noch zur Verfügung stehenden Platz auszusuchen.[44] Denn Berlin wurde erst spät in seiner Geschichte zu einer echten Handels-und Industriemetropole.[45] Berlin, zusammen mit seiner Schwesterstadt Cölln, war in den ersten Jahren seiner Existenz zu peripher gelegen um in der Hanse, dessen Mitglied es war, eine bedeutende Rolle zu spielen[46] und als Handelsstadt waren Orte wie Frankfurt an der Oder zeitweise wichtiger.[47]

Berlin verdankt also, bei allen Vergleichen, seine wirtschaftliche Stärke nicht im gleichen Maße wie Chicago seiner Lage, sondern sie muss aufgrund ihrer Residenz- und Hauptstadtfunktion, die sie als Residenz der Hohenzollern innehatte, relativiert werden.

Die Lage ist für Berlin nicht nur als wirtschaftliches Drehkreuz wichtig, sondern auch als Grenzstadt zwischen zwei Kulturräumen, die es seit seiner Gründung im Zuge der deutschen Ostkolonisation im 13. Jahrhundert war.

Berlin war, und ist auch heute noch, die vermittelnde Grenze von zwei Kulturräumen, dem deutschen (der sich im Lauf der Geschichte in verschiedenen staatlichen Ausprägungen zeigte) und dem slawischen Kulturraum. Das am tiefsten in der Geschichte verwurzelte Argument dafür ist die Tatsache, dass heute in Berlin und Umgebung Deutsche in Orten siedeln, die nachgewiesenermaßen slawischen Ursprungs sind. Orte wie Hönow, Rudow, Dahlwitz und Lankwitz zeugen mit ihren slawischen Endungen -ow und -itz davon. Nicht zuletzt besitzt auch das Wort Berlin selbst eine slawische Endung (-in) und weist somit auf eine slawische Vorgeschichte der späteren deutschen Stadt Berlin hin.[48] Dieser slawische Einfluss, verbunden mit einer Berlin bescheinigten peripheren Lage, machten es vor allem den in westlichen und südlichen Teilen des Landes siedelnden Deutschen schwer, Berlin als legitime deutsche Hauptstadt anzuerkennen.[49] Ein kulturelles und auch geostrategisches Überlegenheitsgefühl drückt sich in zahlreichen Zitaten aus. Konrad Adenauers Äußerung drückt eine kulturelle Überlegenheit aus, wenn er meint, nur Deutschland westlich der Elbe sei „altes deutsches Kulturland und kein Kolonialland [wie im Osten].“[50] Das Überlegenheitsgefühl bezüglich der Lage des westlicheren Teils Deutschlands gegenüber Berlin wurde ebenfalls häufig verbalisiert. Berlin sei „unverbunden, abstrakt, exterritorial“, durch sie sei Deutschland „nordöstlich und insofern falsch zentriert.“[51]

In den Augen der Kritiker der topographischen Lage Berlins sprach nicht nur die periphere Position der Stadt innerhalb des Deutschen Reiches gegen Berlin, sondern ebenso die in Berlin nicht mehr sehr klare Zugehörigkeit zur deutschen Kultur: „ ... denn diese Stadt war immer ein Außenwerk und ist es im gewissen Sinne noch heute. Auch jetzt [1910] ist Berlin noch eine Grenzstadt und liegt nach wie vor an der östlichen Peripherie der deutschen Kulturzone.“[52]

Was für viele ein Schwachpunkt der Lage Berlins war, war für die Entwicklung der Metropole Berlin von großer Bedeutung. Gerade die Rolle als Grenzstadt der „deutschen Kultur“ gab Berlin, neben dem Status als preußische oder deutsche Hauptstadt, seine metropolitane Stärke in demographischer, verkehrsinfrastruktureller, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht.

Berlin wurde größte und wichtigste Stadt in einem Kontext Mitteleuropa, und als solche konnte sie eine kontinentale Rolle spielen. Es wurde behauptet, Berlin sei „der Durchgangspunkt für alle, die Europa von West nach Ost oder in umgekehrter Richtung durchqueren - eben der Ostbahnhof Europas.“[53] Zeitzeugen konstatierten zum Beispiel: „Berlin erschien mir als der Mittelpunkt einer Strecke, wo sich Westliches und Östliches scheiden.“[54]

Das Östliche war in Berlin auf den Bahnhöfen präsent. Beobachter beschrieben diesen östlichen Eindruck unter anderem mit den folgenden Worten:

Asien beginnt am Schlesischen Bahnhof. [einer der großen Bahnhöfe Berlins vor dem Zweiten Weltkrieg] Von hier aus erstreckt sich eine weite, unendliche Ebene bis Wladiwostok, die nur vom Ural unterbrochen wird. Je weiter der Zug nach Polen hineinfuhr, umso spärlicher war das Land besiedelt.[55]

Diese „weite, unendliche Ebene“ mit geringer Besiedlung kann als eurasisches Äquivalent zum Westen Nordamerikas gelesen werden.

Die Verkehrsmetropole Berlin funktionierte aber nicht nur in Ost-West-Richtung, sondern war generell sehr gut ausgebaut: „Ist Deutschland schon verkehrsgeographisch so günstig wie kaum ein anderes Land in Europa gelegen, so sitzt seine Hauptstadt gleichsam als Spinne im Netz großer europäischer Schienenwege.“[56]

Zusammengefasst bedeutet das, daß Berlin nicht nur nationale Hauptstadt, sondern kontinentale Metropole war und als solche eine europäische Rolle spielen konnte, die sich aus einer für Viele „undeutschen“ Östlichkeit und Vermittlerrolle zu slawischen Staaten und aus ihrer zentralen Lage ergab, von der sie durch eine überragende Verkehrsinfrastruktur profitierte.

Diese Bedeutung wurde zunichte gemacht durch die ab 1933 folgenden Entwicklungen, die äußerst nachteilig für die geostrategische Position Berlins verliefen. Auf sie soll an dieser Stelle außer durch ein erklärendes Zitat nicht eingegangen werden:

Es gab ein Schienennetz, das die Mitte Europas nicht nur verzahnt, sondern umgekehrt geradezu konstituiert hat. Was heute beim Anblick der Ruine des Anhalter Bahnhofs, der Verlangsamung des Tempos der Züge zwischen Berlin-Zoo und Berlin-Friedrichstraße oder bei der Wanderung über die grasüberwachsenen Schienenstränge trostlos stimmt, ist ja, daß hier Nervenstränge zwischen den mitteleuropäischen Metropolen durchtrennt und stillgelegt worden sind.[57]

Nachdem das beschriebene historische Beziehungsgeflecht nach dem 2.Weltkrieg für mehrere Jahrzehnte verschüttet war und es keine europäische Mitte mehr gab, sondern nur einen kapitalistisch und einen sozialistisch wirtschaftenden Teil,[58] wurden mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten die alten europäischen kulturellen und verkehrsstrukturellen Verflechtungen und Migrationen wieder möglich.

Dabei kann die noch eher ungünstige Situation Berlins verbessert werden, wenn Berlin von der Peripherie, die es als geteilte Stadt und auch nach 1989 als etwa 80 km vor der Außengrenze der EU positionierte Metropole wieder in eine zentralere Lage rückt.

Dennoch wird der vor allem Anfang der 1990er Jahre erwartete demographische Zugewinn, selbst wenn er langfristig eintreten sollte, nicht den inselhaften Charakter Berlins ändern. Berlin war nie, selbst in der Zeit seines demographischen Höhepunktes als drittgrößte Stadt weltweit, ein Zentrum eines großen Verdichtungsgebietes, sondern eine isolierte Metropole innerhalb einer dünn besiedelten Region. Die Abbildungen 9-11 verdeutlichen dies genauso wie das folgende Zitat:

Noch heute ist die Stadt eine inselhafte Agglomeration in der kaum bevölkerten Mark Brandenburg. Sie ähnelt damit eher einer Stadt in der Prärie oder Wüste, wie Calgary oder Las Vegas. ... Berlin liegt abseits des europäischen Wirtschaftskorridors ... am Rande zu Mittel- und Osteuropa.[59]

Das Periphere der Lage Berlins kombiniert mit der Existenz eines entwickelten westlichen Teils und eines weniger entwickelten, territorial größeren, aber dünner besiedelten östlichen Teils in Europa ruft vor allem bei amerikanischen Wissenschaftlern eine Analogie zur eigenen Geschichte hervor: „Stop thinking your city as a turntable of commerce and business between the East and the West. Berlin has to face her role as a frontier town all in the middle of Central Europe.“[60]

Berlins Funktion wäre die einer Durchgangsstadt zwischen einem höher entwickelten Zielraum und einem niedriger entwickelten Emigrationsraum, oder einer Zielstadt für eine neue Perspektive suchende Menschen. Aufgrund dieses Entwicklungsunterschiedes würde Berlin im offenen europäischen System die Rolle einer „großen Karawanserei auf dem Weg der neuen Ost-West-Migration“[61] spielen. Als Durchgangsstadt für die Migrationsströme von Ost nach West und erste Anlaufstation für die Kapitalströme vorrangig von West nach Ost hätte Berlin eine Rolle wie das ähnlich positionierte Wien weiter südlich auszufüllen.[62] Neben der Existenz neuer Migrationswege, neuer wirtschaftlicher Beziehungen und anderer Interaktionen würde Berlin von einem neuen, größeren Hinterland profitieren: „Der gesamte Organismus der Metropole wird nolens volens auf den Osten drücken, und das natürliche Hinterland für diesen Vielmillionengiganten muß die Grenzregion Westpolens werden.“[63]

Das Hinterland besteht in der Realität nicht nur aus dem dünn besiedelten Westpolen, sondern Berlin bezieht Migranten und Wirtschaftskontakte aus einem wesentlich größeren Radius.

Neben vielen ständig in Berlin lebenden Migranten aus östlich von Berlin gelegenen Ländern[64] existiert eine Arbeitsplatzmigration:

Von Berlin-Lichtenberg geht jede Woche ein Zug nach Saratow an der Wolga ... als rollender Basar und praktische Verbindung für Exsoldaten, Rußlanddeutsche auf Geschäfts- oder Urlaubsreise. Der Zug nach Posen und Krakau am Freitagabend ist voll, die polnischen Bauarbeiter, Putzfrauen, Wohnungsrenovierer fahren zum Wochenende nach Hause. Und Sonntagabend dasselbe Schauspiel, nun in umgekehrter Richtung. Die Stadt pumpt sich voll. Im alten Berlin wächst eine neue Stadt, mit neuen Sprachen, neuen Zeitungen und anderer Kultur. ... Man braucht nicht viel Phantasie, um zu wissen, daß auf den Ameisenrouten von heute einmal die transeuropäischen Verkehrsstraßen von morgen verlaufen werden.[65]

Diese neuen Migranten würden Berlin durch ihre Aufbauarbeit verändern: „ ... ich glaube, daß alle Kulturen und Volkswirtschaften des ehemaligen Ostens in Berlin einmünden. Sie werden mit ihren Menschen, ihren Traditionen, ihren Ethnien Berlin verändern und sie werden Berlin auf eine andere Art und Weise wieder aufbauen.“[66]

Das neue Beziehungsgeflecht zum östlichen Europa drückt sich aber bisher nur bedingt in einer Funktion Berlins als Verkehrsdrehkreuz aus. Selbst wenn Berlin eine sehr gute Position innerhalb des europäischen Verkehrssystems bescheinigt wird: „Hier kreuzen sich die transeuropäischen Autobahn- und Eisenbahnverbindungen von Moskau nach Paris, von Stockholm nach Rom.“[67], ist das nicht auf den Verkehrswegekarten (vgl. Abbildung 13) zu erkennen. Es ist hier kein ähnlich deutlicher Vorteil, wie ihn Chicago hatte, gegenüber anderen Städten in der Verkehrsinfrastruktur zu erkennen. Auf dem Gebiet des heute wichtigsten Verkehrssystems, des Luftverkehrs, ist es ein deutlicher Nachteil.

Das Verkehrsnetz in die ehemals sozialistischen Staaten ist verhältnismäßig schlecht ausgebaut. Die Eisenbahnreisezeiten nach Osten sind unverhältnismäßig lang im Vergleich zu denen in Richtung der westlicheren Metropolen.[68]

Diese Ungleichgewichtigkeit in der Ausrichtung des Verkehrs erklärt sich nicht zuletzt aus einem Paradigmenwechsel in der Orientierung Berlins, der es heute verschieden in der mentalen und damit letztlich auch verkehrspolitischen Ausrichtung von dem Berlin der Vorkriegszeit macht:

Die Vorstellung von Berlin als einer sich nach Osten öffnenden Stadt lebt zumeist von den Reminiszenzen an die Metropole der Weimarer Republik. Da reichte der Horizont tatsächlich weit. Man hatte an der Spree einen Begriff davon, was es bedeutete, auf halbem Wege Station zu sein zwischen Moskau und Paris. ... Aber vor allem gab es dahinter den Strom der Waren, die ökonomischen Transaktionen und die Modernisierungsplanungen (zum Beispiel des Verkehrs), deren Anknüpfungspunkte ganz selbstverständlich bis weit in den Osten des Kontinents reichten.[69]

Heute ist Berlin mental und auch wirtschaftlich eine Stadt geworden, die deutlich mehr in westlicher Richung orientiert ist. Trotz der aus westlicher Perspektive etwas exterritorialen Lage und der Besonderheit der ehemaligen Teilung der Stadt, bei dem ein Teil sozialistisch war und dem „Ostblock“ angehörte, sieht Berlin sich wenig mit dem Osten Europas verbunden. Die heutige Westorientierung steht im Gegensatz zu der historischen Orientierung als Deutschland, Preußen und damit auch Berlin mental und auch geographisch „noch Anteil am Osten“[70] hatte. Obwohl Berlin heute weniger zentral, sondern östlicher als je zuvor innerhalb seines Staates positioniert ist, ist es also aufgrund der historischen Entwicklungen mental westlicher geworden. Nach Wolf Jobst Siedler hat die spezifische deutsche Entwicklung nach 1945 auch die deutsche Orientierung verändert, wenn er schreibt daß „Moskau ... das Gesicht Deutschlands gewaltsam nach Westen gedreht“[71] hätte. Die Orientierung der Bewohner überwiegend nach Westen entspricht also nicht der tatsächlichen Lage Berlins und seinem historischen Erbe als Verbindungsstadt zwischen zwei unterschiedlichen Kultur- und Wirtschaftsräumen.[72]

4 Das psychologische Moment der Metropole - Metropolenrausch als diskursive Vorwegnahme der Zukunft

Während die Lage eines Ortes gegeben ist und durch infrastrukturelle Verbesserungen im nationalen oder internationalen Rahmen zwar verbessert werden kann, aber die Einwohner trotzdem abhängig von Entwicklungen sind auf die sie nur geringen Einfluss haben (so kann eine Stadt durch Landzukäufe ihrer Staaten oder Eroberungen von einer zentralen in eine periphere Lage geraten oder umgekehrt), bleibt die Entwicklung einer Stadt zu einer Metropole nicht zuletzt ein Ergebnis einer menschlichen Aufbauleistung. Insofern darf nicht nur die Geostrategie, sondern auch der menschliche Faktor bei der Betrachtung einer metropolitanen Entwicklung eine Rolle spielen. Städte sind nach Jane Jacobs „wholly existential“,[73] also durch Menschen gemacht. Auch wenn Jabobs` Ganzheitsanspruch unzulässigerweise den Faktor der Lage ausklammert, da beispielsweise Hafenstädte durchaus von ihrer Lage profitieren, macht es trotzdem deutlich, daß Metropolen wie Chicago und Berlin noch ein menschliches Moment in ihrer Entwicklung haben müssen.

Daraus folgt nach der Geostrategie als zweiter Untersuchungsfaktor der Metropolendiskurs in beiden Städten nach zwei Zäsuren, die es möglich machten, eine metropolitane Entwicklung einzuschlagen. In welcher Weise verbalisierten die Menschen beider Städte ihre Gegenwart und vor allem die Zukunft der Städte?

Eine Metropole entsteht zu einem Teil auch durch ein psychologisches Moment, da eine durch Worte suggerierte Zukunft den Glauben an eine Stadt verstärken kann und dadurch eine reale Metropolisierung einsetzen kann.

In einem Kapitel über die Zukunftsprojektionen und euphorischen Erwartungen beider Städte in Bezug ihrer erwarteten größeren Zukunft wird der menschlich-psychologische Faktor der Metropolenentwicklung aufgezeigt.

4.1 Chicago

Chicagos Metropolenrausch umfasste im weitesten Sinne seine gesamte Entwicklung im 19. Jahrhundert, angefangen von der Stadtgründung im Jahr 1830 bis zur Weltausstellung 1893, bei deren Bewerbungswettbewerb sich Chicago gegen New York City durchsetzte und die als Ausdruck der höheren Berufung Chicagos angesehen wurde.

Das Kapitel kann durch die Zäsur der Zerstörung Chicagos durch den Brand in zwei Teile geteilt werden. Einen ersten, der sich mit der rasanten Entwicklung Chicagos von einer frontier- town zu einem Drehkreuz der Wirtschaft und des Verkehrs befasst und der in den Kontext der Besiedlung und infrastrukturellen Entwicklung des Westens und des Mittelwestens, von dem Chicago ein Teil war, eingebunden werden kann.

Der zweite Abschnitt umfasst die Jahre zwischen 1871 und 1893, als die damals schon zur bedeutendsten Stadt des Mittelwestens herangewachsene Metropole durch das Feuer „getestet“ wurde auf dem Weg zu ihrer angeblich höheren Berufung als Metropole Amerikas. Dieser Abschnitt wird abgeschlossen durch die Weltaustellung, deren für diese aufgebaute neoklassizistische White City als Krönung und Abschluss der metropolitanen Ambitionen der Stadt und als finaler Sieg über das Feuer galt.

4.1.1 Boosterism als Ausdruck des Städtewettbewerbs des amerikanischen Westens in der Frühphase Chicagos

Chicagos Zukunftseuphorie und sein Wachstum zu einer Metropole sind nicht zu erklären ohne die Anziehungskraft, die Amerika und dort insbesondere der Westen als Ort der Freiheit und Erneuerung, aber auch nicht zuletzt als Möglichkeit der materiellen Verbesserung darstellte: „The West has been the great word of our history. The Westerner has been the type and master our American life.“[74]

Die resultierende starke Einwanderung in die USA erzeugte im Osten einen Siedlungsdruck, der dann schlussendlich in die Besiedlung des gesamten Landes mündete. Das Westering war die Quelle für Chicagos demographisches Wachstum:[75]

The ‘western fever’ had become epidemic in the eastern part of the United States and also in Canada, and was responsible for bringing thousands of settlers to Illinois and to the Chicago region. One early result was that opportunities for speculation were created by the ‘eastern invasion’ and attracted adventurers of all kinds. A ‘speculation mania’ was said to exist.[76]

Die Abbildungen 1-8 zeigen diesen Prozess, der innerhalb einiger Jahrzehnte den heutigen Mittleren Westen von einem quasi unbesiedeltem Gebiet zu einem Raum machte, der gemäß dieser Karten demographisch nicht mehr viele Unterschiede zum Osten aufwies.[77]

Angesichts der Tatsache, dass die Westausdehnung auch durch die Gründung neuer Bundesstaaten und mit der endgültigen Zurückdrängung oder Befriedung der Ureinwohner relativ risikolos wurde,[78] konnten Ankündigungen beziehungsweise tatsächlicher Bau von zunächst Kanälen oder Straßen und darauf folgende Spekulation[79] auf die Zukunft von an diesen Entwicklungslinien liegenden Orten die Urbanisierung des Westens verstärken. Der Glauben in den noch unterentwickelten Westen der USA erzeugte also durch Besiedlung und Spekulationsfinanzen das Klima für eine rauschhafte Entwicklung der Städte.

Es wurde dabei nicht nur im Westen, sondern auch im Osten, also im Auswanderungsgebiet (das den demographischen Verlust aufgrund hoher Einwanderungsquoten aus der Alten Welt mehr als kompensieren konnte, vgl. Karten), davon ausgegangen, daß der Westen nicht nur ländlich geprägt bleiben würde, sondern analog zum Osten Zentren ausbilden würde. Eine New Yorker Zeitung gab das Meinungsbild im Jahr 1837 wider:

We find in these regions of unsurpassed fertility but a single village peeping out amidst a wide circuit of country full of every productive quality in soil, minerals, river and lake navigation. ... A country settling with such unparalleled rapidity must have its great central commercial points, its manufacturing villages, its agricultural towns, and all these will rise under the magical wand of emigration.[80]

In den Augen Vieler deutete sowohl die Perspektive Amerikas, die auf den Westen ausgerichtet war, als auch die Realität der Wanderungs- und Finanzströme nach Westen darauf hin, daß der Westen Metropolen entwickeln würde, die auf lange Sicht den gleichen oder sogar einen höheren Rang haben würden als die der atlantischen Regionen.

Jeder Ort sah sich als künftige Metropole, die ein großes Territorium als Einzugsgebiet haben würde. Wie weit Chicagos Metropolenrausch anfangs, als der Städtewettbewerb noch nicht entschieden war, ein generelles Phänomen war, zeigen Beispiele unbekannt gebliebener Orte, deren Ambitionen nicht Realität wurden:

The few men who were there [in Grand Island, Nebraska 1867] those early Hall County pioneers, believed in its future. I soon found myself adopting the same point of view. I acquired almost by instinct a firm belief in the future of the great plains. There must be a metropolis somewhere in the great prairie wilderness of central Nebraska, - why not here? ... From whatever or wherever it came, I know that I did not try to analyze or explain my early feeling that Nebraska would be a great state and this small settlement a thriving city.[81]

Als Phänomen der Städte des Westens können die Boosters angesehen werden, da in diesen ihre Zukunft vermeintlich noch vor sich habenden Städten energische und phantasiebegabte Werber für die Zukunft der jeweiligen Stadt, mehr als in den etablierten Ostküstenstädten, erforderlich waren. Sie waren in einigen Fällen optimistisch genug, die Bestimmung ihrer Stadt in einen globalen Kontext zu stellen, wie im Fall von Saint Louis oder Kansas City. Ihr Argument war, daß im Lauf der Geschichte die jeweils bedeutendste Metropole kontinuierlich von Ost nach West gewandert war. Nach Athen, Rom, Paris, London, New York City würde die neue Metropole der Welt Saint Louis heißen müssen.[82]

Der Vergleich mit historischen Vorläufern wurde auch für den Ort des noch zu erbauenden Kansas City herangezogen: „There must be a great city here, such as antiquity built at the head of the Mediterranean and named Jerusalem, Tyre, Alexandria, and Constantinople.“[83]

Angesichts der durch die Euphorie hochgespannten Erwartungen konnten sich in letzter Konsequenz für kaum eine der Städte die Erwartungen erfüllen. Im Zuge des Westerings kam es für jede Stadt darauf an, einen möglichst großen Teil der Entwicklung des Westens der eigenen Stadt zunutze zu machen. Chicago war einer der Orte, der sich, durch eine Kombination aus allgemeiner Westeuphorie und infrastrukturellen Verbesserungen, durchsetzen konnte gegenüber anderen Orten, die wie die älteren und anfangs bedeutenderen Städte Saint Louis oder Cincinatti einen relativen Bedeutungsverlust gegenüber Chicago hinnehmen mussten.

Dabei musste Chicago trotz seiner schon durch die ersten Entdecker prophezeiten günstigen Lage erst einen Wettbewerb gegen eine Vielzahl anderer städtischer Drehkreuze bestehen.

Im Gegensatz zu anderen Städten wurde Chicago begünstigt durch infrastrukturelle Maßnahmen, anfangs von Kanälen: “When the canal is completed ‘we shall see Chicago take her stand among the proudest cities of the nation, and ... no obstacle can impede her onward march to greatness’“.[84]

Der Bau von Eisenbahnlinien stellte einen weiteren Grund dar, Chicagos Zukunft euphorisch zu sehen und sie dementsprechend zu vermarkten. Vor allem angesichts der Tatsache, daß Chicago kein Geld in die Eisenbahnen investieren musste, wurde es in seinem Zukunftsoptimismus bestärkt.[85]

Die Sprache der booster war im Falle Chicagos kein übertriebenes Pathos zum Zweck der Stadtwerbung, sondern Ausdruck der tatsächlichen städtischen Realität. Hinter den Zitaten stand eine bedingslos progressive Stadt, wie sich aus zahlreichen Zitaten von neutralen Beobachtern schließen lässt. Schon vor der realen Existenz der Stadt prophezeite der Pionier LaSalle den Menschentyp, der im späteren Chicago agieren sollte: „The typical man who will grow up here must be an enterprising man. Each day, as he rises, he will exclaim, ‘I act, I move, I push’.“[86]

Diese Prophezeiung sollte sich bewahrheiten, wie Zitate zeigen, die die Stadt in ihrem Charakter beschrieben: „It was a community of men laborers, adventurers, and far-seeing pioneers who dreamed dreams of the great West.“[87]

Den Schriftsteller Theodore Dreiser begeisterte die optimistische Jugendlichkeit der Stadt und die Offenheit ihrer Zukunft. In Chicago „the world was young ... Life was doing something new.“[88]

Die Progressivität der USA erreichte hier sein Maximum: „It is here, indeed, that the American ‘go ahead’, the idea of always going forward ... attains its maximum intensity.“[89]

Die außergewöhnliche Energie wurde international bekannt und überraschte vor allem europäische Beobachter, die ein solches Entwicklungstempo bisher kaum kannten:

Ever since I came into the States, I have been hearing of Chicago, as the great feature of the Western World, and was therefore prepared for a wonderful city. But the reality exceeded my expectations. It is a city, not in growth, but in revolution; growth is too much too slow a word for the transformation of a hamlet of log-huts into a western New York in the space of a few years.[90]

Chicago wurde als urbaner Ausdruck des amerikanischen Mythos from rags to riches gesehen, wenn konstatiert wurde daß „ ... none of Chicago’s rich men ... are rich by inheritance“[91]. Aufgrund der Möglichkeiten, die Chicago bot, zog es Erfolg suchende Amerikaner an, die in dieser Stadt ihre Erfolgsmöglichkeiten auf dem Weg zu ihrem amerikanischen Traum höher einschätzten: „Whatever the place of origin of its citizens, there could be no mistake that Chicago had become associated with success, freedom, and money - with the American Dream itself.“[92]

Eine andere Komponente des vorwärtsstrebenden Klimas der Stadt ist ein ausgeprägter sozialdarwinistischer Charakter Chicagos. Der fast bedingungslose Kapitalismus mit dem die Stadt erfolgreich die Industrie,- Handels- und Verkehrsmetropole des Mittleren Westens und teilweise ganz Nordamerikas wurde, schlug sich auch auf die Atmosphäre der Stadt nieder. Chicagos Brutalität, die es als Industriestadt während der Hochphase des amerikanischen Industrialisierungsprozesses haben musste, wurde mehrfach in der amerikanischen Literatur thematisiert. Die Literatur über das Chicago des ausgehenden 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts behandelt bevorzugt Themen, die den aggressiven Charakter der Stadt verkörpern. Der die rauhe Wirklichkeit wiedergebende Naturalismus von Dreisers Roman Sister Carrie (1900), sowie Sinclairs The Jungle (1906), Norris` The Pit (1903) und die Chicago Poems (1916) von Carl Sandburg nähern sich von verschiedenen Perspektiven der industriellen, sozialdarwinistischen Realität Chicagos an.

Vor allem für Europäer war die Aggressivität Chicagos eine abstoßende Erfahrung, was durch das Zitat des britischen Schriftstellers Rudyard Kipling unterstützt wird:

I have struck a city, a real city, and they call it Chicago ... having seen it, I urgently desire never to see it again. It is inhabited by savages. Its water is the water of the Hugli, and its air is dirt. Also it says it is the „boss“ town of America. ... Except in London I have never seen so many white people together, and never such a collection of miserables. There was no colour in the street and no beauty -- only a maze of wire-ropes overhead and dirty stone flagging underfoot.[93]

Das folgende Zitat kann abschließend wie eine komprimierte Kulturgeschichte von Städten des Mittleren Westens gelesen werden, unter denen sich Chicago schlußendlich als die wichtigste Metropole durchsetzte:

The East had something to build cities on. The Midwest built them from scratch, thrust them up the rivers, scattered them along the railroads, dumped them in the prairie or the forest, and then blew them up like balloons with immigrants. Young men who came as settlers to build their own cabins among earlier cabins, and bought little lots on which to build them, found themselves rich men, running big industrial cities before they were seventy, living from the collosal rents of the little original lots - now huge office buildings in the heart of the commercial section of a brand new city - and forming a social elite of wealthy persons who could buy privileges.[94]

4.1.2 Die Vollendung der Chicagoer Metropolenbestimmung zwischen dem Feuer 1871 und der Weltausstellung 1893

Der 8. Oktober 1871 bedeutet eine Zäsur in der Geschichte Chicagos. Auch wenn der an diesem Tag über die Stadt hereinbrechende Brand Chicago auf den ersten Blick vorläufig ruinierte und sie physisch fast auf ihr erst 41 Jahre zurückliegendes Gründungsniveau zurückwarf, so war trotzdem der Glaube an die größere Zukunft Chicagos erhalten oder sogar gestärkt. Chicagos geostrategische Vorteile blieben bestehen. Es gab trotz der Schwere der Zerstörungen wenige Zweifel, daß der wirtschaftliche und demographische Aufstieg Chicagos fortgesetzt werden würde.

Am 11. Oktober 1871, am dritten Tag nach dem Brand, wurde in der Chicago Tribune der ungebrochene Zukunftsoptimismus zur Schau gestellt. Auch wenn es in der verzweifelten Lage Chicagos und seiner Bewohner aufmunternd und weniger visionär beabsichtigt war, zeigt der Artikel des Herausgebers Joseph Medill den Geist Chicagos: „In the midst of a calamity without parallel in the world`s history, looking upon the ashes of thirty years` accumulations, the people of this once beautiful city have resolved that CHICAGO SHALL RISE AGAIN.“[95]

Dabei zeigte sich, daß Chicago schon 1871 (bei einer Einwohnerzahl von damals knapp 300000 Einwohnern) als die Metropole des amerikanischen Westens wahrgenommen wurde. Angesichts der Wichtigkeit des Westens für die amerikanische Zivilisation beschwor auch die Zerstörung von dessen wichtigster Stadt Anteilnahme in der amerikanischen Öffentlichkeit herauf, die sich medial und auch literarisch äußerte, wovon das folgende Gedicht nur ein Beispiel von vielen ist:

Chicago (Auszug)

John G. Whittier

From East, from West, from South and North,

The messages of hope shot forth,

And, underneath the severing wave,

The world, full-handed, reached to save.

Fair seemed the old ; but fairer still

The new the dreary void shall fill,

with dearer homes than those o`erthrown,

For love shall lay each corner-stone.

[...]


[1] MILLER 1997, S.78.

[2] Vgl. BRIESEN 1992, S. 14.

[3] während eines Großteils seiner Geschichte (1444 bis 1918) war Berlin Residenzstadt und somit nur bedingt eine „Kolonistenstadt“, was eine Stadt meint, die sich aus ähnlich einer frontier-town aus glücksuchenden Pionieren zusammensetzt.

[4] 1244 ist das Gründungsdatum der Stadt Berlin. 1237, das fälschlicherweise oft als Gründungsdatum Berlins herangezogen wird, bezieht sich auf Berlins Schwesterstadt Cölln. Vgl. RIBBE/SCHMÄDEKE 1994, S. 23.

[5] Ablehnende Zitate, die sich auf Berlins Lage gründen sind häufig und werden in Kapitel 3 näher thematisiert.

[6] Dies meint in diesem Zusammenhang ausschließlich die euro-amerikanisch dominierte Geschichte.

[7] THIES/JAZBINSEK 1999, S. 2.

[8] Berlin erfuhr eine Reihe gesellschaftlicher Veränderungen innerhalb des 20. Jahrhunderts. Angefangen von der Hauptstadt des Wilhelminischen Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, verlor West-Berlin seinen Hauptstadtstatus, nachdem Berlin geteilt wurde. Ost- Berlin wurde Hauptstadt der DDR. 1989 wurde die Grenze wieder geöffnet, 1990 wurde Berlin administrativ wiedervereinigt und bekam 1991 die Rolle als deutsches politisches Zentrum wieder zugesprochen.

[9] Die Brandursache und der genaue Hergang sind für die Arbeit nicht relevant, genaue Beschreibungen lassen sich in RANDALL 1949 , SHEAHAN 1872, GOODSPEED 1871 finden.

[10] MILLER 1990 S. 2. 1872 hatte auch Boston einen verheerenden Brand, entwickelte aber nie einen vergleichbaren „Feuer-Mythos“.

[11] Der 9.11.1989 war der Tag der Öffnung der Grenze, nicht der Tag der adminsitrativ-politischen Vereinigung Berlins und Deutschlands (7.10.1990); da die Erwartungen an eine Metropolenwerdung Berlins und auch Bauplanungen für nun wieder in das neue Zentrum gerückte Liegenschaften sofort nach der Maueröffnung begannen, ist der 9.11.1989 die wichtigere Zäsur.

[12] Städte im Westen konnten noch nicht die gleiche soziale Stratifikation aufweisen wie die älteren Städte, z.B. Boston oder New York City. Aufgrund Chicagos Größe und wirtschaftlichen Potenz gab es dort dennoch schon Segregation und Suburbanisierungstendenzen wohlhabender Bürger.Vgl. MILLER 1990, S. 195-250.

[13] West-Berlin war politisch nicht Bestandteil der BRD, wurde aber von ihr alimentiert. Seine ungünstige Lage als von der westeuopäischen Wirtschaft nahezu abgeschnittene Stadt führte zum Verlust eines Großteils seiner ökonomischen Substanz und letztendlich zu seiner permanenten Subventionierung ; Ost-Berlin war zwar Hauptstadt der DDR, deren Wirtschaft aber als relativ rückständig und international nicht wettbewerbsfähig bezeichnet werden kann.

[14] Wichtige Bauten der Kommerzarchitektur von Robert Louis Sullivan stehen beispielsweise in Saint Louis (Wainwright Building) und Buffalo (Guaranty Building).

[15] KIECOL 1999, S. 78. Auf die vielfältigen metaphorischen Bedeutungen, die die Metropole zu mythenbeladenen Orten machen, wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Je nach Sichtweise wurde vor allem die Metropole der Moderne unter Anderem mit Metaphern wie „größte aller Maschinen“ (Frank Lloyd Wright) , „Motor der Zivilisation“, „steinerne Wüste“ und „von Menschen gemachte Natur“ (Hochhausgebirge), oder auch, negativ konnotiert, „Moloch“ (Allen Ginsberg) belegt.

[16] SCHWARZ, 1984, S. 24.

[17] Hier sind zum Beispiel Städte anzuführen, denen es gelang, Bedeutung im Bereich der Finanzdienstleistungen oder des Luftverkehrs zu erlangen und die in diesem Bereich funktionsschwächere Städte kontrollieren. Frankfurt/M. kann als deutsches Beispiel für eine solche Teil-Metropole angesehen werden, die in Form der dort angesiedelten deutschen Leitbörse, der deutschen Groß-Banken, oder des deutschen Luftdrehkreuzes Einfluss auf die Ökonomie des vielfach größeren Berlin hat, welches in diesem Bereich trotz seiner Größe eine Metropole ist.

[18] SCHWARZ 1984, S. 83.

[19] KIECOL 1999, S. 62.

[20] Der Hauptstadtstatus unterliegt weniger als die ökonomische Seite der Metropole einem ständigen Wettbewerb um funktionale Stärke. Trotzdem können Hauptstädte wechseln. Beispiele sind selbst in der jüngeren Geschichte häufig: Der Wechsel von Sankt Petersburg zu Moskau oder von Rio de Janeiro zu dem eigens für die Hauptstadtfunktion neu geschaffenen Brasilia sind Beispiele des 20. Jahrhunderts.

[21] FUCHS/MOLTMANN/PRIGGE 1995, S. 28.

[22] Hauptstadt ist in vielen Ländern nur eine relativ kleine Stadt des Regierungssitzes oder Parlamentes, hat also nur eine politische Dimension ; vor allem in Staaten, die aus ehemaligen europäischen Kolonien hervorgegangen sind, seltener in Europa, stehen Hauptstädte in demographischer Größe und wirtschaftlicher Bedeutung oft größeren Metropolen nach: Beispiele sind Ottawa in Kanada (größte Städte:Toronto, Montreal), Canberra in Australien (Sydney, Melbourne), Pretoria in Südafrika (Johannesburg, Kapstadt) und für Europa beispielsweise Bern für die Schweiz (Zürich).

[23] Bruno Taut in WAGNER 1929, S. 25.

[24] Bruno Taut ebd., S. 30.

[25] EATON 1989, ix.

[26] EATON 1989, S. 3.

[27] MILLER 1990, S. 137.

[28] Vgl. ADAMS/LÖSCHE 1998, S. 47.

[29] Ebd. Die frontier verschob sich nicht nur in westlicher Richtung, sondern auch, aus der Perspektive der dreizehn Gründungsstaaten, in eine nördliche oder südliche Richtung, wie die Aufnahmejahre von Maine 1820, Mississippi 1817 und Alabama 1819 in die USA verdeutlichen.

[30] MILLER 1996, S.75.

[31] Es muss dabei berücksichtigt werden, dass die Hauptstadtfunktion in den USA nicht die gleiche wichtige Rolle spielt wie z.B. in Europa. Das gilt auf der Ebene der Bundesstaaten wie auch für die Bundeshauptstadt Washington D.C.

[32] Vgl. DEDMON 1981, S.17.

[33] CONDIT 1964, S. 120.

[34] MILLER 1996, S. 133.

[35] WILLIAMS 1988, S.25.

[36] Es kann über das relativ späte Datum dieser Karte, 1918, hinweggesehen werden. Die Dominanz Chicagos war schon während der für diese Arbeit relevanten Zeitraums, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegeben.

[37] CRONON 1991, S. 90.

[38] Ebd. S. 283.

[39] Die Kultur- und Namensgeschichte dieser Region ist sehr widersprüchlich und komplex. Im Allgemeinen werden heute zwölf Bundesstaaten zum Mittleren Westen gezählt. Dabei unterscheidet man die sechs Great Lakes States Illinois, Michigan, Ohio, Indiana, Wisconsin, Minnesota, und sechs Great Plains States North Dakota, South Dakota, Nebraska, Kansas, Iowa und Missouri. Für eine detaillierte Geschichte des Begriffs vgl. SHORTRIDGE, 1989.

[40] SHORTRIDGE 1989, S. 21.

[41] Frederick Jackson Turner in SZARKOWSKI 1956, S. 46.

[42] SCHEFFLER 1910, S. 20.

[43] Walter Kiaulehn in JAZBINSEK/THIES 1999, S. 2.

[44] Nicht nur Handelsorte, sondern auch Residenz- oder Hauptstädte wurden oft aufgrund einer günstigen strategischen Lage bestimmt.

[45] Genaugenommen erst als Hauptstadt des Deutschen Reiches und mit Hilfe französischer Reparationsleistungen aus dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg.

[46] Berlin und Cölln waren seit etwa 1350 bis 1434 Mitglied der Hanse. Vgl. RIBBE/SCHMÄDECKE 1994, S. 40.

[47] Ebd. S. 54.

[48] Für eine detailliertere Beschreibung des slawischen Einflusses in der Region vgl. Norbert Reiter in MEYER 1991, S. 1-16.

[49] Ein anderer Grund für die Ablehnung Berlins war der Status als Hauptstadt des aggressiven Staates Preußen.

[50] Konrad Adenauer in SPIEGEL 52/1989, S. 33.

[51] Wilhelm Hausenstein ebd. Dieses Zitat drückt eine ungenügende Kenntnis der tatsächlichen Lage Berlins aus und ist Ausdruck eines gewissen „West-Zentrismus“. In Wirklichkeit lag Berlin während der Zeit des Deutschen Reiches relativ zentral. Es existierte also keine tatsächliche, sondern im Bewusstsein der Deutschen eine „mentale Peripherie.“

[52] SCHEFFLER 1989, S. 15. Bemerkenswert ist, dass diese Zitate aus einer Zeit stammen, als Berlin schon zu den größten und wichtigsten Städten der Welt gehörte. Allerdings existierten Überlegenheitsgefühle auch in die andere Richtung: es war in Berlin gebräuchlich, das Ruhrgebiet als „Wilden Westen“ zu bezeichnen.

[53] Peter Merseburger in DIE ZEIT 51/1998.

[54] SCHLÖGEL 1986, S. 21.

[55] Ebd. S. 15. Auch wenn der Vergleich Polen mit Asien reaktionär wirkt, gibt er die damals vorherrschende Haltung gegenüber dem Osten wieder. Die dünnere Besiedlung des Ostens ist nicht subjektiv, sondern beruht auf Tatsachen.

[56] A.B. Gottwald in SCHWARZ, 1984, S. 426.

[57] SCHLÖGEL 1986, S. 17. Das Zitat stammt von 1986, also aus der Zeit der Teilung der Stadt.

[58] Oft angewendete Bezeichungen wie „Osteuropa“ oder „Westeuropa“ sind zu hinterfragen, da beispielweise das marktwirtschaftlich orientierte Wien östlicher liegt als die sozialistischen Hauptstädte Prag oder Ost-Berlin.

[59] OSWALT 2001, S. 27.

[60] John Czaplicka in KLEIHUES/KAHLFELDT 2000, S. 376.

[61] Karl Heinz Krüger in DER SPIEGEL 52/1989, S. 33.

[62] Obwohl Berlin auf wirtschaftlichem Gebiet noch nicht als echte Ost-West-Drehscheibe positioniert ist (wie die geringe Exportquote Berlins in ehemals sozialistische Staaten veranschaulicht), sind sie doch spürbar. Als Beispiele können der Handel osteuropäischer Aktien an der Berliner Börse (vgl. Winfried Rauter in DIE ZEIT, 10. 05. 2001) sowie die Positionierung der polnischen Mineralölkette Orlen in Berlin dienen (vgl. Thorsten Knut in BERLINER ZEITUNG, 07. 06. 2003.)

[63] Vgl. Andrzy Szczypiorski in DIE ZEIT 46/1998.

[64] Die exakte Zahl der ständigen Bewohner aus ehemaligen sozialistischen Staaten im Osten Europas in Berlin ist schwer zu ermitteln. Zusammen mit den vermuteten sich illegal in Berlin aufhaltenden Siedlern gehen die meisten Schätzungen von mindestens 200000 aus.

[65] Vgl. http://www.oei.fu-berlin.de/Outnow/Boi10/part1.htm

[66] Antonio Skarmeta in DER TAGESSPIEGEL, 12.02.2003, S.26.

[67] Eberhard Diepgen in NEUE ZÜRCHER ZEITUNG 23.05.1995, S. 81.

[68] Vgl. Klaus-Peter Schmid in DIE ZEIT 26/1999 und SENATSVERWALTUNG FÜR STADTENTWICKLUNG 2000 S. 53.

[69] KIL 2000. S.44.

[70] SIEDLER 1998, S. 227.

[71] Ebd. S. 227.

[72] Ein Vergleich der Ost-West-Brückenfunktionen Berlins mit denen von Prag und Wien findet sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Vgl. Michael Frank, 06.12.1995, S. 6.

[73] MILLER 1996, S. 75.

[74] HINE/FARAGHER 2000, S. 1.

[75] Vgl. HINE/FARAGHER 2000, S. 401.

[76] ABBOTT 1970, S. 2.

[77] Der Prozess der Exploration des Westens wurde erst in etwa 1890 beendet. Frederick Jackson Turner erklärte 1893 das Ende der Frontier als das die amerikanische Gesellschaft durchdringende Paradigma. Vgl. sein einflussreiches Essay The Significance of the Frontier in American History in FARAGHER 1994, S.31- 64.

[78] Im Falle Chicagos wurde sein Bundesstaat 1818 gegründet. 1835 wurden die letzten Ureinwohner der Chicagoer Region geschlagen, was die Entwicklung der Stadt erleichterte. Vgl. DEDMON 1981, S. 4.

[79] Spekulation geschah auf finanzieller Ebene in Form von Spekulationsfinanzen als auch auf individueller Ebene in Form von Migration in besonders viel versprechende Orte an Eisenbahnstationen oder Straßen.

[80] HAMER 1990, S. 24.

[81] HAMER 1990, S. 164.

[82] Vgl. HINE 2000, S. 405.

[83] LARSEN 1978, S. 6.

[84] MILLER 1996, S. 72.

[85] MILLER 1996, S. 92.

[86] WILLIAMS 1988, S. 5.

[87] ABBOTT 1970, S. 3.

[88] Ebd. S.192

[89] De Rousiers in WARNER 1972, S. 20.

[90] CHARERNBHAK 1978 S. 52.

[91] LEWIS/SMITH 1929, S. 134.

[92] WILLIAMS 1988, S. 7.

[93] Rudyard Kipling in SZARKOWSKI 1956, S. 80.

[94] Graham Hutton in EATON 1989, S. 4.

[95] LEWIS/SMITH 1929, S. 138.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783836602709
ISBN (Paperback)
9783836652704
Dateigröße
9 MB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
metropolisierung chicago berlin wolkenkratzer architektur
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Titel: Der Traum von der Metropole
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