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Ritualisierte Formen der Spaltung, der Zerteilung und der Zerstückelung in Gottfrieds 'Tristan'

©2006 Magisterarbeit 138 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Die Arbeit untersucht auf literaturwissenschaftlicher wie auf anthropologischer Ebene Ritualformen in Gottfrieds Werk, die Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung ins Zentrum stellen. Die Zerstückelung des Feindes Morold im Kampf ist als gender-konstituierender Faktor zu betrachten; ihr liegt möglicherweise ein kriegerisches Initiationsritual zugrunde (Stichwort: Heilige Hitze).
Der Bast des Hirschen, d.h. seine Form der Zerteilung, findet in äußerst kunstgerechter Ausprägung statt. Später wird der Hirsch wieder zusammengesetzt und als lebendiger (Gemeinschafts)körper, den die Gruppe bildet, präsentiert.
Für das Bastritual werden unter anderem Parallelen zu Formen wissenschaftlicher Sezierung ebenso wie zu solchen der Transsubstantiation, der Zerteilung und des symbolischen Essens eines Gottes zugrunde.
Im Jagdmotiv finden sich mythische Parallelen des Initiationsthemas, etwa in Bezug auf den Gott Dionysos. Darüber hinaus erlebt Tristan selbst häufig eine symbolische Form der Spaltung, etwa als soziale Person, und auch in seiner Trennung von der Geliebten Isolde. Diese Spaltungserfahrungen sind auch im Zusammenhang mit dem Zerteilungs- und Zerstückelungsthema zu sehen. Die Grottenerfahrung der absoluten Verschmelzung im Reich der Liebesgöttin verhält sich zu der beschriebenen Spaltungserfahrung antagonistisch, aber auch komplementär; ihr liegt ein Initiationsritus zugrunde, der auf Regression beruht. Er ist u.a. mit neoplatonischen Gedankengut in Verbindung zu bringen.


Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung1
1.1Uneinheitlichkeit als strukturelles Merkmal1
1.2Rituelle Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung in Gottfrieds Tristan2
1.3Verwendete Forschungsliteratur5
1.4Einbeziehung verwandter Fassungen6
2.Ritualtheorien7
2.1Anmerkungen zum Thema Ritual7
2.2Das Ritual als Mittel, um Unkontrollierbares unter Kontrolle zu bringen8
2.3Van Genneps Stufenmodell des rite de passage und Turners Thesen zum Schwellenreich9
2.4Zum Initiationsritus10
2.4.1Der Initiationsritus als Übergangsphänomen10
2.4.2Initiation im Hochmittelalter12
2.4.3Initiatorischer Tod, Zerstückelung und Wiedergeburt in der Mythologie13
3.Allgemeine Überlegungen zu Ritual und Spaltung in Gottfrieds Tristan14
3.1Die Präsenz von Ritualen in der Literatur des Mittelalters14
3.2Tod, Spaltung und „Wiedergeburt“ als textstrukturierende Elemente15
3.3Entwicklungsweg, Initiations- und Übergangsriten in […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eva Köppl
Ritualisierte Formen der Spaltung, der Zerteilung und der Zerstückelung in Gottfrieds
'Tristan'
ISBN: 978-3-8366-0189-4
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland, Magisterarbeit, 2006
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany


2
1.
Inhalt:
Einleitung...
1
1.1.
1.2.
1.3.
1.4.
2.
2.1.
2.2.
2.3.
2.4.
2.4.1.
2.4.2.
2.4.3.
3.
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3.2.
3.3.
3.4.
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4. 1.
4.2.
4.2.1.
4.2.2.
4.2.3.
4.2.4.
4.2.5.
4.2.6
4.2.7.
Uneinheitlichkeit als strukturelles Merkmal...
Rituelle Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung in Gottfrieds Tristan...
Verwendete Forschungsliteratur...
Einbeziehung verwandter Fassungen...
Ritualtheorien...
Anmerkungen zum Thema Ritual...
Das Ritual als Mittel, um Unkontrollierbares unter Kontrolle zu bringen...
van Genneps Stufenmodell des rite de passage und Turners Thesen zum Schwellenreich...
Zum Initiationsritus...
Der Initiationsritus als Übergangsphänomen...
Initiation im Hochmittelalter...
Initiatorischer Tod, Zerstückelung und Wiedergeburt in der Mythologie...
Allgemeine Überlegungen zu Ritual und Spaltung in Gottfrieds Tris-
tan...
Die Präsenz von Ritualen in der Literatur des Mittelalters...
Tod, Spaltung und ,,Wiedergeburt" als textstrukturierende Elemente...
Entwicklungsweg, Initiations- und Übergangsriten in Gottfrieds Tristan...
Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung als rituelle Formen in Bastritual und Morold-
kampf...
Ritual, Spaltung und Zerstückelung im Moroldkampf...
Die Bedeutung des Moroldkampfes im Werk...
Der Moroldkampf und die ,,militärische Initiation"...
Kennzeichen militärischer Initiationsformen nach Eliade...
Das liminale Setting des Moroldkampfes...
Heilige Hitze und hitzige Wut...
Magische Hitze und die symbolische Aneignung der Kräfte eines wilden Tieres - die Ebersym-
bolik...
Der Kampf ganzer Heere als Kennzeichen der militärischen Initiationsform...
Sakrale Führung und rechtliche Fixierung...
Fazit zu Elementen der militärischen Initiationsform im Moroldkampf...
1
2
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4.3.
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4.3.2.
4.3.3.
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5.
5.1.
5.1.1.
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5.1.4.
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5.2.1.
5.2.2.
5.2.3.
5.2.4.
5.3.
5.3.1
5.3.2.
5.3.3.
5.3.4
Indexikalität, Ästhetik, Stellvertreterkampf und gender...
Indexikalität und gender: Rituelle Funktionen des Moroldkampfes nach den Theorien von
Rappaport, Laqueur und Geertz...
Zerstückelung des Körpers und des Panzers im Moroldkampf und der rituelle Akt der
Determinierung von ,,gender"...
Zusammenfassung: Veränderung der Wertigkeit - die Diskursivität der sakralen
Mächte und die Konstruktion von Männlichkeit im Stellvertreter-
kampf...
Die Funktion von Ästhetik bei der Einkleidung und Ausrüstung Tristans und die Spren-
gung des künstlichen Panzers...
Exkurs I: Heilung von den Wunden und der Prozess der Entfragmentierung als Gegen-
prinzip der Spaltung...
Spaltung und Zerteilung im Bastritual...
Das Bastritual und seine rituellen Funktionen...
Die Signifikanz des Bastrituals als Ritual der Zerteilung und Spaltung...
Liminale Ausgangssituation: Zur Vorgeschichte des Bastrituals...
Zeigen geht vor Erklären: Der Bast als performatives Ritual der Spaltung und Zerteilung
und die Vermittlung von Können und Wissen ...
Bast als Enthäutung und Enthüllung; Entkleiden und Bekleiden...
Tristans Vorgehen und seine rituelle Bedeutung...
Der Bast als Teilritual: Zerteilung eines Lebewesens als Performance...
Die Furkie. Überhöhung, symbolische Kastration und rituelle Verschleierung...
Die Curie: Symbolisches Verwerfen und Arrangement des ,,Minderwertigen"...
Die Semantik des prîsant; symbolisches Wieder- Zusammensetzen des Zerteilten...
Sakrales und initiatorisches Opfer und der Bast...
Zerteilung, initiatorisches Opfer und Transformation im Bastritual...
Sakralität und Gemeinschaftsopfer: Brotmetapher und Bastritual im Vergleich...
Mythologisches Opfer und Initiation. Zum mythischen Bild des Gespaltenseins und der
Zerstückelung. Dionysos und andere zerstückelte Gottheiten als liminale Gestalten und
rituelle Opferhelden und Gottfrieds Tristan...
,,Gläubige" Reaktion und Mythosanalogie in der Bastszene ...
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5.4.
5.4.1.
5.4.2.
5.4.3.
5.4.4.
5.4.5.
5.5.
5.6.
5.6.1.
5.6.2.
5.7.
5.8.
A.
B.
C.
D.
E.
6.
Gruppenbildung und Nahrungskommunikation ...
Gruppenbildung und rituelle Gesichtspunkte der Nahrungsaufnahme und des Opfe-
rungs-mythos im Zusammenhang mit Zerteilung und Synthese...
Das Jagdmotiv und der Aspekt der Nahrungskommunikation...
Transsubstantiation und symbolisches Mahl. Die Mysterien der Nahrungsaufnahme und
die Naturphilosophie...
Der Nahrungszirkel und seine Analogien zum initiatorischen Opferritual ...
Archaische und mythische Jagd und die Performance der Zerteilung. Paradigmenwechsel
in der Semantik des Hirschen und seiner Mittlerfunktion und die Bezüge zu Gottfrieds
Tristan ...
Bast, Sezierung, Analyse und Wissenschaft. Die sezierende ,,Analyse" der Teile und das
Ganze...
Zusammenfassung und Ergänzungen zu ritueller Verschleierung und Bewältigung des
Unwägbaren...
Euphemistische Sprache und rituelle Elemente im Bastritual...
Bewältigung von Unwägbarem in der "royal procession"...
Dramatisierung der Konflikte: Deep play von Clifford Geertz in Bastritual und Morold-
kampf...
Fazit: Vergleich zwischen ritueller Spaltung/Zerteilung/Zerstückelung in Moroldkampf
und Bastritual...
Exkurs II...
Synthese, Verschmelzung und Vereinigung in der Minnegrotten-Episode...
Die ,,Erlebnisstruktur" der Grotte als symbolischem Ort der Minne...
Die Bedeutung der Höhlen- und Grottensymbolik für initiatorische Themen und Gott-
frieds Minnegrotte...
Einheit und Verschmelzung als initiatorisches Thema und der Ort die Grotte als
Minneort .Rundheit und Geschlossenheit, Uterus und Urorobus...
Einfachheit und Einheitlichkeit...
Fazit: Verschmelzung und Zerteilung: Bastritual und Minnegrotten-Episode...
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5
1. Einleitung
1.1 Uneinheitlichkeit als strukturelles Merkmal
Zu Gottfrieds von Strassburg um 1210 entstandenem Versroman-Fragment Tristan, einem der
Hauptwerke der mittelalterlichen Hochepik, gestalten sich die Interpretationsansätze inzwischen
derart komplex, dass ein Konsensus in der Forschung als unerreichbar gilt.
1
Dies mag kaum ver-
wundern, zumal die Widersprüchlichkeit des Werkes und seine gleichzeitige Vielgestaltigkeit als
eines seiner Hauptcharakteristika zu bezeichnen sind.
2
So wird Gottfrieds Roman, der gemeinhin als
der
richtungsweisende Liebesroman
3
des Mittelalters gehandelt wird, unter anderem auch als
Künstlerroman interpretiert. Der in ihm geführte Diskurs über Bildung ist für den Handlungsverlauf
von Relevanz,
4
und manche Forscher entdecken für das Werk die (auch strukturelle) Bedeutung der
Musik.
5
In der Tat ist seine ästhetische Seite ebenso bedeutsam wie die ethisch-moralische.
6
1
Vgl. Schnell, Suche nach Wahrheit, 1992, 3.
2
Gegenüber Versuchen einer Gesamtinterpretation wie z.B. dem Tomaseks wurde bereits gegen Ende der 80er Jahre
deutliche Kritik laut. Vgl. ebd., 4 f. und Tomasek, Die Utopie, 1985.
Schnell stellt eine ,,merkwürdige Zwiespältigkeit"
fest, die fast alle Schichten des Romans durchzieht. Vgl. ebd., 5. Ingrid Hahn spricht von der ,,Einsicht in die Mehr-
deutigkeit des Seins." Hahn, Raum und Landschaft, 1963, 147. Walter Haug macht darauf aufmerksam, dass seine
Uneinheitlichkeit sich nicht aufhebt, sondern dass sie sich ,,gerade zum Prinzip der Ganzheitlichkeit des Werkes er-
hebt". Vgl. Haug, Sexueller Sündenfall, 1985, 40. Ähnlich Grubmüller, ir unwarheit warbaeren, 163 und Lanz-
Hubmann, ,,Nein und ja", 1989, 50. Für Haug sind zugleich ,,[...] reine Positivität, utopische Ahnung der Seligkeit,
absolute Versöhnung und das Negative schlechthin" Charakteristika des ,,Tristan"- und damit ,,Schuld, Verbrechen,
Tod." Haug, 1985, 45 f. Die Zwiespältigkeit des Werkes ist ein Aspekt, der auch im Zusammenhang mit literarischen
Repräsentationsformen von Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung mit von Bedeutung ist. Vgl. Schnell, 1992,5.
3
Vgl. z.B. Köbele, Mythos und Metapher, 2004, 222.
4
Vgl. Javor Briski, Die Bildung in Gottfrieds Tristan, 1996, 13­25.
5
Vgl. u.a. Gnaedinger, Musik und Minne, 1994, 1­18., Bekker, Journey through the Realm of Eros, 1987, 29. Die
Gattungsfrage ist auch im Hinblick auf die heterogene Struktur des Werkes relevant. Vgl. Riemer/ Egert, The
Presentation and Function, 1994, 95­106.
6
Vgl. z.B. Tomasek, die Utopie, 1985.
Struktur und Gattung des Tristan mag auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Formen der Initiation, die sich in
dem Werk spiegeln, eine entscheidende Rolle spielen. De Boor liest den Roman als Minnelegende. Vgl.: de Boor, Die
Grundauffassung von Gottfrieds Tristan, 1964, 168. Ralf Simon bestätigt bezüglich des Ursprungs dieser Erzählform
die Auffassung, der Tristan sei ,,im Kern ein Feenmärchen". Simon, Thematisches Programm, 1990
,
355. Das
Feenthema ist in der Literatur des Mittelalters häufig mit der Initiations- und Übergangsproblematik verbunden. Zu
Übergangsriten und Feenproblematik, vgl. z.B. Wawer, Tabuisierte Liebe, 2000, allgemein zum Feenthema, vgl. z.B.
Wolfzettel, Fee und Feenland, 1984, 945-964 und Harf-Lancner, Les fées au moyen age, 1984.
In Gottfrieds Tristan zeichnen sich jedoch mehrere Erzählschemata ab: Eine Elternerzählung, eine Jugendgeschichte,
eine Feengeschichte, eine gefährliche Brautwerbung, eine Schwankgeschichte, eine Episodenkette von Listen gegen
den betrogenen Ehemann (Schwankkette), eine Fluchtgeschichte, eine über die Handlung verteilte Serie von Aventiu-
ren, eine über die Handlung verteilte Serie von Episoden von Tristan als Spielmann sowie Elemente, die sich in diese
Schemata nicht einordnen lassen. Vgl. Simon, 1990, 356 u. 365. Die Vielfältigkeit der Erzählschemata macht die
Uneinheitlichkeit und Durchbrochenheit des Werkes plausibel.

6
Vor allem die ältere Forschung widmete sich ausgiebig der Auseinandersetzung mit irokeltischen,
kymrischen und piktischen Paralleltexten, aber auch mit orientalischen Einflüssen.
7
Gottfrieds mög-
liche Affinität zu Strömungen wie dem Katharertum
8
und dem Neoplatonismus
9
und ihre Wirkung
auf den Roman wird in der Sekundärliteratur ebenso diskutiert wie Bezüge zu antikem Denken
10
und Implikationen aus dem religiösen und geistlichen Diskurs seiner Zeit.
11
Was für einzelne Romangestalten oder Motive gilt, ist häufig auch bezüglich der Gesamtstruktur
des Tristan relevant: Verschiedene Folien scheinen quasi übereinander projiziert und liefern eine
eigene Form der ,,Illumination"
12
bzw. eine spezielle ästhetische Mischfärbung. Sie spiegeln eine
Vielzahl von Quellen bzw. im Roman verarbeitete Diskurse, die sich unter der Hand des Dichters zu
einer neuen, heterogenen Einheit formieren.
7
Vgl. Schoepperle- Loomis, Tristan und Isolt, 1960, zuerst 1913 Schoepperle- Loomis, Tristan und Isolt, 1960, zuerst
1913. Als keltische Vergleichstexte gelten dabei die sogenannten imrama- und aitheda- Erzählungen. Ranke baut
Schoepperles Thesen weiter aus und setzt verschiedene Entwicklungsstufen an, wobei die keltische Fluchterzählung
als die älteste angesehen wird. Vgl. Ranke, Tristan und Isold, 1925, neuerdings zu den keltischen Vergleichstexten
Kühnel, Derdriu und Noín / Graínne und Diarmaid / Tristan und Isolt, 1987, 394­404, Markale, Die Druiden, 163 und
202, Mc Cann, Tristan: The Celtic Material Re-examined, 1990, 19­28/1995, 3-35 und Mälzer, Die Isolde-Gestalten,
1991.
Zu der Auseinandersetzung mit orientalischen Vergleichstexten, vgl. Walter Haugs Aufsatz ,,Die Tristansage und das
persische Epos ,Wis und Ramin' ", 404-423.
8
Vgl. Weber, Die Krise des hochmittelalterlichen Weltbildes, 1953, Betz, Gottfried von Straßburg als Kritiker höfi-
scher Kultur, 1969, 168-173, Bayer, ,,Vita cum Phoenice complice", 1988, 20­31 sowie Huber, ,Tristan und Isolde',
1986, 32 zu Katharern und anderen ,,Ketzern".
9
Vgl. z.B. Bacher, Isolde und der Magnetstein, 1990, 147-178, DiLeo, The Divine Structure, 45­62 und
Hurst, "Circularity signifies simplicity", 1994, 337­346.
10
Vgl. z.B. Nolte, The Classical Allusions, 1992, 144­153 und Ohly, Wirkungen von Dichtung, 26­76.
11
Vgl. hierzu Wachinger, Geistliche Motive und geistliche Denkformen, 2002, 243­255, Lähnemann, Tristan und der
Sündenfall, 2002, 221­242, Poag, The Onset of Love, 1988, 285­305 und Wessel, Probleme der Metaphorik, 1984.
12
So präsentiert sich die Isoldefigur als junges adeliges Mädchen, das manchmal aber auch Züge einer ursprünglich
neolithischen Sonnengöttin trägt. Vgl. Markale, La femme celte, 1972, 316. Vgl. Gottfried von Strassburg, Tristan,
2002, Bd.2, V. 10885. Die Überblendungen unterschiedlicher Ebenen werden besonders auch in der Interpretation
Sneeringers deutlich. Vgl. Sneeringer, Honor, love and Isolde, 2002.

7
1.2. Rituelle Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung in Gottfrieds Tristan
Das Thema Spaltung in seiner chiastischen Verklammerung mit dem Synthesebegriff
13
tritt, und
zwar schon im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit des verarbeiteten Materials,
14
als ein das Werk
entscheidend mitbestimmender Faktor in Erscheinung, der die Kunst der Integration scheinbar un-
vereinbarer Gegensätze bezüglich Weltbildern, Theorien und Denkweisen erforderte. Als eine der -
in der Sekundärliteratur noch wenig behandelten - Folien, die zum Verständnis des Werkes beitra-
gen können, treten die unterschiedlichen Formen der Ritualisierung in Gottfrieds Tristan in Erschei-
nung, wie sie sich im Hinblick auf die Motive von Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung präsen-
tieren.
15
Diese bilden innerhalb des Werkes eine Konstante.
Deutlich erkennbar sind literarisierte Repräsentationsformen von Spaltung, Zerteilung und Zerstü-
ckelung im Bastritual
16
und im Moroldkampf.
17
Die beiden Episoden werden daher hier schwer-
punktmäßig behandelt. Darüber hinaus stellen sich Bezüge zu anderen Textstellen, in welchen die
Spaltungsmetaphorik von Bedeutung ist, her. Hierzu kontrastiv und ergänzend wird auch die The-
13
Vgl. zur Verklammerung von Spaltung und Synthese im Bastritual die These Krauses, der dort eine binäre Form
der Analyse und Synthese angewendet sieht. Vgl. Krause, 1996, 176 ff. und Anm. 530 dieser Arbeit. In dem Parado-
xon, dass der symbolisch wieder zusammengesetzte Hirsch eigentlich ein zerteilter bleibt, während die eloquente
Performance den Vorgang der Zerteilung flüssig, in sich rund und lebendig gestaltet, zeigt sich eine chiastische Über-
kreuzung der Begriffe Spaltung und Synthese ebenso wie eine oxymorale Funktion. Vgl. die Interpretation ab Ab-
schnitt 5. dieser Arbeit. Verklammerung und Aufeinander-Bezogensein von Spaltung /Zerstückelung und Synthese
wird auch in Bezug auf den Moroldkampf und die damit in Zusammenhang stehende Szene der Heilung der symboli-
schen Zerstückelungswunde durch die Königin Isolde deutlich. Vgl. hierzu die Interpretation ab S. 38 dieser Arbeit.
Immer wieder scheinen sich im Werk die Begriffe von Spaltung und Verschmelzung/Synthese zu überkreuzen und
überblenden, etwa bezüglich der Dialektik des Getrennt- und Gespaltenseins Tristans und Isoldes aufgrund ihrer ge-
sellschaftlichen Situation; als Paar, das Ehebruch begeht und das durch gesellschaftliche Faktoren getrennt wird, das
aber dennoch durch den Trank untrennbar eins geworden ist. Aufgrund der faktischen Unvereinbarkeit und dennoch
Verknüpftheit des Spaltungs- und Synthesebegriffs kommt dieser Verbindung auch oxymorale Bedeutung zu. Vgl.
hierzu auch die Untersuchungen zur oxymoralen Struktur im Hinblick auf die Dichotomie von Leben und Tod, darge-
stellt z.B. bei von Burg, Tristan und seine Mütter, 1990, 79-90, 81. Der Trank vereint das vorher durch Hass Gespalte-
ne: ,,diu süenaerinne Minne/diu haete ir beider sinne/von hazze gereinet,/mit liebe alsô vereinet,/ daz ietweder dem
anderm was/ durchlûter alse ein spiegelglas./si haeten beide ein herze." Gottfried von Strassburg, Tristan (3 Bände),
2002, Bd.2, V. 11721- 11727. Isolde ist insofern durch die Trennung von Tristan auch in sich selbst gespalten, als sie
ihre Sprache und ihren Geist nun quasi als von sich selbst getrennt wahrnimmt: ,,Tristandes zunge und mîn sin/diu
varnt dort mit ein ander hin." Ebd., V. 18527 f. Die als unverbrüchlich erfahrene Vereinigung des Paares wurde noch
kurz vorher durch einen Ring besiegelt: ,,ein lîp, ein leben daz sîn wir." Ebd., V. 18344 und ebd., V. 18355 f.
14
Vielleicht ist es u.a. schon auf diese Gegebenheit zurückzuführen, dass im Zusammenhang mit dem Werk so häufig
der Begriff der Überdeterminierung fällt. Vgl. etwa Schulz, ,,in dem wilden wald., 2003, 515-547, 543.
15
Hinsichtlich der historischen Verortung der Spaltungserfahrung spricht Wenzel von einer Sattel- und Schwellenzeit
im Sinne von Kosellek/Luhmann; letzterer geht hierauf in Bezug auf die ,zentralen Momente der Sinngebung' ein.
Vgl. ebd., 229, Kosellek, Vergangene Zukunft, 1984, 17 ff. und Luhmann, Das Problem der Epochenbildung, 1985, 11
ff. In diesen Zeiträumen kommt es häufig zur Infragestellung überindividueller Ordnungseinheiten. Vgl. auch die
Einführung in verschiedene Ritualtheorien ab S. 7 dieser Arbeit.
16
Vgl. Tristan, 2002, Bd.1, V. 2759- 3485.
17
Vgl. ebd., V. 5867- 7230.

8
matik von Synthese und Verschmelzung behandelt, die in der Heilungsepisode nach dem Morold-
kampf und in der Minnegrotten-Episode erkennbar ist.
Das vorliegende Thema bearbeite ich ausgehend von aktuellen Forschungsschwerpunkten der Ger-
manistik, jedoch auch unter Einbeziehung eines kulturanthropologischen Ansatzes - wobei v.a. im
Hinblick auf die bereits existierende Literatur zum Bastritual ebenfalls Überschneidungen germanis-
tischer und kulturanthropologischer Ansätze zu vermerken sind.
Untersucht werden unter anderem der Faktor Performativität
18
sowie rituelle Fixierungen des Ge-
schlechts, des Status (Stichwort: Indexikalisierung) und rechtlicher Fragen. Hiermit in Zusammen-
hang steht auch die Frage nach der Art und Weise ritueller Dramatisierung von Konflikten, wie sie
im Moroldkampf in Erscheinung treten
19
- im Gegensatz zu rituellen Formen, die primär einen Pro-
zess der Verschleierung oder Beschönigung widerspiegeln. Diese zeigen sich tendenziell eher im
Bastritual. Unwägbare, erschreckende, moralisch nicht akzeptable Elemente werden verschleiert,
verbrämt und umgedeutet; sie sind häufig mit einem Prozess der Kulturschöpfung in Verbindung zu
bringen.
Mythische
20
und sakrale Manifestationsformen von Zerteilung und Zerstückelung werden auch im
Zusammenhang mit anthropologischen bzw. mythentheoretischen Modellen verhandelt; doch stel-
len sie nur eine Art ritueller Formen der Spaltung dar, die sich im Werk wieder finden.
21
Es beste-
hen Verbindungen zu Motiven wie der Mittlerposition des zerteilten Helden in der mythischen Initi-
ation, des Schamanen im initiatorischen Modell der Zerstückelung und Wiedergeburt, des Opfertie-
res im Opferritual sowie mit dem ,,kulinarischen" Modell der Mittlerposition von Speisen.
18
Als ,,performativ" sind ,,Handlungen und Interaktionen [begreifbar, die ...] als Vollzug, Vergegenwärtigung oder
Erzeugung charakterisiert werden können."
SFB- Sonderforschungsbereich Kulturen des Performativen, Projekt A2
Emotionalität, (Online-Publikation), http//www.sfb-performativ.de/seiten/a2_vorhaben.htmlsfb-
performativ.de/seitena1/a1_vorhaben.html, Stand: 6.2.2005, 1.
Die Begriffe Performanz und Performativität zeichnen sich insgesamt ebenso durch ihre vielgestaltige Verwendbarkeit
aus wie durch ihre Mehrdeutigkeit. ,,Performanz kann sich ebenso auf das ernsthafte Ausführen von Sprechakten, das
inszenierende Aufführen von theatralischen und rituellen Handlungen [...] wie auf den [...] ,Akt des Schreibens' oder
auf die Konstitution von Imaginationen im ,Akt des Lesens' beziehen." Wirth, Performanz zwischen Sprachphiloso-
phie und Kulturwissenschaften, (Online-Publikation),
html://www.uni-frankfurt.de/
wirth/texte/WirthPerformanz.htm, Stand: 2005. Praktisch hat sich der Begriff der Performanz ,,[...] von einem terminus
technikus der Sprechakttheorie zu einem umbrella term der Kulturwissenschaften verwandelt." Ebd.
19
Hierbei spielt die gender- Frage auch eine entscheidende Rolle. Im Wesentlichen wird in dieser Arbeit von der in-
zwischen bekannten Unterscheidung zwischen Sex als dem ,,natürlichen" Geschlecht und gender als dem gesellschaft-
lich determinierten ausgegangen. Judith Butler geht jedoch darüber noch hinaus, indem sie auch das sogenannte ,,na-
türliche" Geschlecht in seiner gesellschaftlichen Determiniertheit darstellt. Vgl. Butler, Unbehagen der Geschlechter,
1991, 190 ff.
20
Eine Definition bzw. ein kurzer Überblick über mythostheoretische Ansätze folgt später an passender Stelle.
Vgl. Anm. 419.
21
Zu allgemeinen rituellen Charakteristika vgl. S. 7 ff dieser Arbeit.

9
1.3. Verwendete Forschungsliteratur
In Bezug auf Initiationsriten beziehe ich mich auf die Theorien Mircea Eliades
22
zum Mysterium
der Wiedergeburt; im Hinblick auf die Übergangsproblematik folge ich im Wesentlichen den An-
sätzen Viktor Turners
23
und Arnold van Genneps.
24
Allgemein zu Funktionen des Rituals arbeite
ich mit Thesen von Roy A. Rappaport.
25
Zu der Problematik der kulturellen Verschleierung und
Verbrämung werden die Untersuchungen Jonathan Smiths,
26
Elisabeth Schmids
27
und Margaret
Browns/C. Stephen Jaegers
28
mit herangezogen, zu Formen der Dramatisierung die Thesen von
Clifford Geertz,
29
zu Sakralität und Opferschema, die Ansätze Ingrid Kastens,
30
zum Einge-
schlechtsmodell, die Untersuchungen Thomas Laqueurs.
31
Zur Deutung der Zerstückelungsproble-
matik im Moroldkampf in Gottfrieds Tristan sind vor allem die Ausführungen von Karina Keller-
mann
32
für diese Arbeit von Relevanz, zur Problematik ritueller Spaltung die Thesen Hans Jürgen
Scheuers
33
.
Zunächst wird ein für das Gesamtverständnis unabdingbarer Begriffsapparat aufgebaut, auf den im
Laufe des Werkes immer wieder zurückgegriffen werden kann. Die komplexen Verbindungen zwi-
schen rituellen Merkmalen initiatorischer/liminaler, mythischer und/oder anthropologischer Art
erschließen sich erst nach einer längeren Arbeit an den unterschiedlichen und heterogenen Implika-
tionen des Werkes im Hinblick auf die Präsenz unterschiedlicher Formen von ritueller Spaltung,
Zerteilung und Zerstückelung.
22
Vgl. Eliade, Das Mysterium der Wiedergeburt, 1988.
23
Vgl. Turner, Victor, Betwixt and Between, 1967, 93-111.
24
Vgl. van Gennep, Übergangsriten, 1999 (zuerst 1909), 21.
25
Vgl. Rappaport, Ritual und performative Sprache, 1998, 191- 210.
26
Vgl. Smith, Ritual und Realität, ebd., 1998, 213- 249.
27
Vgl. Schmid, Natur und Kultur in der Jagdszene, 2002, 153­166.
28
Vgl. Brown und Jaeger, Pageantry and Court Aesthetic, 1990, 29­44.
29
Vgl. Geertz, ,,Deep play", 1998, 99- 117.
30
Vgl. Kasten, Martyrium und Opfer, 2004, 245- 265.
31
Vgl. Laqueur, Auf den Leib geschrieben, 1992.
32
Kellermann, Körper, Kampf und Kunstwerk, 2002, 131­152.
33
Vgl. Scheuer, 1999.

10
1.4. Einbeziehung verwandter Fassungen
Für eine Untersuchung dieser Problematik erweist sich die Gottfried'sche Fassung des Tristanstof-
fes als sehr ergiebig. An einigen wenigen Stellen werden in dieser Arbeit aber auch Vergleichstexte
anderer Fassungen mit herangezogen, z.B. die früheren Bearbeitungen des Tristanstoffes durch Eil-
hard
34
und Berol,
35
der englische Sir Tristrem
36
sowie die Fassung des Thomas von Britannien.
37
Diese gilt zusammen mit Gottfrieds als besonders ,,höfische Fassung".
38
Zur ergänzenden Verfügung könnten auch die sogenannte estoire, eine angenommene ,,höfische"
Urfassung oder andere Rekonstruktionen des ,,Urstoffes"
39
oder die Werke der Vorgänger wie auch
der (selbsterklärten) Nachfolger und ,,Vollender" Gottfrieds, Heinrich von Freiberg
40
und Ulrich
von Türheim
41
herangezogen werden, doch würde eine intensivere Einbeziehung dieser Fassungen
hier den Rahmen sprengen. Erwähnung finden in Einzelfällen - angesichts der gegebenen Knapp-
heit in begrenzterem Umfang - auch die dem keltischen Bereich entstammenden aitheda - und im-
rama
- Erzählungen,
42
die mit dem das Werk motivisch eng verknüpft sind.
Im Folgenden werden zunächst allgemeine Theorien des Rituals, des rite de passage und der Initia-
tion vorgestellt, die denn als Grundlage für die Interpretation des initiatorischen Spaltungs- und Syn-
thesethemas in Gottfrieds Tristan dienen.
34
Vgl. Eilhard von Oberg: Tristrant und Isalde, 1993.
35
Vgl. Berol: Tristan und Isolde, 1962, Bd. 1.
36
Vgl. Kölbing, Eugen (Hrg.): Sir Tristrem, 1882/1985, 108 f.
37
Vgl. z.B. in Bezug auf Details wie das Hinüberrudern auf den See im Moroldkampf, vgl. Gottfried von Straßburg,
Tristan
,
2002, Bd. 1, 6738 ff, auf Einzelheiten in der Furkie, einem Teil des Bastrituals (vgl. ebd., 2924 ff), für die die
saga
als Referenzfolie dienen kann. Bezüglich des Jagdszenarios wird die englische Sir Tristrem- Fassung kontrastiv
erwähnt. Im Hinblick auf das Auftreten liminaler Motive in der Minnegrotte vergleiche ich Gottfrieds Fassung mit der
Eilhards und Berols.
Die Fassung des Thomas ist nur fragmentarisch überliefert, deswegen wird häufig auf die eng verwandte nordische
saga
zurückgegriffen. Vgl. Tristrams Saga ok Isondar, 1878, Nachdruck 1978 und Thomas, Tristan, 1985; vgl. a.
Thomas d'Angleterre, Tristan et Yseut, 1994, mit Ergänzungsband: Thomas d'Angleterre, das Carlisle-Fragment,
1992/5.
38
Sogenannte ,,höfische" Elemente sind allerdings keine Erfindung von Thomas, wie etwa Peter Stein betont. Vgl.
Stein, 2001, 31-34. Kritisch zu der bislang unbefriedigenden Begriffsdefinition des Terminus ,,höfisch" und ,,amour
courtois" Ingrid Kasten. Vgl. Kasten, Der amour courtois, 1995, 161- 174.
39
Vgl. hierzu ausführlich Schoepperle-Loomis, 1960.
40
Vgl. Heinrich von Freiberg: Tristan, 1877, neu aufgelegt 1966.
41
Vgl. Ulrich von Türheim: Tristan, 1979. Gottfrieds Werk bricht an der Stelle ab, wo Tristan über die Gespaltenheit
seiner Gefühle bezüglich Isolde bzw. Isolde Weißhand sinniert. Vgl. Tristan, 2002, Bd.2, V. 19545. Die Nachfolger
verfehlen häufig die geistigen Inhalte, die von Gottfried intendiert wurden.
42
Zu deren Nacherzählung und Interpretation, vgl. Schoepperle-Loomis, 1960, 574 .

11
2. Ritualtheorien
2.1. Anmerkungen zum Thema Ritual
Ein Ritual setzt sich im Wesentlichen aus symbolischen Handlungen zusammen. Es stellt tiefgrei-
fende gesellschaftliche Prozesse dar, formt sie oder gibt sie wieder.
43
In jeder Kultur spielen Rituale auf die eine oder andere Art eine Rolle. Je nachdem, wo und in wel-
chem Kontext sie in Erscheinung treten, variiert ihre Form und Bedeutung. Es stellt sich u.a. die
Frage, welche Teile der Gesellschaft, ob Unter- und Randgruppen, ob Eliten etc. Rituale zu wel-
chem Zweck durchführen, und unter welchem Grad an Exklusivität.
44
Victor Turner spricht in Bezug auf den Ritus oder das Ritual von einem ,,sozialen Drama", Clifford
Geertz,
45
Stanley Tambiah,
46
Richard Schechner,
47
Roy A. Rappaport
48
verfechten die Idee der
,,kulturellen Performance".
Der Charakter des Rituals ist ein prozesshafter. Es unterliegt bestimmten Regeln, die sich durch
Variabilität auszeichnen. Der ebenfalls häufig auf das Ritual angewandte Begriff der ,,Performativi-
tät" legt die Betonung zum einen auf den Aufführungscharakter, zum anderen auf die Tatsache, dass
Rituale als Ausdruck, Vergegenwärtigung oder Kreierung tiefgreifender gesellschaftlicher Prozesse
zu verstehen sind.
Clifford Geertz erforscht rituelle kulturelle Arten der Performance, bei denen verdrängte Konflikte
der Hierarchiebildung eine Rolle spielen.
49
Emile Durkheim
50
stellt das Ritual als Mittel zur Gemeinschaftsstiftung dar. Er untersucht diesen
Faktor anhand politischer Rituale. Oftmals entsteht im Ritual der Eindruck der Teilnahme an etwas
43
Vgl. Geertz, 1998, 99-117.
44
Im Mittelalter ausgeübte Rituale können nicht mit solchen, die unter heutigen Bedingungen stattfinden, gleichgesetzt
werden. Parallelen, die dennoch feststellbar sind, verweisen dennoch nicht auf Kompatibilität. Dies gilt u.a. in Bezug
auf den sakralen Aspekt, sowie bezüglich der Frage von Kollektivität und Individualität. Zu einer die historischen
Gegebenheiten mit einbeziehenden Betrachtungsweise von Ritualen und ihren literarischen Manifestationsformen im
Mittelalter, vgl. z.B. die Anmerkungen Eliades zur Literarisierung des Initiationsrituals im Hochmittelalter. Vgl. Elia-
de,1988, 224- 230.
45
Vgl. Geertz, 1998, 99- 117.
46
Vgl. Tambiah, Eine performative Theorie des Rituals, 1998, 227- 249.
47
Vgl. Schechner, Ritual und Theater, 1998, 415- 434.
48
Vgl. Rappaport, 1998, 191- 210.
49
Vgl. ebd.
50
Vgl. Durkheim, The Elementary Forms of the Religious Life, 1965.

12
Überindividuellem, Transzendentem als kollektiver Form der Repräsentation.
51
Symbole sind für
die Bildung von Gemeinschaft dabei von entscheidender Bedeutung.
52
2.2. Das Ritual als Mittel, um Unkontrollierbares unter Kontrolle zu bringen
Als weiterer Aspekt, der für die Interpretation des Moroldkampfes wie des Bastrituals eine Rolle
spielt, ist die Funktion des Rituals, das als Mittel eingesetzt wird, um Unkontrollierbares unter Kon-
trolle zu bringen. Dieser Faktor wird im Laufe der Arbeit immer wieder angesprochen, da er sich
nicht als trennbar von anderen hier untersuchten Phänomenen erweist.
Für Jonathan Smith sind ,, [...]
Rituale Werkzeuge, die der Mensch braucht, um Zufall in Ordnung zu verwan-
deln."
53
So besteht im sakralen Bezirk meist eine ritualisierte Form von Ordnung.
54
Sinn und Zweck
bestimmter Rituale ist es demnach, unkontrollierbare und/oder moralisch nicht vertretbare Fakten,
etwa in Bezug auf bestimmte Vorgehensweisen bei einer Jagd, auf diese Weise auszuklammern.
Gleichzeitig wird sich der Mensch laut Smith des Unterschiedes zwischen Chaos und Ordnung be-
wusst.
55
Rituelle Formen dieser Art sind vielfach auch in Gottfrieds Tristan präsent.
Bei Völkern mit animistischen Vorstellungen besteht häufig ein ambivalentes Verhältnis zu dem
erjagten Tier: ,,[...]
ein antagonistisches Zusammenspiel der Empfindung von Tötungslust, Tötungsschuld und an-
schließendem Wunsch nach schulddispensierender Katharsis."
56
51
Vgl. Rappaport, 1998, 208.
52
Vgl. Kertzer, Ritual, Politik und Macht, ebd., 365- 390.
53
Vgl. Smith, 1998, 217.
54
Diese Form der Ordnung suggeriert etwa das Ritual der sibirischen Jägerkultur von der ,,perfekten Bärenjagd", wie
sie theoretisch hätte geschehen können, praktisch aber nie stattfinden wird. Vgl. ebd.
55
Vgl. ebd. Zu ähnlichen Thesen kommt der Mythenforscher Hans Blumenberg. Bei ihm ist auch bezüglich der Funk-
tion des Mythos von einer ,,Depotenzierung der Unheimlichkeit der Welt, des Absolutismus der Wirklichkeit" die
Rede, wodurch die funktionale Ähnlichkeit von Mythos und Ritual verdeutlicht wird. Vgl. Friedrich/Quast, Mediävis-
tische Mythosforschung, 2003, XIV zu Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotenzial, 1971, 11- 66. Der
Mythos arbeitet, ähnlich wie viele Rituale, an der ,,Entängstigung des Menschen vor allen ihm unbegreiflichen Gewal-
ten." Blumenberg, Arbeit am Mythos, 1996, 597. Blumenbergs Thesen sind im Anschluss an Horkheimer verstehbar,
nach dem im Mythos Aufklärung am Werk sei; die ,,numinose Unbestimmtheit" werde dabei in ,,nominale Bestimmt-
heit" übergeführt. Vgl. Friedrich/Quast, 2004, XIV f.
56
Krause, Die Jagd als Lebensform, 1996, 29. Vgl. zu dieser Form der Katharsis im Mittelalter a. Drewermann,
Strukturen des Bösen, 1988, 198- 201 zur psychosozialen Verbindung von Jagd, Töten und Schuldempfinden sowie
Wyss, Strukturen der Moral, 1968, 157 ff. und Krause, 1996, 26.

13
2.3. van Genneps Stufenmodell des rite de passage und Turners Thesen zum Schwellenreich
Es folgt eine Darstellung von Thesen zu Schwellenriten, die sich ebenfalls als für das hier bearbeite-
te Themas von Relevanz erweisen.
Arnold van Gennep
57
stellt bei den unterschiedlichsten und geographisch sehr weit voneinander
entfernten Völkern und Kulturen die Existenz sehr ähnlicher Riten fest, die den Übergang von ei-
nem Lebensstadium in ein anderes begleiten;
58
er prägt diesbezüglich den Begriff des rite de passa-
ge
, d.h., des Übergangsritus. Die Stadien, die den Übergang markieren, folgen meist einem analo-
gen Schema: Nach der Ablösung von der elterlichen Umgebung (symbolisiert durch die Trennungs-
riten rites de separation) folgt eine Phase der Einsamkeit, in der das Individuum keiner spezifischen
Kultur angehört; sie ist als eine Zeit des inneren Uneins- und Gespaltenseins charakterisiert.
Zu diesem Zeitpunkt werden Schwellen- und Umwandlungsriten durchgeführt (rites de marge).
Haben die Übergangskandidaten diese Phase gemeistert, werden sie auf einer höheren Ebene wieder
in die Gesellschaft eingegliedert. Die rites d'agrégation symbolisieren diese Zeit der Wiederanglie-
derung.
Victor Turner liefert im Anschluss an van Gennep eine genauere Ausdifferenzierung von Riten, wie
sie innerhalb der Schwellenphase ausgeführt werden.
59
Turners Beobachtungen zufolge werden
während dieser Zeit alle normalerweise gültigen gesellschaftlichen Regeln und Normen negiert
und/oder parodistisch verkehrt.
60
Üblicherweise ist die soziale Stellung der Neophyten dann nicht
festgelegt; sie sind weder hier, noch dort, nicht Fisch, noch Fleisch ­ sie sind
"betwixt and between".
61
Meist werden sie von der Gesellschaft ausgeschlossen und/oder von dieser nicht wahrgenommen;
auch sind sie häufig vollkommen rechtlos. Sie werden ganz ihres Besitzes und ihrer sozialen Positi-
on entkleidet bzw. sie streben dies auch freiwillig an. Unter den Neophyten gibt es gewöhnlich kei-
ne Formen der Hierarchie. Übergangskandidaten werden oftmals erst allein ,,in die Wildnis" ge-
schickt, bevor sie die Gemeinschaft als vollwertige Mitglieder, meist auf einer höheren Stufe, wie-
der aufnimmt.
57
Vgl. van Gennep, 1999 (zuerst 1909), 11 ff.
58
Zum Beispiel von der Kindheit zum Erwachsenenstatus, während der Schwangerschaft und bis zur Geburt, etc., vgl.
van Gennep, 1999, 13 ff. Die Riten werden in kontagiöse und sympathetische Riten eingeteilt. Initiationsriten sind
nach van Gennep eine Untergruppe der Übergangsriten. Vgl. ebd., 70- 114.
59
Vgl. Turner, 1967, ebenso ders., 1989, 94 ff.
60
Vgl. ebd., 97.
61
Vgl. ebd.

14
Bestimmte Motive kehren während der Übergangsphasen mit extremer Häufigkeit wieder: das Vor-
handensein von Schmutz und Blut, häufig auch Menstruationsblut, Unreinheit, Orientierungslosig-
keit, Gespaltenheit, Zerstückeltsein und Einsamkeit.
62
Ein altes Jahr oder eine Jahreszeit wird oft mit einem Übergangsritus begraben, eine neue damit
willkommen geheißen. Entsprechend spielt ein zyklisches Denken bei Übergangsriten eine wichti-
ge Rolle; immer wieder treten in diesen auch Elemente rudimentär vorhandener Kulturformen in
Erscheinung. In vielen rites de passage ist außerdem die unmittelbare Verbindung von Geburt und
Sterben ein Thema, oder aber ein Zustand des Weder-Lebendig-noch-Totseins.
63
Neophyten wer-
den häufig im Ritus symbolisch bei lebendigem Leib begraben.
Andere Kennzeichen von Liminalität sind die Identifikation mit Embryonen,
64
Transvestitismus, die
Umkehrung von Geschlechterrollen oder die Aufhebung der Zuweisung der Geschlechter sowie
Asexualität oder Bisexualität.
65
Ein liminales Motiv stellt laut Viktor Turner das Phänomen der communitas dar.
66
Es handelt sich
hierbei um eine Gemeinschaft, welche die normalerweise herrschenden Normen von Besitz und
Hierarchie negiert. Sie ist gekennzeichnet durch die Gleichheit und Besitzlosigkeit aller ihrer Mit-
glieder.
Im Verlauf der Arbeit soll näher untersucht werden, inwiefern sich Turners und van Genneps The-
sen im Zusammenhang mit Initiationsriten auf die Problematik von ritueller Spaltung, Zerteilung
und Zerstückelung in Gottfrieds Tristan als anwendbar erweisen.
2.4. Zum Initiationsritus
2.4.1. Der Initiationsritus als Übergangsphänomen
Der Initiationsritus entspricht in vielerlei Hinsicht den von Arnold van Gennep und Victor Turner
konstatierten Kennzeichen von Liminalität.
Auch Initiationsrituale beinhalten, unabhängig von Ort und Zeitraum ihres Entstehens, eine Reihe
von immer wiederkehrenden Motiven. Sie stellen eine der anthropologischen Konstanten der
Menschheitsgeschichte dar, d.h., sie treten auch bei zeitlich und räumlich voneinander getrennten
62
Vgl. ebd., 96.
63
Vgl. ebd., 94.
64
Siehe die hieran anschließenden Thesen zum Initiationsritus.
65
Vgl. ebd., 98.
66
Vgl. Turner, 1989, 95- 193.

15
Völkern in ähnlichen Ausprägungsformen in Erscheinung, und sie sind Träger wichtiger Botschaf-
ten im Hinblick auf die menschliche Gemeinschaft.
67
Der Ablösungsritus und häufig auch die Übergangsphase ist bei Initiationsritualen von einem Pro-
zess des initiatorischen Sterbens begleitet. Dieses Sterben ist für den Erhalt der höheren Weihen
unabdinglich.
,,Der Initiationstod ist für den ,Anfang' des geistigen Lebens unerläßlich. Seine Funktion muß im Hinblick auf das ver-
standen werden, was er vorbereitet: die Geburt zu einer höheren Seinsweise. Wie wir später sehen werden, wird der Initia-
tionstod häufig durch die Finsternis, die kosmische Nacht, den tellurischen Mutterschoß, die Hütte, den Bauch eines Un-
geheuers usw. symbolisiert. All diese Bilder bringen eher die Regression in einen noch ungeformten Zustand, eine latente
Beschaffenheit (Ergänzung zum präkosmogonischen ,Chaos') zum Ausdruck, als die totale Vernichtung (in dem Sinne,
wie beispielsweise ein Mitglied der modernen Gesellschaft den Tod auffasst."
68
,,Jeder rituellen Wiederholung der Kos-
mogonie geht eine symbolische Regression zum Chaos voraus".
69
Dies entspricht dem initiatorischen Tod, der bloßen Potentialität des Embryos.
Initiatorisches Sterben kann jedoch in vielfältiger Weise in Erscheinung treten - sehr häufig etwa in
der symbolischen oder realen Zerstückelung des Körpers, im ,,Zerteilen" der Person, aber auch in
der vorübergehenden Auflösung und Fragmentierung der Persönlichkeit.
70
Sterben ist häufig ein
Synonym für einen Zustand des Zerstückelt- und Gespaltenseins.
Der zerstückelte schamanistische Initiand wird in seinen Phantasiereisen manchmal bis auf das
Knochengerüst von seinem Fleisch getrennt, bevor er sich wieder als neu zusammengesetzt imagi-
niert und auf einer höheren Ebene der Weihen weiterlebt.
71
Der Initiand in Pubertätsriten hat schwe-
re Prüfungen und Schmerzen zu erdulden.
72
Als kennzeichnend für das Initiationsritual nennt Eliade die Abfolge von Tod, Auferstehung und
Wiedergeburt.
73
Nach der Wiedergeburt ist der Übergangskandidat oft buchstäblich ,,ein anderer"
geworden.
Laut Eliade sind Trennungsriten fast immer auf die rituelle Trennung von der Mutter bezogen.
74
So
wird in manchen Gesellschaften die Mutter rituell verstoßen oder misshandelt, in anderen wird sie
67
Vgl. Eliade, 1988, 9 ff.
68
Ebd., 16 f.
69
Ebd., 11; vgl. hierzu auch ebd., 15.
70
Vgl. ebd., 167- 174. Dies ist auch ein allgemeines Kennzeichen von Liminalität.
71
Vgl. ebd., 170 zum sibirischen Schamanismus.
72
Vgl. ebd., 42 ff.
73
Vgl. ebd., 23 ff.
74
Vgl. ebd., 31 ff; dies scheint ein essenzielles Phänomen darzustellen.

16
zur Führerin der Initiation. Sie taucht im Bild eines überdimensionalen Fisches oder eines Ungeheu-
ers auf, der/das den Übergangskandidaten verschluckt und später wieder ausspeit, im Zusammen-
hang mit der Initiationshütte, der Grotte oder Höhle als Verkörperung des Uterus - dem Ort, an dem
der Initiand die höheren Weihen seines Volkes oder Stammes erwirbt. Die Konzeption des Mütter-
lichen ist dabei höchst ambivalent. Die Mutter (oder Mutterfigur) kann als lebensbedrohlich wahr-
genommen werden, beispielsweise als Vagina dentata, als tötendes und verschlingendes Wesen,
75
oder aber auch als göttliche Führungsfigur und als Retterin des Initianden, bzw. als das sakrale Ziel
der höheren Weihen. Ein Paradox des initiatorischen Phänomens liegt in der Ambivalenz zwischen
der Trennung vom mütterlichen Prinzip und seiner Integration.
76
,,Zyklisches Denken" geht laut Eliade häufig einher mit einer ,,mythischen" Zeit oder einer ,,Traum-
zeit", die der Initiand erlebt. An abgeschiedenen Orten wird ihm durch die Hand von Götter und
Göttinnen, Ahnen, Dämonen etc. ein geheimes Wissen enthüllt, das eng mit dem kulturellen Erbe
seines Volkes in Zusammenhang steht. Dieses Wissen wird dabei quasi ,,zurückprojiziert" an den
Anfang der Kultur.
77
Eliade spricht auch von einer ,,Rückkehr zum Ursprung", und er konstatiert
eine Art ,,Besessenheit vom Anfang".
78
2.4.2. Initiation im Hochmittelalter
Eliade erwähnt das starke Bedürfnis der Menschen im Hochmittelalter nach der Auseinanderset-
zung mit Initiationsthemen. Initiatorische Szenarien waren jedoch nur in kleinen, geschlossenen
Zirkeln in Kraft. Diesbezüglich findet auch die Geheimgesellschaft der Fedeli d'Amore Erwähnung.
79
Als eine Art ,,initiatorisches Ziel" dieser Gruppe nennt Eliade die Vermittlung einer geistigen
Botschaft durch Literatur; es kann von einem ,,Literarisierungsprozess" initiatorischer Motive ge-
sprochen werden.
80
75
Vgl. ebd.
76
Zur Rolle der Mutter in der Initiation, vgl. ebd., 31-34.
77
Vgl. ebd., 12 ff und 82.
78
Vgl. ebd., 16.
79
Die Bewegung der fedeli d' amore ist im 13. Jahrhundert sowohl in der Provence und in Italien als auch in Frank-
reich und Belgien belegt. Vgl. ebd., 227. Ihr berühmtester Vertreter war der italienische Dichter Dante Aghlieri. Die
fedeli d' amore
bilden eine Art geistiger Geheimmiliz und sind im Sinne von Eliades Klassifizierung von Initiationen
der militärischen Initiationsgestaltung zuzuordnen. Vgl. ebd. Ihr Ziel war die Verehrung der ,einzigen Frau' sowie die
Initiation in das Geheimnis des ,Mysteriums der Liebe'. Die Frau symbolisiert für sie den transzendentalen Intellekt
und die Weisheit. Vgl. ebd., 228. Die fedeli d' amore bedienen sich einer Geheimsprache, damit die ,,gente grossa" sie
nicht verstehen. Vgl. ebd.
80
Dies nimmt laut Eliade die Betrachtung der Literatur zum Zweck der Vermittlung von Botschaften in der Moderne
vorweg. Vgl. ebd.

17
Insgesamt sind initiatorische Themen in der mittelalterlichen Literatur sowohl in den Artusromanen
als auch im Tristanstoff präsent, also in Werken, die mit der matière de bretagne und der inselkelti-
schen Sagenwelt in Verbindung stehen.
81
2.4.3. Initiatorischer Tod, Zerstückelung und Wiedergeburt in der Mythologie
Auch in der Mythologie erweisen sich Initiationsmotive als häufig präsent, wie u.a. Joseph Camp-
bell deutlich macht.
82
Der Held oder die Heldin
83
im Mythos bewegt sich hier meist von der alltäg-
lichen Sphäre in eine religiöse, um danach mit gestärkten Kräften in die Alltagswelt zurückzukeh-
ren.
84
Analog zu van Genneps Schema löst er oder sie sich als erstes, häufig einem Ruf zum Aben-
teuer folgend, von seiner/ihrer gewohnten Umgebung. Dabei muss sie/er eine oder mehrere magi-
sche Schwellen überschreiten, um schließlich Wiedergeburt zu erlangen, wie Campbell am Beispiel
des Motivs des Verschlucktwerdens und des Eintritts in den Walfischbauch erläutert.
85
In der ei-
gentlichen Initiationsphase löst der Held/die Heldin erst verschiedene Aufgaben und meistert Ver-
folgungen und ähnliche schwierige Situationen.
86
Oft begegnet er/sie auch seiner/ihrer eigenen,
dunklen Seite,
87
und auch die initiatorische Abfolge von Tötung/Zerstückelung und Wiedergeburt,
Heilung oder Defragmentierung tritt häufig in Erscheinung.
88
Weiter unten soll eine ausführliche
Auseinandersetzung mit der Präsenz initiatorisch- mythischer Formen in Gottfrieds Tristan sowie
mit Analogien zu Mythen im Zusammenhang mit Zerteilung und Zerstückelung erfolgen.
81
Vgl. ebd., 224- 230. In der Tat ist laut Eliade das Initiationsthema in der höfischen Literatur an verschiedener Stelle
präsent. Vgl. ebd., 225 f. Das Motiv der Bewachung zu den Eingängen der Schlösser etwa sieht er als zu den Initiati-
onsmotiven gehörig an; oftmals besteht ein Bezug zum Übergang ins Jenseits und zum ,gefährlichen Abstieg in die
Unterwelt'
; das Thema Herrschaft ist dabei eng mit dem Initiationsritual verbunden.
82
Vgl. Campbell, The hero with a thousand faces, 1993, 97 ff. und 172 ff.
83
Man denke nur etwa an den sumerischen Mythos um die Göttin Inanna (vgl. ebd., 105- 108) oder an die altgriechi-
sche Psyche. Vgl. ebd., 97-98.
84
Vgl. ebd., 49 ff.
85
Vgl. Eliade, 1988, 72- 75 und Campbell, 1993, 77 ff, 90- 95, 207 f und 247- 248. Dieses Motiv ist mit dem mütter-
lich-uteralen Bereich assoziiert.
86
Vgl. ebd., 97 ff.
87
Vgl. ebd., 106 ff. Ebenso wie Eliade stellt auch Campbell fest, dass für Initiationen die Begegnung mit einer Mutter-
figur, in mythologischen Zusammenhängen häufig eine Göttin oder Fee, nahezu unabdinglich ist. Vgl. ebd., 109 ff.
und Eliade, 1988, 31-35. Ihr kommt die Funktion der Gebärerin ebenso zu wie die der Töterin und Vernichterin, sie ist
Inthronisatiorin oder Absetzerin des Königs, wie beispielsweise manche irischen Erzählungen und Sagen etwa um den
König von Tara zeigen.
Vgl. Campbell, 1993, 116 f. Dahinter verbirgt sich ein mythisch verkleidetes Initiationsritual.
Campbell erwähnt diesbezüglich Mythen aus den verschiedensten Ländern vom keltischen Irland über Ägypten, dem
Mittelmeerraum u.a. bis hin nach Indien.
88
Zum Zerstückelungsthema, vgl. ebd., 281- 288.

18
3. Allgemeine Überlegungen zu Ritual und Spaltung in Gottfrieds Tristan
Im Folgenden werden die Voraussetzungen für die literarische Präsenz von Ritualen, speziell von
Initiationsritualen, in Gottfrieds Tristan anhand Forschungsmeinungen diskutiert. Dabei spielt spe-
ziell die initiatorische und mythologische Abfolge von (symbolischem) Sterben/Zerstückelt-Werden
und Wiedergeburt, oft im Zusammenhang mit einem Lernprozess, eine Rolle.
3.1. Die Präsenz von Ritualen in der Literatur des Mittelalters
Hans Jürgen Scheuer ist der Auffassung, dass im Rahmen der gegenwärtig stattfindenden Anthro-
pologisierung der mediävistischen Literaturwissenschaft die Verbindung von Ritual und Text in der
Literaturwissenschaft zu Recht besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht.
89
Er stellt sich die Frage
nach der Repräsentation des Rituals im literarischen Medium, nach dessen Allegorizität und nach
den eingreifenden Diskursen und Denkmodellen.
90
Auch für Gottfrieds Tristan konstatiert er das
Vorhandensein von Ritualen.
,,Die rituellen Handlungen
[können] lesbar gemacht werden als kompositorisch miteinander kommunizierende Denkorte,
topoi
bzw. loci einer dem Tristan Gottfrieds eigenen Logik der Imagination und Repräsentation."
91
In Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern Rituale, in denen rituelle Spaltung, Zer-
teilung und Zerstückelung
92
in Erscheinung tritt, in Gottfrieds Tristan textstrukturierend und kom-
positorisch miteinander kommunizierend wirksam sind.
3.2. Tod, Spaltung und ,,Wiedergeburt" als textstrukturierende Elemente
89
Scheuer, 1999, 406.
90
Vgl. ebd, 407.
91
Ebd., 410 f.
92
Auch Scheuer untersucht im Hinblick auf rituelle Elemente vor allem Riten um Spaltung und Zerteilung. Vgl. ebd.

19
Als in Gottfrieds Tristan häufig in Erscheinung tretende Formen der Negation und Doppelung
nennt Horst Wenzel Tod
93
und Wiedergeburt. Er erkennt in dem Tötungs - und dem Wiedergeburts-
thema sogar ein Gliederungsprinzip des Textes.
94
Ob dieses Schema, wie es nahe läge, initiatorisch
ausdeutbar ist, sollen weitere Untersuchungen zeigen. Wenzel sieht diesbezüglich eine Gesetzmä-
ßigkeit wirksam, nach der auf den Einschnitt der Todesnähe immer die Neukonstitution der Person
erfolgt.
95
,,Die Negation ermöglicht die Doppelung der handlungstragenden Figur, ihren Neuaufbau als veränderten
Typus."
96
Die Annäherung an den Tod wird dabei zur Möglichkeit einer Steigerung der personalen
Möglichkeiten. Wie auch bei Initiationen üblich, wird das Individualbewusstsein
97
laut Wenzel
,,durchdrungen"; es erhält zeitlose Gültigkeit.
98
Die strukturell häufig ähnliche Abfolge von (symbo-
lischer) Tötung und/oder Zerstückelung
99
und Wiedergeburt findet sich auch in initiatorischen Si-
tuationen wieder.
3.3. Entwicklungsweg, Initiations- und Übergangsriten in Gottfrieds Tristan
Die Tatsache, dass das Minnethema in über der Hälfte des Romans nicht explizit in Erscheinung
tritt, wird in der Sekundärliteratur manchmal als erklärungsbedürftig oder gar als formale Schwäche
gedeutet.
100
93
Tötung geht dabei in Bezug auf initiatorische Elmente, wie noch gezeigt werden soll, häufig mit dem Spaltungsthe-
ma einher.
94
Vgl. Wenzel, 1988, 231 f. Der Wiedergeburtsbegriff tritt bei Eliade häufig im Zusammenhang mit initiatorischen
Motiven in Erscheinung. Bei Wenzel hingegen bezeichnet er, weiter gefasst, den Beginn eines neuen Abschnitts nach
einem symbolischen Prozess des Sterbens und Wiedergeboren-Werdens, etwa des sozialen Todes und der sozialen
Wiedergeburt (vgl. ebd., 232); Wenzel sieht die Verbindung von Tod und Wiedergeburt als Strukturmerkmal, als
typologisches Schema und als Denkfigur an (vgl. ebd., 234), er begreift sie jedoch auch im Zusammenhang mit einer
antiken Tradition, die er nicht näher erläutert (vgl. ebd, 232), sowie mit der Konzeption von Christus als Novus Adam,
der den Tod überwunden hat. Vgl. ebd., 233.
95
Vgl. ebd., 231, z.B. zu Hartmann von Aue: Der arme Heinrich, 2003.
96
Vgl. Wenzel, 1988, 232.
97
Vgl. ebd., 233. Die Formulierung Wenzels scheint nicht glücklich gewählt, da der heutige Individualitätsbegriff
nicht einfach auf mittelalterliche Verhältnisse übertragen werden kann.
98
Wenzel verweist auf die Tradition des novus Adam als Präfiguration Christi; auch die Heiligenviten folgen, auf-
bauend auf der Wiedergeburt Jesu, häufig diesem Prinzip. Vgl. ebd.
99
Der Zusammenhang von Tod und Zerstückelung wird im Laufe dieser Arbeit deutlich, v.a. bezüglich der Interpreta-
tion des Moroldkampfes.
100
Vgl. hierzu z.B. Batts, Gottfried von Strassburg, 1971. Die vielen Versuche, den ersten Teil des Tristan als Präfigu-
ration des zweiten zu deuten, weisen möglicherweise auf eine Unterbewertung der ausgedehnten, auf der Handlungs-
ebene ,,minnelosen" Passagen des ersten Teils nach der Elterngeschichte hin (ab Tristan, 2002, Bd.1, V 1791 bis ebd.,
Bd.2, V.11682). Vgl. z.B. die ausgedehnte Diskussion darüber, ob die Minne schon vor dem Trank vorhanden war.
Diese wird am besten zusammengefasst bei Schweikle, Zum Minnetrank in Gottfrieds ,Tristan', 1991, 135­148.

20
Begreift man aber den Roman mit Brigitte Hébert als einen roman iniciatique,
101
so erklärt sich die
Länge der Passagen, in denen das Minnethema auf der Handlungsebene noch nicht in Erscheinung
tritt.
102
Sie haben vorwiegend die Funktion, den Entwicklungsweg des Helden darzustellen.
In Gottfrieds Tristan lassen sich auch verschiedene Grundmotive des initiatorischen Übergangs
ausmachen, die sich häufig wiederholen und die im Verlauf der Arbeit immer wieder angesprochen
werden. Als initiatorische Grundelemente treten dabei in Erscheinung:
· Die Schilderung der Grottensymbolik in ihrer Assoziation mit dem Geburtsraum als initiato-
rischem Ort. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Minneproblematik und mit einem
sakral-geistigen Lernprozess.
Da in dem Roman fortwährend Passagen miteinander kommunizieren, sind Versuche, Abschnitte des ersten Teiles
schon im Hinblick auf die kommende Minneproblematik auszudeuten, zwar zweifellos sinnvoll und notwendig; je-
doch sollten die einzelnen Episoden des Werkes auch unabhängig von ihrem intratextuellen Bezug und im Hinblick
auf die Minneproblematik interpretierenswert sein.
101
Hébert sieht den Roman als « un roman initiatique dont le lecteur accompagne le héros de la naissance á la mort
(mort virtuelle il est vrai, mais inévitable et annoncé), au travers d'experiénces successives. » Hébert, Passages et
passion, 1999, 29.
Sie sieht die Überquerungen des Meeres als den Initiationsroman strukturierende Elemente im narrativen Plan. Diese
Reisen besitzen auch Auswirkungen auf die Semantik der Personenkonstellationen. Hébert betont die Verbindung von
passages
und passion. Jede Konstellation und jede beendete Aventiure hat hierbei scheinbar Einfluss auf die jeweils
nächste Episode. Vgl. ebd.
Tristan unternimmt im Verlauf der Erzählung insgesamt neun bedeutende textstrukturierende initiatorische Reisen
über das Meer:
1. Vor seiner Geburt
2. In seiner Jugend, als er von den norwegischen Kaufleuten entführt wird
3. Nach seiner Schwertleite, um die durch Morgan konfiszierten Länder wieder zu gewinnen
4. Nach seinem Sieg, um nach dem Morgankampf an den Hof Markes zurückzukehren
5. Um nach dem Moroldkampf in Irland Heilung zu suchen
6. Um nach Cornwall zurückzukehren
7. Um für Marke um die Hand Isoldes anzuhalten
8. Um Isolde Marke zuzuführen
9. Um nach der Entdeckung des Ehebruchs auf den Kontinent zurückzukehren
Dazu kommen noch drei kürzere Reisen. Vgl. ebd., 29 f.
All diese Reisen entsprechen verschiedenen Ereignissen und Aventiuren in Tristans Leben.
Wenzel sieht die Metaphorik der Seefahrten als mit Grenzüberschreitung verbunden an. Er erkennt in ihnen einen
symbolischen Verweis auf Tristans unsichere Position. Vgl. Wenzel, 1988, 243. Was er aus den Seefahrten rettet, geht
ihm am Land wieder verloren.
Auch Ingrid Hahn sieht das Meer in Gottfrieds Tristan stets als Übergangszone gezeichnet. Vgl. Hahn, 1963, 23.
102
Der Begriff ,,Entwicklung" ist hier jedoch keineswegs im neuzeitlich individualistischen Sinne zu begreifen, son-
dern es ist vielmehr im Vergleich zu einer neuzeitlichen Konzeptionen von Individuation von einer Alterität des mit-
telalterlichen Entwicklungsweges auszugehen. Zum Prozess der Identitätsbildung in Gottfrieds Tristan, vgl. auch
Gottzmann, Identitätsproblematik, 1989, 129­146. sowie Haug, Erzählen als Suche nach personaler Identität, 1996,
177­187.

21
· Motive speziell der schamanistischen bzw. der militärischen Initiation, u.a. im Zusammen-
hang mit Kennzeichen wie Überhitzung und Zerstückelung, der emblematischen Identifika-
tion mit einem wilden Tier, sakraler Führerschaft dem Einzelkampf, der gleichzeitig ein
Kampf ganzer Heere ist, der Mittlerschaft etc.
· Wichtige Schritte von Tristans initiatorischem ,,Entwicklungsweg" stehen im Zusammen-
hang mit seiner Bildung.
103
Dadurch rücken auch ästhetisch-künstlerische Gesichtspunkte in
den Vordergrund.
· Motive, die auf die Existenz einer Geheimgesellschaft hindeuten, wie beispielsweise die
,,Losung" der ,,edelen herzen", an die sich der Dichter wendet. Allgemeiner zeigt sich auch
die Einweihung vormals Unwissender in ein besonderes Wissen oder Können, wie es bei-
spielsweise im Bastritual geschieht.
Als liminale und/oder initiatorische Motive treten in Erscheinung:
- Zerstückelung, Zerteilung und Spaltung (liminal-initiatorisch)
- Ortlosigkeit und Verwirrung (liminal)
- Das ambivalente Verhältnis von Leben und Tod (liminal-initiatorisch)
- Das Motiv der Überfahrten über das Wasser (genauer untersucht von Hébert;
104
liminal-
initiatorisch)
- Abgeschiedenheit, Einsamkeit, der Zustand des Sich- außerhalb- der- Gesellschaft- Befin-
dens (liminal und initiatorisch-liminal)
- Liminale und liminal-initiatorische Motive wie das Blutmotiv, eitrige Wunden, schlechter
Geruch, das Wilde und Ungezügelte (z.B. im Zusammenhang mit der Ebersymbolik), eine
Art heiliger, den Kämpfer adelnder Glut, Erhitzung etc.
Liminale Motive korrespondieren häufig mit initiatorischen, wobei das Motiv von
Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung eine große Rolle spielt.
Die Differenz zwischen Initiations-
und Übergangsproblematik besteht v.a. darin, dass erstere einen Teilbereich der letzteren bildet.
Initiationsrituale weisen nahezu immer Merkmale von Übergangsritualen auf, was umgekehrt je-
doch nicht der Fall ist.
103
Vgl. Javor Briski,1996, 13­25. Sie sieht in Tristans Bildung ein die Handlung vorantreibendes Element. So öffnen
Tristans erlernte Fähigkeiten und Kenntnisse ihm wiederholt Türen.
104
Hébert, 1999, 29 ff. Auf dieses Thema kann jedoch nicht mit Ausführlichkeit eingegangen werden.

22
3.4. Spaltung, Zerteilung und Zerstückelung als rituelle Formen in Bastritual und Morold-
kampf
Zwei sich stark unterscheidende Formen von Spaltungs- und Zerstückelungsmotiven in Gottfrieds
Tristan werden im folgenden vor allem anhand von zwei Textpassagen dargestellt:
1. Anhand des Moroldkampfes, in welchem Elemente einer militärischen Initiation mit einer
Art Rechtsritual verwoben sind
2. Anhand des Bastrituals als einem vielschichtigen und anspielungsreichen
Zerteilungsritual künstlerisch-ästhetischer Couleur
4. Ritual, Spaltung und Zerstückelung im Moroldkampf
4.1. Die Bedeutung des Moroldkampfes im Werk
Zunächst ist vorauszuschicken, dass die im Moroldkampf in Erscheinung tretenden Formen der
Spaltung und Zerstückelung für das Gesamtwerk keineswegs repräsentativ zu nennen sind. In quel-
lengeschichtlicher Hinsicht hebt sich die Morold-Episode von dem Gesamtwerk ab - seit Meyer
wird die piktische ,,Werbung um Emer" als Ursprung angenommen, also eine andere Quelle als die
meisten Passagen im Text.
105
Bekker sieht im Moroldkampf groteske Elemente wirksam und ver-
weist auf die mangelnde Konsequenz, mit der der Erzähler die sich entwickelnde Ritterschaft Tris-
tans verfolgt.
106
Im Moroldkampf
107
ficht Tristan gegen Morold, den Bruder der Königin Isolde von Irland, für
Cornwall eine rechtliche Entscheidung aus. Gegenstand der Streitigkeiten sind Zinsforderungen
Irlands an Cornwall, die Tristan im Gegensatz zu Marke nicht mehr zu dulden bereit ist.
108
Zwar kommt dem Moroldkampf die Bedeutung eines Rechtskampfes zu.
109
Er steht jedoch auch im
Zusammenhang mit einer Reihe kämpferischer Bewährungsproben wie dem Drachen - und dem
Urgankampf.
110
105
Vgl. Meyer, The Wooing of Emer, 1888, 68-75; 150-155; 231- 235; 289- 307.
106
Vgl. Bekker, Gottfried von Straßburg's Tristan, 1987, 107.
107
Vgl. Tristan, 2002, Bd.1, V. 5867- 7263.
108
Vgl. ebd., Bd.1, V. 6456-72; zu rechtlichen Fragen in Gottfrieds Tristan, vgl. Combridge, Das Recht im, Tristan',
1964, 51 und Piquet, L'originalité de Gottfried de Strasbourg, 1905.

23
In diesen Kapiteln sollen performative, d.h., vergegenwärtigende und rechtlich fixierende Elemente
des rituellen Kampfgeschehens ebenso fokussiert werden wie die unterschiedlichen Funktionen der
Moroldepisode als ritualisierter Form eines Ritterkampfes. Zuerst soll geklärt werden, inwiefern das
Moment der Zerstückelung hier im Zusammenhang mit ­ mehr oder weniger rudimentär vorhande-
nen - Elementen des militärisch-initiatorischen Bewährungskampfes steht.
4.2. Der Moroldkampf und die ,,militärische Initiation"
4.2.1. Kennzeichen militärischer Initiationsformen nach Eliade
Als Kennzeichen der militärischen Initiationsform nach Eliade sei als erstes das Ertragenkönnen
körperlicher Schmerzen und die Mutprobe erwähnt.
111
Typisch ist auch die magische Verwandlung
in ein berserkerhaftes, wildes Raubtier. Initianden eignen sich dessen Magie in der Kriegerprüfung
des Einzelkampfes an.
112
Gleichzeitig verkörpern die Kämpfer häufig eine Kriegerkaste, oder auch
ganze Heere.
113
Ein wütender und rasender Berserker,
,,von seiner eigenen wilden und glühenden Kraft besessen
114
, d.h., ein
Eingeweihter der Kriegskunst, wurde man nur aufgrund einer magisch-religiösen Erfahrung. Der
Initiand
,,erhitzte' sich in höchstem Maße, fortgerissen von einer geheimnisvollen, unmenschlichen und unwiderstehli-
chen Kraft [...] eine Art dämonischer Raserei, die den Gegner mit Schrecken erfüllte und ihn schließlich lähmte.
115
Die magisch-religiöse Kraft wird meist als ,brennend' dargestellt und entsprechend durch Meta-
phern für Hitze, Brand, einem sehr heißen Zustand wiedergegeben.
116
109
Vgl. Kellermann, 2002, 131
.
Der Moroldkampf kennt ein klares Ziel: Die Nicht-Anerkennung von Irlands unbe-
rechtigten Zinsforderungen durch Cornwall.
Peter A. Winn zeigt, wie eng religiöse Ritualisierung mit Rechtsdenken verknüpft sein kann. Vgl. Winn, Rechtsrituale,
1998, 455.
110
Der Kampf gegen Morgan allerdings erfolgte hinterrücks und ist dementsprechend nicht als echter Bewährungs-
kampf zu werten.
111
Eliade, 1988, 42 ff.
112
Die Königssöhne Sigmund und Sinfjötli in der Völsungsaga werden beispielsweise in Wölfe verwandelt. ,,Wolf
war auch der Beiname der indogermanischen militärischen Bruderschaften. Als Mutprobe wird Sinfjötli von seiner
Mutter zusammen mit dem Hemd von der Mutter die Haut abgerissen. Nur alle zehn Tage können sie ihre Felle able-
gen. Vgl. ebd., 157 f.
113
Vgl. ebd., 156.
114
Vgl. ebd.
115
Vgl. ebd., 161. So braucht der junge irische Held Cuchulainn drei Zuber Wasser sowie die Nacktheit einer Schar
Frauen, um sich abzukühlen.

24
Diese Form der sakralen Überhitzung ist im Übrigen auch als ein Kennzeichen der schamanisti-
schen Initiation zu werten, mit der sich eine Anzahl von Motiven der militärischen Initiationsform
decken. So schlucken Schamanen häufig glühende Kohlen oder gehen barfuss durch Feuer.
117
Auf die Erhitzung in der militärischen Initiation folgt oftmals eine Art ,,Zähmung" und ,,Abküh-
lung" des Mannes
118
durch Frauen bzw. weibliche Führerfiguren - eine nachträgliche Form der
Kontrolle und Abstufung der berserkerhaften initiatorischen Kräfte.
119
4.2.2. Das liminale Setting des Moroldkampfes
Morolds Hinüberrudern auf die Insel
120
deutet auf seinen Eintritt in den liminalen und/oder initiato-
rischen Bereich.
121
Liminalität verrät auch die Auflage, die Kämpfer solange allein und unter sich
bleiben zu lassen, bis der Kampf entschieden ist.
122
4.2.3. Heilige Hitze und hitzige Wut
Hitzige Wut als typisches Kennzeichen der militärischen Initiationsform zeigt sich im Moroldkampf
schon in der Art, mit der sich die beiden Gegner begegnen.
123
Morold
,,[...]kam her gerüeret, als den der
btiuvel vüeret."
124
Nicht anders verhält sich Tristan:
,,als giric was ouch Tristan sîn.
si kâmen mit gelîcher ger
gelîche vliegende her[...]"
125
116
Vgl. ebd., 1988, 163.
117
Vgl. ebd. u. 165.
118
In der Tat kennt die Geschichte auch Beispiele, in welchen die heilige initiatorische Raserei den Frauen zugeordnet
ist, wie etwa bei den Mänaden oder bei den Bacchantinnen. Vgl. Eliade, 1988, 148 ff. Im Fall von Gotfrieds Tristan
jedoch scheint, wie gezeigt werden soll, der militärische Initiationstyp mit einer epochenspezifischen gender- Konzep-
tion von Männlichkeit identifiziert.
119
Vgl. ebd., 162.
120
Vgl. Tristan, 2002, Bd. 1, 6738 ff. In der Saga fehlt dieses wichtige Detail, während es im Sir Tristrem Erwähnung
findet. Vgl. Stellenkommentar Tristan, 2002, Bd. 3, zu V. 6792.
121
Vgl. Hébert zu der initiatorischen Bedeutung der Überquerung von Gewässern, 1999, 29 f. Vgl. a. Tristan, 2002,
Bd. 1,V. 6727. Einsamkeit und Abgeschiedenheit gilt als ein Merkmal der liminalen und initiatorischen Situation. Vgl.
Turner, 1967, 96.
122
Einsamkeit und Abgeschiedenheit gelten als liminale Kriterien. Vgl. S. 9 f dieser Arbeit.
123
Vgl. auch die Interpretation der Eberproblematik, in der das Thema Erhitzung besonders zur Sprache kommt!
124
Vgl. ebd., V. 6851 f.
125
Ebd., V. 6856- 6858 ,,sîn", ebd., Vers 6856, bezieht sich auf Morold.

25
In einer Art dämonischer Raserei fliegen die beiden Kontrahenten aufeinander zu; bei ihrem Auf-
einandertreffen splittern die Lanzen zersplittern und zerbersten die Schilder.
126
Hitzige Wut geht
einher mit der Entschlossenheit, den Tod zu bringen oder zu empfangen.
127
Wie im Verlauf des
Kampfes deutlich wird, steht dies im Zusammenhang mit der Zerstückelung des Gegners. Eine Art
,,sakraler Führung" durch Gott (und das Recht) im Moroldkampf ist hier ebenso ein Thema wie in
Situationen der militärischen Initiation. Daher könnte die Hitze des Kampfes auch mit der sakralen
Hitze des Einswerdens mit den Göttern in der initiatorischen Situation korrespondieren.
128
4.2.4. Magische Hitze und die symbolische Aneignung der Kräfte eines wilden Tieres - die Eber-
symbolik
Das Eberemblem auf Tristans Schild wird in der Sekundärliteratur verschieden interpretiert. Der
Stellenkommentar betont in Bezug auf ebd., V. 6614 ff., Bd. 3, 130 die Bedeutung des Eber-
signums als heroischem Symbol für Unerschrockenheit und Kampfzorn, wie es in der frühhöfischen
Dichtung in Erscheinung tritt.
129
Für sich betrachtet wäre dieses Signum einfach als Element der Heraldik anzusehen. Doch im Zu-
sammenhang mit anderen im Moroldkampf erkennbaren Elementen der militärischen Initiations-
form legt die Vermutung nahe, dass es einen Hinweis auf eine ursprüngliche Identifikation des
Kämpfers mit dem Eber als wildem Tier darstellt, wie sie auch in militärischen Initiationen stattfin-
det.
130
126
Ebd., V. 6859 f. Zum Begriff ,,performativ", vgl. Anm. 18 dieser Arbeit.
127
Allerdings zeigt sich hierin keine echte Form der Hitze, was darauf hinweist, dass dieses Element der militärischen
Initiationsform, so es hier wirklich präsent ist, eher symbolisch angedeutet wird.
128
Vgl. Abschnitt 4.2.6. dieser Arbeit.
129
Germanische Krieger trugen ebenfalls oft Helme in Eberform; der Eber war der germanischen Liebesgöttin Freya
und ihrem Bruder Freyr zugeordnet. Vgl. Biedermann: Eber. Artikel in: Knaurs Lexikon der Symbole, 1989, 106-107,
106. Bei den Kelten galt der Eber als heiliges Tier; auch dort dienten Ebergestalten als Helmschmuck, und Eberfleisch
wurde den Toten als Wegzehrung mitgegeben. Vgl. ebd., 107. In der christlichen Ikonographie steht er manchmal für
Christus; meist gilt er jedoch als Symbol für die teuflischen Mächte. Vgl. ebd., 106. Im Tristan kommt ihm jedoch nur
gegenüber Marke und seinem Hof eine teilweise destruktive Konnotation zu.
130
Auch die Abbildung eines Tieres auf der Kriegskleidung stellt, ebenso wie die symbolische Form der Aneignung
,,wilder" Kräfte, eine Art von Symbolik dar. Vielleicht aber zeigt die Tatsache, dass hier ein heraldisches Symbol
vorliegt, eine gewisse Erstarrung des initiatorischen Themas, bzw., seine Übertragung auf eine nunmehr primär visu-
ell wirksame, indirekte, durch die Form der Kleidung und Ausrüstung stark determinierte Ebene. Zudem folgt bald
darauf eine Beschreibung der Ästhetik von Tristans Kleidung und Ausrüstung, die sich sehr detailliert gestaltet und die
sehr viel Raum einnimmt. Vgl. Tristan, 2002, Bd.1, V. 6618 ff und die Interpretation der Ästhetik in Abschnitt 4.3.4.
dieser Arbeit.

26
Auf Tristans Schild ist der Eber tief schwarz abgebildet: ,,
von swarzem zobel alsam ein kol"
131
und
,,vil
nâch ze koln verbrant".
132
Glühende Kohlen im Zusammenhang mit einem ekstatischen Zustand sind ein
Bild für initiatorische Überhitzung.
133
Die Metapher der schwarzen, ausgebrannten Kohle deutet
möglicherweise auf dieses Motiv in einem anderen ,,Aggregatszustand" hin.
134
Das Moment der rasenden Kampfeswut, mit der sich die Gegner aufeinander zubewegen,
135
korres-
pondiert vor allem mit den wilden, ungezügelten Eigenschaften des Ebers in Marjodos Traum.
Auch der Stellenkommentar betont die enge Verbindung der Textpassagen, in denen die Ebersym-
bolik in Erscheinung tritt.
,,Zwischen Wappentier und der Traumerscheinung besteht [...] ein offenkundiger Ver-
weisbezug.
136
In der Szene von Marjodos Traum ist der Eber eindeutig mit Tristan identifiziert.
137
Das wilde Tier
­ oder Tristan - dringt im Traum des Höflings den Bereich Markes ein. Es ist mit Blut, Schmutz und
Sexualität assoziiert, was ebenfalls auf Liminalität und wahrscheinlich auch auf initiatorische Ele-
mente verweist.
"Tristan's blood is designed to summon up the boar's foam."
138
Aus der Sicht des Hofes steht
Tristan für die zerstörerischen, also für die gesellschaftsfeindlichen Kräfte,
139
die mit liminalen bzw.
mit liminal- initiatorischen korrespondieren.
131
Ebd., V. 6616.
132
Ebd., V. 9034. Vgl. Tristan, 2002, Bd.2, V. 17568 f.
133
Vgl. die Interpretation von Eliade (1988, 163 ff.) sowie die Bemerkungen Markales zu schamanistischen Elemen-
ten in der keltischen Mythologie, speziell zu magischer Überhitzung, und zu dem Bild glühender Kohlen und anderer
Hitze- und Glutmotive. Vgl. Markale, 1989, 163 und 201 ff.. Mc Donald sieht im Bild der Kohle die kreativen Intenti-
onen Gottfrieds bezeugt. Vgl. Mc Donald, The Boar Emblem, 1994, 161. Laut Eliade ist das Motiv der glühenden
Kohle ebenfalls häufig als Ausdruck der kreativen und spirituellen Kräfte zu werten, die in der Initiation frei werden
können. Vgl. Eliade, 1988, 164.
Als Marke Isolde in der Grotte beobachtet, wird ihr Mund ebenfalls mit glühenden Kohlen verglichen. Vgl. Tristan,
2002, Bd.2, V. 17568 f. Markale stellt hier eine Analogie zu dem Motiv der initiatorischen Erhitzung im magischen
Einswerden mit den Göttern fest. Vgl. Markale, Die Druiden, 1989, 201 ff.
134
Auch hier zeigt sich also wenn, dann eine ,,indirekte" Erscheinungsform des archaisch- initiatorischen Themas.
Ebenso wie der Eber steht auch das Kohlemotiv sowohl für den erotischen als auch für den kämpferischen Bereich.
135
Beschrieben im letzten Abschnitt dieser Arbeit
136
Tristan, 2002, Bd. 3, Stellenkommentar zu V. 4942; zur Ebersymbolik, vgl. a. Wessel, 1984., 238 ff. und zum E-
berschild ebd., 246 ff.
137
Vgl. ebd. und Tristan, 2002, Bd.1 V. 6614 und Bd. 2 V. 13512 ff. Der Eber ,,der ûz dem walde lief, vreislîch unde
vreissam.13514 f. Er schäumt, wetzt die Hauer, greift alles an, was die Ordnung des Hofes repräsentiert; vor allem
bringt er das Bett des Königs durcheinander und besudelt es mit Geifer, nachdem er vorher, grenzüberschreitend, in
dessen Kammer eingedrungen ist. (Vgl. ebd., V. 1316 ff., bes. 13528 ff.) Im alptraumhaften Chaos, das er anrichtet,
und in der Verbindung mit dem Naturmotiv (Aus -dem -Wald -Kommen) ist ein liminales Motiv wirksam, das mit
initiatorischen Elementen im Werk zu korrespondieren scheint.
138
McDonald, 1991, 161/162, zu Tristan, 2002, Bd.2, V. 13512- 13536. Die Stelle ist auch im Zusammenhang mit
Sexualität deutbar.
139
Vgl. a. Wessel, 1984, 238-245.

27
4.2.5. Der Kampf ganzer Heere als Kennzeichen der militärischen Initiationsform
Im Text wird explizit erwähnt, dass neben Tristan und Morold auch andere Kräfte aktiv mit am
Kampfgeschehen teilhaben:
,,daz eine got, daz ander reht,
daz dritte was ir zweier kneht
und ir gewaerer dienestman,
der wol gewaere Tristan,
daz vierde was willeger muot,
der wunder in den noeten tuot.
140
Die ,,Helfer" Tristans wiegen zusammen mit ihm selbst die Kampfeskraft von vier Männern auf,
die Morold alleine aufbringt; insgesamt bestimmt also die Stärke von acht Männern das Gesche-
hen.
141
Aufgrund der virtuellen Beteiligung mehrerer Personen wird der Kampf als Kampf
,,von zwein rot-
ten",
142
Truppen
143
oder Heeren
144
bezeichnet. Es liegt hier also ein Gefecht Mann gegen Mann im
Sinne einer Einzelprüfung vor, der gleichzeitig aber auch als ein Kampf zweier ,,Heere" oder
,,Truppen" von Männern gedeutet wird. Dies scheint weitgehend dem zu entsprechen, was Eliade
als ein Kennzeichen der militärischen Initiationsform nennt.
145
4.2.6. Sakrale Führung und rechtliche Fixierung
140
Tristan, 2002, Bd.1, V. 6883- 6888.
141
Vgl. ebd., V. 6879 f.
142
Ebd., V. 6873.
143
Ebd., 7003.
144
Ebd., 7061.
145
Vgl. Eliade, 1988, 154 ff. In Anbetracht der Tatsache, dass Tristans Helfer so gewichtige Gestalten darstellen wie
Gott und das Recht, scheint auch die rotte von vier Personen ein ganzes Heer mit aufzuwiegen.

28
Zunächst wird noch die Abwesenheit von Gott und dem personifizierten Recht in Tristans ,,sakra-
lem Heer" beklagt:
,, ,got unde reht, wâ sint sî nuo/ Tristandes strîtgesellen?' "
146
Tristan kämpft anfangs nur an der Seite der Allegorie seiner ,,Entschlossenheit". Ohne die spirituelle
Führung Gottes und des Rechts wäre er zum Scheitern verurteilt; seinen Sieg verdankt er aus-
schließlich den eingreifenden Mächten.
147
Ein wichtiges Kennzeichen der militärischen Initiation ist das Ausfechten eines Kampfes unter sak-
raler Führung.
148
Im Moroldkampf wird diese Gott zugesprochen, dem das Recht untrennbar zur
Seite steht;
Gott und das Recht gemeinsam übernehmen hier faktisch die Rolle der spirituellen Lei-
tung.
149
Der Kampf findet in ihrem Namen statt:
,,wir suln ez allez gote ergeben."
150
Spirituelle Führerschaft ist ein sakraler Bestandteil des Rituals und erweist sich als für dessen per-
formativen, d.h., eine rechtliche Situation oder eine soziale Position erzeugenden Charakter von
entscheidender Bedeutung.
151
Der Gott des Moroldkampfes ist mit rasender Wut im Kampf sowie mit dem Akt der Zerstückelung
des Gegners assoziiert,
152
was sich u.a. an dem offensichtlichen Gefallen aufzeigt, das dieser am
Kampfgeschehen findet:
,,got selbe möhte ez gerne sehen."
153
146
Tristan, 2002, Bd.1, V. 6980-82, vgl. a. ebd. V. 6983-95.
147
Bekker betont, dass erst die Verwundung Tristans Gott und das Recht in Aktion versetzt. Vgl. Bekker, 1987, 115.
148
Schon Nauen, auf Stökle aufbauend, stellt ein religiöses Ethos fest, das in der Szene auch im Hinblick auf das
Rechtsritual ausstrahle. Vgl. Nauen, Die Bedeutung von Religion, 1947, 51 f., Combridge, 1964, 50, Anm. 14. und
Stökle, Die theologischen Ausdrücke, 1915, 69- 75, 82 f. Nur in Gottfrieds Fassung beruft sich Tristan auf eine Ver-
tragsklausel, nach welcher die Alternative zwischen freiwilliger Ablieferung des Zinses oder Zweikampf ausgehandelt
wurden. Vgl. Nauen, 1964, 51 f.
149
Wie später gezeigt werden soll, ist es von Bedeutung, dass der Gott, der für Kampf, Töten und Zerstückelung steht,
als sakrale Gestalt männlich codiert ist.
Der Moroldkampf wird in der Sekundärliteratur häufig als Kampf zwischen dem miles dei Tristan und dem miles
diaboli
, Morold bezeichnet. Vgl. Ferrante, The conflict of Love and Honor, 1973, 29 f und 91ff; Jackson, Anatomy of
Love, 1971, 150 und Bekker, 1987, 112. In der Tat scheint diese Konstellation angelegt. Eine Ungereimtheit ergibt
sich jedoch aus der Tatsache, dass der Teufel als Führer Morolds zitiert wird. Vgl. Tristan, 2002, Bd.1, V. 6851 f.
Tristans Verhalten aber zeichnet sich durch dieselbe dämonische Kampflust und Raserei aus, die an o.g. Stelle dem
Teufel zugeordnet wird. Bekker interpretiert Tristans Gebaren wohl auch zurecht als [...] the same mixture of
religious fanatism and political ambition that sent Europe's nobles to the holy land. Bekker, 1987, 108; vgl. Nauen,
1947, 51 f, vgl. a. Combridge, 1964, 50, zu der politischen Ausbeutung religiöser Überzeugungen.
150
Vgl. ebd., V. 6760.
151
Zum erzeugenden Charakter von Performativität, vgl. Anm. 18
.
Hierin scheint eine der Haupt-Zielsetzungen des
Moroldkampfes zu liegen.
152
Zunächst bezüglich der Zerschmetterung der Lanzen und Schilde (Tristan, 2002, Bd.1, V. 6859f.), dann bezüglich
der Zerstückelung des Gegners selber.
153
Vgl. Tristan, 2002, Bd. 1, V. 6865.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956361968
ISBN (Paperback)
9783836601894
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Philosophie und Geisteswissenschaften, Deutsche und Niederländische Philologie
Erscheinungsdatum
2007 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
literaturwissenschaft tristan gender mythos ritual
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Titel: Ritualisierte Formen der Spaltung, der Zerteilung und der Zerstückelung in Gottfrieds 'Tristan'
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