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Deutsch-Israelische Beziehungen

©2004 Magisterarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Am Morgen des 26. Januar 1995, als sich die Abgeordneten im Plenarsaal des Deutschen Bundestages von ihren Plätzen erhoben hatten, um der Toten von Ausschwitz zu gedenken, fünfzig Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers, da sagte Rita Süssmuth: „Die Erinnerung an diese Befreiung macht nur Sinn, wenn aus der Erinnerung ein Wissen wächst, das zum Gewissen wird, wenn verpflichtender Auftrag und Chance wahrgenommen werden: die Chance zu einem anderen Deutschland, einem demokratischen, friedfertigen Deutschland, in dem Freiheit, Toleranz, Solidarität und Achtung der Menschenwürde gelebt werden.“ Und wenig später sagte die Bundespräsidentin auch diese Sätze: „Denken wir daran: Es waren die Befreiten, viele von ihnen, die schwerste Verfolgung erlitten hatten, die sich mit voller Kraft einsetzten für ein demokratisches, ein den Werten der Aufklärung verpflichtetes europäisches Deutschland. Und der schwierige Neuanfang, der Brückenschlag zwischen Juden und Deutschen, er wurde nur möglich, weil Juden, die unvorstellbares Leid erfahren hatten, die ungeheuere menschliche Leistung erbrachten, uns die Hand zum Neuanfang zu reichen.“
Es steht außer Frage, dass die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden nach 1945 sich ungeheuer kompliziert gestalteten und massiv gestört waren. Wer ist aber mit den „Juden“ gemeint? Wer streckte die Hand zum Neuanfang? Obwohl er nicht alle Juden beherbergt, erhebt der Staat Israel seit 1948 den Anspruch, im Namen von allen Juden zu sprechen und wird weltweit (mit einigen Ausnahmen) als Repräsentant des jüdischen Volkes anerkannt. Spricht man daher vom Verhältnis zwischen Deutschen und Juden nach 1945, so muss man vor allem das Verhältnis der Deutschen zum Staat Israel untersuchen. Vor allem die Bundesrepublik Deutschland, als Repräsentant des deutschen Volkes, spielte und spielt in den Beziehungen zum jüdischen Staat eine entscheidende Rolle. Damit kommt den bilateralen Beziehungen zwischen diesen zwei Staaten eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des gestörten deutsch-jüdischen Verhältnisses zu, dessen Spiegelbild sie von Anfang an waren.
Die Beziehungen zum Staate Israel gehören zweifellos zu den schwierigsten Kapiteln der bundesdeutschen Außenpolitik, war doch das psychische und emotionale Spannungspotential in diesem bilateralen Verhältnis, das aus den schrecklichen Ereignissen des Holocaust resultierte, von Beginn an vorhanden. Im Laufe der Zeit, vor allem seit der Aufnahme der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Zur Problematik des deutsch-jüdisch-israelischen Verhältnisses
1.2. Die Zielsetzung
1.3. Anmerkungen und Gliederung

2. Zu den Theorien der internationalen Beziehungen: Liberalismus und Rollentheorie
2.1. Zu den Theorien der internationalen Beziehungen im Allgemeinen
2.2. Der liberale Ansatz
2.3. Der rollentheoretische Ansatz
2.3.1Die Grundlagen der Rollentheorie
2.3.2 Die Definition und die Anwendbarkeit auf die internationalen Beziehungen
2.4. Zivilmacht als Rollenkonzept
2.5. Literatur und methodische Grundlagen

3. Historischer Überblick und die Einflussfaktoren
3.1. Die Wiedergutmachung: Der Weg zu Verhandlungen
3.2. Das Luxemburger Abkommen und seine Bedeutung
3.3. Das Ringen um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen
3.3.1. Die Hallstein-Doktrin und die Auswirkungen auf das deutsch- israelische Verhältnis
3.3 2 Militärische Geheimabmachungen zwischen Bonn und Jerusalem im Lichte der Hallstein-Doktrin
3.3.3 Das Treffen zwischen Adenauer und Ben-Gurion
3.3.4 Die Krise von 1965 und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen
3.4. Die beginnende Routinisierung
3.5 Die Einflussfaktoren der deutsch-israelischen Beziehungen
3.5.1Die NS-Vergangenheit
3.5.2 Die internationalen Determinanten der deutsch-israelischen Beziehungen
3.5.3 Persönliche Faktoren

4. Die Israelpolitik der sozial-liberalen Koalition
4.1 Die grundsätzliche Einstellung der bundesdeutschen Sozialdemokratie zu Israel
4.2 Die Handlungszwecke der Regierungsverantwortung
4.3 Zeitgeschehen und Einwirkung neuer Bestimmungsfaktoren im deutsch-israelischen Verhältnis bis zur Ölkrise
4.3.1 Erste Anzeichen energiepolitischer Engpässe
4.3.2 Die Aufwertung des Palästinenser-Problems
4.3.3 Das erste Engagement der Europäischen Gemeinschaft im Nahen Osten
4.3.4 Brandts Besuch in Israel
4.3.5 Der Yom-Kippur-Krieg, die Ölkrise und deren Folgen für das deutsch- israelische Verhältnis
4.4 Die Ära Schmidt/Genscher
4.4.1 Der außenpolitische Rahmen des deutsch-israelischen Verhältnisses bei der Übernahme der Regierungsverantwortung
4.4.2 Der Einsatz der Bundesrepublik für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes in der UNO
4.4.3 Das EG-Israel-Präferenzabkommen und die Rolle der Bundesrepublik
4.4.4 Die bilateralen Besuche von Regierungsvertretern und deren Folgen
4.4.5 Die Bedeutung des Regierungswechsels in Israel
4.4.6 Der Beginn der Spannungen: Die EPZ-Erklärung von London
4.4.7 Weitere Irritationen und die Verschlechterung der zwischenstaatlichen Beziehungen
4.4.8 Die Erklärung von Venedig und deren Wirkung
4.4.9 Der Höhepunkt der Begin/Schmidt-Kontroverse
4.4.10 Die Reaktion der Bundesregierung auf den israelischen Einmarschin den Libanon

5. Die Israelpolitik der christlich-liberalen Koalition
5.1 Die neuen Voraussetzungen für die Gestaltung der Beziehungen zu Israel?
5.2 Die ersten Jahre: Zwischen Verpflichtung und Normalität
5.2.1 Das bundesdeutsche Eintreten für die israelischen Interessen und das abnehmende Engagement in der Palästinenser-Problematik
5.2.2 Das persönliche Faktor: Irritationen und Neuanfang
5.3 Die Intensivierung diplomatischer Kontakte
5.4 Das deutsch-israelische Verhältnis im Zeichen der zunehmenden Distanzierung von der PLO
5.5 Die Auswirkungen der Intifada auf das deutsch-israelische Verhältnis
5.5.1 Die Ursachen und Verlauf
5.5.2 Die Reaktion der Bundesregierung
5.5.3 Weitere Entwicklungen und deren Folgen für die Bundesrepublik
5.6 Das deutsch-israelische Verhältnis vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung und der Kuwait-Krise

6. Ausblick: Die deutsch-israelischen Beziehungen vor dem Hintergrund des Friedensprozesses im Nahen Osten

7. Fazit und Perspektiven

1. Einleitung.

1.1 Zur Problematik des deutsch-jüdisch-israelischen Verhältnisses

Am Morgen des 26. Januar 1995, als sich die Abgeordneten im Plenarsaal des Deutschen Bundestages von ihren Plätzen erhoben hatten, um der Toten von Ausschwitz zu gedenken, fünfzig Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers, da sagte Rita Süssmuth: „Die Erinnerung an diese Befreiung macht nur Sinn, wenn aus der Erinnerung ein Wissen wächst, das zum Gewissen wird, wenn verpflichtender Auftrag und Chance wahrgenommen werden: die Chance zu einem anderen Deutschland, einem demokratischen, friedfertigen Deutschland, in dem Freiheit, Toleranz, Solidarität und Achtung der Menschenwürde gelebt werden.“ Und wenig später sagte die Bundespräsidentin auch diese Sätze: „Denken wir daran: Es waren die Befreiten, viele von ihnen, die schwerste Verfolgung erlitten hatten, die sich mit voller Kraft einsetzten für ein demokratisches, ein den Werten der Aufklärung verpflichtetes europäisches Deutschland. Und der schwierige Neuanfang, der Brückenschlag zwischen Juden und Deutschen, er wurde nur möglich, weil Juden, die unvorstellbares Leid erfahren hatten, die ungeheuere menschliche Leistung erbrachten, uns die Hand zum Neuanfang zu reichen.“[1]

Es steht außer Frage, dass die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden nach 1945 sich ungeheuer kompliziert gestalteten und massiv gestört waren. Wer ist aber mit den „Juden“ gemeint? Wer streckte die Hand zum Neuanfang? Obwohl er nicht alle Juden beherbergt, erhebt der Staat Israel seit 1948 den Anspruch, im Namen von allen Juden zu sprechen und wird weltweit (mit einigen Ausnahmen) als Repräsentant des jüdischen Volkes anerkannt. Spricht man daher vom Verhältnis zwischen Deutschen und Juden nach 1945, so muss man vor allem das Verhältnis der Deutschen zum Staat Israel untersuchen. Vor allem die Bundesrepublik Deutschland, als Repräsentant des deutschen Volkes, spielte und spielt in den Beziehungen zum jüdischen Staat eine entscheidende Rolle. Damit kommt den bilateralen Beziehungen zwischen diesen zwei Staaten eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des gestörten deutsch-jüdischen Verhältnisses zu, dessen Spiegelbild sie von Anfang an waren.[2]

Die Beziehungen zum Staate Israel gehören zweifellos zu den schwierigsten Kapiteln der bundesdeutschen Außenpolitik, war doch das psychische und emotionale Spannungspotential in diesem bilateralen Verhältnis, das aus den schrecklichen Ereignissen des Holocaust resultierte, von Beginn an vorhanden.[3] Im Laufe der Zeit, vor allem seit der Aufnahme der vollen diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel im Jahre 1965 wurde dieses Verhältnis oft als freundschaftlich bezeichnet. Allerdings erfolgte diese Beurteilung nicht selten aus einer generalisierten Perspektive heraus. Eine genauere Betrachtung ergibt vielmehr, dass es nicht selten zu erheblichen Spannungen kam, aufgrund derer die vielgepriesene Freundschaft zueinander auf die Probe gestellt wurde. Daher gilt es, die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel genauer zu untersuchen.

1.2 Die Zielsetzung

Warum will man sich ausgerechnet mit diesem Thema beschäftigen und was ist daran so interessant? Die Berichterstattung über Juden und Israel nimmt in den bundesdeutschen Medien viel Platz ein. Sehr oft hört und liest man die Diskussionen darüber, ob Israel kritisiert werden darf, vom „besonderen Verhältnis“ Deutschlands zu Israel oder vom „gebückten Gang“ Deutschlands dem jüdischen Staat gegenüber. Die Auseinandersetzungen in der sog. „Antisemitismusdebatte“ um den inzwischen verstorbenen früheren FDP-Spitzenpolitiker Jürgen W. Möllemann im Vorfeld der Bundestagswahlen im September 2002 sind noch vielen frisch in Erinnerung. Auch mangelt es nicht an Literatur über die deutsch-israelischen Beziehungen im Allgemeinen.

Umso erstaunlicher ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass sich nur sehr wenige Berichterstatter und vor allem Autoren explizit mit der Israel politik der Bundesrepublik beschäftigen und ihre Hintergründe erhellen.[4] Obwohl vor allem den bilateralen Vereinbarungen und Verträgen auf staatlicher Ebene eine wesentliche Rolle auf dem Weg der Annäherung und des gegenseitigen Verständnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel eine große Rolle zukam, wurde dies selten als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen für würdig befunden, was auf eine unangebrachte Geringschätzung staatlichen Handelns und Verhandelns hinweist.[5] Dabei beweist gerade die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen, welche richtungsweisende Bedeutung staatlichem Handeln zufallen kann. Je nachdem kann dieses als Motor der Verständigung, als Voraussetzung, Wegbereiter und Förderer der Annäherung fungieren, aber auch – wie etwa in dem Ringen um diplomatische Beziehungen deutlich wurde – eine Entwicklung hemmen und so ein negatives Bild eines Staates oder eines Volkes vermitteln bzw. bestätigen.[6]

Im Vordergrund der vorliegenden Arbeit sollen also die bilateralen politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel stehen, die unausweichlich in den Zusammenhang diverser internationaler und nationaler Ereignisse gestellt werden. Die zentrale Frage, der dabei nachgegangen werden soll, wird sein, ob und wenn ja, welche Besonderheiten in diesem Zusammenhang das deutsch-israelischen Verhältnis aufweist.

Doch was heißt „besonders“ und was demnach „normal“? Bundeskanzler Adenauer sprach bereits im Jahr 1953 von einer „Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel“;[7] im Jahr 2000 hingegen betrachtete Bundespräsident Rau dieselben Beziehungen als ein Verhältnis, das „für immer ein besonderes sein wird“.[8] Verkehrte Welten? Oder welche Politik begründete die eine wie die andere Äußerung?

Es muss daher untersucht werden, welche Strategien, Faktoren und Absichten für die Bundesrepublik in ihren Beziehungen zu Israel maßgebend waren und sich im Laufe der Jahrzehnten entwickelten bzw. sich verändert hatten. Was die verschiedenen Faktoren angeht, so muss man dabei zwischen den inneren und äußeren unterscheiden, gleichzeitig aber feststellen, dass zwischen ihnen immer kleinere oder größere Zusammenhänge bestanden oder bestehen. So ist die deutsche Israelpolitik bei gleichzeitigen Beziehungen zur arabischen Welt nicht vom Umgang Deutschlands mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zu trennen, der sich seit Bestehen der Bundesrepublik auch in ihren bilateralen Beziehungen und ihrer Nahostpolitik niederschlagen musste. Deswegen muss untersucht und erläutert werden, welche Maßnahmen die Bundesrepublik ergriff und welche Rolle sie einnahm, um die verschiedenen Aspekte ihres Nahost-Dilemmas aufzulösen oder ihnen zu entgehen. Es soll auch beachtet werden, wie sich die deutsche Israel- und Nahostpolitik zur allgemeinen Außenpolitik der jeweiligen Bundesregierungen verhielt, welche Relevanz dabei internationalen Entwicklungen zukam – insbesondere dem Ost-West-Konflikt sowie dem Bemühen um die Europäische Gemeinschaft -, und welchen Einfluss Drittstaaten (insbesondere die USA) auf die Israelpolitik der Bundesrepublik hatten.

Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die einzelnen Bundesregierungen jeweils eigene israel- und nahostpolitischen Strategien und Schwerpunkte besaßen. Es ist deswegen wichtig rauszufinden, wie und warum sie sich im Laufe der Jahrzehnte veränderten bzw. welche Kontinuitäten festzustellen sind, und welche Bedeutung den oben genannten innen- und außenpolitischen Entwicklungen dabei zukam. Nicht zuletzt von Bedeutung ist dabei auch die Frage nach den dominierenden Persönlichkeiten, die die deutsch-israelischen Beziehungen gestalteten und prägten. All dies soll helfen, den Aspekt der Besonderheit des deutsch-israelischen Verhältnisses zu klären.

Es wäre allerdings kaum möglich, den gesamten Zeitraum der bilateralen Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten im Rahmen der vorliegenden Arbeit gründlich und detailliert zu untersuchen. Den Schwerpunkt der Arbeit soll daher die Israelpolitik der Regierungen der sozial-liberalen Koalition unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt und der christlich-liberalen Koalition unter dem Bundeskanzler Helmut Kohl bilden. Das bedeutet zwar nicht, dass die Israelpolitik anderer Bundesregierungen überhaupt nicht besprochen wird. Allerdings sollen dabei im Rahmen des historischen Überblicks nur die wichtigsten Etappen der deutsch-israelischen Beziehungen bis 1969 analysiert werden, vor allem die, die für die Politik der nachfolgenden sozial-liberalen und christlich-liberalen Koalitionen von Bedeutung waren. Diese sollen dann, auch basierend auf den Theorien der internationalen Beziehungen, in bezug auf die Entwicklungen, Strategien und Kontinuitäten in ihrem Handeln Israel gegenüber ausführlich und detailliert verglichen werden, um auch die eventuellen Besonderheiten im bilateralen Verhältnis festzustellen.

Warum soll aber ausgerechnet dieser Zeitraum schärfer unter die Lupe genommen werden? Es liegt vor allem daran, dass diese Regierungszeiten besonders reich an den herausragenden innen- und außenpolitischen Ereignissen und Entwicklungen waren, die auch die bundesdeutschen Beziehungen zu Israel beeinflussen sollten. So übernahm 1969 mit der SPD den größeren Teil der Regierungsverantwortung diejenige Partei, die bis dahin als ausgesprochen pro-israelisch galt. Die von ihr und ihrem Koalitionspartner FDP betriebene Ostpolitik war ein wesentlicher Bestandsteil der in den 70er Jahren vorläufig eingetretenen Entspannung des Ost-West-Konfliktes. Auch trat die Bundesrepublik seit ihrem Beitritt zur UNO im Jahre 1973 viel selbstbewusster als davor auf der weltpolitischen Bühne auf.[9] Die Ölkrise desselben Jahres führte den westeuropäischen Staaten, einschließlich der Bundesrepublik, zum erstenmal deren Abhängigkeit vom arabischen Öl deutlich vor Augen, was sich dann in deren Beziehungen zu Israel niederschlug. Auch gab es seit Anfang der 70er Jahre fortwährend Versuche, die Nahostpolitik der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu koordinieren und sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen.

Die Regierungszeit der christlich-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl ist ihrerseits vor allem durch die deutsche Wiedervereinigung und den Zerfall der Sowjetunion, mit dem die bipolare Welt des Ost-Westkonfliktes zusammenbrach und der Versuch unternommen wurde, einen umfassenden Friedensprozess in Gang zu setzen.

Insgesamt sind das einige der wichtigsten Aspekte, die es ratsam erscheinen lassen, sich auf die Israelpolitik der genannten Koalitionsregierungen zu konzentrieren.

1.3 Anmerkungen und Gliederung

Wie schon bei dem ganzen Zeitraum der deutsch-israelischen Beziehungen, würde es den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, die Bedingungen des Regierungshandelns beider Staaten gleichermaßen zu untersuchen. Es liegt daher nahe, sich auf die Israelpolitik der Bundesregierung(en) zu konzentrieren (zumal eine umfassende Betrachtung der israelischen Politik gegenüber Deutschland die Kenntnisse der hebräischen wissenschaftlichen Literatur erfordert), und das Handeln der israelischen Regierung(en) nur zusätzlich und wo es für das zusammenhängende Verständnis der bilateralen Beziehungen erforderlich ist, hinzuzuziehen.

Die Arbeit wird sich nicht mit Beziehungen der DDR zum Staat Israel beschäftigen. Diese waren von vollkommen anderer Art und standen unter gänzlich verschiedenen Einflüssen als die der Bundesrepublik.[10] Daher soll die DDR nur in den die westdeutsch-israelischen Beziehungen wesentlich betreffenden Fragen und Ereignissen einbezogen werden.

Bei der Betrachtung des israelisch-arabischen Konfliktes soll darauf geachtet werden, dass man nicht für die eine oder andere Seite Partei ergreift, sondern möglichst objektiv die für die Gestaltung der deutsch-israelischen Beziehungen maßgeblichen Entwicklungen und Aspekte dieses Konflikts zu analysieren und zu beurteilen versucht.

Ferner ist zu beachten, dass der seit 1993 in Gang gebrachte Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern und damit die letzten Jahre der Ära Kohl nur am Rande und im Rahmen des allgemeinen Ausblickes betrachtet werden können, da diese Entwicklungen von der Mehrzahl der wissenschaftlichen Literatur noch nicht weitgehend erfasst worden sind und eine abschließende Bewertung noch ausbleibt.

Bei der Gliederung ist zu beachten, dass die vorliegende Arbeit sich zunächst mit der theoretischen Grundlage der internationalen Beziehungen befassen wird, um ausgehend davon sich dann den maßgeblichen Faktoren der deutsch-israelischen Beziehungen zu widmen. Danach wird der historische Umriss der deutschen Israelpolitik bis 1969 folgen. Den Schwerpunkt der Arbeit soll, wie schon gesagt, der Vergleich zwischen der Israelpolitik der sozial-liberalen und christlich-liberalen Koalitionen darstellen, der dann basierend auf den wichtigsten Determinanten des deutsch-israelischen Verhältnisses vorgenommen werden soll. Bei diesem Vergleich soll dann berücksichtigt werden, dass man aufgrund vieler verschiedener Ereignisse und Entwicklungen vor allem chronologisch vorgehen muss. Anschließend sollen Ausblick und Perspektiven der deutsch-israelischen Beziehungen erörtert werden.

Die zentrale These, die es am Anfang der Arbeit aufzustellen gilt, ist die, dass deutsch-israelische Beziehungen auf Regierungsebene auf absehbare Zeit zwar von der nationalsozialistischen Vergangenheit geprägt werden, deren Wirkung aber aufgrund der Einflüsse anderer Faktoren unterschiedliche Ausmaße annehmen kann.

2. Zu den Theorien der internationalen Beziehungen: Liberalismus und Rollentheorie

2.1 Zu den Theorien der internationalen Beziehungen im Allgemeinen

Welche Theorien der internationalen Beziehungen können eigentlich das Verhältnis Deutschlands zu Israel am besten beschreiben?

Es ist zunächst interessant zu klären, wie sich die internationalen Beziehungen im Allgemeinen gestalten. Insgesamt gibt es sehr viele Theorien und theoretische Ansätze, die sich allgemein mit den internationalen Beziehungen befassen. Diese Theorielandschaft befindet sich allerdings in einem Zustand ständiger Ausdifferenzierung und ist kaum noch überschaubar.[11] Das Staats- bzw. Regierungshandeln ist in internationalen Beziehungen mannigfaltigen Einflüssen ausgesetzt.[12] Doch warum unterscheiden sich die außen- und sicherheitspolitischen Orientierungen von Staaten oft grundlegend? Einige von ihnen bevorzugen Kooperation, andere dagegen die Gewaltandrohung zur Durchsetzung ihrer Ziele. Wie erklärt sich das Engagement für oder gegen bestimmte Formen der Kooperation, wie überhaupt die Festlegung von spezifischen Zielsetzungen, Strategien, Taktiken und Instrumenten jeweils aus einer Fülle möglicher und plausibler Optionen? Es ist nicht zu bestreiten, dass manche Staaten sich mehr als andere für die Entstehung und die Fortentwicklung institutionalisierter Formen der Kooperation als andere einsetzen.[13] Wie erklären sich dann in diesem Zusammenhang spezifische Interessenpräferenzen im Kontext strategischen Handelns von Staaten, wie die Aufnahme kommunikativen Verhaltens?

Bezüglich der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel lässt es sich feststellen, dass es sich dabei um die Beziehungen zwischen zwei demokratischen Staaten handelt. Daher könnte man versuchen, die von Beziehungen zwischen den demokratischen Staaten handelnde Liberalismustheorie auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel anzuwenden.

2.2 Der liberale Ansatz

Es existieren verschiedene Varianten einer liberalen Theorie internationaler Politik. Vor allem aber bei dem sog. „republikanischen Liberalismus“ verknüpfen viele Theoretiker der internationalen Politik die innere Ordnung der Staaten systematisch mit ihrer Außenpolitik, da Innenpolitik und internationale Politik miteinander verwickelt sind.[14]

Demnach argumentiert dieser Ansatz, ausgehend von der inzwischen belegten Beobachtung, dass Demokratien keine Kriege gegeneinander führen, dass Regierungen dazu neigen, die im Inneren der Staaten vorherrschendes Konfliktaustragungsmuster in ihrem Außenverhalten zu reproduzieren. So sind liberale Herrschaftssysteme durch die Achtung der Menschenrechte, die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sowie durch rechtsstaatliche, gewaltarme und kompromissorientierte Konfliktlösungsmuster gekennzeichnet.[15] Wenn daher demokratisch regierte Staaten es miteinander in der internationalen Politik zu tun haben, nehmen sie sich gegenseitig als von den gleichen Normen friedlicher Konfliktregelung beeinflusst wahr und verhalten sich danach. Infolgedessen sind Demokratien eher in der Lage, untereinander stabile Kooperationsstrukturen auszubilden, weil sie nicht permanent voreinander auf der Hut sein müssen.[16] Entscheidend ist, dass liberale Theoretiker die Ursachen für Krieg und Frieden in der inneren Ordnung der Staaten und im Ausmaß der internen Liberalisierung sehen. Daraus ergibt sich zugleich, dass Demokratisierung nicht nur die Menschenrechte stärkt und den Bürgerinnen und Bürgern Chancen zur Mitwirkung am politischen Geschehen einräumt, sondern zugleich auch die beste Friedensstrategie ist.[17]

Jedoch kann man den liberalen Ansatz wohl nur bedingt auf das deutsch-israelische Verhältnis anwenden. Die angesprochene Friedensstrategie allein ist selbstverständlich eine unabdingbare, aber wohl nicht hinreichende Bedingung für das gute gegenseitige Verständnis zwischen den Staaten. Zwar liegen bei beiden Staaten bezüglich des Demokratieverständnisses durchaus vergleichbare Gegebenheiten vor. So handelt es sich bei beiden Staaten um parlamentarische Demokratien, in denen legislative, exekutive und judikative Gewalten voneinander getrennt sind. Auch sind die Wahlen in beiden Ländern direkt, gleich, geheim, allgemein und landesweit.

Allerdings lassen sich bei beiden Ländern auch einige nicht unerheblichen Unterschiede im Demokratieverständnis feststellen, die keinesfalls eine Kriegsgefahr heraufbeschwören. Auch weisen die beiden Besonderheiten auf. So hat die Bundesrepublik Deutschland keine allzu lange demokratische Tradition aufzuweisen. Vielmehr entsprang nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Gründung und der damit verbundene Staatsaufbau keinem freien Willensakt, sondern einer Entscheidung der westalliierten Siegermächte.[18]

Israel ist wiederum keine Demokratie der westlichen Prägung. So hat der Staat keine geschriebene Verfassung. Deren Funktion erfüllen weitgehend die Unabhängigkeitserklärung, sowie eine Reihe von „Grundgesetzen“.[19] Ein ganz wichtiges Merkmal im dem Staatsaufbau Israels und zugleich ein wichtiger Unterschied zur Bundesrepublik ist die fehlende Trennung von Staat und Religion, da die Nation und Religion in Israel so eng verbunden sind, dass eine völlige Trennung in einem jüdischen Nationalstaat kaum denkbar ist.[20] Überhaupt ist das Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat problematisch in bezug auf seine arabischen Staatsbürger. So wurde im Sommer 1985 das Grundgesetz „Die Knesset“ um einen bedeutsamen Absatz ergänzt. Hierin heißt es, dass Israel der Staat des Jüdischen Volkes sei.[21]

Zwar dürfen „rassistische“ Gruppierungen nicht mehr bei Wahlen zur Knesset (israelisches Parlament) kandidieren, doch die Stoßrichtung ist eindeutig: die zweitrangige Stellung der Araber als geduldete Minderheit sollte juristisch abgesichert werden.[22] Geduldet, jedoch nicht verfolgt –, so könnte man die Absicht des Gesetzgebers umschreiben. Solche Absichten sind aber für eine Demokratie westlicher Prägung undenkbar.

Doch selbst wenn man, wie im Falle der Bundesrepublik und Israels, von einem großen Teil der vergleichbaren Gegebenheiten zwischen den Staaten ausgeht, können sich oft deren außen- und sicherheitspolitischen Orientierungen grundlegend unterscheiden.[23] Vieles hängt von den Präferenzordnungen der jeweiligen Staaten ab. Unter den Präferenzordnung eines Staates ist demnach die Reihenfolge aller möglichen Weltzustände, entsprechend den gewichtigen Nutzenfunktionen der einflussreichen gesellschaftlichen Akteure.[24] Die Liberalen argumentieren selber, dass die Anordnung solcher interdependenter Präferenzordnungen dem außenpolitischen Verhalten ganz spezifische Restriktionen auferlegt. Sind die spezifischen Interessen und Präferenzen kompatibel bzw. konvergieren sie, dann bestehen starke Anreize für zwischenstaatliche Kooperation. Divergierende staatliche Präferenzen bewirken hingegen Spannungen und Konflikten zwischen Staaten. Sie führen zu Nullsummenkonstellationen, die wenig Raum für wechselseitige Kooperation lassen, da dominante soziale Gruppen eines Landes versuchen, ihre Präferenzen durch staatliche Politik durchzusetzen, die dann notwendigerweise Kosten für andere wichtige gesellschaftliche Gruppen in anderen Ländern

verursachen.[25] Im Falle von komplementären nationalen Präferenzordnungen bestehen hingegen ausreichend Anreize für zwischenstaatliche Verhandlungen, Konzessionen und Formen der internationalen Politikkoordination.[26]

Dies alles verdeutlicht zusätzlich, dass der Liberalismus allein das Wesen der deutsch-israelischen Beziehungen nicht hinreichend erfassen kann.

2.3. Der rollentheoretische Ansatz

2.3.1 Die Grundlagen der Rollentheorie

Wie kann aber dann der liberale Ansatz ergänzt werden? Die Gegebenheiten der internationalen Politik als System mögen zwar Spektren möglicher außenpolitischer Verhaltensmuster festlegen, aber sie erklären noch nicht sehr unterschiedliche außenpolitische Orientierungen vergleichbarer Staaten, geschweige denn spezifische Entscheidungen.[27] Ganz offenbar liegen die Erklärungen hierfür in den betreffenden Staaten, in dem konkreten Fall also Deutschland und Israel. Da wir uns in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich mit der deutschen Israelpolitik befassen, sollte man sich auf die außenpolitische Orientierungen und spezifische Entscheidungen der Bundesrepublik konzentrieren und versuchen, diese zu erklären.

Der rollentheoretische Ansatz geht davon aus, dass – analog zur Innenpolitik – auch die Außenpolitik eines Staates dauerhafte Einstellungen und Verhaltensmuster aufweist, die die Summe der geographischen, historischen und situativen Einflüsse und Erfahrungen einer Gesellschaft gewissermaßen in geronnener und verfestigter Form widerspiegelt.[28]

Diese unterschiedlichen außenpolitischen Verhaltensmuster sollen im folgenden von der Rollentheorie erklärt werden. Ursprünglich zur Erklärung individuellen Verhaltens konzipiert, kann sie auch auf außenpolitische Verhaltensmuster von Staaten in einer spezifischen, idealtypischen Ausformung angewendet werden. Dabei geht es nicht so sehr um das „ob“ internationaler Kooperation, sondern vor allem darum, welche Grundannahmen über Akteure, ihre Präferenzen und ihre Interaktionen plausibel sind, um diese Kooperation und ihre Institutionalisierung zu erklären.[29]

Danach sind Staaten die Hauptakteure im internationalen System und bilden damit auch die Hauptanalyseeinheit einer Theorie über internationale Beziehungen.[30] So unterscheiden sich diese Akteure im Hinblick auf kognitive Variablen – wie z. B. Weltbilder, Zielsetzungen außenpolitischen Handelns, Selbst- und Fremdperzeption – qualitativ und grundsätzlich. Aus diesen Unterschieden ergeben sich dann auch Rückwirkungen auf die internationalen Beziehungen insgesamt.

Wo ist aber die Rollentheorie in der Theorielandschaft der internationalen Beziehungen ansiedeln? Im Rahmen der gegenwärtigen Theoriedebatte in den internationalen Beziehungen lässt sich die Rollentheorie im Rahmen der konstruktivistischen, reflexiv-interpretativen Ansätze einordnen, die sich vor allem gegenüber Theorien der rationalen Wahl entwickelten.

So gehen konstruktivistische Ansätze von einem sozialen, regelgeleiteten Akteur aus, der, eingebunden in ein Netz von Normen, seine Interessen situativ und endogen definiert.[31] Auf der System-Ebene unterstellen reflexive Ansätze Handlungsbeschränkungen durch selbstauferlegte Normen und Regeln sowie Erwartungs- und Verhaltensstabilisierung durch Institutionen. Damit grenzen sich die Konstruktivisten von positivistisch-rationalistischen Ansätzen wie dem (Neo)realismus oder dem Liberalismus ab, die von einem rational handelnden, nutzenmaximierenden Akteur ausgehen, dessen Interessen vorgegeben sind, und der die schon erwähnte starre Präferenzordnung besitzt.[32] In solchen Fällen müssen die Staaten, unabhängig davon, ob sie die friedlichen oder gewalttätigen Konfliktlösungsmuster bevorzugen, vor allem „strategisch“ handeln, um das eigene Überleben und Sicherheit zu gewährleisten.

Im Gegensatz dazu werden Interessen in reflexiven Ansätzen situativ definiert und sind grundsätzlich wandelbar. Danach können unterschiedliche Präferenzordnungen durch kommunikatives Handeln zum Ausgleich gebracht werden. Einem Wandel in der Präferenzordnung kann dann durch einen Wandel in Rollenkonzept (längerfristig) und situativ wechselnden Rollen (kurzfristig) entsprochen werden. Während rationalistisch-positivistische Ansätze das Akteurverhalten aus einer systematischen, also einer Außenperspektive, untersuchen, betrachtet die Rollentheorie das Akteursverhalten vornehmlich aus einer Innenperspektive.[33]

2.3.2 Die Definition und die Anwendbarkeit auf die internationalen Beziehungen

Wenn man sich mit der Rollentheorie das außenpolitische Verhalten von Staaten erklären will, so soll man den außenpolitischen Rollenbegriff auch definieren können. Am

deutlichsten erscheint dabei die folgende Rollendefinition:

„Internationale Rollen sind geplante – d. h. kollektiv normierte und individuell konzipierte – und von Repräsentanten realisierte Einstellungs- und Verhaltensmuster von Staaten (...) in internationalen Systemen.“[34]

Dabei erfahren Rollenkonzepte eine kollektive Normierung extern und intern. Es muss also unterschieden werden zwischen den Erwartungen anderer Akteure (Staaten, Gemeinschaften) der Systemebene an die Vorstellungen eines Staates darüber, wie sich dieser nach außen hin verhalten sollte, was auch als alter-part bezeichnet wird, und dem kollektiven Selbstverständnis innerhalb dieses Staates, also gemeinsamen Werten und Normen, die von nationalen Entscheidungsträgern geteilt werden und durch Sozialisation und historische Lernprozesse entstanden sind, was auch als ego-part bezeichnet wird.[35]

Daher sind die Rollenkonzepte durch die Fülle von Erwartungen, Werte und Ideale normiert, denen sich der betreffende Staat als Rolleninhaber selbst verpflichtet fühlt und die an ihn von der Außenwelt herangetragen werden. Diese Werte und Ideale gewinnen deswegen einen zentralen Stellenwert. Stabile Rollenerwartungen der Außenwelt können aber auch in das kollektive Selbstverständnis des betreffenden Staates übernommen werden und damit auch zum Teil der Ego-Rolle werden. „It is collective meanings that constitute the structures which organize our actions”.[36] Die Identität des Staates unterliegt dabei dem jeweiligen gesellschaftlichen und historischen Reflexionsprozess, der für den Wandel von Institutionen ausschlaggebend ist.[37] Für die außenpolitischen Orientierungen der Bundesrepublik Deutschland und damit nicht zuletzt für ihre Beziehungen zu Israel ist in diesem Zusammenhang unter anderem zu beachten, dass die von ihren Partnern in der Nachkriegszeit geforderte machtpolitische Zurückhaltung für lange Zeit ein Teil des außenpolitischen Selbstverständnisses wurde.

Damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass alle Erwartungen der Außenwelt sich mit denen des betreffenden Staates decken müssen, was wir später auch anhand einiger Missverständnisse im bilateralen deutsch-israelischen Verhältnis sehen werden. (s. u.). Auch können die Erwartungen, genauso wie Normen und Werte, von den maßgebenden Akteuren unterschiedlich aufgefasst oder gedeutet werden, was zu einer Spannung der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen führen kann.

Grundsätzlich wäre davon auszugehen, dass alle Staaten mehr oder minder stark ausgeprägte außenpolitische Rollenkonzepte besitzen und ihr Verhalten so verstanden und erklärt werden kann. Als „Staat“ versteht man in dem hier vorgebrachten Zusammenhang das Kollektiv relevanter außenpolitischer Entscheidungsträger, also der Regierung, als Träger außenpolitischer Rollenkonzepte aufzufassen.[38] Zwar sind die außenpolitischen Entscheidungsprozesse viel komplexer, und spielen bei deren Gestaltung auch die nichtstaatlichen Akteure bisweilen eine nicht unerhebliche Rolle. Das vorrangige Ziel der hier vorgebrachten rollentheoretischen Überlegungen besteht aber nicht darin, eine differenzierte Rollentypologie der jeweiligen Situationsrollen eines Staates zu erarbeiten oder die einzelnen Rollen und den Einfluss unterschiedlicher subnationaler Akteure nachzuzeichnen, sondern nach dauerhaften Mustern der außenpolitischen Grundeinstellung der Staaten – wie sie sich im offiziellen Regierungshandel manifestiert - zu suchen und diese miteinander zu vergleichen.[39]

Allerdings erscheint der rollentheoretische Ansatz nicht für alle Staaten bei den Untersuchungen ihres außenpolitischen Verhaltens sinnvoll. Da das Rollenverhalten, also das tatsächliche Verhalten eines staatlichen Rolleninhabers in konkreten Situationen außenpolitischer Interaktion, eine ausreichend arbeitsteilige internationale Gesellschaft voraussetzt, die durch ein hohes Maß sozialer und zwischenstaatlicher Interaktion gekennzeichnet ist, und da die Rollentheorie solche Begriffe wie Werte und Ideale beinhaltet, liegt es nahe, dass rollentheoretische Ansätze sich besonders zur Analyse der Beziehungen zwischen demokratisch verfassten Staaten eignen.[40]

Zwar analysiert, wie wir es vorher gesehen haben, auch der liberale Ansatz die Beziehungen zwischen demokratischen Staaten. Doch handeln beim rollentheoretischen Ansatz die Staaten nicht nur rational, sondern lassen sich auch von ethischen und normativen Erwägungen leiten. Zwar streben auch sie danach, ihre außenpolitischen Interessen zu verwirklichen, doch formieren sich diese nicht primär in Folge systematischer Zwänge, sondern eher im Rahmen einer akteurspezifischen Werteordnung, die es zu verwirklichen gilt. Daher kann auch die Rollentheorie besser als der liberale Ansatz auf die deutsch-israelischen Beziehungen angewendet werden.

2.4. Zivilmacht als Rollenkonzept

Wie kann man aber mit dem rollentheoretischen Ansatz die Merkmale der bundesdeutschen außenpolitischen Orientierungen am besten beschreiben? Bezüglich des spezifischen außenpolitischen Verhaltens der Bundesrepublik empfiehlt es sich, speziell dem Rollenkonzept der Zivilmacht unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Dafür muss allerdings zunächst geklärt werden, was darunter verstanden wird.

Der Zivilmachtansatz basiert nicht zuletzt auf der älteren Idee von der gesellschaftlichen Zivilisierung, auf welche wiederum im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung zurückgegriffen wurde.[41] Übertragen auf die internationalen Beziehungen bedeutet der Inhalt des Zivilisationsprozesses vor allem eine qualitativ neue Form der Konfliktregelung, mit der potentiell gewalttätige und kriegerische Machtrivalitäten in eine friedliche Konfliktregelung überführt werden sollen.[42]

Bezüglich der Staaten bedeutet somit Zivilisierung die „Überführung der Gewaltoption aus der interessengeleiteten Beliebigkeit einzelstaatlicher Verfügung in die Zuständigkeit der internationalen Rechtsgemeinschaft nach verbindlichen Rechtsregeln zur gemeinsamen Rechtswahrung gegen individuellen Rechtsbruch.“[43] Der Staat als Zivilmacht hat damit die Aufgabe, den Prozess der nationalen Zivilisierung auch auf internationaler Ebene zu fördern, indem er durch eine Zivilisierungspolitik günstige Voraussetzungen dafür schafft. Übertragen auf das Konzept der Rollentheorie ist daher eine Zivilmacht ein Staat, dessen außenpolitisches Rollenkonzept und Rollenverhalten gebunden sind an Zielsetzungen, Werte, Prinzipien sowie Formen der Einflussnahme und Instrumente der Machtausübung, die einer Zivilisierung der internationalen Beziehungen dienen. Natürlich verfolgen auch solche Staaten nationale Interessen, die aber dem direkten Einfluss von Werten und Normen unterliegen und das Ergebnis kollektiver Lernprozesse sind.[44] Solche Lernprozesse gründen vor allem auf den historischen Erfahrungen sowie den damit einhergehenden Prozessen der Vernunft und Einsicht.

In Bezug auf die Bundesrepublik beinhaltet daher das Rollenkonzept der Zivilmacht sowohl

einen alter-part als auch einen ego-part. So wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von den USA aktiv zu einer zivilmachtorientierten Politik angehalten, während der von ihm gewählte außenpolitische Kurs auf einer Reihe von bewussten eigenen Entscheidungen beruht, wie das z. B. der freiwillige Verzicht auf Atomwaffen, das Verbot des Angriffskrieges oder das vom Grundgesetz allen Staatsorganen und auch Bundesbürgern aufgegebene Ziel und Bemühen, in den Beziehungen nach außen unter allen Umständen zur Wahrung des internationalen Friedens beizutragen, manifestieren.[45] Damit vollziehen sich außenpolitische Entscheidungen in der Bundesrepublik einerseits in einem internen Bezugsrahmen, zu dem die nationalen, gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturen gehören, andererseits in einem externen Bezugsrahmen, also in der Wechselwirkung mit der internationalen Umwelt.[46]

Darüber hinaus kann die Übernahme einer ganz bestimmten außenpolitischen Strategie auch besonders gut geeignet sein, wertgebundene Ziele und Interessen eines Staates zu verwirklichen, wie dies am Beispiel der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit ganz deutlich wird. Durch supranationale Integration und grundsätzliche Kooperationsbereitschaft, vor allem in der Europäischen Gemeinschaft (EG), hat die Bundesrepublik wirtschaftliches Wohlergehen für sich und seine europäischen Partner gewährleisten können.

Betrachten wir aber andererseits die israelischen Rollenerwartungen an Deutschland, so muss man zunächst feststellen, dass sich das Identitätsmuster der israelischen Politik von dem der Bundesrepublik erheblich unterscheidet. So sieht sich der jüdische Staat bis heute von den feindlich gesinnten arabischen Staaten umgeben und betrachtet daher sein Existenzrecht und seine Sicherheit als das vorrangigste Ziel seines politischen Handelns, wodurch auch sein außenpolitisches Rollenkonzept definiert wird. In Anbetracht der Schrecken des Holocaust und des damit verbundenen Einsatzes Deutschlands für das Existenzrecht des jüdischen Staates, entstand auf der israelischen Seite bezüglich der Bundesrepublik die Rollenerwartung, dass die Deutschen immer ein uneingeschränktes Verständnis für die israelischen Anliegen haben und daher eine unzweideutige Anwaltsrolle zugunsten Israels auf der Ebene der internationalen Beziehungen einnehmen sollten.[47] Ob aber die tatsächlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten den jeweiligen Rollenerwartungen gerecht wurden, muss im weiteren Verlauf der Arbeit geklärt werden.

Sind aber überhaupt Ziele und Interessen eines Staates, speziell Deutschlands, immer den Normen und Werten nachgeordnet? Oder kann es vielleicht doch Situationen geben, wo es zwischen Selbstbindung an Normen und Werte einerseits und der Verfolgung staatlicher Interesse andererseits, Widersprüche entstehen? Interessant ist z. B. auch, ob die bundesdeutsche Normen und Werte auch in Israel als solche betrachtet werden.

Ob die Kooperation zwischen den Akteuren im internationalen System immer auf der Grundlage gemeinsamer Werte und des damit verbundenen Verpflichtungsgehalts von Normen basiert, hängt auch davon ab, ob die Normen direkt verhaltenssteuernd im Sinne eines „Verpflichtungsgehalts wirken, oder ob sie vielmehr einen kommunikativ zu aktivierenden „Referenzrahmen“ für durchaus kontroverse internationale und innenpolitische Diskurse darstellen.[48] Dem Zusammenhang von Macht und Normen haben die Verfechter des konstruktivistischen Ansatzes bisher keine hinreichende Aufmerksamkeit geschenkt, sondern stattdessen dazu tendiert, die Bedeutung von Normen gegenüber der von Macht auszuspielen und Normen mit Legitimität gleichzusetzen. Man sollte daher versuchen, diese komplexen theoretischen Grundlage in bezug auf die deutsche Israelpolitik zu untersuchen.

Bei den sowohl internen als auch externen Rollenerwartungen an die Bundesrepublik sowie bei der Selbstbindung an Normen und Werte und die Verfolgung ihrer staatlichen Interessen, sind hinsichtlich des deutsch-israelischen Verhältnisses seine spezifischen Einflussquellen zu beachten. Das sind vor allem die nationalsozialistische Vergangenheit, die internationalen Determinanten und die maßgeblichen Persönlichkeiten in den deutsch-israelischen Beziehungen. Bezüglich dieser Einflussquellen soll auch die Politik der verschiedenen Regierungskoalitionen in Deutschland gegenüber Israel verglichen und der Aspekt der Besonderheit der Beziehungen erörtert werden.

2.5 Literatur und methodische Grundlagen

Wie bereits angesprochen, mangelt es nicht an der allgemeinen Literatur über die deutsch-israelischen Beziehungen, da diese aufgrund ihrer Brisanz immer wieder zu Untersuchungen anregten. Ein großer Teil der zahlreichen Studien, die sich mit dem Verhältnis beider Länder

zueinander auseinandersetzen, widmet sich jedoch vor allem der Thematik der gestörten deutsch-jüdischen Vergangenheit und deren Konsequenzen. Die Primärliteratur dieser Arbeit wurde hingegen im Hinblick auf die Israelpolitik der Bundesrepublik ausgewählt, so dass die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten in den Vordergrund rücken könnten. In diesem Zusammenhang haben vor allem die Werke von Inge Deutschkron, Michael Wolffsohn, Amnon Neustadt und die neuen Studien von Markus A. Weingardt eine große Bedeutung. In bezug auf die Nahostkomponente der deutsch-israelischen Beziehungen, ist vor allem auf die Arbeiten von Kinan Jaeger zu verweisen.

Was die Quellen und Dokumente angeht, so sollen vor allem die Aussagen und Stellungsnahmen der führenden bundesdeutschen, aber auch der israelischen Politiker für die Analyse des bilateralen Verhältnisses herangezogen werden. Diese Quellen sind vor allem den Werken von Kinan Jaeger und Markus A. Weingardt entnommen. Auch beziehen sich die Quellen auf solche Dokumentationen wie „Archiv der Gegenwart“, „Auswärtiges Amt“ und vor allem „Der deutsch-israelische Dialog“ von Rolf Vogel.

3. Historischer Überblick und die Einflussfaktoren

Im folgenden sollen jetzt die wichtigsten Etappen der deutsch-israelischen Beziehungen auf der Regierungsebene bis zum Amtsantritt der Regierung der sozial-liberalen Koalition im Jahre 1969 vorgestellt und thematisiert werden.

3.1 Die Wiedergutmachung: Der Weg zu den Verhandlungen

Am 29. November 1947 beschloss die UNO-Vollversammlung die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Zu dieser Zeit war das Ansehen Deutschlands durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg ruiniert.[49] In diesem Moment war Deutschland von den alliierten Siegermächten besetzt und stellte keine staatliche Einheit dar. Dadurch und vor allem durch das Bekanntwerden des Ausmaßes des Mordes an den europäischen Juden, war nicht daran zu denken, dass deutsche Politiker, wenn sie sich überhaupt zu den Ereignissen äußerten, die die Gründung des jüdischen Staates begleiteten und in einen Krieg mit seinen arabischen Nachbarn mündeten, Gehör gefunden hätten.[50]

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 wurden Kontakte jedweder Art zwischen Israel und dem neugegründeten deutschen Staat von israelischer Seite radikal abgelehnt und von deutscher Seite nicht gesucht. Während die Gefühle der Juden bezüglich der Deutschen eindeutig waren, war die Haltung der Deutschen noch sehr ambivalent; die Judenfeindschaft in Deutschland schien laut verschiedener Umfragen erst allmählich abzuklingen.[51]

Allerdings wurden jüdische Entschädigungsforderungen an Deutschland bereits 1941 erstmals öffentlich geäußert. Nahum Goldmann, damaliger Präsident des Jüdischen Weltkongresses, erhob den prinzipiellen Entschädigungsanspruch auf der panamerikanischen Konferenz des Jüdischen Weltkongresses in Baltimore. Am 20. September 1945 wiederholte und konkretisierte der spätere israelische Präsident Chaim Weizmann im Namen der „Jewish Agency for Palestine“ diese Forderungen in einem Brief an die vier Großmächte.[52] Damit kamen auch in Israel, das sich seit seiner Staatsgründung als Repräsentant des jüdischen Volkes verstand, die Überlegungen über eine Entschädigung in Gang. Im Januar 1951 beschloss die israelische Regierung, nicht zuletzt aufgrund ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage, sowohl von der Bundesrepublik als auch von der inzwischen gegründeten DDR die materielle Wiedergutmachung zu verlangen. Da sie sich aber weigerte, mit den Regierungen der beiden deutschen Staaten direkt zu verhandeln, übergab sie im März 1951 den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges eine dementsprechende Note, in welcher 1 Milliarde Dollar von West- und 500 Millionen von Ostdeutschland verlangt wurde.[53]

Die Sowjetunion und damit auch die DDR beantworteten diese Note gar nicht. Die Westmächte erkannten zwar grundsätzlich das Recht Israels zu einer solchen Forderung an, hielten jedoch eine alliierte Zwangsregelung zur Wiedergutmachung für politisch unklug und lehnten es ab, der Bundesrepublik die Zahlung von Reparationen an Israel aufzuerlegen.[54] Stattdessen wurden der Regierung des jüdischen Staates direkte deutsch-israelische Verhandlungen empfohlen.

Auf der deutschen Seite stand die Wiedergutmachung zunächst nicht im Mittelpunkt des politischen Alltags. Zwar wurde materieller Schadenersatz bereits 1947 für das jüdische Volk vom Wortführer der SPD Kurt Schumacher angemahnt. Doch hob der erste Kanzler der Bundesrepublik Konrad Adenauer (CDU) in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949 in erster Linie die Pflicht hervor, dass den deutschen Kriegsopfern, Vertriebenen und Ausgebombten geholfen werden müsse, während er auf die Verbrechen gegen die Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere gegen die Juden, nur am Rande zu sprechen kam.[55] Die deutsche Seite war sich zunächst der jüdischen Erwartungen nicht voll bewusst, und ihre politische Führung war in erster Linie mit dem Aufbau der Wirtschaft und der politischen Institutionen beschäftigt.

Allerdings war Adenauer von Anfang an klar, dass „die Art, wie die Deutschen sich den Juden gegenüber verhalten werden, die Feuerprobe der deutschen Demokratie sein wird“.[56] Obwohl vom aufrichtigen Wunsch geleitet, das vergangene Unrecht in irgendwelcher Weise wiedergutzumachen und über jeden Verdacht antisemitischer Neigungen erhaben, vermutete er einen enormen Einfluss der amerikanischen Juden auf die US-Regierung- und Wirtschaft. So war es bei ihm konsequent und doch aufschlussreich, wenn er als Begründung für Versöhnung und Wiedergutmachung zuallererst deren Notwendigkeit angesichts der NS-Verbrechen an den Juden nannte, „wenn wir wieder Ansehen unter den Völkern gewinnen wollten.“ Und weiter: Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich (...) meine ganze Kraft drangesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk“.[57]

An dieser Stelle soll aber gleich mit der Legende aufgeräumt werden, dass die Westmächte, allen voran die USA, Druck auf die Bundesrepublik ausgeübt und sie zum Abschluss des Wiedergutmachungsabkommens gedrängt hätten, was von einer seltsamen Koalition aus deutschen und arabischen Gegnern der Wiedergutmachung sowie israelischen und einigen diasporajüdischen Historikern immer wieder behauptet wird.[58] Davon allerdings kann keine Rede sein. Zwar wurde allgemein erwartet, dass der neugegründete deutsche Staat eine würdige Haltung gegenüber den Opfern des NS-Diktatur einnimmt und die Bereitschaft zur Sühne zeigt, was auch den Beitritt zum Kreis der westlichen Demokratien atmosphärisch erleichtern würde. Die sich aber bald nach ihrer Gründung anbahnende Aufnahme der Bundesrepublik in die Gesellschaft der westlichen Staaten war vielmehr eine Folge des Kalten Krieges. Vor allem die USA, die Westdeutschland als einen zuverlässigen Verbündeten in ihrer sich anbahnenden Konfrontation mit der Sowjetunion brauchten, wussten, dass Westdeutschlands Wiederbewaffnung und Wiedergutmachung viel Geld kosten würden; Geld, das Bonn möglicherweise nicht aufbringen könnte und das die USA schließlich zahlen müssten.[59] Daher wollten die USA in der Wiedergutmachungsfrage keinen Druck auf den westdeutschen Staat ausüben und Israel musste sich direkt an Bonn wenden, um das für den Aufbau des jungen Staates dringend benötigte Geld zu erhalten.

Bundeskanzler Adenauer wusste, dass es im Interesse der westlichen Alliierten und insbesondere der Vereinigten Staaten lag, die neugegründete Republik zu stärken. Gleichzeitig war ihm jedoch aber auch das psychologisch hemmende Moment, nämlich das Misstrauen Deutschland gegenüber und die Notwendigkeit der stufenweise Beseitigung dieser psychologischen Hemmschwelle voll bewusst.[60] In seinem Streben nach Vertrauen ist auch die Wiedergutmachungsidee zu begreifen.

Adenauer bekundete zwar schon am 11. November 1949 in einem Interview mit dem Herausgeber der „Allgemeinen“ Wochenzeitschrift der Juden in Deutschland die grundsätzliche Bereitschaft zu materieller Wiedergutmachung an den jüdischen Opfern des nationalsozialistischen Regimes.[61] Auch bot er den Israelis als erstes, unmittelbares Zeichen dieser Bereitschaft Warengeschenke im Wert von 10 Millionen DM an, was diese allerdings ablehnten und Adenauer ihrerseits vorwarfen, in makaberer Art für jeden ermordeten Juden eine DM und sechzig Pfennig zu bieten.[62] Eine entsprechende Regierungserklärung hielt der Bundeskanzler zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht für erforderlich. Obwohl Adenauer mit seinem Angebot einen präzedenzlosen Schritt unternommen hatte, der Zugleich eine Vorstufe auf dem Weg zur kollektiven Entschädigung war, wurde es rasch klar, dass ohne solche Regierungserklärung überhaupt keine Verhandlungen denkbar seien. Daraufhin wurde hinter den Kulissen intensiv um die Formulierung eines solchen gerungen, da die israelische Regierung auf einem öffentlichen Schuldbekenntnis des Bundeskanzlers und in bezug auf den Holocaust auf seinem Bekenntnis zur Kollektivschuld des deutschen Volkes bestand.[63] Als Adenauer am 27. September 1951 seine Regierungserklärung abgab, sprach er von Verantwortung des deutschen Volkes an den nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber den Juden, „die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten“.[64] Gleichzeitig verwies er allerdings auf die Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit und Versorgungsnöte der eigenen Kriegsopfer und Flüchtlinge. Obschon im Wortlaut der Erklärung keine Rede von der Kollektivschuld des deutschen Volkes die Rede war, wie es die israelische Seite verlangte, gab sich diese auch damit zufrieden. Vor allem der israelische Premierminister David Ben-Gurion glaubte an die Vorteile einer frühen Verständigung mit der Bundesrepublik, da er überzeugt war, dass diese zu einem Hauptfaktor im antikommunistischen Lager werden würde. Gleichzeitig war ihm klar, dass ohne Lösung der materiellen Probleme bei den politischen Fragen keine Fortschritte zu erzielen seien.[65] Als das israelische Parlament, die Knesset, nachdem es während der Verhandlungen zu Tumulten gekommen war, Anfang Januar 1952 mit 60 gegen 51 Stimmen der Aufnahme der direkten Verhandlungen zustimmte, war der Weg für diese frei.

[...]


[1] Zit. nach Husemann, Friedrich: Das deutsch-israelische Verhältnis - Eine kritische Chronik von drei Jahrzehnten. In: Tribüne, Nr. 133, 1995, S. 201-214, S. 215.

[2] Vgl. Deutschkron, Inge: Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel – eine Bilanz. In: Giordano, Ralph (Hrsg.): Deutschland und Israel, Solidarität in der Bewährung. Gerlingen 1992, S. 55-72, S. 55.

[3] Vgl. Jaeger, Kinan: Quadratur des Dreiecks. Die deutsch-israelischen Beziehungen und die Palästinenser. Schwalbach (Taunus) 1997, S. 1.

[4] Vgl. Weingardt, Markus A.: Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Die Geschichte einer Gratwanderung seit 1949. Frankfurt/New York 2002, S. 13.

[5] Vgl. Weingardt, Markus A.: Deutsch-israelische Beziehungen. Zur Genese bilateraler Verträge 1949-1996. Konstanz 1997, S. 2.

[6] Vgl. Weingardt, Deutsch-israelische Beziehungen, S. 2.

[7] Adenauer am 4. 3. 1953 vor dem Deutschen Bundestag; zit. nach Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Band 15 (250.-262. Sitzung), Bonn 1953, S. 12095

[8] Bundespräsident Johannes Rau am 16. 2. 2000 vor dem israelischen Parlament; zit. nach Blickpunkt Israel Nr. 2/2000, Beilage S. 1.

[9] Vgl. Jaeger, Kinan: Die Bedeutung des Palästinenser-Problems für die deutsch-israelischen Beziehungen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 16/95, S. 21-30, S. 22.

[10] Vgl. Weingardt, Deutsch-israelische Beziehungen, S. 5.

[11] Vgl. Spindler, Manuela/Schieder, Siegfried: Theorie(n) in der Lehre von den internationalen Beziehungen. In: Schieder, Siegfried, Spindler Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen. Opladen 2003, S. 7-33, S. 7.

[12] Vgl. Weingardt, Deutsch-israelische Beziehungen, S.2.

[13] Vgl. Kirste, Knut/Maull, Hans W.: Zivilmacht und Rollentheorie. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2/1996, S. 283-312, S. 283.

[14] Vgl. Putnam, Robert D.: Diplomacy and domestic politics: the logik of two-level games. In: International Organisations, 3/1988, S. 427-460, S. 427.

[15] Vgl. Risse-Kappen, Thomas: Vom Ost-West-Konflikt zur internationalen Unübersichtlichkeit. In: Sicherheitspolitik unter geänderten weltpolitischen Bedingungen. Stuttgart 1995, S. 10-25, S. 12.

[16] Vgl. Schieder, Siegfried: Neuer Liberalismus. In: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela: Theorien der internationalen Beziehungen. Opladen 2003, S. 169-198, S. 180.

[17] Vgl. Risse-Kappen, Vom Ost-West-Konflikt, S. 16.

[18] Vgl. Neustadt, Amnon: Die deutsch-israelischen Beziehungen im Schatten der EG-Nahostpolitik. Frankfurt/M 1983, S. 23.

[19] Vgl. Wolffsohn, Michael/Bokovoy, Douglas: Israel. Grundwissen: Geschichte – Politik – Gesellschaft- Wirtschaft. 5. überarb. Aufl. Opladen 1996, S. 58.

[20] Vgl. Neuberger, Benjamin: Staatsaufbau und politisches System. In: Informationen zur politischen Bildung. Israel. Nr. 278 2003, S. 14-24, S. 17.

[21] Vgl. Wolffsohn/Bokovoy, Israel, S. 59.

[22] Vgl. Wolffsohn/Bokovoy, Israel, S. 59.

[23] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 283.

[24] Vgl. Moravcsik, Andrew: Taking Preferences Seriously: A Liberal Theory of International Politics. In: International Organization 51: 4, 1997, S. 513-553, S. 519.

[25] Vgl. Schieder, Neuer Liberalismus, S. 178.

[26] Ebd.

[27] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 284.

[28] Ebd.

[29] Vgl. Risse-Kappen, Thomas: Reden ist nicht billig. Zur Debatte um Kommunikation und Rationalität. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1/1995, S. 171-185, S. 171.

[30] Vgl. Wendt, Alexander E: The Agent-Structure Problem in International Relations Theory. In: International Organization 3/1987, S. 335-370, S. 362.

[31] Vgl. Schaber, Thomas/Ulbert, Cornelia: Reflexivität in den Internationalen Beziehungen. Literaturbericht zum Beitrag kognitiver, reflexiver und interpretativer Ansätze zur dritten Theoriedebatte. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1/1994, S. 139-169, S. 144.

[32] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 285.

[33] Ebd.

[34] Zit. nach Gaupp, Peter: Staaten als Rollenträger. Die Rollentheorie als Analyse-Instrument von Außenpolitik und internationalen Beziehungen. Bern 1983, S. 109.

[35] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 289.

[36] Zit. nach Wendt, Alexander E: Anarchy is What States Make of It. In: International Organization 2/1992, S. 391-425, S. 397.

[37] Vgl. Wendt, Anarchy is What States Make of It, S. 398.

[38] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 288.

[39] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 288.

[40] Ebd.

[41] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie S. 297.

[42] Vgl. Senghaas, Dieter: Friedensforschung und der Prozess der Zivilisation. In: Moltmann, Bernhard (Hrsg.): Perspektiven der Friedensforschung. Baden-Baden 1988, S. 167-174, S. 167.

[43] Vgl. Mutz, Reinhard: Zum Verhältnis von Normen und Interessen in der deutschen Außenpolitik. Konferenzpapier, Internationale Konferenz des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Hamburg und der Universität Groningen. Groningen 1995, S. 2.

[44] Vgl. Kirste/Maull, Zivilmacht und Rollentheorie, S. 300.

[45] Vgl. Knapp, Manfred/Krell, Gert: Einführung in die internationale Politik. Studienbuch. München 1996, S. 154; Art. 25, 26 GG.

[46] Vgl. Müllenmeister. Uwe: Die Nahostpolitik der sozial-liberalen Koalition. Frankfurt/M 1988, S. 6.

[47] Vgl. Jaeger, Kinan, Die Bedeutung des Palästinenser-Problems, S. 22.

[48] Vgl. Jaeger, Hans-Martin: Konstruktionsfehler des Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2/1996, S. 313-340, S. 325.

[49] Vgl. Weingardt, Deutsche Israel- und Nahostpolitik, S. 72.

[50] Ebd., S. 59.

[51] Vgl. Weingardt, Deutsch-israelische Beziehungen, S. 8.

[52] Vgl. Weingardt, Deutsch-israelische Beziehungen, S. 8.

[53] Vgl. Wolffsohn/Bokovoy, Israel, S. 238.

[54] Vgl. Deligdisch, Jekutiel: Die Einstellung der Bundesrepublik Deutschland zum Staate Israel. Bonn/Bad Godesberg 1974, S. 23.

[55] Vgl. Jelinek,Yeshayahu A. (Hg.): Zwischen Moral und Realpolitik. Deutsch-israelische Beziehungen 1945- 1965. Gerlingen 1997, S. 15.

[56] Äußerung des amerikanischen Hochkomissars für Deutschland John McCloy, am 30. 7. 1949 in Heidelberg. Neue Zeitung vom 31 .7. 1949; zit. nach Birrenbach, Kurt: Meine Sondermission. Rückblick auf zwei Jahrzehnte bundesdeutscher Außenpolitik. Düsseldorf/Wien 1984, S. 84.

[57] Zit. nach Deligdisch, Die Einstellung der Bundesrepublik Deutschland, S. 21.

[58] Vgl. Wolffsohn, Michael: Die Wiedergutmachung und der Westen – Tatsachen und Legenden. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 16-17/87, S. 19-29, S. 19.

[59] Vgl. Wolffsohn, Michael: Ewige Schuld? 40 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen. München 1988, S. 22.

[60] Vgl. Neustadt, Die deutsch-israelischen Beziehungen, S. 24.

[61] Vgl. Wolffsohn, Michael: Deutsch-Israelische Beziehungen. Umfragen und Interpretationen 1952-1986. München 1986, S. 13.

[62] Vgl. Jelinek, Zwischen Moral und Realpolitik, S. 15.

[63] Vgl. Wolffsohn, Ewige Schuld. S. 23.

[64] Zit. nach Vogel, Rolf: Der deutsch-israelische Dialog. Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Außenpolitik. München; New York; London; Paris 1987-1990. Teil I: Politik (Band 1-3), 1987-1988. Teil II: Wirtschaft/Landwirtschaft (Band 4-5), 1989. Teil III: Kultur (Band 6-8), 1989-1990. Teil I/ S. 46.

[65] Vgl. Jelinek, Zwischen Moral und Realpolitik, S. 17.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783956361470
ISBN (Paperback)
9783836600897
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Philosophische Fakultät, Internationale Politik
Note
1,7
Schlagworte
politikwissenschaft naher osten intifada israel
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Titel: Deutsch-Israelische Beziehungen
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