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Die Auswirkungen der HIV/AIDS-Epidemie auf das Wirtschaftswachstum im subsaharischen Afrika

©2006 Diplomarbeit 108 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Ziel dieser Arbeit war es, den quantitativen Einfluss der HIV/Aids-Epidemie auf das Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktwachstum der Volkswirtschaften in der besonders stark betroffenen Region des subsaharischen Afrikas zu untersuchen. Hierfür sollte zum einen auf frühere Studien zurückgegriffen und zum anderen eine eigene Analyse durchgeführt werden.

Mithilfe des erweiterten Modells von Solow wurden die Hypothesen, dass ein negativer Zusammenhang zwischen der Epidemie und dem Wirtschaftswachstum besteht, empirisch überprüft. Das erweiterte Modell, das nur das Bildungskapital als Teil des Humankapitals beinhaltet, wurde in dieser Analyse um die Komponente Gesundheitskapital erweitert. Über die HIV-Prävalenzrate wurde das Gesundheitskapital operationalisiert. Damit die aus dem Modell erhaltenen Schätzergebnisse robuster sind, wurden weitere, in der Literatur diskutierte Determinanten des Wirtschaftswachstums einbezogen. Nach dem Aufbereiten der gesammelten Daten und unter Berücksichtigung von Autokorrelation und Heteroskedastizität wurden die Parameter des theoretisch fundierten Modells mittels des LSDV-Schätzers bestimmt. Im Vorfeld der empirischen Untersuchung wurde die Literatur, die sich mit den quantitativen Folgen der Epidemie auseinandersetzt, sondiert und kompakt zusammengefasst.

Die aufgestellten Hypothesen konnten nicht widerlegt werden. Somit besteht für den Zeitraum von 1997 bis 2003 für die Staaten des südlichen Afrikas ein signifikant negativer Einfluss der Epidemie auf das Wirtschaftswachstum. Dieses Ergebnis ist mit der vorherrschenden Meinung in der Literatur über die Folgen der Epidemie auf das Wachstum konsistent. Aus dieser Untersuchung ergibt sich durch die Epidemie eine durchschnittliche Senkung des PKE-Wachstums von mehr als zwei Prozent - im Vergleich zum Wachstum der letzten Jahre von 0,8 Prozent. Die Ergebnisse der weiteren Variablen im Modell liegen im Einklang mit den Überlegungen in der Literatur und erhöhten durch die Hinzunahme die Signifikanz des Parameters der HIV-Prävalenzrate.

Die Ergebnisse dieser Arbeit unterliegen einigen Einschränkungen. Kritisch betrachtet werden muss der kurze Beobachtungszeitraum von nur sieben Jahren. Diese Zeitspanne wurde noch durch den zeitverzögerten Einfluss der Prävalenzrate um zwei Jahre verkürzt, wodurch sich effektiv der Zeitraum auf fünf Jahre erstreckt. Außerdem beruhen die Daten auf Vergangenheitswerten und können daher nicht der uneingeschränkten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Enrico Lovász
Die Auswirkungen der HIV/AIDS-Epidemie auf das Wirtschaftswachstum im
subsaharischen Afrika
ISBN-13: 978-3-8366-0031-6
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Abk¨
urzungsverzeichnis
III
Abbildungsverzeichnis
IV
Tabellenverzeichnis
V
Variablenverzeichnis
VI
1
Einleitung
1
1.1
Hintergrund
1
1.2
Problemstellung
2
1.3
Vorgehensweise
3
2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
4
2.1
Der Verlauf der Epidemie im subsaharischen Afrika
4
2.2
Demografische Ver¨
anderung
9
2.3
Die Auswirkungen auf die Haushalte
11
2.4
Einfl¨
usse der Epidemie auf den Staat
12
2.5
Folgen f¨
ur die Unternehmen
14
2.6
Die ¨
okonomische Lage und Entwicklung des BIP
15
2.7
Theoretische Determinanten des BIP-Wachstums
18
2.7.1
Arbeit
18
2.7.2
Kapital
19
2.7.3
Außenhandel
21
2.7.4
Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen
22
3
Modellierung des Einflusses von HIV/Aids auf das Wirtschaftswach-
stum
24
3.1
¨
Uberblick ¨
uber verwendete Modelle
25
3.1.1
Das Solow-Modell
26
3.1.1.1
Grundmodell
27
3.1.1.2
Das erweiterte Solow-Modell mit Humankapital
32
3.1.2
Romer's Modell
33
3.1.3
Aids Impact Model
35
3.1.4
Overlapping Generation Modell
36
3.1.5
Computable General Equilibrium Modell
38
3.2
Spezifizierung der Arbeitshypothesen
39
3.3
Modellwahl
40
3.4
Sch¨
atzung der Parameter
42
3.5
Operationalisierung der Hypothesen
51
4
Empirische Untersuchung
54
4.1
Deskriptive Statistik
54
4.2
Ergebnisse
59
4.2.1
Bivariate Analyse
61
4.2.2
¨
Uberpr¨
ufung der Hypothesen
64
I

Inhaltsverzeichnis
5
Diskussion der Ergebnisse
68
5.1
Auswertung der Ergebnisse
68
5.2
Fr¨
uhere Untersuchungen
72
5.3
Szenarien f¨
ur die HIV/Aids-Epidemie in Afrika
74
6
Fazit
76
Literatur
78
Anhang
85
Seite II

Abk¨
urzungsverzeichnis
Abk¨
urzungsverzeichnis
Aids
Acquired Immunodeficiency Syndrome
BIP
Bruttoinlandsprodukt
EGLS
Estimated Generalized Least Square
FGLS
Feasible Generalized Least Square
GLS
Generalized Least Squares
HIV
Human Immunodeficiency Virus
KQ
Kleinste Quadrate
LSDV
Least-Squares Dummy Variables
PKE
Pro-Kopf-Einkommen
WHO
World Health Organization
Seite III

Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2.1: Globale HIV-Epidemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Abb. 2.2: HIV-Epidemie im S¨
udlichen Afrika
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Abb. 2.3: HIV-Pr¨
avalenz bei Erwachsenen 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Abb. 2.4: Die Verteilung des weltweiten BIP im Jahr 2003 nach verschiedenen L¨
ander-
einkommensgruppen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Abb. 3.1: Das Solow-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
Abb. 3.2: Goldene Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
Abb. 3.3: Die demografische Grundstruktur des OLG-Modells. . . . . . . . . . . . .
37
Abb. 4.1: Wachstum der Bev¨
olkerung und des Pro-Kopf-BIP im subsaharischen Afrika 55
Abb. 4.2: Streuungsdiagramm: Wachstum Pro-Kopf-BIP und Pro-Kopf-BIP . . . .
62
Abb. 4.3: Streuungsdiagramm: Pro-Kopf-BIP- und Bev¨
olkerungswachstum . . . . .
63
Abb. 4.4: Streuungsdiagramm: Wachstum Pro-Kopf-BIP und Bruttoinvestitionen .
63
Abb. 4.5: Streuungsdiagramm: Pro-Kopf-BIP-Wachstum und Sekund¨
arausbildung .
64
Abb. 4.6: Streuungsdiagramm: Wachstum Pro-Kopf-BIP und HIV-Pr¨
avalenzrate
.
65
Abb. 5.1: Einfluss der HIV-Pr¨
avalenzrate auf das Pro-Kopf-Wachstum . . . . . . .
71
Seite IV

Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 2.1: Regionale HIV- und Aids-Statistik 2005 (Erwachsene und Kinder) . . . .
7
Tab. 2.2: Lebenserwartung bei Geburt mit Aids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Tab. 2.3: ¨
Uberblick ¨
uber den Einfluss von HIV/Aids . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Tab. 2.4: Klassifizierung der subsaharischen ¨
Okonomien nach ihrem PKE (2003) . .
16
Tab. 2.5: Regionaler Vergleich der Verschuldung von Entwicklungsl¨
andern . . . . .
18
Tab. 4.1: BIP im subsaharischen Afrika im Jahr 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Tab. 4.2: Bev¨
olkerung im subsaharischen Afrika im Jahr 2003 . . . . . . . . . . . .
57
Tab. 4.3: HIV-Pr¨
avalenzrate und Aids-Tote im Jahr 2003
. . . . . . . . . . . . . .
57
Tab. 4.4: Bruttoinvestitionen und Sekund¨
arausbildung im Jahr 2003 . . . . . . . .
58
Tab. 4.5: Zeitliche Verz¨
ogerung der HIV-Pr¨
avalenzrate . . . . . . . . . . . . . . . .
60
Tab. 5.1: Zusammenfassung von Studien ¨
uber die makro¨
okonomischen Folgen von
HIV/Aids in Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Tab. 5.2: Szenarien f¨
ur die HIV/Aids-Epidemie in Afrika f¨
ur das Jahr 2025
. . . .
75
Seite V

Variablenverzeichnis
Variablenverzeichnis
A
Technischer Fortschritt, Abschreibung
C, c
Konsum
E, e
Bildungskapital, Einheitsvektor
g
Wachstumsrate des technischen Fortschritt
H, h
Humankapital
I
Bruttoinlandsinvestition, Einheitsmatrix
J
Matrix von Einsen
K, k
Kapitaleinsatz
L
Arbeitseinsatz, Anzahl der Individuen
n
Wachstumsrate der Bev¨
olkerung
N
Anzahl Querschnittseinheiten
S, s
Investitionsanteil, Ersparnisse
t
Zeitpunkt
T
Anzahl der Perioden
u
Zufallsst¨
orterm
v
Zufallsst¨
orterm
w
Lohn eines Arbeiters, Variablen der Sch¨
atzgleichung
x
Eingesetzte Menge der Kapitalg¨
utervariationen
X
Regressormatrix
Y
Output
z
Pro-Kopf-BIP
Produktionselastizit¨
at des Kapitals, Parameter
Produktionselastizit¨
at des Bildungskapitals, Parameter
Pro-Kopf-Wachstumsrate
Abschreibungsrate des Kapitals, Zeitpr¨
aferenz der Wirtschaftssubjekte
Zufallsst¨
orterm
Intertemporalen Substitutionselastizit¨
at
Unbeobachtbarer Zeiteffekt
Konvergenzgeschwindigkeit
µ
Unbeobachtbarer Individualeffekt
Autokorrelationskonstante
2
Varianz
Parameter der Sch¨
atzgleichung
Produktivit¨
at des Humankapitals
Produktionselastizit¨
at des Gesundheitskapitals
Pro-Kopf-BIP-Wachstum
Varianzmatrix
Differentiation nach der Zeit
Seite VI

1
Einleitung
1
Einleitung
"Those living in absolute poverty, compared with those
who are not poor, are estimated to have a five times
higher probability of death between birth and the age
of 5 years, and a 2.5 times higher probability of death
between the ages of 15 and 59 years."
World Health Organization (1999)
1.1
Hintergrund
Armut erh¨
oht das Risiko von Krankheit und fr¨
uhem Tod. Der Zusammenhang kann aber
auch umgekehrt betrachtet werden: Krankheit oder der fr¨
uhe Tod eines Familienmitglieds
versch¨
arft die Armut bzw. erh¨
oht das Armutsrisiko. Denn Krankheit beeintr¨
achtigt nicht
nur die Lebensqualit¨
at, sondern sie gef¨
ahrdet die Arbeitskraft (Breyer und Zweifel, 1997).
Denn dies ist im Allgemeinen das einzige Kapital, das ¨
armeren Bev¨
olkerungsschichten zur
Verf¨
ugung steht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da den Armen und Kranken
zumeist die finanziellen Mittel fehlen, um Krankheiten auf eigene Kosten behandeln zu
lassen und die Arbeitskraft als wichtigste Lebensgrundlage wieder herzustellen, versch¨
arft
sich die Situation.
Seit einigen Jahren gibt es in der Entwicklungspolitik Ans¨
atze, welche den Kreislauf
zwischen Krankheit und Armut durch eine Konzentration von Maßnahmen im Gesund-
heitssektor auf die Gruppe der Armen zu durchbrechen versuchen. Die Fragen, wie ef-
fizient diese Maßnahmen sind und mit welcher Priorit¨
at sie verfolgt werden sollten, sind
dabei nicht unumstritten. Der statistische Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit
onnte auch den Schluss nach sich ziehen, das entwicklungspolitische Zwischenziel m¨
usse
zuerst in der Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens liegen, um - wenn dieses erreicht ist -
die notwendigen Mittel f¨
ur eine nachhaltige Armutsbek¨
ampfung zu besitzen (Breyer und
Zweifel, 1997). Zur Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens wiederum k¨
onnte es effizientere
Mittel als die Bek¨
ampfung von Krankheit bei armen Bev¨
olkerungsschichten geben. Die
Minderung von Krankheit und Sterblichkeit in jungen Jahren w¨
urde sich als Folge des
gestiegenen Wohlstands einstellen u. a., weil sich ein Land dann h¨
ohere Ausgaben f¨
ur den
sozialen Sektor leisten kann.
Zweifel an der ¨
okonomischen Effizienz von Maßnahmen zur Armutsbek¨
ampfung im Ge-
sundheitssektor scheinen auf den ersten Blick besonders dann nahe liegend, wenn nicht
Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Krankheiten erwogen werden, sondern Kranke und
Unheilbare, beispielsweise mit Medikamenten versorgt werden sollen - auch wenn eine
Seite 1

1
Einleitung
Bef¨
urwortung solcher Maßnahmen aus humanit¨
aren Gr¨
unden geboten ist. Dem Span-
nungsfeld zwischen humanit¨
arem Gebot und ¨
okonomischer Effizienz der Versorgung von
Armen sind die L¨
ander im s¨
udlichen Afrika in besonderem Maße ausgesetzt. Denn diese
ander sind am h¨
artesten von der HIV/Aids-Epidemie betroffen - einer Krankheit, gegen
die eine Vorbeugung m¨
oglich ist und deren Ausbruch medikament¨
os verz¨
ogert werden
kann, die jedoch bisher als unheilbar gilt. Ihre bereits verheerenden Auswirkungen auf
die Lebenserwartung von Menschen in diesen L¨
andern zeigt: "... healthy life expectancy
in some African countries is dropping back to levels we haven't seen in advanced countries
since Medieval times." (Alan Lopez, WHO-Koordinator).
1.2
Problemstellung
Etwa 25 Millionen und damit mehr als 60 Prozent aller mit dem Humanen Immundefizienz
Virus (HIV) infizierten Menschen leben im s¨
udlichen Afrika - einer Region mit einem
Anteil an der Weltbev¨
olkerung mit knapp ¨
uber zehn Prozent (UNAids, 2006). Mit der
Ausnahme einiger wenigen weisen die L¨
ander im s¨
udlichen Afrika nur geringe Anzei-
chen f¨
ur einen R¨
uckgang der Epidemie auf. Die HIV-Pr¨
avalenzraten
1
bleiben weiterhin
auf außerordentlich hohem Niveau und haben in zahlreichen L¨
andern den Spitzenwert
offensichtlich noch nicht erreicht. Die ¨
uberwiegende Mehrheit der erkrankten Menschen
geh¨
ort den "produktiven" Altersgruppen der 15- bis 49-J¨
ahrigen an. Problematisch ist
auch, dass immer mehr Kinder bereits w¨
ahrend der Geburt von ihren M¨
uttern infiziert
werden.
Makabererweise schien gerade die gesunkene Lebenserwartung die Position der Zweifler
2
an der ¨
okonomischen Effizienz von Maßnahmen zur Behandlung von mit dem HI-Virus
Infizierten zu st¨
arken.
Die ersten ¨
okonomischen Analysen zu den Auswirkungen der
HIV/Aids-Epidemie Anfang der 1990er Jahre deuteten darauf hin, dass die ¨
okonomischen
Folgen wenig gravierend seien. Als Maßstab wurde das Pro-Kopf-Einkommen herangezo-
gen, sodass sich die Folgen der Epidemie nicht nur mindernd auf das Bruttoinlandspro-
dukt als Z¨
ahler dieses Maßes, sondern auch mindernd auf die Bev¨
olkerungszahl, als dessen
Nenner auswirken - zwei Einfl¨
usse, die den Gesamteinfluss nivellieren. Anhand dieser Un-
tersuchungen wurden ¨
uberwiegend moderate Einbußen bei den Wachstumsraten des Pro-
Kopf-Einkommens von 0,1 - 0,3 Prozent prognostiziert (Ainsworth, Over, 1994). Vere-
inzelt wurde sogar vorhergesagt, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen durch die Epidemie
1
Die Pr¨
avalenz ist eine Kennzahl der Epidemiologie und sagt aus, wie viele Individuen einer be-
stimmten Population an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind.
Die Pr¨
avalenzrate ist eine
relative Gr¨
oße. Sie wird bestimmt durch die Zahl der Erkrankten im Verh¨
altnis zur Zahl der Unter-
suchten. Wird nur die Zahl der neu Erkrankten betrachtet, spricht man von Inzidenz.
2
Ein Teil der AIDS-Kritiker schloss sich in der "Group for the Scientific Reappraisel of AIDS"'
zusammen, die sich 1991 um den Biologen Dr. C. Thomas formierte.
Seite 2

1
Einleitung
erh¨
ohen w¨
urde (Cuddington, 1993). Diese Vermutung hat sich in ersten ¨
okonometrischen
Untersuchungen aber nur in einem Ausnahmefall (Botsuana) best¨
atigt.
Diese Prognosen werden jedoch durch neuere Studien, die auf aktuelleren Daten basieren
sowie neue Modellierungsans¨
atze verwenden, in Zweifel gezogen. Zu grundlegend anderen
Aussagen kommen neuere ¨
okonometrische und modelltheoretische Studien sowie die im
Januar 2000 von der Weltgesundheitsorganisation eingesetzte Expertenkommission zum
Thema "Macroeconomics and Health". Auch ein laufendes Forschungsprojekt der Welt-
bank, welche die langfristigen ¨
okonomischen Kosten von HIV/Aids abzusch¨
atzen versucht,
kann die Prognosen der 90er Jahre nicht best¨
atigen.
1.3
Vorgehensweise
Anhand aktueller Daten und neuer Modellierungsans¨
atze wird in dieser Arbeit untersucht,
ob und wie sich die HIV/Aids-Epidemie auf das Wachstum des Pro-Kopf-Bruttoinlands-
produkts (BIP) in den L¨
andern des s¨
udlichen Afrikas auswirkt. Die Arbeit teilt sich in
einen theoretischen und einen empirischen Teil. In den ersten beiden Kapiteln findet eine
Vorbereitung der Untersuchung statt. Im Kapitel zwei wird neben einer Zusammenfas-
sung der Entwicklung der Epidemie in den L¨
andern auch der Verlauf des BIP-Wachstums
dargestellt. Des Weiteren wird auf die Folgen der Epidemie f¨
ur die Haushalte, den Staat
und die Unternehmen eingegangen. Das Kapitel drei gibt zu Beginn einen ¨
Uberblick ¨
uber
die vorhandene Theorie zur Modellierung von BIP-Wachstum und deren Anwendung.
Außerdem werden die Arbeitshypothesen spezifiziert. In diesem Kapitel wird ebenfalls
das im weiteren Ablauf verwendete Modell, das Verfahren zur Sch¨
atzung der Parame-
ter und die Operationalisierung der Hypothesen beschrieben. Kapitel vier stellt mit der
Untersuchung der gesammelten Daten den empirischen Teil der Diplomarbeit dar. Im
darauffolgenden Kapitel werden die Ergebnisse ausgewertet und mit fr¨
uheren Studien
verglichen. Falls darin ein Einfluss von HIV/Aids-Epidemien auf das BIP-Wachstum
festgestellt wurde, werden mit Hilfe von Schl¨
usselparametern Trends f¨
ur die Zukunft
dargestellt. Kapitel sechs bildet mit einem Fazit den Schluss der Arbeit.
Seite 3

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Trotz der heute deutlich pessimistischeren Einsch¨
atzungen k¨
onnen auch neuere ¨
okonome-
trische Untersuchungen die ¨
okonomischen Folgen von Aids noch nicht wirklich erfassen,
denn sie beruhen auf Daten der Vergangenheit. Deshalb spiegeln die neueren Sch¨
atzungen
zwar den Einfluss der schnellen Ausbreitung des HIV in den 1990er Jahren wider, nicht
aber die Auswirkungen, die f¨
ur die Zukunft realistisch erscheinen. Hinsichtlich der zuk¨
unf-
tigen Folgen unterscheidet sich die Aidsepidemie grundlegend von einer Seuche wie der
Pest. Deren ¨
okonomische Auswirkungen im 14. und 15. Jahrhundert wurden speziell
ur England im Detail untersucht. Die Pest f¨
uhrte Ende des 14. Jh. zwar zu einer sehr
hohen Mortalit¨
at; fast die H¨
alfte der britischen Bev¨
olkerung starb. Die Krankheit traf
alle Altersgruppen und die Seuchenwellen klangen relativ rasch, d. h. innerhalb weniger
Monate ab. Nicht zuletzt auf dieses Seuchenmuster ist es zur¨
uckzuf¨
uhren, dass die Pest
nach wirtschaftshistorischen Untersuchungen maßgeblich zu steigenden Reall¨
ohnen und
einer Periode von anhaltend hohen L¨
ohnen bei stagnierender Bev¨
olkerungszahl in England
im 15. Jh. beigetragen haben soll. (Hatcher, 1977)
Ganz anders jedoch ist das Krankheitsmuster von der AIDS-Epidemie. "Acquired Immun-
odeficiency Syndrome" (Aids) wird verursacht durch eine Infektion mit dem HIV, das eine
schrittweise Zerst¨
orung des Immunsystems bewirkt. Die Folgen sind Sekund¨
arinfektionen
(auch opportunistische Infektionen genannt). Oft sind die Erreger solcher Infektionen f¨
ur
den gesunden Menschen harmlos. Durch das geschw¨
achte bzw. vernichtete Immunsys-
tem eines HIV-positiven kann sich der Organismus jedoch nicht mehr gegen die Erreger
wehren und es treten Infektionen auf. Es existiert die Theorie, dass nicht jeder, der
mit dem HI-Virus infiziert wurde, zwangsl¨
aufig Aids entwickelt. Hierzu gibt es jedoch
keine gesicherten Erkenntnisse. HIV-Infizierte sind in der Regel ¨
uber eine Periode von
mehreren Jahren nahezu frei von Symptomen. Wenn die Krankheit ausbricht, sterben die
betroffenen Menschen - unbehandelt - relativ rasch an Infektionskrankheiten infolge ihres
geschw¨
achten Immunsystems. Aufgrund dieses Krankheitsmusters kann das Virus ¨
uber
Jahre von den Infizierten - h¨
aufig unbemerkt - ¨
ubertragen werden.
2.1
Der Verlauf der Epidemie im subsaharischen Afrika
Genaue Angaben ¨
uber Zeit, Ort, Wirtstier, Art und Anzahl der ersten ¨
Ubertragungen
des HI-Virus sind nicht bekannt. Ein internationales Forscherteam konnte 2006 schl¨
ussig
beweisen, dass der Ursprung des Erregers vermutlich bei Schimpansen in Kamerun liegt
(Hahn, 2006). Phylogenetische Untersuchungen (Verwandtschaftsvergleiche zwischen den
unterschiedlichen Subtypen von HIV) lassen vermuten, dass mehrere unabh¨
angige ¨
Uber-
tragungen vom Schimpansen auf den Menschen in Kamerun und/oder dessen Nach-
Seite 4

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
barl¨
andern stattfanden. Die erste Blutprobe, in der sich HIV nachweisen ließ, wurde
1959 im Kongo von einem erwachsenen Menschen genommen.
Abb. 2.1: Globale HIV-Epidemie
Aus epidemiologischer Sicht ist das weltweite Verteilungsmuster von HIV interessant.
ahrend sich die meisten Viren gleichm¨
aßig schnell ausbreiten, war dies bei HIV anders.
ahrend die Epidemie in den USA bereits vor 20 Jahren begann, gab es einige L¨
ander,
die anf¨
anglich von HIV verschont zu sein schienen, dann aber mit großer Geschwindigkeit
vom Virus erobert wurden. Dies geschah vor allem in Osteuropa und Asien Mitte der
1990er Jahre. In anderen L¨
andern, zum Beispiel Kamerun, blieb die Pr¨
avalenzrate von
HIV Jahre lang stabil, um dann sprunghaft anzusteigen. Auch eine Obergrenze in der
Pr¨
avalenzrate scheint es nicht zu geben. So stieg die Quote der schwangeren Frauen
mit HIV in st¨
adtischen Zentren in Botsuana nach 1997 in vier Jahren von 38,5 auf 55,6
Prozent. (UNAids und WHO, 2005) Seit 1959 steigt weltweit die Anzahl der Menschen,
die sich mit dem HIV infiziert haben, kontinuierlich an (Abbildung 2.1). Bis heute haben
sich bereits 60 Mio. Menschen angesteckt, davon sind inzwischen schon ¨
uber 25 Mio. der
Krankheit erlegen. Die weltweite HIV-Epidemie ist dabei durch Folgendes gekennzeichnet:
· die Zahl der HIV-Infizierten nimmt in allen Teilen der Welt zu,
· die Ausbreitung unter verschiedenen Bev¨
olkerungs- und Risikogruppen ver¨
andert
sich st¨
andig,
· Frauen sind von der Zunahme der Neuinfektionen ¨
uberproportional betroffen,
· die Mehrzahl der HIV-Neuinfektionen findet bei jungen Menschen der Altersgruppe
15 - 24 statt und
· die regionale Verbreitung ist sehr unterschiedlich.
Seite 5

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Die globale Pr¨
avalenzrate unter den Erwachsenen in 2005 erreicht bereits die Einprozent-
marke.
3
In den 1990er Jahren ist die Pr¨
avalenzrate besonders im subsaharischen Afrika
stark angestiegen und wuchs fast auf sieben Prozent heran (Abbildung 2.2). Der leichte
uckgang am Anfang des neuen Jahrtausends ist auf das h¨
ohere Bev¨
olkerungswachstum
und die allm¨
ahlich greifenden Pr¨
aventionskampagnen zur¨
uckzuf¨
uhren.
Abb. 2.2: HIV-Epidemie im S¨
udlichen Afrika
Quelle: eigene Darstellung nach Daten der Weltbank (2005)
Trotz des in der j¨
ungsten Zeit verbesserten Zugangs zu antiretroviraler Behandlung und
zur Pflege in zahlreichen Regionen der Welt forderte die Aidsepidemie im Jahr 2005
2,8 Mio. Todesopfer. Die Gesamtzahl der HIV-positiven erreichte mit etwa 38,6 Mio.
Menschen einen neuen H¨
ochststand (Tabelle 2.1). Etwas mehr als 60 Prozent von ih-
nen lebt im s¨
udlichen Teil Afrikas, was eine Besonderheit der Epidemie darstellt. Eine
weitere Eigenart ist, dass sich der Anteil der Infizierten an der Gesamtbev¨
olkerung in
Nordafrika (0,2 Prozent) deutlich vom s¨
udlichen Afrika (6,1 Prozent) unterscheidet. (UN-
Aids, 2006) Die vergleichbare Verbreitung in Nordafrika und West- bzw. Mitteleuropa ist
auf den gesellschaftlichen Einfluss Europas auf den nordafrikanischen Teil zur¨
uckzuf¨
uhren.
Zus¨
atzlich bildet die Sahara eine ¨
okologische Abgrenzung zwischen nord- und s¨
udafrika-
nischen Staaten. F¨
ur die weite Ausbreitung von HIV im s¨
udlichen Afrika sind laut Dilger
(2005) u. a. folgende Ursachen zu nennen:
· Sp¨
ate Pr¨
aventionskampagnen: W¨
ahrend in Europa und Nordamerika kurz nach der
Entdeckung des HIV durch Massenmedien, große Teile der Bev¨
olkerung ¨
uber die
¨
Ubertragungswege und Pr¨
avention informiert wurden, blieb Aids in vielen Teilen
Afrikas ein Tabuthema.
3
Wenn nicht anders angegeben, bezieht sich die HIV-Pr¨
avalenzrate im Folgenden immer auf die 15-49
ahrigen.
Seite 6

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Land
HIV-positive
HIV-Neuinfek-
tionen
Pr¨
avalenz
bei
Erwachsenen (%)
Aids-Tote
udliches Afrika
24,5 Mio.
2,7 Mio.
6,1
2.0 Mio.
Nordafrika
und
Naher Osten
440.000
64.000
0,2
37.000
Asien
8,3 Mio.
930.000
0,4
600.000
Ozeanien
78.000
7.200
0,3
3.400
Lateinamerika
1,6 Mio.
140.000
0,5
59.000
Osteuropa
und
Zentralasien
1,5 Mio.
220.000
0,8
53.000
Nordamerika,
West/Mitteleuropa
2,0 Mio.
65.000
0,5
30.000
Gesamt
38,6 Mio.
4,1 Mio.
1,0
2,8 Mio.
Quelle: UNAids (2006)
Tab. 2.1: Regionale HIV- und Aids-Statistik 2005 (Erwachsene und Kinder)
· Kostengr¨
unde: Die Bev¨
olkerung des s¨
udlichen Afrikas geh¨
ort zu den ¨
armsten der
Welt. Solange Kondome und HIV-Tests den Betroffenen nicht sehr kosteng¨
unstig
zur Verf¨
ugung gestellt werden, finden diese Mittel keine breite Verwendung.
· Prostitution sowie sexuelle Gewalt gegen Frauen sind m¨
ogliche Gr¨
unde, weshalb im
Gegensatz zu Europa und Nordamerika mehr Frauen als M¨
anner infiziert sind.
· Kulturelle Ursachen: Polygamie und das sofortige Heiraten der Witwen durch Fam-
ilienangeh¨
orige des Verstorbenen sind ebenfalls beg¨
unstigende Faktoren.
In drei L¨
andern des s¨
udlichen Afrikas scheint die nationale HIV-Pr¨
avalenz zur¨
uckzugehen:
in Kenia, Uganda und Simbabwe.
Mit der Ausnahme dieser Drei weisen die L¨
ander
im subsaharischen Afrika nur wenig Anzeichen f¨
ur einen R¨
uckgang der Epidemie auf.
Die HIV-Pr¨
avalenzraten bleiben weiterhin auf einem hohen Niveau und haben in zahlre-
ichen L¨
andern den Spitzenwert offensichtlich noch nicht erreicht, wie die steigenden Epi-
demiezahlen in Mosambik und Swasiland andeuten. In West- und Zentralafrika (wo die
nationale HIV-Pr¨
avalenzrate niedriger ist als im S¨
uden und im Osten der Region, Abbil-
dung 2.3) gibt es ebenso keine Anzeichen f¨
ur eine Ver¨
anderung der HIV-Infektionsraten,
mit der Ausnahme der st¨
adtischen Ballungsgebiete in Burkina Faso.
udliches Afrika
Das s¨
udliche Afrika wird auch als das Epizentrum der globalen Aidsepidemie bezeichnet.
Neben S¨
udafrika wird in den vier weiteren L¨
andern Botsuana, Lesotho, Namibia und
Seite 7

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Abb. 2.3: HIV-Pr¨
avalenz bei Erwachsenen 2005
Quelle: eigene Darstellung nach Daten UNAids (2006)
Swasiland eine sehr hohe Pr¨
avalenzrate (teilweise ¨
uber 30 Prozent) verzeichnet. Die Epi-
demie in Mosambik verl¨
auft - wie die Epidemie in S¨
udafrika - bzgl. der Pr¨
avalenzraten
zeitlich nach hinten versetzt von den Epidemien in anderen L¨
andern der Subregion. Die
ungsten Daten zeigen jedoch eine Verschlechterung der Epidemie insgesamt mit steigen-
den Infektionsraten in allen Regionen. Sch¨
atzungen der nationalen HIV-Pr¨
avalenzraten
unter den Erwachsenen wiesen im Zeitraum 2002 - 2004 eine Steigerung von 14 auf mehr
als 16 Prozent aus. Dabei verbreitete sich HIV am schnellsten in den Provinzen, in denen
die Haupttransportwege des Landes als Verbindung zu Malawi, S¨
udafrika und Simbabwe
liegen. Angola, ein Land, das immer noch mit den Folgen eines jahrzehntelangen Kriegs
zu k¨
ampfen hat, weist die bei weitem niedrigste HIV-Pr¨
avalenz im s¨
udlichen Afrika aus.
Die letzte HIV- ¨
Uberwachung im Jahr 2003 kam zu der Sch¨
atzung, dass 3,7 Prozent auf
nationaler Ebene HIV-positiv waren. Mauritius und die Seychellen haben bisher keine
Epidemien des Ausmaßes anderer L¨
ander in der Region erlebt. Doch HIV breitet sich
Seite 8

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
hier besonders unter den Drogenkonsumenten aus. (UNAids, 2006)
Ostafrika
Ostafrika liefert auch weiterhin die hoffnungsvollsten Anzeichen daf¨
ur, dass bei der Aids-
epidemie eine Wende erreicht werden kann. Der landesweite R¨
uckgang der HIV-Pr¨
avalenz
seit Mitte der 90er Jahre in Uganda setzt sich jetzt in den st¨
adtischen Ballungsgebieten
von Kenia fort, wo die Infektionsraten an einigen Orten stark fallen. In beiden L¨
andern
haben aller Wahrscheinlichkeit nach Verhaltens¨
anderungen zu diesen Trend¨
anderungen
gef¨
uhrt. An anderen Orten in Ostafrika hat sich die HIV-Pr¨
avalenz in den letzten Jahren
entweder leicht abgeschw¨
acht oder ist stabil geblieben. Die Epidemie in Ruanda scheint
sich auf nationaler Ebene in den letzten Jahren stabilisiert zu haben, aber es sind lokal
unterschiedliche Trends sichtbar, sodass die HIV-Pr¨
avalenzrate in einigen Orten steigt,
in anderen stabil bleibt und in einigen wenigen abnimmt. Insgesamt ist die Pr¨
avalenz in
st¨
adtischen Ballungsgebieten (6,4 Prozent mittlere Pr¨
avalenz im Jahr 2003) mehr als dop-
pelt so hoch wie in den l¨
andlichen Gebieten (2,8 Prozent). Die nationale HIV-Pr¨
avalenz
in ¨
Athiopien ist im Vergleich zu vielen anderen L¨
andern im S¨
uden des Landes relativ
gering (sch¨
atzungsweise 4,4 Prozent), dennoch steht das Land im Hinblick auf Aids zahl-
reichen Herausforderungen gegen¨
uber. Mit ca. 1,5 Millionen HIV-positiven Menschen
im Jahr 2004 und mehr als 4,5 Millionen Waisen (einschließlich der mindestens 500.000
Aids Waisen) steht dem Land die Aufgabe bevor, angemessene Behandlung, Pflege und
Unterst¨
utzung f¨
ur die betroffenen Haushalte bereitzustellen. (UNAids, 2006)
West- und Zentralafrika
Westafrika ist historisch gesehen weniger stark betroffen als die anderen Regionen. Dabei
ist zu ber¨
ucksichtigen, dass sich die Epidemien in dieser Subregion in ihrem Ausmaß
und ihrer Intensit¨
at stark voneinander unterscheiden. Die nationale HIV-Pr¨
avalenz unter
Erwachsenen ¨
ubersteigt bisher in keinem westafrikanischen Land die Zehnprozentmarke,
und es hat in den letzten Jahren keine konkreten Hinweise auf bedeutende ¨
Anderungen in
der Pr¨
avalenz gegeben. In Nigeria leben jedoch mehr HIV-positive Menschen als in jedem
anderen Land der Welt mit der Ausnahme von S¨
udafrika und Indien - die Gesamtzahl be-
trug Ende 2003 2,4 Millionen. Togo und Ghana weisen eine anscheinend stabile nationale
HIV-Pr¨
avalenz auf. Die nationalen HIV-Infektionsraten in Mali und im Senegal liegen
weiterhin bei unter zwei Prozent. (UNAids, 2006)
2.2
Demografische Ver¨
anderung
Im Jahr 2003 lebten mehr als 700 Mio.
Einwohner
4
im subsaharischen Afrika.
Die
Verteilung der Bewohner ist dabei ¨
außerst ungleichm¨
aßig. 30 L¨
ander sind mit jeweils
4
Die folgenden Daten entstammen dem World Development Indicator (2005) als Quelle.
Seite 9

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
weniger als zehn Mio. Einwohnern ausgesprochen klein. Lediglich Nigeria mit seinen 136
Mio. Einwohnern hat bisher eine bedeutende Gr¨
oßenordnung erreicht. Eine sehr große
Heterogenit¨
at herrscht bei der Bev¨
olkerungsdichte, deren extreme Werte zwischen ¨
uber
240 (Burundi) und vier Einwohnern pro km
2
(Gabun) liegen. Afrika ist zudem immer
noch ¨
uberwiegend l¨
andlich gepr¨
agt - der st¨
adtische Anteil liegt bei etwa 30 Prozent. Be-
merkenswert ist auch, dass die Bev¨
olkerung auf diesem Kontinent weltweit die "J¨
ungste"
ist. Knapp 44 Prozent der Bewohner sind j¨
unger als 15, nur drei Prozent ¨
alter als 65 Jahre.
Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei etwa 49 Jahren. Das nat¨
urliche Wachs-
tum der Bev¨
olkerung liegt in Afrika mit aktuell etwa 2,5 Prozent pro Jahr erheblich ¨
uber
dem anderer Entwicklungsregionen wie Lateinamerika (1,7 Prozent). Infolge des hohen
Wachstums stiegen die Einwohnerzahlen seit 1950 auf das Vierfache und der Anteil an der
Weltbev¨
olkerung um die H¨
alfte an. Die neueste Projektion der Bev¨
olkerungsentwicklung
(Deutsche Stiftung Weltbev¨
olkerung, 2006), die den Einfluss von HIV/Aids ber¨
ucksichtigt,
erwartet bis 2050 eine Zunahme auf 1,75 Mrd. Menschen, d. h. ein Weltanteil von 19
Prozent.
Pr¨
avalenzrate (%),
Lebenserwartung bei Geburt (Jahre)
Land
Ende 2005
in 2004
ohne Aids
¨
Athiopien
4,4
48,7
53,1
Botsuana
24,1
34,2
75,7
Elfenbeink¨
uste
7,1
48,4
55,7
Sambia
17,0
39,4
56,2
udafrika
18,8
44,1
66,7
Quelle: Joint United Nations Programme on HIV/Aids (2004)
Tab. 2.2: Lebenserwartung bei Geburt mit Aids
Mehr als 95 Prozent der Menschen mit HIV/ Aids leben in Entwicklungs-, Schwellen- und
Transformationsl¨
andern. Aids ist in vielen dieser L¨
ander zur h¨
aufigsten Todesursache von
Erwachsenen im reproduktiven Alter von 15 bis 49 Jahren geworden. Aktuelle Prognosen
von UNAids gehen davon aus, dass im Jahre 2015 in den 60 am st¨
arksten von Aids
betroffenen L¨
andern die Gesamtbev¨
olkerung um 115 Mio. niedriger sein wird als ohne
Aids. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in Afrika s¨
udlich der Sahara bereits
vielfach auf das Niveau der 60er Jahre des 20. Jh. gesunken. In S¨
udafrika zum Beispiel ist
sie auf 44 Jahre gefallen, anstelle von prognostizierten 66 Jahren ohne HIV/Aids (Tabelle
2.2). In Botsuana ist die Lebenserwartung bei der Geburt um mehr als die H¨
alfte, auf
nur noch 34,2 Jahre, zur¨
uckgegangen. Die Bev¨
olkerungsstruktur der stark betroffenen
ander weist zunehmend ein neuartig deformiertes Profil auf, in dem die Jahrg¨
ange des
Seite 10

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
ungeren und mittleren Erwachsenenalters ausged¨
unnt sind. Infolge der Immunschw¨
ache
nehmen als typische Begleiterscheinung auch andere Infektionskrankheiten zu. Neben
Geschlechtskrankheiten ist es insbesondere die Tuberkulose, der ein Drittel der Todesf¨
alle
HIV-Infizierter zugeschrieben wird.
Drei Viertel aller weltweit infizierten Frauen (15 Jahre und ¨
alter) leben im subsaharischen
Afrika. In den meisten Regionen sind Frauen im Vergleich zu M¨
annern ¨
uberproportional
von der Epidemie betroffen. Auff¨
allig ist auch, dass Frauen in fr¨
uheren Jahren infiziert
werden, aufgrund der allgemeinen Veranlagung, dass M¨
anner Beziehungen zu j¨
ungeren
Frauen suchen. Da Frauen durchschnittlich l¨
anger leben als M¨
anner, verlieren sie in-
folgedessen mehr gesunde und produktive Lebensjahre. Es gibt zahlreiche Hinweise da-
rauf, dass die hohe und steigende Zahl von Frauen mit HIV in Afrika aus deren soziale
Stellung resultiert, verursacht beispielsweise durch Vergewaltigungen, mangelnden Zugang
zu Vorsorgemaßnahmen, Ausbildung und Pflege. (UNAIDS, 2005)
Die hohe Sterblichkeit unter den Erwachsenen in Afrika f¨
uhrt zu einer steigenden Zahl
von Kindern, die ohne Eltern aufwachsen m¨
ussen. Im Jahr 1990 lebten in den afrika-
nischen L¨
andern s¨
udlich der Sahara weniger als eine Million Kinder, die ein oder beide
Elternteile durch Aids verloren hatten. Bis Ende 2001 stieg die Zahl der Aids Waisen
laut UNICEF (2003) auf rund 11 Millionen Kinder und Jugendliche an. Dies sind 80
Prozent aller Aids Waisen auf der Welt. Die Waisenkrise wird sich in den kommenden
Jahren weiter versch¨
arfen. UNICEF sch¨
atzt, dass die Zahl der Aids Waisen in Afrika
bis zum Jahr 2010 auf 20 Millionen ansteigen wird. Ohne Eltern und mit beschr¨
ankten
finanziellen M¨
oglichkeiten in der Schule fallen Waisen in der Bildung zur¨
uck oder brechen
diese ab. In Tansania gehen normalerweise 71 Prozent der Kinder in die Schule. Bei den
Waisenkindern liegt der Anteil jedoch nur bei 52 Prozent.
2.3
Die Auswirkungen auf die Haushalte
HIV/Aids verschlechtert massiv die Lebenssituation einzelner Haushalte. Die Epidemie
betrifft vor allem Erwachsene und damit die Ern¨
ahrer der Familie, die f¨
ur den Lebens-
unterhalt aufkommen. Werden diese durch Krankheit oder Tod betroffen, so wird das
Einkommen der Familie stark gemindert.
Statistische Erhebungen belegen dies.
So
fiel in S¨
udafrika und Sambia das monatliche Einkommen der betroffenen Haushalte um
durchschnittlich 66-80 Prozent. (Ahwireng-Obeng und Akussah, 2003; Harvey, 2004)
Von Aids betroffene Haushalte erzielen nicht nur geringere Einnahmen, sondern sind
auch mit h¨
oheren Ausgaben f¨
ur Pflege, Medikamente und Begr¨
abnisse konfrontiert. Die
Haushalte m¨
ussen deshalb ihren Konsum einschr¨
anken und sind oft zus¨
atzlich gezwungen
ihre Ersparnisse aufzul¨
osen oder sogar wichtige produktive Verm¨
ogenswerte wie Land,
Seite 11

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Vieh oder Anbauger¨
ate zu verkaufen, was ihr Einkommen weiter mindert. H¨
aufig f¨
uhrt
Aids sogar zur Aufl¨
osung von Familienverb¨
anden. Dies gilt gerade dann, wenn Frauen
erkranken, die eine wesentliche Rolle f¨
ur den Zusammenhalt der Familie spielen, da sie sich
um die Erziehung, Haushaltsf¨
uhrung und Krankenpflege k¨
ummern. So haben sich in der
im Osten Simbabwes gelegenen Provinz Manicaland zwei von drei Familien, in denen eine
Frau an Aids gestorben ist, aufgel¨
ost. Außerdem m¨
ussen die anderen Familienangeh¨
origen
ihre Zeit in die Pflege der Erkrankten investieren, wodurch bei ihnen weniger Zeit f¨
ur
einkommensgenerierende Aktivit¨
aten ¨
ubrig bleibt. Die Familienmitglieder m¨
ussen ihre
pers¨
onliche Freizeit neu einteilen. Die Studie von Steinberg (2002) zeigt, dass 22 Prozent
aller Pfleger in S¨
udafrika Zeit von ihrer einkommensgenerierenden Aktivit¨
at, 20 Prozent
von ihrer Schulzeit und 58 Prozent von ihrer Freizeit nehmen.
HIV/Aids f¨
uhrt auch zu einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen und
-g¨
utern. Da Haushaltseinkommen in Folge einer Erkrankung eher fallen und die Nachfrage
aber steigt, ist der Haushalt gezwungen, andere Ausgaben zu k¨
urzen oder Verm¨
ogen zu
verkaufen. Steinberg (2002) fand heraus, dass Betroffene ein Drittel ihres Einkommens
ur die medizinische Versorgung ausgeben, im Vergleich zu einer nationalen Quote von
vier Prozent. Andere Ausgabenposten wie Kleidung und Strom m¨
ussen entsprechend
gesenkt werden. Zu ¨
ahnlichen Ergebnissen kam die Weltbank bereits im Jahr 1999. Ein
erheblicher Teil von HIV/Aids bezogenen Ausgaben sind auch die Bestattungskosten.
Die durchschnittlichen Begr¨
abniskosten liegen bei dem Vierfachen eines Monatsgehaltes.
Durchschnittlich tr¨
agt 30 Prozent davon der Haushalt, 40 Prozent kommt von Freunden
oder Verwandten und der Rest stammt aus Versicherungen.
2.4
Einfl¨
usse der Epidemie auf den Staat
Auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene hat die Epidemie negative Auswirkungen. Zum
einen f¨
uhren die erh¨
ohten Ausgaben und geringeren Einkommen der Haushalte zu einem
geringeren Sparaufkommen. Dadurch steigen die Kapitalkosten und es werden weniger
Investitionen get¨
atigt. Da dar¨
uber hinaus sehr h¨
aufig erwerbst¨
atige Erwachsene zwischen
15 und 49, also die produktivsten Mitglieder einer Gesellschaft erkranken, bewirkt Aids
einen R¨
uckgang des Humankapitals der afrikanischen Volkswirtschaften. Dies zeigt sich
beispielsweise am Agrarsektor. Nach Sch¨
atzungen der Food and Agriculture Organization
(FAO) wird bis 2020 ein F¨
unftel der l¨
andlichen Arbeitskraft im s¨
udlichen Afrika der
Epidemie zum Opfer gefallen sein. Der Verlust an Arbeitskraft f¨
uhrt zu einem R¨
uckgang
der landwirtschaftlichen Produktion. Viele Bauern sind gezwungen, ihre Produktion von
"cash crops", also von zum Verkauf vorgesehenen Agrarprodukten, auf "food crops",
also auf allein f¨
ur den eigenen Konsum bestimmte Agrarprodukte, umzustellen. Diese
uckkehr zur reinen Subsistenzwirtschaft deckt oft nicht mal den Eigenbedarf, was auch
Seite 12

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
an der zunehmenden Nahrungsunsicherheit in vielen L¨
andern ersichtlich ist. So war die
letzte große Hungersnot im s¨
udlichen Afrika in 2002-2003 auch auf Aids zur¨
uckzuf¨
uhren.
(vgl. Ahwireng-Obeng und Akussah, 2003)
Da außerdem sowohl im privaten (siehe Abschnitt 2.5) als auch im ¨
offentlichen Sektor
viele Arbeitskr¨
afte ausfallen, bewirkt Aids eine zunehmende Erosion der staatlichen Leis-
tungen. Besonders deutlich zeigt sich dies gerade bei den Leistungen, die f¨
ur eine effek-
tive Armutsbek¨
ampfung eine wichtige Rolle spielen: der Gesundheitsf¨
ursorge und dem
Erziehungswesen. Die stark eingeschr¨
ankten Gesundheitssysteme Afrikas sind durch die
Epidemie ¨
uberfordert. Dies gilt umso mehr, als viele afrikanische L¨
ander in den letzten
Jahren, im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen die Ausgaben f¨
ur den ¨
offentlichen Gesund-
heitsbereich immer mehr gek¨
urzt haben. So geben die afrikanischen Staaten j¨
ahrlich
nur f¨
unf Dollar pro Kopf f¨
ur Gesundheitsversorgung aus. Allein die Durchf¨
uhrung effek-
tiver Aids Pr¨
aventionsprogramme w¨
urde aber sch¨
atzungsweise 20 Dollar pro Kopf kosten.
(Ahwireng-Obeng und Akussah, 2003) Außerdem sind auch qualifizierte Angestellte im
Gesundheitssektor h¨
aufig von Aids betroffen, was die staatlichen Gesundheitssysteme
weiter schw¨
acht.
¨
Ahnliche Effekte zeigen sich im staatlichen Erziehungswesen. Da auch Lehrer sehr h¨
aufig
an Aids erkranken, erwartet man in vielen L¨
andern des subsaharischen Afrikas einen
zunehmenden Mangel an qualifizierten Lehrkr¨
aften. An Aids erkrankte Lehrer werden
aufig entweder gar nicht oder nur durch schlecht ausgebildete Lehrkr¨
afte ersetzt, was die
Qualit¨
at des Bildungswesens stark beeintr¨
achtigt. Dar¨
uber hinaus f¨
uhrt Aids dazu, dass
viele Kinder die Schule vorzeitig abbrechen. Entweder m¨
ussen sie eine Arbeit aufnehmen,
um die ausgefallene Arbeitskraft eines erwachsenen Familienangeh¨
origen zu ersetzen oder
um bei der Pflege von kranken Angeh¨
origen mitzuhelfen. Dar¨
uber hinaus k¨
onnen sich
die Familien die Schulgeb¨
uhren und sonstigen Kosten eines Schulbesuchs oft nicht mehr
leisten.
Ein anderer Effekt, bedingt durch die hohe Sterblichkeit im produktiven Alter, ergibt
sich bei den unqualifizierten Arbeitnehmern. Hierbei k¨
onnen verstorbene Arbeiter mit
einer geringen Qualifikation einfach durch neue Arbeiter ausgetauscht werden, ein Beispiel
ist die Fließbandarbeit. Diese rasche Neubesetzung der Stellen f¨
uhrt auf dem Arbeits-
markt zu einem Absinken der Arbeitslosenquote unter den unqualifizierten Arbeitern.
Der Staat profitiert infolge dessen durch eine in der Summe geringere Arbeitslosenhilfe-
unterst¨
utzung. Es werden damit Mittel im Haushalt f¨
ur andere Ausgabenposten frei.
Seite 13

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
2.5
Folgen f¨
ur die Unternehmen
ur die Mehrzahl der Unternehmen sind die Folgen von HIV/Aids monet¨
arer Natur. Die
Epidemie trifft die Unternehmen auf zwei Seiten:
(i) Einerseits bedingt durch eine Unterbrechung des Produktionsprozesses. Faktoren wie
beispielsweise h¨
aufigere und l¨
angere Abwesenheiten vom Arbeitsplatz, da entweder ein
Angestellter selbst oder einer seiner Angeh¨
origen erkrankt ist, Krankenurlaub, Erwerbs-
unf¨
ahigkeitsrente, medizinische Pflege und sinkende Arbeitsproduktivit¨
at vor dem Tod
sind dabei die Wichtigsten. Dar¨
uber hinaus fallen Kosten f¨
ur Anwerbung und Ausbil-
dung neuen Personals an. Dies beinhaltet aber nicht nur direkte finanzielle Einbußen
sondern auch indirekte. So m¨
ussen Managementressourcen gebunden werden, um neue
Mitarbeiter einzustellen. Vorausschauend bedeutet eine h¨
ohere Sterblichkeit f¨
ur die Un-
ternehmen, dass sie mehr Personal f¨
ur spezielle Aufgaben ausbilden m¨
ussen, um eine
Verf¨
ugbarkeit des Personals auf dem Arbeitsmarkt zu gew¨
ahrleisten. Von Vorteil f¨
ur
das Unternehmen sind Arbeiter, die nach ihrer Produktivit¨
at bezahlt anstatt mit einem
festen Gehalt verg¨
utet werden. Eine potenziell langfristige Kostenkomponente f¨
ur ein
Unternehmen kann die Hinterbliebenenrente f¨
ur den Ehepartner oder die Kinder sein.
Aufgrund der hohen Sterblichkeit unter den Menschen im produktiven Alter kann es f¨
ur
die Unternehmen zu Arbeitskr¨
aftemangel kommen. Geringer qualifizierte Berufe sind
dabei weniger betroffen (vgl. Haacker, 2004).
ur die Haushalte
- Verlust von Einkommen; Waisen
Ver¨
anderung des Haushaltes
- Betreuung von HIV/Aids
ver¨
andert Ausgabenstruktur, senkt Sparquote,
mindert das Verm¨
ogen, geringere Investitionen in
Humankapital
ur den Staat
- h¨
ohere Aufwendungen f¨
ur Aids
beeinflusst andere Ausgaben, Haushaltsdefizit
- Verlagerung von Produktion
Mehrwertsteuereinnahmen sinken
- Ver¨
anderung der Haushaltseinkommen
beeinflusst die Steuereinnahmen und Transfer-
zahlungen
ur die Unternehmen
- Versicherung/Zuwendung f¨
ur Arbeiter
steigen
ver¨
andert die Kosten und den Gewinn
- Arbeitsvers¨
aumnis,
Produktionsunter-
brechung
betrifft gesamte Produktivit¨
at
- Sterblichkeit der Arbeiter, geringere Ar-
beitserfahrung
Arbeiterproduktivit¨
at sinkt
Tab. 2.3: ¨
Uberblick ¨
uber den Einfluss von HIV/Aids
(ii) Andererseits bricht die Konsumg¨
uternachfrage ein. Wegen der erh¨
ohten Mortalit¨
at
sterben u. a. Konsumenten weg. Zudem haben betroffene Haushalte meist ein geringeres
Seite 14

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Einkommen zur Verf¨
ugung. Hinzu kommt, dass Infizierte und Kranke mehr Mittel f¨
ur
medizinische Behandlungsmaßnahmen ben¨
otigen. Dies kann zu einer Verlagerung der
Nachfrage weg von Konsumg¨
utern f¨
uhren (vgl. Bloom et al., 2001).
Tabelle 2.3 gibt einen kurzen aber nicht ersch¨
opfenden ¨
Uberblick ¨
uber Faktoren der
HIV/Aids-Epidemie und deren Einfluss auf die Haushalte, die Regierung und die Un-
ternehmen.
2.6
Die ¨
okonomische Lage und Entwicklung des BIP
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein Maß f¨
ur die wirtschaftliche Leistung einer Volks-
wirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Es misst den Wert der im Inland hergestell-
ten Waren und Dienstleistungen, soweit diese nicht als Vorleistungen f¨
ur die Produk-
tion anderer Waren und Dienstleistungen verwendet werden. Das BIP wird preisberei-
nigt errechnet. Die Schwierigkeit einer allgemeinen Charakterisierung der subsaharischen
¨
Okonomien liegt darin, dass es sich bei diesem Untersuchungsgegenstand um eine Vielzahl
von eigenst¨
andigen Nationen mit einer jeweils eigenen Geschichte handelt. Dennoch zeigen
Studien, dass vergleichsweise große und dauerhafte Zahlungsbilanzungleichgewichte und
niedrige Spar- und Investitionsniveaus existieren. Noch immer sind die einseitigen Aus-
richtungen der Exportstrukturen und die unzureichende Diversifizierung der afrikanischen
Volkswirtschaften problematisch. Bedingt durch hohen Protektionismus, eine geringe in-
frastrukturelle Ausrichtung und den niedrigen Ausbildungsstand der Besch¨
aftigten, ist
eine zunehmende Marginalisierung zu beobachten. Die hohe Verschuldung bildet einen
weiteren schwerwiegenden Faktor der Region.
Wie Tabelle 2.4 zeigt, bewegt sich das Pro-Kopf-Einkommen (PKE) der meisten sub-
saharischen Volkswirtschaften auf einem sehr niedrigen Niveau.
Die meisten L¨
ander
werden der Gruppe der Low-income-countries zugeordnet, wobei die Gruppe der Up-
per Middle-income die Einkommensobergrenze bildet. W¨
ahrend das durchschnittliche
PKE im Jahr 2003 im s¨
udlichen Afrika bei 514 US-Dollar lag, betr¨
agt das PKE in der
Europ¨
aischen W¨
ahrungsunion 20.349 US-Dollar.
Bloom und Sachs (1998) beschreiben
die ¨
okonomische Lage des subsaharischen Afrika unter Zuhilfenahme einiger langfristiger
Sch¨
atzungen. W¨
ahrend beispielsweise zu Beginn der industriellen Revolution um 1820
das Einkommen in Afrika etwa ein Drittel des westeurop¨
aischen Einkommens ausmachte,
erreicht das heutige s¨
udafrikanische Einkommensniveau nur noch ein Zwanzigstel dessen
der westlichen Industriestaaten. Der International Monetary Fund (1999) stellte fest,
dass sich das Niveau des PKE im subsaharischen Afrika im Jahre 1998 kaum von dem
Seite 15

2
Die HIV/Aids-Epidemie und die Wirtschaft
Ost- und S¨
udafrika
Westafrika
Gruppe
Land
PKE (US$)
Land
PKE (US$)
¨
Athiopien
102
Benin
392
Burundi
100
Burkina Faso
253
Demo. Rep. Kongo
87
Elfenbeink¨
uste
597
Eritrea
163
Gambia
324
Kenia
341
Ghana
276
Komoren
365
Guinea
431
Lesotho
530
Guinea-Bissau
135
Madagaskar
233
Kamerun
634
Low income
a
Malawi
157
Liberia
123
Mosambik
255
Mali
258
Ruanda
260
Mauretanien
372
Sambia
354
Niger
178
Somalia
...
Nigeria
357
Sudan
433
Sao Tome & Principe
334
Tansania
309
Senegal
485
Uganda
277
Sierra Leone
141
Zimbabwe
514
Tschad
218
Togo
292
Zentralafrika
229
Angola
814
Kap Verde
1290
Lower
Namibia
1845
Rep. Kongo
943
Middle-income
b
udafrika
3026
Swasiland
1358
Botsuana
3532
¨
Aquat.-Guinea
3716
Upper
Mauritius
4161
Gabon
3865
Middle-income
c
Mayotte
...
Seychellen
6881
a
Als Low-income-countries werden alle L¨
ander klassifiziert, deren PKE 760 US-Dollar oder weniger betr¨
agt.
b
Als Lower Middle-income-countries werden alle L¨
ander klassifiziert, deren PKE gr¨
oßer als 760 US-Dollar ist,
allerdings nicht ¨
uber 3030 US-Dollar liegt.
c
Als Upper Middle-income-countries werden alle L¨
ander klassifiziert, deren PKE gr¨
oßer als 3030 US-Dollar,
aber nicht mehr als 9360 US-Dollar betr¨
agt.
Quelle: World Development Indicator (2005)
Tab. 2.4: Klassifizierung der subsaharischen ¨
Okonomien nach ihrem PKE (2003)
des Jahres 1970 unterscheidet. Die Abbildung 2.4 veranschaulicht die Situation. Hier
wird die Aufteilung des weltweit erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2003 in
ohe von 33.537,8 Mrd. US-Dollar nach L¨
andereinkommensgruppen aufgezeigt.
5
So ver-
buchen die High-income-countries etwa 80 Prozent des weltweiten BIP, w¨
ahrend die Low-
income-countries nur drei Prozent erwirtschaften. Zur Analyse der Ursachen f¨
ur diese im
weltweiten Vergleich langfristig schwache Lage der afrikanischen Staaten existieren zahlre-
iche Publikationen. An dieser Stelle seien zwei Beispiele erw¨
ahnt. So erarbeiteten Bloom
und Sachs (1998) sechs Faktoren, welche die wirtschaftliche Schw¨
ache Afrikas wesentlich
determinieren:
5
Zur Definition der L¨
andereinkommen siehe Tabelle 2.4; als High-income-countries werden alle L¨
ander
bezeichnet, deren PKE mehr als 9.361 US-Dollar betr¨
agt.
Seite 16

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956361012
ISBN (Paperback)
9783836600316
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2006 (Dezember)
Note
1,3
Schlagworte
wirtschaft afrika solow-modell
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Titel: Die Auswirkungen der HIV/AIDS-Epidemie auf das Wirtschaftswachstum im subsaharischen Afrika
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