Lade Inhalt...

Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes

©2006 Magisterarbeit 118 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Jules Verne – Autor von mehr als 80 Romanen und Kurzgeschichten, darunter so weltberühmte Werke wie „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ oder „20.000 Meilen unter dem Meer“. Viele, die einmal in seine abenteuerliche Welt eingetaucht sind, zeigen sich begeistert von den spannenden Abenteuern und dem wissenschaftlichen Detailreichtum der Geschichten, aber auch vom ironischen Humor und den kritischen Zukunftsvisionen Vernes. Dieser hat mit seinen Romanen schon etliche Generationen fasziniert und unterhalten und gilt heute als einer der größten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.
Am 24. März 2005 jährte sich der Todestag des beliebten Romanautors zum 100. Mal. Als Jules Verne am 24. März 1905 starb, hinterließ er ein umfangreiches literarisches Erbe, das in aller Welt bekannt war. Doch wie sieht es heute aus – hundert Jahre nach seinem Tod? Die technischen Erfindungen und wissenschaftlichen Errungenschaften, die Verne in seinen Romanen beschreibt und die das Publikum des 19. Jahrhunderts in Staunen versetzten, sind längst von der Wirklichkeit eingeholt worden. Hat dies der Faszination, die von seinen Büchern ausgeht, einen Abbruch getan? Ist Jules Verne zusammen mit dem 19. Jahrhundert ein Teil der Vergangenheit geworden oder sind seine Werke auch heute noch präsent? Was hat sich verändert im Verlauf von 150 Jahren Rezeption?
Ziel der vorliegenden Arbeit soll es sein, auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Zu diesem Zweck sollen sowohl die Verbreitung der Verne’schen Romane in den einzelnen Medien als auch die Aufnahme und Beurteilung derselben durch das Publikum betrachtet werden. Dabei setzt die Untersuchung der Rezeptionsgeschichte Jules Vernes am Beginn seiner schriftstellerischen Karriere an und endet mit der Gegenwart, rund 150 Jahre nach der Veröffentlichung seines ersten Romans.


Inhaltsverzeichnis:Zusammenfassung:
Jules Verne – Autor von mehr als 80 Romanen und Kurzgeschichten, darunter so weltberühmte Werke wie „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ oder „20.000 Meilen unter dem Meer“. Viele, die einmal in seine abenteuerliche Welt eingetaucht sind, zeigen sich begeistert von den spannenden Abenteuern und dem wissenschaftlichen Detailreichtum der Geschichten, aber auch vom ironischen Humor und den kritischen Zukunftsvisionen Vernes. Dieser hat mit seinen Romanen schon etliche Generationen fasziniert und unterhalten und gilt heute als einer der größten französischen Schriftsteller des 19. […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Maja Roseck
Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes
ISBN-13: 978-3-8366-0016-3
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland, Magisterarbeit, 2007
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...4
1. E inleitung...5
2. Jules Verne ...8
2.1 Biographie ...8
2.1.1 Lebenslauf...8
2.1.2 Der Mensch Jules Verne...12
2.2 Werk...14
2.2.1 Wegbereiter und Nachfolger...14
2.2.2 Gesamtwerk...17
2.2.3 Der naturwissenschaftliche Abenteuerroman...22
2.3 Jules Verne als Begründer der »Science-Fiction«?...26
2.4 Jules Verne als »Technik-Prophet«?...31
3. Rezeptionsforschung...36
3.1 Definition von »Rezeption«...36
3.2 Rezeptionsforschung als wissenschaftliche Methode...37
3.2.1 Was macht Rezeptionsforschung?...37
3.2.2 Rezeptionstheoretische Modelle...40
3.2.3 Empirische vs. Historische Rezeptionsforschung...44
3.3 Methodische Vorgehensweise dieser Arbeit...46
4. Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes...49
4.1 Forschungsstand...49

3
4.2 Rezipientenschichten...54
4.3 Internationale Rezeption...56
4.4 Verlagswesen...61
4.5 Rezensionen und berühmte Kritiker...66
4.6 Theater...70
4.7 Literatur...75
4.8 Filme ...83
4.9 Comics...88
4.10 Hörbücher...90
4.11 Computerspiele...93
4.12 Die Verehrung Jules Vernes...96
5. Zusammenfassung und Ausblick...99
Literaturverzeichnis ... 103

4
Vorwort
Vor dieser Magisterarbeit wusste ich über Jules Verne nicht viel mehr als dass er
Franzose war und einige berühmte Romane wie »20.000 Meilen unter dem Meer«
oder »Die Reise um die Erde in 80 Tagen« geschrieben hat. Weder wusste ich,
wann er geboren oder gestorben war noch hatte ich eine Ahnung, wovon die Ro-
mane mit den abenteuerlichen Titeln eigentlich handeln. Dies änderte sich jedoch
als ich Anfang des Jahres im Rahmen eines Praktikums bei einer Hörspielproduk-
tion von »Die Reise um die Erde in 80 Tagen« dabei sein durfte. Hier kam ich
zum ersten Mal direkt mit Jules Verne in Berührung und die Geschichte um Phi-
leas Fogg und seine Reise um die Welt faszinierte mich so sehr, dass meine Neu-
gier geweckt wurde. Ich wollte wissen, wer der Mensch Jules Verne war, wollte
wissen, was er noch geschrieben hatte. Da zum gleichen Zeitpunkt meine Magis-
terarbeit immer näher rückte, beschloss ich, das Angenehme mit dem Notwendi-
gen zu verbinden und Jules Verne zum Thema meiner Abschlussarbeit zu ma-
chen. Das Ergebnis dieses Vorhabens liegt nun fertig geschrieben, gedruckt und
gebunden vor.
An dieser Stelle möchte ich meiner Mutter für ihre unermüdliche Geduld und
Unterstützung danken und meinem Vater für seine stets aufmunternden Worte.
Besonderer Dank gilt auch meinem Mann Nik ­ sowohl für das Korrekturlesen
der einzelnen Kapitel als auch dafür, dass er an diese Arbeit geglaubt und mir im-
mer wieder den Rücken gestärkt hat.
Abschließend möchte ich mich auch bei Dr. Erdmann Weyrauch für die Über-
nahme des Themas und die hilfreiche Betreuung meiner Arbeit sowie bei Sandra
Fleischer für die Übernahme des Zweitgutachtens vielmals bedanken.
Leipzig, im Januar 2006
Maja Roseck

5
1. E inleitung
»>Ich reise niemals nach Paris, lebe tief in meiner Provinz und bin der
unbekannteste aller Menschen. Das behauptet 1895, zehn Jahre vor
seinem Tod, ein Schriftsteller, der seit über dreißig Jahren in regelmä-
ßiger Folge Bücher veröffentlicht und der sich weder von kriegeri-
schen noch von innerfamiliären Auseinandersetzungen, Magenbe-
schwerden oder beginnender Blindheit davon abbringen lässt. Die
Bücher haben ihn zum erfolgreichen Begründer der Gattung des >wis-
senschaftlichen Romans gemacht, einige seiner Figuren und Themen
sind schon zu Lebzeiten Mythen der Moderne geworden, und unge-
fähr seit 1873 übersetzt man ihn simultan in ein Dutzend verschiede-
ner Sprachen [...]«
1
Die Rede ist von Jules Verne ­ Autor von mehr als 80 Romanen und Kurzge-
schichten, darunter so weltberühmte Werke wie »Die Reise um die Erde in 80
Tagen« oder »20.000 Meilen unter dem Meer«.
Betrachtet man den französischen Schriftsteller etwas genauer, blickt man auf
einen sympathisch einfachen Mann. Insofern hatte Verne Recht; sein Leben und
seine Person allein hätten ihm wohl kaum zu der weltweiten Berühmtheit verhol-
fen, die er seinen Romanen verdankt. Diese, im 19. Jahrhundert zur Hochblüte
der Industrialisierung entstanden, handeln meist von den faszinierenden Möglich-
keiten von Wissenschaft und Technik, aber auch von den Gefahren, die selbige
beinhalten. Eine Problematik, die auch heute noch Aktualität besitzt.
2
Viele, die einmal in die abenteuerliche Welt Jules Vernes eingetaucht sind, zei-
gen sich begeistert von den spannenden Abenteuern und dem wissenschaftlichen
Detailreichtum der Geschichten, aber auch vom ironischen Humor und den kriti-
schen Zukunftsvisionen Vernes. Dieser hat mit seinen Romanen schon etliche
Generationen fasziniert und unterhalten und gilt heute als einer der größten fran-
zösischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.
Am 24. März dieses Jahres jährte sich der Todestag des beliebten Romanautors
zum 100. Mal. Für sein Heimatland Frankreich war dies ein Anlass, das Jahr 2005
zum Gedenkjahr zu Ehren des französischen Schriftstellers auszurufen. Frank-
reichs Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres eröffnete die Feierlichkeiten
am 11. Januar mit den Worten: »Von dem nach Jules Verne benannten Krater auf
1
Dehs 2005a, S. 7
2
Vgl.: Dehs 2005a, S. 8 f

6
dem Mond über das erste atomgetriebene U-Boot Namens >Nautilus bis zu den
anhaltenden Erfolgen seiner Romane und der davon inspirierten Filme zeugt alles
davon, dass sein Andenken wach bleibt.«
3
Im Rahmen dieses Gedenkjahres schlossen sich Vernes Geburtstadt Nantes
und Amiens, wo der berühmte Autor viele Jahre gelebt hatte und schließlich auch
gestorben war, zusammen, um zahlreiche Theater- und Film-Veranstaltungen
sowie Ausstellungen und Kolloquien zum Thema »Jules Verne« zu organisieren.
So fand beispielsweise vom 19. bis 27. März in Amiens ein Treffen für Jules-
Verne-Fans aus aller Welt statt, das die Teilnehmer unter anderem am 24. März in
einer Prozession zum Grab Jules Vernes auf dem Madeleine-Friedhof in Amiens
führte.
Mir stellte sich anlässlich des 100. Todestages des Erschaffers von so berühm-
ten Charakteren wie »Kapitän Nemo« oder »Phileas Fogg« die Frage: Als Jules
Verne am 24. März 1905 starb, hinterließ er ein umfangreiches literarisches Erbe,
das in aller Welt bekannt war. Doch wie sieht es heute aus ­ hundert Jahre nach
seinem Tod? Die technischen Erfindungen und wissenschaftlichen Errungen-
schaften, die Verne in seinen Romanen beschreibt und die das Publikum des 19.
Jahrhunderts in Staunen versetzten, sind längst von der Wirklichkeit eingeholt
worden. Hat dies der Faszination, die von seinen Büchern ausgeht, einen Abbruch
getan? Ist Jules Verne zusammen mit dem 19. Jahrhundert ein Teil der Vergan-
genheit geworden oder sind seine Werke auch heute noch präsent? Was hat sich
verändert im Verlauf von 150 Jahren Rezeption?
Ziel der vorliegenden Arbeit soll es sein, auf diese Fragen eine Antwort zu fin-
den. Zu diesem Zweck sollen sowohl die Verbreitung der Verne'schen Romane in
den einzelnen Medien als auch die Aufnahme und Beurteilung derselben durch
das Publikum betrachtet werden. Dabei setzt die Untersuchung der Rezeptionsge-
schichte Jules Vernes am Beginn seiner schriftstellerischen Karriere an und endet
mit der Gegenwart, rund 150 Jahre nach der Veröffentlichung seines ersten Ro-
mans.
Das erste Kapitel widmet sich allein Jules Verne. Dabei soll sein Leben nicht
nur anhand biographischer Fakten nachvollzogen werden, sondern vielmehr will
diese Arbeit mit Hilfe einiger ausgewählter Zitate von Zeitgenossen Vernes versu-
chen, ein möglichst lebendiges und realitätsnahes Bild des Menschen Jules Verne
wiederzugeben. Neben der Vorstellung von Biographie und Werk soll außerdem
ergründet werden, ob Verne zu Recht als »Technik-Prophet« und »Vater der
Science-Fiction« bezeichnet wird.
3
Hamburger Abendblatt 2005, »Feiern zum 100. Todestag von Jules Verne«

7
Daran schließt sich ein Kapitel über die wissenschaftliche Methode dieser Arbeit
an: die Rezeptionsforschung. Nach einer Definition des Rezeptionsbegriffes wird
ein kurzer Überblick über die Entstehungsgeschichte, die Arbeitsweise sowie eini-
ge ausgewählte Theoriemodelle der Rezeptionsforschung gegeben. Schließlich
wird die Vorgehensweise zur Untersuchung der Rezeptionsgeschichte Jules Ver-
nes erläutert, womit gleichzeitig zum Kern dieser Arbeit übergeleitet wird.
Der eigentliche Hauptteil beginnt mit einem Einblick in die Geschichte der in-
ternationalen Jules-Verne-Forschung. Im Anschluss daran sollen grundlegende
Voraussetzungen
der Verne-Rezeption in Erfahrung gebracht werden wie etwa
die Zielgruppe oder auch die logistische Verbreitung der Verne'schen Romane
durch Verlags- und Übersetzungswesen bevor das Publikum selbst zu Wort
kommt. Dieses wird das schriftstellerische Wirken Jules Vernes in Form von Zita-
ten beurteilen, wobei Verehrer und Kritiker gleichermaßen berücksichtig werden,
um ein möglichst ausgewogenes und vor allem realitätsnahes Urteil zu erhalten.
An die Beurteilung Vernes durch das Publikum schließt sich der zweite Untersu-
chungsgegenstand dieser Arbeit an: die Verbreitung der Verne'schen Erzählungen
in den einzelnen Mediengattungen von damals bis heute. Durch die Untersuchung
von sowohl Verbreitung als auch Aufnahme der Verne'schen Werke soll schließ-
lich herausgefunden werden wie sich die Rezeption Jules Vernes in 150 Jahren
verändert hat. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden abschließend noch einmal
zusammengefasst und durch einen Ausblick auf die zukünftige Rezeption Jules
Verne abgerundet.
Letztendlich soll diese Magisterarbeit einen kleinen Beitrag zur deutschen Ver-
ne-Forschung leisten und dabei vor allem einen Einblick in die Rezeptionsge-
schichte Jules Vernes geben, über die man in den bisher erschienenen Veröffentli-
chungen nur sehr verstreut vereinzelte Angaben finden kann.
Über dies hinaus soll meine Arbeit eine Verneigung sein vor dem Mann, der
die Phantasie seiner Leser auf so »Außergewöhnliche Reisen« schickte und mit
diesen ein literarisches Erbe hinterließ, dem Respekt und Anerkennung gebührt.

8
2. Jules Verne
Die folgenden Kapitel befassen sich mit Leben und Werk Jules Vernes, um zu-
nächst den Autor selbst ein wenig besser kennen zu lernen.
2.1 Biographie
2.1.1 Lebenslauf
Jules-Gabriel Verne wird am 8. Februar 1828 auf der Insel Feydeau geboren, un-
weit der bretonischen Hafenstadt Nantes. Er ist das erste der insgesamt fünf Kin-
der Pierre Vernes, einem angesehen Rechtsanwalt aus Provins, und seiner Frau
Sophie Allotte de la Fuÿe, die einer Reederfamilie aus Nantes entstammt.
Verne verlebt eine behütete Kindheit und beginnt bereits im Knabenalter mit
der Lektüre großer Schriftsteller wie Edgar Allan Poe, Honoré de Balzac und Ja-
mes Fenimore Cooper, deren abenteuerliche Geschichten später seine eigenen
Werke beeinflussen. Ebenfalls geprägt werden Vernes Erzählungen von seiner
Liebe zum Meer, die er gleichfalls in jenen Kindertagen in Nantes entdeckt, wo er
vom Haus seiner Eltern das Ein- und Auslaufen der Handelsschiffe und das bunte
Treiben im Hafen beobachtet. Vernes kindliche Begeisterung für das abenteuerli-
che Leben der Seefahrer wird noch angefacht durch die Geschichten Madame
Sambins, einer Witwe, bei der er mit fünf oder sechs Jahren seinen ersten Unter-
richt erhält. Ihr eigener Mann fuhr als Kapitän zur See und kehrte eines Tages
nicht mehr von seiner Reise zurück. Eine Geschichte, die den jungen Jules Verne
tief beeindruckt und beim späteren Schreiben seiner Romane womöglich inspirier-
te. Seine erste Biographin, Marguerite Allotte de la Fuÿe, will sogar von einem
Ausbruchsversuch des Jungen wissen. Mit elf Jahren soll er versucht haben, als
Schiffsjunge auf dem Südseefahrer »Coralie« anzuheuern, um nach Amerika zu
segeln. Sein Vater soll jedoch rechtzeitig davon erfahren und Jules Verne ihm
kleinlaut versprochen haben: »Ich werde nur noch in Gedanken reisen.«
4
Über
den Wahrheitsgehalt dieser abenteuerlichen Episode im Leben Vernes streiten
sich die Biographen jedoch.
Mit neun Jahren besucht Verne zusammen mit seinem Bruder Paul zunächst
das Eliteinternat »Saint-Stanislas« und ab 1840 das Priesterseminar von Saint-
Donatien, bekannt auch als »Petit Séminaire«. Wird er in den ersten drei Jahren
4
Vgl.: Klam 1999, »Jules Verne«

9
noch für seine guten Leistungen gelobt, veranlasst der darauf folgende Leistungs-
abfall seine Eltern jedoch dazu, ihn ab 1844 auf das städtische Gymnasium »Col-
lège Royal« zu schicken.
Nach Bestehen des Abiturs hilft er als Baccalaureatus (Abiturient) in der An-
waltskanzlei seines Vaters. Dieser ermuntert seinen ältesten Sohn schließlich dazu,
nach Paris zu gehen, um dort sein erstes und zweites juristisches Examen zu ma-
chen, damit er eines Tages seine Nachfolge antreten könne. Verne befolgt den
väterlichen Rat und bezieht im Jahre 1848 ein Zimmer im Pariser Künstlerviertel
»Quartier Latin«.
Die ersten Monate sind eine Zeit der Mutlosigkeit und der Unsicherheit. Wäh-
rend sein Bruder Paul als Seemann die Weltmeere bereist, muss er sich dem tro-
ckenen Jura-Studium widmen, obwohl es ihn viel mehr zu Literatur und Musik
hinzieht. Als seine Onkel Allotte de la Fuÿe und Châteaubourg ihn in einige litera-
rische Salons einführen, macht er die Bekanntschaft von Alexandre Dumas Père
und dessen Sohn Alexandre Dumas Fils. Dies wird zum Wendepunkt im Leben
des Zwanzigjährigen. Durch die Dumas erhält er Zugang zur Welt der Literaten
und wird über dies hinaus von ihnen dazu angeregt, sich an ersten eigenen Wer-
ken zu versuchen. So schreibt er unter anderem das Bühnenstück »Pailles rom-
pues«, das 1850 mit einigem Erfolg im »Théâtre Historique« aufgeführt wird.
Aus den politischen Ereignissen im Jahre 1848 hält sich Verne heraus; seine
Anstrengungen gelten allein dem Theater. Während die Bürger Paris' ihrem Ärger
über die vorherrschenden Zustände mit einer Revolution Ausdruck verleihen,
schreibt er mehrere Dramen, Komödien und Boulevardstücke. Nebenbei setzt er
sein Jura-Studium fort, das er 1849 erfolgreich abschließt. Das Angebot seines
Vaters, eine Stelle in Nantes anzunehmen und in die provinzielle Heimat zurück-
zukehren, schlägt er jedoch aus.
Stattdessen bleibt Verne in Paris und stürzt sich in das Pariser Bohemeleben.
Zusammen mit einigen Schriftstellern, Malern und Musikern gründet er den Jung-
gesellenclub »Die elf Frauenlosen«, dem auch sein Freund Aristide Hignard ange-
hört. Finanziell nun auf eigenen Füßen stehend bleibt er von Geldsorgen nicht
verschont. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, will er sich deshalb als Büh-
nenautor versuchen. Er bezieht ein Zimmer am »Boulevard de Bonne Nouvelle«
und erhält 1852 eine Anstellung als Sekretär am »Théâtre Lyrique«. Trotz der vie-
len Arbeit, die dieser Posten mit sich bringt, findet er genug Zeit zum Schreiben
und es entstehen eine Reihe von Novellen, Komödien und Operetten.
1855 fährt Verne mit Heiratsabsichten nach Hause, doch die von ihm umwor-
bene Herminie Arnault-Grossetière entscheidet sich für eine bessere Partie. Verne
kehrt ohne Frau nach Paris zurück, wo ihn sein Drang nach Freiheit und sein

10
reges Interesse an anderen Dingen seine Tätigkeit am »Théâtre Lyrique« bald als
unerträgliche Bürde empfinden lassen. Aus diesem Grunde gibt er seine Anstel-
lung im Oktober 1856 auf, um sich von nun an voller Eifer seiner Tätigkeit als
Schriftsteller zu widmen.
Neun der »elf Frauenlosen« sind inzwischen verheiratet und im Mai 1856 bleibt
nur noch Verne übrig. Auf der Hochzeit eines Freundes in Amiens macht er dann
jedoch die Bekanntschaft von Honorine Deviane, einer jungen Witwe mit zwei
Töchtern, die er am 10. Januar 1857 heiratet. Die Liebe zu seiner jungen Frau gibt
ihm neuen Antrieb. Um seine Familie zu ernähren, sieht sich Verne nach einer
sicheren Anstellung um und übernimmt mit der finanziellen Hilfe seines Vaters
eine Wechselbank in Paris, wo er sich mäßig erfolgreich als Börsenmakler ver-
sucht. Dem Schreiben widmet er sich jedoch nach wie vor.
Im Jahr 1859 unternimmt Verne zusammen mit seinem Freund Aristide
Hignard eine Reise nach Schottland, woraus später der Roman »Reise mit Hin-
dernissen nach England und Schottland« entsteht. Zwei Jahre später bereist er
Skandinavien, dessen Meere und Eiswüsten ihn stark beeindrucken und seine spä-
teren Erzählungen immer wieder prägen.
In dieser Zeit macht Verne auch die Bekanntschaft des Fotografen Gaspar-
Félix Tournachon, besser bekannt unter dem Pseudonym »Nadar«, dem der Bau
eines Luftschiffes vorschwebt. Verne ist von dieser Idee so begeistert, dass er in
Gedanken bereits erste Reisen unternimmt, die ihm nur wenig später den Stoff zu
seinem ersten bedeutenden Roman liefern sollen.
Als am 3. August 1861 sein erstes und einziges Kind Michel geboren wird, hält
sich Verne gemeinsame mit Hignard in Dänemark auf. Erst fünf Tage nach der
Geburt seines Sohnes kehrt er zurück und beklagt sich fortan über das Geschrei
des Kindes, das ihn bei seiner Arbeit stört.
1862 lernt Verne den Jugendbuchverleger Pierre-Jules Hetzel kennen, dem er
das fertige Manuskript seiner Ballon-Geschichte übergibt. Hetzel erklärt sich be-
reit, die Geschichte zu veröffentlichen und nimmt Verne für seine Zeitschrift
»Magazin der Belehrung und Erholung« unter Vertrag.
So erscheint 1863 Vernes erster Roman »Fünf Wochen im Ballon«, der
zugleich den Roman-Zyklus der »Außergewöhnlichen Reisen« eröffnet. Das Buch
wird ein voller Erfolg und Verne, bisher unbekannt, wird sprichwörtlich »über
Nacht« berühmt.
Ist der Gewinn, den Verne aus der Schreiberei bezieht, anfangs noch so gering,
dass er seine Arbeit an der Börse fortsetzen muss, wird er 1865 als exklusiver
Hausautor bei Hetzel unter Vertrag genommen und erhält nun ein Monatsgehalt
von 750 Francs für das er jährlich drei Romanbände abliefern soll.

11
Von da an arbeitet Verne fast ohne Unterlass. Das Ergebnis sind zahlreiche Ro-
mane, darunter einige seiner bekanntesten Werke wie beispielsweise die »Reise
zum Mittelpunkt der Erde« oder seine beiden Mond-Romane »Von der Erde zum
Mond« und »Die Reise um den Mond«. Die meisten dieser Erzählungen werden
Fortsetzungsweise in Hetzels Jugendzeitschrift veröffentlicht bevor sie später
auch als Buch verlegt werden.
Der größte Teil seiner Romane besteht aus Reise- und Abenteuergeschichten,
in denen er die eine oder andere später tatsächlich realisierte Erfindung vorweg-
nimmt. Dies ist jedoch keiner hellseherischen Gabe verdanken, sondern Vernes
Kontakten zu Wissenschaftlern und Forschern, die seine Kenntnisse erweitern,
ihn fachlich beraten und ihm manche Inspiration geben. Verne sammelt dieses
Wissen in einem Zettelkasten, von dem heute gesagt wird, dass er mehr als 20.000
Notizzettel aus sämtlichen Wissenschaftsbereichen enthielt.
Als ihn das Großstadtleben bei seiner Arbeit zu stören beginnt, zieht Verne
1866 mit seiner Familie in das kleine Fischerdorf Crotoy. Im Jahr darauf unter-
nimmt er zusammen mit seinem Bruder Paul eine Reise nach Amerika, wo sie
unter anderem New York und den Niagarafällen einen Besuch abstatten. Zurück
in Crotoy kauft sich Verne eine kleine Yacht, die er nach seinem Sohn »Saint Mi-
chel« benennt. Sie wird zu seinem Zufluchtsort der Ruhe und Abgeschiedenheit,
an dem er an einer weiteren Erzählung schreibt, die später unter dem Titel
»20.000 Meilen unter dem Meer« veröffentlicht werden soll.
Als im Juli 1870 der Krieg mit Preußen ausbricht, schickt Verne seine Frau mit
den Kindern nach Amiens während er selbst als Reservist zur Küstenwache ein-
berufen wird. Nachdem der Krieg beendet ist, folgt er seiner Familie nach A-
miens, wo er großes Ansehen genießt und sogar Mitglied der »Académie
d'Amiens« wird.
Doch die Nachkriegszeit ist hart und Verne spielt zunächst mit dem Gedan-
ken, seine Arbeit als Börsenmakler wieder aufzunehmen. Stattdessen vollendet er
jedoch zwei weitere Romane und drängt seinen Verleger Hetzel zu einem neuen
Vertrag mit günstigeren Konditionen: ein Monatsgehalt von 1.000 Francs für zwei
Romane pro Jahr.
Im Januar 1873 erscheint dann Vernes wohl bekanntester Roman: »Die Reise
um die Welt in 80 Tagen«. Nur ein Jahr später wird dieser auch fürs Theater adap-
tiert. Am 7. November 1874 erlebt das Stück im »Théâtre de la Porte-Saint-
Martin« seine Uraufführung und wird ein Riesenerfolg.
Die Einnahmen machen Jules Verne zu einem wohlhabenden Mann. Für
55.000 Francs kauft er sich eine Dampfbetriebene Yacht und unternimmt in den
folgenden Jahren zahlreiche Reisen nach Spanien und Portugal, nach Norwegen,

12
Irland und Schottland sowie in den Mittelmeerraum. Viele der Eindrücke, die er
von seinen Reisen mitbringt, verarbeitet er später in seinen Romanen.
Zwar publiziert Verne fast pausenlos weiter, doch mit etwa fünfzig Jahren hat
er seinen schöpferischen Zenit überschritten. Sein früher unerschütterlicher
Glaube an Technik und Fortschritt wird schwächer, er selbst immer konservati-
ver. Das Jahr 1886 bringt einen endgültigen Wandel im Leben Jules Vernes: Am 9.
März wird er das Opfer eines Anschlags durch seinen geistig verwirrten Neffen
Gaston, der in einem Anflug von Raserei zwei Revolverkugeln auf ihn abfeuert.
Eine von beiden trifft Verne am linken Fuß und kann nicht entfernt werden, wes-
halb Verne für den Rest seines Lebens gehbehindert bleibt.
In den folgenden Jahren verkapselt er sich ganz in das Leben eines Provinzlers.
Zwar ist er noch immer schriftstellerisch tätig, doch die Phantasie und die Kraft
seiner Werke lassen allmählich nach. Nachdem sein Vater bereits 1870 verstorben
war, trägt er nun schwer am Tod seiner Mutter und seines Freundes und Verlegers
Hetzel.
Neben seiner Arbeit als Romanautor kandidiert Verne 1888 auf Seite der So-
zialisten für den Gemeinderat von Amiens mit dem Ergebnis, dass er die Wahl
gewinnt. Auch seine Kandidaturen 1892, 1896 und 1900 sind von E rfolg gekrönt.
Mit peinlicher Genauigkeit widmet er sich seiner Tätigkeit und engagiert sich da-
bei vor allem im Bereich der Kultur.
Um die Jahrhundertwende verschlechtert sich der Gesundheitszustand Jules
Vernes jedoch zusehends: Er klagt über Magenprobleme und Rheuma, leidet un-
ter Gleichgewichtsstörungen und erblindet fast vollständig. Immer wieder rafft er
sich auf bis schließlich eine Lähmung seiner rechten Körperhälfte eintritt.
Am 24. März 1905 erliegt Jules Verne in Amiens seiner Krankheit, die später
als Diabetesleiden diagnostiziert wird. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung
wird er am 28. März auf dem Madeleine-Friedhof in Amiens bestattet.
2.1.2 Der Mensch Jules Verne
Das vorangegangene Kapitel referiert den Lebenslauf Jules Vernes, doch was für
ein Mensch verbirgt sich hinter den nüchternen Daten und Fakten? In Form von
einigen ausgewählten Zitaten soll in diesem Kapitel ein Blick sowohl auf die äuße-
re Erscheinung als auch auf das Wesen des Mannes gegeben werden, der zu den
bekanntesten Schriftstellern Frankreichs zählt.

13
An den jungen Jules Verne erinnerte sich sein ehemaliger Mitschüler Lucien Du-
bois:
»Jules Verne war damals [...], was man als Lehrer einen vergnügungs-
süchtigen Schüler nennt, der sich mehr fürs Spielen begeisterte als für
das Lernen; aber unter dieser Lebhaftigkeit traten bisweilen schon
Geistesblitze hervor. Man spürte, dass diese noch grüne, kaum aus
seiner Blüte herausgetretene Frucht heranreifte.«
5
Die äußere Erscheinung des erwachsenen Jules Verne beschreibt der damalige
Theaterdirektor Félix Duquesnel:
»Er war mittelgroß, recht schlank, mit eher breiten Schultern. [... ] Er
hatte ein etwas längliches Gesicht mit starkem Kinn, einen feinen
spöttischen Mund, eine geistreiche Nase mit ausgeprägten Nasenlö-
chern; die wuchernden Haare waren leicht gekräuselt und kastanien-
braun, ebenso wie der spitz zulaufende Bart; aus seinen sehr hellen
blauen Augen blitzte der Schalk.«
6
Über Vernes Wesen sagte Duquesnel:
»Er war ein angenehmer Begleiter, ein freundlicher und charmanter
Gesprächspartner, allerdings immer zum Spotten und Foppen aufge-
legt, allem gegenüber skeptisch, ausgenommen einer einzigen Sache:
Sein Leben lang bewahrte er durch seine bretonische Herkunft eine ­
wie soll ich mich ausdrücken ­ katholische Mentalität.«
7
1895 erhielt Verne Besuch vom italienischen Dichter de Amicis und seinen beiden
Söhnen. Der Italiener schilderte seinen Eindruck folgendermaßen:
»[...] Wären wir ihm begegnet, ohne zu wissen, wer er war, wir hätten
ihn unmöglich erkannt. Man hätte ihn eher für einen abgedankten
General oder für einen Mathematikprofessor oder für einen Abtei-
lungschef im Ministerium gehalten, als für einen Schriftsteller. Er
5
Dehs 2005a, S. 29
6
Dehs 2005a, S. 118
7
Dehs 2005a, S. 118

14
erinnert etwas an Verdi mit seinem ernsten, gutmütigen Gesicht; in
Blick und Wort liegt etwas künstlerisch Lebhaftes. Sein Auftreten ist
sehr einfach und trägt das Gepräge einer edlen Reinheit in allen Ge-
fühls- und Gedankenäußerungen. Sprache, Kleidung und Benehmen
sind die eines Mannes, der nicht aufzufallen wünscht.«
8
Der alte Verne hingegen machte auf André Maurel, einen Freund von Vernes
Sohnes Michel, einen eher düsteren, beinahe grimmigen E indruck:
»Er war ein großer Greis mit rund geschnittenem Bart, mürrisch und
schweigsam. [...]Ich habe in der Nähe von Dinard den Sommer mit
der Familie verbracht. Höflich, sogar galant, konnte er vor geistrei-
chen Einfällen und Bemerkungen sprühen, fiel aber schnell in sein
sauertöpfisches Schweigen zurück.«
9
Um das Bild Jules Verne abzurunden, abschließend ein Zitat aus der Stuttgarter
Zeitung, die anlässlich seines 100. Todestages am 24. März 2005 schrieb:
»Seine flammende Begeisterung und rege Fantasie machten ihn zu ei-
nem der bedeutendsten Schriftsteller von Abenteuer- und Zukunfts-
romanen. Er hat in seinen herrlichen Geschichten [...] nichts erfun-
den, sondern sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse seiner Zeit ge-
stützt. Denn wenn der eher stille und in sich gekehrte Franzose nicht
mit seinem Bruder Paul auf einer ihrer Yachten nach Schottland oder
New York segelte, saß er über wissenschaftlichen Büchern und
Zeitungen.«
10
2.2 Werk
2.2.1 Wegbereiter und Nachfolger
Bevor im nachfolgenden Kapitel das schriftstellerische Werk Jules Vernes vorge-
stellt werden soll, wird sich dieses Kapitel jenen Autoren widmen, die entweder
8
Popp 1999, S. 21
9
Dehs 2005a, S. 392
10
Stuttgarter Zeitung 2005, »Jules Verne«

15
Vernes Arbeit maßgeblich beeinflusst haben oder aber selbst von seinen Erzäh-
lungen inspiriert wurden und später seine Nachfolge antraten.
Wie bereits in Kapitel 2.1.1 (»Lebenslauf«) erwähnt, begann Verne bereits im
Kindesalter mit der Lektüre namhafter Autoren, deren Werke ihn faszinierten und
in seinem späteren Schaffen entscheidend prägten.
»Ich stand ganz unter dem Einfluss von Victor Hugo«
11
, bekannte Verne als er
1893 auf die Anfangsjahre seiner Schriftstellerkarriere zurückblickt, in denen Hu-
gos Werke seine ersten literarischen Versuche inspirierten. Hugo gehörte zu den
bedeutendsten Autoren der französischen Romantik und war der Verfasser zahl-
reicher Gedichte, Versdramen und Romane wie »Der Glöckner von Notre Dame«
(1831) oder »Die Elenden« (1862).
Während seines Studiums in Paris machte Verne die Bekanntschaft zahlreicher
Künstler, die ebenfalls einen großen Einfluss auf seine eigene Arbeit hatten. Unter
ihnen waren bekannte Größen wie der französische Dramatiker Augustin Eugène
Scribe und der Komponist Daniel-François-Esprit Auber.
So ist es nicht verwunderlich, dass man die Handschriften verschiedenster Au-
toren wieder findet, wenn man einen genaueren Blick auf Vernes Lebenswerk,
den Romanzyklus der »Außergewöhnlichen Reisen«, wirft. Der amerikanische
Schriftsteller James Fenimore Cooper
prägte beispielsweise die zahlreichen See-
romane Vernes, die auf oder unter dem Meer spielen. Cooper selbst schrieb neben
Indianer-, See- und Grenzerromane auch kritische Essays und Satiren über Ame-
rika und Europa. An den Werken Honoré de Balzacs und Charles Dickens hinge-
gen bewunderte Verne die sowohl eindrucksvollen als auch überzeugenden
Darstellungen der Romanfiguren, für die er später selbst gerühmt wurde. Von
Walter Scott und Alexandre Dumas Père bezog er die charakteristischen Elemente
des historischen Romans während ihn die Erzählungen E.T.A. Hoffmanns
(»Nussknacker und Mäusekönig«, 1816; »Der Sandmann«, 1817) und Edgar Allan
Poes (»Der Rabe« (1845); »Die Abenteuer Gordon Pyms« (1838)) einiges in Sa-
chen Phantastik und Wissenschaft lehrten.
12
Diese Aufzählung soll nicht den Eindruck erwecken, Jules Verne habe seine ei-
genen Romane aus den Werken anderer Schriftsteller zusammengeschrieben. Le-
diglich die eine oder andere Idee wurde von ihm übernommen und den Lesern in
Form einer neuen Geschichte präsentiert. Darüber hinaus wird gerade Jules Verne
dafür gerühmt, dass er eine völlig neue Romangattung geschaffen habe: den na-
turwissenschaftlichen Abenteuerroman. Dass dieses Genre jedoch gar nicht so
11
Dehs 2005a, S. 39
12
Vgl.: Dehs 2005a, S. 315

16
neu war, zeigen die zahlreichen Erzählungen mit ähnlich abenteuerlichen und
utopischen Inhalten, die lange vor Vernes Romanen veröffentlicht wurden.
Einer der ersten bekannteren Vorgänger Vernes war der Franzose François
Rabelais (ca. 1494-1553) mit seiner abenteuerlichen Erzählung »Gargantua und
Pantagruel«, einem fünfteiligen Romanwerk über den Riesen Gargantua und sei-
nen Sohn Pantagruel.
Auch waren Vernes Helden nicht die ersten, die ins Weltall reisten. Reisen zum
Mond und anderen Planeten wurden schon Jahrhunderte zuvor thematisiert, so
zum Beispiel in Francis Godwins »Mann im Monde« (1638) oder auch in Cyrano
de Bergeracs »Reise nach dem Monde« (1656 oder 1659). Ähnlich fantastische
und utopische Geschichten erzählen auch Thomas Campanellas »Sonnenstaat«
(1623), John Wilkins »Entdeckung einer neuen Welt« (1638) oder Voltaires
»Mic-
romegas« (1752 erschienen).
Die ersten Helden des Abenteuerromans hingegen waren Jonathan Swifts Gul-
liver (»Lemuel Gullivers Reisen zu verschiedenen weit entlegenen Völkern der
E rde«, 1726) und Daniel Defoes »Robinson Crusoe« (1719), wobei sich der erste
Robinson Crusoe bereits 1668 in der Gestalt von Hans Jakob Christoffel von
Grimmelshausens »Simplicissimus« darstellte.
Dass Vernes literarisches Konzept ein erfolgreiches war, zeigt sich nicht zuletzt
dadurch, dass es bald die ersten Nachahmer fand. Bereits zu Lebzeiten Vernes
fühlten sich andere Autoren durch seinen Stil inspiriert und versuchten gar, ihn an
Utopie und Phantastik noch zu übertreffen. Zu ihnen gehörten André Laurie,
Paul d'Ivoi, Albert Robida und Gustave Le Rouge, um nur einige von ihnen zu
nennen.
Nach Jules Verne entwickelte sich der naturwissenschaftliche Abenteuerroman
in zwei unterschiedliche Richtungen. Wie bereits erwähnt prägten Vernes Romane
zahlreiche Schriftsteller dahingehend, dass sie versuchten, seinen Stil bestmöglich
nachzuahmen. Andererseits regten die immer weiter voranschreitenden Entde-
ckungen und Entwicklungen der Naturwissenschaften zahlreiche Autoren dazu
an, unabhängig von Verne neue wissenschaftliche und fantastische Erzählungen
zu schaffen. Zu den Werken, die das Erbe Jules Vernes antraten, zählen vor allem
die Romane des englischen Science-Fiction-Autors Herbert George Wells (»Die
Zeitmaschine«,1895; »Der Krieg der Welten«, 1898) und des deutschen Schriftstel-
lers Kurd Lasswitz (»Auf zwei Planeten« (1897).

17
E in Zitat des Verne-Biographen Volker Dehs zeigt jedoch abschließend, dass das
Erbe Vernes ein schwieriges war:
»Im Ausland hatten es Schriftsteller schwer, sich am wissenschaftli-
chen Roman und an technischer Phantastik zu versuchen, ohne als
>englischer Jules Verne wie Herbert George Wells oder >deutscher Ju-
les Verne wie Kurd Lasswitz und Hans Dominik [...] erklärt zu wer-
den, obwohl die meisten unter ihnen doch ganz andere Anliegen ver-
folgten als der Autor der >Außergewöhnlichen Reisen.«
13
2.2.2 Gesamtwerk
Jules Verne schuf in den 77 Jahren seines Lebens ein literarisches Werk, das mehr
als 80 Romane und Kurzgeschichten umfasst, von denen einige beeindruckenden
Weltruhm erlangt haben. Darüber hinaus verfasste Verne auch einige populärwis-
senschaftliche Abhandlungen wie »Die illustrierte Geographie Frankreichs und
seiner Kolonien« (1868) sowie zahlreiche Theaterstücke. Im Folgenden sollen ein
E inblick in die schriftstellerische Arbeit Vernes sowie ein erster Überblick über
die Rezeption seiner Werke im Verlauf der letzten 150 Jahre gegeben werden.
Vernes schriftstellerische Karriere begann 1863 mit der Veröffentlichung von
»Fünf Wochen im Ballon«. Weder die Leser seines ersten Romans noch Verne
selbst konnten zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass von nun an vierzig Jahre lang ein
Roman dem anderen folgen würde.
Doch »Fünf Wochen im Ballon« war nicht nur der Roman, der Verne bekannt
machte, sondern auch der Auftakt der »Außergewöhnlichen Reisen«. 54 Romane
umfasst dieser Romanzyklus, der seinen Namen von Vernes Verleger Hetzel er-
hielt und gleichzeitig das Lebenswerk Jules Vernes darstellt.
Laut Hetzel war die Absicht dieser umfangreichen Romanreihe »[...] alle geo-
graphischen, geologischen, physikalischen, astronomischen Kenntnisse, die die
moderne Wissenschaft angehäuft hat, zusammenzufassen und in [...] anziehender
und malerischer Art die Geschichte des Universums neu zu schreiben.«
14
Verne
selbst sagte 1893 im Gespräch mit einem amerikanischen Journalisten: »Mein Ziel
13
Dehs 2005a, S. 319
14
Evans 2005, S. 135

18
war es, die Erde zu beschreiben, und nicht nur die Erde, sondern das Uni-
versum.«
15
Die »Außergewöhnlichen Reisen« sollten demnach der Erkundung
von Erde und Weltall auf literarischem Wege dienen.
Wie bereits erwähnt folgten Vernes Durchbruch mit »Fünf Wochen im Ballon«
zahllose Romane, die zunächst in Hetzels Familienzeitschrift »Magazin der Beleh-
rung und Erholung« erschienen bevor sie später in Buchform publiziert wurden.
Von einigen Ausnahmen einmal abgesehen sind es vor allem die zwischen 1863
und 1876 veröffentlichten Romane wie »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde«
(1864); »20.000 Meilen unter dem Meer« (1870) oder die »Reise um die Erde in 80
Tagen« (1873), die Vernes Erfolg bis heute andauern lassen.
All diesen Romanen ist gemeinsam, dass sie Reise- und Abenteuergeschichten
erzählen, die, vermischt mit Utopie und wissenschaftlichen Details, zur damaligen
Zeit einen großen Teil zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Ent-
deckungen innerhalb der Bevölkerung beitrugen. Verne selbst nannte seine Erzäh-
lungen »wissenschaftlich belehrende Romane« und erklärte 1880: »Der Leser ­
und damit meine ich die Mehrheit der Romanleser ­ will nicht belehrt, sondern
unterhalten werden. Wenn man ihm etwas beibringen will, darf man es sich nicht
anmerken lassen, und die Belehrung muss in die Handlung selbst eingehen, sonst
wird das Ziel verfehlt.«
16
Auch Max Popp stellt in seiner bereits 1909 veröffent-
lichten Verne-Biographie mit dem Titel »Jules Verne. Sein Leben, seine Werke,
seine Nachfolger.« fest:
»Verne gab sich nicht zufrieden damit, einfach die trockenen Tatsa-
chen, so wie sie vorlagen, aufzuzählen; er ging viel weiter, und zog
auch die Konsequenzen aus den bereits gemachten Erfindungen und
Entdeckungen. Mit erstaunlichem Scharfsinn kombinierte er die ver-
schiedenen Tatsachen miteinander, folgerte das eine aus dem anderen
und ehe der Leser es sich versieht, befindet er sich nicht mehr in der
Gegenwart, sondern bereits in einer zukünftigen Zeit.«
17
Vernes Leser wussten sowohl den unterhaltenden als auch den belehrenden Cha-
rakter seiner Erzählungen zu schätzen. Dabei war sich der französische
15
Federmair 1996, S. 19
16
Pleticha 1992, S. 7
17
Popp 1999, S. 82

19
Schriftsteller dem Erfolg seiner Romane alles andere als gewiss, wie sich einem
Zeitungsinterview von 1896 über die Zukunft seiner Bücher entnehmen lässt:
»Ehrlich gesagt, glaube ich kaum, dass die >Außergewöhnlichen Rei-
sen auch nur den mindesten Einfluss auf die kommende Generation
haben werden oder bei ihr Freude am Reisen auslösen könnten. Nein,
in dieser Hinsicht habe ich keine Illusionen. Es ist mit diesen Roma-
nen wie mit allen anderen: entweder liest man sie nicht oder man ver-
gisst sie sofort nach der Lektüre.«
18
Doch Verne irrte sich, denn allein in Frankreich wurden seine Bücher fast aus-
nahmslos zu großen Erfolgen. So erzielte beispielsweise der Roman »Von der
Erde zum Mond« bereits Lebzeiten Vernes mehr als 40 Auflagen.
19
Die fiktionale
Beschreibung modernster technischer Erfindungen begeisterte vor allem junge
Leser und dank Übersetzungen fanden Vernes Romane nicht nur in Frankreich,
sondern auch in Amerika und Europa bald ein breites Publikum.
Dennoch hatte Verne, wie jeder andere Autor auch, nicht nur Anhänger, son-
dern auch Kritiker. So schreibt Arno Schmidt in seinem essayistischen Werk zur
angelsächsischen Literatur (1994): »Seine eigenen Zeitgenossen zwar kannten ihn,
schätzten ihn weniger ­ er war ob seines relativ geringen Wortschatzes leicht zu
benaserümpfen; >die Liebe eliminierte er 100%ig und allzu bewusst [...]; und ge-
wisse Schemata verwendete er auch überflüssig häufig [...]«
20
Auch Daniel Com-
père betont in einer Abhandlung über Jules Verne, dass sich dieser die Bezeich-
nung »Schriftsteller« erst verdienen musste:
»Schriftsteller ­ dieser Titel ist lange Zeit als unpassend empfunden
worden, um jenen Literaten zu bezeichnen, der als Autor wissen-
schaftlicher Vorwegnahmen in literarischer Form oder als zweitrangi-
ger Schreiberling eingestuft wurde, der sich zudem noch in erster Li-
nie an junge Leser wendete. Heute aber gehört Jules Verne zu den
großen Autoren unseres literarischen Erbes.«
21
18
Schroetter 2005, S. 25
19
Vgl.: Pleticha 1992, S. 10
20
Schmidt 1994, S. 171
21
Compère 2000, S. 38

20
Als Verne 1905 verstarb, hinterließ er eine große Anzahl mehr oder weniger voll-
endeter Werke, von denen sein Sohn Michel einige überarbeitete und unter dem
Namen Jules Vernes posthum veröffentlichte. Zu diesen Werken zählen unter
anderem: »Der Leuchtturm am Ende der Welt« (1905), »Der Goldvulkan« (1906)
oder auch »Die Jagd nach dem Meteor« (1908).
Nach dem Tode Vernes gerieten seine Bücher zunehmend in Vergessenheit.
Als Erzähler reiner Abenteuergeschichten kannte man ihn kaum und als Schöpfer
utopischer Zukunftsromane wurde er bald von Autoren wie Wells oder Lasswitz
überholt. Eine Verfilmung des Romans »Der Kurier des Zaren« (1936) mit Adolf
Wohlbrück in der Hauptrolle war das einzige, was in dieser Zeit an den französi-
schen Schriftsteller erinnerte.
22
Dies änderte sich als seine Romane nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend
von der Filmindustrie entdeckt und bald darauf verfilmt wurden. Während es in
der Zeit der Weltriege kaum Neuauflagen gegeben hatte, stieg die Nachfrage nach
Büchern von Jules Verne seit 1945 wieder an. Nicht nur der Hartleben-Verlag, in
dem Vernes Werke fest etabliert waren, sondern auch andere Verlage wie der Ver-
lag Bärmeier Nikel, der Fischer Taschenbuchverlag oder der Diogenes Verlag
in Zürich ließen die Romane neu übersetzen, um sie dann in illustrierten, mehr-
bändigen Kollektionen herauszugeben. Seit dieser Zeit
richtete sich die Aufmerk-
samkeit der Leser wieder vermehrt auf den französischen Schriftsteller, was sich
bis heute nicht geändert hat.
23
Doch worin liegt das Geheimnis seiner noch immer andauernden Beliebtheit?
Was die Leser des 19. Jahrhunderts betrifft, ist es wahrscheinlich, dass sie an Ver-
nes Romanen vor allem die Vorwegnahme technischer Erfindungen und ihre
Einbeziehung in den Bereich des Möglichen faszinierte. Darüber hinaus wider-
spiegelten die fantastischen Reisen, die Verne seine Helden unternehmen ließ, das
Lebensgefühl dieser Epoche treffender als die meisten anderen Abenteuerromane,
die zur selben Zeit veröffentlicht wurden.
Dass Vernes Erzählungen auch noch hundert Jahre nach ihrer Veröffentli-
chung gelesen werden, erklärt sich Heinrich Pleticha, Herausgeber des »Jules
Verne Handbuch« (1992) folgendermaßen:
»Verne war einmal der Autor der bürgerlichen Gesellschaft, und seine
Romane spiegelten ihr Lebensgefühl genauso wie die Plüschsessel, in
denen man sich räkelte, um sie zu lesen. Er wurde zum Autor der
22
Vgl.: Pleticha 1992, S. 11
23
Vgl.: Pleticha 1992, S. 12

21
abenteuerhungrigen, wohlbehüteten Knaben in Matrosenanzügen.
Dann schienen seine Romane zu verschwinden wie die Gesellschaft,
aus der sie kamen. Wenn sie heute wieder an Leben gewinnen, dann
liegt es gewiss nicht an neuentdeckten literarischen Qualitäten, son-
dern eher an dieser grandiosen Mischung aus Nostalgie und Zu-
kunftsglauben, aus Fernweh und Abenteuer, aus Nüchternheit und
Romantik.«
24
Vernes Romane und Erzählungen zeichneten sich durch einen eigenen Stil aus,
den später manch anderer Autor nachzuahmen versuchte. Max Popp fasst diesen
Stil in wenigen Sätzen zusammen:
»Alle Romane Julius Vernes sind Meisterwerke in der Darstellung und
Schilderung. Mag auch Stil und Sprache manchmal nicht ganz mus-
terhaft sein, so weiß er doch selbst die abstraktesten Dinge und Be-
rechnungen so spannend zu schildern, dass man dem Meister atemlos
folgt. Besonders gelungen sind ihm überall die Expositionen; genau
wie in einem klassischen Drama führt er den Leser korrekt in die
Handlung ein, und mit seinem Scharfsinn schürzt er dann den Kno-
ten, bis er so fest geschlungen ist, dass er nach menschlichem Ermes-
sen unlösbar scheint. Da, auf dem Höhepunkt tritt die Lösung ein, so
überraschend und so einfach, meist durch einen so unerwarteten
Trick, dass jeder Leser davon verblüfft ist.«
25
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Ruhm Jules Vernes mit seinem ersten
Roman »Fünf Wochen im Ballon« seinen Anfang nahm und bis heute kein Ende
gefunden hat. Nicht nur werden seine Bücher immer wieder neu aufgelegt, auch
in neuen Medien wie Comics (Kapitel 4.9) und Hörspielen (Kapitel 4.10) findet
man die Geschichten Vernes verewigt. Darüber hinaus wurden die bekanntesten
seiner Romane mehrfach verfilmt (Kapitel 4.8) und noch immer als Bühnenstücke
auf den Theaterbühnen der ganzen Welt aufgeführt (Kapitel 4.6).
Einen detaillierteren Einblick in sein umfangreiches Werk geben zahlreiche
bibliographische Werke wie beispielsweise Volker Dehs' »Bibliographischer Füh-
rer durch die Jules-Verne-Forschung. 1872 -2001.« (2002), herausgegeben vom
24
Pleticha 1992, S. 12
25
Popp 1999, S. 85 f

22
Förderkreis Phantastik in Wetzlar e.V., oder auch die von Wolfgang Thadewald
herausgegebene CD-Rom »Jules Verne. Bekannte und unbekannte Welten. Das
erzählerische Werk.« (2004).
2.2.3 Der naturwissenschaftliche Abenteuerroman
Während Jules Verne heutzutage oftmals »Vater der Science-Fiction« oder auch
»der Mann, der die Zukunft erfand«
26
genannt wird, hatten die Leser und Kritiker
des 19. Jahrhunderts einige Schwierigkeiten mit der Einordnung seiner Werke in
eine der bekannten literarischen Gattungen. Warum dies so war und welchem
Genre die Romane Vernes heute zugeordnet werden, soll an dieser Stelle erörtert
werden.
Lange Zeit wurde Verne als unbedeutender Kinderbuchautor verkannt, dessen
schlichtes Werk keiner weiteren Auseinandersetzung bedürfe. Dabei sind Vernes
Erzählungen alles andere als »eindimensional«, wie ihm seine Kritiker oft vorwar-
fen. Im Gegenteil: Sein Romanzyklus der »Außergewöhnlichen Reisen« umfasst
nahezu alle Gattungen der populären Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts
­ Robinsonade, historischer Roman, Reiseroman, Sozial-, See-, Schauer- und
Kriminalroman. Doch vor allem anderem sind Vernes Erzählungen eins: natur-
wissenschaftliche Abenteuerromane, die den technischen Fortschritt seiner Epo-
che schildern.
27
Im Gegensatz zur programmatischen Verweigerungshaltung anderer zeit-
genössischer Autoren formte Verne den Populärroman des 19. Jahrhunderts mit
Hilfe wissenschaftlicher Belehrung und technischer Effekte zu einem modernen
Unterhaltungsinstrument um. Dass dieser neue Romantypus von den Lesern vol-
ler Begeisterung angenommen wurde, war vor allem der beschleunigten technisch-
naturwissenschaftlichen Entwicklung zu verdanken, die um 1850 ihren Anfang
nahm und ihren Niederschlag in einer allgemeinen Wissenschaftsgläubigkeit
(Szientismus) fand.
28
Als an den Schulen zunehmend eine naturwissenschaftliche Ausbildung gefor-
dert wurde und sich die Vertreter des Positivismus wie Tain oder Forunel um die
Versöhnung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften bemühten,
26
Vgl.: Born 1960
27
Vgl.: Dehs 2002, S. 14
28
Vgl.: Wolfzettel 1988, S. 7

23
wurde dem neuartigen Abenteuerroman schnell eine bedeutende Aufgabe zuteil:
die Aufbereitung des verfügbaren Wissens für den Leser, um ihm die Wichtigkeit
eines umfassenden naturwissenschaftlichen Weltverstehens deutlich zu machen.
29
Seine Stellung als Prototyp dieser neuen literarischen Gattung verdankte Verne
vor allem der gezielten Vermarktungsstrategie seines Verlegers Hetzel, der ihn als
»Vermittler wissenschaftlichen Wissens für die Jugend über eine angenehm unter-
haltsame Lektüre«
30
bewarb.
Verne selbst verfolgte während seiner gesamten schriftstellerischen Laufbahn
das Ziel, das Universum in Romanform zu beschreiben und so ein Porträt der
E rde zu schaffen.
31
Wie bereits in seiner Biographie erwähnt wurde, schöpfte
Verne sein Wissen aus einer umfangreichen Zettelsammlung von über 20.000
Notizen und Exzerpten aus wissenschaftlichen Büchern und Journalen. Dieses
Wissen kleidete er dann in die spannende Form des Abenteuer- und Reiseromans
und machte es in dieser Form von populärer Unterhaltungsliteratur mühelos kon-
sumierbar. Dabei lag der Fokus der Verne'schen Erzählungen nicht auf den wis-
senschaftlich-technischen Errungenschaften einer fernen Zukunft, sondern auf
den Entdeckungen der Gegenwart, die er beschrieb und für seine schriftstelleri-
schen Zwecke weiterentwickelte. Dies ließ seine Romane aktuell und die »Außer-
gewöhnlichen Reisen« als durchaus möglich erscheinen.
Doch auch Vernes spezifische Arbeitweise fesselte die Leser an seine abenteu-
erlichen Geschichten. Diese beschreibt Johann Jakob Honegger, Professor für
Literaturgeschichte und einer der Pioniere der Verne-Forschung, in seiner literari-
schen Studie über den französischen Schriftsteller im Jahre 1875:
»Und nun die spezifische Wesenheit! [...] Seine abenteuerlichen Rei-
sen nach bekannten und unbekannten Welten verwenden auf der ei-
nen Seite einen ganz ungeheuern Apparat moderner Naturkenntnisse,
ein riesig aufgehäuftes, ein fast unübersehbares Material aus allen den
Zweigen dieses neusten Wissens von der Natur [...]; eine mathema-
tisch-exakt abgewogene und ebenso genau benutzte und angebrachte
Kenntnis aus den Kreisen der Astronomie und Mathematik, der
29
Vgl.: Wolfzettel 1988, S. 38
30
Dehs 2002, S. 151
31
Vgl.: Dehs 2002, S. 151

24
Mechanik und modernen Erfindung, der Chemie und Physik, der al-
ten und neuen Geographie und der sämtlichen Naturbeschreibenden
Zweige.«
32
Weiter schreibt er:
»Aber im Handumdrehen haben wir eine vollkommen verschiedene
Gestalt vor uns. Derselbe Mann, der den unermesslichen Schatz rea-
len Wissens plünderte, um uns den Inhalt desselben in tausend Kon-
struktionen hinzulegen; derselbe, der so fest auf Granitboden steht,
macht eine unberechenbare Wendung, springt in einer Minute mit
dem zweiten Fuß ins Unendliche hinaus, beginnt den Reigen mit den
Meteoren und Nebelflecken, treibt seine verwegenen Kombinationen
und Phantasierechnungen ins Ungeheuerliche und Unmögliche; [...]
er springt, schnaubt, fliegt hinein ins Schranken- und Gesetzlose, ins
Abenteuerliche, Tolle und Märchenhafte; er spielt mit einer riesig-
ungeheuerlichen Naturphantastik, vor welcher alle Gesetze verstum-
men.«
33
Demnach liegt für Honegger die Besonderheit der Verne'schen Romane in der
Verknüpfung einer mathematisch-genauen Realwelt mit einer phantastisch-
romantischen Traumwelt. Zur Schaffung einer völlig neuen Welt bedient sich
Verne der typischen Elemente von Abenteuer- und Reiseromans ­ zwei bei den
Lesern sehr beliebten Literaturgattungen.
Abenteuerromane sind »ausführliche Erzählungen, in denen der Held, letztlich
erfolgreich, sich auf unabsehbare Ereignisse einlässt. [...] Da sie derart dem her-
kömmlichen Lebensalltag widersprechen, muss sich der Held, um Abenteuern
überhaupt zu begegnen, von daheim entfernen. Um sie dann auch noch zu beste-
hen, muss er außerordentliche Eigenschaften haben.«
34
Dabei soll der Abenteuer-
roman seine Leser nicht nur fesseln, sondern als Entschädigung für Möglichkeiten
und Ereignisse dienen, die sie im eigenen Leben vermissen.
Doch nicht nur die zu bestehenden Abenteuer waren es, die die Leser in den
32
Honegger 1875
33
Honegger 1875
34
Klotz 1989, S. 14

25
Bann der Verne'schen Romane zogen. Wie bereits angedeutet traf auch das Reise-
Sujet den Nerv des auf Expansion, Grenzüberschreitung und Wahrnehmungser-
weiterung gestimmten 19. Jahrhunderts. Neben der unterhaltenden Funktion be-
saß das Reiseschema auch eine symbolische: Die Reise dient dem Helden zur E r-
oberung des Wissens, wodurch die abenteuerliche Entdeckungsreise zum Inbe-
griff einer Wissen und Abenteuer versöhnenden Besitzergreifung der Welt wird.
35
Jules Verne war jedoch nicht der einzige Schriftsteller, der den Fortschritt seiner
Zeit auf diese Art und Weise in Romanen verarbeitete. Warum wurden also gera-
de seine E rzählungen so populär? In einem Artikel über die Anfänge des Populär-
romans findet Barbara Orland hierfür eine mögliche Erklärung:
»Jules Verne gelang es, die wissenschaftlich-technische Regsamkeit
seiner Zeit, die Mobilität und den Fortschrittsglauben des Industrie-
zeitalters, in einer literarischen Weise zu verarbeiten, die den Lesern
die potentiellen Möglichkeiten zeitgenössischer Technik zur Kenntnis
brachte, und gleichzeitig wieder Distanz zu dieser schuf.«
36
Dabei war Verne selbst hier zwiegespalten. Rühmte er in seinen ersten Romanen
noch die Vorteile und Errungenschaften der modernen Technik, lässt sich aus
seinem Spätwerk deutliche Skepsis und Ablehnung herauslesen.
Doch unabhängig von seiner persönlichen Einstellung zum technischen Fort-
schritt gelang es Verne, mit seinen Werken entscheidend zur Popularisierung von
Wissenschaft und Technik in der breiten Bevölkerung beizutragen. Ab 1850 galt
es sogar als besonders »modern«, einem interessierten Massenpublikum die neues-
ten Entdeckungen und Entwicklungen der Wissenschaft in leicht verständlicher
und unterhaltender Weise nahe zu bringen.
Auch wenn Jules Verne keinesfalls der einzige war, der dem Fortschritt des 19.
Jahrhunderts in seinen Erzählungen Ausdruck verlieh, findet doch mancher Leser
etwas Besonderes in den Romanen des französischen Schriftstellers. Klaus
Pfatschbacher (»Jules Verne und der Populärroman«, 2000) fasst es in Worte:
»Auch wenn das Reisen und Entdecken, die Mobilitätsbegeisterung
und das Überfliegertum und der Mut zur Bruchlandung nur allzu sehr
der experimentellen Atmosphäre des Zeitalteralters der Hochindust-
rialisierung entsprach, spürt man doch bei Vernes noch mehr. Er
35
Vgl.: Wolfzettel 1988, S. 41
36
Orland 1996, S. 46

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956360909
ISBN (Paperback)
9783836600163
Dateigröße
913 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie, Kommunikations- und Medienwissenschaft
Note
2,3
Schlagworte
jules verne literaturwissenschaft rezeptionsforschung medienwissenschaft kommunikationswissenschaft
Zurück

Titel: Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
118 Seiten
Cookie-Einstellungen