Lade Inhalt...

'Störenfriede' am Verhandlungstisch: Die Demobilisierung des Paramilitärs - ein kolumbianisches Rätsel?

©2006 Diplomarbeit 120 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
„Die Vereinigten Autodefensas Kolumbiens gibt es nicht mehr.“ Mit diesen Worten kündigte Luis Carlos Restrepo, Hochkommissar für den Frieden der kolumbianischen Regierung, am 17. April 2006 das vorläufige Ende des Demobilisierungsprozesses der größten paramilitärischen Gruppierung, der „Autodefensas Unidas de Colombia“ (AUC) an. Nach einem zögerlichen Beginn hatte die Demobilisierung des Paramilitärs zu Beginn des Jahres 2006 eine Eigendynamik erreicht, die alle Erwartungen übertraf. Das Büro des Hochkommissars zog im Juni 2006 folgende Bilanz: statt der erwarteten 20.000, hatten sich 30.151 Personen demobilisiert und dabei 17.000 Waffen abgegeben. Die Euphorie über diesen „Erfolg“ hielt sich jedoch insbesondere bei Nichtregierungsorganisationen und internationalen Beobachtern in Grenzen.
Dass sich der ehemalige „Störenfried“ der Friedensgespräche mit den Rebellen in den ersten Verhandlungspartner der Regierung verwandelt und die Waffen niedergelegt hat, war für viele (inter)nationale Beobachter ein Rätsel. Denn zum einen schien sich das Paramilitär nach einer starken Wachstumsphase unter Präsident Pastrana (1998 – 2002) in bester finanzieller und militärischer Verfassung zu befinden: „During their major growth phase of 1998 – 2002 the paramilitaries became one of the best-stocked and largest non – state armed group in the world […].” Zum anderen war es von seinem ursprünglichen Ziel, der Vernichtung der Guerilla, noch weit entfernt. Während das Paramilitär seine Waffen abgab, verfügten die beiden größten kolumbianischen Guerillabewegungen, die „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ (FARC) und das „Ejército de Liberación Nacional“ (ELN), noch insgesamt über 20.000 bewaffnete Mitglieder. Und so bemerkte Carlos Castaño, ehemaliger politischer Kopf der AUC, in einer Pressemitteilung selbst: „Wir Autodefensas haben immer gesagt, dass unsere Demobilisierung eine Konsequenz aus dem Ende der Guerilla sein würde, so wie unsere Geburt eine Antwort auf ihre Entstehung war. […] Nichtsdestotrotz verhandeln wir heute mit der Regierung und die Kolumbianer fragen sich: was und warum verhandeln die Autodefensas?“
Um diese Fragen zu beantworten argumentiert vorliegende Arbeit wie folgt:
Das Paramilitär hat sich im Laufe seiner Geschichte von einem staatlich geplanten in einen vom Staat autonom handelnden, von einem militärischen in einen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Akteur, von einem Aufstandsbekämpfungs- in […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Katrin Planta
'Störenfriede' am Verhandlungstisch: Die Demobilisierung des Paramilitärs
- ein kolumbianisches Rätsel?
ISBN: 978-3-8366-0005-7
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland,
Diplomarbeit, 2006
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany


Inhaltsverzeichnis
I ,,Störenfriede" am Verhandlungstisch. Die Demobilisierung des
Paramilitärs ­ ein kolumbianisches Rätsel? ...1
1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung...2
1.1 Hintergrund: das kolumbianische Paramilitär ­ ein ,,Störenfried" am
Verhandlungstisch ...2
1.2 Fragestellung: Warum verhandelt das Paramilitär?...4
1.3 Konzept und Methodik ...5
1.4 Begriffsbestimmungen ...7
1.4.1 Begriffserklärung Paramilitär...8
1.4.2 Wer oder was ist ein ,,Störenfried"?...10
1.4.3 Friedensverhandlungen? ...12
2 Die Demobilisierung des Paramilitärs ­ ein kolumbianisches Rätsel?
...14
2.1 Hintergrund: Vier Jahrzehnte bewaffneter Konflikt in Kolumbien...14
2.1.1 Geschichte des bewaffneten Konflikts ...14
2.1.2 ... und seine bisherige Bilanz...16
2.2 Das kolumbianische Paramilitär: die Entstehung eines ,,Störenfriedes"...19
2.2.1 Ein ,,uneheliches Kind des Staates"? Die staatlich geplante Entstehung
des Paramilitärs im Rahmen der Aufstandsbekämpfung der 60er Jahre...20
2.2.2 Die Entstehung privat finanzierter ,,Autodefensas" als Reaktion auf die
Friedensverhandlungen der Regierung Betancur (1982-1986) ...22
2.2.3 Ausbreitung und Konsolidierung des Paramilitärs: der Einfluss des
Drogenhandels und die Gründung der AUC ...25
2.2.4 Spielverderber AUC: Die Friedensverhandlungen der Regierung Pastrana
(1998-2002) mit der Guerilla ...28
2.2.5 Das Paramilitär vor der Demobilisierung. Mit wem wird eigentlich
verhandelt?...34
2.3 Die Verhandlungen mit dem Paramilitär: Ein Rätsel?...40
2.3.1 Der Verhandlungsprozess: Schlüsselelemente und Verlauf ...40
2.3.2 Motive der Paramilitärs ...46
2.3.2.1 Ein zunehmend unvorteilhafter internationaler Kontext ...46
2.3.2.2 Ein veränderter nationaler Kontext ...47
2.3.2.3 Die AUC in internen Schwierigkeiten...51
2.4 Ein Wolf im Schafspelz? Die Konsolidierung wirtschaftlicher, politischer und
sozialer Macht ...55
2.4.1 Wirtschaftliche Macht der Paramilitärs ...55
2.4.2 Soziale und politische Kontrolle ...59
2.5 Fazit: ein Blick in die Zukunft Kolumbiens...67
3 Ausblick: Kolumbien als Modell? ...71
3.1 Die Demobilisierung des Paramilitärs ­ übertragbar auf zukünftige
Verhandlungen mit der Guerilla? ...71
3.2 Störenfriede am Verhandlungstisch ­ Kolumbien als Beispiel?...72

II Résumé: Des perturbateurs à la table des négociations. La
démobilisation des groupes paramilitaires ­ une énigme colombienne?
...76
1 Introduction ...76
1.1 Problématique ...76
1.2 Concept et méthode ...78
1.3 Explications théoriques...78
2 La démobilisation des paramilitaires ­ une énigme colombienne? ...80
2.1 Contexte: le conflit armé en Colombie ...80
2.2 L'émergence et l'évolution du phénomène paramilitaire ...81
2.3 Pour quelles raisons négocient-ils? ...83
2.3.1 Le contexte international...83
2.3.2 Le contexte national: un nouveau président et sa stratégie militaire...84
2.3.3 L'existence de problèmes internes...85
2.4 Les paramilitaires: des loups déguisés en moutons? ...86
2.5 Conclusion...88
3. La Colombie ­ un modèle à suivre? ...89
3.1 Les négociations actuelles ­ un exemple pour le traitement de la guérilla? ..89
3.2 Des perturbateurs de paix à la table des négociations ­ la stratégie
colombienne comme modèle pour d'autres pays? ...90
III Quellenangaben...92
1 Sekundärliteratur, (Online)Dokumente verschiedener (Regierungs)Organisationen,
Vertragstexte, Zeitungsartikel mit Autorenangabe ...92
2 Presse, Pressemitteilungen... 102
3 Experteninterviews: Person, Funktion, Arbeitgeber, Datum, Ort ... 105
4 Weiterführende Links... 106
IV Anhang...107
1 Fotomaterial ... 107
2 Leitfaden für die Experteninterviews... 109
3 Abkürzungsverzeichnis... 110
4 Abbildungsverzeichnis... 111
V Erklärung ...114

1
I ,,Störenfriede" am Verhandlungstisch. Die Demobilisierung des
Paramilitärs ­ ein kolumbianisches Rätsel?
Abb. 1: Kolumbienkarte
1
1
Die Quellenangaben zu den Abbildungen befinden sich im Abbildungsverzeichnis im An-
hang.

2
1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dem im Ausland leider nicht umfas-
send verfolgten aktuellen Verhandlungsprozess des kolumbianischen Paramilitärs
mit der Regierung Álvaro Uribes. Unter welchen Umständen und Bedingungen kam
der Dialog mit einer der weltweit größten illegal bewaffneten Gruppen, den ,,Autode-
fensas Unidas de Colombia" (AUC), zu Stande? Welche Risiken bergen die Ver-
handlungen mit Kolumbiens ,,rechter Guerilla", welche Herausforderungen erwarten
das Land bei der Reintegration von über 30.000 Ex-Kombattanten? Sollte die De-
mobilisierung des Paramilitärs zwar Mut für eine friedlichere Zukunft Kolumbiens
machen, fällt die Analyse ihrer Hintergründe ernüchternd aus.
1.1 Hintergrund: das kolumbianische Paramilitär ­ ein ,,Störenfried" am Ver-
handlungstisch
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der heraufziehenden Bedrohung der
westlichen Welt durch den Kommunismus hat sich eine Unzahl (wissenschaftlicher)
Veröffentlichungen mit dem Thema linker Aufstandsbewegungen befasst. Die Ge-
genseite jedoch, die vom Staat finanzierten und ideologisch unterstützten paramilitä-
rischen Verbände, sind in der Literatur viel weniger dokumentiert.
2
Dabei war und ist
die Aufstellung paramilitärischer Einheiten ein weltweit verbreitetes System der
staatlichen Aufstandsbekämpfung.
3
Als aktuelle Beispiele nennen Kalyvas und Arjo-
na die Kooperation des russischen Staates mit tschetschenischen Milizen oder die
Unterstützung der serbischen Armee durch Paramilitärs während des Bosnien-
kriegs.
4
In Lateinamerika gab es paramilitärische Einheiten sowohl in den Ländern
des Cono Sur, als auch in Mittelamerika (insbesondere in Guatemala und El Salva-
dor) und in Kolumbien.
Von den verschiedenen kolumbianischen Regierungen entweder offen unterstützt
oder stillschweigend geduldet, vom Militär gefördert, von Großgrundbesitzern, Ag-
rarunternehmern und letztendlich der Drogenmafia finanziert, breitete sich das ko-
lumbianischen Paramilitär Ende der 80er Jahre aus: Von der ,,Wiege des Paramili-
tärs", der Großregion Magdalena Medio, ausgehend bildeten sich zunächst im Nor-
den des Landes, in den Regionen Urabá, Córdoba, Chocó, Bolívar und Boyacá wei-
tere Gruppierungen. Später tauchten paramilitärische Einheiten auch im bis dahin
von der Guerilla beherrschten und vom Kokaanbau geprägten Südwesten auf. Da-
2
Vgl. Romero 2005: 15.
3
Paramilitärische Einheiten dienten von jeher dazu, reguläre Streitkräfte für militärische Angriffe frei
zu halten, während das Paramilitär die lokale Ordnung aufrechterhielt. Vgl. Interview mit Carlo Nasi,
12.06.2006, Bogotá. Vgl. auch Restrepo/Spagat/Vargas 2004: ,,One of the most common phenomena
in civil wars is that they spawn paramilitary activities. There is a need for local long-term security
operations and interested parties tend to organise paramilitary corps to provide this security." S. 413.
4
Vgl. Kalyvas/Arjona 2005: 27; siehe auch Münkler 2005: 16.

3
bei erwarben die Paramilitärs (auf legale und illegale Weise) im Laufe der Zeit nicht
nur große Mengen von Ländereien und verwickelten sich ins Drogengeschäft, sie
knüpften auch Kontakte in die legale Wirtschaft und begannen staatliche Institutio-
nen zu infiltrieren. Vom Drogengeschäft, von Erpressung, Vertreibung und Entfüh-
rung ­ kurz von Gewalt und zum großen Teil von dem bewaffneten Konflikt ­ le-
bend, sabotierten die Paramilitärs, die sich durch ihre zunehmend autonome Finan-
zierung immer mehr vom Staat emanzipierten, dessen Verhandlungen mit den Gue-
rillagruppen. So Eppert:
,,Schon vor einiger Zeit wurde klar, dass die Paramilitärs, die sich daran ge-
wöhnt hatten, von der Gewalt zu leben, ein Hindernis für jeden Friedensschluss zwi-
schen Regierung und Rebellen werden könnten. Sie waren an Frieden schlicht nicht
interessiert."
5
Hatte das Paramilitär bereits in den 80er Jahren als Reaktion auf die Friedensge-
spräche mit der Guerilla starken Zulauf erhalten, torpedierte es unter der Regierung
Pastrana (1998 ­ 2002) mutwillig die Verhandlungen mit den Rebellen. Dabei stan-
den zwei Handlungsmotive im Vordergrund. Zum einen fürchteten das Paramilitär
und seine Hintermänner die Möglichkeit politischer Reformen und den Verlust ihrer
bisherigen Macht, zum anderen zogen sie aus der Konfliktsituation und der Schwä-
che des Staates wirtschaftlichen Profit. Von einem geschwächten Staat ungestört
gingen sie ihren illegalen Geschäften nach und plünderten die Bevölkerung aus.
Jahrelang als ,,Störenfried" der Regierungsverhandlungen mit der Guerilla kategori-
siert, kündigte die größte paramilitärische Organisation, die AUC, im November
2002 jedoch plötzlich einen einseitigen Waffenstillstand
6
an und nahm selbst Ver-
handlungen mit der Regierung Uribe auf. Ziel des Verhandlungsprozess: die voll-
ständige Entwaffnung des Paramilitärs und seine Rückkehr in das zivile Leben. Die
Öffentlichkeit reagierte überrascht. Das Rätsel über das ,,Warum?" der Verhand-
lungsaufnahme, die Frage nach den Motiven der Paramilitärs, rückte in den Mittel-
punkt des Interesses. Und zu Recht! Denn nur, wer weiß, warum eine der größten
illegalen Organisationen der Welt ihre Waffen niederlegt, kann die Konsequenzen
ihrer Demobilisierung beurteilen und sich den Herausforderungen ihrer Reintegrati-
on stellen. Die Lösung des Rätsels ,,Warum verhandelt das Paramilitär?" steht im
Mittelpunkt vorliegender Arbeit, wenn auch mit ernüchternden Ergebnissen.
5
Eppert 2002: 43.
6
Wobei der Begriff ,,Waffenstillstand" hier nicht etwa eine Waffenruhe zwischen regulären Truppen
und den paramilitärischen Einheiten bezeichnet, sondern den Stopp von Angriffen auf die Zivilbevöl-
kerung.

4
1.2 Fragestellung: Warum verhandelt das Paramilitär?
,,Die Vereinigten Autodefensas Kolumbiens gibt es nicht mehr."
7
Mit diesen Worten
kündigte Luis Carlos Restrepo, Hochkommissar für den Frieden der kolumbiani-
schen Regierung, am 17. April 2006 das vorläufige Ende des Demobilisierungspro-
zesses der größten paramilitärischen Gruppierung, der ,,Autodefensas Unidas de
Colombia" (AUC) an.
8
Nach einem zögerlichen Beginn hatte die Demobilisierung
des Paramilitärs zu Beginn des Jahres 2006 eine Eigendynamik erreicht, die alle
Erwartungen übertraf. Das Büro des Hochkommissars zog im Juni 2006 folgende
Bilanz: statt der erwarteten 20.000, hatten sich 30.151 Personen
9
demobilisiert und
dabei 17.000
10
Waffen abgegeben.
11
Die Euphorie über diesen ,,Erfolg" hielt sich
jedoch insbesondere bei Nichtregierungsorganisationen und internationalen Beob-
achtern in Grenzen. Dass sich der ehemalige ,,Störenfried" der Friedensgespräche
mit den Rebellen in den ersten Verhandlungspartner der Regierung verwandelt und
die Waffen niedergelegt hat, war für viele (inter)nationale Beobachter ein Rätsel.
Denn zum einen schien sich das Paramilitär nach einer starken Wachstumsphase
unter Präsident Pastrana (1998 ­ 2002) in bester finanzieller und militärischer Ver-
fassung zu befinden: ,,During their major growth phase of 1998 ­ 2002 the paramili-
taries became one of the best-stocked and largest non ­ state armed group in the
world [...]."
12
Zum anderen war es von seinem ursprünglichen Ziel, der Vernichtung
der Guerilla, noch weit entfernt. Während das Paramilitär seine Waffen abgab, ver-
fügten die beiden größten kolumbianischen Guerillabewegungen, die ,,Fuerzas Ar-
madas Revolucionarias de Colombia" (FARC) und das ,,Ejército de Liberación Naci-
onal" (ELN), noch insgesamt über 20.000 bewaffnete Mitglieder.
13
Und so bemerkte
Carlos Castaño,
14
ehemaliger politischer Kopf der AUC, in einer Pressemitteilung
selbst:
,,Wir Autodefensas haben immer gesagt, dass unsere Demobilisierung eine
Konsequenz aus dem Ende der Guerilla sein würde, so wie unsere Geburt eine
Antwort auf ihre Entstehung war. [...] Nichtsdestotrotz verhandeln wir heute mit der
7
(Ü. d. A.).
8
Die Demobilisierung verschiedener Splittergruppen wie des ,,Cacique Pipintá Block" oder der ,,Auto-
defensas del Casanare" steht noch aus. Vgl. El Tiempo 19.04.2006 Online; ICG 2006: 4.
9
Diese Zahl bezieht sich auf die kollektiven Demobilisierungen, bei denen stets ein ganzer Block
entwaffnet wird. Dazu kommen 3290 individuelle Demobilisierungen. Vgl. Rojas 2006 Online.
10
Der niedrige Schnitt von einer abgegeben Waffe pro zwei Kombattanten erklärt sich zum einen dar-
aus, dass die Paramilitärs heimlich Waffen einbehielten. Zum anderen standen auf den Mitgliedslisten
der einzelnen Blöcke nicht nur aktive Kombattanten sondern zum großen Teil auch bloße Informanten
und andere Zuarbeiter des Paramilitärs.
11
Vgl. Oficina Alto Comisionado para la Paz 2006 Online.
12
Spagat 2006: 2.
13
Während die FARC als weltweit größte Guerillagruppe über schätzungsweise 16.000 Männer ver-
fügen, ist das weitaus kleinere ELN ca. 4.000 bis 5.000 Mann stark.
14
Carlos Castaño galt als Gründer der AUC lange als bekannteste Figur des kolumbianischen Para-
militärs. Zusammen mit seinen Brüdern gründete er nach der Ermordung seines Vaters durch die
Guerilla erste Selbstschutzverbände zur Verteidigung gegen die Rebellen.

5
Regierung und die Kolumbianer fragen sich: was und warum verhandeln die Auto-
defensas?"
15
Um diese Fragen zu beantworten argumentiert vorliegende Arbeit wie folgt:
Das Paramilitär hat sich im Laufe seiner Geschichte von einem staatlich geplanten
in einen vom Staat autonom handelnden, von einem militärischen in einen wirt-
schaftlichen, politischen und sozialen Akteur, von einem Aufstandsbekämpfungs- in
ein kriminell-mafioses Projekt verwandelt. Demgemäß haben sich die Ziele des Pa-
ramilitärs radikal geändert. Anstelle der Unterstützung der staatlichen Aufstandsbe-
kämpfung und der Verfolgung der Guerilla stehen längst privatwirtschaftliche und
machtpolitische Interessen im Vordergrund der paramilitärischen Aktivitäten. Und
diese schienen durch die Aufnahme von Verhandlungen keineswegs gefährdet zu
sein. Im Gegenteil: Präsident Uribe bot den Paramilitärs eine günstige Gelegenheit,
unter großzügigen rechtlichen Bedingungen in das zivile Leben zurückzukehren und
dabei ihren illegal ­ größtenteils durch den Drogenhandel - erworbenen Reichtum
zu legalisieren. Mit den Worten Schumanns suchten die Paramilitärs mit den Demo-
bilisierungsverhandlungen also: ,, [...] einen bequemen Weg zurück ins Zivilleben,
denn sie wollen endlich ihren immensen Reichtum legalisieren. Präsident Uribe bie-
tet ihnen mit seinem Demobilisierungsplan eine einzigartige Chance."
16
Für diese
These spricht auch das mangelnde ,,Was?" der Verhandlungen: Hauptthema des
Verhandlungsprozesses bildeten keinesfalls politische Reformen, noch Forderungen
des Paramilitärs nach einem Regierungsplan gegen die Guerilla oder Ähnliches. Die
Forderungen des Paramilitärs beschränkten sich auf die (geringe) Höhe ihrer Haft-
strafen, die Garantie nicht ausgeliefert zu werden und die Frage nach dem Erhalt
ihrer Besitztümer. Um diese Argumentation zu beweisen und damit auch die ,,Rät-
selhaftigkeit" der Verhandlungen zu widerlegen, wird wie folgt vorgegangen.
1.3 Konzept und Methodik
Die Erörterung der grundlegenden Begriffe ­ ,,Paramilitär", ,,Störenfried", ,,(Frie-
dens)Verhandlungen", ­ dient als theoretische Basis für das anschließende Fallbei-
spiel Kolumbien (1.4). Dieses gliedert sich in vier Abschnitte. Einer kurzen Übersicht
über die Geschichte des bewaffneten Konflikts und seine Akteure (2.1) folgt die
chronologische Darstellung der Entwicklung des Paramilitärs: unter welchen Bedin-
gungen entstand dieses, wie kam es zu seiner Ausbreitung, wer waren seine Förde-
rer, wie und warum änderten sich seine Ziele und Motive? Am Beispiel der Frie-
15
Carlos Castaño, Pressemitteilung vom 08.03.2003. In: Indepaz Documentos Nr. 13/2003: 12ff (Ü.
d. A.).
16
Schumann o. A. Online.

6
densverhandlungen der Regierungen Betancur und Pastrana soll auf die Rolle des
Paramilitärs als ,,Störenfried" eingegangen werden. Das Kapitel abschließend fragt
ein Überblick nach seiner heutigen Natur. Denn erst mit der Antwort auf die Frage
,,Mit wem wird eigentlich verhandelt?" wird das ,,Warum" der Verhandlungen ver-
ständlich (2.2). Um die anscheinende Rätselhaftigkeit der Demobilisierung der Pa-
ramilitärs zu widerlegen, sollen die (vorgeblichen) Gründe für deren Verhandlungs-
bereitschaft systematisch analysiert und gegeneinander abgewogen werden. Dabei
werden insbesondere drei Faktoren berücksichtigt: der internationale Kontext, das
nationale Umfeld sowie die innere Schwächung des Paramilitärs (2.3). Die These,
das Paramilitär habe in den Verhandlungen mit der Regierung Uribe eine einmalige
Chance gesehen, auf bequemen Weg ins Zivilleben zurückzugelangen und dabei
seinen immensen Reichtum zu legalisieren,
17
soll durch die abschließende Darle-
gung seiner heutigen Situation, seines wirtschaftlichen, politischen und sozialen
Einflusses, belegt werden (2.4). Längst durch andere als reine Gewaltmechanismen
in der Gesellschaft verankert, hat sich das Paramilitär auch nach seinem offiziellen
Ende eine breite Einflusssphäre in Politik und Wirtschaft bewahrt. Das Fazit be-
schäftigt sich daher mit der Frage nach der Bedeutung seiner Demobilisierung für
die Herstellung eines dauerhaften Friedens in Kolumbien (2.5). Welche Lehren las-
sen sich nun abschließend aus dem Verhandlungsprozess ziehen? Ein Ausblick
überprüft, inwieweit der kolumbianische Fall auf andere Länder übertragbar ist (3).
Aus einem methodischen Gesichtspunkt heraus behandelt die vorliegende Arbeit
ein einzelnes Fallbeispiel. Eine vergleichende Analyse zum Umgang mit ,,Störenfrie-
den" wäre zwar durchaus interessant gewesen, hätte den Rahmen dieser Arbeit
jedoch gesprengt. Aus diesem Grund sollen vergleichende Elemente nur im Aus-
blick angerissen werden. Sich auf das Fallbeispiel Kolumbien konzentrierend, stützt
sich die Arbeit sowohl auf die Analyse von wissenschaftlicher Literatur, als auch auf
empirische Forschungsergebnisse. Diese Mischung erklärt sich wie folgt. Seit der
ersten Fallstudie über paramilitärische Strukturen aus dem Jahr 1990
18
ist das wis-
senschaftliche Interesse am Phänomen Paramilitär zumindest in Kolumbien selbst
stark gewachsen; die kolumbianische Fachliteratur bietet hier eine breite Auswahl
an Veröffentlichungen. Für die deutschlandweite Recherche war die Bibliothek des
Ibero-Amerikanischen Instituts in Berlin, die größte europäische Fachbibliothek für
Lateinamerika, hilfreich. In Kolumbien selbst nutzte die Autorin die größte Bibliothek
des Landes, die ,,Biblioteca Luis Ángel Arango" in Bogotá. Zum aktuellen Verhand-
17
Vgl. Schumann o. A. Online.
18
Medina Gallego, Carlos (1990): Autodefensas, Paramilitares y Narcotrafico en Colombia. Origen,
Desarollo y Consolidación. El caso ,,Puerto Boyacá". Bogotá.

7
lungs- und Demobilisierungsprozess liegen jedoch bisher kaum wissenschaftliche
Publikationen vor. Diese Herausforderung hat die Autorin bewusst angenommen, da
sie in ihr die Chance sah, aufgrund von selbstständigen Recherchen vor Ort eine -
zumindest in Ansätzen - eigene Argumentation zu erarbeiten und diese zu belegen.
Ein großer Teil der Arbeit beruht daher auf der Analyse der Informationen aus aktu-
ellen Kolumbienberichten internationaler Organisationen sowie auf den von der Au-
torin gesammelten Angaben kolumbianischer Behörden und Informationsmedien.
Um die Ereignisse und Debatten um den Verhandlungs- und Demobilisierungspro-
zess zu rekonstruieren, wurde systematisch die Berichterstattung der größten ko-
lumbianischen Tageszeitung, ,,El Tiempo", sowie der drei größten politischen Wo-
chenzeitschriften ,,Cambio", ,,Semana" und ,,El Espectador" im Zeitraum 2002 bis
2006 verglichen. Letztlich stützt sich die Autorin im Verlauf der gesamten Arbeit
auch auf die insgesamt vierzehn Experteninterviews, die sie vor Ort führen konnte.
Die Interviews wurden im Juni/Juli 2006 in Bogotá durchgeführt und umfassen Ge-
spräche mit Hochschulprofessoren, Analysten verschiedener NGOs, Mitarbeiten
internationaler Beobachterorganisationen sowie offiziellen Regierungsbehörden. Bei
der Wahl der Interviewpartner hat die Autorin versucht, ein möglichst breites Spekt-
rum an Experten unterschiedlichster Couleur abzudecken. Als Interviewmethode
wurde das offene Interview gewählt. Die Autorin stützte sich zwar auf einen selbst
erstellten und verschiedene Themenbereiche abdeckenden Interviewleitfaden, je
nach Spezialgebiet der befragten Person wurde dieser jedoch um Erweiterungsfra-
gen ergänzt (Vgl. Interviewpartner im Quellenverzeichnis, Leitfaden im Anhang).
Graphische Darstellungen, Karten zur Geographie Kolumbiens und Fotomaterial
sollen dem Leser eine Orientierungshilfe bieten (Vgl. auch Abbildungsverzeichnis im
Anhang).
1.4 Begriffsbestimmungen
Auf die wichtigsten Begriffe der Arbeit, ,,Paramilitär", ,,Störenfriede", ,,(Frie-
dens)Verhandlungen" wird bereits im Titel verwiesen. Im Folgenden sollen sie ein-
gehend erörtert werden. Ziel ist es, die Besonderheiten des kolumbianischen Falles,
aus denen sich erst das Verständnis für die komplexe Verhandlungssituation er-
schließt, herauszuarbeiten.

8
1.4.1 Begriffserklärung Paramilitär
Kalyvas und Arjona definieren wie folgt:
,,Die Paramilitärs sind bewaffnete Gruppen, die direkt oder indirekt mit dem
Staat und seinen lokalen Agenten verbunden sind, vom Staat gebildet oder von die-
sem toleriert werden, die sich jedoch außerhalb seiner formalen Struktur befin-
den."
19
Die Gefahr des Entstehens paramilitärischer Gruppen ist laut diesen Autoren dann
besonders hoch, wenn der betroffene Staat einer großen Bedrohung (z. B. durch
Rebellengruppen) ausgesetzt ist und über geringe Mittel verfügt, diese selbst zu
bekämpfen. Die Vorteile paramilitärischer Verbände gegenüber traditionellen Ar-
meetruppen liegen laut Ahram in ihren genauen Kenntnissen über lokale Gegeben-
heiten, ihrer dezentralisierten Kommandostruktur und ihrer im Vergleich zu den bü-
rokratischen Regulärtruppen größere Fähigkeit zu Innovation und Flexibilität.
20
Zu-
dem werden durch das Outsourcing, das heißt durch die freiwillige Abgabe eines
Teils des staatlichen Gewaltmonopols an parastaatliche Akteure, Kosten gespart.
Die Bildung paramilitärischer Einheiten erlaubte es beispielsweise dem guatemalte-
kischen Staat die ,, [...] militärische Maschinerie zu sehr viel geringeren Kosten aus-
zubauen, als es der Ausbau des eigenen Heers gestattet hätte."
21
Ein weiterer As-
pekt des Outsourcings, der wegen der zunehmenden Beobachtung durch die inter-
nationale Gemeinschaft immer wichtiger wird, ist die Abgabe von Verantwortung. So
werden paramilitärische Verbände nicht selten von der Regierung aufgestellt um
,, [...] die Verantwortung für extremere Manifestationen von Gewalt leugnen zu kön-
nen."
22
,,Their semi-independent status enables governments to distance themselves
from militia activities, a useful device for avoiding responsibility for belligerent and
illegal acts."
23
Die zwiespältige Haltung des Staatsapparates gegenüber seinen pa-
ramilitärischen Kräften stellt Eppert heraus:
,, [...] meist gut besoldet, erledigen sie die Drecksarbeit, für die Justiz und
Armee sich zu schade sind. [...] Man kann sie brauchen aber man will sie auf Dis-
tanz halten. Man lässt sie gewähren, unterstützt sie heimlich, doch behält man sich
vor, die angerichteten Massaker zu bedauern und zu verurteilen."
24
19
Kalyvas/Arjona 2005: 29 (Ü. d. A.).
20
Vgl. Ahram 2006 Online.
21
Cano 2001: 221.
22
Kaldor 2000: 149; Vgl. dazu auch Molano 2001: 112.
23
Spear 1996: 401.
24
Eppert 2002: 42.

9
Auch wenn das kolumbianische Paramilitär heutzutage wohl als das prominenteste
Beispiel dieser Art von Akteur gelten mag, muss auf seine Besonderheiten hinge-
wiesen werden, die mit seiner stetigen Transformation zusammen hängen:
,,Sie begannen als Familie von Rächern, waren dann ein klassisches Parami-
litär, bis sie heute eine parastaatliche, autonome Gruppierung sind. [...] Die AUC
entfernen sich heute von der traditionellen Definition ´Paramilitär´; man könnte sie
als ´rechte Guerilla´ bezeichnen."
25
In der Tat hat sich das kolumbianische Paramilitär ab den 80er Jahren immer mehr
zu einem vom Staat unabhängigen Akteur entwickelt. Das heutige Paramilitär nur
als verlängerten Arm der Armee anzusehen, käme laut Spencer einer gefährlichen
Vereinfachung gleich, denn ,, [...] over the last 10 years the paramilitaries have inc-
reasingly demonstrated their independence."
26
Als unabhängige Kraft sieht sich
auch das Paramilitär selbst. Die Gründung der ,,Autodefensas Unidas de Colombia"
am 18. April 1997 habe bewiesen, ,, [...] dass diese Organisation nicht aus ein paar
vom Staat aufgestellten Paramilitärs besteht, sondern dass es sich um eine unab-
hängige Kraft handelt."
27
Was vor diesem Hintergrund bisher fehlt, ist eine Neudefinition der Natur des heuti-
gen Paramilitärs; Begriffe wie ,,Narco-Paramilitärs", ,,Paramilitärs der dritten Genera-
tion" oder ,,Kriegsunternehmer" wechseln sich in der Literatur ab. Zur fehlenden
Abgrenzung des Phänomens - sowohl im umgangssprachlichen, als auch im wis-
senschaftlichen Sprachgebrauch ­ von anderen Gewaltakteuren, wie zum Beispiel
der ,,Mafia", den ,,Privatarmeen von Unternehmern" oder den ,,Todesschwadro-
nen",
28
ließ sich in der Vergangenheit stets folgendes sagen: Während die Paramili-
tärs bisweilen Merkmale all dieser Gewaltakteure annehmen, fehlt diesen im Ge-
genzug das wichtigste Merkmal des Paramilitärs: die Verbindung zum Staat. Dieses
Merkmal verliert das kolumbianische Paramilitär, wie oben geschildert, jedoch zuse-
hends. Und auch seine alte Definition als Selbstverteidigungsbündnis scheint nicht
mehr angebracht. Während der Kampf gegen die Guerilla oftmals nur noch eine
untergeordnete Rolle spielt, entwickelt sich das Paramilitär immer mehr zu einem
Akteur der organisierten Kriminalität. Geleugnet wird diese Entwicklung nach Außen
durch die Vorgabe eines politischen Projekts. Dessen Existenz ist in der Fachwelt
jedoch umstritten (Vgl. dazu Kapitel 2.2.5). Während die akademische Debatte um
25
Aranguren Molina 2002: 24 (Ü. d. A.).
26
Spencer 2001: 3; Vgl. dazu auch Duncan 2005b Online; Restrepo/Spagat/Vargas 2004: 414.
27
Hernán Gómez in Aranguren Molina 2002: 246 (Ü. d. A.).
28
Vgl. Huhle 2001: 172.

10
eine Neudefinition des Phänomens noch nicht abgeschlossen ist, zögern die kolum-
bianischen Medien nicht, es bei der alten Bezeichnung ,,Paramilitares" oder abge-
kürzt ,,Paras" zu belassen. Eine Bezeichnung, die den Paramilitärs selbst übrigens
nicht gefällt. Diese belassen es aus Legitimationsgründen lieber bei dem auf das
Recht zur Selbstverteidigung verweisenden Begriff ,,Autodefensas" (zu Deutsch:
,,Selbstverteidiger").
29
Während ein Selbstverteidigungsbündnis aber eine klare De-
fensivfunktion gegenüber feindlichen Angriffen erfüllt, griffen die paramilitärischen
,,Autodefensas" oft genug offensiv zu den Waffen, um die von der Guerilla besetzen
Gebiete zu ,,befreien".
30
Die Selbstbezeichnung ,,Autodefensas" stellt in diesem Sin-
ne nichts weiter als einen Euphemismus dar.
31
In vorliegender Arbeit wird die Auto-
rin sie deshalb in Anführungszeichen setzen.
1.4.2 Wer oder was ist ein ,,Störenfried"?
Auch wenn die wissenschaftliche Literatur zum Thema ,,Störenfriede" eher rar ist,
lassen sich doch verschieden Veröffentlichungen finden, die sich intensiv mit dem
Konzept des ,,Störenfrieds", ,,Spielverderbers" oder zu englisch ,,spoiler" befassen.
32
Laut Schneckener sind als ,,Störenfriede" die Akteure zu bezeichnen, ,, [...] die einen
Friedensprozess unterlaufen, blockieren oder sabotieren, da sie fürchten, bei einem
Friedensabkommen entweder etwas zu ´verlieren´ oder aber nicht angemessen
berücksichtigt zu werden".
33
Dabei können die ,,Störenfriede" verschiedene Positio-
nen einnehmen: sie können am, hinter oder unter dem Verhandlungstisch sitzen.
Letztere beiden Kategorien kann man laut Stedman auch als ,,outside spoiler" be-
zeichnen, da sie im Gegensatz zum ,,inside spoiler" nicht selbst Vertragspartei sind:
,,Outside spoilers are parties who are exluded from a peace process or who exclude
themselves, and use violence to attack the peace process."
34
Ausdrücklich den Ge-
brauch von Gewalt als Merkmal betonend, definiert Stedman ,,spoiler" allgemein als
,, [...] leaders and parties who believe that peace emerging from negotiations threat-
ens their power, worldview, and interests, and use violence to undermine attempts
to achieve it."
35
29
Bemerkenswert ist dabei, dass auch die Guerillagruppen sich in ihren Anfängen als ,,autodefensas
campesinas", Selbstverteidigungsbündnisse der Kleinbauern, bezeichneten. Vgl. IRENE 1998: 27.
30
Siehe dazu: Medina Gallego 1990: 184; Ospina Restrepo 2003: 147.
31
Vgl. Cubides 2001: 131 und 1999: 155; Huhle 2001: 172; Romero 2005: 36.
32
Dabei muss die negative Konnotation des Begriffs ,,Störenfried" relativiert werden. In vielen Fällen
gibt es verständliche Gründe, warum sich bestimmte Gruppen einem Friedensabkommen widerset-
zen, zum Beispiel wenn neue Spielregeln ihre Diskriminierung nach sich ziehen könnte. Vgl. Schne-
ckener 2003 Online.
33
Vgl. Schneckener 2003 Online.
34
Stedman 1997: 8.
35
Stedman 1997: 5.

11
Die Anwendung von Gewalt als Definitionsbestandteil für ,,Störenfriede" ist in der
Literatur jedoch umstritten.
36
Diese wissenschaftliche Debatte ist im kolumbiani-
schen Fallbeispiel allerdings weniger relevant. Die Sabotage der Friedensverhand-
lungen durch das Paramilitär ging nämlich klar mit der Anwendung von Gewalt ein-
her. Schneckener nennt vier Motive für die sabotierende Haltung der ,,Spielverder-
ber":
37
·
Need oder Grievance: Die Akteure sind mit einer bestimmten Lösung nicht
einverstanden, da bestimmte Bedürfnisse (Needs) nicht befriedigt werden bzw.
Missstände (Grievance) nicht beseitigt werden. Sie fürchten durch das Frie-
densabkommen politische Macht und Einfluss zu verlieren;
·
Greed: Die Störenfriede sind nicht an einem Friedensabkommen interessiert,
weil sie aus der Konfliktsituation ökonomische und/oder politische Vorteile zie-
hen. Als Beispiel können die Ausbeutung von Rohstoffen und Bodenschätzen,
Raub und Plünderung, Erpressung und Schutzgelderhebung, Schmuggel und
Schattenwirtschaft angeführt werden;
38
·
Creed: Die Störenfriede fürchten ihre (kulturelle, ethnische oder religiöse) I-
dentität zu verlieren;
·
Autismus der Gewalt: Was zunächst als Mittel zur Erreichung von politischen
Zielen gedacht war, gerät bald außer Kontrolle und entwickelt sich in Eigendy-
namik zum Selbstzweck. Anfällig hierfür sind insbesondere kleine, konspirative
Gruppen.
Im Fall des kolumbianischen Paramilitärs sind die beiden ersten Erklärungsmodelle
heranzuziehen. Wie zu sehen sein wird, fürchteten die Paramilitärs und ihre Hinter-
männer zum einen, die Friedensverhandlungen der Regierung mit der Guerilla und
die damit einhergehenden Reformprozesse könnten die traditionellen Machtstruktu-
ren verändern. Zum anderen zogen sie aus der Konfliktsituation auch wirtschaftli-
chen Profit.
36
So betonen zum Beispiel Nasi und Schneckener, dass auch Akteure, die keine Gewalt anwenden,
in diese Kategorie fallen können, während Stedman ausdrücklich den Gebrauch von Gewalt zum
Definitionsbestandteil erklärt. Vgl. Nasi 2006: 1; Schneckener 2003 Online; Stedman 1997: 5.
37
Vgl. Schneckener 2003 Online.
38
Der Greed-Ansatz hat in den letzten Jahren unter anderem durch empirische Untersuchungen der
Weltbank Auftrieb erhalten. Paul Collier machte mit der Erkenntnis ,,The true cause of much civil war
is not the loud discourse of grievance but the silent force of greed" auf die Auswirkung von Kriegs-
ökonomien auf den Ausbruch und die Verlängerung von Bürgerkriegen aufmerksam. Vgl. Col-
lier/Hoeffler 2000; Zitat Collier 2000: 101.

12
1.4.3 Friedensverhandlungen?
Friedensverhandlungen werden als Verhandlungen zwischen zwei oder mehreren
Staaten aufgefasst, die einen Krieg durch die Suche nach einer verhandelten Lö-
sung beenden sollen. Sie können sich jedoch auch auf die Verhandlungen zwischen
einer Regierung und einem innerstaatlichen Kriegsakteur, beispielsweise einer Auf-
standsbewegung, beziehen. Einen verhandelten Ausweg aus einem internen Krieg
zu finden, wird von Stedman und Zartmann als besonders schwierig eingeschätzt.
39
Als Gründe dafür nennt Stedman man vier Faktoren:
40
·
das Sicherheitsdilemma, das auf dem dem Verhandlungspartner entgegenge-
brachten Misstrauen beruht;
·
die gerade in internen Konflikten oftmals ,,totalitären Ziele" der einzelnen
Kriegsparteien;
·
das eventuelle Auftreten starker Führungspersönlichkeiten, die Verhandlungen
ablehnen und ihre Haltung durchsetzen können;
·
die ,,Rhetorik des totalen Krieges", die bei einem späteren Umschwenken auf
Verhandlungen oftmals Glaubwürdigkeitsprobleme hervorruft.
Nichtsdestotrotz hat es in Kolumbien Verhandlungen (und Resultate!) gegeben.
Handelt es sich hier also um einen seltenen Sonderfall, dem es gelungen ist die
richtigen Methoden Erfolg versprechend anzuwenden? Um die Verhandlungen in
Kolumbien bewerten zu können, ist es notwenig einen Blick auf ihre Besonderheiten
zu werfen. Dabei sticht die fehlende Opposition des Paramilitärs zur Regierung ins
Auge. Denn das Paramilitär ist eben keine dem Staat feindlich gegenüber stehende
Aufstandsbewegung, wie sie Zartmann definiert: ,, [...] an opposition that contests
the government´s legitimate monopoly of violence and uses violent means to press
its demands and to contest government authority".
41
Das Paramilitär hat sich im Ge-
genteil stets als Stütze für den Staat verstanden, dessen Status es verteidigen,
wenn nicht stärken, wollte. ,,Im Unterschied zu revolutionären Guerillagruppen arbei-
ten paramilitärische Organisationen nicht auf einen Systemumsturz hin; vielmehr
sollen gesellschaftliche Reformen und Systemänderungen verhindert werden."
42
Und auch Ahram beschreibt die Paramilitärs als ,, [...] loyalist militias who mimic the
methods and organizational structure of rebel groups, but with opposing objectives:
not to seize the state, but to supplement it."
43
Da sich das Paramilitär folglich nie-
39
Vgl. Stedman 1996: 343; Zartmann 1995: 3.
40
Vgl. Stedman 1996: 344ff.
41
Zartmann 1995: 5.
42
Fischer/Cubides 2000: 117.
43
Ahram 2006 Online.

13
mals im Krieg mit der Regierung befand,
44
trifft die Bezeichnung ,,Friedensverhand-
lungen" auf den kolumbianischen Fall nicht zu. So auch Patiño: ,, [...] eine Friedens-
verhandlung besteht logischerweise zwischen Gegnern. Zwischen dem Staat und
Castaño gab es aber keinen Krieg, also kann man schlecht von Friedensverhand-
lungen sprechen."
45
Es handelt sich vielmehr um Verhandlungen zwischen zwei
Partnern,
46
die im Grunde dieselben Ziele verfolgen, jedoch mit anderen Mitteln.
47
Dies wird auch durch die fehlende Aushandlung substantieller Themen bewiesen.
Was heißt das? Laut Bejarano Ávila umfassen Verhandlungen stets drei Kompo-
nenten:
48
·
substantielle Themen wie zum Beispiel Reformforderungen;
·
operationelle Themen wie zum Beispiel die Festlegung einer Waffenruhe;
·
die Festlegung der Vorgehensweise, d.h. das Aufstellen von Verhandlungsre-
geln oder die Überprüfung der Einhaltung von Verträgen.
Während die Verhandlungen mit den Paramilitärs ganz klar die beiden letztgenann-
ten Merkmale aufweisen, fehlt erstgenanntes Kriterium, nämlich die Diskussion von
substantiellen Themen, vollständig. Im Folgenden wird deswegen nicht der Begriff
,,Friedensverhandlungen" benutzt werden, sondern ,,Demobilisierungsverhandlun-
gen".
44
Vgl. Azzellini 2003a: 26 (Ü. d. A.).
45
Patiño 2003: 20 (Ü. d. A.).
46
Ein Interviewpartner der Autorin bezeichnete die Verhandlungen sogar als ,,Verhandlungen unter
Freunden".
47
Vgl. Fischer/Cubides 2000: 125.
48
Bejarano Ávila 1995: 35.

14
2 Die Demobilisierung des Paramilitärs ­ ein kolumbianisches Rätsel?
2.1 Hintergrund: Vier Jahrzehnte bewaffneter Konflikt
49
in Kolumbien
Hintergrund der aktuellen Situation ist der über 40jährige
50
bewaffnete Konflikt in
Kolumbien, der erst durch den ,,Anti-Drogen Kampf" der Bush-Regierung und die
Öffentlichkeitsarbeit verschiedener Menschenrechtsorganisationen in den Blickpunkt
breiten internationalen Interesses gelangte.
51
2.1.1 Geschichte des bewaffneten Konflikts
Die fast 200jährige Geschichte Kolumbiens seit der Unabhängigkeit des Landes im
Jahre 1819 ist durch gewaltsame Auseinandersetzungen geprägt. Allein im 19.
Jahrhundert erlebte das südamerikanische Land neun Bürgerkriege und über 40
regionale Rebellionen.
52
Der Phase der ,,Violencia" (1948 - 1958)
53
konnte mit der
Entmilitarisierung des Zweiparteienkonflikts durch die Gründung der Frente Nacional
(FN)
54
im Jahr 1957 ein Ende gesetzt werden. Der sich anschließende bipolare Kon-
flikt zwischen dem Staat und den ab den 60er Jahren entstehenden Guerillagruppen
gilt als Ausgangspunkt des heutigen multipolaren Konfliktes zwischen linken Auf-
ständigen, rechten Paramilitärs, der Drogenmafia und den regulären Streitkräften.
55
Seine Kennzeichen sind die ,,Multiplikation und Kreuzung verschiedener Formen der
Gewalt", das ,,Entstehen einer gigantischen illegalen Wirtschaft rund um den Dro-
genhandel" und das Auftreten einer Vielzahl von Gewaltakteuren:
56
,,Speziell kolumbianisch ist, dass der laut Theorie einzige Macht- und
Kriegsmonopolist Staat nicht nur gegen einen einzelnen Herausforderer kämpfen
muss, sondern dass er mit einer Vielzahl von parastaatlichen und privaten Akteuren,
Söldnern, Guerilleros, Terroristen und ,,Warlords", die alle vom Krieg leben und da-
her nicht unbedingt den Frieden suchen, koexistieren muss."
57
49
Die schwammig erscheinende Bezeichnung ,,bewaffneter Konflikt" resultiert aus der Uneinigkeit,
wie das kolumbianische ,,Gewalt-Chaos" zu definieren ist. Ob es sich um einen Bürgerkrieg, eine
Rebellion, einen ,,Krieg mit geringer Intensität", einen ,,neuen Krieg", mehrere ,,Mikrokriege" oder um
eine ,,terroristische Bedrohung" handelt, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Um diesem Defi-
nitionschaos zu entgehen, wird in der vorliegenden Arbeit konsequent der Begriff ,,bewaffneter Kon-
flikt" verwendet.
50
Wenn man die Gründung von FARC und ELN Mitte der 60er Jahre als Ausgangspunkt nimmt.
51
Vgl. Kurtenbach 2004b: 10.
52
Vgl. Santamaría Salamanca 2004: 463.
53
Die blutige Auseinandersetzung (1946 ­ 1958) zwischen den beiden großen Parteien, nämlich der
Liberalen und der Konservativen Partei, forderte 200.000 Menschenleben. Ihr Ausgangspunkt war die
Ermordung des liberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge E. Gaitán im April 1948. Vgl. dazu Richa-
ni 2002: 23; Chernick 1999: 162; Waldmann 2003: 137.
54
Die Phase der Frente Nacional, während derer politische Ämter von Liberalen und Konservativen
unabhängig vom Wahlergebnis paritätisch besetzt wurden, dauerte von 1957 bis 1974.
55
Vgl. Chernick 1996: 275.
56
Vgl. DNP 2005: 277; Vgl. zu ,,Multiplizität der Gewalt" insbesondere Sánchez 2001: 3.
57
Drekonja-Kornat 2004: 157.

15
Der eigentliche Ursprung des ,,Dauergemetzels in Kolumbien" liegt dabei laut Wald-
mann im Elitendominierten Zwei-Parteien System:
,,Ein geschlossenes, von der Oberschicht kontrolliertes Parteiensystem, das
politischen Außenseitern keinerlei Mitsprachechance einräumte, erzeugte irgend-
wann gewaltförmigen Protest. Da dieser kein Gehör fand, verdichtete er sich zu
Guerillaorganisationen, die teils auf dem Land, teils in den Städten operierten. Auf
dem Land besteuerten sie die Großgrundbesitzer, die sich ihrerseits zur Wehr setz-
ten, indem sie bewaffnete Milizen zur Selbstverteidigung aufstellten [...]."
58
Einer der Hauptgründe für die scheinbare
Unüberwindbarkeit des Konflikts ist die
Finanzierung der illegalen Gruppierungen
durch den Drogenhandel ab den 80er Jah-
ren. Während Kolumbiens Einstieg ins
Drogengeschäft Mitte der 60er Jahre über
den Verkauf von Marihuana erfolgte,
boomte das Geschäft Ende der 70er und
Anfang der 80er Jahre mit dem Vertrieb
des von Bolivien und Peru importierten
Kokains durch die berühmt-berüchtigten
Kartelle von Medellín und Cali. Erst später
verlagerte sich auch der Anbau selbst
nach Kolumbien.
59
Betroffen waren zu-
nächst die im Südwesten gelegenen De-
partamente wie Putumayo und Caquetá
von wo sich der Anbau dann auch auf an-
dere Landesteile ausweitete (Vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Drogenanbau und -Kartelle
Verschiedene Faktoren wie ein breites Schmuggelnetzwerk, fehlende staatliche
Kontrolle in weiten Teilen des Landes und der durch eine relativ hohe Zahl von
58
Waldmann 1998: 131.
59
Für diese Verlagerung werden oftmals die in den Nachbarländern einsetzenden Anti-
Drogenkampagnen verantwortlich gemacht (Vgl. u. a. ICG 2005a: 3; Conference Report: Peace and
Security in Colombia 2002: 19). Professor Thoumi nennt jedoch als Hauptursachen die Strukturver-
änderung der Drogenmafia in Kolumbien durch die Zerschlagung der großen Kartelle, der Verlust von
Finanzierungsquellen der Guerilla durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Agrarkrise in
Kolumbien, die zur Vertreibung und Umsiedlung vieler Kleinbauern führte. Vgl. Interview, 26.06.2006,
Bogotá.

16
Immigranten gesicherte Zugang zum US-amerikanischen Markt, ließen Kolumbien
in der Folgezeit zum weltweiten Hauptproduzent (70 - 80%)
60
von Kokain werden.
61
Auch wenn der Drogenhandel keinesfalls die Ursache für den bewaffneten Konflikt
war, so ist seine Konfliktverstärkende, da ihn finanzierende, Rolle unbestritten.
62
Nachstehende Grafik zeigt die aktuellen ,,Koka-Brennpunkte" (Abb. 3).
2.1.2 ... und seine bisherige Bilanz
Den komplexen Konflikt, der sich aus einer
Vielzahl von Gewaltaktionen zusammensetzt,
statistisch zu erfassen, gestaltet sich schwie-
rig. Das Gewaltspektrum reicht von militäri-
schen Operationen der Regierungstruppen
über Überfälle der Guerilla und des Paramili-
tärs auf die Bevölkerung bis hin zu durch den
Drogenhandel hervorgerufenen Bandenkrie-
gen und gewöhnlichen Gewaltverbrechen.
63
Abb. 3: Kokaanbaugebiete 2006 (gelb eingezeichnet)
Im Folgenden soll mit Hilfe verschiedener Zahlen versucht werden, das Ausmaß der
Gewalt, die in Kolumbien bereits zu einem ,,Alltagsphänomen" geworden ist, zu be-
legen.
64
Laut UN- Flüchtlingsreport 2006
65
sind allein seit 1990 über 40.000 Men-
schen in direkter Folge des bewaffneten Konflikts umgekommen. Hauptopfer ist die
Zivilbevölkerung: zwischen 1975 und 1995 waren mehr als zwei Drittel der im Kon-
flikt umgekommenen Zivilisten.
66
Darüber hinaus ist das Leben in Kolumbien jedoch
für einen großen Teil der Bevölkerung mit dem Erleben alltäglicher Brutalität ver-
bunden. Einen Anhaltspunkt für die anhaltende ­ allerdings nicht nur auf den Kon-
flikt bezogene ­ Gewalt in Kolumbien bietet die Evaluation der Mordrate pro 100.000
Einwohner.
67
Seit Beginn der 80er Jahre ansteigend, erreichte die Mordrate Anfang
der 90er Jahre mit rund 80 Ermordungen pro 100.000 Einwohner ihren traurigen
Höhepunkt. Im neuen Jahrtausend konnte sie von 65 Morden pro 100.000 Ein-
60
Vgl. GTZ 2003: 1; UNODC 2006 Online.
61
Vgl. u. a. Thoumi 2004: 41 und 2003: 190; Richani 2002: 94f; Santamaría Salamanca 2004: 484.
62
Vgl. u. a. DNP 2005: 279; Kurtenbach 2004a: 215; ICG 2005a: 5f; Aranguren Molina 2002: 252.
63
Vgl. dazu Restrepo 2004 Online; Restrepo/Spagat/Vargas 2004: 403.
64
Ausführlich siehe dazu Waldmann 2003: 136 ­ 165.
65
UNHCR 2006 Online .
66
Vgl. ICG 2003: 13; Rangel 2001: 383; Erzählungen von Opfern der Gewalt und Zeugenaussagen:
Redepaz (o. A.): Ya no corren ríos de agua limpia.
67
Die Cooperación Salud y Desarollo nannte im Jahr 2000 den gewaltsamen Tod als Hauptsterbeur-
sache in Kolumbien. Cooperación Salud y Desarollo 2000: 30.

17
wohner (2002) auf 39 Morde pro 100.000 Einwohner (2005) gesenkt werden.
68
Da-
bei ist dieser Indikator stark von Geschlecht und Alter der Personen abhängig. Laut
einer Studie von ,,Ärzte ohne Grenzen" liegt der Index für Männer im Alter von 15 bis
44 Jahren bei 221/100.000.
69
Im internationalen Vergleich (2002: 8,8/100.000)
70
ist
Kolumbien damit eines der gewalttätigsten Länder weltweit,
71
pro Jahr fallen durch-
schnittlich 25.000 Menschen einem gewaltsamen Tod zum Opfer (Vgl. Abb. 4). Da-
zu passt auch die landesweite Verbreitung so genannter ,,Büros" (,,Oficinas") ­ allein
in der ehemaligen Drogenhochburg Medellín gab es zeitweise an die 50 ­ deren
,,Geschäft" in der Vermittlung von Mordaufträgen besteht.
72
Abb. 4: Anzahl der jährlichen Morde in Kolumbien zwischen 1986 -2005
Besonders stark von der Gewalt betroffen sind die ländlichen Regionen des Landes.
Die Mehrzahl der gewaltsamen Todesfälle ereignet sich in Regionen mit einer Be-
völkerungsdichte von weniger als 50 Einwohnern pro km².
73
Dies ist auch ein Grund,
warum die indigene Bevölkerung von dem Konflikt überproportional stark betroffen
ist. Obwohl sie nur zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung umfassen, gehö-
ren acht Prozent der Binnenvertriebenen indigenen Bevölkerungsgruppen an. Laut
dem letzten UN-Bericht
74
wird Kolumbien mit einer Größenordnung von zwischen
zwei und drei Millionen Binnenvertriebenen nur durch den Sudan übertroffen. Wäh-
rend seit 2000 100.000 Kolumbianer Asyl im Ausland ­ insbesondere Costa Rica,
Ecuador, Panama und Venezuela sind Anlaufländer ­ gesucht haben, werden die
meisten Vertriebenen zu Flüchtlingen im eigenen Land. Dass allein im Jahr 2004 mit
288.000 Neuvertriebenen gerechnet wurde, zeigt die Kontinuität dieses Problems.
68
Vgl. Programa Presidencial de Derechos Humanos y Derecho Internacional Humanitario (c)
Online; Siehe auch auch Dávila Ladrón de Guevara/Echeverri 2004: 198.
69
Vgl. Médicos sin fronteras 2006 Online.
70
Vgl. Médicos sin fronteras 2006 Online.
71
Vgl. Romero 2005: 27.
72
Vgl. Waldmann 2003: 143; Zelik 1999: 134.
73
Obwohl diese Regionen nur 20% des kolumbianischen Territoriums ausmachen, finden hier 65%
der Mordfälle statt. Vgl. Small armey survey 2006: 9.
74
Vgl. UNHCR 2006: 170 Online; El Tiempo 12.06.2006 S. 4: Interview mit Judy Cheng Hopkins,
ACNUR.

18
Weitere Gewaltphänomene stellen die Verwendung von Anti-Personenminen sowie
die dramatisch hohe Anzahl an Entführungen dar.
75
So findet laut Thoumi fast die
Hälfte aller weltweiten Entführungen in Kolumbien statt.
76
Detaillierter schildert Pax
Christi, dass die jährliche Entführungsrate seit 1980 fast kontinuierlich angestiegen
ist, bis sie im Jahr 2000 den ,,weltweiten Rekord" von 3706 Entführungen erreichte.
Durchschnittlich wird in Kolumbien demzufolge alle drei Stunden ein Mensch ent-
führt.
77
Einen weiteren traurigen Rekord stellt Kolumbien mit einem jährlichen
Durchschnitt (1998-2004) von 377 Anti-Personenminen Unfällen auf.
78
Verantwort-
lich für die Mehrzahl der gelegten Minen sind die Guerillagruppen ELN und FARC.
Da die Eigenherstellung einer Anti-
Personenmine nur zwischen einem und
drei Dollar kostet, stellt sie ein kosten-
günstiges Verteidigungsmittel gegen
das Vordringen von Regierungstruppen
oder Paramilitärs in die von der Guerilla
besetzen Gebiete dar. Ein Blick auf die
Karte (Abb. 5) zeigt, dass die Gebiete
mit Präsenz mehrerer bewaffneter Ak-
teure, wie zum Beispiel Antioquia, Bo-
lívar, Santander, Norte del Santander
und Meta, am stärksten betroffen sind.
Die Opfer sind zu 40% Zivilisten.
79
Abb. 5: Minenunfälle nach Regionen
Laut Informationen des ,,Observatoriums für Menschenrechte" der kolumbianischen
Regierung haben sich die Opferzahlen nach der Jahrtausendwende drastisch er-
höht.
80
Nachstehende Karten (Abb. 6) zeigen die militärischen Aktionen der drei
größten illegal bewaffneten Gruppen: den AUC, den FARC und dem ELN im Jahr
75
In der kolumbianischen Literatur wurde das Thema Entführung auch von Nobelpreisträger Gabriel
García Márquez aufgegriffen. In seinem Roman ,,Nachricht von einer Entführung" zeichnet er die
Entführung von neun Journalisten durch Kolumbiens berühmt-berüchtigtsten Drogenbaron, Pablo
Escobar, im Jahr 1990 nach. García Márquez, Gabriel (1996): Noticia de un secuestro. Auf Deutsch
unter dem Titel ,,Nachricht von einer Entführung" erschienen bei Kiepenheuer und Witsch.
76
Vgl. Thoumi 2003:189; Zuluaga Nieto 2000: 44.
77
Durchschnittlich wird in Kolumbien demzufolge alle drei Stunden ein Mensch entführt. Freigekauft
werden kann das kolumbianische Opfer für zwischen 1.000 und 400.000 Dollar. Vgl. Pax Christi
2001: 27; siehe auch Restrepo/Spagat/Vargas 2004: 416.
78
Vgl. DNP 2005: 278.
79
Vgl. Colombia sin Minas 2006 Online.
80
So starben zwischen 2000 und 2005 885 Personen durch Anti-Personenminen, 2.875 wurden
verletzt. Vgl. Programa Presidencial de Derechos Humanos y Derecho Internacional Humanitario
2005 (d) Online.

19
2002. Während die FARC insbesondere im Südwesten des Landes, in den Haupt-
anbaugebieten der Kokapflanze, operiert, ist das ELN aus historischen Gründen im
Norden des Landes angesiedelt. Ingesamt ist gut zu erkennen, dass ein Großteil
des kolumbianischen Territoriums, nämlich der im Südosten gelegene Teil des Lan-
des, durch seine geographische Beschaffenheit (Amazonasgebiet) unbewohnt ist
und von bewaffneten Auseinandersetzungen verschont bleibt.
Abb. 6: Militärische Aktionen der AUC, der FARC und des ELNs im Jahr 2002
Die Bilanz des noch immer andauernden Konfliktes ist eine humanitäre Krise, die
lange Zeit von der Weltöffentlichkeit unbeachtet blieb. Im Folgenden soll alle Auf-
merksamkeit einem ihrer Verantwortlichen, dem Paramilitär, gelten. Dieses wurde in
einem im Jahr 2000 erschienenen Bericht des ,,Observatoriums für Menschenrech-
te" der kolumbianischen Regierung für die Mehrheit der Massaker und Morde an
Zivilisten sowie der Vertreibungen von Kleinbauern verantwortlich gemacht.
81
Zu-
dem stellt es die zweitgrößte Entführergruppe nach den FARC dar. Eine erstaunli-
che Wandlung, wenn man bedenkt, dass sein ursprüngliches Losungskürzel MAS
(,,Muerte a los Secuestradores") zu Deutsch ,,Tod den Entführern" lautete. Folgen-
des Kapitel gibt Aufschluss.
2.2 Das kolumbianische Paramilitär: die Entstehung eines ,,Störenfriedes"
Die Geburtsstunde des Paramilitärs in Kolumbien zu bestimmen, ist nicht einfach;
laut Zuluaga Nieto hat der Paramilitarismus verschiedene Ursprünge. Je nach
Blickwinkel rückt der staatliche Kampf gegen linke Rebellen, die Aufstellung von
paramilitärischen Einheiten zum Schutz vor der Guerilla durch Großgrundbesitzer
81
Programa Presidencial de Derechos Humanos y Derecho Internacional Humanitario (a) Online.
Siehe dazu auch Romero 2005: 55.

20
oder aber ihre Finanzierung durch den Drogenhandel in den Fokus der Analyse.
82
Als Vorläufer der paramilitärischen ,,Nationalmilizen" werden dabei die so genannten
,,pájaros" (zu Deutsch: ,,Vögel") angesehen.
83
Diese aus gewöhnlichen Kriminellen
rekrutierten Banden gründeten sich während des Bürgerkriegs in den 50er Jahren
und verfolgten im Auftrag der konservativen Partei, und von der Polizei gedeckt, die
Anhänger der liberalen Partei:
84
,,In the years of the Violencia, the hitmen were cal-
led pájaros (birds), not paramilitaries. Whatever the name, what is involved is the
use of violence by those in power to maintain power. "
85
2.2.1 Ein ,,uneheliches Kind des Staates"? Die staatlich geplante Entstehung
des Paramilitärs im Rahmen der Aufstandsbekämpfung der 60er Jahre
Der Ursprung des Paramilitärs in Kolumbien wird von vielen Autoren in die staatliche
Aufstandsbekämpfung eingeordnet.
86
So gründeten sich Mitte der 60er Jahre die
beiden größten kolumbianischen Guerillabewegungen: die FARC (1966) und das
ELN (1964). Während die FARC, heute die größte Guerillaorganisation weltweit,
87
hauptsächlich von Kleinbauern unterstützt wurden, setzte sich das ELN aus von der
kubanischen Revolution inspirierten Studenten und Anhängern des ,,Che" Guevara
zusammen. Mitte der 80er Jahre gab es in Kolumbien bereits ein halbes Dutzend
verschiedener Guerillagruppierungen, darunter zum Beispiel das ,,Ejército Popular
de Liberación" (EPL, 1965), das ,,Movimiento 19 de Abril" (M-19, 1970) und die indi-
gene Bewegung ,,Quintín Lame" (1984).
88
Den internationalen Hintergrund für das
staatliche Vorgehen gegen diese revolutionäre Bedrohung bildete der Kalte Krieg:
,,Soviet bloc countries supported guerrilla groups with arms, ammunition, mili-
tary training and sometimes money. On the government side, the US influenced the
conflict through the development and dissemination of its ,National Security Doc-
trine' of counterinsurgency, mostly via the Escuela de las Americas."
89
Die von den USA geförderte
90
Sicherheitsdoktrin (,,Doctrina de Seguridad Nacional")
führte zur Entwicklung des so genannten ,,Plan LASO" (,,Latin American Security
82
Vgl. Zuluago Nieto 2005: 6; siehe auch Carlos Garzón 2005: 52; González/Bolívar/Vásquez 2003:
59; Heinz 1997: 201f.
83
Vgl. Molano 2001: 98.
84
Vgl. Garzón 2003: 55; Zelik 2000: 7; Krauthausen 1997: 304.
85
García-Peña Jaramillo 2005a: 64.
86
Vgl. Romero Silva 1998: 178; Sánchez 2001: 21; Comisión Superación de la Violencia 1992: 183.
87
Die FARC konnten sich zwischen 1975 (450 Kämpfer) und 1988 (4.700 Kämpfer) verzehnfachen.
Nach einem stetigen Ansteigen in den 90er Jahren, setzen sie sich schließlich im Jahr 2001 aus 63
ländlichen und vier städtischen Einsatzgruppen (,,frentes") zusammen. Heute schätzt man, dass die
FARC über rund 16.000 Mann verfügen. Vgl. Santos Pico 2001: 37; Blumenthal 2001: 6.
88
Vgl. Eisenstadt/Garcia 1995: 271; Chernick 1999: 199ff.
89
Restrepo/Spagat/Vargas 2004: 400; Vgl. auch García-Peña Jaramillo 2005b: 59.
90
So erhielt Kolumbien in den Jahren 1961- 1967 militärische Assistenz in Höhe von 60 Millionen
Dollar und 430 Millionen wirtschaftliche Hilfe durch die von Präsident Kennedy ins Leben gerufene

21
Operation"), dessen Hauptziel in der Ausmerzung der kommunistischen Bedrohung
bestand. Die Strategie in diesem ,,irregulären Krieg", die sich unter anderem auf die
Erfahrungen der Franzosen in Indochina stützte, sollte darin bestehen, die Bevölke-
rung für sich zu gewinnen und den Rebellen damit ihre Unterstützung zu entziehen:
,,den Fischen das Wasser zu vergiften."
91
In diesem Rahmen erließ der damalige
Präsident Kolumbiens, Guillermo León, im Jahr 1965 das Dekret 3398, das drei Jah-
re später in ein permanentes Gesetz umgewandelt wurde. Es schuf eine legale Ba-
sis für die Einbindung - und die temporäre Bewaffnung ­ von Zivilisten in die staatli-
che Aufstandsbekämpfung.
92
Die Entstehung von paramilitärischen Einheiten beruh-
te als Teil der ,,Guerra sucia", des ,,schmutzigen Krieges", also nicht auf einer un-
überlegten Aktivität, sondern auf einer staatlich ,,geplanten Konzeption der Auf-
standsbekämpfung", auf einer ,,durchdachten Militärstrategie."
93
Auch wenn die ko-
lumbianischen Zivilbehörden stets energisch bestritten haben, dass der Einsatz pa-
ramilitärischer Gruppen bei der Aufstandsbekämpfung der Regierungspolitik ent-
sprach, steht deren Unterstützung durch das Militär außer Frage. Als Beispiel kann
das gut dokumentierte Massaker an 27 Mitgliedern der Gemeinde Mapiripán (Meta)
im Jahr 1997 herangezogen werden, für das zwei langjährige Mitglieder der Armee,
Oberst Hernán Orozco Castro und sein Vorgesetzter, General Jaime Humberto Us-
cátegui, verurteilt wurden.
94
So gab Orozco an, dass die Paramilitärs von Teilen des
Militärs als ,,Sechste Division" angesehen würden. Und auch der Interamerikanische
Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte den kolumbianischen Staat bereits für
die Gründung von ,,Autodefensas"-Gruppen im Rahmen seiner Aufstandsbekämp-
fungspolitik.
95
Ohne die staatliche Verantwortung am Entstehen paramilitärischer
Einheiten verneinen zu wollen, sind aber auch folgende Faktoren zu beachten:
96
·
die Bereitschaft regionaler und lokaler Eliten, paramilitärische Verbände finan-
ziell zu unterstützen;
·
die Beratung und Kooperation durch das Militär;
·
die Führungsübernahme durch Gruppen oder Individuen, die Verbindung zum
Drogenhandel hatten;
·
der fortbestehende Druck durch die Rebellen, der den unterschiedlichen Ver-
bänden einen gemeinsamen Feind lieferte.
,,Alianza para el Progreso". Die USA führten weiterhin militärisches Training und ab 1961 Militärkonfe-
renzen durch. Vgl. Buitrago 2006: 64; ICG 2003a: 4f.
91
Nach einer berühmten Redewendung Maos. Vgl. Buitrago 2006: 37; Rangel 2001: 356, Keen 2000:
27.
92
Vgl. ICG 2003a: 5.
93
Medina Gallego 1990: 168; Zelik 2000: 90.
94
Vgl. AI 1994: 83; Fischer/Cubides 2000: 122; Picolli 2005: 129-144; Semana 07.02.2005: 36.
95
Vgl. Semana 26.07.2004: 52.
96
Vgl. ICG 2003: 6; siehe auch Cubides 2005: 88.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783956360817
ISBN (Paperback)
9783836600057
Dateigröße
6.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Münster – Sozialwissenschaften, Politikwissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Note
1,3
Schlagworte
politik kolumbien entwicklung konflikt guerilla
Zurück

Titel: 'Störenfriede' am Verhandlungstisch: Die Demobilisierung des Paramilitärs - ein kolumbianisches Rätsel?
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
120 Seiten
Cookie-Einstellungen