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Lokaler Einzelhandel und integriertes Shopping-Center - Konkurrenz oder Symbiose?

Eine Untersuchung am Beispiel der Veränderung lokaler Einzelhandelsstrukturen in Bautzen

©2006 Diplomarbeit 187 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Situation des Einzelhandels in den deutschen Innenstädten ist äußerst komplex. Um gegen die Handelskonkurrenz auf der „grünen Wiese“ bestehen zu können, versuchen ostdeutsche Kommunen häufig wieder ein neues Gesicht in Form einer „neuen Mitte“ zu finden. Westdeutsche Kommunen hingegen, deren Innenstädte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach rein ökonomischen Gesichtspunkten entwickelt wurden, suchen vielmehr einen Weg aus der monofunktionalen Nutzung ihrer Innenstädte, und somit häufig auch aus einer gewissen Profillosigkeit, herauszukommen.
So unterschiedlich die Probleme von ost- und westdeutschen Kommunen auch sein mögen, zwei verbindende Elemente finden sich sowohl im Osten als auch im Westen der Republik:
- Der Einzelhandel, welcher je nach der wirtschaftlich geographischen Bedeutung der Stadt mehr oder weniger ausgeprägt ist.
- Gleichzeitig mit einhergehend, die Krise im deutschen Einzelhandel.
Doch trotz der Flaute und aller Krisenstimmung im Einzelhandel gibt es ein paar Akteure im Marktgeschehen, die jeder Krise trotzen und die sich besonders den Weg in die Innenstädte suchen – die Investoren des Handels- und Freizeitbereichs. Erst genannte Investoren betreten als Entwickler von Shopping-Centern die kommunalen Bühnen und versprechen den städtischen Akteuren, „Heilsbringer“ für die kommunale Krise und den lokalen Einzelhandel zu sein. Das Heil wird ihnen in Form von Shopping-Centern angepriesen, allerdings jetzt, im Gegensatz zu früheren Center-Entwicklungen, fast nur noch an innerstädtischen, also zumeist integrierten Standorten (vgl. Kap. 3.1.3).
So auch geschehen in der ostsächsischen Stadt Bautzen/Budyšin, welche den Untersuchungsraum dieser Arbeit darstellt: Dort eröffnete im September 2000 an einem höchst integrierten Standort, am Schnittpunkt zweier traditioneller Einzelhandelsstandorte, ein Shopping-Center des Branchenprimus ECE seine Pforten. Wie schon bei anderen Center-Eröffnungen, bewegten und bewegen sich auch in Bautzen die Meinungen der Akteure zwischen starkem Misstrauen und größtem Zutrauen hinsichtlich des neuen „Heilsbringers“ – und dies sowohl während des Planungsprozesses, bei der Einweihung als auch noch mehr als fünf Jahre nach Eröffnung des Shopping-Centers (vgl. Kap. 7.1).
Gang der Untersuchung:
Nach mehr als fünf Jahren gilt es nun, in Bautzen Bestand aufzunehmen. Welche Befürchtungen der Akteure hinsichtlich des Shopping-Centers haben sich bewahrheitet, welche haben sich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Martin Franke
Lokaler Einzelhandel und integriertes Shopping-Center ­ Konkurrenz oder Symbiose?
Eine Untersuchung am Beispiel der Veränderung lokaler Einzelhandelsstrukturen in
Bautzen
ISBN-10: 3-8324-9954-7
ISBN-13: 978-3-8324-9954-9
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2006
Zugl. Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main,
Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

i
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis...iv
Abbildungsverzeichnis...v
Tabellenverzeichnis...vi
Danksagung...vii
I
EINLEITUNG... 1
1
Problemskizzierung... 1
2
Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit ... 2
II
EINZELHANDEL UND KONSUMENT: THEORETISCHE
ÜBERLEGUNGEN ... 4
3
Grundlegende Entwicklung ... 4
3.1
Handel im Wandel ...4
3.1.1
Vom Versorgungs- zum Erlebniseinkauf...4
3.1.2
Wandel der Betriebsformen ...16
3.1.2.1
Das Shopping-Center als besondere Betriebsform ... 28
3.1.2.2
Entwicklung der Shopping-Center in Deutschland ... 32
3.1.3
Standortsystematik im Einzelhandel ...34
4
Methodische Grundlagen... 39
4.1
Handeln, Handlung, ,,Geographie-Machen": Benno WERLENS
raumorientierte handlungstheoretische Sozialgeographie...39
4.2
Anwendung des theoretischen Rahmens auf die Untersuchung:
Konsequenzen aus den theoretischen Überlegungen ...49
4.3
Empirische Verfahren ...53

ii
III
DAS FALLBEISPIEL: DER EINZELHANDEL IN BAUTZEN... 56
5
Der Untersuchungsraum: Die Stadt Bautzen ... 56
5.1
Lage der Stadt, administrative Gliederung, Besonderheiten...56
5.2
Bevölkerung...57
5.3
Arbeitsmarkt ...58
5.4
Raumordnerische Gliederung...59
5.5
Erreichbarkeit ...60
5.6
Abstellflächen für den motorisierten Individualverkehr...61
6
Phasen der Bautzener Stadtentwicklung ... 62
6.1
Erste Siedlungen bis zur Industrialisierung ...62
6.2
Von der Industrialisierung bis zum Zweiten Weltkrieg...64
6.3
Jüngere Projekte der Stadtplanung und -entwicklung ...65
6.3.1
Planen und Bauen unter dem Vorzeichen des Sozialismus ...65
6.3.2
Sanieren und Erhalten seit der Wiedervereinigung...67
7
Einkaufen in der Bautzener Innenstadt ... 72
7.1
Erlebniseinkauf am Kornmarkt: Das Kornmarkt-Center und seine
Planungsgeschichte ...72
7.1.1
Das Kornmarkt-Center im Jahr 2005 ...80
7.1.2
Das Kornmarkt-Center innerhalb der Einzelhandelslagen ...81
7.1.3
Motorisierter Individualverkehr und Kornmarkt-Center ...82
7.1.4
Architektonisch - städtebauliche Integration ...84
7.2
Bedeutung der Bautzener Innenstadt als Versorgungszentrum ...86
7.3
Akteure im Bautzener Einzelhandel ...88

iii
IV
ANALYSE DES BAUTZENER EINZELHANDELS ... 91
8
Konflikte der Akteure im Einzelhandel ... 91
8.1
Nutzungskartierungen der Bautzener Innenstadt ...93
8.1.1
Systematik der Kartierung...94
8.1.2
Die Situation des Einzelhandels im Spätsommer 2005 ...95
8.1.2.1
Branchen und Leerstände im Bereich der Altstadt ... 98
8.1.2.2
Branchen und Leerstände im Bereich der Neustadt... 100
8.1.3
Veränderungen im Einzelhandel ...103
8.2
Befragung der Akteure ...108
8.2.1
Fünf Jahre nach Eröffnung des Kornmarkt-Centers: Die Situation der
Einzelhändler in der Innenstadt im Jahr 2006...108
8.2.1.1
Systematik der Befragung... 108
8.2.1.2
Ergebnisse der Befragung ... 111
8.2.2
Vier Jahre nach Eröffnung des Kornmarkt-Centers: Die Situation der
Konsumenten in der Innenstadt im Jahr 2004 ...123
8.2.2.1
Ergebnisse der Befragung ... 124
8.3
Zusammenfassende Betrachtung der empirischen Teilergebnisse...125
V
AUSBLICK: CHANCEN FÜR EINEN LEBENDIGEN EINZELHANDEL IN
BAUTZEN ... 129
VI
LITERATURVERZEICHNIS ... 141
VII
ANHANG... 149
9
Kartenverzeichnis... 149
10
Anlagenverzeichnis ... 149

iv
Abkürzungsverzeichnis
A4 Bundesautobahn
4
Abb. Abbildung
Abs. Absatz
B6 Bundesstraße
6
BauGB Baugesetzbuch
BauNVO Baunutzungsverordnung
Bd. Band
BRD Bundesrepublik
Deutschland
bzw. beziehungsweise
ca. circa
DDR Deutsche
Demokratische
Republik
ebd. ebenda
ECE Kommanditgesellschaft
Einkaufs-Center-Entwicklung mbH
etc. et
cetera
GfK
Gesellschaft für Konsumforschung AG
GMA Gesellschaft
für
Markt- und Absatzforschung mbH
IHK
Industrie- und Handelskammer
Kap. Kapitel
km² Quadratkilometer
m² Quadratmeter
PKW Personenkraftwagen
S. Seite
SB Selbstbedienung
StVO Straßenverkehrsordnung
Tab. Tabelle
u.a. unter
anderem
usw.
und so weiter
v.a. vor
allem
vgl. vergleiche
VK Verkaufsfläche
WBS 70
Wohnungsbauserie 70
z.B. zum
Beispiel
Hinweis
In der Untersuchung wird aus Gründen der Vereinfachung nur die männliche Form
benutzt, also beispielsweise ,,der Einzelhändler" oder ,,der Kommunalpolitiker".
In jedem Fall ist auch die weibliche Form miteinbezogen.

v
Abbildungsverzeichnis
Seite
Abb. 1
Struktur des Einkaufverhaltens
5
Abb. 2
Prozesse der Kaufentscheidung und Einkaufsstättenwahl
6
Abb. 3
Nachfrage induzierter Strukturwandel im Einzelhandel
7
Abb. 4
Warteschlange vor einer Metzgerei
9
Abb. 5
Wieder eröffnetes Hutgeschäft
9
Abb. 6
Paar mit Kind, Eigenheim und Roller
10
Abb. 7
Familie beim Picknick in der Eifel
10
Abb. 8
Versorgungs- und Erlebniseinkauf
12
Abb. 9
Soziale Milieus
16
Abb. 10
Innovationsphasen verschiedener Betriebstypen
18
Abb. 11
Lebensmittelgeschäft im Landkreis Osnabrück Ende der 1950er Jahre
21
Abb. 12
Frischeabteilung eines Supermarktes im 21. Jahrhundert
22
Abb. 13
Entwicklung des Lebensmitteleinzelhandels
23
Abb. 14
Flächenverteilung in Shopping-Centern
30
Abb. 15
Branchenverteilung in Shopping-Centern
30
Abb. 16
Lageplan des Main-Taunus-Zentrums
31
Abb. 17
Raummodell nach CHRISTALLER
35
Abb. 18
Zentrale-Orte-Konzept
36
Abb. 19
Entwicklung der Einwohner mit Hauptwohnsitz in Bautzen
57
Abb. 20
Blick in die Großwohnsiedlung ,,Gesundbrunnen" im Januar 2005
67
Abb. 21
Westseite des Hauptmarktes
70
Abb. 22
Sanierungsgebiete in der Bautzener Innenstadt
71
Abb. 23
Branchenverteilung im Kornmarkt-Center
80
Abb. 24
Blick in die Schulstraße aus westlicher Richtung
83
Abb. 25
Blick in die Schulstraße aus östlicher Richtung
83
Abb. 26
Durchwegbarkeit des Kornmarkt-Centers und der angrenzenden Straßen
85
Abb. 27
Marktgebiet des Bautzener Einzelhandels
87
Abb. 28
Konflikte der Akteure im Bautzener Einzelhandel
92
Abb. 29
Nutzungen in der Bautzener Innenstadt im Jahr 2005
96
Abb. 30
Nutzungen im Bereich der Altstadt im Jahr 2005
97
Abb. 31
Nutzungen im Bereich der Neustadt im Jahr 2005
97
Abb. 32
Einzelhandelsnutzungen in der Altstadt im Jahr 2005
98
Abb. 33
Leerstände im Bereich der Altstadt im Jahr 2005
99
Abb. 34
Einzelhandelsnutzungen in der Neustadt im Jahr 2005
100
Abb. 35
Blick in die Karl-Marx-Straße im Mai 2005
101
Abb. 36
Leerstände im Bereich der Neustadt im Jahr 2005
103
Abb. 37
Einzelhandel und Dienstleistungen im Vergleich
104
Abb. 38
Einzelhandel und Dienstleistungen im räumlichen Vergleich 106
Abb. 39
Branchenverteilung der angeschriebenen Einzelhändler
111

vi
Abb. 40
Rücklaufquoten innerhalb der Einzelhandelsbranchen im Vergleich zur
tatsächlichen Branchenverteilung im Jahr 2005
112
Abb. 41
Rücklauf der Fragebögen nach dem Zeitpunkt der Geschäfts-
ansässigkeit und der räumlichen Lage des Einzelhandelsbetriebes
113
Abb. 42
Zufriedenheit der Einzelhändler mit der Umsatzentwicklung, der
Kaufbereitschaft und der Zahl der Kunden seit den letzten fünf Jahren
114
Abb. 43
Konkurrenz-Standorte der Einzelhändler
115
Abb. 44
Räumliche Darstellung der Einzelhändler, die angaben,
im Kornmarkt-Center einen Konkurrenz-Standort zu sehen
116
Abb. 45
Durchgeführte oder geplante Veränderungen in den
Einzelhandelsgeschäften aufgrund des Kornmarkt-Centers
116
Abb. 46
Zufriedenheit der Einzelhändler mit verschiedenen Aspekten
des Bautzener Einzelhandels
118
Abb. 47
Räumliche Lage der Händler, die sich unzufrieden mit der
Parkplatzsituation in der Innenstadt zeigten
118
Abb. 48
Einschätzung des Warenangebotes durch die Einzelhändler 119
Abb. 49
Einschätzung der Einzelhandelsentwicklung im Zusammenhang
mit den angebotenen Waren der Einzelhändler
120
Abb. 50
Blick auf die Altstadt im Oktober 1995 aus südöstlicher Richtung 126
Abb. 51
Blick auf die Altstadt im Jahr 2000 aus südwestlicher Richtung 127
Abb. 52
Blick auf die Südfassade des Kornmarkt-Centers
127
Tabellenverzeichnis
Seite
Tab. 1
Einkaufsverhaltensweisen
7
Tab. 2
Einbetriebs- und Filialunternehmen im Lebensmitteleinzelhandel
23
Tab. 3
Situation in der Altstadt zu Beginn der Sanierung
68
Tab. 4
Situation in der Altstadt im Jahr 2005/2003
70
Tab. 5
Einwohnerverteilung im Markgebiet der Stadt Bautzen
86
Tab. 6
Einzugsbereich des Einzelhandels nach Berechnung der ECE
87
Tab. 7
Systematik der Nutzungskartierung
95
Tab. 8
Veränderung der Branchenstruktur
106
Tab. 9
Begründungen zur Einschätzung der Einzelhandelsentwicklung 122

vii
Danksagung
Für die mannigfaltige Unterstützung bedanke ich mich bei folgenden Personen und
Institutionen, da ohne sie diese Untersuchung in diesem Umfang nicht hätte erstellt
werden können (in alphabetischer Reihenfolge):
Dr. S. Altemöller, Düsseldorf
Herrn Frank Bönisch, Frankfurt am Main
Frau V. Denzer, Leipzig
Meinen Eltern Gudrun und Leonhard Franke, Melle
Meiner Schwester Sabine Franke, Melle
Frau Galova, Kornmarkt-Center Bautzen
Herrn Clemens Geisel, Leipzig
Herrn Wolfgang Geisel, Reutlingen
Frau Susanne Haenchen, Hochkirch
Frau Julia Kahlo, Leipzig
Herrn Gottfried Keller, Bautzen
Herrn Ullrich Keller, Bautzen
Herrn Thomas Lang, Frankfurt am Main
Frau Roswitha Mersiovsky, Bautzen
Herrn Peter Münch, Frankfurt am Main
Herrn Dr. Jürgen Prescher, Industrie- und Handelskammer Dresden
Herrn Hagen Rech, Stadtverwaltung Bautzen
Frau Karin Ruoff, Rosenfeld
Sächsische Zeitung, Redaktion Bautzen
Prof. Dr. I. Schickhoff, Frankfurt am Main
Herrn Rainer Scholze, Innenstadt Bautzen e.V.
Frau Anita Spata, Innenstadt Bautzen e.V.
Herrn Wilhelmus, ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG, Hamburg
Frau Angela Wolf, Stadtverwaltung Bautzen
Herrn Wolfgang Zettwitz, Stadtverwaltung Bautzen
Des Weiteren danke ich meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen für unser privat
organisiertes Diplomanden-Kolloquium und allen, die ich eventuell vergessen habe,
aufzuführen.

1
I Einleitung
1 Problemskizzierung
Die Situation des Einzelhandels in den deutschen Innenstädten ist äußerst kom-
plex. Um gegen die Handelskonkurrenz auf der ,,grünen Wiese" bestehen zu kön-
nen, versuchen ostdeutsche Kommunen häufig wieder ein neues Gesicht in Form
einer ,,neuen Mitte" zu finden.
Westdeutsche Kommunen hingegen, deren Innenstädte seit dem Ende des Zwei-
ten Weltkriegs nach rein ökonomischen Gesichtspunkten entwickelt wurden
(,,Böse Zungen behaupten: ,Die Innenstadt wurde zum Warenlager mit bester Er-
reichbarkeit degradiert'"
1
), suchen vielmehr einen Weg aus der monofunktionalen
Nutzung ihrer Innenstädte, und somit häufig auch aus einer gewissen Profillosig-
keit, herauszukommen.
So unterschiedlich die Probleme von ost- und westdeutschen Kommunen auch
sein mögen, zwei verbindende Elemente finden sich sowohl im Osten als auch im
Westen der Republik:
Der Einzelhandel, welcher je nach der wirtschaftlich geographischen
Bedeutung der Stadt mehr oder weniger ausgeprägt ist.
Gleichzeitig mit einhergehend, die Krise im deutschen Einzelhandel.
Doch trotz der Flaute und aller Krisenstimmung im Einzelhandel gibt es ein paar
Akteure im Marktgeschehen, die jeder Krise trotzen und die sich besonders den
Weg in die Innenstädte suchen ­ die Investoren des Handels- und Freizeitbe-
reichs.
Erst genannte Investoren betreten als Entwickler von Shopping-Centern die kom-
munalen Bühnen und versprechen den städtischen Akteuren, ,,Heilsbringer"
2
für
die kommunale Krise und den lokalen Einzelhandel zu sein. Das Heil wird ihnen in
Form von Shopping-Centern angepriesen, allerdings jetzt, im Gegensatz zu frühe-
ren Center-Entwicklungen, fast nur noch an innerstädtischen, also zumeist integ-
rierten Standorten (vgl. Kap. 3.1.3).
1
Junker/Kühn (1997), S. 736
2
Karl (2005), S. 8

2
So auch geschehen in der ostsächsischen Stadt Bautzen/Budysin
3
, welche den
Untersuchungsraum dieser Arbeit
4
darstellt: Dort eröffnete im September 2000 an
einem höchst integrierten Standort, am Schnittpunkt zweier traditioneller Einzel-
handelsstandorte, ein Shopping-Center des Branchenprimus ECE
5
seine Pforten.
Wie schon bei anderen Center-Eröffnungen, bewegten und bewegen sich auch in
Bautzen die Meinungen der Akteure zwischen starkem Misstrauen und größtem
Zutrauen hinsichtlich des neuen ,,Heilsbringers" ­ und dies sowohl während des
Planungsprozesses, bei der Einweihung als auch noch mehr als fünf Jahre nach
Eröffnung des Shopping-Centers (vgl. Kap. 7.1).
2 Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit
Nach mehr als fünf Jahren gilt es nun, in Bautzen Bestand aufzunehmen. Welche
Befürchtungen der Akteure hinsichtlich des Shopping-Centers haben sich bewahr-
heitet, welche haben sich als unberechtigt erwiesen?
Diese vorliegende Bestandaufnahme fragt nach den Handlungsfolgen, die sich für
zwei Akteure im Einzelhandel, Einzelhändler und Konsumenten, ergaben.
Inwieweit kam es zu Veränderungen der lokalen Einzelhandelsstrukturen- in qua-
litativer als auch in quantitativer Sicht?
Vorrangiges Ziel dieser Arbeit ist es, die Handlungen auf der Anbieterseite im
Bautzener Einzelhandel zu analysieren und hieraus für die Einzelhändler Emp-
fehlungen abzuleiten. Dies ist besonders notwendig, da gerade in Bautzen noch
der lokal gewachsene mittelständische Handel präsent ist. Dieser wurde noch
nicht vollständig durch eine filialisierte Einzelhandelslandschaft ersetzt.
Leider hat sich der, häufig alteingesessene, ortsansässige Handel wie das Kanin-
chen vor der Schlange in eine passive, ausharrende Position manövriert: Einer-
seits bemängelt ein Großteil der ortsansässigen Händler die ,,Amerikanisierung
der Stadt"
6
durch das Shopping-Center, wagt es aber andererseits nicht, Verände-
3
Budysin ist das sorbische Wort für Bautzen (vgl. Kap. 5.1). Im Folgenden wird aus Gründen der
Vereinfachung fast ausschließlich die deutsche Bezeichnung gebraucht.
4
Die Möglichkeit zur Untersuchung der Bautzener Einzelhandelsentwicklung ergab sich für den
Verfasser, da er im Januar 2005 an einer Exkursion von Dr. V. Denzer nach Ostsachsen teilnahm.
5
Das Unternehmen wurde 1965 von Prof. Dr. Werner Otto gegründet. Der damalige Firmenname
lautete ,,KG Einkaufs-Center Entwicklung mbH". Hieraus wurde sehr schnell das Kürzel ,,ECE"
abgeleitet, unter welchem das Unternehmen bis heute firmiert.
6
Aussage eines Einzelhändlers während eines informativen Telefongesprächs mit dem Verfasser
am 04.01.2006. Der Name wird hier nicht genannt, um die Anonymität zu gewährleisten.

3
rungen in seinem Handelsgeschehen vorzunehmen. Stattdessen werden eventu-
elle Veränderungen abgewartet. Wenn diese Veränderungen zu Gunsten der In-
haber geführten Geschäfte sind, werden sie für gut befunden. Sind diese jedoch,
und sei es auch nur vermeintlich, zu Lasten der Händler, so geht ein Murren durch
deren Reihen.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Besitzer der alteingesessenen Geschäfte aus
ihrer Passivität herauszuführen und ihnen aufzuzeigen, dass nur ein aktives Ge-
stalten sie vor der vermeintlich übermächtigen Schlange, die hier die Gestalt eines
Shopping-Centers hat, retten kann (vgl. Kap. V).
Agieren statt Reagieren muss
die Botschaft sein.

4
II Einzelhandel und Konsument: Theoretische
Überlegungen
3 Grundlegende
Entwicklung
3.1 Handel im Wandel
In diesem Kapitel werden die grundsätzlichen Entwicklungen betrachtet, die zu einer
veränderten Einzelhandelslandschaft in der Vergangenheit beigetragen haben und
diese bis heute noch in Bewegung halten. Die Veränderungen werden sowohl aus
dem Blickwinkel der Konsumenten vorgenommen, als auch aus der des Einzelhan-
dels.
3.1.1 Vom Versorgungs- zum Erlebniseinkauf
Einkauf bedeutet schon lange nicht mehr, sich ,,mal eben kurz zu versorgen". Selbst
der tägliche Einkauf ist bereits deutlich emotionalisiert: Es reicht nicht, eine Zahnpasta
mit der bloßen Aufschrift ,,Ajona, 25 ml" zu verkaufen. Die Tube muss mindestens mit
dem auffälligen Etikett ,,Odol-med 3, klinisch getestet, 3fach-Prophylaxe gegen Karies-
Paradontose-Zahnsteinbildung, 75 ml", versehen sein, damit der Käufer zugreift.
Dieses Beispiel verdeutlicht, wie sehr das Einkaufen selbst alltäglicher Dinge Verän-
derungen unterworfen ist. In diesem Kapitel werden diese Veränderungen, und wie es
zu ihnen kam, aufgezeigt.
Bevor nun das Konsumentenverhalten betrachtet wird, soll untersucht werden, welche
Faktoren Einfluss auf das Kaufverhalten haben. Hierzu werden in einer ersten sche-
matischen Übersicht die unterschiedlichen Faktoren dargestellt (vgl. Abb. 1). Nach
KÖLZER/SCHMITZ
7
und HEINRITZ/KLEIN/POPP
8
lässt sich eine Einteilung der Ein-
flussfaktoren auf das Kaufverhalten nach den beobachtbaren und den nicht-beo-
bachtbaren (psychischen Determinanten) Faktoren vornehmen, die in der Summe
Einfluss auf die Einkaufsstättenwahl, die Produktwahl und auf die Einkaufsstätten-
treue haben.
7
vgl. Kölzer/Schmitz (1996), S. 61 ff.
8
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 127

5
Abb. 1
Struktur des Einkaufverhaltens; verändert nach: Kölzer/Schmitz (1996), S. 62 und
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 127
Teil des Kaufentscheidungsprozesses ist die Informationssuche des Konsumenten.
Die Autoren stellen hier lediglich eine Verbindung zu den Werbemaßnahmen des Ein-
zelhandels her. Hier sollte allerdings betont werden, dass die Informationssuche noch
über weitere Kanäle, wie z.B. das Internet, vollzogen werden kann.
Wie aus Abb. 1 deutlich wird, gehört der gesamte Prozess der Kaufentscheidung zu
den nicht-beobachtbaren Einflussgrößen auf das Kaufverhalten. Er lässt sich ,,in die
Produktwahl einerseits und in die Wahl einer geeigneten Einkaufsstätte andererseits"
9
aufteilen.
Beginn des Entscheidungsprozesses ist die Feststellung des Konsumenten, dass der
Bedarf eines bestimmten Produktes vorliegt (vgl. Abb. 2). Für die Wahl der Einkaufs-
stätte spielt dieses Produkt eine enorm wichtige Rolle. Zur Verdeutlichung sollen an
dieser Stelle zwei Beispiele genannt werden.
Der Kauf eines Anzuges oder der Alltagskleidung: Für den Anzug wird ein Kon-
sument bereit sein, einen weiteren Anfahrtsweg auf sich zu nehmen; für die
Alltagskleidung wird er lediglich kürzere Wege akzeptieren und den Kauf nach
Möglichkeit mit anderen Besorgungen, wie z.B. dem Lebensmitteleinkauf, kop-
peln.
9
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 124

6
Nahrungsmittel für eine Geburtstagsfeier oder für den täglichen Bedarf: Soll
eine Geburtstagsfeier ausgerichtet werden, müssen andere, eventuell auch
zusätzliche Geschäfte, aufgesucht werden, als die des täglichen Bedarfs.
10
HEINRITZ/KLEIN/POPP stellen die Entscheidungsstufen, die ein Konsument durch-
läuft, getrennt nach dem Prozess der Kaufentscheidung und der Einkaufsstättenwahl
wie folgt dar (vgl. Abb. 2):
Abb. 2
Prozesse der Kaufentscheidung und Einkaufsstättenwahl; nach: Heinritz/Klein/Popp (2003),
S. 125; eigene Darstellung
Diese sehr rationale Einschätzung der Entscheidungsverläufe schließt allerdings
emotionale Entscheidungen des Kunden aus. Sie berücksichtigt beispielsweise nicht,
dass ein Konsument auch einen sekundären Anlass haben kann, wenn er Einkaufen
geht (als sekundärer Anlass wird der Wunsch des Konsumenten, die Einkaufsstätte
als Freizeit- und Erlebniskulisse nutzen zu können, eingestuft
11
).
Die Möglichkeit, dass eine Besorgung auch einen sekundären Anlass haben kann,
macht deutlich, wie stark Käuferverhalten differieren können.
Auf Grund dieser Tatsache unterscheidet KULKE
12
zwischen vier verschiedenen Ein-
kaufsverhaltensweisen. Dies sind der Versorgungseinkauf, der Preiseinkauf, der Um-
welteinkauf und der Erlebniseinkauf (vgl. Tab. 1).
10
nach: Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 125
11
nach: ebd., S. 125
12
Kulke (2002), S. 257

7
Einkaufsverhaltensweise
Orientierung des Konsumenten
Beispiel
Versorgungseinkauf
Nächste Einrichtungen mit ent-
sprechendem Angebot
Kleiner Supermarkt in der
Nähe der Wohnung
Preiseinkauf
Läden mit niedrigen Preisen
Discounter
Erlebniseinkauf
Standorte mit vielfältigem und er-
gänzendem Angebot
Shopping-Center
Umwelteinkauf
Erfolgt in Geschäften mit vorwiegend
umweltschonenden Artikeln
Bio-Supermarkt
Tab. 1 Einkaufsverhaltensweisen; nach: Kulke (2002), S. 257; eigene Darstellung
Für die vorliegende Untersuchung ist es notwendig, die Betrachtung auf den ,,Versor-
gungseinkauf" und den ,,Erlebniseinkauf" zu reduzieren. Diese Formen des Einkaufs
haben im Wesentlichen auf der Konsumentenseite zur Veränderung der lokalen Ein-
zelhandelsstrukturen in Bautzen beigetragen (vgl. Kap. 7).
Der Wandel vom Versorgungseinkauf zum Erlebniseinkauf zählt zu den ,,wichtigsten
Änderungen nachfrageinduzierter Faktoren"
13
im deutschen Einzelhandel. Nach PÜTZ
und KULKE stellt sich der Strukturwandel im Einzelhandel, hier nur betrachtet aus
dem Blickwinkel der Nachfrageseite, wie folgt dar (vgl. Abb. 3):
Abb. 3
Nachfrage induzierter Strukturwandel im Einzelhandel; nach Pütz (1998), S. 13 und Kulke (1996),
S. 9, eigene Darstellung
PÜTZ und KULKE beziehen ihre Darstellung lediglich auf Westdeutschland, allerdings
ist davon auszugehen, dass dieser Prozess in einem veränderten Zeitrahmen auch in
den neuen Bundesländern stattfand.
14
13
Pütz (1998), S. 13
14
Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt nicht eventuelle Disparitäten im Strukturwandel des
Einzelhandels zwischen Ost- und Westdeutschland, da dies nicht Gegenstand dieser
Untersuchung ist.
- steigende Einkommen der Verbraucher
- zugleich zunehmende Polarisierung der Einkommensentwicklung
- Rückgang der über den Einzelhandel verausgabten Einkommensanteile
- gestiegene PKW-Verfügbarkeit der Bevölkerung (ca. 1,2 PKW je Haushalt im
Jahr 2003 vergrößerte die räumliche Flexibilität der Verbraucher)
- zunehmend polarisierendes Einkaufsverhalten
- gleichzeitige Ausdifferenzierung segmentierter Konsummuster und
Konsumentengruppen

8
Deutlich wird der Strukturwandel im Einzelhandel durch die Einbeziehung eines aktu-
ellen Zahlenspiegels des ,,Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels e.V." (HDE).
Hiernach ist der Anteil des Einzelhandelsumsatzes an den privaten Konsumausgaben
von 1992 bis 2004 von 38,2% auf 28% zurückgegangen. Dennoch gewannen Le-
bensmitteldiscounter, die im weitesten Sinne den Preis- bzw. Versorgungseinkauf
repräsentieren, weiterhin einen Marktanteil am gesamten Einzelhandelsumsatz im
Zeitraum 2000 bis 2004 von 2,2% hinzu. Das Shopping-Center als ein Vertreter des
Erlebniseinkaufs erfuhr in diesem Zeitrahmen eine ebenfalls positive Entwicklung. So
stieg die Anzahl der Shopping-Center in Deutschland von 279 im Jahr 2000 auf 352
im Jahr 2004.
Betrachtet man die Einzelhandelsentwicklung lediglich in Bezug auf den Lebensmit-
telbereich, stellt man fest, dass die Zahl der Discounter im Jahr 2000 bei 12.970 in
Deutschland lag, 2004 aber bereits 14.214 betrug. Parallel und konträr hierzu zeichnet
sich ein Rückgang der ,,klassischen" Inhaber geführten Lebensmittelgeschäfte ab:
Hier ging die Gesamtzahl um 8.550 von 45.900 (2000) auf 37.350 Geschäfte im Jahr
2004 zurück
15
.
Ein weiterer Faktor, der ebenfalls wesentlich zum Bedeutungszuwachs des Erlebnis-
einkaufs beitrug, sind neue Zeit-Räume des Menschen. Durch neue (Frei-) Zeitver-
wendungsstrukturen, die sich durch kürzere und flexiblere Arbeitszeiten ergaben, ist
ein ,,Trend zu fortwährender (Freizeit-)Aktivität"
16
in der Gesellschaft abzulesen. Im
Einzelhandel begann dieser Prozess mit der Einführung des ,,langen Donnerstags" im
Jahr 1992.
Immerhin 19% der Bundesbürger gingen am Donnerstagabend vor 14 Jahren ein-
kaufen, übertroffen wurde dies nur vom samstäglichen Einkauf, den 24% der Bundes-
bürger wahrnahmen.
17
Somit kündigte sich bereits mit der Einführung der späten Ein-
kaufsmöglichkeit am Donnerstag ,,eine Verschmelzung von Obligationszeiten mit Frei-
zeitelementen an. Dies gilt [...] für die Motivation und das Arrangement des ,Erlebnis-
einkaufs' [...]."
18
Insgesamt erfuhr ­ und erfährt immer noch ­ das Gegensatzpaar ,,Arbeit" und ,,Frei-
zeit" einen deutlichen Bedeutungswandel: In den Wirtschaftswunderjahren arbeitete
man um zu überleben, im 21. Jahrhundert arbeitet man für das Erleben. Die freie Zeit
ist ein wesentliches Sinn stiftendes Element in der arbeitenden Bevölkerung gewor-
den, welches sicherlich auch noch als Ausgleich zur Erwerbsarbeit dient. Zusätzlich
15
Zahlen nach: HDE (2005), S. 6 ff.
16
Scholz/Wolf (1999), S. 82
17
Zahlen nach: Scholz/Wolf (1999), S. 82
18
Scholz/Wolf (1999), S. 82

9
werden im 21. Jahrhundert über Freizeitstile und Freizeitverhalten eigene Lebensstile
kreiert. So stellt GERHARD fest, dass es sich ,,um eine Balanceverschiebung zwi-
schen einer materiellen und immateriellen Werteordnung [handelt], die seit dem
Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat."
19
Wie konnte es zu dieser Balanceverschiebung kommen?
Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren für die Menschen in Deutschland durch
die Sorge um die eigene Existenz geprägt. Ihre Häuser waren zerstört, die Infrastruk-
tur in Deutschland nicht mehr vorhanden und Lebensmittel waren Mangelware. Neben
dem Wiederaufbau des zerstörten Landes gestaltete sich der Nachkriegsalltag durch
das Warten auf ein Brot oder ein Stück Fleisch (vgl. Abb. 4).
Allerdings hielt dieser Zustand der Entbehrungen nicht allzu lange an, denn bereits
Ende der vierziger Jahre eröffneten in den Städten wieder die ersten Kaufhäuser und
Geschäfte mit Waren des mittelfristigen Bedarfs, wie z.B. Bekleidungsgeschäfte
(vgl. Abb. 5).
Abb. 4
Links: Warteschlange vor einer Metzgerei (1946); Abb.: Nordmeyer (2000), S. 29
Abb. 5
Rechts: Wieder eröffnetes Hutgeschäft (1947); Abb.: Nordmeyer (2000), S. 33
Mit den ersten vorsichtigen Anzeichen des Wirtschaftswunders setzte langsam auch
ein Wertewandel ein. Die Menschen hatten wieder ein Dach über dem Kopf und aus-
reichend zu essen. Das bedeutete, ,,sobald man sich nicht mehr um sein Überleben
zu kümmern braucht, beginnt man, sich mit sich selbst zu beschäftigen und Raum für
die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zu beanspruchen."
20
Die Entwicklung der
eigenen Persönlichkeit geschah in den fünfziger und sechziger Jahren auf, nach heu-
tigen Maßstäben, sehr zurückhaltende Weise. Glück und Erfüllung fanden die Men-
schen durch ihr Eigenheim, mit den eigenen Kindern, bei einer ,,Spritztour" mit dem
neuen Motorroller oder beim Sonntagsausflug mit dem ,,VW Käfer" (vgl. Abb. 6).
19
Gerhard (1998), S. 21
20
Schulze (2000), S. 87

10
Abb. 6
Links: Paar mit Kind, Eigenheim und Roller (Bonn, 1955); Abb.: Honnef (1997), S. 53
Abb. 7
Rechts: Familie beim Picknick in der Eifel (1953); Abb.: Honnef (1997), S. 52
Am Ziel der Ausflüge stand auch nicht, im Gegensatz zum Leben im 21. Jahrhundert,
der Besuch einer ,,Erlebnisbäderlandschaft" oder das Shoppen am verkaufsoffenen
Sonntag. Man picknickte im Grünen bei Kaffee und selbst gebackenem Kuchen
(vgl. Abb. 7).
21
Diese anfänglich noch zarte Erweiterung der Möglichkeiten führte im Laufe der Jahr-
zehnte zum kategorischen Imperativ unserer Zeit
22
, den SCHULZE mit den Worten
,,Erlebe Dein Leben!"
23
beschreibt.
Hinter diesem ,,Befehl" stehen die ,,Veränderungen in den Wertorientierungen der
Menschen besonders deutlich"
24
, die den Wandel des Konsumverhaltens nachhaltig
mit beeinflusst haben.
Auch STEINECKE stellt eine Veränderung der Werteordnung als Voraussetzung für
die Entstehung des Erlebniskonsums ,,als Gegenpol zum bisherigen Versorgungskon-
sum"
25
fest. HENNINGS beschreibt den gesellschaftlichen Wertewandel wie folgt: es
ließe sich feststellen, ,,daß individuelle und gesellschaftliche Pflicht- und Akzeptanz-
werte an Bedeutung verlieren und sog. Selbstentfaltungs- und Engagementwerte an
Bedeutung gewinnen."
26
21
Diese beschriebene Entwicklung gilt natürlich v.a. für Westdeutschland. Für das Gebiet der
ehemaligen DDR gelten andere Rahmenbedingungen, die aber für diese Untersuchung nicht von
grundlegender Bedeutung sind.
22
nach: Schulze (2000), S. 59
23
Schulze (2000), S. 59
24
Hennings (2001), S. 55
25
Steinecke (2001), S. 332
26
Hennings (2000), S. 55

11
Zu diesen traditionellen Werten zählt HENNINGS Disziplin, Gehorsam, Leistung, Ord-
nung, Pflichterfüllung, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, Pünktlichkeit etc.
27
,
landläufig auch ,,Preußische Tugenden" genannt.
Die neue Werteordnung teilt HENNINGS in drei Gruppen ein, wovon die Werthaltun-
gen des Hedonismus und des Individualismus besonders zu einem veränderten Kon-
sumverhalten beitrugen:
28
-
Werthaltungen einer idealistischen Gesellschaftskritik
(Emanzipation, Gleichbehandlung, Partizipation etc.)
-
Werthaltungen des Hedonismus
(Streben nach Sinneslust, wie z.B. Genuss, Abenteuer, Spannung, Ab-
wechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse etc.)
-
Werthaltungen des Individualismus
(Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit etc.)
Die zuvor beschriebenen Veränderungen der Werteordnung, werden auch von den
Anbietern im Einzelhandel berücksichtigt. Dies manifestiert sich u.a. in der Tatsache,
dass nicht mehr allein der Nutzwert eine Ware oder Dienstleistung auszeichnet, son-
dern der Wert einer Ware oder Dienstleistung ergibt sich aus dem emotionalen Zu-
satznutzen.
Beispielsweise hat die Douglas Holding AG
29
die Tatsache erkannt, dass vorwiegend
der Zusatznutzen den Wert eines Produktes bestimmt. Nach Aussage von Dr. Jörn
Kreke als Vorsitzendem des Aufsichtsrates der Douglas Holding AG (sie wirbt mit dem
Slogan ,,Douglas Holding ­ Handel mit Herz und Verstand"
30
) setzen die angeschlos-
senen Unternehmen der Douglas Holding ,,konsequent auf Qualität, schöne Läden,
fröhliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und wir bieten unseren Kunden ,Wohlfühl-
Erlebnisse'."
31
Aber: Es muss konstatiert werden, dass das Erlebnis während des Einkaufs nicht vom
,,Kunden oder vom Handel geplant werden"
32
kann. Lediglich durch ,,äußere Reize im
27
nach: Hennings (2000), S. 56
28
Hennings (2000), S. 56
29
Zur Douglas Holding AG gehören die Douglas-Parfümerien, Thalia-Buchhandlungen, Christ-
Juweliere, die Bekleidungsgeschäfte ,,Pohland" und ,,Appelrath-Cüpper" sowie die Süßwaren-
Fachgeschäfte ,,Hussel"
30
http://www.douglas-holding.de, Download vom 13.12.2005
31
Kreke (2005), S. 8
32
Frehn (1998), S. 7

12
Geschäft oder im Umfeld"
33
besteht die Möglichkeit, ,,Empfindungen beim Kunden
hervorzurufen, die den Einkauf zum Erlebnis machen."
34
Einschränkend macht GERHARD aber deutlich, dass eine scharfe Trennung der bei-
den Einkaufsarten nicht möglich ist, sondern es sich in der Regel um einen fließenden
Übergang handelt und der Freizeitaspekt mit der tendenziellen Ausrichtung des Ein-
kaufs zu- oder abnimmt (vgl. Abb. 8).
Abb. 8
Versorgungs- und Erlebniseinkauf; verändert nach: Gerhard (1998), S. 27; eigene Darstellung
In GERHARDS Klassifizierung bezeichnet sie das ,,quartermastering", was wörtlich
aus dem amerikanischen Englisch mit ,,sich für ein Quartal versorgen" übersetzt wer-
den kann, als die extremste Versorgungsfunktion. Hier werden ,,lebensnotwendige
Güter routinemäßig erworben"
35
.
Auf der nächsten Ebene ist das so genannte ,,technical shopping" angeordnet, wel-
ches den Kauf von ,,brauner Ware" (Unterhaltungselektronik) umfasst. Die Besorgung
dieser Geräte erfolgt zwar geplant, dennoch bereitet dies dem Konsumenten bereits
beim Kauf ein Vergnügen, welches sich oft noch zu Hause fortsetzt ­ beispielsweise
in der Erlebnis orientierten Benutzerführung der elektronischen Geräte.
Ein noch weitaus höheres Vergnügungspotenzial bietet das ,,expressive shopping".
Nimmt man wiederum die wörtliche Übersetzung ,,ausdrucksvolles Einkaufen", so wird
auch die Bedeutung des Vergnügens deutlich: Hier werden Bekleidung, Schuhe,
Schmuck etc. eingekauft. Mit den erworbenen Waren drückt ein Konsument einen
33
Frehn (1998), S. 7
34
ebd., S. 7
35
Gerhard (1998), S. 27

13
bestimmten Lebensstil aus (vgl. den Schluss dieses Kapitels) bzw. meint damit ein
bestimmtes Bild nach außen zu verkörpern.
Am anderen Ende der Skala ist das ,,recreational shopping" (,,der Erholung dienender
Einkauf") angeordnet. Dies bedeutet so viel wie ,,Einkaufengehen als reine Freizeitbe-
schäftigung, also ohne die Notwendigkeit, Besorgungen erledigen zu müssen, oder
anderen Zwängen zu unterliegen."
36
Das letzt genannte Beispiel des ,,Erholungseinkaufs" verdeutlicht, wie sehr bei diesem
Einkaufsverhalten der Verbraucher ,,aus dem Bauch" entscheidet. Um diese Entschei-
dungen zu stimulieren, wird auf der Anbieterseite versucht, die menschlichen Sinne
(Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken) anzusprechen: denn ,,je mehr davon
angesprochen werden, desto stärker können wir ein Erlebnis wahrnehmen."
37
Einkaufslandschaften müssen, nach BEINSTEIN/MAURER, zu einer Bühne werden,
wobei das Bühnenbild aus vier Aspekten besteht: Ästhetik, Realitätsflucht, Bildung
und Unterhaltung. Diese vier Elemente lassen sich wiederum in die passive und aktive
Form des Erlebens einordnen.
Die Ästhetik des Bühnenbildes beschreibt eine stimmige Atmosphäre, durch die die
Unterhaltung der Konsumenten besonders gut geschieht. Sowohl die Atmosphäre als
auch die Unterhaltung nimmt der Kunde passiv wahr.
Die Möglichkeiten zur Bildung und zur Realitätsflucht während des Einkaufs verlangen
hingegen seine aktive Beteiligung. Bilden können sich die Kunden während des Ein-
kaufs insoweit, dass sie unter Umständen gewisse Erkenntnisse gewinnen können,
wie z.B. ,,In diesem Geschäft gehe ich wieder einkaufen, weil ich dort in einer ange-
nehmen Atmosphäre einkaufen gehen konnte."
38
Insgesamt nutzen die Anbieter von Erlebniseinkäufen folgende menschliche Eigen-
schaften: Es gilt 1.) Bedürfnisse wecken, 2.) den Wunsch nach Ablenkung vom Alltag
aufgreifen und 3.) die zunehmende Individualität der Menschen berücksichtigen.
39
1. Bedürfnisse
Unter dem Bedürfnis ,,wird ein Gefühl des Mangels verstanden, und zwar mit
dem Bestreben, dieses Mangelgefühl zu beseitigen."
40
Auf das Bedürfnis nach
Geselligkeit und Zuwendung kann der Handel über die persönliche Ansprache
durch den Verkäufer reagieren oder der Möglichkeit, dass der Kunde mit ande-
ren Kunden ins Gespräch kommt. Als Konsequenz für den Handel folgt daraus,
36
Gerhard (1998), S. 27
37
Beinstein/Maurer (2002), S. 143
38
nach: Bernstein/Maurer (2002), S. 143
39
nach: Kölzer/Schmitz (1996), S. 70 ff.
40
Kölzer/Schmitz (1996), S. 72

14
dass auf das Bedürfnis ,,Selbstverwirklichung" beispielsweise mit einer ent-
sprechend Erlebnis orientierten Ladengestaltung oder mit verschiedenen Akti-
onen und Veranstaltungen in den Geschäften reagiert werden kann.
2. Ablenkung vom Alltag
Der Handel soll den ,,Konsumenten aus seiner allzu bürokratisch und ratio-
nal erscheinenden Welt [...] entführen, um ihm eine kleine Phantasiewelt zu
zeigen."
41
Als Beispiel nennen KÖLZER/SCHMITZ hier die Inszenierung
von kleinen Warenwelten, wie z.B. der Verkauf französischen Weines und
Käse am Fuße eines kleinen imitierten Eifelturms.
3. Individualität
Der Wunsch des Konsumenten, sich trotz immer ähnlich werdender Pro-
dukte von anderen Konsumenten abzuheben, wird immer stärker werden.
Individualität kann kaum noch über Produkte ausgedrückt werden, lediglich
über die Form des Einkaufs: ,,Hierbei ist Individualität [...] als ein Wunsch zu
verstehen, aus einem vielfältigen Angebot frei wählen zu können und ,per-
sönlich' bedient zu werden (mit Namen anreden, wissen, was der Kunde
vor einem halben Jahr gekauft hat [...])."
42
Individualität ist auch ein wichtiges Merkmal unterschiedlicher Lebensstile. Wie bereits
zuvor erwähnt, ist Individualität Teil einer neuen Werteordnung und Grund dafür, dass
der Versorgungskonsum zumindest partiell vom Erlebniskonsum abgelöst wurde. Für
die Erforschung von Konsumgewohnheiten stellt dieser gesellschaftliche Wandel
ebenfalls eine wichtige Änderung dar:
,,Sparen, Spaß und Spannung sind dem deutschen Bürger wichtig. Doch welche Le-
bensstile stehen dahinter?"
43
fragt die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in ei-
ner Pressemitteilung vom 18. Februar 2002. Was aber ist unter dem Begriff Lebensstil
zu verstehen?
Der Begriff der Lebensstile kann als eine Ablösung vom Konzept der ,,Klassengesell-
schaft" gesehen werden, wie dies noch zu Zeiten der Studentenbewegung Ende der
1960er Jahre in der Bundesrepublik aktuell war. Verkürzt lässt sich dieses Konzept
am besten über einige Gegensatzpaare wie ,,Herrschende - Beherrschte", ,,Arme -
41
Kölzer/Schmitz (1996), S. 346
42
ebd., S. 364
43
http://www.gfk.de (Download vom 25.03.2006)

15
Reiche" oder ,,Ausbeuter - Ausgebeutete" beschreiben. Bereits 20 Jahre später reichte
aber das schwarz-weiße Bild vom armen, ausgebeuteten Arbeiter und den ihn beherr-
schenden Ausbeuter nicht mehr zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Von nun an ,,konzentrierten sich Sozialstrukturanalysen auf dem Hintergrund von
Thesen über einen mit dem gesellschaftlichen Formationswandel einhergehenden
,Individualisierungsschub' zunehmend auf die Differenzierung der Lebensstile sozialer
Gruppen"
44
.
Eine einfache Zuordnung einer sozialen Gruppe zu einem bestimmten Lebensstil ist
nur schwer möglich. Lediglich bei Anwendung allgemeiner Kriterien lassen sich Le-
bensstile beschreiben: sie ,,können als räumlich-zeitlich veränderliche Muster der Le-
bensführung verstanden werden, die sowohl von materiellen und kulturellen ,Ressour-
cen' als auch von der Familien- und Haushaltsform sowie den Einstellungen und
Werthaltungen abhängen."
45
Fasst man die Aussage von KRÄTKE zusammen, so kann festgehalten werden: Ein
Lebensstil ist ein bestimmtes Muster, sein Leben zu gestalten. Die Gestalt des Mus-
ters wird von materiellen Ressourcen (z.B. Geld) und den kulturellen Ressourcen (z.B.
der Grad der kulturellen Befähigung) bestimmt. Zusätzlich haben auf Form und Farbe
des Musters auch der familiäre Hintergrund (z.B. Bildungsgrad der Eltern) sowie die
Haushaltsform (z.B. Single-Haushalt oder Großfamilie) einen entscheidenden Ein-
fluss. Weitere Elemente, die dem Muster noch andere Ausdrücke aufprägen, sind die
persönlichen Einstellungen (z.B. für Mitmenschen da zu sein) und Werte (z.B. ,,Pünkt-
lichkeit ist eine Tugend") zu nennen.
Welch komplexes Bild sich aus diesen unterschiedlichen Elementen ergibt, verdeut-
licht die Lebensstilforschung des Marktforschungsinstituts SINUS. Das Sinus-Institut
in Heidelberg erforscht Lebenswelten von Menschen nach deren Alltagsbewusstsein
und Alltagshandeln. ,,Zentrales Ergebnis dieser Forschung ist die Abgrenzung und
Beschreibung von sozialen Milieus mit jeweils charakteristischen Einstellungen und
Lebensorientierungen."
46
Aufgrund dieser SINUS-Studie ergeben sich für Deutschland ,,zehn soziale Milieus,
nach denen die Gesamtbevölkerung aufgeteilt werden kann [...]."
47
Die Einteilung
erfolgt in zwei Kategorien: Zum einen wird eine Grundorientierung der Menschen, wie
z.B. die Orientierung an Traditionen, herangezogen. Zum anderen wird die soziale
44
Krätke (1995), S. 176
45
ebd., S. 176
46
Gerhard (2002), S. 94
47
ebd., S. 94

16
Lage der Menschen berücksichtigt. Diese grobe Einteilung ergibt ein äußerst differen-
ziertes Bild der Lebensweltmilieus.
Abb. 9
Soziale Milieus des SINUS-Instituts; verändert nach: Gerhard (2002), S. 97
Inwieweit ist nun die Einteilung der Gesellschaft in verschiedene Lebensstile objektiv
und kann sie der Lösung von Problemen dienen?
Die Einteilung in verschiedene Lebensstiltypen, im Gegensatz zum Begriff der Klasse,
bietet die Möglichkeit, ein breiteres Spektrum menschlicher Vielfalt abzubilden. Sie
umschreiben ,,die Ausdrucksformen der Daseinsentfaltung von sozialen Gruppierun-
gen und Personen im umfassenden Sinne."
48
3.1.2 Wandel der Betriebsformen
,,Tante Emma stirbt aus. [...]. Den Fleischer um die Ecke gibt es nicht mehr, und zum
Supermarkt dauert es eine halbe Stunde mit dem Auto. In vielen ländlichen Gegenden
wird der Weg zum Einkaufen für die Kunden immer länger."
49
So ein
Versorgungsszenario des Magazins ,,Stern" vom Juli des vergangenen Jahres, wel-
ches pointiert den Strukturwandel im Handel beschreibt.
Der Strukturwandel ist Gegenstand dieses Kapitels. In ihm wird den Gründen für
diesen Wandel nachgegangen und seine Folgen für die Umwelt bedacht. Im vo-
48
Werlen (2002), S. 322
49
http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/:Versorgung-Tante-Emma/543448.html
(Download vom 27.07.2005)

17
rangegangenen Kapitel wurden die Entwicklungen auf der Nachfrageseite (han-
delsexogene Faktoren) beleuchtet. Mit Betrachtung des Strukturwandels werden
nun die Veränderungen des Handels auf der Anbieterseite (handelsendogene
Faktoren) dargestellt.
Was charakterisiert den Handel als Oberbegriff des Einzelhandels?
,,Der Handel ­ häufig auch als Absatz- oder Distributionswirtschaft bezeichnet ­ ist
nun das Gewerbe, welches die Vermittlung von Angebot und Nachfrage organi-
siert."
50
Bleibt man beim Handel generell, so kann diese Vermittlung sehr vielfältig
aussehen. Es kann den Handel mit Blech zur Herstellung von Konservendosen
oder den Handel von Gemüse zur Befüllung derselben bedeuten. Auch der Handel
mit Papier, welches zur Etikettierung der Konservendose notwendig ist, zählt zum
Handelsgewerbe.
Nachdem die zuvor genannte Aufzählung den Handel im Großen ­ den Großhan-
del beschreibt, kann jetzt der Blick auf den Handel im Kleinen gerichtet werden.
Denn erst durch den Einzelhandel kommt die fertig hergestellte und befüllte Ge-
müsekonserve zum Verbraucher: ,,Der Einzelhandel zielt auf den Absatz von Wa-
ren an den sog. Letztverbraucher."
51
Er ist ,,als Absatz von Handelsware an private
Haushalte" definiert, ,,wobei die Absatzform [...] keine Rolle spielt."
52
Als unterschiedliche Absatzformen können nach KULKE das Ladengeschäft (sta-
tionärer Einzelhandel), Marktstände oder Verkaufswagen (ambulanter Handel) und
der Einkauf des Endverbrauchers per Katalog oder Internet (Versandhandel/E-
Commerce) bezeichnet werden.
53
Nach den zuvor genannten Definitionen könnte der Eindruck entstehen, der Ein-
zelhandel habe ausschließlich verteilende Funktion. Dieses wäre aber eindeutig
zu kurz gegriffen, da die volkswirtschaftliche Bedeutung des Einzelhandels über
die Verteilungsfunktion hinausreicht. Nach Angaben des Hauptverbandes des
Deutschen Einzelhandels e.V. (HDE) wurde im Jahr 2004 im Einzelhandel ein
Umsatz (ohne Umsatzsteuer) von 505 Milliarden Euro erzielt, was einem Anteil
von 22,9% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) darstellt. Insgesamt waren im Jahr 2004
im deutschen Einzelhandel 2,711 Millionen Frauen und Männer beschäftigt, wovon
50
Thomi (1998), S. 5
51
ebd., S. 6
52
ebd., S. 6
53
nach: Kulke (2001), S. 292

18
ca. 46% in Teilzeit arbeiteten.
54
Mit diesen wenigen Zahlen wird belegt, welche
wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Rolle dem Einzelhandel in Deutsch-
land zukommt und von welcher Bedeutung dieser auch für den Untersuchungs-
gegenstand dieser Arbeit ist (vgl. Kap. 3.1.2).
Nachdem nun eine allgemeine Definition des Einzelhandels gegeben wurde, stellt
sich die Frage, wie von handelsendogener Seite auf Veränderungen reagiert wer-
den kann. Ein wichtiges Instrumentarium des Handels, auf ein verändertes Kon-
sumverhalten zu reagieren, ist die Anpassung von Betriebstypen (Betriebsformen).
Tatsächlich ist seit Bestehen des institutionellen Einzelhandels im 19. Jahrhundert
eine kontinuierliche Entwicklung verschiedener Betriebsformen zu beobachten
(vgl. Abb. 10).
Abb. 10 Innovationsphasen verschiedener Betriebstypen; aus: Acocella (2004), S. 16
In dieser Darstellung sind ,,neuere" Betriebsformen wie Lebensmittel- und Non-
food-Discounter sowie Shopping-Center, die zumindest seit den letzten 30 ­ 40
Jahren an Bedeutung gewannen, nicht berücksichtigt. Die Betriebsform des Shop-
ping-Centers wirft noch andere Fragen auf, die am Schluss dieses Kapitels näher
brachtet werden.
Aus Abb. 10 geht hervor, dass bestimmte Betriebstypen einen so genannten ,,Le-
benszyklus" haben. Was keineswegs heißt, dass nach Überschreiten dieser Zeit
der Betriebstyp völlig aus der Einzelhandelslandschaft verdrängt wäre. Dennoch
verschiebt sich dessen Relevanz: ,,Am Beispiel der Fachgeschäfte kann verdeut-
licht werden, dass trotz der beendeten Innovationsphase, traditionelle Betriebs-
54
Zahlen nach: HDE (2005), S. 6/S. 19

19
typen weiterhin neben den neu entwickelten existieren ­ nur die Bedeutung im
Betriebstypenspektrum ändert sich."
55
Welche Faktoren nehmen nun Einfluss auf die Dauer eines Lebenszyklus?
Zur Klärung dieser Frage wird meist ein verdrängungstheoretischer Ansatz ge-
wählt. Kerninhalt der Theorien der ,,Lebenszyklusansätze"
56
ist die Tatsache, dass
,,Veränderungen im Handel als eine ihm quasi innewohnende Eigenschaft"
57
sind.
Dieser Feststellung liegt die Annahme zu Grunde, dass jedes Produkt einem ,,Alte-
rungsprozess unterworfen ist."
58
Dieser wiederum wird durch ein nachlassendes
Interesse der Verbraucher bestimmt, da sich entweder der Konsument nicht mehr
für den Nutzen des Produktes interessiert oder das Produkt durch ein innovati-
veres ersetzt wurde.
Nun besteht das Produktangebot einer Betriebsform aber immer aus einer Kom-
position mehrerer und unterschiedlicher Waren (Sortimentstiefe und ­breite). Dies
bedeutet, dass eine Betriebsform Produkte mit unterschiedlichen Reifegraden vor-
rätig hält. Daraus folgt, dass über die Produktausstattung einer Betriebsform Ein-
fluss auf deren Lebensdauer oder sogar auf deren gänzliches Verschwinden aus
der Einzelhandelslandschaft genommen werden kann.
In der vorangegangenen Betrachtung kann der Eindruck entstehen, Unternehmen
könnten nur über die angebotenen Produkte die Lebensdauer ihrer Betriebsform be-
einflussen. Dies entspricht nicht den Tatsachen, denn auch ,,anhand der zugehörigen
Handhabung und Gewichtung von Sortimentbildung und Preis bzw. Bedienung"
59
kön-
nen Unternehmen hier Einfluss nehmen.
Als ein Beispiel können die Warenhäuser der Metro AG (Kaufhof Warenhaus AG) ge-
nannt werden. Nachdem die Kaufhof - Warenhäuser in den 1970er Jahren ihre Inno-
vationsphase abgeschlossen hatten (vgl. Abb. 10), war ihnen ein beständiger Nieder-
gang prognostiziert worden. Allerdings ist diese Betriebsform bis heute keineswegs
aus den Stadtbildern verschwunden. Vor 12 Jahren begann nämlich die damalige
Horten AG (sie wurde später von der Metro AG übernommen), in einigen Häusern ein
neues Konzept umzusetzen, welches ein verändertes Konsumentenverhalten nach
Erlebnis beim Einkauf berücksichtigt: die Präsentation der Waren erlebnisgerecht
55
Acocella (2004), S. 15
56
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 50
57
Klein (1997), S. 500
58
Heinritz/Klein/Popp (2003), . 50
59
Klein (1997), S. 501

20
Shop-in-Shop.
60
Nur ein Jahr später, im September 1995, offerierten bereits die ersten
Warenhäuser in Oldenburg und Köln unter dem neuen Markennamen ,,Galeria Kauf-
hof" dem Kunden eine entsprechend gestaltete Warenwelt. Ein Trading-Up
61
, welches
der Kaufhof-Konzern zur richtigen Zeit einsetzte, sicherte das Fortbestehen des ehe-
maligen Warenhauses. Ganz im Gegensatz zu den Karstadt ­ Warenhäusern, die den
Bedarf des Konsumenten nach Erlebnis und Entertainment sehr spät erkannt haben,
so dass die Karstadt-Quelle AG nun seit einigen Jahren in finanziellen Schwierig-
keiten steckt.
62
Nach dieser kurzen theoretischen Betrachtung werden die Kennzeichen des Be-
triebsformenwandels besprochen. Als ein wesentliches Merkmal gilt die Vergrößerung
der Verkaufsfläche. Insgesamt steht dem deutschen Einzelhandel eine Verkaufsfläche
von 116 Mio. m² zur Verfügung. Auf jeden Einwohner kommt eine Verkaufsfläche von
ungefähr 1,4 m².
63
Bis zur Wiedervereinigung war die Verkaufsflächenausstattung in
der ehemaligen DDR relativ gering, hier kamen lediglich 0,4 m² auf einen Einwoh-
ner.
64
Besonders in der Nachwendezeit haben die neuen Bundesländer hier deutlich
aufgeholt, so dass heute kein nennenswerter Unterschied zwischen Ost und West zu
verzeichnen ist.
Parallel zur permanenten Vergrößerung der Verkaufsfläche ist die Zahl der Einzel-
handelsbetriebe rückläufig, d.h. die Verkaufsfläche je Betrieb ist angestiegen. ,,In der
Konsequenz sind die Flächenproduktivitäten, d.h. die Umsätze pro Quadratmeter Ver-
kaufsfläche, im Durchschnitt gesunken."
65
Zum Flächenwachstum und den rückläufigen Betriebszahlen kommt noch eine starke
Unternehmenskonzentration hinzu. So wird heute das Bild der deutschen Einzelhan-
delslandschaft weitgehend von nationalen und internationalen Konzernen beherrscht,
dies ganz im Gegensatz zu den 1950er Jahren, wo noch das Inhaber geführte Ge-
schäft dieses Bild dominierte. Der Konzentrationsprozess im Einzelhandel manifestiert
60
Die Horten AG/Kaufhof AG reagierte damit auch auf die zunehmende Konkurrenz durch die
Shopping-Center. Kurz gefasst kann das Shop-in-Shop-Prinzip mit dem des Shopping-Centers
verglichen werden, wenn auch in abgewandelter Form (vgl. den Schluss dieses Kapitels).
61
Der Begriff ,,Trading-Up" bezeichnet z.B. die Erweiterung des Sortiments, die Verbesserung der
Geschäftsausstattung oder auch den Ausbau von kundenorientierten Dienstleistungen; vgl.
Brunotte u.a. (2001), S. 144
62
vgl. hierzu z.B. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,415034,00.html
(Download vom 10.05.2006)
63
Zahlen für 2004; nach: HDE (2005), S. 17 und http://www.destatis.de/download/d/
bevoe/bevoe_nach_bundeslaendern04.pdf (Download vom 30.03.2006)
64
nach: Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 37
65
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 37

21
sich nicht zuletzt auch in den entsprechenden Filialisierungsgraden
66
in den deut-
schen Großstädten. So liegt dieser für die 1a-Lage im März 2005 in der Innenstadt
von Frankfurt am Main bei 74,4%.
Unternehmen, die sich in den 1a-Lagen der Großstädte niederlassen, verfügen ,,im
Gegensatz zu den eigentümergeführten Betrieben [...] über eine enorme Marktstärke,
Finanzkraft und organisatorische sowie kostenmäßige Überlegenheit"
67
, so dass sie
Spitzenmieten von bis zu 220 je m² Verkaufsfläche bezahlen können.
68
Die Gründe für die beständige Zunahme der Verkaufsfläche und die gleichzeitig be-
ständige Abnahme der Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland beruhen seitens der
Unternehmer im Wesentlichen auf drei Säulen: 1.) Es gilt, Innovationen umzusetzen,
2.) Verschärfung der Wettbewerbssituation durch Kapitalkonzentration und 3.) die
dadurch entstehende Nachfragemacht der Großunternehmen.
69
Als wesentliche Innovationen nennen HEINRITZ/KLEIN/POPP ,,die Einführung der
Selbstbedienung (SB), die Vergrößerung der Sortimente und die Rationalisierung aller
Arbeitsabläufe"
70
(vgl. Abb. 11).
Abb. 11 Lebensmittelgeschäft im Landkreis Osnabrück Ende der 1950er Jahre; eigene Abb.
Die Vergrößerung der Sortimente wird zu einem durch die Produzenten angestoßen
(innovativere Produkte zeigen sich dem Verbraucher z.B. in einer Auswahl von 20
66
Der ,,Filialisierungsgrad" gibt das Verhältnis von Filialbetrieben zu Inhaber geführten Geschäften
wieder.
67
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 38
68
Daten nach: http://www.kempers.de (Download vom 30.03.2006)
69
Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 42
70
ebd., S. 42

22
verschiedenen Badreinigern). Zum anderen sorgt der Verbraucher selbst für ein man-
nigfaltiges Angebot, in dem er im Geschäft ein Mindestmaß einer Produktpalette er-
wartet (vgl. Abb. 12).
Abb. 12 Frischeabteilung eines Supermarktes im 21. Jahrhundert; aus:
http://www.metrogroup.de/servlet/PB/menu/1005141_l1/index.html (Download vom 10.05.2005)
Aufgrund der immer umfangreicheren Sortimente müssen Einzelhandelsgeschäfte mit
einer immer größeren Verkaufsfläche am Markt präsent sein, da sie sonst von den
Kunden ­ wegen des ,,unzureichenden" Angebots ­ gemieden werden.
Die immer größer dimensionierten und moderneren Einzelhandelsbetriebe können in
der Regel nur durch äußerst kapitalstarke Unternehmen realisiert werden. Meist ent-
stehen diese kapitalstarken Unternehmen ,,einerseits durch internes Wachstum, ande-
rerseits durch Fusionen und Übernahmen. [...]. Unternehmenskonzentrationen sind
somit vorwiegend das Ergebnis von Kostensenkungsstrategien mit dem Ziel, Wettbe-
werbsvorteile durch Preisführerschaft zu erzielen."
71
Daraus folgt: Mittelständische Unternehmen halten diesem Konkurrenzdruck nicht
stand, da sie nicht dieselben Preisvorteile, wie sie große Unternehmen beim Einkauf
erzielen und an die Verbraucher weitergeben können.
Zusätzlich merkt HATZFELD an, dass ,,der ökonomische Erfolg der neuen großflä-
chigen Verkaufsformen [...] auf Verlagerung von Kosten auf die Kunden oder die All-
gemeinheit (Abbau von Beratungsleistungen, Verlagerung von Transportkosten, Um-
weltkosten ...) und [...] auf der Erschließung großer Rationalisierungspotentiale"
72
,
71
Pütz (1998), S. 16
72
Hatzfeld (1995), S. 24

23
welche zuvor genannt wurden, beruht. Sehr deutlich werden die oben genannten
Entwicklungen auch in der folgenden Tabelle und Abbildung dargestellt. Einerseits
zeigen sie den Anteil von selbstständig geführten- und Filialunternehmen im Lebens-
mitteleinzelhandel (vgl. Tab. 2), andererseits die Entwicklung der Lebensmittelge-
schäfte nach der Wiedervereinigung (vgl. Abb. 13), was im Prinzip eine Fortschrei-
bung der Werte aus Tab. 2 darstellt:
Selbstständige Filialunternehmen
Jahr
Anteil an Betrieben
Anteil am Umsatz
Anteil an Betrieben
Anteil am Umsatz
1960
89,2% 68,9% 10,8% 31,1%
1970
90,9% 57,8% 9,1% 42,2%
1980
80,6% 32,2% 19,4% 67,8%
1989
69,4% 17,9% 30,6% 82,1%
Tab. 2 Einbetriebs- und Filialunternehmen im Lebensmitteleinzelhandel Westdeutschlands;
nach: Pütz (1998), S. 16
9.635
9.610
9.596
9.460
9.134
9.230
8.842
8.810
8.790
8.620
2.038
2.097
2.191
2.225
2.278
2.363
2.380
2.409
2.494
2.558
10.630
11.580
12.220
12.813
13.235
12.970
13.180
13.400
13.750
14.214
54.100
52.380
50.570
48.920
47.950
45.900
43.950
42.200
39.900
37.350
76.403
75.667
74.577
73.418
72.597
70.463
68.352
66.819
64.934
62.742
23.730
24.480
25.000
25.420
25.890
26.120
26.150
26.390
27.030
27.550
0
10.000
20.000
30.000
40.000
50.000
60.000
70.000
80.000
90.000
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Jahr
ab
so
lu
te
Wer
te
Supermärkte
SB-Warenhäuser
Discounter
übrige LM-Geschäfte
Gesamtzahl der LM-Geschäfte
VK-Fläche im LM-Einzel-
handel (in 1.000 m²)
Abb. 13 Entwicklung des Lebensmitteleinzelhandels und der Verkaufskaufsfläche in der Bundesrepublik
Deutschland im Zeitraum 1995-2004; eigene Darstellung, Zahlen nach: HDE (2005), S. 16
Im Folgenden wird noch eine kurze Beschreibung der bislang genannten Betriebsfor-
men mit ihren Kennzeichen
73
hinsichtlich Verkaufsfläche, Standort, Bedienungsform
und Preisniveau sowie Angebotstiefe- und breite gegeben (die Einteilung erfolgt nach
Food- und Non-Food Geschäften, die Nummerierung stellt keine Wertung dar). Dies
73
vgl. Kulke (1996), S. 9; Pütz (1998), S. 18; Heinritz/Klein/Popp (2003), S. 228 ff.

24
ist notwendig, um im Weiteren eine Abgrenzung der für diese Arbeit bedeutenden
Betriebsformen ­ das Fachgeschäft, das SB-Warenhaus sowie das Shopping-Center
­ zu nennen.
Food-Geschäfte
Discounter
Die Ausstattung der Läden ist sehr einfach gehalten und sie umfassen meist
eine Verkaufsfläche (VK) von ca. 700-800 m², zwecks Umgehung aufwändiger
Genehmigungsverfahren bei größeren VK-Flächen nach BauGB. In Innen-
stadtlagen kann die VK-Fläche eines Discounter auch kleiner ausfallen. Ver-
braucher können hier in Selbstbedienung (SB) Konsumgüter des Massenab-
satzes zu sehr niedrigen Preisen einkaufen. Die Angebotstiefe (z.B. der Bad-
reiniger wird nur in einer Duftvariante angeboten) ist sehr flach und die Ange-
botsbreite (z.B. zur Bad-Reinigung werden nur Produkte wie Toiletten-, All-
zweck- und Glasreiniger angeboten) sehr schmal. Als Beispiel hat die Firma
,,ALDI" dadurch lediglich 700 Artikel standardmäßig im Sortiment.
74
Discounter sind meist an nicht-integrierten Standorten außerhalb traditioneller
Einzelhandelslagen zu finden, wobei ein Trend zurück in die Innenstadt (dort
eher 1b-Lagen) und in Stadtteillagen auszumachen ist.
Verbrauchermarkt / SB-Warenhaus
Diese Betriebstypen finden sich vorrangig schon aufgrund ihrer Größe auf der
,,grünen Wiese", die Betriebsform ist demzufolge äußerst am Individualverkehr
orientiert. Die Läden bieten meist in eingeschossiger, architektonisch einfacher
Bauweise auf durchschnittlich 3.000 m² VK-Fläche ein relativ breit gefächertes
Sortiment bei einer mittleren Angebotstiefe. So gibt die Firma ,,Real" für ihre
Märkte eine Palette von ca. 80.000 Produkten an.
75
Die Preispolitik ist äußerst
aggressiv gegenüber Mitbewerbern und das Preisniveau daher niedrig.
Häufig finden sich in diesen Betriebsformen Abteilungen mit mehr oder weniger
umfangreichen Non-Food Sortimenten. Die Kunden bedienen sich selbst, d.h.
der Personaleinsatz ist sehr gering. Obgleich es auch einen Versuch der US-
amerikanischen Firma ,,WALMART" bei Übernahme der ,,WERTKAUF"-Märkte
74
zum Vergleich: Das Angebot eines Vollsortimenters umfasst min. 4.000 Artikel
75
nach: http://www.metrogroup.de/servlet/PB/menu/1001973_l1/index.html
(Download vom 15.04.2006)

25
gab, mehr Service in deutschen Verbrauchermärkten zu installieren: an den
Kassen wurde den Kunden durch Service-Mitarbeiter die Ware in Einkaufstü-
ten gepackt und zum Auto gebracht. Dies wurde jedoch nach kurzer Zeit wie-
der eingestellt, da der deutsche Verbraucher nicht gewillt war, die ihm fremde
amerikanische Service-Orientierung zu akzeptieren.
76
Supermarkt
Supermärkte bieten Nahrungs- und Genussmittel häufig auch in zusätzlichen,
größeren Frischeabteilungen an. Seine Mindest-VK beträgt 400 m², wobei die
Tendenz dahin geht, Supermärkte auch mit immer größeren Flächen auszu-
statten. Eine immer umfangreichere Produktpalette (vor allem aus den Non-
Food Sortimenten) ist zum einen notwendig, um die Kundenwünsche zufrieden
zu stellen und zum anderen, um die geringen Gewinnspannen im Lebensmit-
telbereich auszugleichen.
Der Supermarkt ist gewissermaßen ein Allround-Künstler, der die Nahversor-
gung der Bevölkerung sicher stellt(e). An vielen Stellen, wo Standorte für Han-
delsketten wie ,,REWE" oder ,,Edeka" aufgrund zu geringer Ladengrößen oder
mangelhafter Erreichbarkeit geschlossen wurden, übernahmen Tankstellen
und Kioske in Teilen die Nahversorgung der Bevölkerung, und somit Super-
markt-Funktion.
Bedienungsladen
Dieser Betriebstyp kann als immer weiter aussterbende Spezies bezeichnet
werden (vgl. Abb. 13, siehe ,,übrige LM-Geschäfte") und findet sich im Volks-
mund als ,,Tante-Emma-Laden" wieder. Dennoch findet er Eingang in diese
Auflistung, da er für den Untersuchungsraum von großer Bedeutung ist.
Auf sehr geringen Verkaufsflächen (max. 100 m²) werden hier vorwiegend Fri-
schewaren wie Wurst, Käse, Obst, Gemüse und andere Lebensmittel angebo-
ten. Durch den hohen Personaleinsatz und der kaum vorhandenen Umsätze,
die die meist Inhaber geführten Geschäfte erzielen, ist das Preisniveau sehr
hoch. Schwerpunkt dieser Läden bildet das Frischesortiment, um sich so im
76
vgl. http://www.zeit.de/2005/11/wal-mart (Download vom 15.04.2006)

26
Wettbewerb zu profilieren. Standorte dieser Betriebstypen sind integrierte La-
gen, vorwiegend 1b-Lagen, oder die Ansiedlung in Stadtteilzentren.
Non-Food Geschäfte
Fachgeschäft
Wie auch die Bedienungsläden verschwinden Fachgeschäfte immer mehr aus
der Einzelhandelslandschaft. Zum einen wegen der immer größer werdenden
Konkurrenz der Fachmärkte, zum anderen auch häufig durch ungeklärte Be-
triebsnachfolgen, da diese Geschäfte meist von den Inhabern und deren Fami-
lienangehörigen geführt werden. Ziehen sich die Inhaber aus Altersgründen zu-
rück, findet sich oft kein Nachfolger.
In Fachgeschäften finden die Kunden auf meist relativ kleinen Verkaufsflächen
(bis 400 m²) ein ,,branchenspezifisches oder bedarfsgruppenorientiertes Sorti-
ment in großer Auswahl [...]."
77
Meist sind diese Geschäfte gut an ihren Namen zu erkennen: Namen wie ,,Her-
renbekleidung Nebel", ,,Musikhaus Löbner" oder ,,Hanke ­ Haus des Kindes"
lassen schnell einen Rückschluss auf das Warenangebot zu.
Der Kunde wird in diesen Geschäften fremd bedient und trifft auf ein Warenan-
gebot mit einer großen Angebotstiefe und einer schmalen Angebotsbreite im
mittleren bis hohen Preissegment.
Fachmärkte
Wie zuvor erwähnt bilden Fachmärkte eine zunehmende Konkurrenz für die
Fachgeschäfte. In meist mit dem PKW gut zu erreichender Lage, offerieren sie
dem Kunden ein Angebot aus einem bestimmten Warenbereich. Als Beispiele
für Fachmärkte können die Unternehmen ,,Toys'R'Us" (Spielzeugwaren, Kin-
derbedarf etc.), ,,Freßnapf" (Tiernahrung- und bedarf) oder ,,Gartencenter Deh-
ner" (Gartenbedarf) sowie alle Bau- und Heimwerkermärkte genannt werden.
In Selbstbedienung kann der Kunde auf mittleren bis sehr großen Verkaufsflä-
chen aus dem entsprechenden Sortiment Waren zu meist niedrigen Preisen
kaufen.
77
Pütz (1998), S. 18

27
Bislang waren die Fachgeschäfte in den größeren Städten von der Konkurrenz
durch die Fachmärkte betroffen. Allerdings zeigt sich in letzten Jahren eine
Verschiebung zu den Unter- und Mittelzentren. Dominierten in Städten wie
Engelskirchen (Oberbergischer Kreis), Melle (Landkreis Osnabrück) oder Rö-
dersheim (Rhein-Pfalz-Kreis) mit ca. 10.000-15.000 Einwohnern die Fachge-
schäfte, so werden sie jetzt nach und nach von den großen Fachmärkten ab-
gelöst.
Warenhaus
Eine der ältesten Einzelhandelseinrichtungen ist das Warenhaus (siehe voran-
gegangene Abschnitte). Bereits im Jahre 1881 eröffnete Rudolph Karstadt in
Wismar das erste Karstadt-Warenhaus.
An meist integrierten Standorten oder in Shopping-Centern als Frequenzbrin-
ger (vgl. Kap. 3.1.2.1) bieten Warenhäuser den Kunden auf Verkaufsflächen
von min. 3.000 m² (über mehrere Stockwerke verteilt) ein breites Warenange-
bot von mittlerer Angebotstiefe. Die Kunden bedienen sich selbst oder es er-
folgt eine Vorauswahl der Ware durch das Personal (z.B. der Kunde fragt nach
Kaffeemaschinen; es wird ihm eine angeboten, die zurzeit im Angebot ist).
Die angebotenen Waren befinden sich meist im mittleren Preissegment.
Kaufhaus
Beim Kaufhaus handelt es sich meist um großflächige (min. 1.000 m² Ver-
kaufsfläche), filialisierte Einzelhandelsbetriebe. Hier wird dem Kunden ein
branchengebundenes Warenangebot präsentiert, aus dem er teilweise in
Fremd- oder Selbstbedienung auswählen kann. Das Preisniveau liegt im Mit-
telfeld. Als Akteure auf dem Markt treten bundes- oder europaweit tätige Filia-
listen auf, wobei auch regionale Kleinfilialisten gelegentlich tätig sind.
Bekannte (Bekleidungs-) Kaufhäuser sind z.B. ,,Peek & Cloppenburg", ,,C&A"
oder ,,H+M".
Non-Food Discounter
Diese Betriebsform steht dem Lebensmitteldiscounter hinsichtlich des Ver-
kaufskonzeptes sehr nahe. Auf großen ebenerdigen Verkaufsflächen (ab 400
m²), oft in nicht-integrierten Lagen, werden Waren in einem sehr niedrigen
Preissegment von äußerst flacher Angebotstiefe und schmaler Angebotsbreite

28
dem Kunden in Selbstbedienung offeriert. Bekannte Non-Food Discounter sind
z.B. die ,,KIK"-Textilmärkte oder ,,Deichmann"-Schuhgeschäfte.
3.1.2.1 Das Shopping-Center
78
als besondere Betriebsform
Genau genommen handelt es sich bei dieser Betriebsform um keinen eindeutig zuzu-
ordnenden Betrieb wie z.B. das Warenhaus oder Fachgeschäft, sondern vielmehr um
,,eine Ansammlung von Einzelhandelsbetrieben unterschiedlicher Betriebstypen in
Verbindung mit Dienstleistungsangeboten."
79
Die von ACOCELLA sehr allgemein gehaltene Definition findet sich ebenfalls in der für
diese Arbeit unter diesem Kapitel gesichteten geographischen oder betriebswirt-
schaftlichen Literatur wieder. Das Problem dieser nicht einheitlichen Definition wird
bereits in der umgangssprachlichen Verwendung des Begriffs ,,Einkaufszentrum"
deutlich. Spricht man davon ,,ins Einkaufszentrum zu fahren", kann sowohl die Fahrt
zum Shopping-Center, als auch das Aufsuchen eines Fachmarktzentrums gemeint
sein.
Allerdings können einige wesentliche Charakteristika des Shopping-Centers, vor allem
im Vergleich zum gewachsenen Geschäftszentrum, genannt werden: Hierzu zählen
die ,,einheitliche Planung, Gestaltung und Errichtung sowie [das] zentrale Manage-
ment"
80
.
Diese drei Eigenschaften, KALTENBRUNNER bezeichnet sie als ,,das Gottvatermo-
dell der Planung"
81
, verschaffen dem Shopping-Center gegenüber der organisato-
rischen Vielfalt des innerstädtischen Handels einen klaren Wettbewerbsvorteil, da
dieser in seiner Vitalität von zahlreichen Akteuren abhängig ist: Hier ist es nicht ein
Center-Management, welches die strategische Ausrichtung der Handelseinrichtungen
vorgibt. Im Innenstadthandel agieren Einzelhändler, Werbegemeinschaften, Immobi-
lienbesitzer, Makler, städtische Planer und Kommunalpolitiker.
Das zuvor zitierte ,,Gottvatermodell der Planung" wird auch in zwei Urteilen des Bun-
desverwaltungsgerichtes vom 27.04.1990 und 15.02.1995 aufgegriffen. In seinem
Urteil vom 27.04.1990 nimmt das oberste deutsche Verwaltungsgericht Stellung zum
§11, Abs. 3 der Baunutzungsverordnung (BauNVO), der sich mit der Kennzeichnung
78
im Folgenden wird der Begriff ,,Einkaufszentrum" synonym verwendet
79
Acocella (2004), S. 23
80
Besemer (2004), S. 24
81
Kaltenbrunner (2006), S. 5

29
von sonstigen Sondergebieten in der Flächennutzungsplanung beschäftigt. In diesem
Urteil definiert
82
das Gericht ein Einkaufszentrum wie folgt:
,,Ein ,Einkaufszentrum' [...] setzt im Regelfall einen von vornherein einheitlich geplan-
ten, finanzierten, gebauten und verwalteten Gebäudekomplex mit mehreren Einzel-
handelsbetrieben verschiedener Art und Größe ­ zumeist verbunden mit verschie-
denartigen Dienstleistungsbetrieben ­ voraus. Sollen mehrere Betriebe ohne eine
solche Planung ein Einkaufszentrum im Rechtssinne darstellen, so ist hierfür außer
ihrer engen räumlichen Konzentration ein Mindestmaß an äußerlich in Erscheinung
tretender gemeinsamer Organisation und Kooperation erforderlich, welche die An-
sammlung mehrerer Betriebe zu einem planvoll gewachsenen und aufeinander bezo-
genen Ganzen werden läßt."
83
Ein Versuch, das Shopping-Center zusätzlich über die Verkaufsfläche zu definieren,
erscheint als nicht sehr praktikabel, da in Bezug auf die Mindest-Verkaufsfläche keine
einhellige Meinung besteht. Hier reichen die Werte als untere Größe von 8.000 m² bis
hin zu 15.000 m² Verkaufsfläche.
84
Allerdings kann festgehalten werden, dass im
Allgemeinen eine Fläche von 10.000 m² als absolut unterstes Maß für ein betriebs-
wirtschaftlich sinnvoll funktionierendes Shopping-Center angenommen wird.
Die Verkaufsflächen in deutschen Einkaufszentren (Anfang des Jahres 2004 waren
352 Shopping-Center mit durchschnittlich 31.500 m² Verkaufsfläche am Markt prä-
sent)
85
teilten sich im Durchschnitt auf folgenden Geschäftstypen- und Branchen-Mix
86
auf (vgl. Abb. 14/Abb. 15):
82
an diesem Urteil orientieren sich die meisten Autoren; vgl. Besemer (2004), S. 19 ff.; Falk (1998),
S. 15 f.; Popp (2002), S. 13 f.
83
Breuer u.a. (1990), S. 1074
84
vgl. EHI (2004), ohne Seitenangabe; Falk (1998), S. 17; Heineberg (2000), S. 181;
Giese (2003), S. 126
85
vgl. EHI (2004), S. A.01
86
Bei der Darstellung des Geschäftstypen- und Branchenmixes wurde auf die Brancheneinteilung
im empirischen Teil der Untersuchung zurückgegriffen (vgl. Kap. 8.1)

30
Durchschnittliche Mietflächenverteilung in Shopping-Centern 2004
Textilien
24%
Bildung/Kunst
2%
Elektronik
8%
Warenhäuser
8%
Sonstige
1%
Banken/Ärzte etc.
1%
private Dienstleistung
1%
Freizeit/Hobby
13%
Uhren/Schmuck
1%
Haushaltswaren/Einrichtung
9%
Gastronomie
4%
Heilbedarf/
Wellness
3%
Lebens-/Genussmittel
25%
Abb. 14 Zahlen nach: EHI (2004), S. A10 ff.; eigene Darstellung
Durchschnittliche Zahl der Geschäfte in Shopping-Centern
(Angaben in %)
Lebens-/Genussmittel
12%
Heilbedarf/Wellness
7%
Textilien
27%
Uhren/Schmuck
4%
Bildung/Kunst
5%
private Dienstleistung
6%
Gastronomie/Unterhaltung
12%
Banken/Ärzte etc.
6%
Sonstige
6%
Elektronik
2%
Warenhäuser
1%
Freizeit/Hobby
6%
Haushaltswaren/Einrichtung
6%
Abb. 15 Zahlen nach: EHI (2004), S.A10 ff.; eigene Darstellung
Auffällig ist die hohe Zahl an Textil- und Lebensmittelgeschäften, sowie einer bedeu-
tenden Anzahl von Betrieben der Gastronomie und Unterhaltung (die Mietflächenver-
teilung fällt zu Gunsten der Lebensmittelbetriebe aus, was von deren Großflächigkeit
herrührt). Auch sticht deutlich die geringe Anzahl von Einzelhandelsbetrieben in den
Bereichen ,,Elektronik" und ,,Freizeit/Hobby" bzw. deren deutlich höhere Flächeninan-
spruchnahme hervor.
An dieser Tatsache wird ein weiteres wesentliches funktionales Element der Shop-
ping-Center deutlich: Einzelhandelsbetriebe werden nach einer bestimmten Systema-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832499549
DOI
10.3239/9783832499549
Dateigröße
9.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Geowissenschaften, Humangeographie
Erscheinungsdatum
2006 (November)
Note
1,0
Schlagworte
wirtschaftsgeographie einzelhandel städteplanung einkaufspassagen shoppingcenter
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